# 73 - Das Institutionelle ...

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# 73
 2020
 Das Magazin der Universität Konstanz
 – uni.kn/unikon

S. 6                                    S. 22                               S. 26                               S. 34
Homeoffice: Hype                        Arbeit und Familie – das            Schreckgespenste                    Warum es an der
oder Hoffnungsträger                    Leben als Kompromiss?               des Arbeitsmarktes                  Spitze ganz schön einsam
Wie die Berufswelt neue                 Wie die Vereinbarkeitsproble­       Welche Effekte Automatisierung      sein kann
Wege zwischen „Homeoffice-              matik in der zweiten Lebens­        und Globalisierung der Industrie    Warum aggressive Führungs­
Euphorie“ und einer Spaltung            hälfte aussieht, analysiert die     tatsächlich auf die Entwicklung     kräfte die ineffektivsten Mit­
der Arbeitsgesellschaft erprobt,        Soziologin Dr. Ariane Bertogg       des Arbeitsmarktes haben,           glieder ihrer Organisation sein
untersucht der Organisations­           an individuellen Lebenswegen        rekonstruiert Prof. Dr. Sebastian   könnten, erforscht der Biologe
forscher Prof. Dr. Florian Kunze.       und am sozio-politischen und        Findeisen in einem vielschich­      Dr. Alex Jordan mit seinem
                                        kulturellen Umfeld.                 tigen Bild.                         Team.
                                                 Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS)
                                        URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-2-ihq841blb7db5
Editorial

                                                                                                                      Hause vor PC oder Laptop eingerichtet.
                                                                                                                      Erschwerend für viele kam hinzu, dass sie
                                                                                                                      sich auch im familiären Umfeld neu orga-
                                                                                                                      nisieren und neben der Arbeit auch ihre
                                                                                                                      Kinder zu Hause betreuen mussten.
                                                                                                                         Die vergangenen Monate haben wir
                                                                                                                      den Umständen entsprechend gut gemeis-
                                                                                                                      tert. Wenn es auch im einen oder anderen
                                                                                                                      Fall Meinungsverschiedenheiten gegeben
                                                                                                                      hat – wie könnte es auch anders sein an-
                                                                                                                      gesichts einer Situation, die für alle neu ist
                                                                                                                      und die jeder und jedem von uns sehr viel
                                                                                                                      abverlangt – haben wir uns unterm Strich
                                                                                                                      immer wieder einigen können.
                                                                     Liebe Frau Unger,                                   Abstands- und Hygieneregeln sowie

  Danke
                                                                                                                      Mund-Nasen-Bedenkung werden uns noch
                                                                     wie haben die                                    eine Weile weiter begleiten. Als Vertreterin
                                                                                                                      des Personalrates möchte ich an die Uni-
                                                                     Beschäftigten die                                versitätsmitglieder appellieren, weiterhin
                                                                                                                      so diszipliniert darauf zu achten, andere
                                                                     vergangenen acht                                 und sich selbst zu schützen, wenn es auch
                                                                                                                      manchmal lästig sein kann. Dass die Uni-
                                                                     Monate erlebt?                                   versität zu Semesterbeginn eine Danke-
                                                                                                                      Kampagne starten wird, freut uns, weil das
                                                                                                                      heißt, dass wir alle an einem Strang ziehen
                                                                                                                      und der Einsatz aller Beschäftigten gewür-
                                                                            Die Ereignisse seit dem 16. März 2020,    digt wird. Der Personalrat möchte diesen
                                                                         als die Universität Konstanz aufgrund        Dank vor allem auch an alle weitergeben,
                                                                         der Corona-Pandemie in den Notbetrieb        die seit dem 16. März direkt vor Ort dafür
                                                                         wechselte, stellen eine immense Heraus-      gesorgt haben, dass wir nach und nach,
                                                                         forderung für alle Beschäftigten und auch    wenn auch unter Auflagen, wieder auf den
                                                                         Studierende der Universität dar. Alles auf   Campus zurück können.
                                                                         dem Campus war von heute auf morgen             Dass die Präsenz auf dem Campus rein
                                                                         völlig anders.                               zahlenmäßig eine andere ist als vor dem
                                                                            Dass unser Universitätsmagazin uni’kon­   Notbetrieb und allem, was ihm folgte, hat

                         safe.together                                   das Schwerpunktthema „Arbeit“ hat, passt
                                                                         natürlich genau in die Zeit, die verlangt,
                                                                                                                      natürlich nach wie vor mit der Corona-
                                                                                                                      Pandemie zu tun, mit der wir sicherlich
                                                                         neu über unsere gegenwärtigen und zu-        noch einige Zeit umzugehen haben. Es hat
                                                                         künftigen Arbeitsformen nachzudenken.        aber auch mit einem neu entstandenen
                                                                            Dazu gehört selbstverständlich, noch-     Verständnis davon zu tun, wie Arbeit in
                         Es ist eine außergewöhnliche Zeit.              mals verstärkt die digitalen Möglichkeiten   Zukunft aussehen könnte.
                                                                         des beruflichen, aber auch des studenti-
                         Danke, dass Ihr für Eure Mitmenschen die        schen Arbeitens ins Auge zu fassen. Die
                                                                         Beschäftigten haben die Herausforderung      Jutta Unger
                         Maske tragt, dass Ihr Abstand haltet            angenommen und – in zahlreichen Fällen       Jutta Unger ist Vorsitzende des Personalrates

                         und die Hygieneregeln verinnerlicht habt.       zum ersten Mal – ihren Arbeitsplatz zu       der Universität Konstanz

– uni.kn/safe-together
S. 1    Editorial

                                                                                                                                                                           S. 4    Abschied von Kerstin Krieglstein

                                                 Weisungsrecht                                                                                                                     Titel

                                                 versus                                                                                                                    S. 6    Transformation der Arbeitswelt
                                                                                                                                                                                   durch Homeoffice

                                                 Zeitsouveränität                                                                                                          S. 10
                                                                                                                                                                           S. 14
                                                                                                                                                                                   Rechtsanspruch auf Homeoffice
                                                                                                                                                                                   Arbeit und Corona
                                                                                                                                                                           S. 18   Achtsamkeit in der Arbeitswelt
                                                                                                                                                                           S. 22   Arbeit und Familie
                                                 S. 10/Forschung
                                                                                                                                                                           S. 26   Automatisierung und Globalisierung

                                                                                                  ADILT: Datenkom-
                                                 Der Arbeitsrechtler Prof. Dr. Christian Picker
                                                                                                                                                                                   auf dem Arbeitsmarkt
                                                 untersucht die Forderung nach einem einsei-
                                                                                                                                                                           S. 30   ADILT: Datenkompetenz mit Blick

                                                                                                  petenz mit Blick
                                                 tigen Rechtsanspruch auf Homeoffice und
                                                                                                                                                                                   auf die Gesellschaft
                                                 kommt zum Schluss: Ein solcher würde nicht
                                                                                                                                                                           S. 34   Dominantes und passives

                                                                                                  auf die Gesellschaft
                                                 nur den Unternehmen, sondern letztlich auch
                                                                                                                                                                                   Führungs­verhalten
                                                 der Arbeitnehmerschaft schaden.

                                                                                                                                                                           S.38    Forum Konstanz
                                                                                                  S. 30/Lehre
                                                                                                  Mit dem Advanced Data Information and Literacy Track                             Personalia
                                                                                                  (ADILT) bietet die Universität Konstanz allen ihren Stu-                 S. 44   Dissertationen, Berufungen, Jubiläen
                                                                                                  dierenden eine grundlegende Ausbildung zu Themen der                     S. 48   Preise und Auszeichnungen
                                                                                                  Datenkompetenz. Prorektor Prof. Dr. Michael Stürner und
                                                                                                  ADILT-Koordinatorin Veronika Pöhnl erklären im Interview                 S. 51   AG Nachhaltige Entwicklung

„Ich glaube, dass                                                                                 u.a., wieso der Track gerade in der Corona-Pandemie
                                                                                                  hochaktuell ist.                                                         S. 52   Zur Coronavirus-Situation an der

die Arbeit durch die                                                                                                                                                               Universität Konstanz

Erfahrungen der                                                                                                                                                            S. 56   Impressum

Corona­-Zeit einen
Flexibilisierungsschub
erhält“
S. 14/Interview
Jens Apitz wurde zum vierten Mal zum Kanzler
der Universität Konstanz gewählt. Im Interview
                                                                                                              Sechs Visionen
berichtet er, warum er Homeoffice nun für
ein wichtiges Element zukünftiger Arbeits-
                                                                                                              für das
regelungen hält und welche Themen seine
Arbeit in den kommenden Jahren bestimmen
                                                                                                              Forum Konstanz
werden.
                                                                                                              S. 38/Campus
                                                                                                              Das geplante Forum Konstanz wird als „Tor zur Universität“
                                                                                                              einen neuen Knotenpunkt für die Universität Konstanz
                                                                                                              schaffen. Studierende der Hochschule Konstanz Technik,
                                                                                                              Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) entwickelten sechs                   Online-Version von
                                                                                                              Entwürfe, wie das visionäre Gebäude architektonisch reali-            uni’kon #73 unter:
                                                                                                              siert werden könnte.
                                                                                                                                                                                    – uni.kn/broschueren/unikon/73/

                                                                                                                                                                                    zum Onlinemagazin campus.kn:
                                                                                                                                                                                    – uni.kn/campus
Universität Konstanz

Abschied als Freundin
                                                                                                                                                        „Es war eine intensive, ereignisreiche Zeit. Umso besser durfte
                                                                                                                                                            ich die Universität Konstanz in dieser vergleichsweise
                                                                                                                                                           kurzen Zeit kennenlernen. Kennenlernen – und damit

der Universität Konstanz                                                                                                                                           verstehen, was sie so besonders macht.“

                                                                                                                                                                                          Prof. Dr. Kerstin Krieglstein

Prof. Dr. Kerstin Krieglstein war vom 1. August 2018 an
Rektorin der Universität Konstanz – seit 1. Oktober 2020
leitet sie die Universität Freiburg

    Sowohl der Anfang als auch das Ende      Kerstin Krieglstein: Ihre Ankündigung        scheinlich nicht geglaubt. Umso besser
der Amtszeit von Prof. Dr. Kerstin Kriegl-   bei ihren Antrittsbesuchen, eng mit der      durfte ich die Universität Konstanz in
stein erfolgte in bewegten Zeiten. Als       Stadt und der Region zusammenzuar-           dieser vergleichsweise kurzen Zeit ken-
die Naturwissenschaftlerin am 1. August      beiten, waren unterdessen Taten gefolgt.     nenlernen. Kennenlernen – und damit
2018 ihr Amt als Rektorin der Universität    Vertrauensvoll wandten sich Landrat und      verstehen, was sie so besonders macht.“
Konstanz antrat, lief auf dem Campus be-     Oberbürgermeister an sie und erhielten          Seit 1. Oktober 2020 ist Kerstin Kriegl-
reits die heiße Phase im Exzellenzwett-      schnell Unterstützung. Die Universität       stein nun Rektorin der Universität Frei-
bewerb, die Kerstin Krieglstein mit ihrer    Konstanz war auf der Stelle in der Lage,     burg, von der sie 2018 kam, wo sie Pro-
ganzen wissenschaftlichen Begeisterung       mit wissenschaftlichem Know-how ihren        fessorin für Anatomie und Leiterin der
begleitete und im Endspurt zum Erfolg        Beitrag zur Bewältigung der Krisensitu-      Abteilung für Molekulare Embryologie
für die Universität Konstanz führte. Sie     ation zu leisten. Unter der Leitung der      sowie hauptamtliche Dekanin der Medi-
war es, die am 19. Juli 2019 unter dem       Rektorin führte die Universität Konstanz     zinischen Fakultät gewesen war. „Kerstin
Jubel der Universitätsöffentlichkeit be-     ihre Mitglieder, ob Studierende, Wissen-     Krieglstein hat die Universität Konstanz
kannt gab, dass die Universität Konstanz     schaftlerinnen und Wissenschaftler oder      hervorragend geführt und in ihrer äu-
im Rahmen der Exzellenzstrategie auch        wissenschaftsunterstützendes Personal,       ßerst positiven Entwicklung erfolgreich
in der Förderlinie Exzellenzuniversitäten    sorgsam durch die Zeit der Pandemie.         begleitet“, sagte Prof. Dr. Ute Frevert in
überzeugen konnte und damit eine von            Sie selbst drückte es so aus: „Es war     ihrer damaligen Funktion als Vorsitzende
insgesamt sechs Universitäten war und        eine intensive, ereignisreiche Zeit. Hätte   des Universitätsrates Konstanz anlässlich
ist, die seit 2007 durchgängig den Status    mir jemand vorher gesagt, dass eine Run-     der Wahl Kerstin Krieglsteins zur neuen
einer Exzellenzuniversität hat.              de Exzellenzwettbewerb, eine Evaluation      Freiburger Rektorin. An der Universität
                                                                                                                                        Bevor Kerstin Krieglstein Konstanz in Richtung Freiburg verließ,
    Als sie am 27. Mai 2020 zur neuen        und Begutachtung zur Nachhaltigkeit          Konstanz war Kerstin Krieglstein die erst     verabschiedete sie sich in einem Videobeitrag von den Mitgliedern
Rektorin der Albert-Ludwigs-Universität      auslaufender Exzellenzmaßnahmen, ein         dritte weibliche Rektorin an einer baden-     der Universität Konstanz. Hier können Sie sie auf ihrem Weg über
Freiburg gewählt wurde, war die Welt eine    Struktur- und Entwicklungsplan, Ver-         württembergischen Universität. Nun ist        den Campus begleiten:
andere. Die Corona-Pandemie zwang die        handlungen um den Hochschulfinanzie-         Freiburg die vierte Universität im süd-
Menschen in ihre vier Wände, die Uni-        rungsvertrag und eine Pandemie mit nie       westdeutschen Bundesland mit einer Frau
versität Konstanz befand sich im einge-      dagewesenen Konsequenzen für Studium,        an ihrer Spitze.
                                                                                                                                                                                                                          Zum Video-Beitrag:
schränkten Präsenzbetrieb. Hier zeigte       Forschung und Lehre in eine Spanne von       | msp.
                                                                                                                                                                                                                          – youtu.be/l_yIQ5qDxI4
sich auf besondere Weise das Wirken von      24 Monaten passen, hätte ich es wahr-
Titel
Transformation der Arbeitswelt
durch Homeoffice

                           Homeoffice:
                                         Homeoffice ist eines der Buzzwords                März 2020: In der Pandemie wird auf       Einsichten, wie das aktuelle Arbeiten im
                                         des Corona-Jahres 2020. War es                einmal alles anders. Inmitten täglich stei-   Homeoffice funktioniert, wie es sich ent-
                                         früher eine Arbeitsform, die nur Wenigen      gender Infektionszahlen, Grenzschließun-      wickelt und wie nachhaltig die Transfor-
                                         offenstand, ist das Arbeiten in den           gen, Kontaktbeschränkungen und umfas-         mation der Arbeitswelt durch Corona ist.
                                         eigenen vier Wänden durch die Erforder­       sender Unsicherheit stehen zehntausende       Jetzt im Herbst möchten sie die Studie
                                         nisse des Notbetriebs für rund ein            Unternehmen, Ämter und Einrichtungen          mit einer weiteren Befragungswelle fort-
                                         Drittel der Beschäftigten in Deutschland      in Deutschland vor der Frage, wie sie ih-     setzen.
                                         zumindest vorübergehend Realität              ren Betrieb aufrechterhalten sollen. Mög-
                                         geworden. Der Konstanzer Organisations­       lichst wenig die Wohnung verlassen, mög-          „Aktuell herrscht sowohl bei den Be-
                                         forscher Prof. Dr. Florian Kunze unter-       lichst kein physischer Kontakt zu anderen     schäftigten als auch bei den Betrieben
                                         sucht, wie die Berufswelt neue Wege           Menschen, möglichst wenig Begegnungen         eine regelrechte Homeoffice-Euphorie“,
                                         erprobt: Zwischen „Homeoffice-Euphorie“       gerade in Innenräumen – und trotzdem          fasst Kunze zusammen. „Wir sehen das
                                         und einer Spaltung der Arbeitsgesellschaft.   produktiv arbeiten? Das geht nicht, hätte     in unserer aktuellen Studie sehr deutlich.
                                                                                       man früher gesagt.                            Fast 80 Prozent der teilnehmenden Per-
                                                                                           In einer Digitalgesellschaft wie der      sonen berichten, dass sie im Homeoffice

                                 Hype
                                                                                       unseren aber heißt die Lösung: Homeof-        engagiert und produktiv arbeiten. Und die
                                                                                       fice. Bis dahin stand dieses Arbeitsmo-       meisten wünschen sich, dass ihnen das
                                                                                       dell hauptsächlich Selbständigen und          Homeoffice erhalten bleibt: Zumindest
                                                                                       Freischaffenden offen. In den meisten         einige Tage pro Woche, sagt die Mehrheit
                                                                                       Arbeitskontexten herrschte dagegen eine       der Befragten, würden sie gern auch über
                                                                                       ausgeprägte Präsenzkultur. Für die beson-     die Corona-Zeit hinaus mobil arbeiten.“
                                                                                       deren Erfordernisse der akuten Pandemie-          Wenn die Mitarbeiter im Homeoffice
                                                                                       Situation aber scheint das Homeoffice nun     engagiert arbeiten, ist das natürlich auch
                                                                                       die perfekte Lösung zu sein. Und nicht nur    für die Unternehmen sehr vorteilhaft. Für
                                                                                       das: Viele Beschäftigte haben die Vorzüge     diese geht es jetzt darum, mittelfristig die
                                                                                       des Arbeitens von zu Hause aus schätzen       richtigen Rahmenbedingungen zu schaf-
                                                                                       gelernt. Jetzt möchten sie gar nicht mehr     fen, damit eine nachhaltige und effiziente
                                                                                       zurück ins Büro – zumindest nicht wieder      Transformation gelingt: Weg vom klassi-

                                 oder
                                                                                       jeden Tag.                                    schen Präsenzarbeitsplatz, hin zu neuen
                                                                                                                                     flexibleren Arbeitsarrangements.
                                                                                       Homeoffice in Zeiten des Coronavirus:             Florian Kunze erklärt, was es dafür
                                                                                       Eine Studie                                   braucht: „Nach unseren Daten sind meh-
                                                                                           Prof. Dr. Florian Kunze, Organisations-   rere verschiedene Faktoren entscheidend
                                                                                       forscher an der Universität Konstanz und      für die Produktivität und das Engagement
                                                                                       Principal Investigator am Exzellenzcluster    im Homeoffice, materielle wie immateri-
                                                                                       „The Politics of Inequality“, beobachtet      elle: Die Beschäftigten benötigen nicht
                                                                                       diese Entwicklung genau. Bereits im März      nur eine gute IT-Ausstattung und räumli-
                                                                                       2020 setzte er mit seiner Arbeitsgruppe       che Ressourcen, sondern auch eine gutes
                                                                                       eine repräsentative Befragung der Er-         Selbstmanagement, außerdem eine gute
                                                                                       werbsbevölkerung zum Thema Homeof-            Unterstützung durch Führungskräfte, be-

   Hoffnungsträger?
                                                                                       fice mit 700 Beschäftigten um. Bis in den     sonders die direkten Vorgesetzten.“
                                                                                       Mai standen die Befragten den Forschen-
                                                                                       den neunmal Rede und Antwort. So ge-          Chancen im Homeoffice
                                                – exc.uni.kn/ungleichheit /
                                                                                       wannen Kunze und sein Team detaillierte         Ein grundsätzlicher Wandel hin zu ei-
S. 11

Titel
Transformation der Arbeitswelt
durch Homeoffice
                                                                                            „Das Argument, dass mobiles                                                                       die richtige Mischung zwischen Homeof-       verleihen. Würden dabei aber nicht alle
                                                                                                   Arbeiten für viele                                                                         fice und Präsenztätigkeit zu gestalten.“     Berufsgruppen berücksichtigt und mitge-
                                                                                            Bürotätigkeiten nicht möglich                                                                     Das sehen die Beschäftigten in der aktu-     dacht, bestehe eine nicht zu unterschät-
                                                                                                                                                                                              ellen Studie ganz ähnlich und wünschen       zende Gefahr: Die einer grundsätzlichen
                                                                                                  oder förderlich sei,
                                                                                                                                                                                              sich Homeoffice zumeist nicht in Vollzeit,   Spaltung der Berufswelt in die Beschäftig-
                                                                                                wurde jetzt entkräftet.                                                                       sondern am liebsten zwei bis drei Tage in    ten, die privilegiert von daheim arbeiten
                                                                                            Und ebenso wichtig: Mobiles                                                                       der Woche.                                   und es so auch leichter haben könnten,
                                                                                               Arbeiten dürfte auch zu                                                                                                                     Familie und Karriere zu vereinen, und die,
                                                                                                                                                                                              Goldene Arbeitszeiten – aber längst          denen das verwehrt ist. „Ja, diese Gefahr
                                                                                               einem zentralen Aspekt
                                                                                                                                                                                              nicht für alle                               besteht durchaus“, vermutet Kunze. „Ins-
                                                                                             der Arbeitgeberattraktivität                                                                         Eine ganz andere Gefahr betrifft die     besondere dürften Tätigkeiten, die kein
                                                                                                       werden.“                                                                               Unternehmen und Beschäftigten, für die       mobiles Arbeiten ermöglichen, in einem
                                                                                                                                                                                              das Arbeiten von zu Hause aus nicht in       schrumpfenden Arbeitsmarkt im Zuge des
                                                                                                     Prof. Dr. Florian Kunze                                                                  Frage kommt. Die Nachteile, die dort ent-    demographischen Wandels noch stärker
                                                                                                                                                                                              stehen, wo Homeoffice keine Option ist,      an Attraktivität verlieren.“
                                                                                                                                                                                              könnten sich zu einer Herausforderung            Insgesamt aber zieht der Organisati-
                                                                                                                                                                                              für den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft    onsforscher ein positives Fazit: „Unter
ner verteilten, individuellen Arbeitskultur   delweg, der oft ein großer Zeitfresser war                                                     Hinzu kommt, dass das mobile Ar-                 als Ganzes entwickeln. Die Möglichkeit,      dem Strich denke ich, dass die Chancen
bietet vielen Beschäftigten große Vortei-     und als belastend wahrgenommen wurde.                                                       beiten aktuell nur so gut funktioniert,             im Homeoffice zu arbeiten, hängt eng mit     durch das mobile Arbeiten für Beschäf-
le. Fast 80 Prozent der durch Kunze und       Durch die reduzierten Pendelfahrten hat                                                     weil die Beschäftigten von dem profitie-            Ausbildung und Einkommen zusammen.           tigte, Unternehmen und auch die Gesell-
seine Arbeitsgruppe Befragten gibt an, im     verbreitetes Homeoffice sogar das Poten-                                                    ren, was die Wissenschaft Sozialkapital             Gerade für viele Tätigkeiten, die während    schaft als Ganzes klar überwiegen.“
Homeoffice eine bessere Work-Life-Ba-         zial, Emissionen einzusparen und einen                                                      nennt: „Wenn man sich in seinem Team                der Krise als systemrelevant eingestuft      | pt.
lance zu wahren. Und immerhin die Hälfte      Beitrag zur Bekämpfung des Klimawan-                                                        gut kennt, einander einschätzen kann und            wurden, etwa in der Pflege oder im Ver-
der Befragten berichtet, dass sie sogar ef-   dels zu leisten.                                                                            vertraut, und wenn man auch stabile Be-             kauf, ist Homeoffice unmöglich. „Deshalb
fektiver arbeiten. Besondere Vorteile bie-       Und wie stehen die Unternehmen der                                                       ziehungen zu seinen Kunden hat, dann                ist es besonders wichtig“, findet Kunze,
tet sicher der Gewinn an Autonomie in der     Entwicklung gegenüber? In vielen Unter-                                                     kann man gut rein aus der Ferne arbei-              „dass man diese Gruppen in den zentralen
Gestaltung des Arbeitstages, der durchaus     nehmen sei eine starke Präsenzkultur be-                                                    ten. Anders ist es, wenn es darum geht,             Debatten nicht ausgrenzt, beispielsweise
auch mit privaten Aktivitäten kombiniert      sonders durch die Führungskräfte gefördert                                                  neue Mitarbeitende zu integrieren und               in der Diskussion um ein generelles Recht
werden kann. Die strikte Trennung zwi-        worden, die über die Präsenz Kontrolle aus-                                                 Kundenkontakte aufzubauen. Hier ist der             auf Homeoffice. Gerade in Organisatio-
schen Arbeit tagsüber und Freizeit am         üben konnten, erklärt Kunze. Tatsächlich                                                    persönliche Austausch vor Ort nahezu un-            nen, in denen Präsenzarbeit und Home-
Nachmittag und Abend dürfte durch das         lag Deutschland im Vergleich der OECD-                                                      erlässlich.“ Einen weiteren wichtigen Fak-          office beide vorhanden sind, ist eine hohe
stärkere mobile Arbeiten zum Teil aufge-      Länder im unteren Drittel der Verbreitung                                                   tor sehen die Forschenden in informellen            Wertschätzung gegenüber denjenigen, die
brochen werden. Zusätzlich entfällt für       von mobilen Arbeitsformen – das dürfte                                                      Arbeitsnetzwerken: „Die sind gerade für             in Präsenz arbeiten, von großer Bedeu-
viele im Homeoffice Beschäftigte ein Pen-     sich jetzt ändern, meint der Organisati-                                                    kreative Tätigkeiten und Problemlösun-              tung.“
                                              onsforscher: „Das Argument, dass mobiles                                                    gen innerhalb von Organisationen sehr                   Kunze und sein Team halten die Co-
                                              Arbeiten für viele Bürotätigkeiten nicht      Risiken des mobilen Arbeitens                 wichtig. Und sie entstehen oft nur durch            rona-Krise für einen möglichen Wende-
                                              möglich oder förderlich sei, wurde jetzt         Ganz so einfach wird sich die goldene      persönlichen Kontakt. Für die Unterneh-             punkt. Sie dürfte der Transformation der
                                              entkräftet. Und ebenso wichtig: Mobiles Ar-   Zukunft, die sich Befürworter des flächen-    men ist jetzt deshalb die zentrale Aufgabe,         Arbeitswelt eine massive Beschleunigung
                                              beiten dürfte auch zu einem zentralen As-     deckenden Homeoffice ausmalen, aber
                                              pekt der Arbeitgeberattraktivität werden.“    nicht ergeben. „Auf der anderen Seite se-
                                                 Vielleicht unter anderem aus dieser        hen wir auch Risiken des mobilen Arbei-
                                              Überlegung heraus haben nicht nur Be-         tens, nämlich Einsamkeit und psychische
                                              schäftigte, sondern auch Unternehmen          Belastung“, warnt Florian Kunze. „Davon
                                              Homeoffice-Arrangements schätzen ge-          berichten zwischen 20 und 25 Prozent der
                                              lernt. Nach Befragungen des IFO-Instituts     Befragten in unserer Studie. Das kann da-
                                              wollen zwei Drittel der Unternehmen mo-       her kommen, dass manche Beschäftigten
                                              biles Arbeiten auch über die Zeit Corona-     mit der Strukturierung ihres Arbeitstages
                                              bedingter Einschränkungen hinaus fort-        zu Hause überfordert sind und subjektiv
                                                                                                                                                                 Prof. Dr. Florian Kunze ist
                                              setzen. Dahinter stehen natürlich nicht       deutlich mehr als sonst arbeiten. Mittel-
                                                                                                                                                                 Professor für Organizational Studies
                                              zuletzt auch betriebswirtschaftliche Kos-     und langfristig ist das natürlich nicht ge-                          an der Universität Konstanz und
                                              tenersparnisse, die durch die Reduktion       sund.“ Deshalb, so folgern die Forschen-                             Mitglied des Exzellenzclusters „The
                                              von Büroraum gewonnen werden können.          den, bedarf es dringend aktualisierter                               Politics of Inequality“ der Universität.
                                                                                                                                                                 Er forscht zu Generationenmana­
                                              Die Einsparungspotenziale bei größeren        Leitlinien zu Arbeits- und Verfügbarkeits-
                                                                                                                                                                 gement, erfolgreicher Führung,
                                              Büro- und Dienstleistungsunternehmen          zeiten, die auch das mobile Arbeiten zu                              Digitalisierung in der Arbeitswelt
                                              sind hier sehr groß.                          Hause regeln.                                                        und Arbeiten im Homeoffice.
Titel
Rechtsanspruch
auf Homeoffice

                          Der Arbeitsrechtler Prof. Dr. Christian Picker untersucht die
                          Forderung nach einem einseitigen Rechtsanspruch auf
                          Homeoffice und kommt zum Schluss: Ein solcher würde nicht
                          nur den Unternehmen, sondern letztlich auch der Arbeit­
                          nehmerschaft schaden.

                             „Homeoffice ist ja nichts wirklich Neues.“ – Prof.   Ein ambivalentes Bild von Homeoffice
                          Dr. Christian Picker begegnet der Euphorie in der           Christian Picker ist aber auch Rechtswissenschaft-
                          aktuellen Diskussion um den Arbeitsplatz zu Hau-        ler, und als solcher vertritt er an der Universität Kons-
                          se mit nüchterner Analyse. Als ein großer Teil der      tanz den Bereich Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und
                          deutschen Arbeitnehmerschaft sich im März 2020          Unternehmensrecht. Wenn er darauf hinweist, dass
                          aufgrund der Corona-Pandemie den Arbeitsplatz in        Homeoffice etwas nicht ganz Neues ist, möchte er da-
                          den eigenen vier Wänden einrichtete, war das ein er-    mit sagen, dass es bereits aus Vor-Corona-Zeiten einige
                          zwungenes Experiment mit, nach allgemeiner Sicht-       Erfahrungen mit dieser Arbeitsform gibt, die durchaus
                          weise, weitgehend positivem Ausgang. Das virtuelle      auch negativ ausfallen. Ergebnisse wissenschaftlicher
                          Arbeitsverhältnis wird mehr denn je als Arbeitsform     Untersuchungen „zeichnen insgesamt ein sehr am-
                          der Zukunft gehandelt.                                  bivalentes Bild“, schreibt der Jurist in seinem Aufsatz
                                                                                  „Rechtsanspruch auf Homeoffice?“. So sind die großen

        Weisungsrecht
                              Christian Picker bekennt sich zum Homeoffice.       Technologie- und Internetkonzerne, die Pioniere des
                          Alles andere wäre im Fall eines wissenschaftlich ar-    Homeoffice, über die Jahre wieder dazu übergegangen,
                          beitenden Menschen, für den es selbstverständlich       ihre Mitarbeiterschaft zurück ins betriebliche Büro zu
                          ist, auch zu Hause seine Arbeit zu erledigen, über-     holen. „Bei Yahoo zu sein, das ist nicht nur ein Job, den
                          raschend. Er sieht die vielen Chancen und Vorteile,     man von Tag zu Tag erledigt. Es geht um eine Zusam-

              vs.
                          die Homeoffice bietet: Die Arbeitnehmerinnen und        menarbeit, die nur in unseren Büros möglich ist“, ließ
                          Arbeitnehmer verfügen über mehr Zeitsouveränität        die damalige Yahoo-Chefin Marissa Mayer laut Online-
                          und damit Freiräume für eine individuelle Planung       Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 25. Februar
                          von Arbeitsabläufen. So lassen sich Arbeit und Fa-      2013 der Belegschaft ausrichten.
                          milie besser in Einklang bringen, eventuell weite

       Zeitsouveränität
                          Anfahrten zum Arbeitsplatz fallen weg, was insbe-          Der Grund für den Rückzieher in puncto Telearbeit,
                          sondere für „schutzwürdige Gruppen“ wie schwer-         worunter im Wesentlichen Homeoffice und mobile
                          behinderte Menschen von entscheidender Bedeu-           Arbeit von unterwegs zu verstehen ist, war neben der
                          tung sein kann, um überhaupt ihre Arbeit ausüben        verminderten Kontrolle über die Arbeitsleistung der
                          zu können.                                              Mitarbeitenden die fehlende Betriebsgemeinschaft
Titel
Rechtsanspruch
auf Homeoffice

                         „Mir haben die Studierenden im Sommersemester eminent                                                                                                                             „Homeoffice ist ein zentraler Wettbewerbs­
                           gefehlt. Ich hätte nie gedacht, dass eine Vorlesung, das                                                                                                                           parameter. Arbeitgeber, die sich ohne
                       physische Gegenüber, so etwas Essentielles, sogar Existenzielles                                                                                                                    wirtschaftliche Zwänge Homeoffice verwei-
                                           für meine Tätigkeit ist.“                                                                                                                                          gern, werden dauerhaft an Akzeptanz
                                                                                                                                                                                                                            verlieren.“
                                                      Prof. Dr. Christian Picker
                                                                                                                                                                                                                             Prof. Dr. Christian Picker

und schwindendes Zusammengehörig-             bedeutet das für ihn: „Die Risiken und        können dies nicht im Homeoffice. Das
keitsgefühl. Dahinter steht die Überzeu-      Chancen können nur individuell zwischen       gleiche gilt für Pflegeberufe, Polizistin-
gung, dass durch die Kommunikation vor        den Betroffenen und damit im konkreten        nen und Polizisten oder Menschen etwa
Ort viel mehr Ideen entstehen als allein      Arbeitsverhältnis geklärt werden. Ein ge-     im Bäckerhandwerk. „Nehmen Sie einen         Prof. Dr. Christian Picker forscht an der Universität
und isoliert am heimischen Arbeitsplatz.      nereller, einseitiger Rechtsanspruch wür-     Betrieb, in dem die einen im Homeoffice      Konstanz im Bereich Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht
                                                                                                                                         und Unternehmensrecht. Seine aktuellen Forschungsthemen
Der Hochschullehrer Christian Picker          de der Vielfalt unserer Arbeitswelt über-     arbeiten dürfen, während die anderen in
                                                                                                                                         sind politischer Extremismus und die Arbeitswelt.
macht aktuell eine ganz ähnliche Erfah-       haupt nicht gerecht werden.“                  den Betrieb kommen müssen. Das kann
rung: Er vermisst den Austausch im Se-                                                      zu einer unglücklichen Zweiteilung der
minarraum oder Hörsaal. „Mir haben die           Hinzu kommt für den Arbeitsrechtler,       Belegschaft führen und den Betriebs-
Studierenden im Sommersemester emi-           dass ein allgemeiner Rechtsanspruch auf       frieden gefährden, der für ein Unterneh-
nent gefehlt. Ich hätte nie gedacht, dass     Homeoffice der Tatsache unberücksich-         men eminent wichtig ist“, so der Jurist.
eine Vorlesung, das physische Gegenüber,      tigt lässt, dass viele Arbeitnehmerinnen      Im erwähnten Aufsatz schreibt er darü-
so etwas Essentielles, sogar Existenzielles   und Arbeitnehmer nicht in der Lage sind,      ber hinaus: „Auch wenn eine solche Un-
für meine Tätigkeit ist.“ Für den Juristen    dauerhaft im Homeoffice zu arbeiten. Ge-      gleichbehandlung regelmäßig sachlich                     gestellten zum Beispiel typischerweise        Selbstständige und (externe) Crowd-
lautet eines der Hauptargumente, wes-         schätzt wird, dass 60 Prozent aller Stel-     gerechtfertigt ist, werden die benach-                   nicht grundlos entlassen. Dass er ihm sa-     worker zurückgreift. „Die zunehmende
halb er die Forderung nach einem Recht        len orts- und tätigkeitsgebunden sind.        teiligten ‚einfachen‘ Arbeitnehmer diese                 gen kann, wie er im Rahmen des Arbeits-       ‚Entgrenzung der Weisungsmacht‘ wird
auf Homeoffice, das vom SPD-geführten         Tatsächlich kann Christian Picker auch        nicht selten als einseitige Privilegierung               vertrags arbeitet, ist der Ausgleich für      zwangsläufig den schleichenden Verlust
Bundesministerium für Arbeit und So-          nicht erkennen, dass dem Wunsch nach          der ‚Premiumarbeitnehmer‘ empfinden.“                    diese Pflichten.“ Dieses Direktionsrecht      der Arbeitnehmereigenschaft nach sich
ziales vorgebracht wird, ablehnt: „Das        Homeoffice aktuell von Arbeitgeberseite                                                                umfasst jedoch nicht nur den Inhalt der       ziehen“, ist im Aufsatz „Rechtsanspruch
grundsätzliche Bestimmungsrecht, welche       mehrheitlich nicht entsprochen werden            Vor allem aber wird für Christian                     Tätigkeit, „sondern grundsätzlich auch        auf Homeoffice?“ nachzulesen.
Arbeitsform unternehmerisch sinnvoll          würde. Er ist überzeugt: „Homeoffice ist      Picker mit dem Recht auf Homeoffice                      Ort und Zeit“. Ein Recht auf Homeoffice          Die Verhandlung über Homeoffice ge-
ist, muss hier beim Arbeitgeber liegen.“      ein zentraler Wettbewerbsparameter. Ar-       unzulässigerweise die grundlegende Be-                   würde entsprechend „eine schleichende         hört, so die Schlussfolgerung des Arbeits-
Homeoffice soll auf Freiwilligkeit beruhen    beitgeber, die sich ohne wirtschaftliche      deutung des Arbeitsvertrags relativiert,                 Denaturierung“ dieser Essenz eines Ar-        rechtlers, zum Angemessenen, und das ist
– auf beiden Seiten.                          Zwänge Homeoffice verweigern, werden          wobei er hier insbesondere das Wei-                      beitsvertrags bedeuten.                       Sache der Vertragsparteien, nicht des Staa-
                                              dauerhaft an Akzeptanz verlieren. Wir         sungs- oder Direktionsrecht, „das Kö-                                                                  tes: „Die (kollektive) Selbsthilfe hat hier
Ein „weiser Spruch im Arbeitsrecht“           müssen der Arbeitswelt aber eine Zeit des     nigsrecht des Arbeitgebers“, im Auge hat.                Der schleichende Verlust der                  Vorrang vor der staatlichen Fremdhilfe.“
   Der Wissenschaftler beruft sich auf        Umdenkens geben.“                             Der Arbeitsrechtler fasst es so zusam-                   Arbeitnehmereigenschaft                       | msp.
„einen weisen Spruch im Arbeitsrecht“,                                                      men: „Der Arbeitsvertrag sagt, dass die                     Christian Picker sieht für den Fall,
wonach der Gesetzgeber das Notwen-               Wobei er durchaus gewichtige Grün-         Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer                     dass sich die Sozialdemokraten mit ihrer
dige und die Arbeitsvertragsparteien,         de für eine solche Verweigerung sieht.        weisungsabhängig Dienste erbringt. Im                    Forderung nach einem Rechtsanspruch
insbesondere vertreten durch ihre Ge-         Das Thema Ungleichbehandlung muss             Gegenzug haben die Arbeitgeber erheb-                    auf Homeoffice durchsetzen, die Gefahr,
werkschaften und Arbeitgeberverbände,         für ihn in einer Arbeitswelt wie der deut-    liche arbeitnehmerschutzrechtliche und                   dass sich die Arbeitgeberschaft dieser
das Angemessene selbst regeln sollen.         schen, in der die produzierende Branche       sozialversicherungsrechtliche Pflichten                  Pflicht vermehrt entzieht, indem sie
                                                                                                                                                                                                                                             Christian Picker in campus.kn
Vor dem Hintergrund, dass Homeoffice          stark vertreten ist, berücksichtigt werden.   ihren Arbeitnehmern gegenüber zu tra-                    statt auf Angestellte mit allen arbeits-
                                                                                                                                                                                                                                             – uni.kn/in-jeder-hinsicht
sowohl Chancen als auch Risiken birgt,        Menschen, die Autos zusammenbauen,            gen. Ein Arbeitgeber kann einem An-                      rechtlichen Konsequenzen auf (Solo-)
Titel                                                                                                                             Jens Apitz ist seit 1999 Kanzler der Universität Konstanz. Er ist
Arbeit und Corona                                                                                                                 Jurist und Betriebswirt. Rechtswissenschaften studierte er an den
                                                                                                                                  Universitäten Marburg und Tübingen. Während seines Referen­
                                                                                                                                  dariats absolvierte er zudem ein juristisches Ergänzungsstudium
                                                                                                                                  an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer und
                                                                                                                                  danach ein berufsbegleitendes Studium der Betriebswirtschafts­
                                                                                                                                  lehre an der Württembergischen Verwaltungs- und Wirtschafts­
                                                                                                                                  akademie.

      „Ich glaube, dass
                                                                                                                                  Vor seiner Zeit in Konstanz war Jens Apitz zunächst Referent im
                                                                                                                                  Rechtsamt und in der Abteilung Bauplanung und Liegenschaften
                                                                                                                                  an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen und später Leiter
                                                                                                                                  der Abteilung Studienangelegenheiten und des Dezernats Akade­

       die Arbeit durch die
                                                                                                                                  mische Angelegenheiten. Dazwischen arbeitete er als Referent im
                                                                                                                                  Medizinreferat des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und
                                                                                                                                  Kunst Baden-Württemberg.

       Erfahrungen der
                                                                                                                                  Jens Apitz war ehrenamtlicher Richter beim Arbeitsgericht Lörrach.
                                                                                                                                  Aktuell ist er Beisitzer des Disziplinarsenats beim Verwaltungsge­
                                                                                                                                  richtshof Baden-Württemberg.

       Corona-Zeit einen
       Flexibilisierungs­­schub                                                                                                   Aber es war ja nicht nur die Verwaltung         Auffassung zu diesem Thema während            grundlegend geändert. Ich glaube, dass

       erhält“
                                                                                                                              von den Zugangsbeschränkungen betroffen.            der Notbetrieb-Zeit der Universität           wir viel mehr Vertrauen haben kön-
                                                                                                                              Der Zugang etwa zur Bibliothek und zu den           geändert. Was war Ihre alte und was ist       nen. Außerdem bin ich inzwischen der
                                                                                                                              Forschungslaboren war zu Anfang eben-               Ihre neue Überzeugung dazu?                   Meinung, dass man zu Hause sehr wohl
                                                                                                                              falls stark eingeschränkt. Es bedurfte eini-           Wir haben seit etlichen Jahren eine        konzentriert arbeiten kann. Auch über
                                                                                                                              ger Überlegungen im Rektorat, bis wir Wege          Dienstvereinbarung mit dem Personal-          Dienstreisen denke ich heute ganz an-
                                                                                                                              gefunden haben, den Zugang zu den Labor-            rat zum Thema Telearbeit. Im letzten          ders. Ich konnte mir vor einem halben
             Jens Apitz wurde zum vierten Mal zum Kanzler der Universität Kons­tanz                                           Arbeitsplätzen wieder zu ermöglichen. Da            Jahr vor der Corona-Krise hatte ich den       Jahr nicht vorstellen, dass es eine ande-
             gewählt. Im Interview berichtet er über seine Erfahrungen im Home­                                               waren die Naturwissenschaften natürlich             Eindruck, dass wir zu freizügig mit den       re Möglichkeit gibt, an einer Kanzlerar-
                                                                                                                              in ganz besonderem Maß betroffen.                   Möglichkeiten, zu Hause zu arbeiten,          beitskreis-Sitzung in Berlin teilzuneh-
             office, warum er Homeoffice nun für ein wichtiges Element zukünftiger                                                                                                umgegangen sind. Ich habe die Anträge         men, als morgens in aller Herrgottsfrühe
             Arbeitsregelungen hält ­und welche Themen seine Arbeit in den kommen-                                            Machen Sie auch Homeoffice?                         dann etwas restriktiver beschieden, das       nach Zürich zu fahren, dort in den Flie-
             den Jahren bestimmen werden.                                                                                        Ja, ich mache Homeoffice. Am Anfang              heißt, ich habe ihnen in der Regel ent-       ger zu steigen, in Berlin die Sitzung ab-
                                                                                                                              des Notbetriebs habe ich fast zu hundert            sprochen, aber nicht in vollem Umfang.        zuhalten und abends wieder zurück-
                                                                                                                              Prozent Homeoffice gemacht und bin nur              Tatsächlich hatte ich auch ein Problem        zufliegen, um gegen 23 Uhr zu Hause
                                                                                                                              selten an die Universität gekommen, um              damit, einem Teil der Kolleginnen und         anzukommen. Inzwischen finden diese
                                                                                                                              das, was nur im Büro möglich war, zu er-            Kollegen deutlich mehr Flexibilität ein-      Sitzungen per Videokonferenz statt, die
             uni’kon: Herr Apitz, herzlichen Glückwunsch zur         Wie ist der Universitätsbetrieb während des Notbe-       ledigen. Ansonsten habe ich mich an die             zuräumen als anderen, deren Arbeit, wie       mich anstatt eines ganzen Tages gerade
             Wiederwahl als Kanzler der Universität Konstanz.        triebs, was die Erledigung der anfallenden Arbeiten      Regelungen des Notbetriebs gehalten und             wir damals überzeugt waren, vor Ort er-       mal zwei Stunden kosten.
             Die Wahl fand am 17. Juli 2020 statt, mitten in der     betrifft, verlaufen?                                     habe von zu Hause aus gearbeitet.                   ledigt werden muss. Das betraf in meiner
             Corona-Situation. Auf was liegt in Zeiten der Pan-          Aus meiner Sicht haben die Abläufe überraschend                                                          Vorstellung auch Serviceeinrichtungen,        Sie sagten, es gäbe eine Dienstverein-
             demie das besondere Augenmerk des Kanzlers der          gut funktioniert. Unmittelbar nach dem 16. März gab      Und wie lief es im Homeoffice?                      die wir geschaffen haben, um für unser        barung zum Thema Telearbeit mit dem
             Universität Konstanz? Was war und ist Ihnen als         es Verzögerungen bei Einstellungs- und Beschaffungs-        Das ging gut. Ich habe mich zuerst na-           wissenschaftliches Personal und unsere        Personalrat. Wird diese Dienstver-
             oberster Personalchef in solch einer Krisensituation    anträgen. Wir haben ja zunächst alle Mitarbeiterinnen    türlich eingewöhnen müssen in die tech-             Studierenden besondere Unterstützungs-        einbarung an die neuen Erkenntnisse
             wichtig?                                                und Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt, und nicht      nischen Möglichkeiten, die unsere Kolle-            und Beratungsangebote zu bieten. Durch        angepasst werden?
                Jens Apitz: Ich hoffe, es wurde und wird deutlich,   alle Aufgaben konnten vom Homeoffice aus erledigt        ginnen und Kollegen vom KIM sehr rasch              die Bedingungen der Corona-Krise haben           Die geltende Dienstvereinbarung zur
             dass mir persönlich und auch dem gesamten Rekto-        werden. Wir haben aber darauf reagiert und einzelne      bereitgestellt haben, und habe schnell ge-          wir alle viel gelernt. Viele Dinge, die man   Telearbeit haben wir ohnehin während
             rat die Gesundheit aller Mitglieder der Universität     Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter – selbstver-      lernt, meine Besprechungen mit Telefon-             sich zuvor nicht vorstellen konnte, sind      der Corona-Zeit weitgehend ausgesetzt.
             besonders am Herzen liegt. Und dass wir unsere Ent-     ständlich unter Wahrung der Schutzmaßnahmen – vor        und Videokonferenz zu führen.                       selbstverständlich geworden: Zum Bei-         Das Rektorat hat mit dem Personalrat
             scheidungen zuallererst am Gesundheitsschutz der        Ort geholt, die die Anträge erledigt haben. Jetzt hat                                                        spiel, dass Teambesprechungen und Bera-       vereinbart, dass wir zu diesem Thema
             Universitätsmitglieder ausgerichtet haben. Ich bin      sich das eingependelt. Wir haben in der Verwaltung       Sie haben in Ihrer Rede bei der gemein-             tungsgespräche keine physische Präsenz        eine neue Dienstvereinbarung abschlie-
             überzeugt, dass die Entscheidung, am 16. März in den    auf weiten Strecken wieder Präsenzbetrieb, der al-       samen Sitzung des Universitätsrates                 erfordern, sondern genauso gut – mit an-      ßen werden, die deutlich über die bis-
             Notbetrieb überzugehen, richtig gewesen ist. Es be-     lerdings noch eingeschränkt ist durch Vorgaben, was      und des Senats der Universität Konstanz             deren Vorteilen und anderen Nachteilen        herige mit dem Personalrat vereinbarte
             deutete im Wesentlichen eine Zugangsbeschränkung        Abstand und die maximale Belegung von Räumen be-         zur Kanzlerwahl das Thema Homeof-                   – als Videokonferenz stattfinden können.      Regelung hinausgehen wird.
             zur Universität, um mögliche Infektionswege auf dem     trifft. Die meisten Büros dürfen nur durch eine Person   fice angesprochen. Sie sagten bei dieser               Meine Auffassung von Homeoffice
             Gelände der Universität zu unterbrechen.                belegt sein. Das ist alles gut organisiert.              Gelegenheit sinngemäß, sie hätten ihre              hat sich durch die eigenen Erfahrungen
S. 19

Titel
Arbeit und Corona

Können Sie dazu schon ein paar Punkte         ein größerer Hörsaal befinden werden.
nennen?                                       Sie sind auch als Ersatzfläche notwendig,
   Bisher durfte Homeoffice nur bis zu        um in die dringende Sanierung der Ge-
einem bestimmten Prozentsatz der Ar-          bäude C, D und E einsteigen zu können.
beitszeit vereinbart werden. Wir wollen       Ein weiteres Bauvorhaben ist ein Modul-
es künftig deutlich flexibler handhaben.      bau für die BiSE, die Binational School
Es gibt Überlegungen, dass man eventuell      of Education. Und dann steht natürlich
ganz von zu Hause aus arbeiten kann. Wa-      das große Bauvorhaben an, auf das wir
rum sollte es zum Beispiel nicht möglich      alle warten, das Forum Konstanz (siehe
sein, dass die Universität Konstanz eine      auch S. 38 bis S. 43). Dieses Gebäude ist
Person beschäftigt, die ihren Wohnsitz in     ja eines der zentralen Leuchtturmprojekte
Hamburg hat und von dort aus arbeitet?
Zumindest muss man darüber nachden-
                                              unserer Exzellenzstrategie und wird einen
                                              großen Gewinn für die Universität Kons-      selbst mit so tollen Hilfsmitteln wie dem     Renate Pfeifer, Leiterin der
ken. Die Mitarbeiterin bzw. der Mitar-
beiter kann dann allerdings nicht mehr
                                              tanz bedeuten. Daneben verhandeln wir
                                              mit dem Land über eine neue Sporthalle,
                                                                                           Computer die Arbeit deutlich mehr statt
                                                                                           weniger geworden ist. Die Arbeit wird         Abteilung Personal und Recht,
darauf zählen, dass sie bzw. er an der Uni-
versität einen festen Schreibtisch hat.
                                              ein Ersatzgebäude für die Tierforschungs-
                                              anlage, wir wollen ein neues Gebäude für
                                                                                           einfach anders werden. Mit einer flexiblen
                                                                                           Homeoffice-Regelung werden zum Bei-           zum Thema Homeoffice
                                              Forschungslabore der Geistes- und Sozial-    spiel bestimmte Kernarbeitszeiten nicht
Zurück zu Ihrer Wiederwahl als Kanzler        wissenschaften und viele weitere Umbau-      mehr vereinbar sein, das heißt, ob man
der Universität Konstanz. Was werden          und Sanierungsmaßnahmen. Und dann            tagsüber, in der Nacht, an den Werktagen
Schwerpunktthemen Ihrer vierten Amts-         wird ja auch die Max-Planck-Gesellschaft     oder am Sonntag arbeitet. Wir haben ja
                                                                                                                                         uni’kon: Frau Pfeifer, Sie machen seit fünf Jahren         sein kann, wenn Arbeit und Freizeit nicht räumlich
zeit sein?                                    noch ein eigenes Gebäude für das Max-        die technischen Hilfsmittel, die uns die
                                                                                                                                         Homeoffice. Wie oft in der Woche haben Sie vor den         getrennt sind und man meint, immer wieder mal kurz
   Was mich natürlich zuvorderst interes-     Planck-Institut für Verhaltensbiologie auf   Arbeit überall und jederzeit ermöglichen.
                                                                                                                                         Corona-Zeiten von Ihrem heimischen Schreibtisch            an den Rechner gehen zu müssen. Man verliert auch
siert, ist, wen wir als neue Rektorin oder    unserem Campus errichten.                    Ich glaube, dass die Arbeit durch die Er-
                                                                                                                                         aus gearbeitet?                                            ein wenig den Kontakt zu den Kolleginnen und Kolle-
neuen Rektor bekommen.                            Internationalisierung ist ein weiteres   fahrungen der Corona-Zeit einen Flexi-
                                                                                                                                            Renate Pfeifer: Vor Corona habe ich zwei bis            gen sowie zu den Informationen in seinem Arbeits-
   Wir haben etliche Bauvorhaben in           großes Thema. Die Verwaltung kann gar        bilisierungsschub erhält. Umso wichtiger
                                                                                                                                         dreimal pro Woche von zu Hause aus gearbeitet. Ich         bereich und in der Universität. Nachteilig empfinde
der Pipeline. Relativ rasch werden wir        nicht international genug aufgestellt sein   wird der Schutz vor der ständigen Erreich-
                                                                                                                                         war ja fast jeden Tag im Büro, bin aber öfter wegen        ich ebenfalls, dass man für andere schlechter zu er-
zunächst das neue VCC-Gebäude für das         angesichts dessen, dass Studierende und      barkeit sein. Das ist auch für unseren Per-
                                                                                                                                         der Kinderbetreuung früher nach Hause gegangen             reichen ist – das möchten wir zukünftig besser regeln.
Center for Visual Computing of Collec-        Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-       sonalrat ein sehr wichtiges Anliegen.
                                                                                                                                         und habe dann am Nachmittag oder Abend noch von
tives beziehen können. Weitere größere        ler inzwischen von überall auf der Welt          Lassen Sie mich noch eine Anmerkung
                                                                                                                                         zu Hause aus gearbeitet.                                   Jens Apitz, der Kanzler der Universität Konstanz,
Bauvorhaben sind dann zum Beispiel die        zu uns kommen. Die Verwaltung verfügt        zur Gegenwart machen. Vielen Universi-
                                                                                                                                                                                                    hat eine neue Dienstvereinbarung mit dem Perso-
Erweiterung der Universität um ein neu-       in weiten Teilen über die entsprechenden     tätsmitgliedern sind die einschränken-
                                                                                                                                         Aus Ihrer eigenen Erfahrung und aus Ihrer Erfah-           nalrat angekündigt, die größere Flexibilität in Sa-
es X-Gebäude, gleich im räumlichen An-        Kompetenzen, um mit ihnen gut zu kom-        den Maßnahmen, die das Rektorat im
                                                                                                                                         rung als Leiterin der Abteilung Personal und Recht:        chen Homeoffice ermöglichen soll (siehe Interview
schluss an das V-Gebäude. Eigentlich wer-     munizieren. Wir brauchen aber noch mehr      Notbetrieb ergriffen hat, entweder nicht
                                                                                                                                         Was sind die Vorteile und was sind die Nachteile           S. 14). Was ist nach Ihrer Auffassung die richtige
den es zwei Gebäude sein, in denen sich       englische Sprachkurse. Mit dem Lehrgang      weit genug oder zu weit gegangen. Diese
                                                                                                                                         von Homeoffice?                                            Balance zwischen heimischem Arbeitsplatz und
sowohl Büro- als auch Seminarräume und        zur Verbesserung der interkulturellen        Kritik zu äußern ist selbstverständlich ihr
                                                                                                                                            Die Vorteile von Homeoffice sind die Flexibilität       Büro an der Universität?
                                              Kompetenz haben wir schon ein tolles In-     Recht. Dabei ist mir manchmal aber etwas
                                                                                                                                         – ich kann die Arbeit kurzzeitig unterbrechen, um             Die richtige Balance ist meines Erachtens diejeni-
                                              strument, das unter anderem auch einen       zu kurz gekommen: Wir sollten beden-
                                                                                                                                         beispielsweise eine Frage der Kinder zu beantworten.       ge, die wir derzeit in der Dienstvereinbarung bereits
                                              internationalen Austausch beinhaltet.        ken, in welcher Lage wir als Beschäftigte
                                                                                                                                         Die haben wiederum die Gewissheit, dass jemand zu          geregelt haben: Mindestens die Hälfte der eigenen in-
                                                                                           des Öffentlichen Dienstes sind. Niemand
                                                                                                                                         Hause ist. Dieser Vorteil lässt sich sicherlich auch auf   dividuellen Arbeitszeit vor Ort zu sein, um den Kon-
                                              Zum Schluss würde ich gern noch auf          von uns musste sich Sorgen um seinen Ar-
                                                                                                                                         Beschäftigte mit Pflegeaufgaben übertragen. Dann           takt zu den Kolleginnen und Kollegen sowie zu den
                                              das Thema Zukunft der Arbeit kommen.         beitsplatz und um sein Gehalt machen, im
                                                                                                                                         kann man zu Hause auch oft konzentrierter arbeiten,        Informationen nicht zu verlieren. Und dann hängt es
                                              Werden wir in Zukunft zum Beispiel           Gegensatz zu vielen Menschen, die ihre
                                                                                                                                         da es weniger Unterbrechungen gibt. Viele Beschäf-         natürlich von der Art der Arbeit ab: Manche Arbeit
                                              angesichts zunehmender Digitalisierung       Arbeit verloren haben, weil ihren Betrie-
                                                                                                                                         tigte schätzen es auch, dass der lange Anfahrtsweg         kann nicht von zu Hause aus erledigt werden, insbe-
                                              der Arbeitsplätze weniger arbeiten?          ben die Nachfrage weggebrochen ist, oder
                                                                                                                                         wegfällt.                                                  sondere die mit viel Service- und Beratungscharakter.
                                                 Ich glaube nicht, dass die Arbeit we-     die in Kurzarbeit geschickt wurden. Ich
                                                                                                                                                                                                    Auch wenn dies in Corona-Zeiten zum Teil anders ge-
                                              niger wird. Ich kann mir aber vorstellen,    möchte gern daran erinnern, dass wir hier
                                                                                                                                             Der Nachteil kann sein, dass es manchen schwer-        regelt ist, denke ich, dass wir nach Corona wieder zu
                                              dass es in Zukunft viel mehr flexiblere      an der Universität Grund haben, dankbar
                                                                                                                                         fällt, zu Hause ein Ende zu finden; dass es belastend      Präsenzberatung zurückkehren werden.
                                              Arbeitsmodelle geben wird. Alle Erfah-       zu sein.
                                              rung aus der Vergangenheit zeigt, dass       | Das Interview führte Maria Schorpp.
Titel
Achtsamkeit in der Arbeitswelt

                                                                                     Im Hier und Jetzt sein, frei von Wer-
                                                                                  tung und offen gegenüber dem sein,
                                                                                  was ist – noch vor wenigen Jahrzehnten
                                                                                  wurden solche Zustandsbeschreibungen

                       Anfänger­
                                                                                  belächelt und in die Esoterik-Ecke ge-
                                                                                  schoben. Das hat sich inzwischen unter
                                                                                  dem Stichwort „Achtsamkeit“ geändert.
                                                                                  Achtsamkeit lässt sich lernen, mittels
                                                                                  meditativer Praktiken, aber auch über in
                                                                                  den Alltag integrierte Handlungen. Auch
                                                                                  Universitäten machen ihren Mitgliedern

                         geist
                                                                                  heute Angebote, Achtsamkeit einzu-
                                                                                  üben. Mehr noch: Zen, Yoga, Kontemp-
                                                                                  lation, Tai Chi, Qigong und Co. werden
                                                                                  erforscht, um zu entschlüsseln, worauf
                                                                                  ihre Wirkung beruht, die nicht zuletzt
                                                                                  den Arbeitsalltag der Menschen ent-
                                                                                  scheidend zum Besseren zu verändern

                        schlägt
                                                                                  vermag.
                                                                                                                                           Dr. Frank Oberzaucher ist Lecturer und wissenschaftlicher
                                                                                                                                           Mitarbeiter im Fachbereich Geschichte, Soziologie, Sportwis­
                                                                                     Dr. Frank Oberzaucher, Lecturer und
                                                                                                                                           senschaft und empirische Bildungsforschung. Seine aktuellen
                                                                                  wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach-                  Hauptforschungsgebiete sind qualitative Methoden, Kommuni­
                                                                                  bereich Geschichte und Soziologie und                    kation im institutionellen Kontext sowie achtsame Berufe.
                                                                                  zuständig für qualitative Forschungsme-

                        Routine
                                                                                  thoden, untersucht, wie Achtsamkeit-
                                                                                  spraktiken vermittelt und angeeignet
                                                                                  werden. Insbesondere interessiert ihn
                                                                                  ihre Integrierbarkeit in Psychothera-          seine Feldforschung etwa in ein Medita-         alien und Lehrbüchern zu finden sind.
                                                                                  pieformen und ihre praktische Anwen-           tionszentrum zurück, das kann auch ein          Das Datenspektrum der Analysen um-
                                                                                  dung. Gerade in der Psychotherapie ist         Schweigekloster sein, und er praktiziert        fasst dabei auch Audio- und Videoauf-
                                                                                  ein erhöhtes Maß an Unterscheidungs-           regelmäßig Zen und Qigong.                      zeichnungen, Beobachtungsprotokolle,
                                                                                  fähigkeit von Wahrnehmungen, Empfin-                                                           Tagebucheinträge sowie ethnografische
                                                                                  dungen und Gefühlen notwendig, damit              Er versteht Achtsamkeit als soziale          Interviews.
                                                                                  die therapierende Person diese richtig         Praxis. Achtsamkeit ist demzufolge kein
                                 Der Soziologe Dr. Frank Oberzaucher forscht zu   zuordnen kann, die die Patientin/der Pa-       rein innerpsychisches und egologisches          Nach zwei Bissen geht der Geist
                                     Achtsamkeitspraktiken und zu Berufen         tient bei ihr auslöst. Die Frage der the-      Phänomen, sondern eine soziale, ver-            auf Wanderschaft
                                                                                  rapierenden Person lautet: Gehören die         körperte und zu vollziehende Tätigkeit.            Achtsamkeit als soziale Praxis zu
                                  bzw. Tätigkeiten, in denen Achtsamkeit eine     Wahrnehmungen zu mir und meiner Bio-           In seinem kürzlich erschienenen Aufsatz         verstehen, betont auch ihren Übungs-
                                             tragende Rolle spielt.               grafie oder zu meinem Gegenüber?               „Das Selbst kultivieren – Praktiken der         charakter in alltäglichen Handlungen.
                                                                                                                                 Achtsamkeit in spirituellen und psy-            Beispiel Essen. „Ich habe mir ein Essen
                                                                                  Zur Feldforschung ins Schweigekloster          chotherapeutischen Handlungsfeldern“,           zubereitet. Nun setze ich mich hin und
                                                                                     Als qualitativ forschender Soziologe        den er gemeinsam mit dem Konstanzer             versuche, zehn Minuten lang mein Essen
                                                                                  begibt sich Frank Oberzaucher mitten           Kultursoziologen Dr. Clemens Eisen-             zu essen. Die Übung besteht darin, jeden
                                                                                  hinein in sein Forschungsgebiet, was in        mann geschrieben hat, wird das Problem          Bissen bewusst wahrzunehmen und zu
                                                                                  dem Fall bedeutet: Er begibt sich an die       der Beobachtung und Beschreibung von            schmecken, in dem, was er ist.“ Der Acht-
                                                                                  Orte, an denen Achtsamkeit vermittelt          Praktiken der Achtsamkeit expliziert            samkeitslaie wird schnell feststellen:
                                                                                  und eingeübt wird. „Damit ich zu Acht-         und mittels des soziologischen Ansat-           Nach spätestens zwei Bissen geht der
                                                                                  samkeit forschen kann, muss ich sie            zes namens Ethnomethodologie em-                Geist auf Wanderschaft. Entweder legen
                                                                                  erlernen und regelmäßige Achtsamkeit-          pirisch untersucht. Ziel ist dabei auch,        sich Bewertungen auf das reine organi-
                                                                                  spraxis betreiben. Ich muss mich selbst        das „Wie-es-gemacht-wird“ im Vollzug            sche Aufnehmen. Der Geschmack wird
                                                                                  mit diesem Kompetenzsystem vertraut            sowie die diesen Tätigkeiten – hier: Psy-       eingeordnet und bewertet. Oder er rich-
                                                                                  machen und gleichzeitig herausarbeiten,        chotherapie – zugrunde liegenden prak-          tet seine Aufmerksamkeit auf Zukünf-
                                                                                  wie diese Praxis in psychotherapeuti-          tischen Kompetenzen herauszuarbeiten.           tiges, indem die Gedanken schon viel-
                                                                                  schen oder beraterischen Kontexten ein-        Schließlich sind das Kunstfertigkeiten,         leicht bei der Person sind, die man nach
                                                                                  gesetzt wird“, sagt er. So zieht er sich für   die gerade nicht in Ausbildungsmateri-          dem Essen treffen möchte. Oberzaucher:
Titel
Achtsamkeit in der Arbeitswelt

                                                                                                                                       Call for Applications:
„Die meisten von uns sind relativ selten                                                  Lesarten zu sein. Es gilt, dass das, was     Senior Fellowships at
                                                                                                                                       the Zukunftskolleg
am Tag im Augenblick, im Hier und Jetzt.                                                  sich zeigt, immer wieder neu ist.
Zudem fällt es uns nicht einmal auf,
höchstens wenn die Kürbissuppe nicht                                                         Gegen den routinierten Blick auf die
im Mund landet, sondern das frisch ge-                                                    Welt stellt beispielsweise das Zen den
bügelte Hemd verziert.“ Durch das stän-                                                   sogenannten „Anfängergeist“ und die
dige Einüben von Achtsamkeitspraktiken                                                    Grundüberzeugung, dass es nichts im
wird deutlich, dass Bewußtheit im Alltag                                                  Leben gibt, das sich wiederholt. Jeder
durchaus steigerbar zu sein scheint und                                                   Moment ist potenziell neu. Es ist nur der
dass das Leben (mit Achtsamkeit) nicht                                                    menschliche Geist, der etwas als bekannt
besser oder schlechter, aber dafür tiefer                                                 behandelt. Etwas zugespitzt formuliert
wahrgenommen werden kann.                     stellen, indem etwa die gesamte Beleg-      sagt Oberzaucher, „dass man die wahren
                                              schaft in den Zen-Kurs geschickt wird.      Kenner psychotherapeutischen Handelns
    „Wir stolpern durch den Tag, weil         Eine kritische Lesart des Achtsamkeits-     daran erkennt, dass sie so handeln, als ob
wir gedanklich eigentlich immer schon         booms sieht Oberzaucher durchaus ge-        sie Anfänger wären, ohne zu versuchen,
irgendwo anders sind“, meint der So-          boten, indem er betont, dass „Achtsam-      etwas als besonders gewandt und kunst-
ziologe. „Man kann sagen, einen Groß-         keit im Zuge der westlichen Aneignung       voll zu machen“.
teil unseres Vermögens schöpfen wir gar       der buddhistischen Spiritualität ent-       | msp.
nicht aus. Wir sind teilbewusste Arbeit-      fremdet“ worden sei und sich so mehr
nehmerinnen und Arbeitnehmer.“ Acht-          und mehr einer Kommerzialisierung im
samkeit hat positive Auswirkungen auf         Dienste einer „neoliberalen Leidideolo-
die Gesundheit, das zeigen eine Reihe         gie“ verschrieben hätte.
von naturwissenschaftlichen Studien.
Allerdings gehört es zum Wesen uralter        Kenne ich schon, ich weiß, wie es geht
Achtsamkeitspraktiken, die sich – ob             Was sich im Arbeitsalltag zwischen
Christentum, Buddhismus, Hinduismus           den Menschen und den gegenwärtigen
oder Islam – in jeder Religion wiederfin-     Moment schiebt, ist häufig die Routine.
den, völlig absichtslos zu sein. Selbstver-
ständlich geht es auch nicht darum, mit
                                              So sehr sie entlasten kann, so sehr birgt
                                              sie die Gefahr zu erstarren – nach dem
                                                                                                                                                                                 Application deadline:
dieser Technik Arbeitgebern eine weitere      Motto: „Kenne ich alles schon, mache
Optimierungsstrategie zur Verfügung zu        ich schon seit zehn Jahren, ich weiß, wie
                                              es geht und bin schließlich Experte oder                                                                                           15 December 2020 at 11:59 PM
                                              Expertin.“ In heilenden Berufen wie dem                                                                                             (CET)
                                              psychotherapeutischen Bereich ist solch                                                                                            All applications and required
                                              eine Einstellung besonders fatal. Anstatt                                                                                           documents must be submitted in
                                              Frau X aufgrund von Symptomen gleich                                                      More information: uni-
                                              eine Depression zu attestieren, gilt es,
                                              offen für alternative Diagnosen oder
                                                                                                                                       konstanz.de/zukunftskolleg/fellowships/    zukunftskolleg.seniors@uni.kn
                                                                                                                                       senior-fellowship/
Titel
Arbeit und Familie

                                                                                                                             Arbeit und
                                                                                                                              Familie –
                                                                                                                            das Leben als
                                                                                                                            Kompromiss?
                                                                                                                                    Dr. Ariane Bertogg forscht seit April 2020 am Zukunftskolleg der Universität Konstanz
                                                                                                                                          zur Vereinbarkeit von Arbeit und familiärer Betreuung. Ihr sowohl mikro- als
                                                                                                                                    auch makrosoziologischer Ansatz betrachtet die individuellen Lebenswege sowie das
                                                                                                                                         sozio-politische und kulturelle Umfeld der Menschen. uni’kon hat mit ihr über
                                                                                                                                      neue Vereinbarkeitsherausforderungen in der zweiten Lebenshälfte gesprochen.

                                                                         Adobe Stock 132264066 Waldbach.

                                                                                                           uni'kon: Frau Bertogg, wir werden              kommt, dass es teilweise für ältere Arbeit-   Pflege angewiesen sein werden. Für den
                      „Ich kann zeigen, dass intensive Pflege oder                                        immer älter, also arbeiten wir immer           nehmerinnen und Arbeitnehmer schwierig        Wohlfahrtsstaat bedeutet das, neue und
                                                                                                           länger. Stimmt das?                            ist, eine neue Stelle zu finden , wenn sie    situationsgerechte Pflegemodelle bereit-
                        Betreuung schon dazu führt, dass die Teilnahme                                         Dr. Ariane Bertogg: Ja und nein. Ei-       arbeitslos oder via Frührente zum Gehen       zustellen und zu finanzieren. Über die
                                                                                                           nerseits wurde in den allermeisten europä-     aufgefordert werden.                          Pflegeversicherung finanzieren wir diese
                        am Arbeitsmarkt eher verfrüht aufgegeben                                           ischen Ländern das offizielle Rentenalter                                                    schon heute mit. Das finanzielle Volumen
                                                                                                           erhöht. Dies ist eine sozialpolitische Reak-   Demographisches Altern stellt sowohl          in diesen Töpfen reicht aber bereits heute
                        wird – und zwar von Frauen wie von Männern!“                                       tion auf die gestiegene Lebenserwartung.       den Wohlfahrtsstaat als auch jeden            nicht aus, um den Pflegebedarf im benö-
                                                                                                           Hauptzweck einer solchen Reform ist, das       Einzelnen vor neue Herausforderungen.         tigten Umfang zu decken. Für Individuen
                                                                                                           Rentensystem zu entlasten. Andererseits        Vor welche konkret?                           bedeutet das daher, dass informelle – also
                                                                                                           liegt das durchschnittliche effektive Ren-        Die demografische Alterung setzt sich      privat organisierte – Hilfe- und Pflegear-
                       Dr. Ariane Bertogg                                                                  tenalter in nicht wenigen Ländern einige       aus mehreren Komponenten zusammen,            rangements die staatlichen Leistungen
                                                                                                           Jahre unter dem offiziellen. Zum Beispiel      unter anderem der gestiegenen Lebens-         komplementieren müssen. Eine infor-
                                                                                                           Deutschland: Seit den 1970er-Jahren bis        erwartung, der gesunkenen Geburtenrate        melle Pflegebeziehung verändert aber die
                                                                                                           Anfang der 2000er-Jahre ist das effekti-       und dem nach hinten verschobenen Erst-        Macht- und Abhängigkeitskonstellatio-
                                                                                                           ve Rentenalter kontinuierlich gesunken,        geburtenalter. Dies hat vielfältige Fol-      nen innerhalb von Familien. Dies sind
                                                                                                           die Trendwende kam vor zirka 15 Jahren.        gen, beispielsweise die, dass wir in den      ganz individuelle biografische Heraus-
                                                                                                           Sprich: Wer es sich leisten kann, in Früh-     letzten Jahren unseres Lebens mit ho-         forderungen, denen sich Pflegende und
                     – uni.kn/ungleichheit-arbeitsmarkt
                                                                                                           rente zu gehen, tut dies auch oft. Hinzu       her Wahrscheinlichkeit auf umfassende         Gepflegte stellen müssen, die psychisch
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