BESCHÄFTIGUNG 43 Erfolgsmodelle für Menschen mit Behinderungen - Wie Inklusion gelingt: Beispiele aus der Praxis

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BESCHÄFTIGUNG 43 Erfolgsmodelle für Menschen mit Behinderungen - Wie Inklusion gelingt: Beispiele aus der Praxis
BESCHÄFTIGUNG
      43 Erfolgsmodelle für
                      Menschen mit Behinderungen

 Wie Inklusion gelingt:     Wie Unternehmen Arbeitsplätze
 Beispiele aus der Praxis   für Menschen mit Behinderung schaffen
IN KOOPERATION MIT
BESCHÄFTIGUNG 43 Erfolgsmodelle für Menschen mit Behinderungen - Wie Inklusion gelingt: Beispiele aus der Praxis
Chancengleichheit
 – unser Grundwert

Erst die Vielfalt und die unterschiedlichen Begabungen und Stärken
unserer MitarbeiterInnen machen unser Unternehmen erfolgreich.
Daher: Werden auch Sie Teil unseres Teams und bewerben Sie sich
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che der REWE International AG.

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BESCHÄFTIGUNG 43 Erfolgsmodelle für Menschen mit Behinderungen - Wie Inklusion gelingt: Beispiele aus der Praxis
I N H A L T
                                                                     Mehr Ressourcen für die Inklusion: Spannende     Gut für Moral und Business: Welche Chancen die
                                                                     Diskussion im Wiener „Haus der Philanthropie".   Beschäftigung Behinderter für Unternehmen bietet.

                     Cover 16

                                                                06                                                                                                         10

                                                                20                                                                                                         24
                     Gebärden- statt Lautsprache: In der
                     Marienapotheke arbeitet ein gehörloser
                     Apotheker äußerst erfolgreich. Eines von
                     vier Porträts von Menschen mit Behinde-
                     rung, die vermeintliche Einschränkungen         Hightech gegen Barrieren: Innovationen machen    Best Practice: Inklusion funktioniert zum Vorteil
                     in beruflichen Erfolg umgemünzt haben.          Menschen mit Behinderung das Leben leichter.     von Unternehmen und Menschen mit Behinderung.

                     V O R W O R T
                     Arbeitsplätze für Menschen mit Behinde-         das Zero Project (www.zeroproject.org) ins
                     rung, speziell im ersten Arbeitsmarkt, sind     Leben gerufen. Mit tatkräftiger Unterstüt-
                     ein wichtiges gesellschaftliches Anliegen.      zung der Tageszeitung „Die Presse“ wurde
                     Mehr als . Menschen in Österreich         die vorliegende Beilage „Beschäftigung – In-
                     haben derzeit keine reale Chance auf einen      klusion“ gestaltet, um Erfolgsbeispiele von
                     Arbeitsplatz, obwohl sie gerne arbeiten         gelungener Inklusion aus Österreich zu sam-
                     möchten und unter den richtigen Rahmen-         meln und vor den Vorhang zu holen. Mit
                                                                                                                                    Impressum
                     bedingungen auch volle Leistung bringen.        dem klaren Ziel, noch viel mehr heimische
                     Umgekehrt entgeht Unternehmen ein rei-          Arbeitgeber dazu zu motivieren, sich die                       Medieninhaberin und Herausgeberin: Essl Foun-
                     ches Potenzial und eine Vielfalt an Talen-      Frage zu stellen, ob Mitarbeiterinnen und                      dation, c/o Haus der Philanthropie, Schottenring
                     ten. Die Gründe dafür sind uralte Vorbehal-     Mitarbeiter mit Behinderung nicht auch für                     16/3, 1010 Wien.
                                                                                                                                    Produktion: „Die Presse“-Verlags-GmbH & Co
                     te, und ein Sozial- und Bildungssystem, das     sie eine Bereicherung darstellen.                              KG, Hainburger Straße 33, 1030 Wien.
                     nicht voll an Inklusion glaubt. Dabei gibt es   Diese Publikation ist auch Teil des Projektes                  Geschäftsführung: Mag. Herwig Langanger, Dr.
                                                                                                                                    Rudolf Schwarz.
                     unzählige Beispiele für gelungene Inklu-        „Zero Project Unternehmensdialoge“, die die                    Umsetzung: „Die Presse“-Spezialredaktion, Mag.
                     sion von Menschen mit Behinderung, die          Essl Foundation gemeinsam mit Partnern in                      Astrid Müllner, Mag. Michael Köttritsch, MA.
                                                                                                                                    Koordination: Wolfgang Pozsogar, MMag. Da-
                     Unternehmen und Organisationen nicht            österreichischen Landeshauptstädten orga-                      niela Tomasovsky.
                     nur aus sozialem „Gutes tun“, sondern auch      nisiert und das vom Bundesministerium für                      Art Direction: Matthias Eberhart.
                                                                                                                                    Grafik/Produktion: Thomas Kiener, Christian
                     aus handfesten betrieblichen Vorteilen,         Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz ge-                     Stutzig, Patricia Varga, Viktoria Riegler, Alexan-
FOTOS: BEIGESTELLT

                     realisierten.                                   fördert wird.                                                  der Schindler.
                                                                                                                                    Druck: DruckStyria GmbH & Co KG, Styriastraße
                     Die Essl Foundation konzentriert sich in                                                                       20, 8042 Graz.
                     ihrer Arbeit auf Innovationen, die Menschen     Martin Essl,                                                   Die in diesem Magazin angeführten Informatio-
                                                                                                                                    nen zu den Best-Practice-Beispielen beruhen auf
                     mit Behinderungen unterstützen, und hat         Gründer der Essl Foundation                                    Angaben der jeweiligen Unternehmen.

                                                                                                                                                         Beschäftigung - Inklusion   3
BESCHÄFTIGUNG 43 Erfolgsmodelle für Menschen mit Behinderungen - Wie Inklusion gelingt: Beispiele aus der Praxis
Inklusion international
Die inklusive Autoproduktion
D  ass Menschen mit Behinderungen her-
   vorragende Arbeit leisten können, be-
weist ILUNION Automoción in Spanien. Das
                                                 der neuen Ford-Modelle durchführen, die
                                                 den hohen Standards des Automobilprodu-
                                                 zenten entsprechen. ILUNION ist heute einer
von der ONCE Foundation und Ford  ins        der leistungsfähigsten Zulieferer der spani-
Leben gerufene Projekt ist Zulieferer von        schen Autobranche. Die  Mitarbeiter sind
Ford Spanien. Ende  wurden in mittler-       für die Lagerverwaltung und pünktliche Lie-
weile neun Produktionsstätten rund um das        ferung der Teile ans Fließband verantwort-
Ford-Werk Almussafes (Valencia)  Mit-         lich und sie montieren Fahrzeugteile wie Mo-
arbeiter beschäftigt, davon  mit Behinde-     toren oder Getriebe. Eine Evaluierung zeigte,
rungen. Durch die Adaptionen der Arbeits-        dass die positiven Auswirkungen des Projek-
plätze können diese Menschen selbst              tes den Mehraufwand für die Adaption der
anspruchsvolle Arbeiten an kritischen Teilen     Arbeitsplätze bei weitem übertrifft.

Serviceleistungen für Möbelhaus
                                                 I m „recovery department“ der IKEA-Ge-
                                                   schäfte machen geschickte Handwerker be-
                                                 schädigte oder retournierte Produkte wieder
                                                                                                   dort bereits tätigen Mitarbeiter mit Kursen in
                                                                                                   Gebärdensprachen und anderen Informatio-
                                                                                                   nen auf ihre neuen Kollegen vorbereitet.
                                                 fit für den Verkauf, um den Abfall gering zu      Ebenso wurden die neuen Mitarbeiter mit
                                                 halten. In der IKEA-Niederlassung Hamburg         Behinderung auf ihren Job vorbereitet, etwa
                                                 Altona arbeiten in dieser Abteilung  Mit-       indem sie den richtigen Umgang mit Kunden
                                                 arbeiter, davon  Menschen mit Behinde-          lernten. Heute klappt die Arbeit des Teams
                                                 rung. Ins Leben gerufen wurde das Projekt         bestens. Einige Tätigkeiten, wie der Verkauf
                                                 von Alsterarbeit, einem Non-Profit-Unter-         von leicht beschädigten oder ausgelaufenen
                                                 nehmen, gemeinsam mit IKEA. Alsterarbeit          Artikeln, werden ausschließlich von Men-
                                                 und IKEA haben beim Start des Projektes die       schen mit Behinderungen durchgeführt.

Betroffene als Uni-Lehrer
M     enschen mit Behinderung können an
      vielen Universitäten zwar studieren,
aber kaum lehren. Menschen mit intellek-
                                                 ) begannen die ersten Graduierten be-
                                                 reits ihre Tätigkeit als Bildungsfachkräfte an
                                                 der Universität Kiel. Sie lehren vor allem über
tuellen Einschränkungen sind vom universi-       die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit
tären Bildungssystem fast völlig ausgeschlos-    intellektuellen Einschränkungen. Die neuen
sen. Das soll sich jetzt ändern – zumindest in   Bildungsfachkräfte arbeiten selbstständig
Deutschland. Das Institut für Inklusive Bil-     und sollen nicht nur lehren, sondern auch an
dung möchte Menschen mit intellektuellen         Konferenzen zum Thema teilnehmen und
                                                                                                                                                    FOTOS: BEIGESTELLT

Einschränkungen für Lehrtätigkeiten an Uni-      Workshops leiten. Der Bedarf an solchen spe-
versitäten und Hochschulen qualifizieren         ziellen Vortragenden ist groß, an kaum einer
und ihnen entsprechende Jobs vermitteln.         Universität wird über die Bedürfnisse von
Nach einem dreijährigen Seminar ( bis        Menschen mit Behinderung informiert.

4   Beschäftigung - Inklusion
BESCHÄFTIGUNG 43 Erfolgsmodelle für Menschen mit Behinderungen - Wie Inklusion gelingt: Beispiele aus der Praxis
Österreich zum Vorbild für
        inklusive Beschäftigung machen
    D
           ie gemeinnützige Essl Foundation konzentriert sich auf            Wie wollen Sie das erreichen?
           Menschen mit Behinderung. International zählt das Zero        Essl: Durch gute Beispiele und vorbildliche Lösungen. Unter-
           Project mit seinen Konferenzen in der UNO-City in Wien zu     nehmen orientieren sich immer an Vorbildern und Bench-
    den bekanntesten Initiativen weltweit zur Förderung von Innova-      marks in der Wirtschaft und speziell denen aus ihrer Branche.
    tionen, die die Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte von       Wir tragen laufend die interessanten Strategien der besten
    Menschen mit Behinderung unterstützen. In Ös-                                       Unternehmen zusammen, wobei es immer
    terreich steht für die Essl Foundation die Umset-                                   auch um den betrieblichen Nutzen von inklusi-
    zung der UN-Konvention (Beschäftigung, Bildung,                                     ver Beschäftigung geht, und nicht nur darum,
    Barrierefreiheit, selbstbestimmtes Leben und poli-                                  sozial zu agieren, denn das allein ist nicht nach-
    tische Teilhabe) im Mittelpunkt. Man ist durch viel-                                haltig.
    fältige Aktivitäten bestrebt, Österreich zu einem                                   Wir publizieren dann diese Informationen, und
    Musterland für Inklusion zu entwickeln. Martin                                      wir organisieren Zero Project Unternehmens-
    Essl, Gründer der Essl Foundation und Initiator des                                 dialoge in den Landeshauptstädten, zu denen
    Zero Project, zu den wichtigsten Fragen über seine                                  wir österreichische und internationale Themen-
    Intentionen.                                                                        führer einladen.
                                                                                        Wir unterstützen außerdem innovative Be-
        Warum konzentriert sich die Essl Foundation auf                                 schäftigungsmodelle wie Specialisterne (Be-
        die Anliegen von Menschen mit Behinderung?                                      schäftigung von Menschen mit Autismus) oder
    Essl: Die bauMax AG, die meine Familie aufge-                                       Discovering Hands (Beschäftigung blinder
    baut hat und vor zwei Jahren verkaufen musste,                                      Frauen).
    beschäftigte bis zuletzt in Österreich mehr als 
                                                         Martin Essl: „Die Barrieren in
    MitarbeiterInnen mit Behinderung mit vollwerti-                                     Woran messen Sie den Erfolg Ihrer Stiftung?
                                                         den Köpfen abbauen."
    gen Arbeitsplätzen zum Kollektivvertrag. Ich weiß                                   Essl: Den Erfolg mit dieser Initiative messe ich
    um die vielen Chancen und den Nutzen davon                                          daran, wie viele neue Arbeitsplätze für Men-
    für Unternehmen und ich sehe gleichzeitig, wie die meisten             schen mit Behinderungen geschaffen werden, oder ob es
    daran vorbeigehen und sich von den vielen Vorurteilen ab-              einen Paradigmenwechsel bei großen und kleinen Unterneh-
    schrecken lassen. Mit den Zero Project Unternehmensdialogen            men in unserem Land und schlussendlich in der österreichi-
    möchte ich einen Beitrag leisten, diese Barrieren, die es haupt-       schen Wirtschaft gibt, denn das hängt damit unmittelbar zu-
    sächlich in den Köpfen gibt, abzubauen.                                sammen.

Inklusive Jobs in der Altenpflege
U  m Menschen mit intellektuellen Behin-
   derungen den Einstieg in den ersten
Arbeitsmarkt zu erleichtern, werden in Bel-
                                                Training on the Job findet in Betrieben nahe
                                                dem Wohnort statt und ist von der Dauer her
                                                den Möglichkeiten der Teilnehmer ange-
gien spezielle Schulungen und Praktika an-      passt. Rund  junge Menschen mit Behinde-
geboten. Organisiert werden die Kurse von       rung werden pro Jahr trainiert. Die Kosten
LetsCo, einem Ausbildungszentrum für            dafür trägt die flämische Verwaltung. Wobei
junge Menschen mit Behinderung. Die Kurse       sich die Investitionen bezahlt machen: Die
umfassen Praktika in realer Arbeitsumge-        Erfolgsrate des Projekts liegt bei  Prozent!
bung in Betrieben, aber auch Kindergärten       Es gibt jungen Erwachsenen eine Zukunfts-
und Seniorenzentren. Die Teilnehmer entwi-      perspektive und eine Chance auf eigenstän-
ckeln dabei ihre beruflichen Fähigkeiten,       dige Arbeit. Andernfalls würden sie auf Le-
entdecken ihre Stärken und Talente. Das         benszeit Sozialhilfe beziehen.

                                                                                                                         Beschäftigung - Inklusion   5
BESCHÄFTIGUNG 43 Erfolgsmodelle für Menschen mit Behinderungen - Wie Inklusion gelingt: Beispiele aus der Praxis
Diskutanten Im Haus der Philanthrophie: (v. l. n. r.) Johannes
    Kopf, Wolfgang Kowatsch. Michael Fembek, Claudia Schneider,
    Elmar Fürst und Melanie Wimmer.

6   Beschäftigung - Inklusion
BESCHÄFTIGUNG 43 Erfolgsmodelle für Menschen mit Behinderungen - Wie Inklusion gelingt: Beispiele aus der Praxis
Mehr Ressourcen für
                            die Inklusion
                        Im „Haus der Philanthropie“ diskutierten Experten, wie mehr
                       Menschen mit Behinderung im ersten Arbeitsmarkt beschäftigt
                       werden können. Übereinstimmende Aussage: Es gibt auf diesem
                                          Gebiet noch viel zu tun.

                   P
                            rominente Teilnehmer trafen sich         ten vor, dass sich jemand beschwert, weil er
                            im August am Wiener Schottenring:        als nicht arbeitsfähig eingestuft wird. Wenn
                            Johannes Kopf, Vorstand des AMS,         es Diskussionen um Arbeitsfähigkeit gibt,
                            Elmar Fürst, Vorstandsvorsitzender       dann eher umgekehrt. Hier hat sich eine
                            der Hilfsgemeinschaft der Blinden        Schutzmaßnahme leider ins Gegenteil ver-
                   und Sehschwachen, Wolfgang Kowatsch,              kehrt, aber fein, wenn der konkrete Fall
                   myAbility Social Enterprise GmbH, Claudia         dann doch noch gelöst werden konnte.
                   Schneider und Melanie Wimmer, Atempo                  Fembek: Herr Kowatsch, aus der Sicht von
                   Jobcoaching, diskutierten das Thema Inklu-            Unternehmen, für die Sie tätig sind, was sind
                   sion. Das Gespräch leitete Michael Fembek,            die Barrieren bei der Inklusion?
                   Geschäftsführer von Zero Project. Hier die        Kowatsch: Es gibt in Österreich und den
                   wichtigsten Passagen der neunzigminütigen         neun Ländern eine sehr unübersichtliche
                   Diskussion.                                       Landschaft an Fördermöglichkeiten und
                                                                     Regelungen. In unseren vielen Gesprächen
                       Fembek: Der Berufseinstieg ist für Men-       mit Unternehmen stellen wir immer wieder
                       schen mit Behinderung noch immer schwer.      fest, dass man eine Servicestelle wünscht,
                       Was können wir tun, um ihn zu erleichtern,    die den Überblick hat. Aber das gibt es noch
                       um Mainstream-Unternehmen die Chancen         nicht. Es gibt viele Spezialisten und Unter-
                       und Vorteile von Menschen mit Behinderung     nehmen werden von einem zum anderen
                       als Mitarbeiter bewusst zu machen?            geschickt. Wenn es für die Wirtschaft eine
                   Schneider: Ich bin seit  Jahren auf diesem      klare erste Andockstelle gäbe, an die man
                   Gebiet tätig. Ein wesentliches Hindernis bei      die ersten Fragen bundesübergreifend und
                   der Inklusion von Menschen in den Arbeits-        behinderungsübergreifend richten kann,
                   prozess ist nicht die Behinderung, sondern        wäre das eine extreme Hilfe für unsere
                   das System, das nicht so funktioniert wie es      Arbeit. Wir glauben auch, dass das AMS
                   funktionieren sollte. Ich coache eine -jäh-     dafür gut geeignet wäre.
                   rige Frau, die ab September die Möglichkeit       Und zu ihrer Eingangsfrage. Wir sehen das
                   hätte, für  Stunden in der Woche in einem       größte Problem bei der Inklusion von Men-
                   Gastronomiebetrieb zu arbeiten und hoch           schen mit Behinderung in die Arbeitswelt in
                   motiviert ist. Nun wurde diese Dame amt-          den zum Großteil unbegründeten Vorbehal-
                   lich als nicht arbeitsfähig eingestuft, womit     ten der Arbeitgeber punkto Minderleistung,
                   für die Firma sowohl der Lohnkostenzu-            Krankenstände, persönliche Ängste. Das ist
                   schuss als auch die Anrechnung auf die            eine große Hürde und wir glauben, dass es
                   Ausgleichstaxe wegfallen. Weder die Betrof-       vieler individueller Initiativen wie Atempo
                   fene noch ich wissen warum. Mit viel Mühe         oder myAbility als Ergänzung der öffentli-
                   haben wir nun eine Sonderlösung mit dem           chen Initiativen bedarf, sowie einer intensi-
                   Sozialministerium gefunden. Und das ist           ven Interaktion mit Unternehmen, um be-
                   kein Einzelfall.                                  wusst zu machen, dass es bei der Inklusion
                   Kopf: Ich kenne den Fall nicht, aber da ist of-   von Menschen mit Behinderung vor allem
FOTOS: ÀKOS BURG

                   fenbar etwas schlecht gelaufen. Ich glaube        auch um Potenzial und wirtschaftliche
                   jedoch nicht, dass es sich um ein systemati-      Chancen für den Betrieb geht. Und das ist
                   sches Problem handelt. Es kommt sehr sel-         nicht nur ein CEO-Thema, die Abteilungen

                                                                                              Beschäftigung - Inklusion   7
BESCHÄFTIGUNG 43 Erfolgsmodelle für Menschen mit Behinderungen - Wie Inklusion gelingt: Beispiele aus der Praxis
Michael Fembek: Wo kann man Unternehmen          Claudia Schneider: Die öffentliche Hand erspart   Elmar Fürst: Behinderte Menschen bringen am
abholen, damit sie den ersten Schritt setzen?    sich bei gelebter Inklusion viel Geld.            Arbeitsplatz teilweise bessere Leistungen als andere.

mit ihren Teams sind ebenfalls einzubinden.      Kopf: Ich versichere Unternehmen, dass es         wie eine Supermarktkette, eine Bank, eine
Kopf: Sie haben angesprochen, dass bei der       für sie bei nahezu allen Themen, abhängig         Versicherung. Es gibt Studien, die genau
Integration von Menschen in den Arbeits-         von der individuellen Problemlage, die not-       rechnen, wie sich das Kaufverhalten verbes-
markt die Vielfalt an Zuständigen schwierig      wendige Unterstützung gibt. Wir signalisie-       sert, wenn Produkte oder Dienstleistungen
ist, das stimmt leider und hat auch mit          ren, dass mit Unterstützung auch alles            barrierefrei zugänglich oder zu konsumie-
unserem föderalen System zu tun. Es gibt         schaffbar ist. Natürlich ist dieses Türöffnen     ren sind. Selbst bei sehr konservativer Rech-
Länder- und Bundesförderungen, beim              immer eine Herausforderung. Eine zweite           nung kommt eine beeindruckende Zahl he-
Bund gibt es das Sozialministeriumsservice,      Person mit Behinderung in einem Unter-            raus, weil nicht nur die  % der Gesellschaft,
das AMS, dazu kommen Programme und               nehmen unterzubringen ist vielfach leichter       angesprochen werden, die eine Behinde-
Vereine, die aktiv sind. Es sind aber auch die   als die erste.                                    rung haben, sondern auch ihr Umfeld. Das
Probleme bei der Integration von Menschen        Kowatsch: Wichtig ist auch, den Unterneh-         ist dann ein Drittel der Gesellschaft.
mit Behinderung in den Arbeitsmarkt vielfäl-     men die wirtschaftlichen Vorteile bewusst         Fürst: Es wird immer diskutiert, dass an-
tig und nicht nur rein arbeitsmarktpolitisch.    zu machen. Etwa aufzuzeigen, dass sich            geblich nur Kinder aus Akademikerhaus-
Natürlich ist es theoretisch denkbar, eine Art   eine bessere Erfüllung der Einstellungs-          halten studieren können. Bei Menschen
Superinstanz zu schaffen, die alle diese                                                           mit Behinderung hängt es tatsächlich
Dinge zusammenbringt. Wir bemühen uns                                                              meist davon ab, in welchem Elternhaus sie
aber um einen realistischeren Weg, in Rich-         WICHTIG IST AUCH, DEN                          aufwachsen und wie sie von den Eltern ge-
tung eines Case-Managements, eine Beglei-                                                          fördert werden. Ob sie als behinderter, be-
tung der Personen durch diese Institutionen.            UNTERNEHMEN DIE                            mitleidenswerter Mensch behandelt wer-
Bei unserer Arbeit haben wir drei Ansätze.                                                         den. Oder als Mensch, der alle
Einmal den klassischen Arbeitssuchenden,                WIRTSCHAFTLICHEN                           Möglichkeiten hat und nur in einem Punkt
hier unterstützen wir aktuell rund .                                                          eine überwindbare Einschränkung. Dazu
vorgemerkte begünstigte Menschen bei                VORTEILE AUFZUZEIGEN.                          braucht es Eltern, die Biss haben, denn es
ihrer Jobsuche. Der zweite Ansatz: Ein Be-                                                         gibt Hürden zu überwinden, es gibt Res-
trieb sucht spezifisch einen Menschen mit                      WOLFGANG KOWATSCH                   sentiments an allen Ecken. Das fängt im
Behinderung, aus sozialem Engagement                                                               Kindergarten an und geht über die Schule.
und auch um keine Ausgleichstaxe mehr            pflicht bezahlt macht. Das ist ein wichtiges      Ich kenne Fälle, wo Jugendliche einfach
zahlen zu müssen. Das ist eher selten. Der       Argument beim Einstieg, weil man es mes-          abgelehnt worden sind.
klassische Fall ist, jemand meldet uns eine      sen kann. Und dann gibt es noch zwei zu-          Aber Eltern sind Glückssache, deshalb
Stelle, wir schicken Arbeitssuchende hin,        sätzliche Rechnungen, die vom Volumen             brauchen wir eine Kultur, in der Behinde-
auch jemand, der eine Behinderung hat            her noch attraktiver sind als die Einstel-        rung nicht Grund ist, einen Menschen in
und informieren gleichzeitig den Betrieb         lungspflicht. Eine ist die Produktivität.         eine Ecke zu stellen und abzuqualifizieren.
über alle Unterstützungsmöglichkeiten. Wir       Wenn man durch eine offene Unterneh-              Das betrifft auch den Arbeitsmarkt. Wir wis-
sind einfach der wichtigste Ansprechpart-        menskultur – und darum geht es unserer            sen, dass behinderte Menschen am Arbeits-
ner für Betriebe bei der Stellenbesetzung.       Meinung nach – die Arbeitsproduktivität           platz teilweise bessere Leistungen bringen
    Fembek: Aber geht es nicht auch um die       durch geringere Krankenstände oder höhe-          als andere. Das Gleiche gilt in der Schule.
    Frage, welche Serviceleistungen Unterneh-    re Motivation um zehn Prozent verbessert,         Kopf: Wenn nur durch die Unterstützung
    men brauchen, damit sie überhaupt den ers-   kann man beachtliche Produktivitätsgewin-         der Familie viel gelingt, dann haben wir
                                                                                                                                                           FOTOS: ÀKOS BURG

    ten Schritt setzen? Wo kann man Unterneh-    ne erzielen. Die zweite Schiene ist das           auch ein strukturelles Problem. Damit ist
    men abholen, damit sie sich für das Thema    Thema Kunden, das betrifft vor allem Unter-       unsere Gesellschaft sozial unfair und da
    engagieren?                                  nehmen, die mit Endkunden zu tun haben            stellt sich meines Erachtens schon die Auf-

8   Beschäftigung - Inklusion
BESCHÄFTIGUNG 43 Erfolgsmodelle für Menschen mit Behinderungen - Wie Inklusion gelingt: Beispiele aus der Praxis
Johannes Kopf: Es gibt bei nahezu allen Themen die   Melanie Wimmer: Ich habe in der Hauptschule viel     Wolfgang Kowatsch: Unternehmen wünschen eine
notwendige Unterstützung für Unternehmen.            Mobbing erfahren.                                    Servicestelle, die den Überblick hat.

gabe, möglichst jeden individuell zu fördern         wolle mich als Opfer darstellen. Hilfe kam           Stunden anwesend ist, man den Rest der
und zu unterstützen. Aber natürlich kommt            letztlich von einer Psychologin, die mein            Zeit herumsitzt und nicht weiß, was man
es immer auf die Personen an, es gibt ja             Potenzial erkannt hat und mir gegen die Wi-          tun soll. Da fühlt man sich nicht so leis-
auch engagierte Lehrer und Lehrerinnen,              derstände der Lehrerin bis zum Schulab-              tungsfähig, man kann ein Gefühl der Min-
die Kinder im Leben erfolgreich machen               schluss geholfen und mich dann zu Atempo             derwertigkeit bekommen.
und solche, die es weniger gut machen.               vermittelt hat.                                      Schneider: Meiner Meinung nach müssten
Fürst: Genau das wollte ich zum Ausdruck             Fürst: Ich möchte noch einfügen, dass aus            mehr Ressourcen in die Inklusion gesteckt
bringen. Nicht alles kann von einer Behörde          meiner Sicht die Integration in eine Regel-          werden, vor allem in den Ausbildungsbe-
übernommen werden. Man muss den El-                  schule nicht in jedem Fall das Mittel der            reich. Die öffentliche Hand erspart sich
tern helfen und sie ermutigen, sich zu enga-         Wahl darstellt. Ich zum Beispiel war in der          durch gelebte Inklusion sehr viel Geld. Wir
gieren. Ohne die unmittelbaren Bezugsper-            ersten Volksschulklasse zunächst in einer            haben das am Beispiel von Frau Wimmer
sonen wird es nicht gehen. Aber ebenso               Regelschule, danach kam ich in eine Volks-           durchgerechnet. Wäre sie von der Schule in
gehört das Umfeld so verändert, dass die             schule für sehbehinderte Kinder. Ich glau-           eine Tageswerkstätte gekommen, hätte sie
Aktivitäten der Eltern auf positiven Wider-          be, in diesem Umfeld habe ich das Rüstzeug           nicht die Möglichkeit gehabt, einen Führer-
hall, auf günstige Bedingungen treffen.                                                                   schein zu machen und müsste einen Fahr-
Dazu kommt: Je individueller die Bildung                                                                  dienst benutzen, sie wäre dann irgendwann
und Ausbildung eines Menschen, umso                         GELEBTE INKLUSION                             einmal von zu Hause in ein Vollzeit betreu-
besser ist sie. Je besser auf den Einzelfall                                                              tes Wohnen gezogen. Tatsächlich steht sie
eingegangen werden kann, umso besser                              ERSPART DER                             heute im Berufsleben, bekommt zwar eine
wird das Ergebnis sein. Das ist bei einem                                                                 Leistung vom Land Steiermark weil sie
behinderten Kind genauso wie bei einem                ÖFFENTLICHEN HAND VIEL                              Unterstützung bei der Arbeit braucht, aber
hochbegabten oder hypersensiblen.                                                                         sie fährt selbstständig in die Arbeit und will
Wimmer: Ich habe tolle Eltern mit sehr viel                             GELD.                             künftig selbstständig leben. Wenn wir uns
Biss. Kindergarten und Volksschule haben                                                                  nur den Arbeitsbereich anschauen vom
auch sehr gut geklappt. Anders in der Haupt-                        CLAUDIA SCHNEIDER                     Zeitpunkt, an dem Frau Wimmer zu Atem-
schule. Es hat nur eine barrierefreie Haupt-                                                              po gekommen ist bis zu ihrem . Lebens-
schule gegeben, mit mir waren noch drei an-          bekommen, um mich gut entwickeln zu                  jahr, erspart sie durch die gelungene Inklu-
dere Burschen mit Behinderung in der                 können und danach in ein gemischtes Um-              sion der öffentlichen Hand . Euro.
Klasse, wir hatte eine Integrationslehrerin.         feld, ein Realgymnasium, überzutreten.               Fürst: Es gibt in unserem Verein einige
Das Problem war die Klassenvorständin, sie               Fembek: Einwand aus der Sicht der Men-           junge, sehr gut ausgebildete Menschen, die
sagte, das sei ihre erste Klasse mit Kindern             schenrechte: Wenn blinde Kinder nicht in die     im Berufsleben viel zu geben hätten. Aber
mit Einschränkungen, sie wurde ins kalte                 normale Schulklasse gehen, dann fehlt nicht      niemand bietet ihnen eine Chance. Das ist
Wasser geworfen und sie wisse nicht, wie sie             nur bei diesen, sondern auch bei allen anderen   dramatisch für die Betroffenen. Politik, Ins-
damit umgehen solle. Ich habe in dieser                  Schülern das Bewusstsein, zusammenzugehö-        titutionen, Unternehmen und sonstige Ein-
Schule viel Mobbing erfahren, war unglück-               ren und der gelebte Umgang miteinander.          richtungen dürfen dieses Thema nicht igno-
lich und sagte dieser Lehrerin: Ich kann nicht       Fürst: Ein schwieriges Thema. In der Volks-          rieren. Ich lade alle Entscheidungsträger
mehr. Von ihr kam die Antwort, ich müsse             schule für Sehbehinderte erlebt man, dass            ein, diese Menschen kennenzulernen, sich
lernen, dass Menschen mit Behinderung auf            es andere mit der gleichen Einschränkun-             selbst von ihren Qualifikationen zu über-
Ablehnung stoßen. Natürlich haben meine              gen gibt. Es wird dort auch besser auf einen         zeugen und ihnen eine Chance zu geben.
Eltern alles versucht, um die Situation zu ver-      eingegangen als in der normalen Schule, wo           Fembek: Vielen Dank für die spannende Dis-
bessern. Das Argument der Lehrerin war, ich          der Integrationslehrer vielleicht nur zwei           kussion. 

                                                                                                                                  Beschäftigung - Inklusion   9
BESCHÄFTIGUNG 43 Erfolgsmodelle für Menschen mit Behinderungen - Wie Inklusion gelingt: Beispiele aus der Praxis
W
Bereicherung. Bei Sonnentor arbeiten Menschen
mit und ohne Behinderung sehr gut zusammen.
                                                                                      er nach den Stichworten
                                                                                      „richtiges Vorstellungsge-
                                                                                      spräch“ googelt, bekommt
                                                                                      fast eine halbe Million Tref-
                                                                                      fer. Unter den unzähligen
                                                                    Tipps für ein erfolgversprechendes Gespräch
                                                                    mit dem Human Resource Manager finden
                                                                    sich selbst Hinweise auf die passende Klei-
                                                                    dung oder das richtige Sitzen. Verbessern
                                                                    solche Ratschläge tatsächlich die Chancen
                                                                    auf einen Job? Mitunter schon, meint Mi-
                                                                    chael Pichler, Personalmanager mit langjäh-
                                                                    riger Erfahrung bei großen Unternehmen,

                   Inklusion:                                       zuletzt für Baumax sowie Obi tätig: „Es hat
                                                                    sich ein Mainstream-Recruiting entwickelt.
                                                                    Wirkt ein Bewerber jung, dynamisch, elo-

                Gut für die Moral
                                                                    quent und kommunikativ, dann passt er.“
                                                                    Pichler,  von der Branche als „interessan-
                                                                    teste Human-Resources-Person des Jahres“

                und fürs Business
                                                                    ausgezeichnet, sieht diese vordergründige
                                                                    Jagd nach dem dynamisch wirkenden Mit-
                                                                    arbeiter kritisch: „Die Wirtschaft steht vor
                                                                    großen Veränderungen, wir werden viele Ta-
                                                                    lente und auch andere Fähigkeiten brauchen,
      Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung sehen viele    um die kommenden Herausforderungen zu
                                                                                                                      FOTOS: BEIGESTELLT, SONNENTOR

                                                                    bewältigen“, meint er im Hinblick auf die Di-
        Betriebe noch immer kritisch. Dabei tut sie nicht nur dem   gitalisierung. Und er weist auf „unglaublich
          CSR-Bericht gut, sondern bringt engagierte Mitarbeiter    gut ausgebildete Bewerber mit phantasti-
                                                                    schen Kompetenzen“ hin, die bei gängigen
                und viele andere wirtschaftliche Vorteile.          Vorstellungsgesprächen nur wenig Chancen
                                     TEXT: WOLFGANG POZSOGAR        haben: Menschen mit Behinderungen. Wäh-

10   Beschäftigung - Inklusion
rend seiner Tätigkeit bei Baumax hat der HR-         UNTERNEHMEN FEHLT                            Culinary – weltweit erfolgreicher Hersteller
Manager mit solchen Mitarbeitern ausge-                                                           von CO-Kapseln für die Profiküche –
zeichnete Erfahrungen gemacht und                                                                 arbeiten im Betrieb in Floridsdorf  Mit-
engagiert sich heute voll für ihre Inklusion.
                                                         ERFAHRUNG MIT                            arbeiter mit psychischen Beeinträchtigun-
                                                                                                  gen. Das Arbeitsmodell – die Mitarbeiter
Von Kunden akzeptiert Bei Baumax gehörte                  MENSCHEN MIT                            sind bei der Firma ReIntegra angestellt –
es zur Firmenphilosophie, Menschen mit                                                            hat sich seit mehr als einem Jahrzehnt be-
Behinderungen in den Arbeitsprozess zu in-                 BEHINDERUNG.                           währt, erzählt Geschäftsführer Markus
kludieren. Beschäftigt wurden nicht akade-                      GREGOR DEMBLIN                    Lang: „Wir sind mit der Zusammenarbeit
misch ausgebildete Manager, die „bloß“ im                                                         sehr zufrieden, die Mitarbeiter sind sehr
Rollstuhl saßen, sondern durchaus Perso-                                                          engagiert und sie freuen sich, dass sie hier
nen, die aufgrund ihrer Beeinträchtigung                                                          tätig sein können.“ Ähnliches hört man bei
von vielen HR-Verantwortlichen kaum eine                                                          dem Kräuter- und Teespezialisten Sonnen-
Chance auf Anstellung bekommen hätten.                                                            tor, wo  Menschen mit Behinderungen
Zum Beispiel Personen mit Downsyndrom:                                                            beschäftigt werden: „Diese Kollegen arbei-
„Sie haben eine unglaubliche Kundenorien-                                                         ten mit großer Freude. Sie sind stolz Son-
tierung entwickelt, gehen offener als die                                                         nentorler zu sein und tragen das nach
meisten anderen auf die Kunden zu und                                                             außen“, erzählt Edith Sagaster, Talente-För-
werden von diesen auch voll akzeptiert“,                                                          derin in der Personalabteilung des Wald-
schwärmt Pichler von „seinen“ Leuten.                                                             viertler Unternehmens. Ihr Resümee: „Es
Ganz besonders streicht er die Loyalität der                                                      funktioniert super und wir wollen auf-
Mitarbeiter mit Behinderung hervor, die                                                           grund unserer guten Erfahrungen weiter
auch in den schwierigen Zeiten von Bau-                                                           Menschen mit Behinderung integrieren.“
max zur Firma hielten.                                                                            Dass Unternehmen direkt von der Beschäf-
So wie Pichler urteilen nahezu alle Mana-                                                         tigung von Menschen mit Behinderung pro-
ger, die Menschen mit Behinderung in                                                              fitieren, zeigen nicht nur solche praktischen
ihrem Unternehmen beschäftigen. Bei ISI                                                           Erfahrungen von HR-Managern, sondern

Inklusion als Menschenrecht ist unser Auftrag
Inklusion bedeutet Gleichwertigkeit eines Individuums –
Normal ist die Vielfalt, das Vorhandensein von Unterschieden.

E   ine inklusive Gesellschaft zwingt die
    Menschen nicht dazu, bestimmte Normen
zu erfüllen. Stattdessen schafft sie Struktu-
                                                gleichzeitig die Inklusion in die Gesellschaft.
                                                Generell zeigt sich auch auf dem österreichi-
                                                schen Arbeitsmarkt, dass Menschen mit Be-
ren, in denen sich jede und jeder Einzelne,     hinderung häufiger und länger von Arbeits-
mit allen Besonderheiten, einbringen und auf    losigkeit betroffen sind, als Menschen ohne
seine oder ihre eigene Art wertvolle Leistun-   Behinderung. Dieser Situation wirken wir mit
gen erbringen kann. Alle Menschen haben         gezielten Förderungen entgegen und helfen
Potenzial – darauf vertrauen inklusive Ge-      Menschen mit Behinderung, sich nachhaltig
sellschaften und ermöglichen Menschen mit       am ersten Arbeitsmarkt zu etablieren.
Behinderung die uneingeschränkte Teilhabe       Im vergangenen Jahr konnten wir – trotz                   Alois Stöger
in Beruf und Alltag. Das ist unser Auftrag      wirtschaftlich schwieriger Rahmenbedingun-
                                                                                                          Bundesminister für Arbeit,
und das Ziel der Behindertenpolitik.            gen – knapp 100.000 Menschen mit Behin-
                                                                                                          Soziales und Konsumentenschutz
Ein wesentlicher Baustein dafür ist der wei-    derung dabei helfen, einen Arbeitsplatz zu                .
tere Ausbau der Barrierefreiheit. Sie ist für   erhalten bzw. ihren Arbeitsplatz zu sichern.
zehn Prozent der Bevölkerung essentiell, für    Gegenüber 2015 bedeutet das einen Anstieg
40 Prozent notwendig und für 100 Prozent        um rund 8.000 Fälle. Dafür haben wir rund         Inzwischen haben viele Unternehmen er-
komfortabel. Barrierefreiheit alleine genügt    179 Millionen Euro aus dem Ausgleichstax-         kannt, dass gelebte Vielfalt zum eigenen Er-
aber nicht, um allen Menschen ein selbstbe-     fonds (ATF), dem Bundeshaushalt und dem           folg beitragen kann und durch die Beschäfti-
stimmtes Leben zu ermöglichen. Dazu ist         Europäischen Sozialfonds (ESF) für Projekt-       gung von Menschen mit Behinderung hoch
auch ein Arbeitsplatz erforderlich, der wirt-   förderungen (Netzwerk berufliche Assistenz        motivierte und leistungsbereite Mitarbeite-
schaftliche Unabhängigkeit garantiert und       z. B. Jugendcoaching, Arbeitsassistenz) und       rinnen und Mitarbeiter gewonnen werden.
berufliche Selbstentfaltung ermöglicht. Das     für Individualförderungen (z. B. Lohnförde-       Dieses Bewusstsein gilt es auf allen Ebenen
ist der beste Schutz vor Armut und fördert      rungen) aufgewendet.                              zu schaffen.

                                                                                                                        Beschäftigung - Inklusion   11
unsichert, wie sie mit Betroffenen umgehen
                                                                                                       sollen.“ In den Schulungen von myAbility
                                                                                                       werden die damit zusammenhängenden
                                                                                                       Fragen offen angesprochen und Behinde-
                                                                                                       rungen simuliert, um die Welt aus einer an-
                                                                                                       deren Perspektive zu sehen. „Diese Selbst-
                                                                                                       erfahrung ist für Führungskräfte sehr
                                                                                                       wichtig. Sie erkennen, dass jeder Mensch
                                                                                                       besondere Bedürfnisse hat. Sie lernen,
                                                                                                       damit bewusst umzugehen.“

                                                                                                       Positiv fürs Arbeitsklima Für HR-Manager
                                                                                                       Michael Pichler wirkt sich dieser bessere
                                                                                                       Umgang mit anderen Menschen, der im
                                                                                                       Zuge der Inklusion von Behinderten in den
Tastsinn. Menschen mit Sehbehinderung nutzen ihr Talent bei der Brustkrebs-Früherkennung.
                                                                                                       Arbeitsprozess gefordert wird, sehr positiv
Das Start-up-Unternehmen Discovering Hands bringt das Berufsbild der medizinischen
                                                                                                       auf das Klima im Unternehmen aus. An-
Tastuntersucherin nach Österreich.
                                                                                                       fangs seien fast alle unbeholfen im Umgang
                                                                                                       mit Menschen mit Behinderung, erzählt er
auch wissenschaftliche Arbeiten. Heike                  ist, könne nur  Prozent Leistung erbrin-     aus seinen Erfahrungen bei Baumax. Mit
Mensi-Klarbach, Universitätsprofessorin an              gen.“ Solche Vorurteile widerlegt Demblin –    der Zeit springen sie über ihren Schatten
der Wirtschaftsuniversität Wien, führt in               er ist erfolgreicher Unternehmensberater –     und lernen auf die Menschen zuzugehen.
ihrer von der Essl Foundation beauftragten              locker und mit einem herzlichen Lachen         Dieser Prozess sei ideal für die Entwicklung
Studie „Barrierefrei: Wege zur inklusiven               am Beispiel seiner Person: „Behindert bin      von Führungskräften: „Das empathische
Organisation als Wettbewerbsvorteil“ fast               ich durch bestimmte äußere Umstände.           Hineinversetzen in die Situation anderer
ein halbes Dutzend Untersuchungen an, die               Habe ich ein barrierefreies Büro, bringe ich   Menschen ist eine der wichtigsten Füh-
die Zufriedenheit der Arbeitgeber ebenso                 Prozent Leistung.“                         rungsqualifikationen“, behauptet er, „und es
belegen wie geringere Abwesenheitszeiten                Der quirlige Manager, der seit einem Unfall    wird im Umgang mit Behinderten perfekt
sowie den Fleiß der Mitarbeiter mit beson-              vom fünften Halswirbel abwärts gelähmt ist,    erlernt und trainiert.“
deren Bedürfnissen oder ihre loyale Einstel-            will Unternehmen und Institutionen davon       Das Lernen des richtigen Umgangs mit
lung zum Arbeitgeber. Es gebe laut der Wis-             überzeugen, dass Menschen mit Behinde-         Menschen mit Behinderung sieht auch
senschaftlerin keinerlei Hinweise, dass die             rung wertvolle Mitarbeiter und auch wichti-    Heike Mensi-Klarbach als großes Plus für
Leistung von Menschen mit Behinderung                   ge Kunden sind, auf die allein aus wirt-       die Firmenkultur und zugleich als die viel-
grundsätzlich schlechter sei. „Natürlich“, so           schaftlichem Interesse nicht verzichtet        leicht entscheidende Herausforderung
Mensi-Klarbach, „muss mitunter der                      werden sollte. Er betreibt gemeinsam mit       beim Thema Inklusion. „Es braucht Unter-
Arbeitsplatz angepasst werden, muss bei                 seinen Partnern das Consulting-Unterneh-       stützung, um den richtigen Umgang zu er-
bestimmten Leistungen auf Menschen mit                  men myAbility, das sich der Inklusion ver-     lernen, eine gemeinsame Kommunika-
Behinderung besondere Rücksicht genom-                  schrieben hat und der Wirtschaft umfassen-     tionsbasis sowie gegenseitiges Verständnis
men werden.“ Aber das treffe auch auf Mit-              de Beratung und Coaching in diesem             und Verstehen.“ So benötigen manche Men-
arbeiter zu, die etwa Kinder oder Eltern be-            Bereich bietet. Das sei seiner Meinung nach    schen mit körperlichen Einschränkungen
treuen        müssen,      erzählt       die            ein entscheidender Schlüssel, um die Integ-    gewisse Pausen, die nicht verschiebbar
Universitätsprofessorin weiter.                         ration von Menschen mit Behinderung in         seien, erläutert sie: „Das bedeutet aber kei-
                                                        unserer Gesellschaft zur Selbstverständlich-   neswegs eine geringere Leistungsbereit-
Hürde Rekrutierung Dass trotzdem nach                   keit zu machen.                                schaft, im Gegenteil, ich würde es sogar als
wie vor viele Unternehmen auf das Poten-                Denn es gehe darum, Wissen aufzubauen:         eine Qualität sehen, die neue Perspektiven,
zial von Menschen mit Behinderung ver-                  „Die meisten Manager und ebenso die Mit-       einen anderen Umgang mit Ressourcen und
zichten und „lieber“ die Ausgleichstaxe zah-            arbeiter haben keine Erfahrung mit Men-        Zeit ermöglicht, was für Unternehmen
len, hat nach Meinung der Experten                      schen mit Behinderung, sie sehen deshalb       durchaus positiv ist.“
mehrere Ursachen. Das beginnt beim Rek-                 nur die Probleme und sind noch dazu ver-
rutierungsprozess, in dem meist der ge-                                                                Meist weniger Probleme In der Praxis ma-
winnt, der sich besonders gut darstellt.                                                               chen solche Adaptionen des Arbeitsalltags
„Menschen mit Behinderung sind hier ein-                           INKLUSION VON                       meist weniger Probleme als vermutet. Bei
                                                                                                                                                       FOTOS: BEIGESTELLT, DISCOVERING HANDS

deutig im Nachteil, bei ihnen liegt der Fokus                                                          Sonnentor im Waldviertel etwa wurden die
auf jenen Dingen, die sie nicht können“,                                                               Pausenzeiten für Mitarbeiter mit Gehbehin-
meint Mensi-Klarbach. Das bestätig auch
                                                                   MENSCHEN MIT                        derung erweitert, „sie brauchen schließlich
einer, der die Sicht auf Menschen mit Be-                                                              ein bisschen länger zum Mittagstisch und
hinderung aus eigener Erfahrung kennt:                              BEHINDERUNG                        zurück“, berichtet Edith Sagaster. Das ist im
Gregor Demblin sitzt seit einem Unfall im                                                              Betrieb überhaupt kein Thema. Klaglos
Rollstuhl: „Arbeitgeber sehen nur Behinde-                   FUNKTIONIERT SUPER.                       klappt dort auch die Kommunikation mit
rung und denken, wer  Prozent behindert                                EDITH SAGASTER                einer gehörlosen Kollegin. Mit Lippenlesen

12   Beschäftigung - Inklusion
und in schriftlicher Form mache die Ver-                                                          von Personen mit Assistenzbedarf in den
ständigung nicht die geringsten Probleme,                                                         Arbeitsprozess. Laufende Beratung und Be-
wer etwas von ihr will, spricht die gehörlose                                                     treuung wird ebenso geboten wie Hilfe bei
Kollegin nicht von hinten an, sondern klopft                                                      Konflikten am Arbeitsplatz. Bei Sonnentor
ihr auf die Schulter: „Für unsere Mitarbeiter                                                     etwa organisiert die Arbeitsassistenz für den
ist das selbstverständlich, weil wir schon                                                        alle zwei Monate stattfindende Informa-
seit zehn Jahren Menschen mit Behinde-                                                            tionstag für Mitarbeiter einen Gebärden-
rungen beschäftigen“, sagt Sagaster.                                                              sprachdolmetscher, damit die gehörlose
                                                                                                  Mitarbeiterin über alle wichtigen Entwick-
Bedarf an Information Um Unternehmen fit                                                          lungen des Unternehmens informiert wird.
für die Nutzung dieses Mitarbeiter-Poten-
zials zu machen, bedarf es allerdings nicht                                                       Keine homogene Gruppe Das vielfältige Be-
nur eines guten Willens. Die Beratungs- und                                                       ratungsangebot spiegelt auch die Vielfalt
Unterstützungsleistungen sind groß und in                                                         des Themas wider. „Menschen mit Behinde-
der Anfangsphase ist Engagement des HR-                                                           rung sind keine homogene Gruppe, es gibt
Managements notwendig, um die richtigen                                                           ganz unterschiedliche Einschränkungen“,
Ansprechpartner zu finden. Das Angebot                                                            erklärt Mensi-Klarbach. Unter den Begriff
beginnt bei einem vielfältigen Paket an Be-                                                       fallen Akademiker mit Gehbehinderung
ratungen und Förderungen von AMS                    UNTERNEHMEN SOLLEN                            ebenso wie Personen mit kognitiven Ein-
(Arbeitsmarktservice) und SMS (Sozialmi-                                                          schränkungen. „Wünschenswert wäre es,
nisteriumservice) geht über Organisationen            BEI BEWERBUNG UND                           wenn Unternehmen hier proaktiv agieren
wie die Caritas, Lebenshilfe oder Diakonie,                                                       und von sich aus überlegen würden, wo im
Vereine wie ReIntegra, Autark, Chance B
und atempo Jobcoaching bis zu Unterneh-
                                                        JOB-DESCRIPTIONS                          Betrieb sie Menschen mit Behinderung ein-
                                                                                                  stellen könnten.“ Dazu braucht es Kreativi-
mensberatungen wie myAbility (siehe Kas-                                                          tät und mitunter auch den Mut, Neues aus-
ten). Die Arbeitsassistenz unterstützt auf
                                                               ANSETZEN.                          zuprobieren.      T-Mobile     beschäftigt
verschiedensten Ebenen die Integration                       HEIKE MENSI-KLARBACH                 beispielsweise eine Autistin als „System

Erfolgreiche Inklusion durch berufliche Ausbildung
Der Schlüssel zu guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt
ist eine fundierte Ausbildung.

D    ie nachhaltige Integration von Men-
     schen mit Behinderung in die Berufs-
welt ist nicht nur ein Ziel der UN-Men-
                                                 dere das „Lernen in der Praxis für die Praxis“
                                                 leistet dabei einen entscheidenden Beitrag.
                                                 Aufgrund der vielfältigen Lehrberufsland-
schenrechtskonvention, sondern hat für Ös-       schaft mit rund 200 Lehrberufen und den
terreich sowohl soziale als auch wirtschaft-     verschiedensten Gestaltungsmöglichkeiten
liche Priorität. Es geht einerseits darum, al-   können Personen entsprechend ihren indivi-
len Menschen mit ihren individuellen Fä-         duellen Fähigkeiten und Stärken ausgebildet
higkeiten eine berufliche Perspektive zu ge-     werden. Die „Integrative Berufsausbildung“,
ben und ihre Potenziale auszuschöpfen, an-       die im Berufsausbildungsgesetz verankert ist,
dererseits hängen aber auch unsere Systeme       sieht einerseits die Möglichkeit der „Teilqua-           Harald Mahrer
der sozialen Absicherung davon ab, dass          lifizierung“, andererseits der „verlängerten             Bundesminister für Wissenschaft,
möglichst viele Menschen in aktiver Be-          Lehre“ vor. Zur Unterstützung werden Lehr-               Forschung und Wirtschaft
schäftigung stehen.                              linge sowie Ausbilder/innen über die gesam-
Seit 1990 hat sich – durch das steigende         te Lehrzeit hinweg durch die Berufsausbil-
Durchschnittsalter in der Bevölkerung – die      dungsassistenz begleitet.
Zahl der Menschen mit Behinderung in Ös-         Zusätzlich werden sowohl vom Arbeits-            und alle Betroffenen über die Unterstüt-
terreich fast verdoppelt. Mit einer Erwerbstä-   marktservice als auch im Rahmen der be-          zungsstrukturen gut zu beraten.
tigenquote bei behinderten Menschen von          trieblichen Lehrstellenförderung eine Reihe      Unser gemeinsames Ziel muss es sein, alle
fast 62 Prozent nimmt Österreich dabei aber      an Unterstützungsmöglichkeiten bereitge-         vorhandenen Talente zu nutzen und indivi-
eine internationale Spitzenposition ein.         stellt, um auf die individuellen Herausfor-      duelle Kompetenzen gezielt zu fördern. Nur
Der Schlüssel zu guten Chancen auf dem           derungen zu reagieren. Eine wesentliche          wenn uns das gelingt, bleibt Diversität kein
Arbeitsmarkt ist eine fundierte Ausbildung.      Aufgabe liegt darin, die diversen Fördersys-     einfaches Schlagwort, sondern wird zum
Gerade die duale Ausbildung und insbeson-        teme laufenden aufeinander abzustimmen           Erfolgsrezept.

                                                                                                                        Beschäftigung - Inklusion   13
SORGFÄLTIGE VORBEREITUNG IST GRUNDLAGE FÜR
                                 ERFOLGREICHE INKLUSION.
                                        MICHAEL PICHLER

Analyst Charging & Billing“, sie findet in Mi-   noch ein weiteres großes Thema auf: Kun-
nuten Fehler, für die andere Menschen            den mit Behinderung. In Japan haben durch
Stunden brauchen (siehe Seite ).               das Anwachsen der älteren Generation be-
Personalmanager Michael Pichler sieht            reits  Prozent der Bevölkerung Einschrän-
sorgfältige Vorbereitung ebenfalls als           kungen beim Bewegen, Hören oder Sehen,
Grundlage für eine erfolgreiche Inklusion        erzählt er: „Diese Kunden optimal anzu-
von Menschen mit Behinderung in den              sprechen, ist ein entscheidender Wettbe-
Arbeitsprozess. „Einfach zu sagen, wir stel-     werbsvorteil.“ Disability Confidence, eine
len Menschen mit Behinderung ein, ist zu         Wirtschaft ohne Barrieren, sollte das lang-
wenig und kann leicht scheitern“, meint er.      fristige Ziel sein. In seinen Augen sind sol-
Es gehe um einen Abgleich zwischen Kom-          che Bestrebungen, ebenso wie die Einstel-
petenzen und Einschränkungen sowie den           lung von Menschen mit Behinderung, keine
Anforderungen des Jobs. Man müsse das            Sozialprojekte: „Es geht hier schlicht ums
Aufgabenprofil für die entsprechenden Tä-        normale Business, ums Geschäft“, meint der
tigkeiten überprüfen und gegebenenfalls          Unternehmensberater. Wer dieses Potenzial
adaptieren, lautet einer seiner Ratschläge.      nütze, werde erfolgreicher sein, ist Demblin          Loyal. Menschen mit Behinderung schätzen ihren
„Daraus ergibt sich auch die Chance, auszu-      überzeugt.                                           Arbeitsplatz besonders.
misten und Dinge einfacher zu machen,
was vielen Unternehmen ebenfalls gut tut.“
Klarere Abläufe und präzisere Anweisungen
etwa machen Menschen mit und ohne Be-
hinderung die Arbeit leichter.
                                                           Wichtige Anlaufstellen für Fragen zur Inklusion von
Wichtig sei, neben dem Management, auch
                                                           Menschen mit Behinderung in den Arbeitsprozess:
alle Mitarbeiter in Informations- und Schu-
lungsaktivitäten einzubinden, meint Pichler:               AMS                             mit der Beschäftigung von      und Kunden ermöglicht. Bei
„Es geht darum, sich Ängsten, Sorgen und                   Das Arbeitsmarktservice ist     Behinderten verbundenen        atempo einer Fachstelle zur
Bedenken zu stellen und Lösungen zu fin-                   der richtige Ansprechpartner,   erhöhten Aufwand.              Integration von Menschen
den. Dann klappt die Inklusion von Behin-                  wenn ein Unternehmen eine                                      mit Behinderungen in die
derten in den Arbeitsprozess innerhalb von                 Stelle zu besetzen hat und      SOZIALMINISTERIUM              Arbeitswelt, ist ein Schwer-
drei bis vier Monaten.“ Natürlich gäbe es                  hier Menschen mit Behinde-      Das Sozialministerium bietet   punkt Bildung und Karriere.
auch unter Behinderten Menschen, die nicht                 rung eine Chance geben will.    das größte Angebot für die     Specialisterne kümmert sich
zum Unternehmen passen und sich nicht in                   Das AMS hat derzeit rund        Inklusion von Menschen mit     um die besonderen Fähig-
die Firmenkultur und -struktur eingliedern                 12.000 Menschen mit Be-         Behinderung in den Arbeits-    keiten von Autisten für die
können. „Jede neue Einstellung ist ein Wag-                hinderung, sogenannte Be-       markt. Es reicht von finan-    Arbeitswelt. ReIntegra ver-
nis, es ist bei Menschen mit Behinderung ge-               günstige vorgemerkt. Es bie-    ziellen Förderungen für        sucht Menschen mit psychi-
nügend Zeit, um zu schauen, ob die Zusam-                  tet im Zusammenhang mit         Unternehmen und Betroffene     schen Beeinträchtigungen
menarbeit        gut    funktioniert“,    sagt             der Einstellung der Person      über Coaching und Arbeits-     eine Arbeit zu vermitteln.
Talente-Förderin Edith Sagaster von Sonnen-                umfassende Informationen        assistenz bis zur Personen-    www.myability.org
tor. Der besondere Kündigungsschutz für                    über alle Unterstützungs-       und Betriebsberatung.          www.atempo.at/
Menschen mit Behinderung gilt – abgesehen                  möglichkeiten.                  www.sozialministeriumser-      at.specialisterne.com/
von einigen Ausnahmen – erst nach vier Jah-                                                vice.at                        www.reintegra.at
ren Betriebszugehörigkeit.                                 BUNDESLÄNDER
Der Aufwand für die barrierefreie Gestal-                  Alle neun Bundesländer ha-      SOZIALE UNTERNEHMEN            CARITAS
tung des Arbeitsplatzes wird ebenfalls oft                 ben eigene Förderungspro-       Private Unternehmen und        Organisationen wie die Cari-
überschätzt. Bei Sonnentor reichten Tisch                  gramme für die Inklusion von    Organisationen bieten Be-      tas bieten für Menschen mit
und Stuhl, damit Menschen mit körperli-                    Menschen mit Behinderung        ratung und Service. Die so-    Behinderung ein breites An-
chen Einschränkungen gut sitzen können.                    in den Arbeitsprozess, die      ziale Unternehmensberatung     gebot und führen auch ver-
Für allenfalls notwendige Umbauarbeiten                    verschiedene Programme          myAbility beispielsweise hat   schiedene Arbeitsprojekte
gibt es Förderungen. Das barrierefreie Büro                vom Job-Coaching bis zur        ein Disability Management      durch, die Behinderte auf den
kommt außerdem allen Mitarbeitern im Fall
                                                                                                                                                           FOTOS: SONNENTOR

                                                           Berufsausbildungsassistenz      aufgebaut, mit dem es die      Einstieg in die erste Arbeits-
einer temporären Behinderung – etwa bei                    beinhalten, aber auch finan-    Inklusion von Menschen mit     welt vorbereiten sollen.
einem Gipsfuß – zugute. Für Gregor Dem-                    zielle Förderungen für den      Behinderung als Mitarbeiter    www.caritas.at
blin tut sich in diesem Zusammenhang

14   Beschäftigung - Inklusion
Wir leben

Dienstleistungen mit großer Freude.
Engagiert, kompetent und leidenschaftlich.
Seit über 25 Jahren.

                                             www.ehl.at
Kommunikativ. Apotheker Sreco Dolanc

                                                                      V
kommt auch mit hörenden Kunden bestens aus.

                                                                                   iele Kunden der Marienapothe-
                                                                                   ke im sechsten Bezirk wundern
                                                                                   sich nicht mehr, wenn sie einen
                                                                                   Pharmazeuten gebärden sehen.
                                                                                   Der Apotheker Sreco Dolanc ist
                                                                      gehörlos und die Gebärdensprache seine
                                                                      Muttersprache. Gesprochene Sprache ver-
                                                                      steht er durch Lippenlesen, aber nur teilwei-

                  Wo ein Wille ist,
                                                                      se. Trotz dieser Einschränkung gelang
                                                                      Dolanc etwas, das viele andere nicht schaf-
                                                                      fen: Ein Pharmaziestudium an der Universi-

                  ist auch ein Weg
                                                                      tät in Ljubljana erfolgreich abzuschließen.
                                                                      Das Studium war nicht barrierefrei. „Es war
                                                                      sehr schwierig, aber ich wusste, dass ich es
                                                                      mit einem starken Willen, Beharrlichkeit und
                                                                      einer positiven Sichtweise schaffen kann“, er-
                     Vier Porträts von Menschen mit Behinderung,      zählt er im schriftlichen Interview. Lippen-
                     die im Beruf Besonderes leisten, erzählen über   lesen, Abschreiben von Mitschülern und Kol-
                                                                                                                       FOTOS: ÀKOS BURG

                                                                      legen und sehr viel Zeit für die mühsame
                       Karriere und Alltag, Erfolg und Misserfolg.    Wiederholung der Inhalte waren die Grund-
                                          TEXT: WOLFGANG POZSOGAR     lage seines Erfolgs.

16   Beschäftigung - Inklusion
„Es war enorm schwierig, denn als vertre-         Glücksgefühl am Arbeitsplatz.“ Wer kann
                                              tungsberechtigter Apotheker muss man              das noch von sich behaupten?
                                              ausreichend Deutschkenntnisse nachwei-
                                              sen“, berichtet sie. Gehörlosen fällt es außer-   Besonderer Blick für Fehler
                                              dem noch schwerer als Hörenden, abge-             Als Alexandra – sie will nur den Vornamen
                                              speichertes Wissen in einer anderen               veröffentlicht wissen – noch nicht bei T-Mo-
                                              Sprache abzurufen. Aber wo ein Wille ist, ist     bile war, saßen Spezialisten manchmal
                                              auch ein Weg: Mit viel Engagement und             stunden- oder tagelang, um Fehler in end-
                                              Hilfe eines der Gebärdensprache mächtigen         losen Tabellen zu finden. Für die junge Frau
                                              österreichischen Kollegen gelang es, alle         ist das meist eine Angelegenheit von Minu-
                                              Hürden zu überspringen. Grund für das En-         ten. Alexandra ist Autistin. Sie kann ein
                                              gagement von Karin Simonitsch war nicht           komplexes Datengemenge innerhalb kür-
                                              allein ihre von Empathie geprägte Einstel-        zester Zeit erfassen, die Zusammenhänge
                                              lung den Mitmenschen gegenüber. „Ich bin          sehen und kleinste Fehler finden. Diese
                                              der Überzeugung, dass gerade angesichts           Folge des Autismus kann sie in ihrem Beruf
                                              der jetzigen Entwicklung, Stichwort Medi-         als „System Analyst Charging & Billing“ her-
                                              kamentenversand übers Internet, Apothe-           vorragend einsetzen.
                                              ker gut beraten sind, ihr Geschäftsmodell         Bis es soweit kam, musste Alexandra aber
                                              stärker an den Bedürfnissen des Kunden zu         wie viele Menschen mit Einschränkungen
                                              orientieren.“                                     einige Hürden überwinden. Sie maturierte
                                              Für sie gehören dazu auch rund  bis           und studierte danach an der Uni und an der
                                               Wiener, deren Muttersprache Gebär-           Fachhochschule. Das Studieren an sich be-
                                              den ist und für die Sreco Dolanc als idealer      reitete ihr keine Schwierigkeit, nur die
                                              Berater agiert. Die Marienapotheke ist bei        „Non-Struktur“, die unklaren Strukturen an
                                              Gehörlosen aus ganz Wien bekannt. Sreco           der Universität und bei den Bachelor- und
                                              Dolanc tut noch einiges mehr für diese            Masterarbeiten machten ihr zu schaffen.
                                              Gruppe: „Ich halte viele Vorträge für Gehör-      Mit der Bewerbung für einen Job tat sie sich

                                                          „DASS ICH TROTZ MEINER GEHÖRLOSIGKEIT
                                                        DEN MENSCHEN HELFEN KANN, ERFÜLLT MICH
                                                                           MIT GROSSER FREUDE.“
                                                                                  SRECO DOLANC, APOTHEKER

Und offensichtlich hat er auch die Kraft,     lose in den Gehörlosenvereinen, nicht nur         ebenfalls nicht leicht. „Ich vermute, die
schwierige Hürden zu überspringen. Nach       in Wien, sondern auch in Niederösterreich         Unterlagen waren zu minimalistisch, weil
seinem Studium blieb Sreco Dolanc nicht       oder Deutschland, ich mache zahlreiche Vi-        ich Dinge als selbstverständlich und nicht
in Slowenien, sondern kam nach Wien. In       deos zu verschiedenen Gesundheitsthemen           erwähnenswert ansehe, die es für andere
der Marienapotheke im sechsten Bezirk         in Gebärdensprache mit Untertiteln und            eben nicht wären“, erzählt sie über ihre ein-
traf er auf die Apothekerin Karin Simo-       vieles mehr.“ Mit den Kunden in der Marien-       zige erfolglose Bewerbung.
nitsch. „Plötzlich steht einer vor mir, der   apotheke kommuniziert er mit Hilfe eines          Das spezielle Denken, das mit Alexandras
Englisch redet und sagt, er ist Pharmazeut    Gebärdensprache-Dolmetschers, berichtet           Autismus verbunden ist, ließ sie vor vielen
und Gehörlos“, erzählt sie rückblickend       er: „Der Umgang mit hörenden Kunden mit           Bewerbungen zurückschrecken: „Das Prob-
über die erste Begegnung mit dem frisch-      Hilfe des Dolmetschers läuft toll. Viele sind     lem ist, dass wir die Stellenausschreibungen
gebackenen slowenischen Apotheker. Si-        von der einzigartigen Kommunikationsform          wörtlich nehmen“, erläutert sie. Kleine Dif-
monitsch, die selbst Pharmazie studiert       in unserer Apotheke begeistert.“                  ferenzen zwischen eigenem Können und
hatte, erkannte sofort, welches Engage-       Karin Simonitsch freut es zu sehen, dass          der Stellenausschreibung zu überspielen,
ment und welche Begeisterung der junge        sich Dolanc bei seiner Arbeit voll einsetzt.      wie das fast alle Bewerber tun, sei für sie
Mann für seinen Traumberuf aufbringt. Sie     Ein ganz wesentlicher Grund dürfte sein,          kaum möglich, erklärt sie: „Wenn jemand
war bereit, ihm eine Chance zu geben und      dass Sreco Dolanc das gegen viele Wider-          ABCDEF sucht und ich ABcdE anbiete,
mit ihm gemeinsam die vielen weiteren         stände Erreichte besonders schätzen kann:         würde ich das als ‚ich habe den Text nicht
Hürden, vom Erlernen der österreichi-         „Es gefällt mir sehr, dass ich trotz meiner       verstanden‘ deuten oder als ‚ich hab’s ge-
schen Gebärden- und Schriftsprache bis        Gehörlosigkeit den Menschen helfen kann.          lesen und ignoriere es bewusst‘.“ Das signa-
zur Anerkennung des Studiums, zu über-        Das erfüllt mich mit großer Freude und da         lisiere mangelnde Auffassungsgabe oder re-
springen.                                     spüre ich einfach oft auch ein richtiges          spektlose Interpretation, meint sie.

                                                                                                                      Beschäftigung - Inklusion   17
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