Auswirkungen von COVID-19 - Zur Situation von Sozialarbeitenden im Gesundheitswesen in der Schweiz - SAGES - Schweizer ...

Die Seite wird erstellt Till Nolte
 
WEITER LESEN
Auswirkungen von COVID-19 - Zur Situation von Sozialarbeitenden im Gesundheitswesen in der Schweiz - SAGES - Schweizer ...
Titelthema

     Auswirkungen
     von COVID-19
     Zur Situation von Sozialarbeitenden im Gesundheitswesen in der Schweiz

                                                                                        Beitrag zusammengeführt. Die hier
                                                                                        zugrunde liegenden Auswertungen
                                                                                        beziehen sich auf eine Stichprobe von
                                                                                        397 Personen aus dem Tätigkeitsfeld
                                                                                        der Sozialen Arbeit im Gesundheits-
                                                                                        wesen. Das sind 11,3 Prozent aller
                                                                                        Studienteilnehmenden. 75,3 Prozent
                                                                                        ordnen sich dem weiblichen und 24,4
                                                                                        Prozent dem männlichen Geschlecht
                                                                                        zu. 5,3 Prozent sind französischspra-
                                                                                        chig und 94,7 Prozent sind deutsch-
                                                                                        sprachig.
     Nadja Hess M. A.           Prof. Dr. Peter Sommerfeld   Thomas Friedli, M. Sc.
                                                                                        Geöffnete Beratungsstellen dank
                                                                                        Home Office und Digitalisierung
     Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sind auch in allen Tätig-                   Während des zweiten Lockdowns in
     keitsfeldern der Sozialen Arbeit zu spüren. Die Ergebnisse einer Studie zur        der Schweiz zwischen November 2020
     Arbeitssituation, Belastung und Gesundheit von Sozialarbeitenden in der            und Januar 2021 blieben 98,7 Pro-
     Schweiz zeigen zusammenfassend: Die Fachpersonen der Sozialen Arbeit               zent der Sozialdienste und Sozialbe-
     stellen sich den damit verbundenen Herausforderungen mit Engagement                ratungsstellen im Gesundheitswesen
                                                                                        für Mitarbeitende und Klient*innen
     und versuchen, die Folgen konstruktiv zu bewältigen. Die hohe Arbeits-
                                                                                        geöffnet. Trotz einer stark gestiegenen
     belastung geht allerdings teilweise mit bedenklichen gesundheitlichen              Nachfrage (vgl. unten) mussten 56,1
     Folgen einher. Der Beitrag berichtet insbesondere über die Auswertungen            Prozent der Sozialdienste und Sozial-
     der Studie zum Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit im Gesundheitswesen.             beratungsstellen im Gesundheitswe-
                                                                                        sen ihre Angebote pandemiebedingt
                                                                                        begrenzen.
           Die empirische Studie zur Ar-      schrieben. Die Gesamtstichprobe um-         Neben dem veränderten Angebot
           beitssituation, Belastung und      fasst 3500 vollständig ausgefüllte Fra-   waren die Sozialarbeitenden im Ge-
     Gesundheit von Sozialarbeitenden in      gebögen. Der Fragebogen orientierte       sundheitswesen mit vielfältigen Verän-
     der Schweiz wurde vom Institut So-       sich am Befragungsinstrument der          derungen im Arbeitsalltag konfrontiert.
     ziale Arbeit und Gesundheit der Fach-    deutschen Partnerstudie der Universi-     So arbeitete ein Viertel der Fachper-
     hochschule Nordwestschweiz (FHNW)        tät Fulda (vgl. Buschle & Meyer 2020).    sonen zumindest teilweise im Home-
     in Kooperation mit dem Berufsver-        Er wurde an die Schweizer Verhält-        office. Diese Möglichkeit wurde von
     band AvenirSocial durchgeführt (vgl.     nisse angepasst und um Fragen zur         vielen Befragten als positive Verände-
     Sommerfeld et al. 2021). Die Online-     gesundheitlichen Situation der So-        rung wahrgenommen. Etwa 40 Prozent
     Befragung fand in der zweiten Welle      zialarbeitenden erweitert. Die Fragen     bemängelten jedoch, dass sie von ih-
     der COVID-19-Pandemie im Zeitraum        zur gesundheitlichen Situation wur-       rem Arbeitgeber nicht oder nicht aus-
     von 10. Dezember 2020 bis 7. Janu-       den von der schweizerischen Gesund-       reichend mit den nötigen technolo-
     ar 2021 statt. Neben einem Aufruf zur    heitsbefragung 2017 übernommen            gischen Mitteln ausgestattet worden
     Teilnahme an der Umfrage über elek-      (Bundesamt für Statistik 2018).           sind. Etwa bei einem Viertel der Fach-
     tronische Medien wurden über die                                                   personen mangelte es an den notwen-
     E-Mail-Verteilerlisten der FHNW und        Die Bereiche Sucht und Gesundheits­     digen digitalen Technologien im Home-
     des Berufsverbandes AvenirSocial         wesen, die im Ergebnisbericht separat     office, um der Arbeit ungehindert nach-
     rund 12 000 Sozialarbeitende ange-       ausgewiesen sind, wurden für diesen       gehen zu können. An nötigem Wissen

16   1/2022 FORUM sozialarbeit + gesundheit
Auswirkungen von COVID-19 - Zur Situation von Sozialarbeitenden im Gesundheitswesen in der Schweiz - SAGES - Schweizer ...
Abbildung 1: Negative Veränderung des fachlichen Austausches (Quelle: Eigene Darstellung)     auch die Kommunikation und Zusam-
                                                                                              menarbeit unter den Fachkräften be-
                                                                                              einflusste. Davon waren sowohl die
                                                                                              interne als auch die externe Kommu-
                                                                                              nikation betroffen. Besonders häu-
                  48.80 %                      65.30 %                       45.40 %
                                                                                              fig veränderte sich der fachliche Aus-
                                                                                              tausch unter Kolleg*innen und mit Ko-
                                                                                              operationspartner*innen negativ. Ers-
                                                                                              terem stimmten 28 Prozent ganz und
                  23.10 %                                                    27.40 %          23,1 Prozent teilweise zu. Letzterem
                                                                                              stimmten 27,2 Prozent ganz und 27,4
                                                16.30 %                                       Prozent teilweise zu. Beim fachlichen
                                                                                              Austausch mit den Vorgesetzten er-
                   28 %                                                      27.20 %
                                               18.40 %                                        lebten 18,4 Prozent eine negative Ver-
                                                                                              änderung und 16,3 Prozent erlebten
                                                                                              diesbezüglich teilweise eine negative
                                                                                              Veränderung (siehe Abb. 1).
                                                                                                 Hier muss jedoch ergänzt werden,
und nötigen Fähigkeiten würde es den               gaben an, dass die Kontakthäufigkeit       dass diese Werte teilweise immer
Fachpersonen hingegen nicht fehlen:                zu ihren Klient*innen beständig blieb.     noch deutlich besser sind als im Ge-
81,4 Prozent der Befragten gaben an,               Dies ist ein bedenkliches Resultat, da     samtsample. Insbesondere der Fach-
dass sie über das nötige Wissen verfü-             gleichzeitig 89,2 Prozent der Befrag-      austausch mit den Vorgesetzten, aber
gen, digitale Technologien bei der Ar-             ten angaben, dass sich die Problem-        auch der Austausch mit Kolleg*innen
beit anzuwenden und weitere 11,8 Pro-              lage ihrer Adressat*innen durch die        scheint sich in andern Tätigkeitsfel-
zent würden dieser Aussage zumindest               Folgen der Corona-Pandemie zumin-          dern der Sozialen Arbeit noch deut-
teilweise zustimmen.                               dest teilweise verstärkt habe. Diese       lich negativer verändert zu haben. Von
  Digitale Kommunikationsformen                    Einschätzung wird von weiteren Stu-        den Befragten im Gesamtsample, die
könnten auch in Zukunft wichtiger                  dien bestätigt, wie die Gesundheits-       eine Veränderung in der Kommunika-
werden für das Arbeitsfeld der Sozia-              förderung Schweiz und das BAG in ih-       tion mit Kolleg*innen feststellten, ga-
len Arbeit im Gesundheitswesen. 54,7               rem Bericht vom Januar 2021 zu den         ben 39,3 Prozent an, dass sich diese
Prozent der Befragten gingen davon                 Auswirkungen der Corona-Pandemie           negativ verändert habe und 35,7 Pro-
aus, dass sie in naher Zukunft digita-             auf gesundheitsbezogene Belastun-          zent gaben an, dass sich die Kommu-
le Technologien im Kontakt mit ihrer               gen und Ressourcen der Bevölkerung         nikation mit den Vorgesetzten negativ
Klientel einsetzen werden. Nach Ein-               festhalten (Kessler, C. & Guggenbühl,      verändert habe.
schätzung der Fachpersonen ist dies                L. 2021). Ebenfalls zeigt eine Studie
für einige Klient*innen eine Heraus-               von Martinez et al. zu Corona und Un-       Info
forderung. 65,6 Prozent der Befragten              gleichheit in der Schweiz deutlich auf,
gaben an, dass ihre Adressat*innen                 dass sozial isolierte und sozioökono-       Die empirische Studie zur Arbeitssitu-
keine oder nur teilweise die Möglich-              misch benachteiligte Personen zu den        ation, Belastung und Gesundheit von
keit zur digitalen Kontaktaufnahme                 Bevölkerungsgruppen zählen, die be-         Sozialarbeitenden in der Schweiz wur-
hätten.                                            sonders stark belastet sind von den         de vom Institut Soziale Arbeit und
                                                   Auswirkungen der Pandemie (Marti-           Gesundheit der Fachhochschule der
Erschwerte Kommunikation bei                       nez et al. 2021).                           Nordschweiz (FHNW) in Kooperation
verstärkten Problemlagen                                                                       mit dem Berufsverband AvenirSocial
Die Pandemie wirkte sich im Allgemei-                Die Befragung hat weiter gezeigt,         durchgeführt. Ein weiterer Beitrag in-
nen stark auf die Kommunikation zwi-               dass die Pandemie die Umsetzung             formiert über die Ergebnisse der Studie
schen Fachpersonen und Klientel aus.               konstruktiver Bewältigungsstrategien        bezogen auf die Sozialhilfe in der Zeit-
Von den über 80 Prozent der Sozial-                seitens der Klient*innen erschwert.         schrift für Sozialhilfe (ZESO 03/21) der
arbeitenden im Gesundheitswesen,                   47,9 Prozent der Befragten stimmten         Schweizerischen Konferenz für Sozial-
die eine Veränderung in der Kommu-                 der Aussage zu, dass problematische         hilfe (Hess 2021).
nikation wahrnahmen, beurteilten et-               Handlungsmuster durch die Pande-
wa ein Drittel diese Veränderung als               mie verstärkt würden und 31,3 Pro-          Der vollständige Ergebnisbericht der
negativ und ein weiteres Viertel als               zent stimmten dieser Aussage zumin-         Studie ist online verfügbar unter:
teilweise negativ. Durch die verän-                dest teilweise zu.                          C https://www.fhnw.ch/plattformen/
derten Umstände verringerte sich die                                                           sozialearbeitcovid19pandemie/ergeb-
Kontakthäufigkeit in den meisten Fäl-                Als weiteres Ergebnis lässt sich fest-    nisse/
len. Nur ein Drittel der Fachpersonen              halten, dass die COVID-19-Pandemie

                                                                          1/2022 FORUM sozialarbeit + gesundheit                          17
Auswirkungen von COVID-19 - Zur Situation von Sozialarbeitenden im Gesundheitswesen in der Schweiz - SAGES - Schweizer ...
Titelthema

     Abbildung 2: Psychosoziale Risiken der Arbeitssituation (Quelle: Eigene Darstellung)

                 n

     Abbildung 3: Veränderungen der Arbeitsbedingungen seit Ausbruch der Pandemie (Quelle: Eigene Darstellung)

                                      n

     Hohe Arbeitsbelastung                                tens Stress bei der Arbeit zu erleben            Hinsichtlich der psychosozialen Ri-
     Ein besorgniserregendes Ergebnis                     – im Gesamtsample waren es gar 39,1            sikofaktoren der Arbeitssituation sind
     der Studie betrifft die Angaben zur                  Prozent.                                       die Werte der Sozialarbeitenden im
     Arbeitsbelastung und gesundheitli-                   Dieser Wert lag für Erwerbstätige im           Gesundheitswesen bei vielen Items
     chen Folgen davon. Über 60 Prozent                   Gesundheits- und Sozialbereich 2017            vergleichbar mit der Gesamtstichpro-
     der Befragten der Gesamtstichprobe                   noch bei 23 Prozent (Krieger & Arial,          be. Bei den Items „Vereinbarung Ar-
     empfanden zum Zeitpunkt der Befra-                   2020). Die meisten Befragten waren             beit und Familie“, „Pausen nach Be-
     gung eine hohe Arbeitsbelastung. In                  der Meinung, dass sie den erlebten             darf“, „Spannungen im Umgang mit
     der Sozialen Arbeit im Gesundheits-                  Stress relativ gut bewältigen können.          Adressat*innen“ und „an zu viele Din-
     wesen waren es 58 Prozent der Fach-                  Für 39 Prozent der Befragten berei-            ge gleichzeitig denken müssen“ sind
     personen, die über eine hohe Arbeits-                tete die Stressbewältigung jedoch              die Sozialarbeitenden im Gesund-
     belastung berichteten. Weitere 36,8                  mehr Mühe seit dem Ausbruch der                heitswesen interessanterweise jedoch
     Prozent gaben an, immer oder meis-                   Pandemie.                                      etwas weniger belastet als ihre Kol-

18   1/2022 FORUM sozialarbeit + gesundheit
Auswirkungen von COVID-19 - Zur Situation von Sozialarbeitenden im Gesundheitswesen in der Schweiz - SAGES - Schweizer ...
leg*innen der Gesamtstichprobe. Ab-        Angebot stärker nachgefragt werde.        die Gesundheit der Sozialarbeitenden
bildung 2 zeigt wie viele Prozent der      39,8 Prozent mussten zudem durch          auswirkt. Wenn ein Viertel der Sozial-
Gesamtstichprobe (in blau) und in der      die Pandemie zusätzliche Aufgaben         arbeitenden im Gesundheitswesen
Stichprobe des Tätigkeitsfeldes der        von erkrankten Kolleg*innen über-         und ein Drittel insgesamt von Burn-
Sozialarbeit im Gesundheitswesen (in       nehmen. Lediglich 18,1 Prozent der        out bedroht sind, dann stellt sich die
orange) von diesen und weiteren psy-       Fachpersonen der Sozialen Arbeit im       Frage, woran das liegt. Von allen Va-
chosozialen Risikofaktoren betroffen       Gesundheitswesen stellten keine Ver-      riablen, die wir auf einen Zusammen-
sind.                                      änderung an ihrer Tätigkeit fest.         hang mit diesem Item getestet haben,
                                                                                     hat nur (und wenig überraschend) die
   Die Belastung am Arbeitsplatz ist          Neben den zahlreichen negativen        Arbeitsbelastung einen starken Ein-
für einige so hoch und schwer bewäl-       Auswirkungen der COVID-19-Pande-          fluss. Warum aber wirkt sich dies so
tigbar, dass sie vom Risiko betroffen      mie auf das Arbeitsfeld der Sozialen      schnell so stark auf die Gesundheit
sind, an einem Burnout zu erkranken.       Arbeit im Gesundheitswesen, neh-          aus? Wir haben einen Erklärungsan-
Ein Drittel der Gesamtstichprobe und       men die Fachpersonen auch positive        satz entwickelt, der hier nicht ausführ-
ein Viertel der Stichprobe des Tätig-      Veränderungen wahr. So berichtet je-      lich dargelegt und begründet werden
keitsfelds der Sozialen Arbeit im Ge-      weils die Hälfte der Gesamtstichprobe     kann (vgl. Ergebnisbericht zur Studie,
sundheitswesen stimmten der Aussa-         und der Fachpersonen der Sozialar-        S. 29 ff.). Kurz und knapp formuliert,
ge zu, dass sie bei der Arbeit immer       beitenden im Gesundheitswesen über        denken wir, dass sich in diesen Ergeb-
öfter das Gefühl haben, emotional          positive Veränderungen in ihrer beruf-    nissen eine Profession spiegelt, die
verbraucht zu sein. Bei weiteren 28,5      lichen Tätigkeit, die sie beibehalten     aufgrund der neo-liberalen Politiken
Prozent ist dies teilweise der Fall. Das   möchten. Aus der Analyse der offenen      und dem damit einhergehenden Prin-
sind im Vergleich zu früheren Erhe-        Antworten der Gesamtstichprobe zur        zip der Austerität schon im Normalbe-
bungen bei Erwerbstätigen im Sozial-       Frage nach den positiven Veränderun-      trieb am Anschlag läuft (vgl. zur ähn-
und Gesundheitswesen hohe Zahlen
(vgl. Bundesamt für Statistik 2019).
   Auch die körperlichen und psychi-           Wie lassen sich übermäßige gesundheitliche Belastungen
schen Beschwerden sind vergleichs-
weise hoch. Am häufigsten wurde             der Sozialarbeitenden begrenzen und zugleich eine möglichst
über Schwäche, Müdigkeit und Ener-
gielosigkeit berichtet, wobei 23 Pro-                  hohe Qualität ihrer Leistungen sicherstellen?
zent stark und weitere 59,8 Prozent
ein wenig davon betroffen sind. Trotz
der wahrgenommenen Beschwerden             gen geht hervor, dass das Homeoffi-       lich gelagerten und besser untersuch-
ist der Großteil der Sozialarbeiten-       ce und die Verwendung von digitalen       ten Situation der Pflege (Pelling 2021).
den des Gesundheitswesens, näm-            Technologien für Besprechungen von           Wenn nun eine Krise wie diese hin-
lich 83,8 Prozent, nach wie vor der An-    einer großen Mehrheit sehr geschätzt      zukommt, übersteigt die Belastung
sicht, dass es ihnen im Allgemeinen        wird. Weitere positive Aspekte sind       (zusammen vermutlich mit weiteren
gesundheitlich gut bis sehr gut geht.      mehr Entschleunigung und Achtsam-         Faktoren) die Bewältigungskapazitä-
                                           keit im Arbeitsalltag, beispielsweise     ten nicht nur von Einzelnen, sondern
   Die Pandemie hat auch Verände-          aufgrund einer Reduktion von Sitzun-      von einer strukturell relevanten Grup-
rungen bei den Arbeitsbedingungen          gen aber auch durch mehr Solidarität      pe der Berufstätigen in diesem Feld.
zur Folge (vgl. Abb. 3). So gaben 31       im Team. Ebenfalls wurde von einer        Die dadurch und durch weitere Mass-
Prozent der Sozialarbeitenden im Ge-       neu gewonnen Flexibilität und einem       nahmen (z. B. erhebliche Ausdehnung
sundheitswesen an, dass sich ihre Ar-      Innovationsschub berichtet. Es wurde      der Reporting- und Dokumentations-
beitsbedingungen seit Ausbruch der         begrüßt, dass bestehende Strukturen       pflichten) erzeugte Intensivierung der
Pandemie verschlechtert hätten. 20,7       und Abläufe geprüft und kreative Lö-      Arbeit unter Ausblendung der Qualität
Prozent arbeiten länger als vertrag-       sungen gesucht wurden.                    der geleisteten Arbeit (Unzufrieden-
lich vereinbart und 25,2 Prozent geben       Die Ergebnisse der Studie zeich-        heit mit den Inhalten und mangelnde
an, seit der Pandemie für mehr Adres-      nen das Bild einer Profession, die        Wertschätzung sind Faktoren für Burn-
sat*innen zuständig zu sein als zuvor.     sich mit Engagement und Innovati-         out) übersteigen offenbar ein zumut-
Dies kann zumindest teilweise damit        onsgeist den Herausforderungen der        bares Maß.
erklärt werden, dass die Angebote der      COVID-19-Pandemie stellt. Die Stu-
Sozialen Arbeit im Gesundheitswesen        die zeigt jedoch auch, dass für einen     Berufspolitischer und gewerkschaftli-
durch die Pandemie stärker nachge-         Teil der Professionellen der Sozialen     cher Handlungsbedarf sowie Notwen-
fragt wurden. Die Hälfte der befragten     Arbeit die Belastungen am Arbeits-        digkeit verstärkter Forschung
Sozialarbeitenden im Gesundheitswe-        platz hoch und schwer kompensierbar       Dieser Erklärungsansatz ist selbstver-
sen hat nämlich angegeben, dass ihr        sind, so dass sich dies unmittelbar auf   ständlich zu diskutieren und zu über-

                                                              1/2022 FORUM sozialarbeit + gesundheit                            19
Auswirkungen von COVID-19 - Zur Situation von Sozialarbeitenden im Gesundheitswesen in der Schweiz - SAGES - Schweizer ...
Titelthema

     prüfen. So oder so sprechen die Daten       1996) wieder neu und verstärkt aufzu-           n Nadja Hess M. A., Sozialarbeiterin,
     aber dafür, dass die Arbeitsbedingun-       werfen. Dieser Begriff von Bauer weist           Wissehschaftliche Mitarbeiterin am
     gen der Sozialen Arbeit dringend da-        darauf hin, dass bei personenbezoge-             Institut Soziale Arbeit und Gesund-
     hingehend genauer angeschaut wer-           nen Dienstleistungen wie der Sozia-              heit, Hochschule für Soziale Arbeit,
     den müssen, inwieweit mit den zur           len Arbeit oder der Pflege, weder ein            Fachhochschule Nordwestschweiz,
     Verfügung stehenden Ressourcen,             (nicht existierender) Markt noch die                          6 nadja.hess@fhnw.ch
     sowohl Professionalität als auch die        technokratische Steuerung, wie sie
     Arbeitsbelastung so gestaltet werden        paradoxerweise mit der neo-liberalen                    n Prof. Dr. Peter Sommerfeld,
     können, dass die Sozialarbeitenden          Politik erzeugt wurde, dafür sorgen,                Sozialwissenschaftler, Dozent am
     nicht unverhältnismässig gesundheit-        dass sich ein solches Optimum ein-                Institut Soziale Arbeit und Gesund-
     lich belastet werden und eine mög-          stellt. Der beste Weg wäre ein echter             heit, Hochschule für Soziale Arbeit,
     lichst hohe Qualität ihrer Leistungen       Aushandlungsprozess, in dessen Ver-               Fachhochschule Nordwestschweiz,
     sicherstellen können. Hohe Kranken-         lauf man sich diesem (unbekannten)                      6 peter.sommerfeld@fhnw.ch
     stände sind in hohem Maße ineffizi-         Optimum annähern könnte. Vielleicht
     ent und verstärken die Problematik. Es      bringt die Pandemie ja eine Bereit-                  n Thomas Friedli, M. Sc., Sozial-
     zeichnet sich also einerseits ein enor-     schaft zum Überdenken des Gegebe-                  arbeiter, Co-Präsident des Schwei-
     mer Forschungsbedarf ab. Anderseits         nen mit sich statt einer „Rückkehr zur              zerischen Fachverbandes Soziale
     ergibt sich auch ein berufspolitischer      Normalität“, die vor dem geschilder-                    Arbeit im Gesundheitswesen,
     und gewerkschaftlicher Handlungsbe-         ten Hintergrund ernsthafter gesund-                            6 tom.friedli@sages.ch
     darf, nämlich in den kommenden Aus-         heitlicher Folgen für die Sozialarbei-
     handlungen, die Frage nach dem „po-         tenden (und die Pflegekräfte) als zy-
     lit-ökonomischen Optimum“ (Bauer            nisch erschiene.

      Literatur

      Bauer, R. (1996): „Hier geht es um         Buschle, C.; Meyer, N. (2020):                  Covid-19-Pandemie (Bd. 161). KOF
      Menschen, dort um Gegenstände“.            Soziale Arbeit im Ausnahmezustand?!             Konjunkturforschungsstelle der ETH Zü-
      Über Dienstleistungen, Qualität und        Professionstheoretische Forschungs-             rich. Online abrufbar: https://ethz.ch/
      Qualitätssicherung. Zur Begriffssyste-     notizen zur Corona-Pandemie. Soziale            content/dam/ethz/special-interest/du-
      matik und zur politisch-ökonomischen       Passagen, 12(1), 155–170. https://doi.          al/kof-dam/documents/Medienmittei-
      Erklärung der gegenwärtigen Entwick-       org/10.1007/s12592-020-00347-0                  lungen/Sonstige/Studie%20Ungleich-
      lungslinien Sozialer Dienstleistungen in                                                   heit%20final.pdf (15.11.21)
      der Bundesrepublik. In: WIDERSPRÜ-         Hess, N. (2021): Auswirkungen der Co-
      CHE, Heft 61, S. 11–49.                    vid-19-Pandemie auf Sozialarbeitende.           Pelling, L. (2021): On the Corona Front-
                                                 In: ZESO – Zeitschrift für Sozialhilfe, 3/21,   line – The Experiences of Care Workers
      Bundesamt für Statistik (2018, Oktober     S. 32–33.                                       in Nine European Countries – Summary
      30): Schweizerische Gesundheitsbefra-                                                      Report. Friedrich-Ebert-Stiftung
      gung 2017. Übersicht (Korrigierte Ver-     Kessler, C.; Guggenbühl, L. (2021):             (Nordic Countries). Online abrufbar:
      sion 10.12.2018) | Publikation. Bundes-    Auswirkungen der Corona-Pandemie auf            http://library.fes.de/pdf-files/bueros/
      amt für Statistik. Online abrufbar:        gesundheitsbezogene Belastungen und             stockholm/17490.pdf (15.11.21)
      www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statis-       Ressourcen der Bevölkerung. Ausge-
      tiken/kataloge-datenbanken/publikatio-     wählte Forschungsergebnisse 2020 für            Sommerfeld, P.; Hess, N.; Bühler, S.
      nen.assetdetail.6426300.html               die Schweiz (Arbeitspapier 52). Gesund-         (2021): Soziale Arbeit in der Covid-19
      (15.11.21)                                 heitsförderung Schweiz und Bundesamt            Pandemie. Eine empirische Studie
                                                 für Gesundheit BAG.                             zur Arbeitssituation, Belastung und
      Bundesamt für Statistik (2019):                                                            Gesundheit von Fachpersonen der
      Schweizerische Gesundheitsbefragung        Krieger, R.; Arial, M. (2020): Arbeits-         Sozialen Arbeitin der Schweiz – Ergeb-
      – SGB17: Standardtabellen – Gefühl,        bedingungen und Gesundheit: Stress.             nisbericht. Fachhochschule Nordwest-
      bei der Arbeit emotional verbraucht zu     Staatssekretariat für Wirtschaft, Direktion     schweiz, Hochschule für Soziale Arbeit,
      sein. Online abrufbar: www.bfs.admin.      für Arbeit.                                     Institut für Soziale Arbeit und Gesund-
      ch/bfs/de/home/aktuell/neue-veroef-                                                        heit. Online abrufbar: https://irf.fhnw.
      fentlichungen.assetdetail.7586216.html     Martinez, I.; Kopp, D.; Lalive, R.; Pichler,    ch/bitstream/handle/11654/32440/Be-
      (15.11.21)                                 S.; Siegenthaler, M. (2021): Corona und         richt_Covid-19%20und%20Soziale%20
                                                 Ungleichheit in der Schweiz: Eine erste         Arbeit.pdf?sequence=1&isAllowed=y
                                                 Analyse der Verteilungswirkungen der            (15.11.21)

20   1/2022 FORUM sozialarbeit + gesundheit
Auswirkungen von COVID-19 - Zur Situation von Sozialarbeitenden im Gesundheitswesen in der Schweiz - SAGES - Schweizer ...
Sie können auch lesen