11: Korruption - strafrecht-online.org

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11: Korruption - strafrecht-online.org
Vorlesung Kriminologie II
     Wintersemester 2020/2021                                            Prof. Dr. Roland Hefendehl & MitarbeiterInnen
     Albert-Ludwigs-Universität Freiburg                              Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht

                                                 § 11: Korruption
I.   Begriff
     Der Begriff der Korruption kommt vom lateinischen Wort corrumpere und bedeutet so viel wie „verderben“,
     „vernichten“ oder auch „bestechen“ (vgl. Transparency International, hier abrufbar).
     Eine allgemeinverbindliche Definition des Korruptionsbegriffs besteht nicht. Die juristische Begriffsfassung
     durch die Normierung der Korruptionsdelikte (§§ 108b, 108e, 298–300 [§§ 299a, 299b im Jahr 2016 neu
     eingefügt], 331–337 StGB) greift lediglich den Kernbereich auf, während die sozialwissenschaftliche Be-
     griffsverwendung darüber hinausgeht. Erst recht wird der Begriff in den Medien in einem viel breiteren
     Sinne verwendet, was auch dazu führen kann, dass sich die juristischen Bedeutungsinhalte verändern bzw.
     erweitert werden (vgl. Graeff Korruption, in: Hermann/Pöge [Hrsg.], Kriminalsoziologie, 2018, S. 357).

1.   Charakteristika
     Korruptionsdelikte gehen stets mit dem Ausnutzen einer bestimmten Position und dem Missbrauch einer
     Vertrauensstellung einher, die aus einer Funktion in Verwaltung, Justiz, Wirtschaft, Politik oder anderen
     Organisationen herrührt. Korruption kann daher verstanden werden als „Machtmissbrauch von Angehöri-
     gen besonderer Macht, die sich aufgrund einer Einflussnahme mit an einer manipulierten Leistung Interes-
     sierten über sachwidrige Vorteile einig werden“ (Bannenberg Korruption in Deutschland und ihre straf-

                                                                                                             § 11 KK 274
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     rechtliche Kontrolle, 2002, S. 16), wobei diese Definition weiter als die bestehenden Tatbestände des Straf-
     rechts ist. Ziel des Handelns ist, für sich oder Dritte einen materiellen oder immateriellen Vorteil zu erlan-
     gen, auf den kein rechtmäßiger Anspruch besteht.
     Die Korruptionssituation ist stets durch ein – eigentlich – fremdnütziges Handeln (im Auftrag eines Dritten)
     gekennzeichnet, also die Existenz eines Dreiparteienverhältnisses. „Wer dagegen eine ausschließlich eigene
     Leistung von der Gewährung von Vorteilen abhängig macht, auf die er keinen Anspruch hat, der begeht kein
     Korruptionsdelikt, sondern allenfalls Wucher (§ 291 StGB), Nötigung (§ 240 StGB) oder Erpressung (§ 253
     StGB).“ (Niehaus Annäherungen an einen Korruptionsbegriff des (deutschen) Strafrechts, in: Graeff/Rabl
     [Hrsg.], Was ist Korruption?, 2. Aufl. 2019, S. 221 [226]).

2.   Rechtsgut und Deliktsstruktur der Korruptionsdelikte
     a)   Vertrauen in staatliche Institutionen – Bestechungsdelikte (§§ 331 ff. StGB)
     Das geschützte Rechtsgut der §§ 331 ff. StGB ist umstritten.
     Eine Ansicht sieht die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes als geschützt an, andere gehen von der Unkäuf-
     lichkeit von Amtshandlungen bzw. der Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen als Schutzgut aus.
     Die wohl h.M. benennt den Schutz der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes bzw. des Vertrauens
     der Allgemeinheit in diese als Aufgabe der Bestechungsdelikte.

                                                                                                              § 11 KK 275
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Konkretisierend ist zu unterteilen: Die Vorteilsannahme durch einen Amtsträger beeinträchtigt von „innen
heraus“ das Funktionieren der staatlichen Verwaltung. Zugleich kann dadurch aber auch aus einer Außen-
perspektive heraus das Vertrauen der Allgemeinheit in die Gesetzmäßigkeit und Sachlichkeit der Verwal-
tung erschüttert werden. Richtigerweise erfasst das Rechtsgut somit kumulativ beide vorstehenden As-
pekte.
Sowohl die aktive als auch die passive Partei einer Korruptionstat, d.h. sowohl Vorteilsgeber als auch Vor-
teilsnehmer, können sich strafbar machen. Die Tatbestände, die den Vorteilsgeber betreffen, sind Allge-
meindelikte, können also von jedermann begangen werden. Die Tatbestände, die den Vorteilsnehmer be-
treffen, sind als Sonderdelikte ausgestaltet und können nur von Amtsträgern oder für den öffentlichen
Dienst besonders Verpflichtete begangen werden.
Diese Tatbestände sind spiegelbildlich zueinander ausgestaltet: Die Tathandlungen des Anbietens, Verspre-
chens oder Gewährens auf Vorteilsgeberseite korrespondieren mit den Tathandlungen des Forderns, Sich-
versprechenlassens oder Annehmens auf Vorteilsnehmerseite (s. dazu das Schaubild auf der folgenden KK).

                                                                                                       § 11 KK 276
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                              Sonderdelikte (nur Amtsträger)         Allgemeindelikte (jedermann)

                       Vorteilsannahme (§ 331)                                    Vorteilsgewährung (§ 333)
              Vorteilsannahme für pflichtgemäße und                         Vorteilsgewährung für pflichtgemäße
                     pflichtwidrige Dienstausübung                           und pflichtwidrige Dienstausübung

                            Bestechlichkeit (§ 332)                                   Bestechung (§ 334)
                      Vorteilsannahme für (konkrete)                         Vorteilsgewährung für (konkrete)
                       pflichtwidrige Diensthandlung                          pflichtwidrige Diensthandlung
                            Qualifikation zu § 331                                  Qualifikation zu § 333

                                                         spiegelbildlich

  § 335a StGB: Erweiterung des tatbestandlichen erfassten Personenkreises auf bestimmte ausländische
                                    und internationale Bedienstete.

                                                                                                         § 11 KK 277
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b)   Schutz des Wettbewerbs bzw. des Vertrauens hierin, § 299 StGB
Nach herrschender Meinung hat § 299 StGB eine doppelte Schutzrichtung:
         ▪   primär: Lauterkeit des Wettbewerbs (Vertrauen in diesen) zum Schutz der Allgemeinheit
         ▪   sekundär: Schutz der Mitbewerber in ihrer Chancengleichheit und ihren Vermögensinteressen
         ▪   ebenfalls sekundär: Schutz des betroffenen Unternehmens (Geschäftsherrenmodell)
Die Vorschrift ist nach herrschender Meinung ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Denn Tathandlungen müs-
sen den Wettbewerb nicht zwingend beeinträchtigen, da auch Zuwendungen, die unabhängig von einem
Wettbewerbsverhältnis gemacht werden, tatbestandsmäßig sind und die Vereinbarung oder Zahlung eines
„Schmiergeldes“ unmittelbar keinen materiellen Schaden des Geschäftsherrn herbeiführt.
Bei den 2016 neu eingefügten Tatbestände der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen ist
das Rechtsgut gleich ausgestaltet und wird lediglich auf das Gesundheitswesen konkretisiert. Geschützt ist
durch die §§ 299a, 299b StGB demnach das Vertrauen in die Lauterkeit des Wettbewerbs im Gesundheits-
wesen (Münchener Kommentar StGB/Hohmann, 3. Aufl. 2019, § 299a StGB Rn. 1).

c)   Wählerbestechung (§ 108b StGB), Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern (§ 108e
     StGB)
§ 108b StGB soll die Sachlichkeit der Stimmabgabe bei Wahlen und Abstimmungen gewährleisten (Nomos
Kommentar StGB/Kargl, 5. Aufl. 2017, § 108b StGB Rn. 1). Unter Strafe gestellt sind demnach der Stimmen-
kauf und Stimmenverkauf.
                                                                                                       § 11 KK 278
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     Der im Jahr 2014 vollständig neu formulierte Tatbestand des § 108e StGB (vormals „Abgeordnetenbeste-
     chung“) regelt nunmehr die „Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern“. Das Rechtsgut wurde
     durch die Neufassung des Tatbestands erweitert. Nunmehr kann nicht allein die Sachlichkeit der Abstim-
     mungen (wie bei § 108b StGB) als Rechtsgut begriffen werden (Münchener Kommentar StGB/Müller,
     3. Aufl. 2017, § 108e StGB Rn. 1), sondern § 108e StGB schützt die Integrität und Funktionsfähigkeit des
     repräsentativen Systems bzw. parlamentarischer Entscheidungsprozesse insgesamt (Nomos Kommentar
     StGB/Kargl, 5. Aufl. 2017, § 108e StGB Rn. 5; Münchener Kommentar StGB/Müller, 3. Aufl. 2017, § 108e
     StGB Rn. 1).

3.   Korruption als eigenständiger Forschungsgegenstand der Kriminologie
     Korruption wurde in der Kriminologie lange Zeit nur im Zusammenhang mit anderen Kriminalitätskonzep-
     ten, insbesondere organisierter Kriminalität oder Wirtschaftskriminalität behandelt. Als Gründe hierfür
     werden das lange Zeit mangelnde Interesse der Politik am Thema, die mangelnde Sichtbarkeit von Opfern,
     die begriffliche Unschärfe des Konzepts (vgl. bereits KK 274) und das Widerstreben der Wirtschaft, die in
     der Erforschung des Phänomens eine Bedrohung für die Freiheit des Marktes gesehen hat, benannt (Huis-
     mann/Vande Walle The criminology of corruption, in: de Graaf/von Maravić/Wagenaar [Hrsg.], The Good
     Cause: Theoretical Perspectives on Corruption, 2010, S. 115 [121]).

                                                                                                           § 11 KK 279
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II.   Befunde
1.    Der Corruption Perception Index
      Der Corruption Perception Index ist eine jährlich erscheinende Publikation von Transparency International.
      Er setzt sich aus Befragungsdaten und Expertenmeinungen (13 Einzelindizes) über das empfundene Korrup-
      tionsausmaß im öffentlichen Sektor zusammen. Für die kriminologische Forschung ist der Index nicht zuletzt
      aufgrund seiner Erhebungsmethode (Expertenrating) nur begrenzt geeignet (dazu Graeff Korruption, in:
      Hermann/Pöge [Hrsg.], Kriminalsoziologie, 2018, S. 361).
      Deutschland erreicht 2020 einen CPI-Wert von 80 und befindet sich damit international an neunter Stelle.
      Ausschlaggebend für den niedrigeren Wert ist, dass aus Sicht der befragten Wirtschaftschefs Korruption
      und Bestechung in Wirtschaft und öffentlichen Institutionen in Deutschland zunimmt.

                                                                                                             § 11 KK 280
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                                                                             § 11 KK 281
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2.   PwC-Studie: Wirtschaftskriminalität 2018
     Bei der regelmäßig durchgeführten PwC-Studie zur Wirtschaftskriminalität werden auch die Korruptionsri-
     siken von Unternehmen erfragt. Für die Studie „Wirtschaftskriminalität 2018“ wurden Mitte 2017 Verant-
     wortliche aus 500 Unternehmen mithilfe eines standardisierten Fragebogens interviewt. Bei allen Personen
     handelte es sich um solche, die sich in ihrem Unternehmen für den Themenbereich Kriminalitätsprävention
     und -aufklärung zuständig erklärt hatten. Mit Personen aus 32 Unternehmen wurden ergänzende vertiefte
     Interviews zu ausgewählten Fragen durchgeführt.
     Aus der Studie lässt sich eine allmähliche Abnahme der Korruption und eine sinkende Korruptionsbelastung
     der deutschen Wirtschaft entnehmen. Zwar stagniert die Zahl der von Korruption betroffenen Unterneh-
     men bei 6 %, aber die Verdachtsfälle nahmen gegenüber dem Jahr 2015 von 19 % auf 11 % ab. Auch der
     Anteil der befragten Unternehmen, denen Geschäfte mutmaßlich infolge Korruption eines Wettbewerbers
     entgangen sind, sank gegenüber 2015 von 21 % auf 9 %.
     Der über die Unternehmensbefragung verzeichnete Rückgang deckt sich mit der Entwicklung der Fallzahlen
     aus der PKS (dazu KK 288) und dem Bundeslagebild Korruption (dazu KK 289 ff.), wobei diese Zahlen stark
     von der Ermittlungstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden geprägt und stark abhängig von einzelnen Er-
     mittlungserfolgen sind.

                                                                                                           § 11 KK 282
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                                                                             § 11 KK 283
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3.   EU-Eurobarometer (2019)
     Seit 2007 werden in der Europäischen Union Umfragen durchgeführt, in denen die EU-Bürger gefragt wer-
     den, wie sie in ihren jeweiligen Ländern das Ausmaß der Korruption einschätzen, welche Bevölkerungsgrup-
     pen sie darin hauptsächlich involviert sehen und welche Konsequenzen sie befürchten.
     Die letzte Umfrage wurde 2019 durchgeführt und Mitte 2020 publiziert. Hierfür wurden in den 28 Mitglied-
     staaten der EU insgesamt 27.498 Personen im Alter ab 15 Jahren und aus unterschiedlichen sozialen und
     demographischen Gruppen befragt, also rund 1.000 Personen je Mitgliedstaat.
     Die Teilnehmer wurden u.a. gefragt
              ▪   wie sie das Ausmaß der Korruption in ihrem eigenen Land einschätzen,
              ▪   wie sich die beobachtete Korruption in den letzten drei Jahren verändert hat,
              ▪   ob sie persönlich bereits in Kontakt mit Korruption gekommen sind,
              ▪   ob für sie Bestechung ein akzeptables Mittel wäre, um Leistungen der öffentlichen Verwal-
                  tung/der öffentlichen Hand zu erhalten.

                                                                                                             § 11 KK 284
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Das Ergebnis der Umfrage zeichnet ein Bild von einer extrem großen gefühlten Verbreitung der Korruption.
Im EU-Durchschnitt glauben mehr als zwei Drittel der Befragten, dass Korruption in ihrem Land verbreitet
ist, in Deutschland immerhin die Hälfte der Befragten.
Anteil der Befragten, die Korruption in ihrem Land für verbreitet halten:
                   Kroatien           97 %
                   Zypern             95 %
                   Griechenland       95 %
                   Spanien            94 %
                   Portugal           94 %
                   Litauen            92 %
                   Malta              89 %
                   Italien            88 %
                        […]
                   Deutschland        53 %
                         […]
                   Schweden           40 %
                   Dänemark           35 %
                   Finnland           22 %

                                                                                                       § 11 KK 285
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                                                                             § 11 KK 286
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Wintersemester 2020/2021                                          Prof. Dr. Roland Hefendehl & MitarbeiterInnen
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Zugleich sind jedoch nur wenige der Befragten selbst von Korruption betroffen (Deutschland: 9 %, Europa:
26 %). Die Mehrzahl der Befragten in Deutschland hält es für „nie akzeptabel“, Geld zu geben (80 %), ein
Geschenk zu machen (80 %) oder eine andere Gefälligkeit zu erweisen (78 %), um eine Leistung von der
öffentlichen Verwaltung zu erhalten.

                                                                                                      § 11 KK 287
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     Wintersemester 2020/2021                                            Prof. Dr. Roland Hefendehl & MitarbeiterInnen
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4.   Korruption in der polizeilichen Kriminalstatistik
     In der Polizeilichen Kriminalstatistik werden erst seit 1994 Fälle von „Wettbewerbs-, Korruptions- und Amts-
     delikten“ geführt. 2019 belief sich deren Anzahl auf 4.147 (0,08 % der Gesamtkriminalität), wobei ein gutes
     Drittel (36,2 %) auf „Körperverletzung im Amt“ entfiel.

                                                                                                             § 11 KK 288
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     Wintersemester 2020/2021                                           Prof. Dr. Roland Hefendehl & MitarbeiterInnen
     Albert-Ludwigs-Universität Freiburg                             Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht

5.   Bundeslagebild Korruption
     Ausschließlich Korruptionsdelikte im juristischen Sinn (s.o.) werden seit 1994 im Bundeslagebild Korruption
     abgebildet. Die hier aufgeführten Zahlen sind jedoch nicht mit denjenigen aus der PKS vergleichbar und
     liegen durchweg höher. Hintergrund sind andere Erfassungsmodalitäten: Während die PKS nur diejenigen
     Ermittlungsverfahren erfasst, die bei der Polizei abgeschlossen sind, werden im „Bundeslagebild Korrup-
     tion“ auch die noch nicht abgeschlossenen polizeilichen Ermittlungsverfahren registriert (Gneuß Strafmil-
     dernde Selbstanzeige und Korruptionsbekämpfung, 2002, S. 14). Die PKS ist insoweit eine Ausgangsstatistik,
     das Bundeslagebild eine (noch stärker verdachtsabhängige) Eingangsstatistik (Leipziger Kommentar
     StGB/Sowada, 12. Aufl. 2009, Vor § 331 StGB Rn. 45).

     a)   Entwicklungen und Trends
     Ebenso wie die Fallzahlen aus der PKS lassen die Fallzahlen aus dem Bundeslagebild einen abnehmenden
     Trend bei den Korruptionsdelikten erkennen. Zudem ist die Abhängigkeit der Fallzahlen von einzelnen Er-
     mittlungsverfahren erkennbar: So resultierte die extrem hohe Anzahl von polizeiliche registrierten Korrup-
     tionsdelikten im Jahr 2014 hauptsächlich aus zwei Ermittlungskomplexen in Bayern (Bundeslagebild Kor-
     ruption 2018, S. 3). Die sogenannten Begleitdelikte der Korruptionsstraftaten unterliegen Schwankungen.
     Hierunter fallen insbesondere Betrugs- und Untreuehandlungen, Urkundenfälschungen, wettbewerbsbe-
     schränkende Absprachen bei Ausschreibungen, Strafvereitelung, Falschbeurkundungen im Amt, Verletzun-
     gen des Dienstgeheimnisses und Verstöße gegen strafrechtliche Nebengesetze.

                                                                                                            § 11 KK 289
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                                                                             § 11 KK 290
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Die Fallzahlen zu § 299 StGB lassen eine sehr ähnliche Entwicklung wie die Gesamtzahlen zu den Korrupti-
onsdelikten erkennen. 2019 wurden 729 Fälle von Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Ver-
kehr der Polizei bekannt, wobei ein Großteil des Fallaufkommens auf zwei umfangreiche Ermittlungsver-
fahren in Niedersachsen zurückzuführen ist: im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe und im Bereich
der Arbeitsplatzvermittlung bei einem Automobilhersteller (Bundeslagebild Korruption 2019, S. 7).

                                                                                                      § 11 KK 291
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Die Fallzahlen zu § 108b StGB (Wählerbestechung) liegen regelmäßig im niedrigen einstelligen Bereich – im
Jahr 2019 wurde sogar kein einziger Tatverdachtsfall registriert. Auch hier zeigt sich jedoch die Abhängigkeit
von einzelnen Ermittlungsverfahren. So war im Jahr 2016 ein extremer Anstieg der Fallzahlen zu verzeich-
nen, der auf Ermittlungen in Zusammenhang mit der Wahl eines Landrats in Brandenburg zurückzuführen
ist (Bundeslagebild Korruption 2019, S. 13).

                                                                                                         § 11 KK 292
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Entsprechend der Zielbereiche von Korruption, bei der die öffentliche Verwaltung im Vordergrund steht
(dazu unten KK 296), sind die Fallzahlen der Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen
(§§ 299a, 299b StGB) erheblich niedriger als bei § 299 StGB. Da diese Tatbestände erst im Jahr 2016 neu
eingefügt wurden, lassen sich hier noch keine Entwicklungen ausmachen. Der Anstieg im Jahr 2019 ist auf
Ermittlungsverfahren in Brandenburg zurückzuführen (vgl. Grafik).

                                                                                                     § 11 KK 293
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b)   Tatverdächtigenstruktur
Die Gesamtzahl der registrierten Tatverdächtigen wegen Korruptionsstraftaten lag im Jahr 2019 bei 2.539.
Seit fünf Jahren bewegt sich diese Zahl auf etwa gleichbleibendem Niveau. Auch das Verhältnis von Neh-
mern und Gebern ist lediglich geringen Schwankungen unterlegen – mal übersteigt die Zahl der ermittelten
Nehmer die Zahl der Geber, mal umgekehrt. Die hingegen auffällig erhöhte Anzahl an Tatverdächtigen im
Jahr 2014 resultiert aus einem Verfahrenskomplex im Zusammenhang mit Korruptionshandlungen an Schu-
len und Kindergärten, in dem allein über 10.000 Nehmer festgestellt wurden.

                                                                                                      § 11 KK 294
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Hinsichtlich der Altersverteilung der Tatverdächtigen zeigt sich ein ähnlicher Befund wie in der Deliktszu-
sammenfassung „Wirtschaftskriminalität“. Kinder und Jugendliche sind unter den Tatverdächtigen so gut
wie gar nicht vertreten, da diese in der Regel nicht den Zugang und die Kontakte in korruptionsrelevante
Bereiche besitzen. Die Tatverdächtigenbelastungsziffer ist in der Gruppe der 40- bis 50-jährigen am höchs-
ten. Personen dieses Alters verfügen womöglich über bessere und langjährigere Kontakte (zur Dauer der
Verbindung zwischen Geber und Nehmer KK 302) in die relevanten Bereiche.

                                                                                                       § 11 KK 295
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c)   Zielbereiche
Bevorzugter Zielbereich von Geberinnen und Gebern ist die öffentliche Verwaltung. Im Jahr 2019 betraf
knapp 50 % der registrierten Korruptionsfälle diesen Bereich. Die Fallanteile in den Bereichen Politik (1,5 %)
und Strafverfolgung/Justiz (9 %) sind seit vielen Jahren im einstelligen Bereich. Im Bereich Wirtschaft ist der
Anstieg auf einen Anteil von nunmehr 39,3 % v.a. auf den Anstieg der Korruptionsstraftaten im geschäftli-
chen Verkehr und im Gesundheitswesen zurückzuführen.

                                                                                                          § 11 KK 296
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d)   Schaden durch Korruption
Lediglich in 21,1 % der im Jahr 2019 polizeilich registrierten Korruptionsstraftaten konnten konkrete mone-
täre Schäden ermittelt werden. Die Angaben zu den Schäden basieren auf konkret ermittelten Schadens-
summen sowie auf Hochrechnungen des entstandenen Schadens. Sie geben das tatsächliche Ausmaß des
durch Korruption hervorgerufenen Gesamtschadens allerdings nur bedingt wider. So lassen sich beispiels-
weise die durch korruptionsbedingte Erlangung von Genehmigungen verursachten finanziellen Schäden in
der Regel nur vage bemessen.
2019 lag der ermittelte Gesamtschaden bei 47 Millionen Euro und damit deutlich unter dem Durchschnitt
der letzten fünf Jahre (161 Mio. Euro).

                                                                                                       § 11 KK 297
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e)   Die Nehmerseite
Der Anteil an den ermittelten Nehmern, die eine Leitungs-/Führungsfunktion bekleideten, ist im Jahr 2019
auf 56 % gesunken, während der Anteil an Nehmer/innen aus dem Bereich der Sachbearbeiter/innen auf
40 % und sich somit im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt hat. Es fand im Jahr 2019 wieder eine Annäherung
an das Niveau aus dem Jahr 2017 statt, in dem das Verhältnis von NehmerInnen in Führungspositionen und
in Sachbearbeiterpositionen noch ausgeglichen war (Bundeslagebild Korruption 2019, S. 17).

                                                                                                      § 11 KK 298
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Bei den erlangten Vorteilen lag der Schwerpunkt auf der Nehmerseite bis zum Jahr 2019 auf der Erlangung
von Bargeld. Im Jahr 2019 ging der Anteil dieser Fälle zurück und es kam zu einem massiven Anstieg von
Teilnahme an Veranstaltungen als gewährter Vorteil. Dieser Anstieg ist im Wesentlichen auf in Hamburg
geführte Vergabe von Veranstaltungsörtlichkeiten gegen Übergabe von Eintrittskarten an Angestellte der
Kommunalverwaltung zurückzuführen (Bundeslagebild Korruption 2019, S. 19).

                                                                                                     § 11 KK 299
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f)   Die Geberseite
Der Großteil der Geber gehörte im Jahr 2019 – wie bereits im Vorjahr – dem Dienstleistungsgewerbe an
(rund 33 %), gefolgt vom Baugewerbe mit 12,6 %. Zu den Gebern gehören aber nicht allein Personen aus
bestimmten Wirtschaftsbereichen, sondern zudem Personen mit privatem Anliegen. Der Anteil der Privat-
personen an den Gebern betrug im Jahr 2019 rund 25,6 %.

                                                                                                    § 11 KK 300
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Die erlangten Vorteile auf Geberseite bestehen im Großteil der Fälle (42,1 %) im Erlangen behördlicher Ge-
nehmigungen. Der hier zu verzeichnende Anstieg gegenüber dem Vorjahr ist überwiegend auf die Zulassung
von Fahrzeugen zurückzuführen. In 25,5 % bestand der Vorteil in der Erlangung von Aufträgen. An dritter
Stelle steht die Beeinflussung der Strafverfolgung mit 8,6 %.

                                                                                                       § 11 KK 301
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g)   Die Verbindung zwischen Nehmern und Gebern
Während noch im Jahr 2017 in 33 % der ermittelten Fälle die Verbindung zwischen Gebern und Nehmern
mehr als fünf Jahre betrug, ist dieser Anteil in den Folgejahren auf 16 % (2018) bzw. 14 % (2019) gesunken.
Gestiegen ist hingegen der Anteil der Straftaten mit einer kurzen Verbindung zwischen Gebern und Neh-
mern. Insbesondere bei Sachverhalten, denen eine Verbindung zwischen einem Monat und zwei Jahren
zugrunde lag, ist ein massiver Anstieg auf nunmehr 38 % der Fälle zu verzeichnen.
In 17 % der Straftaten konnte für 2019 keine Angabe zur Dauer der Verbindung gemacht werden.

                                                                                                       § 11 KK 302
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h)   Verfahrungsursprung: Wie kommt es zu Ermittlungsverfahren im Bereich der Korruption?
Knapp die Hälfte der Korruptionsverfahren im Jahr 2019 wurde von Amts wegen eingeleitet, also aufgrund
polizeiinterner Erkenntnisse. Hinweise auf Korruption ergaben sich z.B. im Rahmen von laufenden Ermitt-
lungsverfahren.
Weitere 8 % der Verfahren wurden infolge nicht tatbereiter Nehmer eingeleitet. Etwas höhere Anteile ma-
chen Hinweise durch bekannte Hinweisgeber (13 %) und anonyme Hinweise (11 %) aus.

                                                                                                     § 11 KK 303
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III. Ursachenzusammenhänge
1.   Strukturelle Erklärungsansätze
     Als eine Ursache von Korruptionsdelikten kann zunächst ein häufig mangelhaftes Problembewusstsein an-
     gesehen werden. Der durch Korruption verursachte Schaden ist oft nicht unmittelbar ersichtlich und Kor-
     ruption wird als „opferlos“ betrachtet (Bussmann Wirtschaftskriminologie I, Rn. 617). Denn einen Schaden
     nimmt – entsprechend der oben bezeichneten Rechtsgüter (KK 275 ff.) – häufig nur das Vertrauen (in die
     Marktwirtschaft, die Politik, die öffentliche Verwaltung etc.). So kommt es, dass noch nicht einmal Neutra-
     lisationstechniken (dazu KK 239 f.) erforderlich sind, da von vornherein das Problem- und Unrechtsbewusst-
     sein fehlt (a.a.O.).
     Speziell bei der Korruption im öffentlichen Sektor kommt hinzu, dass die Bürgerin/der Bürger häufig auf
     Entscheidungen oder einzelne Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung angewiesen ist. Es besteht also ein
     gewisses Abhängigkeitsverhältnis, wobei die Verwaltung eine größere Machtposition und einen Informati-
     onsvorsprung gegenüber dem Bürger/der Bürgerin innehat (Bussmann Wirtschaftskriminologie I, Rn. 632).
     In dieser Situation kann es zu Korruptionshandlungen kommen, ohne dass sich der Bürger/die Bürgerin
     selbst zu den Profiteuren zählt. Er empfindet sich vielmehr selbst als Leidtragender und ihm erscheint die
     Bestechung als einziges Mittel, um eine Verwaltungsentscheidung herbeizuführen. Damit kann auch ineffi-
     ziente und intransparente Bürokratie als Nährboden für Korruption verstanden werden (Bussmann Wirt-
     schaftskriminologie I, Rn. 618 f.).
     Das gilt ganz besonders dann, wenn derartige bürokratische Hürden mit autoritären und kollektivistischen
     Werten zusammentreffen. Denn dann ist es für die Bürgerinnen und Bürger noch schwerer, ein Grundver-

                                                                                                            § 11 KK 304
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trauen in staatliche Institutionen aufzubauen. Sie behelfen sich mit Korruption, um bestimmte Entschei-
dungen herbeizuführen und – umgekehrt – Entscheidungsunsicherheiten zu reduzieren (Bussmann Wirt-
schaftskriminologie I, 2016, Rn. 633).
In der modernen Korruptionsforschung wird darauf hingewiesen, Korruption vollziehe sich häufig in bereits
bestehenden Netzwerkstrukturen (Bannenberg Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kon-
trolle, 2002, S. 90 ff.), woraus man auch Schlüsse für die Gestaltung von Antikorruptionsprogrammen zie-
hen könne (Golinski Antikorruptionsprogramme auf dem Prüfstand, 2016, S. 97). Auch Bussmann hält ge-
wachsene soziale Netzwerke für einen wichtigen Faktor für das Verstehen von Korruption. Er sieht hierin
jedoch nicht die eigentliche Ursache. Denn korrupte Netzwerke habe es schon immer gegeben, sie seien
nicht neu (Bussmann Wirtschaftskriminologie I, 2016, Rn. 629). Ursache für die Korruption sei vielmehr eine
andere Bewertung dieser Netzwerke im modernen Staat. Kennzeichen des modernen Staates seien eine
unabhängige Verwaltung, Justiz und Politik sowie eine freien Marktwirtschaft. Damit geht die Erwartungs-
haltung einher, dass staatliche Entscheidungen unabhängig getroffen werden und nicht durch system-
fremde Eingriffe von außen beeinflusst werden (Bussmann Wirtschaftskriminologie I, 2016, Rn. 629). Buss-
mann nimmt damit einen Perspektivenwechsel vor und sieht die Entstehung von Korruption nicht losgelöst
von deren staatlicher Ächtung in modernen Nationalstaaten. Hierin liegt eine gewisse Parallele zum la-
beling-approach.
Auch die Sozialstruktur in einzelnen Ländern hat Auswirkungen auf die Korruptionsbelastung. Karstedt
bringt eine „hierarchisch-elitäre“ Sozialstruktur mit Korruption in Verbindung, während eher egalitär aus-
gerichtete Länder ein geringeres Korruptionsniveau aufweisen. Familial organisierte Eliten und Oberschich-

                                                                                                       § 11 KK 305
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ten würden eine geringe „soziale Mobilität“ im Bildungs- und Wirtschaftssystem zulassen und alle Führungs-
positionen in Staat und Wirtschaft besetzen. Eliten könnten sich in Netzwerken gegen eine Einflussnahme
„von unten“ schützen und zu Korruption neigen (Karstedt Macht, Ungleichheit und Korruption, in: Ober-
wittler/Karstedt (Hrsg.), Soziologie der Kriminalität, 2003, S. 384 [394 f.]).
Neben der Sozialstruktur spielen zudem kulturelle Wertorientierungen eine Rolle bei der Korruptionsbe-
lastung. So wurde in Studien beispielsweise der Zusammenhang zwischen der religiösen Prägung eines Lan-
des und dem Korruptionsniveau untersucht. Korruption ist weniger verbreitetet in Staaten mit einem hohen
Anteil an protestantischer Bevölkerung (Treisman J. Public Econ. 76 [2000], 399 ff.). Als Erklärung wird vor-
gebracht, Protestanten seien weniger hierarchisch ausgerichtet als Katholiken, Orthodoxe oder Muslime
und daher weniger tolerant gegenüber Machtmissbrauch und Korruption (Treisman J. Public Econ. 76
[2000], 399, 427 f.).

                                                                                                         § 11 KK 306
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Albert-Ludwigs-Universität Freiburg                             Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht

Soziale Ungleichheit und Korruption (nach Karstedt Macht, Ungleichheit und Korruption, in: Oberwitt-
ler/Karstedt [Hrsg.], Soziologie der Kriminalität, 2003, S. 384 [394]).
 Egalitäre Gesellschaften:                             Hierarchisch-elitäre Gesellschaften:
 Geringere Korruptionsrisiken                          Höhere Korruptionsrisiken
 Strukturelle Dimension
 Hohe soziale Mobilität                                Niedrige soziale Mobilität
 Wandel/Austausch der Eliten                           Stabilität der Eliten
 Lose verknüpfte Netzwerke                             Eng verknüpfte Netzwerke
 Hohe soziale Kontrolle der Oberschichten und Eliten   Niedrige soziale Kontrolle der Oberschichten und
                                                       Eliten
 Hohe soziale Kontrolle der staatlichen Verwaltungen Niedrige soziale Kontrolle der staatlichen Verwal-
 und Institutionen                                   tungen und Institutionen
 Kulturelle Dimension
 Individualistische Wertorientierungen                 Kollektivistische Wertorientierungen
 Egalitäre Wertorientierungen                          Autoritäre Wertorientierungen
 Hohes Ausmaß an generalisiertem Vertrauen             Niedriges Ausmaß an generalisiertem Vertrauen
 Niedriges Ausmaß an Unsicherheit                      Hohes Ausmaß an Unsicherheit
                                                                                                       § 11 KK 307
Vorlesung Kriminologie II
     Wintersemester 2020/2021                                            Prof. Dr. Roland Hefendehl & MitarbeiterInnen
     Albert-Ludwigs-Universität Freiburg                              Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht

2.   Individuelle Erklärungsansätze
     Neben diesen eher strukturellen Faktoren werden in der Korruptionsforschung zudem individuelle Faktoren
     als Ursache für Korruption diskutiert. Auch bei Korruption wird, wie bei der Wirtschaftskriminalität, häufig
     die Rational-Choice-Theory herangezogen. Die Akteure schätzen also den erwarteten Nutzen einer korrup-
     tiven Handlung höher ein als die Kosten (also die Folgen einer Entdeckung und Bestrafung). Zur Kritik an
     diesem Ansatz vgl. die KK 235 f.
     Die Prinzipal-Agent-Theorie verweist auf die Informationsasymmetrie zwischen Prinzipal (Auftraggeber)
     und Agent (Beauftragter). Letzterer besitzt meist einen Wissensvorsprung: Er kennt die Geschäftspartner,
     die Handlungsmöglichkeiten etc. besser als der Prinzipal. Er kann diesen Wissensvorsprung zu seinem eige-
     nen Vorteil (Gewinnmaximierung) nutzen, beispielsweise, indem er sich bestechen lässt. Zugleich hat auch
     der Prinzipal ein Interesse daran, seinen persönlichen Vorteil zu maximieren. Das kann dadurch geschehen,
     indem er aktiv besticht. Auch wenn die Prinzipal-Agent-Theorie häufig zur Erklärung von Korruption heran-
     gezogen wird, ist damit nicht sonderlich viel gewonnen. Denn sie erklärt nur die äußeren Umstände, aber
     nicht die Gründe, weshalb es in bestimmten Situationen zu Korruption kommt.

                                                                                                             § 11 KK 308
Vorlesung Kriminologie II
Wintersemester 2020/2021                                            Prof. Dr. Roland Hefendehl & MitarbeiterInnen
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg                              Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht

Literatur:
Bannenberg Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle. Eine kriminologisch-strafrechtli-
che Analyse, 2002.
Bussmann Wirtschaftskriminologie I (Grundlagen – Markt- und Alltagskriminalität), 2016, Rn. 581 ff. (zu
Korruption).
Eisenberg/Kölbel Kriminologie, § 46 Rn. 24 ff. (allgemein zum Phänomen), § 47 Rn. 38 ff. (zu Wirtschafts-
korruption).
Graeff Korruption, in: Hermann/Pöge (Hrsg.), Kriminalsoziologie, 2018, S. 357 ff.
Niehaus Annäherungen an einen Korruptionsbegriff des (deutschen) Strafrechts, in: Graeff/Rabl (Hrsg.),
Was ist Korruption?, 2. Aufl. 2019, S. 221 ff.

                                                                                                        § 11 KK 309
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