Bericht des Instituts für Didaktik der Demokratie 2017/18

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Bericht des Instituts für Didaktik der Demokratie 2017/18
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            Instituts für
             Bericht des

Didaktik der Demokratie 2017/18
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    Impressum
    Bericht des Instituts für Didaktik der Demokratie 2017/18   Direktorium
                                                                Prof. Dr. Dirk Lange
    Herausgeber                                                 Dr. Moritz Peter Haarmann
    Institut für Didaktik der Demokratie                        Prof. Dr. Detlef Schmiechen-Ackermann
    Leibniz Universität Hannover
    Philosophische Fakultät
                                                                Bildnachweis
    Callinstr. 20, 30167 Hannover                               Sofern nicht anders angegeben, liegen die Bildrechte beim
    Tel. +49 511 762-17317                                      Institut für Didaktik der Demokratie.
                                                                Titelbild: David Erhardt
    Königsworther Platz 1, 30167 Hannover
                                                                Redaktion
    www.demokratiedidaktik.de                                   Patrick Bredl, Jessica Burmester, Selena Kemp, Samia Khallafi
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Inhalt
1. Aktuelles aus dem Institut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

             Inclusive Citizenship - Eine zentrale Herausforderung für die Didaktik der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4

             Power to the Bauer – 40 Jahre Gorleben-Treck, 40 Jahre Anti-Atombewegung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . .10

             30 Jahre nach der Grenzöffnung – Erinnern und bewahren als gesamtdeutsche Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12

             Modellprojekt zur Auseinandersetzung mit antidemokratischen Positionen an niedersächsischen Schulen . . . . . . .14

2. Forschungsfelder des Instituts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

3. Projekte in der Gesamtübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

             Aktuelle Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20

             Abgeschlossene Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .33

4. Promotionskolleg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

5. Personal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

             5.1 Direktorium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .38

             5.2 Wissenschaftliches Personal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .41

             5.3 Aktuelle Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .51

6. Veranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

7. Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

8. Vorträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

9. Kooperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
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    1. Aktuelles aus dem Institut

    Inclusive Citizenship - Eine zentrale Herausforderung für
    die Didaktik der Demokratie
    Von Dirk Lange , Detlef Schmiechen-Ackermann , Steve Kenner und Christian Hellwig

    1. CINC – Das Center for Inclusive Citizenship

    Im Jahr 2017 wurde an der Leibniz Universität         Empfindung, von der politischen Entscheidungs-
    Hannover das Forschungszentrum „Center for            bildung und von gesellschaftlicher Teilhabe
    Inclusive Citizenship“ (CINC) gegründet. Bei For-     ausgeschlossen zu sein, eine wichtige Rolle zu
    schungszentren handelt es sich um interdisziplinär    spielen. Tatsächlich sind auch vielfältige Formen
    arbeitende Zusammenschlüsse von Professuren           von Exklusion und Nicht-Zugehörigkeit in unserer
    und ihren Arbeitsbereichen, die fächer- und fakul-    Gesellschaft zu beobachten. Sie resultieren unter
    tätsübergreifend ausgerichtet sind. Das Institut      anderem aus sozio-ökonomischen Faktoren, aus
    für Didaktik der Demokratie ist Bestandteil dieses    migrationsbiographischen Benachteiligungen oder
    Zentrums und unmittelbar an der Gründung des          auch aus technischen Aspekten wie den digitalen
    Forschungszentrums beteiligt gewesen. Das CINC        Kluften zwischen digital natives und Menschen,
    befasst sich interdisziplinär mit der Theorie und     die keinen Anschluss an die digitale Welt gefunden
    der Praxis von Inclusive Citizenship, aber auch der   haben. Offenkundig wird diese Distanz vor allem
    empirischen Analyse von aktuellen und histori-        in der digitalen Öffentlichkeit. Die mannigfaltigen
    schen Exklusionsprozessen. Unter seinem Dach          Ausprägungen von Praxen des Ausschlusses in
    arbeiten auch die beteiligten Wissenschaftlerinnen    einer von Diversität geprägten Gesellschaft sowie
    und Wissenschaftler des IDD an Fragen des gesell-     die Vertrauenskrise in Bezug auf die Grundlagen
    schaftlichen Zusammenhalts in Lern-, Lebens- und      von Staat und Gesellschaft erfordern eine umfas-
    Arbeitswelten. Die Institutionalisierung dieser       sende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit
    Forschungsperspektive an der Leibniz Universität      Strukturen und Wahrnehmungen gesellschaft-
    Hannover bietet die Möglichkeit für eine syste-       licher Zugehörigkeit. Zentrale Forschungsfelder
    matische Auseinandersetzung mit den sich rasch        und Anwendungsbereiche werden im Folgenden
    wandelnden Bedingungen für politische Partizi-        genauer skizziert.
    pation und zivilgesellschaftlichem Engagement
    in der digitalisierten Welt. Als interdisziplinäres
    Forschungszentrum will CINC einen substantiellen
    Beitrag zur Beantwortung der Fragen nach den
    Entstehungsbedingungen und Wirkungsweisen des
    Zusammenhalts in einer (digitalisierten) Gesell-
    schaft leisten.
    Für das IDD stehen dabei die drei konzeptionellen
    Zugänge Inklusivität, Citizenship und Bildung im
    Vordergrund. Warum sind diese Themen für die
    Forschungstätigkeiten im Rahmen des For-
    schungszentrums und des IDD von Bedeutung?
    Aktuelle Entwicklungen lassen den Schluss
    zu, dass Teile der Gesellschaft das bestehende
    politische System nicht mehr unterstützen
    und zur parlamentarischen Demokratie und
    ihren Repräsentantinnen und Repräsentanten
    auf Distanz gehen. Dabei scheint die subjektive
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Inclusive Citizenship – eine Begriffsklärung
Zunächst gilt es den Ausgangspunkt der For-            Das republikanische Verständnis von Citizenship
schungsperspektive hervorzuheben: Kritik an            zielt dabei vor allem auf die Partizipation an der
Exklusionsmechanismen. Citizenship ist ein             Gemeinschaft, häufig insbesondere auf das Recht
unscharfer, kontextabhängiger Begriff, der auch in     zu wählen und gewählt zu werden. Das liberale
der Wissenschaft je nach Disziplin, politischer Ori-   Verständnis beschreibt die Rechte der/des Einzel-
entierung und diskursivem Kontext ganz verschie-       nen gegenüber der Gemeinschaft. Die Forschungs-
den verwendet wird. Häufig wird er im juristischen     perspektive Inclusive Citizenship stellt zwei andere
Sinne auf Staatsbürgerschaft reduziert. In der         Bedeutungsdimensionen des Begriffs ins Zentrum
klassischen politisch-philosophischen Ideenge-         ihrer Analyse: Statuszuschreibung und Aktion.
schichte wird der Widerspruch zwischen einem           Damit lehnt sie sich an Diskussionen innerhalb der
republikanischen und einem liberalen Verständnis       Citizenship Studies an (vgl. u.a. Turner 2016) und
ins Zentrum der Darstellung gerückt.                   konzeptionalisiert die dort erarbeiteten Ideen für
                                                       den Kontext der historisch-politischen Bildung.

Citizenship in Diversity
Um die Analyse von Citizenship als Statuszuschrei-     Exklusion als Exklusion in der Gesellschaft, nicht
bung zu ermöglichen, wird die Diskussion in den        aus der Gesellschaft verstanden.
Citizenship Studies um die Debatten zur Inklusion
erweitert. Hier wird u.a. Bezug genommen auf           Mit einem interdisziplinären Forschungsansatz
Studien in den Themenbereichen Migration, Armut        werden empirische und theoretische Expertise
und Behinderung (vgl. u.a. Kleinschmidt und Lange      der Informationstechnologie sowie der Sozial-,
2016). Der in diesen drei Feldern stattfindende        Sprach- und Bildungswissenschaften nutzbar
Paradigmenwechsel lässt sich trotz aller Unter-        gemacht und miteinander verzahnt. Auch für
schiede verallgemeinern und wird somit auch            Digital Citizenship Education ist von den zwei
auf andere Felder anwendbar, wie beispielsweise        Bedeutungsdimensionen des Citizenship-Begriffs
Exklusion aufgrund von Sexualität, Geschlecht,         auszugehen: Statuszuschreibung der (Nicht-)
vermeintlicher ethnischer, kultureller oder religi-    Zugehörigkeit auf der einen und Praxen der
öser Zugehörigkeit oder Alter. Es geht hier nicht      Bürgerschaft auf der anderen Seite. In Bezug auf
darum, die so begründeten Exklusionsmechanis-          eine digitale Gesellschaft können diese Praxen
men gleichzusetzen und damit ihre Spezifika zu         durch digitale Medien vereinfacht, aber auch
überdecken. Vielmehr soll das Zusammenwirken           verunmöglicht oder gefährdet werden (vgl. Isin/
verschiedener Exklusionsmechanismen im Sinne           Ruppert 2015). Kultursoziologisch wird dies in
einer intersektionellen Perspektive (vgl. Urbanek      Stalders (2016) Konzept der „Kultur der Digitalität“
2013) analytisch fassbar werden. Der emanzipato-       aufgenommen. Beschrieben wird hier, wie sich,
rische Charakter von Inklusion in einer von Diver-     getragen von einer digital-kulturellen Umwelt,
sität geprägten Gesellschaft kann wie
folgt beschrieben werden (Klein-
schmidt/Kenner/Lange 2019: 409ff.):
Inklusion und Exklusion stehen immer
in einem Spannungsfeld zueinan-
der. Eine Theorie und die Praxis von
Inklusion bedarf daher auch einer
Analyse von gesellschaftlichen Exklu-
sionsmechanismen. Dabei werden die
Exklusionsmechanismen und nicht die
Exkludierten als defizitär betrachtet.
Dies erscheint trivial, bricht jedoch
vielfach mit gängigen hegemonialen
Sichtweisen. Normalisierungspro-
zesse und die damit einhergehenden
Konstruktionen von Normalität und
Devianz werden als Teil des Prob-
lems der Exklusion begriffen. Dabei
wird davon ausgegangen, dass die
Konstruktion solcher Zuschreibungen
niemals abgeschlossen ist, sondern
sich immer wieder reproduziert und
dabei verschiebt. Mit der Forschungs-
perspektive Inclusive Citizenship wird
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    neue Formen der Vergemeinschaftung entwickeln         ner 2014 und 2015) um die Arbeit des Hirnfor-
    (z.B. Commons, Neo-Gemeinschaften), sich aber         schers Manfred Spitzer zu berücksichtigen, der
    zugleich historisch gewachsene demokratische          unter Einbeziehung der Ergebnisse verschiedener
    Strukturen in Auflösung befinden (z.B. durch die      Studien zu dem Schluss kommt, dass die Nutzung
    Akzentuierung postdemokratischer und populis-         digitaler Medien eine negative Wirkung insbeson-
    tischer Tendenzen oder durch Fundamentalismus).       dere auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns von
    Erkenntnisreich daran ist, dass sich vor allem sin-   Kindern und Jugendlichen hat. Neue Partizipa-
    guläre Akteurinnen und Akteure aus der Peripherie     tions-, Kollaborations- und Artikulationsmöglich-
    in neuen Formen zusammenschließen und dabei           keiten in sozialen Netzwerken und Plattformen,
    eigene Regeln der Entscheidungsfindung und der        die stetige Weiterentwicklung der Smartphones
    Zugehörigkeit entwickeln, die wiederum inkludie-      sowie das Wachstum der Computerspielbranche
    rend und exkludierend wirken.                         führen insgesamt dazu, dass digitale Lernformen
    Aktuelle repräsentative Studien (ARD/ZDF-Onli-        nicht nur in unserer alltäglichen Lebensgestaltung,
    nestudie, BLIKK-Studie, KIM- und JIM-Studie),         sondern auch in Schulen und anderen Bildungs-
    belegen den Stellenwert, den digitale und soziale     einrichtungen einen immer größeren Stellenwert
    Medien im Leben aller Menschen einnehmen und          einnehmen. Die Schule als wichtige Sozialisations-
    betonen dabei die Bedeutung dieser Medien für         instanz rückt daher immer weiter in den Fokus und
    Kinder und Jugendliche. Die digitale Sozialisierung   muss dies in ihr didaktisches Konzept einbeziehen
    beeinflusst die Identitätsbildung von Digital-        (vgl. u.a. Kenner/Lange 2018a). Dabei darf sie sich
    Verweigerinnen und -Verweigern bis hin zu digital     auch einem gewissen Paradigmenwechsel nicht
    natives. Dies führt unmittelbar zu Inklusions- und    verschließen.
    Exklusionsprozessen innerhalb der Gesellschaft.       Eine neue Form von digitaler Öffentlichkeit bringt
    Dabei gilt es Kommunikationsprozesse in analogen      verstärkt neue Formen politischer Partizipation
    und digitalen Kontexten zu analysieren, um Kom-       hervor ohne dabei jedoch bisher die „Partizipa-
    petenzen herauszuarbeiten, derer es bedarf, um        tionsdefizite in der realen Welt kompensieren
    sicher und selbstbestimmt in den jeweiligen Wel-      zu können“ (Ritzi/Schaal/Kaufmann 2012: 35).
    ten (re)agieren zu können. Dabei stehen Digitales     Soziale Medien können dabei als demokratischer
    und Analoges längst in einer ständigen Wechsel-       Artikulationsprozess verstanden werden, der durch
    beziehung zueinander. Die Forschung im Feld der       „Gleichzeitigkeit, Unmittelbarkeit, Ortsungebun-
    Digital Citizenship Education (vgl. Kenner/Lange      denheit und Anonymität“ (Thimm 2016: 9) geprägt
    2018a) steht aber noch immer in den Anfängen.         ist. Social-Media-Plattformen sind zu einem inte-
    Zentral für die Forschungsarbeiten in diesem Feld     gralen Bestandteil der Entstehung, Organisierung
    ist die Frage, wie mediale und gesellschaftliche      und Mobilisierung von Protest geworden. Unklar
    Macht- und Herrschaftsprozesse durch alternative      ist allerdings bis heute, inwiefern diese unkonven-
    Medienpraktiken reproduziert, aber auch hinter-       tionellen Beteiligungsformen eher von Menschen
    fragt werden können (vgl. u.a. Wimmer 2015).          mit hohem sozio-ökonomischen Status genutzt
    Digitale Welten und soziale Medien stellen            werden und dementsprechend die Entstehung
    Chancen, aber auch Herausforderungen für die          einer Partizipationselite noch stärker forciert wird.
    Demokratiebildung und die freiheitliche Gesell-       Soziale und politische Beteiligung am gesellschaft-
    schaftsordnung dar (vgl. Ebel/Zorn 2015). Neben       lichen Leben und eine etwaige Verschiebung von
    der theoretischen Arbeit muss sich Forschung          Macht- und Herrschaftsverhältnissen und deren
    zur Digital Citizenship Education auch mit dem        Instrumenten in der digitalen Gesellschaft werden
    Einfluss moderner Medien auf Lernprozesse             daher vermehrt zu wesentlichen Elementen der
    auseinandersetzen. Hierzu ist unter anderem die       Forschungsarbeit.
    wissenschaftliche Kontroverse (vgl. Appel/Schrei-

    Active Citizenship
    Unter Berücksichtigung der sich stetig verändern-     verdichten sich in diesem Spannungsverhältnis
    den Bedingungen für (politische) Partizipation,       die Auseinandersetzungen (struggles) um die
    ist eine reflektierte Auseinandersetzung mit          Frage der Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit
    Citizenship als Konzept für Teilhabeprozesse von      selbst. Dies stellt für ihn den Kern des Politischen
    großer Bedeutung. Das dritte hier beschriebene        dar (vgl. Turner 2016: 141). Durch die Forderung
    Forschungsfeld nimmt eine weitere Perspektive         der Teilhabe der Anteillosen bzw. Exkludierten
    in den Blick: Citizenship als act (Isin und Niel-     wird infrage gestellt, wer überhaupt oder bis zu
    sen 2008). Darunter sind nicht bzw. nur unter         welchem Grad citizen (im Sinne der Statuszu-
    bestimmten Bedingungen formalisierte Formen           schreibung) ist. Damit rücken neben dem bislang
    und Prozesse von Mitbestimmung zu verstehen.          dominierenden Fokus auf Statuszuschreibungen
    Mit dem Politikwissenschaftler Joe Turner können      nun auch alltägliche Praxen und Kämpfe um
    diese acts als der andere Pol eines Spannungs-        citizenship in den Blick.
    verhältnisses verstanden werden. Nach ihm
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Citizenship Education
Für die bildungspraktische Arbeit ist auf Grundlage
des hier skizzierten Forschungsansatzes Inclusive
Citizenship wichtig, zu verstehen, dass politische
Lernprozesse nicht davon geprägt sein dürfen,
prinzipiell gegenwärtig bestehende gesellschafts-
politische (Macht- und Herrschafts-)Verhältnisse
zu bewahren oder zu verteidigen. Citizenship
Education bedeutet mehr als nur Menschen in die
Lage zu versetzen, sich in bestehende politische,
ökonomische, gesellschaftliche Systeme einzu-
gliedern und darin zu funktionieren. Mündige
Menschen, unabhängig von einem ihnen zuge-
schriebenen Bürgerschaftsstatus, müssen befähigt
werden, „Herrschafts- und Machtstrukturen zu
analysieren, sich ein kritisch-reflektiertes Urteil
zu bilden und mögliche Handlungsstrategien zu          im Prozess des Erwerbs von Emanzipationswissen        Wandgestaltung im Kliptown
kennen, um selbst aktiv politische Prozesse nach-      (Negt 2018: 21f.) zu begleiten.                       Youth Project, Soweto, South
haltig beeinflussen zu können“ (Kenner und Lange       Bildungseinrichtungen müssen (jungen) Menschen        Africa, 2017
2018b: 9).                                             vermitteln, wie soziale Konstruktionen entstehen.
Um dieses Ziel erreichen zu können, dürfen Hete-       Insbesondere müssen Bildungsprozesse aufzeigen,
rogenität und Diversität auch im Bildungskontext       dass diese veränderbar sind. Neben der Sprachbil-
nicht als Problem oder Gefahr wahrgenommen             dung, die Menschen zu einer adäquaten Nutzung
werden. Der Wandel hin zu einer Migrationsgesell-      dieses Kommunikationsinstruments befähigt,
schaft hat bestehende Denkmuster und Vorstellun-       ist der historisch-politischen Bildung daher eine
gen gesellschaftlichen Zusammenlebens verändert.       besondere Verantwortung beizumessen. Mit ihrer
Migrations- und Einwanderungsprozesse, aber            Hilfe kann es gelingen, bestehende Macht- und
im Besonderen der soziale Wandel in Form von           Herrschaftsverhältnisse in politischen Prozessen zu
sozio-ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen          erkennen, zu analysieren, zu hinterfragen und zu
offenbaren, dass Heterogenität vor allem ein           verändern. Sie befähigt junge Menschen darüber
soziales Konstrukt ist. Diese Erkenntnis ist ein       hinaus aber auch dazu, im Alltag Ausgrenzungs-
prägendes Element inklusiver und emanzipativer         mechanismen und Diskriminierungsstrategien
historisch-politischer Bildungsarbeit. Es geht daher   wahrzunehmen und ihre eigene Rolle darin kritisch
darum, jungen Menschen nicht nur den Zugang            zu reflektieren.
zu Verfügungswissen bereitzustellen, sondern sie

2. Inclusive Citizenship aus der Perspektive aktueller Projekte des IDD

Fragen von Inklusion und Exklusion, von Teilhabe       schichte. Das Spannungsverhältnis von propa-
und Zuschreibungen werden durch Projekte des           gierter Inklusion (d.h. einer repressiven Gemein-
IDD unter dem Dach des Forschungscenters CINC          schaftspolitik, die sich über die Sehnsuchtsformel
aber nicht nur für aktuelle gesellschaftliche Kon-     der „Volksgemeinschaft“ sehr geschickt als eine
fliktfelder und Bildungsprozesse untersucht, son-      Politik des Versprechens, z.B. auf mehr Konsum-
dern auch in historisch-analytischer Perspektive.      möglichkeiten, präsentierte) und einer immer
Dabei steht vor allem die Frage im Mittelpunkt,        radikaler werdenden Exklusionspolitik bis hin zum
wie Gesellschaften nach der Überwindung einer          Holocaust bildete geradezu die konzeptionelle
Diktatur mit den Folgen totalitärer oder autori-       Leitlinie des zwischen 2007 und 2015 bearbeiteten
tärer Herrschaft umgehen. Derzeit befindet sich        Forschungsverbundprojektes „Nationalsozialisti-
ein Projekt in Vorbereitung, in dem Diktaturfolgen     sche ‚Volksgemeinschaft‘? Konstruktion, gesell-
und Prozesse der Diktaturüberwindung (z.B. durch       schaftliche Wirkungsmacht und Erinnerung vor
Transitional Justice) im weltweiten Maßstab und in     Ort“. Der aus der im Juni 2015 durchgeführten
vergleichender Perspektive in den Blick genommen       Abschlusstagung hervorgegangene Sammelband
werden sollen.                                         bündelt die Ergebnisse einer nach wie vor kont-
                                                       roversen Debatte zum Erkenntnisgewinn durch
Aufbauen kann dieses neue Projekt zum Beispiel         die mit dem Leitbegriff der „Volksgemeinschaft“
auf den sehr umfangreichen Forschungen des             arbeitende neuere NS-Forschung (Schmiechen-
IDD zum Nationalsozialismus und seiner Nachge-         Ackermann u.a. 2018a). Mit besonderer Präg-
Bericht des Instituts für Didaktik der Demokratie 2017/18
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                                                                                             gesellschaftlichen Lebens nach dem Zivilisations-
                                                                                             bruch des Nationalsozialismus als eine Problem-
                                                                                             geschichte oder aber zumindest auch als eine
                                                                                             Erfolgsgeschichte zu schreiben ist.
                                                                                             Ein zweites traditionelles Standbein des IDD im
                                                                                             Bereich der Diktaturforschung bilden die zahl-
                                                                                             reichen in der Vergangenheit durchgeführten
                                                                                             Projekte zur SED-Herrschaft und speziell zur Frage
                                                                                             der innerdeutschen Grenze (als exemplarisches
                                                                                             Beispiel: Schwark/Schmiechen-Ackermann/Haupt-
                                                                                             meyer 2011; zur medialen Rezeption: Hellwig
                                                                                             2018). Ein aktuell laufendes Projekt zu den Grenz-
                                                                                             museen wird in diesem Heft näher vorgestellt. In
                                                                                             einem derzeit in Vorbereitung befindlichen For-
                                                                                             schungsvorhaben soll die „West-Arbeit“ der Stasi,
                                                                                             d.h. konkret das Ausspionieren von Behörden,
„Würde und Demokratie – ja“. Stra-   nanz konnte beispielsweise für die Juristen des         Betrieben und Persönlichkeiten in Niedersachsen,
ßenparole in Barcelona, Oktober      Sondergerichtes Bremen aufgezeigt werden, in            im Mittelpunkt stehen.
2017                                 welch hohem Maße „volksgemeinschaftliche“               Im Rahmen des am IDD angesiedelten Forschungs-
                                     Denkmuster nicht nur vor, sondern auch noch             projektes „Cultural Heritage als Ressource“ zeigt
                                     nach 1945 prägend waren (Schoenmakers 2015).            sich, in welchem Maße aktuelle Fragen von
                                     Das im Herbst 2018 abgeschlossene Projekt zur           Teilhabe, Zugehörigkeit, Selbstbestimmung und
                                     Geschichte der Klosterkammer Hannover (Schmie-          kultureller Identität auch sehr eng mit Fragen der
                                     chen-Ackermann u.a. 2018b) analysierte nicht nur,       demokratischen Legitimation verbunden sind.
                                     welche Belastungen aus der NS-Zeit für diese über       „Cultural Heritage“ (Kulturerbe) wird in unseren
                                     die Epochengrenzen 1933 und 1945 hinweg fast            Forschungen nicht als eine Art materielle Wider-
                                     unverändert bestehen bleibende Verwaltung zu            spiegelung von „Geschichte“ verstanden, sondern
                                     konstatieren waren, sondern beleuchtete auch die        im Sinne der Critical Heritage Studies als ein Kon-
                                     Problematik eines verpassten Neuanfangs nach            strukt, das in heutigen Diskursen erst geschaffen
                                     1945, der aus der Haltung resultierte, sich nicht       wird. David Lowenthal (1985) folgend, kann man
                                     kritisch mit dem Handeln der eigenen Behörde            „heritage“ als das verstehen, was Akteurinnen und
                                     während der nationalsozialistischen Herrschaft          Akteure aus der Vielfalt historischer Erfahrungen
                                     auseinander setzen zu wollen.                           und Prozesse auswählen, um sich selbst über his-
                                     Die noch laufende Untersuchung zu Raumfor-              torische und kulturelle Traditionen zu definieren.
                                     schung und Landesplanung (zur Bedeutung der             Folglich wird in der alltäglichen Praxis des doing
                                     Kategorie „Raum“ vgl. Werner 2018) in Nieder-           cultural heritage wie auch in der tourismusrele-
                                     sachsen fragt ebenfalls nach institutionellen           vanten cultural heritage industry kontinuierlich
                                     „Kontinuitäten und Neuorientierungen“ sowie             die Frage verhandelt, wessen „heritage“ eigentlich
                                     ganz gezielt nach dem Fortwirken von personellen        bewahrenswert ist (Hall 2005) und durch erinne-
                                     Netzwerken am Wissenschaftsstandort Nieder-             rungskulturelle Aktivitäten gepflegt werden soll.
                                     sachsen. Ein weiteres Projekt, zu einem Nieder-         Was gehört dazu – und wer gehört dazu? Die Aus-
                                     sachsen vorübergehend stark prägenden Wirt-             wahl, was zum kulturellen Erbe gehören soll, und
                                     schaftssektor, befindet sich derzeit in Vorbereitung.   was nicht, ist ein Prozess der Inklusion und der
                                     In allen diesen Fällen geht es um die Frage, wieviel    Exklusion auf dem Gebiet der Kultur – und damit
                                     Bruch und Neuanfang nach 1945 zu konstatieren           relevant für die Frage des Selbstverständnisses und
                                     ist, wieviel Kontinuität und Fortwirken alter Struk-    des Zugehörigkeitsgefühls von sozialen Gruppen
                                     turen es aber zugleich auch gegeben hat. Damit          und Individuen. Wie konfliktreich, hochpolitisch
                                     fügen sich diese Forschungen zur niedersächsi-          und tagesaktuell sich derartige Konflikte gestalten
                                     schen Zeitgeschichte ein in den auf nationaler          können, hat sich sehr eindrucksvoll im Rahmen der
                                     Ebene seit einigen Jahren dominierenden For-            derzeit durchgeführten Analysen zu „urban heri-
                                     schungstrend in der neueren Behördenforschung,          tage“ als Ressource gezeigt. In diesem Teilprojekt
                                     die nicht mehr vorrangig die aus der NS-Zeit            des noch laufenden Verbundforschungsprojektes
                                     resultierenden Belastungen bilanziert, sondern vor      „Cultural Heritage als Ressource?“ (CHER) wird
                                     allem auch nach dem Umgang mit dem Erbe der             neben Berlin, Breslau und Manchester auch das
                                     diktatorischen Vergangenheit nach 1945 fragt (als       Fallbeispiel Barcelona untersucht.
                                     Versuch einer Bilanz: Creuzberger/Geppert 2018).        Eine Erweiterung und Vertiefung des CHER-
                                     Mit Blick auf die Landeszeitgeschichte des 1946         Verbundprojektes wird derzeit in einem interdis-
                                     neu gebildeten Bundeslandes Niedersachsen wird          ziplinären Arbeitszusammenhang mit weiteren
                                     in weiteren Forschungen zu untersuchen sein, in         beteiligten Personen und Instituten der Leibniz
                                     welchem Maße die Gestaltung des politischen und         Universität Hannover im Rahmen des Forschungs-
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zentrums CINC aufgebaut. Der Forschungsschwer-              New York, S. 23-35.
                                                            Hellwig (2018): Die inszenierte Grenze. Flucht und Tei-
punkt „Cultural Heritage und Inclusive Citizenship“
                                                            lung in westdeutschen Filmnarrationen während der Ära
will sich vor allem durch eine Internationalisierung
                                                            Adenauer, Göttingen.
von Projektvorhaben weiter profilieren. Sehr                Isin/Ruppert (2015): Being DigitalCitizens. London.
interessante Arbeitskontakte sind im Rahmen einer           Isin/Nielsen (2008): Introduction. In: Dies.: Acts of Citi-
vom Präsidium der LUH organisierten Delegati-               zenship, London/New York, S. 1–13, hier: S. 10.
onsreise nach China entstanden. Bei Gesprächen              Kenner/Lange (2018a): Digital Citizenship Education.
an der Beijing Normal University, der Renmin Uni-           Digitale Medienkompetenz als Aufgabe der Politischen
versity Beijing und der Tongji University Shanghai          Bildung. In: Forum Politische Bildung: Informationen zur
wurde deutlich, wie viele interessante Berührungs-          Politischen Bildung, Nr. 43, S. 13-18.
punkte und gemeinsame Forschungsinteressen es               Kenner/Lange (2018b): Einführung: Citizenship Edu-
auf den Feldern der Pflege von „Cultural Heritage“          cation. In: Citizenship Education. Konzepte, Anregun-
                                                            gen und Ideen der Demokratiebildung. Dies. (Hrsg.),
und der Beschäfitgung mit Erinnerungskulturen
                                                            Frankfurt/M., S. 9-20.
gibt. Eine institutionelle Zusammenarbeit ist
                                                            Kleinschmidt/Kenner/Lange (2019): Inclusive Citizenship
bereits nach einem im Februar 2019 sehr erfolg-             als Ausgangspunkt für emanzipative und inklusive politi-
reich durchgeführten Workshop mit dem Man-                  sche Bildung in der Migrationsgesellschaft. In: Natarajan
chester Centre for Public History and Heritage              (Hrsg.): Sprache, Flucht, Migration: Kritische, historische
(MCPHH) vereinbart worden.                                  und pädagogische Annäherungen. Wiesbaden.
Der Transfer von Forschungsergebnissen in eine              Kleinschmidt/Lange (2016): Demokratie, Identität und
möglichst breite Öffentlichkeit im Sinne einer Citi-        Bürgerschaft jenseits des Nationalstaats. Inclusive
zenship Education gehört bei allen durchgeführten           Citizenship Education als neuer Ansatz der Politischen
Forschungsprojekten zu den originären Aufgaben              Bildung. In: Forum Politische Bildung: Informationen zur
des Instituts für Didaktik der Demokratie. Ende             Politischen Bildung 40: S. 13 –19.
                                                            Lange/Kleinschmidt (2017): Inclusive Citizenship
März 2019 wurde im Historischen Museum die
                                                            Education. Politische Bildung in der Einwanderungsge-
Ausstellung „Treck(er) nach Hannover“ eröffnet.
                                                            sellschaft. In: Populismus – Gleichheit – Differenz. Her-
Thematisch geht es im Rahmen dieser Ausstel-                ausforderungen für die politische Bildung. Diendorfer/
lung nicht nur um Auseinandersetzung mit den                Sandner/Turek (Hrsg.), Schwalbach am Taunus, S. 63–82.
Anfängen der Protestbewegung gegen die Atom-                Lowenthal (1985): The Past is a Foreign Country, Cam-
energie, sondern stets um Fragen demokratischer             bridge.Ritzi/Schaal/Kaufmann (2012): Zwischen Ernst
Teilhabe und Partizipationsmöglichkeiten. Mit der           und Unterhaltung. Eine empirische Analyse der Motive
Konzeption einer entsprechenden Ausstellung                 politischer Aktivität junger Erwachsener im Internet.
durch eine studentische Projektgruppe konnte                Hamburg.
das Thema in einer niedrigschwelligen Form der              Schmiechen-Ackermann (2018a): Der Ort der „Volksge-
Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Histo-            meinschaft“ in der deutschen Gesellschaftsgeschichte,
                                                            Paderborn.
rische und politische Bildung sind somit im Sinne
                                                            Schmiechen-Ackermann u.a. (2018b): Die Klosterkammer
einer Didaktik der Demokratie und dem damit
                                                            Hannover 1931-1955. Eine Mittelbehörde zwischen wirt-
verbundenen Konzept einer Inclusive Citizenship             schaftlicher Rationalität und Politisierung, Göttingen.
konstituierend. Dies gelingt im Institut für Didaktik       Schoenmakers (2015): „Die Belange der Volksgemein-
der Demokratie durch die hier beschriebenen                 schaft erfordern…“. Rechtspraxis und Selbstverständnis
Forschungsprojekte, aber auch durch eine Vielzahl           von Bremer Juristen im „Dritten Reich“, Paderborn.
von EU-Projekte in Zusammenarbeit mit Partne-               Schwark/Schmiechen-Ackermann/Hauptmeyer (2011),
rinnen und Partnern in ganz Europa. Einige dieser           Grenzziehungen – Grenzerfahrungen – Grenzüber-
derzeit laufenden Projekte werden in diesem Heft            schreitungen. Die innerdeutsche Grenze 1945-1990,
vorgestellt.                                                Darmstadt.
                                                            Spitzer (2012): Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere
Nachweise und Referenzliteratur                             Kinder um den Verstand bringen. München.
Appel/Schreiner (2015): Leben in einer digitalen Welt:      Stalder (2016): Kultur der Digitalität, Berlin.
Wissenschaftliche Befundlage und problematische             Thimm (2016): Digitale Gesellschaft. Zum Wandel der
Fehlschlüsse. Stellungnahme zur Erwiderung von Spitzer      (politischen) Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter. In:
(2015). In: Psychologische Rundschau, 66, 119-123.          Journal für politische Bildung, 1/2016, S. 8-15.
Appel Schreiner (2014): Digitale Demenz? Mythen und         Turner (2016): (En)gendering the political: Citizenship
wissenschaftliche Befundlage zur Auswirkung von Inter-      from marginal spaces, Citizenship Studies, 20/2, S. 141-
netnutzung. In: Psychologische Rundschau, 65, S. 1-10.      155.
Creuzberger/Geppert (2018): Die Ämter und die Vergan-       Werner (2018): Raum und Gemeinschaft. Die Mobilisie-
genheit. Ministerien und Behörden im geteilten Deutsch-     rung der deutschen Wirtschaftseliten im „totalen Krieg“,
land 1949-1972, Bonn.                                       in: Der Ort der „Volksgemeinschaft“ in der deutschen
Ebel/Zorn (2015) Vorwort in Chancen und Risiken             Gesellschaftsgeschichte. Schmiechen-Ackermann u.a.
digitaler Medien in der Schule: Medienpädagogische und      (Hrsg), Paderborn, S. 169-181.
–didaktische Perspektiven. Gütersloh.                       Wimmer (2015): Alternative Medien, Soziale Bewe-
Hall (2005): Whose heritage? Un-settling ‚the heritage‘,    gungen und Medienaktivismus. In: Handbuch Cultural
re-imagining the post-nation. In: Littler/Naidoo (2005):    Studies und Medienanalyse. Hepp u.a.(Hrsg.), Wiesbaden,
The Politics of Heritage. The legacies of ‘race’, London/   S. 191-199.
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                                      Power to the Bauer – 40 Jahre Gorleben-Treck, 40 Jahre
                                      Anti-Atombewegung in Deutschland
                                      Von Jenny Hagemann und Ecem Temurtürkan

Gorleben Treck (Foto: Wolfgang        Das „Beispiel Gorleben-Treck“ zeigt uns heute, dass   eine Rede hielt. Gleichwohl: 100.000 Menschen
Ehmke)                                und wie demokratische Teilhabe abseits instituti-     hörten ihm zu. Denn es ging in dieser Rede nicht
                                      onalisierter Prozesse funktionieren kann. In Zeiten   um Fragen der Landwirtschaft, sondern um die
                                      des Populismus, einer salonfähigen ,,Neuen Rech-      Zukunft der bundesdeutschen Energiepolitik – und
                                      ten“ und einer stetig beklagten Demokratiemüdig-      in den 1970er Jahren bedeutete dies: Atomkraft.
                                      keit gewinnt die Auseinandersetzung mit diesem        Nachdem es an anderen möglichen Standorten
                                      brisanten Thema enorm an Bedeutung: Soziale           bereits zu breiten Protesten durch die Bevölkerung
                                      Bewegungen und Proteste sind mehr als nur             gekommen war, beschloss die Bundesregierung
                                      laute Unmutsbekundungen. Sie tragen zu einer          gemeinsam mit der niedersächsischen Landesre-
                                      stetigen Erneuerung unserer Demokratie bei, deren     gierung, das geplante Nukleare Entsorgungszen-
                                      Vitalität auf Beiträgen des Einzelnen fußt. Zivil-    trum (NEZ) in Gorleben zu realisieren. Die Anlage
                                      gesellschaftliches Engagement wird so zu einer        sollte die modernste und größte in ganz Europa
                                      wertvollen und unverzichtbaren Korrektivinstanz,      werden. Sie versprach tausende neue industrielle
                                      durch die Demokratie „von unten“ gelebt wird. Im      Arbeitsplätze für den ost-niedersächsischen Land-
                                      Wendland vereinen sich diese Vorgänge dabei auf       kreis Lüchow-Dannenberg, der bis dahin nur dünn
                                      unvergleichbare Art und Weise. Als Praxislabor für    besiedelt und hauptsächlich landwirtschaftlich
                                      Demokratieentwicklung ist es nicht mehr aus der       geprägt war. Zudem bot die Landesregierung den
                                      deutschen Protestgeschichte wegzudenken.              Landwirt*innen hohe Summen für ihr Land, um es
                                                                                            im Anschluss bebauen zu können.
                                      „Mein lieber Herr Albrecht...“ - so begann Heinrich   Und tatsächlich nahmen einige Ortsansässige die-
                                      Pothmer seine Rede am 31. März 1979 in Hanno-         ses Angebot auch an. Womit man in der Kreispoli-
                                      ver. Es war das erste Mal, dass der junge Landwirt    tik jedoch nicht gerechnet hatte, war der sofortige
                                      aus dem niedersächsischen Lüchow-Dannenberg           und breite Widerstand, der sich unter der bis dahin
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Informationen zum Projekt:
Der Gorleben-Treck – 40 Jahre danach                  Kurzbeschreibung: An den „Gorleben-Treck“ im
Leitung: Prof. Dr. Detlef Schmiechen-Ackermann,       Frühjahr 1979 als ein markantes Ereignis der nie-
Prof. Dr. Thomas Schwark                              der-sächsischen Landesgeschichte sowie auch der
Mitarbeitende: Jenny Hagemann, Dr. Christian          Demokratiegeschichte der Bundesrepublik wird im
Hellwig, Karolin Quambusch und Ecem Temurtür-         kommenden Frühjahr mit einer am 26. März 2019
kan gemeinsam mit Katharina Rünger (Histori-          zu eröffnenden Sonderausstellung im Historischen
sches Museum Hannover), dem Gorleben-Archiv           Museum Hannover sowie einem umfangreichen
e.V. Lüchow, der Landeszentrale für politische        Begleitprogramm mit didaktischen Angeboten und
Bildung und einer Gruppe Studierender des Histo-      Veranstaltungen zur politischen Bildung erinnert
rischen Seminars der LUH.                             werden. Eine zeithistorische Tagung ist für Juni
Kooperationspartner: Historisches Museum Han-         2019 geplant.
nover, Gorleben Archiv e.V.
Laufzeit: 03/2018 bis 10/2019

konservativ geprägten Wählerschaft formierte –        die längst ein internationales Phänomen geworden
ermöglicht durch eine enge Vernetzung bereits         war, erhielt durch den Reaktorunfall zusätzlichen
bestehender Bürgerinitiativen, die sich im Laufe      Schwung, sodass am 31. März 1979 – als der Treck
der frühen 1970er Jahre an anderen möglichen          Hannover erreichte – rund 100.000 Menschen an
Standorten gegründet hatten. Darunter war auch        der Abschlusskundgebung teilnahmen, bei der
die Bürgerinitiative Umwelt Lüchow-Dannenberg,        auch Heinrich Pothmer seine Rede hielt.
die bereits 1973 ins Leben gerufen worden war.        Angesichts des öffentlichen Drucks gab Minister-
Ihre Mitbegründerin Marianne Fritzen sah die          präsident Albrecht am 16. Mai schließlich bekannt,
Bekanntgabe der Standortauswahl gemeinsam             dass der Bau der mitgeplanten Wiederaufberei-
mit der Presse, dem Bauernverband und vielen          tungsanlage „politisch nicht durchführbar“ sei.
Anderen im Lüchower Gildehaus im Fernsehen.           Indes wurden die Probebohrungen und Erkun-
Sie erinnerte sich an die Wut und das Entset-         dungen des Salzstocks Gorleben fortgesetzt, bis
zen der Landwirt*innen, als Ernst Albrecht – der      am 8. Oktober 1984 – dem sogenannten „Tag X“
niedersächsische Ministerpräsident, den Heinrich      – der erste Güterzug mit schwach- bis mittelra-
Pothmer in seiner Rede ansprach – am 22. Februar      dioaktivem Atommüll den Landkreis erreichte. Zu
1979 um 16 Uhr bekannt gab, das NEZ werde rund        diesem Zeitpunkt hatte sich der Landkreis längst
um den unterirdischen Salzstock bei Gorleben          zum Zentrum der deutschen Anti-Atombewegung
entstehen. Denn für die Landwirt*innen war klar:      entwickelt. Zu der nach wie vor hauptsächlich
Ein solches Lager – und damit die Gefahr einer        landwirtschaftlich geprägten Bevölkerung vor Ort
möglichen atomaren Verseuchung – bedrohte die         gesellten sich nun vermehrt Kunst- und Kultur-
gesamte eigene Existenz. Es ging dabei nicht nur      schaffende, die von der Kreativität und Vielfalt
um den eigenen Grund und Boden, sondern auch          der Bewegung ebenso angezogen wurden wie sie
um die eigene Gesundheit.                             sie selbst mitprägten. Die Entwicklungen rund um
Schnell entstand daraufhin der Wunsch, dem            das Thema Atomkraft veränderten aber nicht nur
Protest eigenständig Ausdruck zu verleihen.           den Landkreis Lüchow-Dannenberg als Region,
Obwohl das Thema auch zahlreiche linksorientierte     die wir heute als das Wendland kennen. Mit der
Gruppen aus den umliegenden Städten anzog,            Gründung der „Grünen“ 1980 und ihrem Einzug
sollte es eine Aktion sein, die von den betroffenen   in den Bundestag im Jahre 1983 veränderte sich
Landwirt*innen selbst ausging. Das Ergebnis war       auch die sozio-politische Landschaft der gesam-
die Idee eines „Trecks“ in die Landeshauptstadt       ten Bundesrepublik. Insbesondere im Bereich
Hannover, an dem sich rund 300 Landwirt*innen         von Umwelt- und Ökologiefragen sind aus den
mit ihren Treckern beteiligten. Geschmückt mit        vielfältigen dezentralen Projekten und Initiativen
zahlreichen Bannern, auf denen sie ihren Sorgen       rund um die Anti-Atombewegung nachhaltige
und ihrer Wut Ausdruck verliehen, starteten die       Impulse erwachsen, die auf längere Sicht auch die
Trecker am 25. März in Gedelitz ihre Fahrt nach       Entscheidungsfindung in kommunalen Gremien
Hannover. Sie wurden von hunderten Menschen           und Verwaltungen sowie im Parlament beeinflusst
zu Fuß, zu Fahrrad oder mit dem Auto begleitet.       haben. Der Widerstand gegen die Nutzung der
Gleichzeitig fand die wissenschaftliche Ausein-       Atomkraft entwickelte sich so zu einer sozialen
andersetzung mit den Gefahren der Atomkraft in        Bewegung, die schließlich zu erheblichen Verände-
Hannover im Rahmen eines internationalen Sym-         rungen in der öffentlichen Wahrnehmung und im
posiums statt. Als es am 28. März in Harrisburg,      institutionellen Parteiensystem geführt hat – bis
USA, zu einer teilweisen Kernschmelze des Kraft-      hin zum im Frühjahr 2011 von der Bundesregie-
werks „Three Miles Island“ kam, verschärfte sich      rung beschlossenen Atomausstieg.
die Situation zusätzlich. Die Anti-Atombewegung,
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                                   30 Jahre nach der Grenzöffnung – Erinnern und bewahren
                                   als gesamtdeutsche Aufgabe
                                   Von Christian Hellwig, Karolin Quambusch und Christine Schoenmakers

Foto: Ehemaliger Grenzturm und     Im Februar des vergangenen Jahres bemängelte           dass Abschottung und Grenzziehungen natürlich
Rekonstruktion eines Stücks        Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundestif-        keineswegs generell überwunden wurden und die
Grenzzauns in Popelau (Gemeinde    tung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, in einem       daraus hervorgegangen Migrations- und Flucht-
Amt Neuhaus, Landkreis Lüneburg)
                                   Gespräch mit „n-tv.de.“, dass die Auseinander-         bewegungen allgegenwärtig sind. Sie gehören zu
                                   setzung mit der DDR und deren Überwindung zu           den akuten gesellschaftlichen Herausforderungen,
                                   oft als ostdeutsches Regionalthema und nicht als       denen wir uns in den letzten Jahren ganz verstärkt
                                   gesamtdeutsches wahrgenommen würde. Anlass             auch hierzulande stellen müssen. Historisches
                                   des Interviews war der sogenannte Zirkeltag. Am        Lernen in einer Migrationsgesellschaft bedeutet
                                   5. Februar 2018 waren seit dem Fall der Berliner       in der Folge eben auch eine Antwort auf die Frage
                                   Mauer exakt 28 Jahre, 2 Monate und 26 Tage             zu finden, warum die Erinnerung an die DDR auch
                                   vergangen. Ebenso lange ist die Stadt durch die        für nachgeborene Generationen von Bedeutung ist
                                   Berliner Mauer geteilt gewesen und auch wenn           und was im Zuge der Auseinandersetzung mit der
                                   das Thema der Teilung in der bundesdeutschen           deutschen Teilung und der innerdeutschen Grenze
                                   Hauptstadt auf zahlreichen Ebenen nach wie vor         daraus gelernt werden kann.
                                   erinnerungskulturell verhandelt wird, so ist Anna
                                   Kaminsky dennoch zuzustimmen: Im Westen der            Am 9. November 2019 wird sich der Fall der
                                   Republik, in jenen Regionen, die auch zu Zeiten        Berliner Mauer und die Grenzöffnung entlang der
                                   der Teilung nicht unmittelbar von der Grenze           beinahe 1400 km langen innerdeutschen Grenze
                                   betroffen gewesen sind, spielt die Erinnerung an       zum 30. Mal jähren. Während die Berliner Mauer
                                   Teilung und Grenze allzuoft nur eine untergeord-       in der medialen Öffentlichkeit gerade anlässlich
                                   nete Rolle.                                            dieses Jubiläums stark präsent sein wird, hat der
                                                                                          Erinnerungsort der deutsch-deutschen Grenze im
                                   Dabei ist der historisierende Blick auf die deutsche   öffentlichen Gedenken und Bewusstsein nur eine
                                   Zweistaatlichkeit nach Ende des Zweiten Weltkrie-      vergleichsweise geringe Bedeutung. Kein Wunder,
                                   ges nicht nur hinsichtlich der Aufarbeitung und        denn seit dem 13. August 1961 war vor allem die
                                   Vergegenwärtigung dieses Kapitels der deutschen        Berliner Mauer zum herausragenden Symbol der
                                   Geschichte von Bedeutung. Wer ganz aktuell mit         deutschen Teilung geworden. Dieses Ungleich-
                                   offenen Augen auf die gesellschaftlichen Trans-        gewicht findet sich nicht nur auf der Ebene der
                                   formationsprozesse in Deutschland, in Europa           Erinnerungskultur: Auch die wissenschaftliche
                                   sowie in der ganzen Welt blickt, muss erkennen,        Forschung hat der innerdeutschen Grenze recht
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wenig Beachtung geschenkt – und das obwohl            Institut für Didaktik der Demokratie der Leibniz
mit der Grenzöffnung in den 1990er Jahren auch        Universität Hannover gestartet ist und in Koopera-
die DDR-Archive zugänglich wurden. Die meis-          tion mit dem Landkreis Lüchow-Dannenberg und
ten Studien, die bisher zum Thema entstanden          der Metropolregion Hamburg mit einer Laufzeit
sind, widmen sich vorrangig der Einordnung und        von 24 Monaten durchgeführt wird. Die Ausrich-
Bewertung der Geschichte der DDR, beschreiben         tung des Projektes zielt auf die Etablierung einer
die technische Konstruktion des Sperrwalls oder       nachhaltigen und attraktiven Erinnerungsarbeit
gehen auf dessen militärische Sicherung ein – die     und -vermittlung im Einzugsgebiet der Metro-
Grenze als relevanter Einflussfaktor für den Alltag   polregion Hamburg ab. Diese soll – ausgehend
der Menschen „hüben“ wie „drüben“ kommt, wenn         vom Projekt „Grenzgeschichte(n)“ – in doppelter
überhaupt, nur als Fußnote vor.                       Hinsicht wirken: Zum einen werden durch gezielte
                                                      inhaltlich-konzeptionelle Schwerpunksetzungen
Das erstaunt gerade vor dem Hintergrund, dass         die einzelnen Standorte profitieren und dadurch
die Erinnerungen an die Grenze als materialisierter   in ihrer Profilbildung gestärkt. Durch intensive
Ort der Teilung nicht nur in Berlin, sondern gerade   Vernetzung der Einrichtungen untereinander wird
an vielen Orten entlang der ehemaligen Demarka-       zudem die Reichweite und Strahlkraft der Erinne-
tionslinie immer noch lebendig sind. Mittlerweile     rungsarbeit zur Geschichte der deutschen Teilung
gibt es eine Vielzahl an größtenteils populärwis-     im Einzugsgebiet der Metropolregion gebündelt
senschaftlichen Schilderungen, Dokumentationen,       und damit die Attraktivität für den Tourismus in
Zeitzeug*innenberichten und -interviews über das      der Region sowie für weitere potentielle Ziel-
Thema „Grenze“, die vor allem auf dem Engage-         gruppen, wie z.B. (Volkshoch-)Schulen oder die
ment interessierter Bürger_innen oder Heimathis-      Bundeswehr, gesteigert. Ziel ist die Erarbeitung
toriker_innen fußen. Die damit einhergehenden         einer Bestandsaufnahme von Orten, Einrichtungen
Probleme sind offensichtlich: Ohne institutionelle    und Projekten, die im Bereich der Metropolregion
Förderung besteht die Gefahr, dass ein Teil der       an der „Erinnerungslandschaft deutsch-deutsche
gesammelten Objekte und der Erfahrungsschatz          Grenze“ beteiligt sind. Aus diesem Prozess lassen
der Zeitzeug*innen verloren geht. In Bezug auf die    sich in der Folge Handlungsempfehlungen für eine
zahlreichen kleinen und ehrenamtlichen Einrich-       gebündelte und vernetzte Gedenklandschaft in der
tungen entlang der ehemaligen Grenze muss sich        Region ableiten. Des Weiteren werden Angebote
also zwangsläufig die Frage stellen, wie deren        für die (Weiter-)Entwicklung vorhandener Kon-
Zukunft gesichert werden kann, wie die Sammlun-       zepte geschaffen sowie auf die einzelnen Einrich-
gen bewahrt und systematisiert werden können          tungen zugeschnittene didaktische Materialien
und wie ein Netzwerk der verschiedenen Einrich-       erstellt.
tungen etabliert werden kann.
An diesem Punkt setzt das Forschungsprojekt
„Grenzgeschichte(n)“ an, das im Oktober 2018 am

Informationen zum Projekt:
Grenzgeschichte(n) – Die „Erinnerungslandschaft       tung), Karolin Quambusch, Dr. Christine Schoen-
deutsch-deutsche Grenze“ in der Metropolregion        makers
Hamburg                                               Studentische Mitarbeiterinnen: Katja Fiedler, Jelena
Leitung: apl. Prof. Dr. Detlef Schmiechen-Acker-      Fürstenberg, Wienke Stegmann
mann                                                  Förderung: Metropolregion Hamburg
Mitarbeitende:                                        Volumen: 341.000 €
Wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterin-      Laufzeit: 10/2018 - 10/2020
nen: Dr. Christian Hellwig (operative Projektlei-
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     Modellprojekt zur Auseinandersetzung mit antidemokrati-
     schen Positionen an niedersächsischen Schulen

     von Patrick Bredl

     Die Wahlerfolge rechter Parteien machen deutlich,    sich häufig als „Einzelkämpfer“ und reagieren nicht
     dass antidemokratische Positionen kein Randphä-      selten überfordert (vgl. Zurstrassen 2010).
     nomen darstellen. Auch Einstellungsforschungen
     zum Konzept der Gruppenbezogenen Menschen-           Lehrkräfte nehmen die Äußerungen und Verhal-
     feindlichkeit (GMF) kommen zu alarmierenden          tensweisen solcher Schüler*innen als äußerst
     Ergebnissen. So stimmen in Befragungen über          herausfordernde und belastende Situationen wahr.
     31% der Befragten der Aussage zu: „Durch die vie-    Zugleich sind sie die entscheidende Akteure für
     len Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein     eine demokratische Schul- und Unterrichtsent-
     Fremder im eigenen Land“ (Zick/Klein 2014, 67).      wicklung.
     Lehrer*innen sehen sich mit einer Diversifizierung   Das niedersächsische Modellprojekt beabsich-
     der Erscheinungsformen rechtsextremer Positi-        tigt, die Handlungskompetenz von Lehrkräften
     onen konfrontiert und nehmen die Äußerungen          an berufs- und allgemeinbildenden Schulen in
     und Verhaltensweisen solcher Schüler als äußerst     der Auseinandersetzung mit antidemokratischen
     herausfordernde und belastende Situationen wahr      Einstellungen in der Schülerschaft zu stärken.
     (vgl. Behrens 2014).                                 Die grundsätzlichen Zielsetzungen des Projektes
                                                          bestehen in einer inhaltlichen Kompetenzerweite-
     Lehrer*innen sind entscheidende Akteure für eine     rung und einer Weiterentwicklung der Handlungs-
     demokratische Schul- und Unterrichtsentwicklung.     strategien der beteiligten Lehrkräfte sowie einer
     Sie prägen langfristig die Schulkultur im Umgang     Fortentwicklung bestehender Unterstützungssys-
     mit menschenfeindlichen und rechtsextremen Ein-      teme zur Qualifizierung von Lehrkräften im The-
     stellungen und Verhaltensweisen, aber sie erleben    menfeld Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
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                                                      Leitung: Dr. Sebastian Fischer, im Sommerse-
(GMF). Das niedersächsische Projekt orientiert sich   mester 2019 vertreten durch Dr. Moritz Peter
dabei konzeptionell an dem sächsischen Pilotpro-      Haarmann
jekt „Starke Lehrer – starke Schüler“.                Koordination: Patrick Bredl und Tobias Grote
Das Modellprojekt ist auf drei Jahre angelegt und     Förderung: Robert Bosch Stiftung, Kultusministe-
soll den Bedürfnissen vieler Lehrkräfte Rechnung      rium Niedersachsen
tragen, die sich passgenaue situative Hilfestellun-   Volumen: 475.932 €; Anteil LUH: 222.000 €
gen für den schulischen Alltag wünschen. Ziel ist     Laufzeit: 11/2018 – 11/2021
Lehrkräfte direkt in ihrem Handeln zu stärken.
Im Mittelpunkt stehen ein mehrjähriges Coaching
und eine Prozessbegleitung in der Umsetzung von
passgenauen Strategien. Diese Begleitung von
Lehrerinnen und Lehrern wird durch eine gemein-
same Planung, Durchführung und Reflexion von
Verhaltens- und Reaktionsstrategien am Beispiel
der eigenen Schule, der eigenen Klasse und des
eigenen Fachunterrichts gewährleistet.

Dabei gilt es zum einen die Erfahrungen aus der
Evaluation des sächsischen Projektes zu berück-
sichtigen und zum anderen die spezifischen
Implementationsbedingungen im Bundesland
Niedersachsen im Blick zu haben.

In Kooperation mit dem niedersächsischen Kultus-
ministerium und verschiedenen außerschulischen
Partnern sollen die bereits in Sachsen erprobten
Fortbildungsformate auf ihre Praktikabilität in
westdeutschen Implementationskontexten geprüft
werden, um auf diese Weise einen Beitrag zum
Transfer der Erkenntnisse des Modellprojektes über
die Grenzen Sachsens hinaus zu leisten.
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     2. Forschungsfelder des Instituts
     Die Demokratie steht gegenwärtig vor einer Reihe von Herausforderungen. Bei der Suche nach Antwor-
     ten, wie diesen Herausforderungen begegnet werden kann, ist auch die Wissenschaft gefragt. Angesichts
     dieses Befundes hat sich im Jahr 2013 das Institut für Didaktik der Demokratie gegründet. Das Institut
     verfolgt den Ansatz einer anwendungsbezogenen Politik- und Geschichtswissenschaft, dessen Fundament
     die demokratiedidaktische Perspektive darstellt. Neben der wissenschaftlichen Forschung, zählen Transfer
     und Beratung zu den zentralen Aufgabenfeldern des Instituts.
     Inhaltlich lassen sich die Forschungstätigkei-
     ten des Instituts in fünf Feldern bündeln, die
     jeweils auf aktuelle Herausforderungen für die          3. Rechtsextremismus und Demokratie
     Demokratie verweisen: Bürgerbewusstsein und             Das Erkenntnisinteresse dieses Schwerpunktes
     Partizipation; Diversität und Inklusion; Rechts-        bewegt sich im Spannungsfeld von Demokratiebil-
     extremismus und Demokratie; Nationalsozialis-           dung und Rechtsextremismusprävention. Für die
     mus und Diktaturerfahrung sowie Europäisie-             Entwicklung nachhaltiger Bildungs- und Präventi-
     rung und Globalisierung.                                onsstrategien sind die Zusammenhänge zwischen
                                                             Diskursen der Ausgrenzung in der „Mitte“ der
                                                             Gesellschaft sowie rechtsextremer Politikformen
                                                             und Denkweisen zu erforschen. In diesem Feld
     1. Bürgerbewusstsein und Partizipation                  spielen Fragen der Menschenrechte und der
     Auf der einen Seite wird der Gesellschaft häufig        demokratischen Grundwerte eine besondere Rolle.
     eine wachsende Distanz zu politischen Fragen            Gefragt wird außerdem nach der Bedeutung von
     und zur Partizipation attestiert, insbesondere mit      Politischer Bildung für eine kontinuierliche Demo-
     Blick auf Wahlen und Mitgliedschaften in Parteien.      kratiepolitik.
     Auf der anderen Seite lässt sich aber beobachten,
     dass insbesondere die jüngere Generation sich           4. Nationalsozialismus und Diktaturerfahrung
     vornehmlich in der sozialen Lebenswelt engagiert        Historisch-politische Bildungsarbeit in Deutsch-
     und unkonventionelle Formen der Partizipation           land hat ihren thematischen Schwerpunkt in der
     wählt. Forschungsprojekte beschäftigen sich             Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialis-
     daher mit der Frage, wie das Bewusstsein für die        mus und anderen diktatorischen Regimen. Aus
     unterschiedlichen Formen der Beteiligung an             der Beschäftigung mit Gewaltherrschaft und
     demokratischen Verfahren entwickelt und gestärkt        Unterdrückung lässt sich der Sinn demokratischer
     werden kann. Welche mentalen Konzepte bieten            Werte erschließen. Im Mittelpunkt dieses Schwer-
     Jugendlichen und Erwachsenen Orientierung und           punktes steht die Erforschung und Vermittlung
     Handlungssicherheit in der Demokratie? Welche           von Strukturen, Bedingungen und sozialer Praxis
     subjektiven Vorstellungen sind im Politik- und          der NS-Herrschaft sowie die Untersuchung der
     Geschichtsbewusstsein verankert und wie lassen          Transformation der „NS-Volksgemeinschaft“ in
     sie sich in Lernprozesse integrieren?                   eine demokratische Bürgergesellschaft nach 1945.
                                                             Daneben interessieren auch die Themenkomplexe
     2. Diversität und Inklusion                             DDR, deutsche Teilung und Grenzregime als Nach-
     Die deutsche Gesellschaft wird zunehmend hete-          geschichte von Nationalsozialismus und Zweitem
     rogener und zeichnet sich durch Diversität aus.         Weltkrieg.
     Bisher mangelt es an Konzepten, wie den damit
     verbundenen Herausforderungen wie sozialer              5. Europäisierung und Globalisierung
     Ungleichheit begegnet werden kann. Besonders in         Die weltweite Vernetzung verschiedener Bereiche
     den Bereichen Schulentwicklung, Lehrplan- und           wie Wirtschaft, Politik und Kultur erfordert neue
     Unterrichtsgestaltung sowie in der Lehrerbildung        Konzepte, die den globalen Rahmenbedingun-
     besteht Handlungsbedarf. Aber auch in der non-          gen gerecht werden. Es stellt sich die Frage, wie
     formalen Jugend- und Erwachsenenbildung stellt          sich historisch-politische Bildung unter globalen
     sich die Frage, wie inklusive Bildung gelingen kann.    Gesichtspunkten gestalten lässt und wie den damit
     Forschungen in diesem Feld interessieren sich           verbundenen Herausforderungen begegnet werden
     für die sozialen und pädagogischen Prozesse der         kann. Aus einer historischen Perspektive rückt
     Inklusion und Exklusion. Sie fragen, wie Prozesse       zudem die politische Geschichte von Grenzen und
     der Inklusion und Anerkennung gefördert werden          Entgrenzungen am Beispiel der deutschen Teilung
     können und Phänomenen wie Rassismus und                 in den Mittelpunkt.
     Ausgrenzung begegnet werden kann?
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