ARBEITSLOSE UNTER DRUCK - 2 Euro - Arge für Obdachlose

Die Seite wird erstellt Rory Wiedemann
 
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Arge für Obdachlose                                   Stra enzeitung von Randgruppen und sozial Benachteiligten

APRIL 2022 ı 1 Euro bleibt den VerkäuferInnen ı Achten Sie auf den Verkaufsausweis                          2 Euro

                                                        ARBEITSLOSE UNTER DRUCK
IMPRESSUM                      LESERBRIEFE UND REAKTIONEN

Die Straßenzeitung Kupfermuckn ist ein Angebot zur
                                                         Brief für den Autor ohne Hoffnung                   sehr vernünftig. Er sparte alles und arbeitete
Selbsthilfe für Wohnungslose und für Menschen an oder
unter der Armutsgrenze. Unsere Zeitung versteht sich
                                                                                                             weiter im elterlichen Betrieb mit. Der jüngere
als Sprachrohr für Randgruppen und deren Anliegen.       Liebes Kupfermuckn-Team, ich bin eine lang-         Sohn war ein abenteuerlicher Genosse und
Der Zeitungsverkauf und das Schreiben bringen neben      jährige Leserin Ihrer tollen Zeitung! Nun hat       zog mit dem Geld hinaus in die Welt. Er ver-
dem Zuverdienst das Gefühl, gemeinsam etwas ge-
                                                         mich der Leitartikel, in dem Betroffene aus ihrer   prasste alles und führte ein Leben in Saus und
schaffen zu haben. Von Wohnungslosigkeit Betroffene
bilden mit Mitarbeitern des Vereins »Arge für Obdach-    Zeit im Gefängnis berichten, sehr nachdenklich      Braus. Nach einiger Zeit ging ihm das Geld
lose« in partnerschaftlichem Verhältnis die Redaktion.   gestimmt und betroffen gemacht. Besonders fol-      aus. Er hatte nichts mehr und schämte sich. Es
                                                         gende Aussage eines anonymen Autors: »Noch          blieb ihm aber nichts anderes über, als zu sei-
Redaktion
Straßenzeitung Kupfermuckn, Marienstraße 11, 4020        heute befinde ich mich in diesem Teufelskreis,      nem Vater zurückzukehren, wenn er nicht ver-
Linz, Tel. 0732/770805-13, kupfermuckn@arge-ob-          habe keine Perspektiven und kaum mehr Hoff-         hungern wollte. Und wissen Sie, wie der Vater
dachlose.at, www.kupfermuckn.at                          nung, dass sich mein Leben nochmals zum Bes-        reagierte? Das ist der Knackpunkt der Ge-
Projektleitung, Koordination, Layout, Fotos:             seren wendet.« Das hat mich mitten ins Herz         schichte. Er stellte keine Fragen. Er fragte
Heinz Zauner (hz), Chefredakteur                         getroffen. Denn es ist eine Sache unter schwieri-   nicht, wo er gewesen war oder wo das Geld
Daniela Warger (dw), Leitung Redaktion                   gen Bedingungen leben zu müssen, aber noch          hin war. Als der Vater seinen Sohn sah, rannte
Christian Wögerbauer (cw), Redaktion
Katharina Krizsanits (kk), Vertrieb, Layout              etwas anderes gar keine Hoffnung mehr zu ha-        (!) er ihm entgegen. Er umarmte und küsste
                                                         ben. Ich weiß nicht, ob es möglich ist, dass Sie    ihn. Er weinte vor Freude. Sein Sohn war zu-
Redakteure: Anna Maria, August, Christine, Claudia,      dem Autor etwas weitergeben, aber ich bitte Sie     rückgekommen. Das war alles, was zählt.
Helmut, Heinz, Hermann, Johannes, Leo, Manfred F.,
Manfred R., Manfred S., Sonja, Ursula, Walter;           hiermit trotzdem darum:                             Dann gab es eine Riesenparty.

Titelfoto (hz): Manfred arbeitet im Trödlerladen         Lieber Autor, ich habe Ihre Geschichte in der
Auflage: 25.000 Exemplare                                                                                    Was ich damit sagen will?
                                                         aktuellen Ausgabe der Kupfermuckn gelesen
Bankverbindung und Spendenkonto                          und sie hat mich sehr berührt. Sie hatten wirk-     Es ist nie zu spät zurückzukehren. Und es gibt
Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz          lich schwierige Lebensumstände, und vor al-         nichts, was nicht vergeben werden kann. Und,
IBAN: AT461860000010635860, BIC: VKBLAT2L
                                                         lem für den Tod Ihres geliebten Bruders             dass es immer Grund zur Hoffnung gibt. Falls
Ausgabe in Linz, Wels, Steyr und Vöcklabruck             möchte ich Ihnen mein aufrichtiges Beileid          Sie an Gott glauben, möchte ich Ihnen sagen,
Menschen, die in Armut leben und ihren Lebensmittel-     aussprechen. Ich weiß, wir kennen uns nicht,        dass Gott für Sie da ist und mit Ihnen, und
punkt in Oberösterreich haben, können sich Montag bis
Freitag zwischen 8 und 12 Uhr bei den Ausgabestellen     aber nachdem Sie geschrieben hatten, dass Sie       dass er Ihnen entgegenläuft. Falls Sie nicht an
melden und erhalten einen Verkäuferausweis. 50 Pro-      kaum mehr Hoffnung haben, dass sich Ihr             Gott glauben (was ich total verstehen könnte),
zent des Verkaufspreises verbleiben den Verkäufern.      Leben nochmals zum Besseren wendet, hatte           möchte ich, dass Sie wissen, dass ich in Ge-
Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz, Tel.,   ich das dringende Bedürfnis, Ihnen zu schrei-       danken mit Ihnen bin und für Sie. Sie können
0732/770805-19                                           ben. Als Mensch und als Christin möchte ich         mich gerne persönlich kontaktieren. Ich würde
Soziales Wohnservice Wels, E 37, Salzburgerstraße 46,    Ihnen sagen: Wir dürfen trotz allem immer           mich sehr freuen, von Ihnen zu hören! Ich
4600 Wels, Tel. 07242/290663
Verein Wohnen Steyr, B 29, Hessenplatz 3, 4400 Steyr,    hoffen. Wenn Sie gestatten, möchte ich noch         merke gerade, dass meine Mail ziemlich lang
Tel. 07252/50 211                                        eine Geschichte aus der Bibel mit Ihnen teilen      geworden ist, und ich hoffe, dass es nicht zu
Verein Wohnungslosenhilfe Mosaik, Gmundner Straße        (von mir leicht abgeändert): Die Geschichte         verrückt klingt. Aber es war mir einfach ein
102, 4840 Vöcklabruck, Tel. 07672/75145
                                                         des verlorenen Sohnes. Ein Vater hatte zwei         Bedürfnis, auf diese berührende Geschichte in
Medieninhaber und Herausgeber                            Söhne. Als sie erwachsen waren, erhielten sie       Ihrer Kupfermuckn-Zeitschrift zu antworten.
Vorstand des Vereines »Arge für Obdachlose«, Vorsit-     ihren Erbanteil und konnten mit dem Geld            Danke und euch allen herzliche Grüße,
zende Mag.a Elisabeth Paulischin, Marienstraße 11,
4020 Linz, www.arge-obdachlose.at
                                                         machen, was sie wollten. Der ältere Sohn war        Katrin Pointner

                       International
                       Die Kupfermuckn ist Mitglied
                       beim »International Network
                       of Street Papers« INSP
                                                         Achten Sie bitte auf den Verkaufsausweis
                       www.street-papers.com
                                                                                                                        Liebe Leserinnen und Leser!

                                                                                                                        Bitte kaufen Sie die Kupfermuckn
                                                                                                                        ausschließlich bei Verkäuferinnen
                                                                                                                        und Verkäufern mit sichtbar getra-
                                                                                                                        genem und aktuellem Ausweis.
                                                                                                                        Nur so können Sie sicher sein,
                                                                                 Stadlbauer                             dass auch wirklich die Hälfte des
                                                                                                                        Ertrages der Zielgruppe zu Gute
                                                                                 Claudia                                kommt: Wohnungslosen und
                                                                                                                        Menschen, die in Armut leben und
                                                                                 Verkäuferausweis 2022                  ihren Lebensmittelpunkt in Ober­
                                                                                                                        österreich haben.
2                      04/2022
Wenn AMS-Leistungen gestrichen werden
Betroffene berichten über ihren Kampf um die existentielle Absicherung

Sperren vom AMS machen mein                      und meiner Betreuungs-Person weiterleiten.        nicht auskennen. An dieser AMS-Stelle sind
                                                 Ich weiß jedoch nicht einmal, wer für mich        die Mitarbeiter übrigens ausgesprochen
schweres Leben noch schwerer                     zuständig ist. Meine Bitte wurde jedendoch        freundlich und hilfsbereit! Jedenfalls suchte
                                                 ignoriert. Und so bekomme ich nur Vorschläge      ich dort nach Jobs und war dann wieder im
Als AMS-Kundin ist meine Situation nicht         von Jobs, bei welchen man entweder viel ste-      Krankenstand. Da bekam ich genau dieses Jo-
besonders gut: Ich hatte einen schmerzhaften     hen oder schwer schleppen muss. Abermals          bangebot. Sicherheitshalber rief ich beim
Bandscheibenvorfall, der zweite kündigt sich     rief ich beim AMS an und fragte, ob irgend-       AMS an und sagte, dass ich mich bei diesem
bereits an. Außerdem gehöre ich mit meinen       wer Zeit für mich und meine Anliegen hat,         Arbeitgeber nicht melden könne, da ich krank
53 Jahren bereits zum »alten Eisen«. Letztens    und ob die Betreuungs-Person überhaupt            sei. Damals lag ich im Bett, da ich nicht ein-
brachte ich den Befund zum AMS, mit der          schon einen Blick in meine Befunde und die        mal mehr gehen konnte vor lauter Schmerzen.
Bitte, er möge mir angemessene Jobvor-           MRT-Bilder geworfen hat. Kurz darauf wurde        Ich kam dann zweieinhalb Wochen in die Ner-
schläge anbieten. »Ich kann weder lange ste-     ich zum ersten Mal gesperrt. Erst später erfuhr   venklinik wo ich Physiotherapie, Strombe-
hen noch schwer heben«, erklärte ich ihm.        ich den wahren Grund. Angeblich deshalb,          handlungen, Infusionen und Arztgespräche
»Ein abwechslungsreicher Job, wo man ge-         weil ich mich bei einem Bäckermeister nicht       bekam. Gegen Ende der Behandlung wurde
hen, sitzen und auch ein wenig stehen kann,      gemeldet hatte, was jedoch nicht der Wahrheit     ich infiltriert. Kurz darauf wurde ich erneut
wäre für mich optimal«, fügte ich hinzu. »Wir    entspricht. Ich fahre sogar immer zur Außen-      gesperrt. Diese Sperre wurde dann zwar vom
werden das Beste für Sie tun«, sagte der Herr.   stelle des AMS am Bahnhof in Linz, damit mir      AMS wieder zurückgezogen, aber auch nur
Er werde meine Bitte schriftlich festhalten      jemand bei der Jobsuche hilft, sollte ich mich    deshalb, weil ich ihnen gesagt habe, dass ich
                                                                                                                       04/2022                 3
mich an eine Zeitung wenden werde. Es hat
                                                                                                                nicht lange gedauert, und ich wurde wieder
                                                                                                                gesperrt. Ich hatte nicht länger die Kraft, wie
                                                                                                                ein David gegen Goliath anzukämpfen. Ich
                                                                                                                zog dann um, und bat das AMS, mir eine
                                                                                                                zweiwöchige Pause zu gewähren, da es auch
                                                                                                                mit der Post nicht funktionierte. Aber irgend-
                                                                                                                wie wurde auch diese Bitte nicht zur Kenntnis
                                                                                                                genommen. Obwohl die Dame am Telefon
                                                                                                                sagte: »Kein Problem, wir werden es Ihrer
                                                                                                                Betreuerin bekannt geben.« Und was pas-
                                                                                                                sierte? Ich wurde wieder gesperrt. Nun sitze
                                                                                                                ich da ohne Einkommen. Ich muss nicht nur
                                                                                                                mich, sondern auch noch mein Kind und zwei
                                                                                                                Katzen versorgen. Nicht einmal einen Aktiv-
                                                                                                                pass kann ich bekommen, geschweige denn,
                                                                                                                etwas zu Essen. Leider bin ich kein Einzelfall.
                                                                                                                Ich habe Geschichten von Menschen gehört,
                                                                                                                die sind noch schlimmer dran. Ich würde
                                                                                                                gerne arbeiten gehen. Es sollte jedoch ein Job
                                                                                                                sein, der meine Rückenschmerzen nicht noch
                                                                                                                schlimmer macht. Wenn man vom AMS zwei-
                                                                                                                mal gesperrt wird, dann wird man beim dritten
               Aktion am Taubenmarkt zum Tag der Arbeitslosen, Foto: Bischöfliche Arbeitslosenstiftung
                                                                                                                Mal abgemeldet und ist nicht mehr versichert.
                                                                                                                Bei mir lauten nun die Bedingungen: Erst 28
                                                                                                                Tage arbeiten, dann kann ich wieder um das
Tag der Arbeitslosen am 30. April                                                                               Arbeitslosengeld ansuchen. Nicht versichert
                                                                                                                sein heißt, nicht mehr zum Arzt gehen dürfen,
                                                                                                                keine Medikamente mehr bekommen, die ich
Den Tag der Arbeitslosen am 30. April                             rauf«. Ein degressives Arbeitslosengeld       leider regelmäßig brauche. Ich bin am Rande
braucht es so dringend wie in den vergan-                         löst nicht die Probleme bei der Arbeitssu-    der Verzweiflung. Es ist ein furchtbarer Teu-
genen Jahren. Auch wenn viele offene                              che. Die Zuverdienstmöglichkeit durch         felskreis, ein Alptraum, in welchem ich mich
Stellen gemeldet sind, gibt es doch nicht                         eine geringfügige Beschäftigung muss er-      befinde. Hoffentlich wird alles irgendwann
für jede/n Arbeitssuchende/n einen pas-                           halten bleiben.                               wieder gut. Maria
senden Arbeitsplatz. Ein Beitrag von                           Die komplette Sperre von Arbeitslosengeld
Christian Winkler – Geschäftsführer der                         oder Notstandshilfe ist eine existenzbedro-
»Bischöflichen Arbeitslosenstiftung«.                           hende und menschenunwürdige Bestrafung
                                                                                                                Dank eines Kurses über das AMS
                                                                und muss daher abgeschafft werden.              bin ich wieder voller Hoffnung
Die Arbeitslosenversicherung mehr auf                           Langzeitarbeitslosigkeit erfordert mehr in-
menschliche Bedürfnisse auszurichten,                            dividuelle Beratung oder einen existenzsi-     Die letzten Monate waren anstrengend, da ich
muss ebenso Ziel der anstehenden Reform                          chernden Arbeitsplatz in gemeinnützigen,       die Chance wahrgenommen habe, wieder auf
sein, wie die Arbeitslosigkeit tatsächlich auf                   sozialökonomischen Betrieben oder eine         dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Jeden Frei-
ein unvermeidbares Ausmaß zu reduzieren.                         – bis zu hundert Prozent – geförderte Be-      tag und Samstag musste ich wieder die Schul-
Es ist besser, Beschäftigung zu finanzieren,                     schäftigung in öffentlichen oder gemein-       bank drücken. Ich machte die Ausbildung frei-
als Arbeitslosigkeit.                                            nützigen Einrichtungen.                        willig, und das auch nur deswegen, dass ich
Arbeitslosen Menschen Unwilligkeit zu un-                        Junge Menschen mit schlechteren Schul-        vom AMS endlich meine Ruhe habe. Vor zwei
terstellen, ermöglicht Maßnahmen wie de-                          zeugnissen haben kaum Chancen in Aus-         Monaten habe ich den theoretischen Teil der
gressives Arbeitslosengeld, Zuverdienst ab-                       wahlverfahren für Lehrstellen, auch wenn      Ausbildung positiv abgeschlossen. Wir hatten
schaffen, Zumutbarkeitsbestimmungen ver-                          nun mehr offene Lehrstellen gemeldet          auch genug Zeit zum Vorbereiten und die not-
schärfen etc., mit dem Ziel einer Erhöhung                        sind. Für alle jungen Menschen bis 25         wendigen Unterlagen hierzu. Wieder zu ler-
des Drucks auf Arbeitssuchende zu diskutie-                       Jahre braucht es einen garantierten Ausbil-   nen, das war für mich eine ziemliche Umstel-
ren. Das Menschenbild in der politischen                          dungsplatz damit sie einen Berufsab-          lung, zumindest auf eine Prüfung. Doch ich
und öffentlichen Diskussion muss geändert                         schluss oder zumindest eine Teilqualifizie-   schaffte es und bin froh darüber, zu wissen,
und den betroffenen Menschen wieder eine                          rung erreichen können.                        dass ich noch nicht ganz zum »alten Eisen«
Perspektive für ein selbstbestimmtes Leben                                                                      gehöre. Nach einem Praktikum möchte ich in
ermöglicht werden. Die zentralen Forderun-                  Die Aktionsgemeinschaft veranstaltet heuer          dem noch sehr jungen Beruf als »Alltagsbe-
gen dabei sind:                                             am 29. April eine Kundgebung, bestehend             gleiterin« Fuß fassen. Das Land Oberöster-
                                                            aus arbeitslos.selbstermächtigt, Arbeitslosen-      reich hat dieses Berufsbild im vorigen Jahr ins
     as Arbeitslosengeld soll dauerhaft auf
    D                                                       stiftung AUGE, Caritas, KAB, ÖGB-OÖ, So-            Leben gerufen, damit Menschen mit besonde-
    mindestens 70 Prozent des Letztbezuges                  lidarwerkstatt, Sozialplattform, Volkshilfe,        ren Bedürfnissen und Beeinträchtigungen
    angehoben werden. Dazu gibt es Anfang                   u.a. Nähere Informationen unter www.ar-             mehr Unterstützung bekommen. Ich hoffe,
    Mai das Volksbegehren »Arbeitslosengeld                 beitslosenstiftung.at                               dass ich bald durchstarten kann. Sonja
4                   04/2022
Ich beschloss, mich nicht zu                      äußersten Fall, also wenn das AMS der Mei-        Ich konnte über das AMS
                                                  nung wäre, dass die »Arbeitswilligkeit« auf
fürchten, jedenfalls nicht zu sehr                Dauer zu wenig oder gar nicht gegeben ist,        einen Staplerschein machen
                                                  steht auch die Option einer dauerhaften Ein-
Corona, die Pandemie mit all den einschnei-       stellung des Bezugs samt Versicherung im          Mit 57 Jahren ist es sehr schwer, eine Arbeit
denden Veränderungen auch in der Wirt-            Raum. Ja, diese Rute wurde mir bereits ins        zu finden. Ich bin ein Langzeitarbeitsloser,
schafts- und Arbeitswelt (Stichwort: »Kurzar-     Fenster gestellt. Soll ich mich jetzt fürchten?   wenn man das so sagen kann. Circa vier Jahre
beit« im Lockdown, Stichwort: »Härtefall-         Ich habe beschlossen, mich von nun an nicht       war ich jedoch tatsächlich nochmals in einem
Fonds« und »Ausgleichszahlungen«) ist lang-       mehr zu fürchten. Das AMS – so fair muss          Beschäftigungsverhältnis. Eigentlich bin ich
sam vorbei, die Entwicklung der Wirtschaft        man sein – kennt nicht nur Druck und Sankti-      gelernter Fliesenleger. Diesen Beruf habe ich
geht wieder sehr nach oben. Demzufolge sind       onen, es kennt auch Wohltaten, die es einem       jedoch niemals ausgeübt, trotz Gesellenprü-
auch auf dem Arbeitsmarkt wieder viele Jobs       angedeihen lässt, wenn man nur kooperiert.        fung. Nach der Lehre bin ich einfach auf und
ausgeschrieben, und so sinken auch die Ar-        Im Augenblick stehe ich so beispielsweise im      davon gegangen. Ich war Schausteller, Kü-
beitslosen-Zahlen. Das ist natürlich eine große   Genuss einer solchen »Wohltat«: Ich darf über     chengehilfe und einige Winter lang Liftwart in
Chance auch für Langzeit-Arbeitslose wie          das »bfi« an einem dreimonatigen »Job-Coa-        Tirol. 1995 wurde ich obdachlos und soff lei-
mich. Auf der anderen Seite jedoch steigt auch    ching« teilnehmen. Eine sehr nette Dame           der bereits wie ein Loch. So stand ich bald da,
                                                                                                    ohne Erspartes. Außer der Schaustellerei
                                                                                                    konnte ich keine Arbeit mehr ausüben. Da
                                                                                                    bekam ich jedoch nur einen Mindestlohn. Für
                                                                                                    eine Wohnung reichte es auf keinen Fall. Doch
                     »Das Arbeitslosengeld soll dauerhaft                                           dann ging es bergauf in meinem Leben: Im
                                                                                                    Jahr 2005 habe ich dann den Kupfermuckn-
                     auf mindestens 70 Prozent des Letztbezuges                                     Verkauf als zweite Einnahmequelle entdeckt.
                     angehoben werden.« Christian Winkler                                           Auch im Trödlerladen bekam ich die Chance,
                                                                                                    beim Übersiedeln mitzuhelfen. Über das AMS
                                                                                                    machte ich dann den Staplerschein. Und über
der Druck, den das Arbeitsmarkt-Service und       nimmt sich da meiner liebevoll an. Das ist        den Sozialverein B37 bekam ich 2008 einen
(möglicherweise auch bald – über Gesetzes-        sehr wohltuend und beruhigend, und so habe        Platz in einer betreuten Wohngemeinschaft.
änderungen) die Bundesregierung auf Men-          ich einen guten Grund, doch zumindest für         2009 machte ich einen Alkoholentzug in Bad
schen, die aktuell nicht in einem Dienstver-      diese Zeit mit ihr – und halt dann auch mit       Hall und blieb viele Jahre trocken. Einmal
hältnis stehen wieder deutlich an. Den ver-       dem AMS – zu kooperieren (und mich nicht          hatte ich noch einen Rückfall. Der liegt sieben
schärften Druck vom AMS her habe ich selbst       wieder gleich abzumelden). Eine weitere           Jahre zurück. Von 2013 bis 2014 bekam ich
jetzt auch schon mitbekommen: Der von mir         »Wohltat«: Es gibt seit heuer in Oberöster-       eine Anstellung als Küchengehilfe und dann
über die Jahre immer wieder geübten Praxis,       reich einen neuen Beruf, der nennt sich »All-     einen sicheren Job als Lagerarbeiter. Nach
mich nur eine oder maximal zwei Wochen im         tagsbegleiterIn«. Zu diesem neuen Beruf gibt      Corona war ich kurz arbeitslos. Ich suchte
Monat beim Arbeitsmarkt-Service als »jobsu-       es auch eine Ausbildung, die das Land Ober-       wieder weiter. Derzeit arbeite ich über das
chend« zu melden, soll anscheinend ein Rie-       österreich bezahlt. Dieser Beruf – und die        FAB als Küchengehilfe in der »offenen Kan-
gel vorgeschoben werden. Das AMS sieht            Ausbildung – hat nun mein echtes Interesse        tine« in Urfahr. Gandhi
diese meine Praxis als »vermittlungserschwe-      geweckt. Ich möchte diese dreimonatige Aus-
rend« an, und mir wurde schon angekündigt,        bildung gerne machen und habe mich auch
dass bei jeder zukünftigen Wieder-Abmel-          schon zu einem entsprechenden Info-Abend
                                                                                                    Derzeit bin ich nicht vermittlungs-
dung geprüft würde, ob der Grund dafür nicht      angemeldet. »Werma schaun, vielleicht wird        fähig, da ich zu instabil bin
in der Verweigerung einer anstehenden Ar-         das was?« Ich danke auf jeden Fall den Mitar-
beitsaufnahme besteht. In dem Fall könnte         beitenden des AMS, dass es nicht nur Druck        Insgesamt bin ich trotz meines Alters, ich bin
dann auch eine Sperre nach Paragraph zehn         und Sanktionen, sondern auch »Wohltaten«          erst 29 Jahre alt, seit 14 Jahren immer wieder
(wieder acht Wochen) verhängt werden. Im          und Chancen für mich über hat. Johannes           Klientin des AMS. Für einen Außenstehenden

                                                                                                                        04/2022                  5
klingt das wahrscheinlich nicht besonders er-
                                                                                              baulich. Wer jedoch meine Lebensgeschichte
                                                                                              kennt, mit all den Misshandlungen, der nickt
                                                                                              vielleicht verständnisvoll. So haben das AMS
                                                                                              und ich schon eine lange Geschichte mitein-
                                                                                              ander. Unterschiedliche Kurse und Pro-
                                                                                              gramme habe ich dort schon absolviert wie
                                                                                              etwa der »Wiedereinstieg ins Berufsleben«.
                                                                                              Ich habe zwar fünf Mal hintereinander eine
                                                                                              Lehre begonnen, diese jedoch nie abgeschlos-
                                                                                              sen. Das liegt nicht daran, dass ich etwa faul
                                                                                              oder dumm wäre. Ich habe bloß keine Kraft,
                                                                                              etwas über einen längeren Zeitraum durchzu-
                                                                                              ziehen. Meine unverarbeiteten Kindheitstrau-
                                                                                              mata blockieren alles in meinem Leben. Mein
                                                                                              AMS-Betreuer meinte letzthin, ich sei psy-
                                                                                              chisch instabil. Das hat er richtig erkannt. In
                                                                                              diesem Zustand hätte wohl kein Chef Freude,
                                                                                              mich zu sehen. Derzeit beginne ich mit dem
                                                                                              »Stand-Up«, einem Programm des Vereins
                                                                                              Promente. Das erspart mir nun den Weg zum
                                                                                              AMS. Leider habe ich nur einen Pflichtschul-
                                                                                              abschluss. Was wird wohl die Zukunft mit
                                                                                              sich bringen? Jasmin

                                                                                              Auch für meine Betreuer ist es
Drohende Streichung des Zuverdienstes zum AMS-Geld                                            nicht einfach, mich zu vermitteln
Manfred (54 J.) erhält ein Arbeitslosen-        Durch die Unterstützung bei der Existenzsi-   Ich war bis ins Jahr 2005 mit großer Freude
geld von 717 Euro im Monat. Im »Tröd-           cherung – wie sie in der Tagesstruktur der    am Bau tätig. Dieser Beruf war einfach groß-
lerladen« des Vereines Arge für Obdach-         Wohnungslosenhilfe des Landes OÖ vorge-       artig. Leider wurden mein Kreuz und meine
lose gibt es die Möglichkeit der tageweisen     sehen ist –, konnte er wieder eine eigene     Knie immer schlechter. Schließlich wurden
Beschäftigung für wohnungslose Men-             Wohnung finden und nun auch wieder den        meine Beschwerden so massiv, dass ich meh-
schen in Oberösterreich. Diese können bis       Zugang zum Arbeitslosengeld erhalten.         rere Monate in den Krankenstand musste und
zur Geringfügigkeitsgrenze (im Jahr 2021                                                      nicht mehr am Bau arbeiten konnte. Beim
sind das 475,86 Euro im Monat) zum Ar-          Keine Chance ohne Trödlerladen                AMS war man sehr um mich bemüht. Ich be-
beitslosengeld dazuverdienen.                                                                 kam Schulungen, doch leider keinen Job. Es
                                                Ohne die Unterstützung durch den Trödler-     kam so weit, dass man mir am AMS mitteilte,
Manfred absolvierte die Hotelfachschule in      laden wäre Manfred dauerhaft aus allen so-    ich soll um die Pension ansuchen. Ich dachte,
Bad Leonfelden und war 24 Jahre im Gast-        zialen Sicherungssystemen gefallen und so     das sei unmöglich, da ich doch noch so jung
gewerbe beschäftigt. Neun Jahre leitete er      in der Obdachlosigkeit geblieben. Nun         war. Doch schließlich stellte ich einen Antrag.
selbständig Lokale in Salzburg. Eine Schei-     macht er eine Ausbildung an der FH St. Pöl-   Nach einem halben Jahr wurde mir die I-Pen-
dung, Rückgang der Geschäftszahlen und in       ten zum Sozialarbeiter und hofft so, am Ar-   sion für ein Jahr zugesagt. Das Jahr verging.
der Folge ein Burnout warfen den Gastrono-      beitsmarkt wieder eine Chance zu erhalten.    Dann wieder dieselbe Prozedur: Ansuchen
men aus der Bahn. Zur Überwindung des           Eine Beschäftigung im Gastgewerbe kann er     und Untersuchungen. Wieder bekam ich die
Burnouts ging er ins Franziskanerkloster in     – wie oben beschrieben – nicht mehr anneh-    I-Pension für zwei Jahre. Danach beschlossen
Salzburg und blieb dort einige Jahre. Als       men. 51 Prozent (im Jahr 2020) der tage-      die Herren von der PVA, ich sei wieder ar-
seine Mutter im Jahr 2017 pflegebedürftig       weise Beschäftigten im Arge-Tröderladen       beitsfähig. Für mich nicht nachvollziehbar,
wurde, kam er zurück nach Linz und mel-         leben von AMS Geldleistungen (Arbeitslo-      nach einem fünffachen Bandscheibenvorfall
dete sich wieder arbeitssuchend. In die Gas-    sengeld, Notstandshilfe) und nutzen die Zu-   und dem Glasauge, welches ich seit dem
tronomie wollte er wegen der Arbeitsum-         verdienstmöglichkeit. Die Tagesstruktur       sechsten Lebensjahr habe. Neuerdings spielt
stände, die ihn in ein Burnout brachten und     stellt einen wichtigen Bereich der Woh-       auch mein rechtes Auge nicht mehr mit. Nun
der Angst vor der Suchterkrankung nicht         nungslosenhilfe dar. Gemeinsam gelingt        stehe ich wieder vor den Toren des AMS. Es
mehr zurück. Es wurden ihm aber nur Stel-       dann sehr oft die Integration im Bereich      ist mühsam und peinlich. Nun mache ich fünf
len im Gastgewerbe angeboten. So meldete        Wohnen und somit oft auch im Bereich Be-      Eigenbewerbungen pro Woche und bekomme
er sich zeitweise vom AMS-Bezug ab und          schäftigung am ersten Arbeitsmarkt. So        immer Absagen. Auf jeden Fall möchte ich an
landete sogar in der Obdachlosigkeit. Unter-    kann der Teufelskreis: »Keine Arbeit, keine   dieser Stelle den Angestellten vom AMS, die
stützung erhielt er schließlich im Arge Tröd-   Wohnung – keine Wohnung, keine Arbeit«        bis jetzt für mich zuständig waren, einmal in
lerladen, bei dem er tageweise bis zur Ge-      immer wieder durchbrochen werden. Foto        aller Deutlichkeit sagen, dass ich ihre Arbeit
ringfügigkeitsgrenze dazuverdienen kann.        und Text: hz                                  sehr zu schätzen weiß. Hermann
6                 04/2022
AMS-Leistungs-Sperren mit fatalen Folgen
Sozialarbeiter von WIEWO des Vereins Arge für Obdachlose fordern mehr Verhältnismäßigkeit

Die Sozialarbeiter von WIEWO äußern
den dringenden Wunsch nach mehr Ver-
hältnismäßigkeit und einer besseren Zu-                                                            Reaktion der begleitenden Sozialar-
sammenarbeit zwischen Behörden und So-                                                             beiter und Sozialarbeiterinnen:
zialarbeit. Die nachfolgenden Fälle skizzie-
ren, wie schmerzhaft AMS-Leistungssper-                                                            »In der Beratung erleben wir solche Bei-
ren sein können. Die davon betroffenen                                                             spiele wöchentlich«, konstatiert Wolfgang
Klienten werden derzeit alle von WIEWO                                                             Heller, Sozialarbeiter von WIEWO.
begleitet und leben in Übergangswohnun-                                                            Grundsätzlich könne man davon ausgehen,
gen in Linz.                                                                                       dass niemand freiwillig wohnungslos ist.
                                                                                                   Die Hilfesuchenden wünschen sich nichts
Herr G. 62 Jahre                                                                                   lieber, als ihr Leben wieder in den Griff zu
                                                                                                   bekommen. »Viele Klienten haben soziale
Herr G. war in der Notschlafstelle Linz unter-                                                     Defizite und sind psychisch sehr belastet.
gebracht und bewohnt seit kurzem eine Über-                                                        Sie haben oft lange keinen fixen Platz, wo
gangswohnung. Laut eigenen Angaben hat er         nat keine Miete bezahlen. Logischerweise ist     sie sich um ihre Angelegenheiten küm-
seine Adressenänderung nach dem Umzug te-         er auch nicht fähig, seine Grundbedürfnisse      mern können«, ergänzt der Sozialarbeiter.
lefonisch beim AMS bekannt gegeben. Eine          aus eigener Kraft zu befriedigen. Auch er        Im Fall von Herrn G. oder Herrn H. lässt es
Termin-Information wurde jedoch an die Not-       läuft Gefahr, gleich wieder wohnungslos zu       sich nicht mit Sicherheit nachvollziehen,
schlafstelle geschickt, welche Herr G. somit      werden!                                          bei wem der Fehler gelegen ist. Herr F. und
nicht erhalten hat. Auf unsere Anfrage beka-                                                       Herr K. hätten schlichtweg eine Verpflich-
men wir zu Antwort, dass er seine Adresse         Herr H. 23 Jahre                                 tung nicht geschafft. Die Folgen für alle
nicht geändert hat. Als Folge wurde er als                                                         sind nicht nur verhältnismäßig hart, son-
»AMS suchend« abgemeldet und sein An-             Herr H. hat während der Phase seines Einzugs     dern existenzbedrohend!
spruch auf Sozialhilfe wurde gestrichen.          in die Übergangswohnung einen Beratungs-
                                                  termin telefonisch angenommen und auf einen      Forderungen von WIEWO:
Folgen: Herr G. hatte mindestens zwei Wo-         Anruf gewartet. Wie es sich herausstellte,
chen kein Einkommen. Er wurde beim AMS            hätte er aber anwesend sein sollen. Ein Gutha-   Falls es tatsächlich notwendig ist, restrik-
wieder neu angemeldet und musste einen            ben auf seinem Handy war nicht vorhanden.        tive Maßnahmen zu setzen, wäre es sehr
neuen Sozialhilfe-Antrag inklusive einer Be-      So hat er sich leider erst zu spät beim AMS      hilfreich, dies gestaffelt zu tun und nicht
schwerde gegen die Einstellung Mitte Jänner       gemeldet und nachgefragt, warum sich nie-        gleich mit voller existenzbedrohender
eingebringen. Dieser wurde noch nicht bear-       mand gemeldet hat.                               Härte zu bestrafen. So könnte zuerst ein-
beitet. Somit hat Herr G. seit Jänner 2022 kein                                                    mal eine Verwarnung ausgesprochen wer-
Einkommen mehr. Er muss jedoch seine Miete        Folgen: Zwei Wochen AMS-Sperre und ein           den, bevor es zu einer mehrwöchigen
bezahlen und läuft nun wieder Gefahr, erneut      Monat kein Geld für Essen und Grundversor-       Sperre der Leistungen kommt. Weiters
wohnungslos zu werden. Aus eigener Kraft          gung.                                            wäre es – systemisch betrachtet -, sehr hilf-
kommt er derzeit nicht durch. Wie das Ganze                                                        reich, wenn die Behörden näher mit den
ausgeht, ist ungewiss!                            Herr K. 47 Jahre                                 vorhandenen Sozialarbeitern und Sozialar-
                                                                                                   beiterinnen zusammen arbeiten würden.
Herr F. 41 Jahre                                  Herr K. bewohnt schon seit einiger Zeit eine     So könnten diese etwa bei Problemen ver-
                                                  Übergangswohnung. Er hat eine Bewerbung          ständigt werden und als unterstützendes
Herr F. war bis vor kurzer Zeit noch woh-         übersehen und ist dieser somit nicht nachge-     Bindeglied zwischen den Behörden und
nungslos. Nun lebt er in einer Übergangswoh-      kommen.                                          dem Klientel agieren, was für beide Seiten
nung. Im Zeitraum seiner Übersiedlung hat er                                                       positive Auswirkungen haben könnte.
aufgrund seiner Wohnungslosigkeit eine Be-        Folgen: Sechs Wochen AMS-Sperre! Er kann         »Aktuell ist die Realität leider so«, betont
werbung übersehen und es nicht geschafft,         mindestens einen Monat seine Miete nicht be-     Heller, »dass wir im Auftrag der OÖ Lan-
dieser fristgerecht nachzukommen.                 zahlen. Auch ihm droht erneut die Gefahr,        desregierung unsere Klienten dabei unter-
                                                  wohnungslos zu werden. Es wird mindestens        stützen sollen, wieder ein aktives Mitglied
Folgen: Sechs Wochen AMS-Sperre! Ein-             drei Monate dauern, bis er seinen Mietrück-      unserer Gesellschaft zu werden und die
spruch abgelehnt! Herr F. ist gerade in die       stand beglichen hat. In diesem Zeitraum ist er   strengen Maßnahmen der Behörden (letzt-
Wohnung eingezogen und um Stabilisierung          aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage,        endlich der Politik) selbigen Versuch kon-
bemüht, kann jedoch mindestens einen Mo-          seine Grundbedürfnisse selbst zu befriedigen!    terkarieren.« Text: WIEWO
                                                                                                                     04/2022                  7
Hilfreiche Begleitung zu Ämtern und Behörden
Neues Projekt des »Unabhängigen LandesFreiwilligenzentrums« in Kooperation mit der Armutskonferenz

                                         Mit dem neuen Projekt »Mitgehen« bietet das
                                              Unabhängige LandesFreiwilligenzentrum
                                            hilfreiche Begleitung an. (Foto: dieziwi.at)

   »Mitgehen« ist ein Projekt der       gewünscht, der mich begleitet.
   Armutskonferenz, des »Unab-          Doch das war nicht möglich, da
   hängigen LandesFreiwilligen-         oft keiner Zeit hatte, oder ich
   zentrums« und der Plattform          mich geschämt habe, jemanden
   »Gemeinsam gegen Armut und           zu bitten damit er mich begleitet.
   Ausgrenzung«.                        Solche Erfahrungen zeigen, dass
                                        es für alle Seiten positive Auswir-
   Viele Menschen, die in prekären      kungen haben kann, wenn Men-
   Lebenslagen sind, erleben oft Si-    schen in schwierigen Lebenslagen
   tuationen, in denen sie sich ab-     bei derartigen Gängen begleitet
   wertend und auch ungerecht be-       werden. Eine Begleitperson wirkt
   handelt fühlen. Termine auf Äm-      oft deeskalierend und gibt der be-
   ter und Behörden, aber auch bei      gleitenden Person das Gefühl der
   Ärzten, in Krankenhäusern oder       Sicherheit. Viele Betroffene haben
   bei Gutachtern können ein Gefühl     aber nicht die Möglichkeit, bei so-
   der Beschämung auslösen, das an      zialen Einrichtungen oder Peers
   Betroffenen nicht spurlos vorü-      eine Begleitung anzufragen. Darü-
   bergeht. Diese Erfahrungen füh-      ber hinaus führen prekäre Lebens-
                                                                                           Ablauf bei ULF
   ren zu Stress und gesundheitli-      lagen häufig zur sozialen Isola-
   chen Belastungen. Viele Men-         tion, wodurch es auch an Freunden                  Wie kommt man zu einer Begleitung?
   schen, die zum Beispiel durch        oder Bekannten fehlt, die man                      1. Betroffene geben dem »Unabhängigen LandesFreiwilligen-
   Arbeitslosigkeit, Armut oder eine    diesbezüglich um Unterstützung                         zentrum« (ULF) persönlich, telefonisch oder per E-Mail ihren
   sichtbare Behinderung benachtei-     bitten könnte.                                         Mitgeh-Wunsch bekannt: Termin, Dauer, Zweck, Treffpunkt,
   ligt sind, machen häufige und an-    Ich selber habe die Erfahrung des                      Kontaktdaten für Rückfragen.
   dauernde Beschämungserfahrun-        Begleitens gemacht. Ich bot                        2. Der Mitgeh-Wunsch (Termin, Ort, Treffpunkt und Zweck)
   gen.                                 Freundinnen an, sie zu Stellen zu                      wird von ULF an die Freiwilligen ausgeschrieben.
   Auch ich muss sagen, dass ich        begleiten, wo sie sich nicht aus-                  3. Ein Freiwilliger meldet sich für die Begleitung des Termins
   mich oft nicht sehr wohl gefühlt     kannten oder einfach Angst hat-                        an. ULF bestätigen dem Freiwilligen und der Person mit
   habe, wenn ich als Bittstellerin     ten vor dem nächsten Termin, da                        Mitgeh-Wunsch Termin und Treffpunkt.
   wieder einmal zum Amt musste.        sie zuvor beschämt wurden. Al-                     4. Treffpunkt ist maximal eine Stunde vor dem Termin an einem
   Meistens wurde ich beschämt mit      leine durch meine Anwesenheit                          konsumfreien Ort. Betroffene haben so die Möglichkeit, den
   den Worten: »Was wollen Sie          wurde mit den Frauen oftmals an-                       Freiwilligen zu schildern, was ihnen bei der Begleitung be-
   denn schon wieder hier« konfron-     ders umgegangen. Die Menschen,                         sonders wichtig ist und in welcher Form sie sich eine Unter-
   tiert. Na, was wohl, wenn ich        die gegenübersaßen wurden                              stützung erwarten. Auch die Freiwilligen können anhand ei-
   beim Sozialamt war? »Geld na-        freundlicher und wir hatten nicht                      ner von ULF zur Verfügung gestellten Checkliste Fragen
   türlich, das ich brauchte, um mein   mehr so ganz das Gefühl eines                          stellen.
   Leben einigermaßen bestreiten zu     ungeliebten Bittstellers.                          5. Gemeinsam geht‘s zum Termin.
   können.« Oder im Krankenhaus,        Darum startete das Projekt »Mit-                   6. Im Anschluss wird das Gespräch noch kurz gemeinsam re-
   als ich noch keine E-Card hatte:     gehen«, bei dem Freiwillige Be-                        flektiert.
   Ich kam mir vor, als wäre ich ein    troffene zu Ämtern, Gesundheits-
   Patient dritter Klasse, obwohl es    einrichtungen, Schulen, Vermie-                    ULF ist das Kompetenzzentrum für freiwilliges Engagement in
   das ja anscheinend schon lange       tern, Arbeitgebern und vielem                      OÖ. Es motiviert Menschen dazu, freiwillig tätig zu sein und
   nicht mehr gibt. Ich hätte mir zu    mehr, was benötigt wird, beglei-                   begleitet sie bei ihrem Engagement.
   dieser Zeit oft einmal jemanden      ten. Text: Sonja
   8                 04/2022
Crashkurs
                             -Technik
Im Rahmen des Kulturprojekts »Street Art – Soziale Randgruppen
ins Bild setzen«, einer Initiative des Förderprogramms »LINZim-
PULS 2021«, haben die Aktivisten von Mural Harbor gemeinsam
mit der Kupfermuckn einen Workshop zum Thema »Stencil-Tech-
nik« angeboten. Mit großem Engagement und Kreativität wurden
in der Schablonen-Technik, welche u.a. durch den Künstler Banksy
bekannt geworden ist, kleine Kunstwerke geschaffen. Der Work-
shop war ein weiteres Puzzle-Teil eines umfangreichen Projektes,
das in den kommenden Wochen und Monaten mit weiteren Aktio-
nen fortgesetzt wird. Fotos: cw
Solidarität mit wohnungslosen Menschen
1.100 Menschen in Wohnungsnot finden beim Verein »Arge für Obdachlose« Unterstützung

Die fünf Projekte des Vereines »Arge für Obdachlose« bieten Un-
terstützung durch Hilfe zur Beschäftigung und Hilfe zum Wohnen
                                                                                               Hilfe durch Beschäftigung im Arge Trödlerladen
in Linz sowie Delogierungsprävention im Mühlviertel an. Trotz der                              Der Trödlerladen schlägt drei Fliegen auf einen Schlag. Es gibt Be-
schwierigen Arbeitsbedingungen im zweiten Corona-Jahr fanden                                   schäftigung für Wohnungslose, wir tun etwas für den Umweltschutz
1.100 Menschen Hilfe in akuter Wohnungsnot. Wichtig war für uns                                in Linz, und wir bieten ein günstiges Warenangebot für sozial benach-
der Schutz der oft gesundheitlich angeschlagenen Klienten, aber                                teiligte Menschen an. Im Jahr 2021 arbeiteten 166 Personen im Tröd-
auch der Schutz der Bevölkerung. Es wurden tausende Masken                                     lerladen mit. Diese konnten 35.957 Stunden beschäftigt werden. Bei
verteilt und mehrere Impftermine mitorganisiert. Dadurch konn-                                 105 Haus- und Wohnungsräumungen und knapp 300 kleineren Abho-
ten sogenannte »Cluster« in der Wohnungslosenhilfe weitgehend                                  lungen wurden sehr viele Möbel, Elektrogeräte, Geschirr, Kleidung
vermieden werden. So konnten unsere Hilfsangebote alle aufrecht                                und anderer Hausrat abgeholt und ins Lager in die Goethestraße 93
erhalten werden, denn auch die Wohnungslosigkeit kennt keinen                                  gebracht und wieder in den Warenkreislauf geschickt. Dort wurden
Lockdown. Durch die großzügige Unterstützung der Bevölkerung                                   die Waren sortiert. Vieles wurde wiederverwendet, was ansonsten
auf unsere Spendenaufrufe konnten wir viele Wohnungslose in                                    einfach entsorgt worden wäre. Nach der Aufbereitung in unseren
Existenznöten unterstützen. Dafür herzlichen Dank.                                             Werkstätten wurden viele Möbel, Elektrogeräte, Geschirr, Textilien
                                                                                               und Bücher in die Geschäftslokale Goethestraße 93 und Bischofstraße
                                                                                               7 gebracht und dort zum Kauf angeboten. Somit bieten wir ein güns-
                                                                                               tiges, breit gefächertes Warenangebot an. Trotz der Schließzeiten des
                                                                                               Geschäftes während des Lockdowns konnten wir vielen Menschen
                                                                                               eine Beschäftigung geben.

                                                                                               Markus (46) arbeitet im Trödlerladen
                                                                                               Seit zwei Jahren arbeitet Markus im Trödlerladen meistens drei halbe
                                                                                               Tage in der Woche. »Hauptsächlich gibt es Arbeit bei Wohnungsräu-
                                                                                               mungen, aber auch in der Möbelhalle, beim Recycling oder in der Elek-
                                                                                               trowerkstatt«, erzählt Markus: »Da ich in der Landesfeuerwehrschule
                                                                                               früher eine Schadstoffausbildung absolviert habe, bin ich einmal in der
                                                                                               Woche bei der Sondermüllsortierung eingeteilt. Vom Putzmittel bis zu
                                                                                               Altlacken fallen verschiedene gefährliche Stoffe bei den Wohnungsräu-
                                                                                               mungen an, die sortiert und über die Linz AG entsorgt werden müssen.
                                                                                               Bei den Entsorgungsfahrten holen wir auf der Rückfahrt Elektrogeräte
                                                                                               wie etwa die Waschmaschinen oder Herde ab, die wir reparieren, über-
                                                                                               prüfen und günstig an Bedürftige abgeben. Ich bin gelernter Koch, war
                                                                                               dann aber auch fünf Jahre bei einer Bestattung tätig. Ich war verheiratet
                                                                                               und hatte ein geregeltes Leben. Nach der Scheidung und einer neuerli-
                                                                                               chen Beziehung, die nicht lange hielt, zog ich nach Wien. 17 Jahre lang
                                                                                               arbeitete ich mal hier, mal dort und war gerade vier Monate arbeitslos,
                                                                                               als ich nach Linz zog. Bei meinem Freund Robert konnte ich vorüber-
                                                                                               gehend wohnen. Er arbeitete bereits im Trödlerladen, und so kam ich
                                                                                               auch zu meiner Beschäftigung. Besonders hat mir geholfen, dass ich
                                                                                               dadurch auch zum Projekt Wieder Wohnen kam und im August vorletz-
                                                                                               ten Jahres in eine Übergangswohnung ziehen konnte. Mit dem Arbeits-
                                                                                               losengeld komme ich nicht aus, aber mit dem Zuverdienst vom Trödler-
                                                                                               laden kann ich relativ bescheiden leben. Wegen eines Bandscheibenlei-
                                                                                               dens kann ich als Koch nicht mehr einen ganzen Tag lang in der Küche
                                                                                               stehen. Ich könnte mir vorstellen, wieder im Bereich Bestattung oder
                                                                                               als Straßenbahnfahrer zu arbeiten. In der Zwischenzeit bin ich über die
                                                                                               Arbeit im Trödlerladen froh. Das Leitungsteam ist für die Leute da, und
                                                                                               man kann mit jedem Anliegen kommen. Wenn man sich bewährt, dann
 Oben: Team Trödlerladen: Gerhard Gahleitner, Stefan Ortmayr, Matthias Öhler, Birgit Hinter-
                                                                                               gibt es auch verantwortungsvollere Aufgaben. In letzter Zeit war ich bei
       berger, Manuel Wiesinger, Hans Hattmannsdorfer, Johannes Kaser, Sabine Mair
                                                                                               der 2-G-Kontrolle an den Verkaufstagen eingeteilt und über die WieWo
  Unten: Beschäftigung für Markus bei einer Wohnungsräumung, Fotos: Arge Trödlerladen
                                                                                               spare ich gerade auf die Kaution für eine eigene Wohnung an.«
10                      04/2022
sich heraus, dass sie trotz langjähriger Tätigkeit als Kellnerin und guten
Arge Sie: Beratung und Wohnen für Frauen                                       Deutschkenntnissen in Wort und Schrift, die Voraussetzungen für eine
Der Verlust einer Wohnung heißt für viele Frauen nicht nur auf der             Anmeldung bei Genossenschaftswohnungen nicht erfüllte. Grund dafür
Straße zu stehen, sondern auch den Schutz und die Sicherheit, die eine         war das fehlende A2-Sprachzertifikat. Glücklicherweise konnten wir
eigene Wohnung bietet, zu verlieren. Besonders belastend ist ein Woh-          Frau K. und ihren beiden Kindern eine Übergangswohnung vermitteln.
nungsverlust für alleinerziehende Frauen und Schwangere, da sie die an         Im Zuge der Intensivbegleitung wurde gemeinsam mit der Klientin ihre
sich selbst gesetzten Erwartungen, ein sicheres zu Hause für sich und          wirtschaftliche, soziale, gesundheitliche und persönliche Situation auf-
ihre Kinder zu bieten, nicht erfüllen können. Auch die Altersarmut ist         gearbeitet. Dazu zählten unter anderem auch die Organisation und
ein besonders hervorstechendes weibliches Schicksal auf Grund der              Kostendeckung der Sprachprüfung. Um die erlebte Gewalt aufzuarbei-
gegenüber Männern um 42 Prozent niedrigeren Pension bei Frauen. Im             ten, wurde Frau K. das Angebot einer kostenlosen Psychotherapie auf-
Jahr 2021 konnten wir 181 Frauen mit unserem Angebot erreichen. Wir            gezeigt. Beruflich will sie sich verändern, da die Arbeitszeiten in der
bieten Unterstützung, einerseits durch Beratung und andererseits durch         Gastronomie für die alleinerziehende Mutter eine nicht zu bewälti-
Intensivbegleitung in neun Übergangswohnungen an. Unser Angebot                gende Herausforderung sind. Sie möchte eine Umschulung zur Pflege-
umfasst Klärung, Information und Hilfestellung bei der Wohnungs- so-           helferin machen. Frau K. ist bereits mit dem AMS und mit einer Impla-
wie Arbeitssuche, bei finanziellen und sozialen Angelegenheiten, psy-          cement-Stiftung in Kontakt. So blickt sie zuversichtlich in die Zukunft.
chischen und gesundheitlichen Problemen und bei der Weitervermitt-
lung an andere soziale Einrichtungen. Darüber hinaus vergeben wir
Meldeadressen, damit die Frauen gesetzliche Ansprüche geltend ma-
chen können und so eigenständiges Wohnen mit diesem Schritt der
Existenzsicherung erst realistisch wird.

Frau K. »Ich habe mich so geschämt«
Angst, Hilflosigkeit, Verzweiflung, keine Zukunftsperspektiven, so
lässt sich die Gefühlslage von Frau K. beschreiben, als sie zu uns in die
Beratung kommt. Sie ist Mutter von zwei kleinen Kindern im Alter von
zwei und vier Jahren. Bis im Frühjahr letzten Jahres lebte sie mit ihrem
Mann in einer 80 m² Wohnung. Dann verlor er den Job. Die dadurch
aufkommenden Existenzängste versuchte er mit Alkohol zu verdrän-
gen. Es kam vermehrt zu Streitigkeiten. Schließlich rastete er aus, zog
sie an den Haaren und schlug sie das erste Mal. Sie war völlig perplex,
dass ihr das alles passiert. Sie schämte sich und fühlte sich völlig hilflos
und ohnmächtig. Seit diesem Vorfall kam es regelmäßig zu körperlicher
Gewalt, Abwertungen und Beschimpfungen. Als Frau K. diese Situa-
                                                                                   Oben: Arge Aktivprogramm – Besuch in der Indoor-Galerie von Mural Harbor, Foto: dw
tion nicht mehr länger ertragen konnte, flüchtete sie mit ihren Kindern
                                                                                    Unten: Team Arge Sie: Melanie Wagner, Marlene Babila, Karin Falkensteiner, Foto: hz
und lediglich zwei Koffern zu einer Freundin. In der Beratung stellte
                                                                                                                                        04/2022                           11
Team WieWo: Isabella Gabauer, Wolfgang Heller,
                                                                               Lisa Wölfel und Marianne Huber, Foto: hz

                                                                               aufrecht zu halten. Weiters waren 60 Männer durchschnittlich drei bis
                                                                               sechs Monate bei uns nach dem Meldegesetz gemeldet. Wir beraten diese
                                                                               in Fragen der Existenzsicherung, rechtliche Ansprüche und unterstützen
                                                                               sie bei der Suche einer Wohnmöglichkeit und bei der Wohnungsfinanzie-
                                                                               rung. Die Gründe, warum man wohnungslos wird, sind sehr unterschied-
                                                                               lich und vielfältig: Verlust von Arbeit, Trennung oder Scheidung, psychi-
                                                                               sche oder physische Erkrankungen, mangelnde soziale Kontakte, feh-
                                                                               lende finanzielle Ressourcen, Mietrückstände oder Delogierungen. Meist
                                                                               spielen mehrere Faktoren zusammen.

                                                                               Durch die Betreuung fühlte sich alles nicht mehr so schwer an.
                                                                               Kalte Nächte, sinnlose Tage, soziale Isolation und Zukunftsängste. So
                                                                               beschreibt der 35-jährige Herr J. seine Zeit in der Wohnungslosigkeit.
                                                                               „Als ich zur WieWo in die Beratung bin, war ich schon seit Monaten
                                                                               ohne Wohnung. Die Nächte verbrachte ich in Notschlafstellen, die Tage
Arge »Wieder Wohnen« für Männer                                                in Tageszentren. Ich war umgeben von vielen Menschen, vielen Proble-
                                                                               men und wenig Perspektiven. Dies verstärkte auch mein Suchtverhal-
2021 fanden 160 wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte               ten. Für mich war der Kontakt zur Arge WieWo die einzige Möglich-
Männer Unterstützung. Dazu führten wir 107 Erstgespräche inklusive             keit, wieder gesellschaftlich Fuß zu fassen. Es dauerte nicht lange, und
Beratung, Information und Vermittlung. 49 Männer konnten im Rahmen             ich konnte bald in meine Übergangswohnung ziehen. Damals bezog ich
unserer mobilen Wohnbetreuung begleitet werden. Im Jahr 2021 standen           noch AMS-Geld. Um mein Einkommen zu verbessern, arbeite ich ein
uns 21 Übergangswohnungen vom »Verein Wohnplattform« und zwei                  paar Mal die Woche im Arge Trödlerladen mit. Als besonders positiv
vereinsinterne Wohnungen zur Verfügung. Die Männer, die in diese Woh-          möchte ich die Betreuung der Sozialarbeiter nennen. Sie halfen mir,
nungen einziehen, werden durch regelmäßige Gespräche und Hausbesu-             einen Überblick über meine Angelegenheiten zu gewinnen und unter-
che von uns begleitet. In dieser Begleitung sind vor allem Themen wie          stützen mich, meine Probleme zu bewältigen. Dadurch haben sich
Arbeit, Gesundheit, Auskommen mit finanziellen Mitteln, Schuldenregu-          Dinge oft weniger schwer angefühlt. Im Sommer 2021 fand ich eine
lierung, Kontakte zu Ämtern und Behörden, Beziehungen und das Ziel             Arbeit. Ich bin froh, dass der Druck und Stress mit dem AMS endlich
einer eigenen Wohnung von zentraler Bedeutung. Zusätzlich haben wir            weg ist und ich finanziell stabiler bin. Wenig später konnte ich dann
ein vielfältiges Aktivitäten- und Freizeitangebot. Vielen Klienten bleiben     auch in eine eigene Genossenschaftswohnung ziehen. Zum Glück habe
die positiven Gruppenerlebnisse in Erinnerung. Nach ein bis eineinhalb         ich gemeinsam mit WieWo einiges angespart und mir so die Einzugs-
Jahren beziehen die meisten eine eigene Wohnung von einer Genossen-            kosten leisten können. Die eigene Wohnung und mein Job in der Gastro
schaft. Nach Bedarf bieten wir eine Nachbegleitung von bis zu einem            geben mir Sicherheit und Selbstvertrauen. Zudem möchte ich erwäh-
Jahr an. Trotz der angespannten Situation der COVID-19-Pandemie ist es         nen, dass ich auch schon über ein Jahr nüchtern bin. Mein Plan ist es,
uns auch im Jahr 2021 gelungen, das Angebot für wohnungslose Männer            den Privatkonkurs zu starten, um meine Schulden zu regulieren.«

                                                                               Die Straßenzeitung Kupfermuckn
                                                                               Unser 25-Jahres-Jubiläum in Zeiten der Pandemie fühlt sich an wie
                                                                               »Liebe in Zeiten der Cholera«, um es mit den Worten von G. Márques
                                                                               zu beschreiben, denn wir konnten nicht feiern. Dafür aber gab es High-
                                                                               lights wie etwa ein Städte-Urlaub nach Graz für unsere Redakteure oder
                                                                               neue T-Shirts für unsere Verkäufer. Zum Jubiläum führten wir eine Le-
                                                                               serbefragung durch. 82 Prozent der Leser sagen: »Die Kupfermuckn
                                                                               bietet eine unabhängige, authentische Berichterstattung.« Zwei Drittel
                                                                               der Leser behaupten, dass sich ihre Einstellung zu sozialen Randgrup-
                                                                               pen verbessert habe. Die Auflagenhöhe betrug im Jahr 2021 monatlich
                                                                               25.000 bis 53.000 Exemplare. Pandemiebedingt ging die Auflage, die
                                                                               vorher doch konstant bei 30.000 lag, etwas zurück. Wichtig ist uns der
                                                                               Schutz der – oft gesundheitlich angeschlagenen – Klienten aber auch
                                                                               der Schutz unserer Leser. So wurden tausende Masken verteilt und ge-
                                                                               nau auf die gesetzlichen Schutzmaßnahmen geachtet. 260 Straßenzei-
                                                                               tungsverkäufer waren in ganz Oberösterreich im Einsatz. Ausgabestel-
                                                                               len gibt es neben Linz auch in Wels (Tageszentrum des Vereins Soziales
         Das Kupfermuckn-Leitungsteam: Christian Wögerbauer, Daniela Warger,
                                                                               Wohnservice), Steyr (Tageszentrum des Vereins Wohnen Steyr) und
             Katharina Krizsanits und Heinz Zauner, Foto: Veronika Saxinger
                                                                               Vöcklabruck (Wohnungslosenhilfe Mosaik).
12                    04/2022
REWO – Delogierungsprävention Mühlviertel
Das Projekt Rewo (regionales Wohnen) bietet seit 2003 Delogie-
rungsprävention im Mühlviertel an. Unsere Beratung ist kostenfrei,
anonym und richtet sich an Personen ab dem 18. Lebensjahr, Paare
sowie Familien. Wir kommen zur Beratung vor Ort, d.h. die Beratung
findet in den Wohnungen der Betroffenen statt. Unser Angebot richtet
sich an Personen, die sich in Wohnschwierigkeiten befinden. In erster
Linie versuchen wir, Delogierungen zu verhindern oder beim Woh-
nungswechsel in rechtlicher und organisatorischer Hinsicht zu bera-
ten. Eine längerfristige Nachbegleitung ist in unserem Angebot ent-
halten, um eine gesicherte Wohn- und Lebenssituation wiederherzu-
stellen. In den Bezirken Perg, Freistadt, Rohrbach und Urfahr-Umge-
bung wurden im letzten Jahr 325 Personen in 156 Haushalten beraten
und begleitet. Bei 101 Haushalten kam es zur Wohnungssicherung,
bei 33 Haushalten zum Wohnungswechsel und 3 Personen kamen in
eine betreute Wohnform. So konnte für 88 Prozent der Hilfesuchen-
den eine Wohnversorgung sichergestellt werden! Trotz der Einschrän-
                                                                                                          Team ReWo: Thomas Springer, Helga Fürlinger-Nagl, Michael Werbik, Foto: hz
kungen durch die COVID-Pandemie fanden unsere Beratungen haupt-
sächlich vor Ort statt. Der Verlust der Arbeit oder zumindest von
Teilen des Einkommens, sowie die sehr niedrigen Sozialleistungen                                  an seine Kinder nicht mehr leisten. Aufgrund von Existenzängsten und
stürzen Menschen in existenzielle Notlagen. Im Jahr 2021 kamen wir                                Panikattacken war eine längere stationäre Behandlung nötig. Nach dem
vermehrt mit Familien in Kontakt. In 41 Prozent, der von uns beglei-                              Wohnungsverlust konnte er bei einem Bekannten unterkommen. Herr
teten Haushalte, lebten Kinder. Bei vielen Familien war das Einkom-                               K. erzählte aus Scham niemandem von seiner prekären Situation. Den
men schon vor der Pandemie knapp. Durch die Pandemie wurde die                                    Kontakt zu Freunden und Familie brach er weitgehend ab. Im August
Situation zusätzlich verschärft. Auch für viele Menschen, die Sozial-                             fand er eine Wohnung und suchte auf Anraten der klinischen Sozialar-
hilfe beziehen, ist die Situation prekär. Trotz steigender Fixkosten                              beiter bei unserem Projekt um Unterstützung bei den Einzugskosten an.
wird nun, durch eine Änderung im Sozialhilfegesetz im Jahr 2020, die                              Mit Hilfe eines Mikrokredits unseres Vereins konnte er die Wohnung
Wohnbeihilfe von der Geldleistung abgezogen.                                                      anmieten. Seine Zahlungsunfähigkeit wollte er zu diesem Zeitpunkt
                                                                                                  noch nicht akzeptieren. Im Rahmen einer intensiven Nachbegleitung
                                                                                                  war Herr K. nach und nach bereit, seine momentane Situation zu akzep-
Corona hat mich meiner Existenz beraubt
                                                                                                  tieren. Er fasste Mut und sprach mit seiner Familie offen über seine
Herr K. hatte als selbstständiger Heilmasseur gearbeitet und keine fi-                            Situation. Diese unterstützt ihn nun mit den Unterhaltszahlungen für
nanziellen Probleme. Aufgrund der COVID-Krise konnte er seiner Tä-                                die Kinder. Er legte sein Gewerbe ruhend, meldete sich beim AMS und
tigkeit nicht mehr nachgehen. Eine Zeit lang lebte er von Ersparnissen.                           fand eine Anstellung als Masseur. Mittlerweile ist er bei der Schuldner-
Er hoffte, dass sich die Situation bald wieder entspannt. Ohne Einkom-                            hilfe in Beratung. Um wieder finanzielle Stabilität zu erlangen, wurde
men sah er sich dann jedoch gezwungen, seine Wohnung samt Praxis zu                               ein Antrag auf Privatinsolvenz gestellt. Herr K. lebt nun sehr reduziert
kündigen. In dieser Situation konnte er auch die Unterhaltszahlungen                              und ist bemüht, sein Leben in den Griff zu bekommen.

                   Links: Sekretariat: Veronika Saxinger; Geschäftsführung:
                           Heinz Zauner und Marion Eberl Foto: dw                                    Verein Arge für Obdachlose,
 Rechts: Vorstand: Margot Schiefermair, Christian Stark, Ernst Gansinger, Elisabeth Paulischin,      Marienstraße 11, 4020 Linz, Tel. 0732/770805,
                Susanne Lammer (Johannes Knipp, nicht auf dem Bild) Foto: hz                         verein@arge-obdachlose.at, www.arge-obdachlose.at

                                                                                                                                                          04/2022                      13
Wenn Bier und Schnaps in rauen Mengen fließen
Kupfermuckn-Redakteure erinnern sich an ihre Rauschgeschichten

Die letzten Bier trank                lich voll. An ein Umfallen war       Tankstelle schon offen hatte. So     Der Rausch machte
                                      nicht zu denken. Mir sollte das      musste ich gleich noch dorthin
ich auf dem Heimweg                   recht sein. So floss ein Bier nach   auf ein paar Bier gehen. Dieses      mich nicht glücklich
                                      dem anderen, und auch ein Be-        trank ich auf dem Nachhause-
Es ist schon fast eine Ewigkeit       such in der Schnapsbar durfte        Weg. Schließlich waren es drei       »Der Kirche« verdanke ich mei-
her, als ich in Grein zum Volksfest   nicht fehlen. Auch der Schnaps       Kilometer Fußmarsch, die ich zu-     nen ersten (und bis jetzt einzigen)
ging. Es war ein Freitagabend und     floss in rauen Mengen bis früh in    rückzulegen hatte. Zu Hause an-      Rausch. Ich war damals für ein
ich machte mich zuerst auf den        die Morgenstunden. Doch irgend-      gekommen, legte ich mich für ein     Jahr Praktikant in einer Pfarre im
Weg zur Tankstelle, um ein paar       wann muss mich die Müdigkeit         paar Stunden nieder. Doch am         22.Bezirk in Wien. Und wir
Bier zu trinken. Denn, vollkom-       dann arg erwischt haben, denn bei    selben Tag ging es am Abend          machten einen Ausflug mit ab-
men nüchtern auf einem Volksfest      Tagesanbruch wurde ich von ei-       gleich wieder weiter, wieder bis     schießendem Heurigen-Besuch.
zu sein, ist langweilig. Gegen 20     nem Mitarbeiter der Schausteller-    in den Morgen des nächsten Ta-       Anscheinend musste ich den
Uhr ging dann die Post ab. Da an      firma geweckt. Noch stockbesof-      ges. Zu dieser Zeit hatte ich kein   Wein, den ich trank, nicht selber
diesem Abend die »Alpenrebel-         fen machte ich mich auf den          Problem mit dem Alkohol, aber        bezahlen, und anscheinend wurde
len« spielten, war das Zelt ziem-     Heimweg. Da sah ich, dass die        ein umso größeres ohne ihn. Leo      mir immer wieder – ziemlich oft
14                  04/2022
– nachgeschenkt … und anschei-
nend habe ich mich auch nicht
(entschlossen genug) dagegen ge-
wehrt: Zum Schluss hatte ich ei-
                                      Testen Sie Ihre Alkoholabhängigkeit
nen ordentlichen Rausch … spä-
ter, zuhause in der Pfarre, musste    Zählen Sie bitte die Punkte neben der Antwort, die Sie gewählt haben, zusammen und
ich dann alles »wiedergeben« (ich     vergleichen Sie diese mit den angegebenen Auswertungsergebnissen.
erspare euch lieber die Details).
Am nächsten Morgen hatte ich
natürlich einen gewaltigen Kater.     1) Wie oft trinken Sie Alkohol?                    monatlich (2)
Wirklich glücklich hat mich diese                                                        wöchentlich (3)
Erfahrung nicht gemacht, zumin-         nie (0)                                          täglich oder fast täglich (4)
dest hatte ich das jetzt auch ein-      weniger als einmal im Monat (1)
mal erlebt und konnte das abha-         zwei- bis viermal im Monat (2)                8) Wie oft im letzten Jahr konnten Sie sich
ken: Rausch gehabt – ja okay, ab-       zwei- bis dreimal in der Woche (3)            an Ereignisse des Vortages nicht erinnern,
gehakt. Es gibt definitiv andere        viemal oder öfters die Woche (4)              weil Sie getrunken haben?
Erfahrungen in meinem Leben,
aus denen ich mehr gelernt und        2) Wie viele alkoholische Getränke konsu-          nie (0)
die mich glücklicher gemacht ha-      mieren Sie an einem typischen Tag, an dem          weniger als einmal im Monat (1)
ben. Johannes                         Sie trinken?                                       monatlich (2)
                                                                                         wöchentlich (3)
                                        1 oder 2 (0)                                     täglich oder fast täglich (4)
Sie nahmen mich mit                     3 oder 4 (1)
auf den Posten                          5 oder 6 (2)                                  9) Sind Sie oder eine andere Person infolge
                                        7 oder 8 (3)                                  Ihres Trinkens verletzt worden?
Ein herrlicher Sommertag an ei-         10 oder mehr (4)
nem Samstag. Die Führerschein-                                                           nein (0)
prüfung hatte ich vor drei Tagen      3) Wie oft trinken Sie sechs oder mehr alko-       ja, aber nicht im letzten Jahr (2)
geschafft, rechtzeitig zum 18. Ge-    holische Getränke bei einer derartigen Gele-       ja, während des letzten Jahres (4)
burtstag. Der VW Käfer stand          genheit?
startbereit angemeldet hinter dem                                                     10) Hat sich ein Verwandter oder Freund,
Haus. Am frühen Nachmittag be-          nie (0)                                       ein Arzt oder eine andere medizinisch ge-
schlossen wir, in unser Stammlo-        weniger als einmal im Monat (1)               schulte Person über Ihre Trinkgewohnheiten
kal oben am Heuberg zu fahren.          monatlich (2)                                 beunruhigt gezeigt oder Ihnen empfohlen,
Wir waren alle miteinander abso-        wöchentlich (3)                               sich einzuschränken?
lut gut drauf, schließlich feierten     täglich oder fast täglich (4)
wir meinen Führerschein. Es wa-                                                          nein (0)
ren dann sechs Personen im Kä-        4) Wie oft im letzten Jahr haben Sie festge-       ja, aber nicht im letzten Jahr (2)
fer, anders ging´s halt nicht. Wir    stellt, dass Sie mit dem Trinken nicht aufhö-      ja, während des letzten Jahres (4)
waren schon fast oben beim Gast-      ren können, wenn Sie angefangen haben?
haus angekommen, als uns von
oben her die Gendarmerie entge-         nie (0)                                       ERGEBNIS:
genkam. Ich bog sofort in eine          weniger als einmal im Monat (1)
kleine Nebenstraße ein, die zu ei-      monatlich (2)                                 Mehr als 5 Punkte:
nem nahe gelegenen Bauernhaus           wöchentlich (3)                               Ihr Alkoholkonsum hat ein Ausmaß erreicht,
führte. Meine Freunde sahen,            täglich oder fast täglich (4)                 das bereits gesundheitsschädlich sein könnte.
dass die Gendarmerie uns bereits                                                      Besprechen Sie bitte Ihre Trinkgewohnheiten
zum Bauernhaus folgte. Ich fuhr       5) Wie oft während des letzten Jahres waren     und die einzelnen Testantworten mit einem Arzt
sofort hinter das Bauernhaus und      Sie nicht in der Lage, Ihre Aufgaben zu er-     oder Psychologen Ihres Vertrauens, in einer Be-
versteckte mich hinter dem Mist-      füllen, weil Sie getrunken haben?               ratungsstelle oder spezialisierten Ambulanz.
haufen. Dort wartete ich kurz und
überlegte, von welcher Richtung         nie (0)
sie kommen könnten. Dann gab            weniger als einmal im Monat (1)               Mehr als 8 Punkte:
ich einfach Gas und fuhr vor-           wöchentlich (3)                               Ihr Alkoholkonsum hat ein Ausmaß erreicht,
wärts. Doch plötzlich standen die       täglich oder fast täglich (4)                 das schädlich für Ihre Gesundheit ist. Sie sind
Beamten vor mir: Stoßstange an                                                        stark gefährdet, alkoholabhängig zu werden
Stoßstange mit der Gendarmerie        7) Wie oft im letzten Jahr hat es Ihnen leid    und könnten bereits unter den Folgeerscheinun-
vor dem Misthaufen. »Alle aus-        getan oder haben Sie sich schuldig gefühlt,     gen des Alkoholmissbrauchs leiden. Wenden
steigen«, hieß es dann. »Aber         nachdem Sie Alkohol getrunken haben?            Sie sich bitte so rasch wie möglich an eine Be-
Dalli!« Ich musste zum Gendar-                                                        ratungstelle oder spezialisierte Ambulanz.
merie-Posten mitfahren. So ein          nie (0)
Pech! Ich war alkoholisiert, der        weniger als einmal im Monat (1)               © Weltgesundheitsorganisation (WHO)
                                                                                                           04/2022                15
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