Das andere Demokratiedefizit - Wie die EU Demokratie in ihren Mitgliedstaaten schützen kann - Bibliothek der Friedrich-Ebert ...
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Expertengruppe der Friedrich-Ebert-Stiftung Das andere Demokratiedefizit Wie die EU Demokratie in ihren Mitgliedstaaten schützen kann
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG Impressum: © 2016 Friedrich-Ebert-Stiftung Herausgeber: Abteilung Internationaler Dialog Internationale Politikanalyse Hiroshimastraße 28, 10785 Berlin www.fes.de/ipa Bestellungen/Kontakt: info.ipa@fes.de Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung. Eine gewerbliche Nutzung der von der FES herausgegebenen Medien ist ohne schriftliche Zustimmung durch die FES nicht gestattet. ISBN: 978-3-95861-391-1 Titelmotiv: © shutterstock Europa braucht Soziale/ Demokratie! xalex, just in print Gestaltung: Warum wollen www.stetzer.net wir eigentlich Europa? Können wir den Bürger_innen die Chancen einer gemeinsamen sozialen Poli- Druck: www.druckerei-brandt.de tik, einer starken Sozialen Demokratie in Europa aufzeigen? Das ist das Ziel des neuen Projekts der Friedrich- Ebert-Stiftung »Politik für Europa«. Zu zeigen, dass die europäische Integration demokratisch, wirtschaftlich-sozial Januar 2016 und außenpolitisch zuverlässig gestaltet werden kann. Und muss! Folgende Themenbereiche stehen dabei im Mittelpunkt: – Demokratisches Europa – Wirtschafts- und Sozialpolitik in Europa – Außen- und Sicherheitspolitik in Europa In zahlreichen Veröffentlichungen und Veranstaltungen in den Jahren 2015 bis 2017 wird sich die Stiftung dem Thema kontinuierlich widmen: Wir setzen bei den Sorgen der Bürger_innen an, identifizieren mit Entscheidungs- träger_innen Positionen und machen alternative Politikansätze transparent. Wir debattieren mit Ihnen über eine »Politik für Europa«! Weitere Informationen zum Projekt erhalten Sie hier: http://www.fes.de/de/politik-fuer-europa-2017plus/ Friedrich-Ebert-Stiftung Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegründet und ist die traditionsreichste politische Stiftung Deutsch- lands. Dem Vermächtnis ihres Namensgebers ist sie bis heute verpflichtet und setzt sich für die Grundwerte der Sozialen Demokratie ein: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Ideell ist sie der Sozialdemokratie und den freien Gewerkschaften verbunden. Die FES fördert die Soziale Demokratie vor allem durch: – Politische Bildungsarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft – Politikberatung – Internationale Zusammenarbeit mit Auslandsbüros in über 100 Ländern – Begabtenförderung – das kollektive Gedächtnis der Sozialen Demokratie mit u. a. Archiv und Bibliothek. Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich Matthias Jobelius, Leiter des Referats Mittel- und Osteuropa Redaktion: Juliane Schulte, Referentin für Ostmitteleuropa www.fes.de/de/politik-fuer-europa-2017plus/
DAS ANDERE DEMOKRATIEDEFIZIT 1 Inhalt 3 VORWORT 4 ZUSAMMENFASSUNG 6 1 EINLEITUNG: DEMOKRATISCHE RÜCKSCHRITTE UND MÄNGEL BESTEHENDER EU-ANSÄTZE 8 2 EINE BASIS SCHAFFEN: DEMOKRATIE-MONITORING IN MITGLIEDSTAATEN 8 2.1 Welche Probleme würde ein Monitoring-Mechanismus lösen? 9 2.2 Einwände gegen einen Monitoring-Mechanismus 9 2.3 Wie könnte ein Monitoringmechanismus aussehen? 9 2.3.1 Methodik und Reichweite eines denkbaren Mechanismus 10 2.3.2 Wer wäre zuständig? 12 2.3.3 Die Verfahrensweise beim Monitoring 12 2.4 Wer sollte den Mechanismus vorschlagen? 133 MIT WENN UND ABER: EU-MITTEL AN EUROPÄISCHE GRUNDWERTE KNÜPFEN 13 3.1 Die Debatte um die Einführung politischer Auflagen 14 3.2 Die Effektivität von Auflagen 15 3.3 Wie ein Konditionalitätsmechanismus aussehen könnte 15 3.4 Die Umsetzung des Konzepts 16 3.5 Risiken 174 VOR GERICHT ZIEHEN: DEMOKRATISCHE STANDARDS GERICHTLICH DURCHSETZEN 17 4.1 Hintergrund: Wie Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit Eingang in die EU-Debatten fanden 18 4.2 EU-Schutz von Grundrechten auf nationaler Ebene: Bestehende Instrumente 19 4.3 Argumente, warum die EU Rechtsstaatlichkeit auf nationaler Ebene durchsetzen sollte 20 4.4 Wie sich systematische Probleme hinsichtlich Rechtsstaatlichkeit in Mitgliedstaaten mithilfe gerichtlicher Durchsetzung auf EU-Ebene beheben und verhindern ließen 21 4.5 Umsetzung
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 23 5 VON GRUND AUF: DIE ZIVILGESELLSCHAFT STÄRKEN 23 5.1 Das European Values Instrument (EVI) 24 5.1.1 Weshalb ist die jetzige Finanzierung unzureichend? 25 5.1.2 Ziele, Förderbereiche und Maßnahmen des European Values Instrument 25 5.1.3 Die Struktur des European Values Instrument 26 5.1.4 Bezugsberechtigte Empfänger 26 5.1.5 Der finanzielle Umfang des European Values Instrument 27 5.2 Sonderbeauftragte_r für die Zivilgesellschaft 27 5.3 Die Umsetzung der vorgeschlagenen Instrumente 296 GEGEN GLEICHSCHALTUNG UND DESINFORMATION: MEDIENFREIHEIT UND -PLURALISMUS SCHÜTZEN 29 6.1 Einleitung: Wie Medien die Demokratie prägen 30 6.2 Herausforderungen für Medienfreiheit und -Pluralismus in EU-Mitgliedstaaten und Instrumente zu ihrer Lösung 30 6.2.1 Die Vereinnahmung der Medien: Politische Einflussnahme, staatliche Finanzierung, Konzentration und Transparenz von Medieneigentum 31 6.2.2 Lückenhafter Schutz der Meinungsfreiheit: Der Mangel an einheitlichen Verleumdungsgesetzen 31 6.2.3 Einbußen beim Qualitätsjournalismus, Verbreitung von Desinformation (Fake News) und Hassrede 32 6.2.4 Die Aufgabe der Medien in der Demokratie verstehen: Die unterschätzte Bedeutung von Medienkompetenz 33 6.3 Schlussfolgerungen 357 EUROPÄISCHE PARTEIEN IN DIE VERANTWORTUNG NEHMEN: VON EU-EBENE AUS AUF NATIONALE PARTEIEN EINWIRKEN 35 7.1 Der Einfluss der europäischen Institutionen 35 7.1.1 Regelungen für Parteien auf europäischer Ebene 36 7.1.2 Sanktionierungsmechanismus 36 7.1.3 Neue Entwicklungen und Verbesserungsmöglichkeiten für den Sanktionierungsmechanismus 37 7.2 Der potenzielle Einfluss europäischer politischer Parteien 37 7.2.1 Die EUPP: Noch keine echten Parteien 37 7.2.2 Die europäischen politischen Parteien – Macht schlägt Werte? 38 7.2.3 Empfehlungen: Wie europäische politische Parteien größeren Einfluss auf ihre Mitgliedsparteien ausüben könnten 40 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS 41 LITERATUR 45 MITGLIEDER DER EXPERTENGRUPPE ZUR DEMOKRATIESICHERUNG IN EU-STAATEN
DAS ANDERE DEMOKRATIEDEFIZIT 3 VORWORT Die Europäische Union gründet auf den Werten der Jahren dazu ausreichend Gelegenheit bieten. Bei allen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte – lange Herausforderungen lässt sich hier auch eine Chance erkennen. schien diese freiheitliche Demokratie unbestritten. Doch in Den Mitgliedern der Expertengruppe möchten wir unsere etlichen Mitgliedstaaten sind diese Werte unter Druck gera- Wertschätzung und Dankbarkeit aussprechen: Diese Publikation ten. In letzter Zeit haben EU-Institutionen in der Verteidigung ist Ergebnis ihres intensiven und ergiebigen Austausches.1 Die der Grundwerte zwar größeren Einsatz gezeigt und sei- Teilnehmenden brachten wertvolle Ideen ein, nahmen Stellung tens der Mitgliedstaaten haben EU-Interventionen mehr zu den Vorschlägen der anderen und zeigten insgesamt großen Unterstützung erfahren; gleichzeitig haben sich die beste- Einsatz. Ein Verzeichnis aller Mitglieder findet sich auf Seite 45. henden Instrumente als noch immer unzureichend erwiesen. Insbesondere möchten wir all jenen danken, die in Auf Verstöße gegen ihre Verträge muss die EU reagieren, der Gruppe entwickelte Ideen schriftlich weiter ausarbei- nicht zuletzt, um die Rechtssicherheit von EU-Bürger_innen zu teten; diese Publikation gründet auf ihren Beiträgen: schützen: Aufgrund der starken gegenseitigen Abhängigkeit – Michael Meyer-Resende, Geschäftsführer, zwischen Mitgliedstaaten kann sich die Missachtung von Democracy Reporting International (Demokratie- EU-Grundsätzen in einem Land auch auf Bürger_innen an- Monitoring in Mitgliedstaaten); derer Länder auswirken. Weil die EU von Beitrittskandidaten – Frithjof Ehm, bis 2017 Referent in der General- und assoziierten Staaten erwartet, Auflagen zu demo- direktion Regionalpolitik und Stadtentwicklung kratischen Normen und Rechtsstaatlichkeit zu erfüllen, der Europäischen Kommission (EU-Mittel an geht es zusätzlich um die Glaubwürdigkeit der Union. europäische Grundwerte knüpfen); Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) setzt sich seit Jahrzehnten – Miguel Poiares Maduro, Direktor, School of Transnational weltweit für die Demokratie ein. Somit hat sie allen Grund, Governance, Europäisches Hochschulinstitut (EU- zur Debatte um die Demokratiesicherung in der EU beizutra- Mittel an europäische Grundwerte knüpfen; gen. 2017 nutzte die FES ihr europaweites Netzwerk, um eine Demokratische Standards gerichtlich durchsetzen); Gruppe anerkannter Expert_innen aus Politik und Wissenschaft – Israel Butler, Head of Advocacy, Civil Liberties zusammenzubringen. In einem offenen Brainstorming disku- Union for Europe (Die Zivilgesellschaft stärken); tierten sie, wie die EU ihre Grundwerte in den Mitgliedstaaten – Francesca Fanucci, Center for Media, Data schützen und fördern könnte. In der Öffentlichkeit sind ver- and Society, Central European University schiedene Sanktionen diskutiert worden, aber die FES regte die (Medienfreiheit und -pluralismus schützen); Gruppe dazu an, auch Ideen zur Demokratieförderung in den – Jo Leinen, MdEP, und Fabian Pescher, poli- EU-Mitgliedstaaten zu erörtern. Ein Teil der Ideen wurde wei- tischer Berater von Jo Leinen (Europäische ter ausgearbeitet und wird nun hier vorgestellt. Aufgrund der Parteien in die Verantwortung nehmen). ohnehin schwierigen Lage der EU konzentrierte sich die Gruppe Wir bedanken uns zudem beim FES-Europabüro in Brüssel auf realistische, d. h. sowohl politisch als auch technisch mach- für die Unterstützung beim Organisieren der zwei dorti- bare Optionen. Wir hoffen, dass die relevanten Akteur_innen in gen Workshops sowie bei unserem Moderator Dominik Brüssel und in den nationalen Hauptstädten sie als zukünftige Cziesche für die Planung des Brainstormings. Handlungsoptionen in Erwägung ziehen. Im Kontext der Debatte um die Zukunft der EU, der Europawahl und den Verhandlungen 1 Selbstverständlich teilt nicht zwangsläufig die gesamte Expertengruppe über den EU-Haushalt nach 2020 sollten die nächsten zwei alle der hier veröffentlichten Ansichten. April 2018 Péter Balázs, Direktor des Center for European Neighborhood Studies, Central European University; Vorsitz der FES-Expertengruppe Matthias Jobelius, Leiter des Referats Mittel- und Osteuropa, Friedrich-Ebert-Stiftung Juliane Schulte, Koordinatorin dieses Projekts, Referat Mittel- und Osteuropa, Friedrich-Ebert-Stiftung
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 4 ZUSAMMENFASSUNG Diese Publikation gibt eine Reihe konkreter Empfeh Weiter erörtert diese Publikation die Möglichkeiten lungen, wie die EU in ihren Mitgliedstaaten die Demo gerichtlicher Durchsetzung. Die Autoren argumentieren, kratie schützen und fördern kann. Einige nationale dass sich ein schwerwiegender Verstoß gegen die EU- Regierungen haben die in Artikel 2 des Vertrags über Grundwerte nicht nur innenpolitisch im betreffenden Mit die Europäische Union verankerten Grundwerte unter- gliedstaat auswirkt – weil auch zwangsläufig die Kapazität graben, indem sie die Exekutivgewalt übermäßig ge- des jeweiligen Staates beeinträchtigt wird, EU-Recht zu stärkt und die Gewaltenteilung abgebaut haben. In befolgen, ist die Funktionsweise der gesamteuropäi- anderen Mitgliedstaaten grassiert Korruption und schen Rechtsordnung ebenso bedroht. In diesen Fällen die Medienfreiheit ist gefährdet. Populist_innen sind sollte die Europäische Kommission die Möglichkeit ha- in ganz Europa auf dem Vormarsch und teilweise an ben, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den je- Regierungen beteiligt. Bislang hat es die EU nicht ge- weiligen Staat einzuleiten. Stünden der Kommission bei schafft, effektiv gegen Verletzungen demokrati- systematischen Verstößen gegen die Grundwerte solche scher Normen in einzelnen EU-Staaten vorzugehen. Verfahren zur Verfügung, hätte sie ein wichtiges juristi- Als solide Grundlage für EU-Maßnahmen wird an die- sches Druckmittel gegenüber Mitgliedstaaten, die drohen, ser Stelle die Etablierung eines Monitoring-Mechanismus die Rechtsstaatlichkeit zu unterlaufen. Ein justizieller Mecha vorgeschlagen, um die Einhaltung demokratischer und nismus könnte die Debatte außerdem entpolitisieren. rechtsstaatlicher Standards in EU-Mitgliedstaaten regelmä- Neben Sanktionsmöglichkeiten wird untersucht, inwie- ßig zu überprüfen. Um eine unnötig hohe Berichtspflicht weit die EU in ihren Mitgliedstaaten demokratiefördernd zu vermeiden, sollte sich der Mechanismus nur auf solche wirken kann, indem sie Nichtregierungsorganisationen Punkte konzentrieren, die zuvor im Dialog mit Regierungen, (NGOs) unterstützt, die sich für die Förderung und Oppositionsparteien, öffentlichen Institutionen, Zivilgesell den Schutz von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und schaft und internationalen Organisationen als potenziell Grundrechten einsetzen. Weil derzeit für diese NGOs keine strittig erkannt wurden. Das Monitoring könnte von der ausreichenden Geldmittel – einschließlich EU-Mitteln – be- Venedig-Kommission des Europarates durchgeführt wer- reitgestellt werden, sollte die EU hier einen angemes- den; alternativ kämen die Agentur der Europäischen Union sen ausgestatteten Fonds schaffen (auch European Values für Grundrechte (FRA) oder ein zu diesem Zweck gegründe- Instrument – EVI – genannt). Das EVI würde nicht nur tes Expertengremium infrage. Ergebnisse sollten auf natio- Unterstützung für Advocacy-Maßnahmen bieten, son- naler wie auf EU-Ebene diskutiert werden, das Europäische dern auch dafür, EU-Staaten auf das Einhalten europäischer Parlament könnte dementsprechende Entschließungen fas- und internationaler Maßstäbe hin zu überwachen, sowie sen und der Rat den Monitoring-Bericht im Rahmen des in Gerichtsverfahren, öffentlicher Bildung, Förderung von jährlichen Dialogs über Rechtsstaatlichkeit besprechen. unabhängigem und investigativem Journalismus und beim In Diskussionen zum nächsten Mehrjährigen Finanz Kapazitätsaufbau. Zudem sollte die Europäische Kommission rahmen (MFR) nach 2020 wurde vorgeschlagen, dass die EU eine_n Sonderbeauftragte_n für die Zivilgesellschaft ernen- finanzielle Druckmittel einsetzen und die Achtung der eu- nen, an den NGO Einschränkungen melden könnten und ropäischen Werte zur Kondition für EU-Zuweisungen ma- der daraufhin entsprechende Maßnahmen ergreifen würde. chen sollte. Damit jedoch Nettoempfänger der Europäischen In der ganzen EU ist der Medienpluralismus bedroht. Diese Struktur- und Investitionsfonds nicht diskriminiert wer- Publikation gibt Empfehlungen, wie sich in diesem Bereich das den, sollten auch die allgemeinen EU-Programme auf diese Problem politischer Einflussnahme und Besitzkonzentration Weise auflagengebunden sein. Das Konzept ließe sich durch angehen ließe. Für jene Bereiche des Binnenmarkts, die sich eine Anpassung des entsprechenden Sekundärrechts um- auf Medienfreiheit und -pluralismus auswirken, sollte die setzen: Entweder müsste die Verordnung zu den jeweili- EU-Kommission gemeinsame Mindestbestimmungen vor- gen Fonds angepasst werden oder die Verordnung des Rats schlagen. EU-weit sollten Vorkehrungen zur Transparenz über den nächsten MFR eindeutige Bedingungen enthalten. von staatlicher Finanzierung und Werbung in den Medien,
DAS ANDERE DEMOKRATIEDEFIZIT 5 zu Medieneigentumsverhältnissen und -konzentration so- wie Verleumdungsgesetze harmonisiert werden. Um Desinformation entgegenzuwirken, sollten Online-Foren und Social-Media-Unternehmen dem Europäischen Parlament über Maßnahmen gegen die Verbreitung von Fake News berichterstatten müssen. Darüber hinaus sollte die EU- Kommission Schulungsprojekte zu digitalem investigativem Journalismus finanzieren, die sich an nicht-hauptberufliche Journalist_innen, Aktivist_innen und Blogger_innen richten. Zu guter Letzt müssen europäische Parteien in die Verantwortung genommen werden. Die EU-Institutionen können zwar keine Parteien auf Nationalebene regulie- ren oder sanktionieren, dies jedoch indirekt durch die Sanktionierung europäischer politischer Parteien (EuPP) er- reichen. Aber größere Ressourcen sind vonnöten. Die neu- gegründete Behörde für europäische politische Parteien und europäische politische Stiftungen sollte über ein Team ver- fügen, das ausschließlich das Verhalten von EuPP überwacht und bei Verstößen gegen die EU-Grundwerte Beweise sammelt. Die europäischen Parteienfamilien dürfen zwar Mitgliedsparteien sanktionieren oder sogar ausschließen, je- doch geschieht dies nur selten oder wirkt sich kaum aus. Der Einfluss der EuPP auf ihre Mitgliedsparteien würde wach- sen, wenn sie mit transnationalen Listen um Mandate kon- kurrieren und politische Macht verteilen dürften. Strafen wären wirksamer, wenn die EuPP enger mit den jeweiligen EP-Fraktionen verknüpft würden. Die EuPP hätten wesent- lich mehr Macht, wenn der Ausschluss aus einer europäi- schen Partei gleichbedeutend mit dem Ausschluss aus der entsprechenden EP-Fraktion wäre, da die Zugehörigkeit zu einer der großen Fraktionen ausschlaggebend für den Zugang zu Ressourcen, wichtigen Funktionen und legislati- ven Positionen ist. Zudem sollten die EuPP Sanktionskriterien formalisieren und ihre Entscheidungsfindung objekti- ver und unabhängiger von politischen Abwägungen gestalten. Die Nominierung ständiger Berichterstatter_in- nen würde Entscheidungen weiter untermauern und er- forderliche Informationen aus erster Hand liefern.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 6 1 EINLEITUNG: DEMOKRATISCHE RÜCKSCHRITTE UND MÄNGEL BESTEHENDER EU-ANSÄTZE Durch die Verträge der Europäischen Union bekennen Als Reaktion auf den Rechtsstaatsmechanismus der sich die Mitgliedstaaten zur Achtung von Demokratie, Kommission führte der Rat der Europäischen Union Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten. Auch die 2014 als ergänzenden Mechanismus den Dialog über Kopenhagener Kriterien verlangen von Beitrittskandidaten, Rechtsstaatlichkeit ein (Rat der Europäischen Union dass diese über funktionierende demokratische Institutionen 2014). Dieser Ansatz unterscheidet sich von dem der verfügen sowie Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte ach- EU-Kommission insofern, als er die Vorbehalte der ten. Doch es hat den Anschein, als wären diese grundle- Mitgliedstaaten gegenüber einer noch stärkeren Rolle für genden Werte nicht mehr verpflichtend, wenn man erst EU-Institutionen widerspiegelt. Es handelt sich um einen in- einmal Mitglied ist: So werden in Polen und Ungarn de- tergouvernementalen Ansatz, der einen jährlichen, gleich- mokratische Normen untergraben; die Regierungen dieser berechtigten Dialog zwischen den Mitgliedstaaten im Rat Länder haben ihre großen parlamentarischen Mehrheiten für Allgemeine Angelegenheiten vorsieht. Der Nutzen die- zu einer radikalen Umstrukturierung des Staates ge- ses Mechanismus ist jedoch fraglich: Die Themen wer- nutzt, sie bauen die Gewaltenteilung ab, stärken über- den im Voraus bestimmt und die EU-Staaten entscheiden mäßig die Exekutive und gefährden freiheitliche Werte. selbst, welche rechtsstaatlichen Herausforderungen sie In anderen Mitgliedstaaten grassiert Korruption und die vorbringen möchten. Das Treffen bleibt insofern ohne Medienfreiheit steht unter Druck. Populist_innen sind in Konsequenzen, als die Mitgliedsländer keine verbindlichen der ganzen EU auf dem Vormarsch, stellen demokratische Empfehlungen erhalten. Weil die Diskussion nicht öffent- Werte infrage und sind teilweise an Regierungen beteiligt. lich ist, können problematische Mitgliedstaaten auch nicht Während die EU von der Finanzkrise betroffenen Ländern durch öffentliches Anprangern unter Druck gesetzt wer- Wirtschaftsreformen verordnen konnte, hat sie es bislang den. Des Weiteren ist der Dialog wenig formalisiert, wo- nicht geschafft, effektiv gegen Verletzungen demokrati- durch viel vom Engagement der jeweiligen Präsidentschaft scher Normen in einzelnen Mitgliedstaaten vorzugehen. abhängt (Blauberger 2016: 290f.; Closa 2016: 32 ff.). Aktuell erscheint es, als hätte die EU alle Mittel ausge- Alle der hier beschriebenen politischen Instrumente – schöpft: Im Falle Polens – weder das erste noch das einzige Artikel 7, der Rechtsstaatsmechanismus der Kommission Mitgliedsland, das die Rechtsstaatlichkeit infrage stellt – hat und der Dialog des Rates über Rechtsstaatlichkeit – ha- die Europäische Kommission erstmals einen 2014 einge- ben signifikante Einschränkungen. Artikel 7 verfügt als ein- führten Frühwarnmechanismus ausgelöst, den »EU-Rahmen ziges zumindest theoretisch über Zwangsgewalt. In der zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips«. Idee hierbei ist, sich Praxis sind Sanktionen jedoch kaum zu erwarten. Es be- im Dialog mit dem betreffenden EU-Mitglied frühzeitig mit steht auch ein justizielles Instrument, doch auch dieses hat Bedrohungen der Rechtsstaatlichkeit auseinanderzuset- seine Einschränkungen. Gemäß Artikel 258 des Vertrags zen, um so eine Stufe vor der sog. »nuklearen Option« eines über die Arbeitsweise der Europäischen Union kann die Verfahrens nach Artikel 7 zu schaffen. Im Falle Polens führte EU-Kommission Vertragsverletzungsverfahren einlei- dieser Rechtsstaatsmechanismus jedoch zu keinen Ergebnissen ten und beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) Klage ge- und so leitete die Kommission das Artikel-7-Verfahren ein; gen Mitgliedstaaten erheben. Dies bezieht sich jedoch hierdurch könnten letztendlich die Stimmrechte Polens im Rat nur auf Verstöße gegen konkretes EU-Recht, nicht ge- suspendiert werden. Strafmaßnahmen gegen Polen würden gen die EU-Werte im Allgemeinen. Gleichzeitig kann jedoch eine kaum zu erwartende Einstimmigkeit im Rat er- die Kommission Probleme der Rechtsstaatlichkeit oder fordern. Artikel 7 mangelt es folglich an Glaubwürdigkeit, Grundrechte durchaus mit konkretem EU-Recht ver- wodurch Sanktionen zur leeren Drohung werden. Doch wel- binden, etwa mit der Gesetzgebung zum Binnenmarkt che anderen Instrumente stehen der EU zur Verfügung, um oder dem Wettbewerbsrecht. Im Falle Ungarns tat Demokratiedefiziten in Mitgliedstaaten entgegenzutreten? sie dies erfolgreich: Als Viktor Orbáns Regierung eine
DAS ANDERE DEMOKRATIEDEFIZIT 7 Steuer auf private Fernsehsender einführte, argumen- dessen regelmäßig überprüft würde, ob demokrati- tierte die Kommission, dass dies den Wettbewerb be- sche Normen und das Rechtsstaatsprinzip eingehal- einträchtige. Obgleich die Kommission gewann, löste ten werden (Kapitel 2). Zur Debatte um den nächsten die Abwendung dieser Steuer nicht das übergeord- Mehrjährigen Finanzrahmen trägt dieses Publikation mit nete Problem, dass die ungarische Regierung den einer Ausführung bei, wie sich die Konditionalität von Medienpluralismus einschränkt (Blauberger 2016: 295). Finanzmitteln umsetzen ließe (Kapitel 3). Daneben erörtern Gegenwärtig scheinen keine angemessenen wir die Möglichkeiten gerichtlicher Durchsetzung (Kapitel 4) Instrumente zur Verfügung zu stehen, um das Problem ebenso wie Optionen, wie die EU in ihren Mitgliedstaaten demokratischer Rückschritte in EU-Staaten zu lösen. Demokratie durch die Unterstützung der Zivilgesellschaft Aber zumindest erfährt das Problem selbst mittlerweile fördern (Kapitel 5) und den Medienpluralismus stärken größere Aufmerksamkeit. Die wachsende Anzahl von kann (Kapitel 6). Zu guter Letzt kommt den europäischen Übergriffen auf das Rechtsstaatsprinzip in Mitgliedstaaten Parteienfamilien eine wesentliche Rolle zu. So untersu- hat die EU-Kommission dazu gebracht, aktiver zu wer- chen wir, wie EU-Institutionen europäische politische den. Nach langem Zögern zeigt sie nun im Fall Polens Parteien regulieren und diese selbst auf problematische na- größere Entschlossenheit, obgleich es ihr an dieser bei ver- tionale Mitgliedsparteien einwirken können (Kapitel 7). gangenen ernsthaften Zwischenfällen gemangelt hatte. Die EU steht an einer kritischen Wegscheide. Durch Gleichzeitig reagierte die Kommission allenfalls halbher- Brexit-Votum, Migrationskrise und Wirtschafts- und zig auf eine Entschließung des Europäischen Parlaments Finanzkrise – die es alle noch zu bewältigen gilt – ist der aus dem Oktober 2016, die sie dazu anhielt, einen »EU- Integrationsprozess zum Stillstand gekommen. Gleichzeitig Mechanismus für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und sind sich die führenden Europapolitiker_innen des drin- die Grundrechte« einzurichten. Die Entschließung schlug genden Reformbedarfs bewusst. Diese Gelegenheit einen Mechanismus mit präventiven wie korrektiven muss genutzt werden. Mehrere Szenarien sind denk- Elementen vor, der bestehende Instrumente einbinden bar, auch ein differenziertes Europa, dessen Kern schnel- sollte (Europäisches Parlament 2016). Dennoch kündigte die ler als der Rest vorrückt. Doch im Hinblick auf die Kommission im »Fahrplan für eine enger vereinte, stärkere Demokratie darf es keine solche Differenzierung geben. und demokratischere Union«, den Kommissionspräsident Juncker in seiner Rede zur Lage der Union im September 2017 vorstellte, zu Oktober 2018 eine Initiative zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der EU an (Europäische Kommission 2017). Im Hinblick auf die Mitgliedstaaten zählt der Umstand, dass der Rat für Allgemeine Angelegenheiten bei einem Treffen im Mai 2017 die Lage in Polen behan- delte und die Kommission hierbei durch eine Mehrheit in ihrem Dialog mit Polen unterstützt wurde, als Erfolg. Gleichzeitig bleibt abzuwarten, wie sich die Situation im Laufe des Artikel-7-Verfahrens gegen Polen entwickeln wird. Einzelne Mitgliedsländer haben betont, wie wichtig die Werte der EU auch angesichts der Diskussionen über den Mehrjährigen Finanzrahmen nach 2020 sind. Sie haben vorgeschlagen, die Auszahlung von Finanzmitteln an die Befolgung des Rechtsstaatsprinzips zu koppeln. Zusätzlich bezeichnete Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in seiner vielbeachteten Sorbonne-Rede zur Zukunft Europas die Werte der Demokratie und Rechtstaatlichkeit als einen der beiden Pfeiler der Union und als nicht ver- handelbar (Staatspräsident der Französischen Republik 2017). Die Debatte in der Wissenschaft spiegelt die der Politik. Hier diskutieren vor allem Rechtswissenschaftler– innen, wie sich das Rechtsstaatsprinzip mit juris- tischen Mitteln durchsetzen ließe, etwa ob sich Vertragsverletzungsverfahren oder auf Grundrechte be- zogene individuelle Klagen vor nationalen Gerichten und dem Europäischen Gerichtshof besser nutzen ließen. Diese Publikation möchte zur Debatte beitragen, in- dem sie Wege aufzeigt, wie die EU auf Verletzungen von Grundrechten in Mitgliedstaaten reagieren könnte. Für angemessene Reaktionen auf solche Verstöße braucht man klare Kriterien. Demnach schlagen wir als ers- ten Schritt einen Monitoring-Mechanismus vor, anhand
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 8 2 EINE BASIS SCHAFFEN: DEMOKRATIE-MONITORING IN MITGLIEDSTAATEN AUF EINEN BLICK 2.1 WELCHE PROBLEME WÜRDE EIN MONITORING-MECHANISMUS LÖSEN? – Regierungen von EU-Mitgliedstaaten, die mutmaßlich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit untergraben, argu- Ein systematischer Monitoring-Mechanismus2 in EU- mentieren in der Regel, ihre Maßnahmen stünden im Mitgliedstaaten würde drei wesentliche Probleme lösen. Einklang mit demokratischen Normen und seien ver- Regierungen von Mitgliedstaaten, die beschuldigt werden gleichbar mit denen anderer Mitglieder. Sie beschul- oder worden sind, eine demokratische Regierungsweise digen die EU, willkürlich und selektiv vorzugehen. und die Rechtsstaatlichkeit in ihrem Land zu unter- graben, argumentieren üblicherweise wie folgt: – Ein systematischer, aber problembezoge- ner Monitoring-Mechanismus zum Vergleich – Ihre Maßnahmen entsprächen demokratischen Normen der Demokratie in allen Mitgliedstaaten würde und seien mit denen anderer Mitgliedstaaten ver- das Problem der Selektivität angehen und eine gleichbar. Letzteres Argument haben Regierungen Grundlage schaffen, um ernstzunehmende standardmäßig als Rechtfertigung ins Feld geführt. Probleme in einzelnen EU-Staaten auszumachen. – Die EU verfüge weder über die Legitimität noch – Der Mechanismus sollte auf einer Reihe von eine rechtliche Grundlage für eine Intervention. Kriterien basieren, die in diesem Abschnitt vorge- stellt werden. Doch anstatt jedes von ihnen in je- – Sie würden aus politischen Gründen und un- dem Mitgliedstaat im Detail zu untersuchen, würde gerechterweise ins Auge gefasst; die EU sich der Mechanismus nur auf jene Punkte kon- würde willkürlich und selektiv vorgehen. zentrieren, die zuvor im Dialog mit Regierungen, Oppositionsparteien, öffentlichen Institutionen, Wenngleich diese Argumente in zahlreichen Studien Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen widerlegt wurden (für eine ausführliche Analyse als potenziell strittig hervorgetreten sind. des Themas siehe Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments 2016), könnte ein systemati- – Das Monitoring könnte von der Venedig-Kommission sches Monitoring demokratischer Entwicklungen in al- des Europarates durchgeführt werden; alternativ kä- len Mitgliedstaaten auf diese Punkte wie folgt eingehen: men die Agentur der EU für Grundrechte oder ein zu diesem Zweck gegründetes Expertengremium infrage. – Der Vergleich der Demokratie in sämtlichen EU- Staaten würde eine solidere Grundlage schaffen, um – Die Ergebnisse sollten auf nationaler und EU-Ebene diskutiert werden, das Europäische Parlament könnte dementsprechende Entschließungen fassen und der 2 Diese Publikation versteht Demokratie gemäß Artikel 2 EUV als untrenn- bar mit dem Rechtsstaatsprinzip (insbesondere Teilung und Gleichgewicht Rat den Monitoring-Bericht im Rahmen des jährli- der Gewalten und eine unabhängige Judikative) und den Menschenrechten chen Dialogs über Rechtsstaatlichkeit besprechen. (insbesondere politische Rechte) verbunden.
DAS ANDERE DEMOKRATIEDEFIZIT 9 bedeutende Probleme in einem einzelnen Mitgliedsland Der zweite Einwand ist eher praktischer Natur. Die zu erkennen. Auch Behauptungen, dass bestimmte EU-Staaten unterliegen schon jetzt umfangreichen rechtliche Mechanismen vergleichbar seien, lie- Berichtspflichten, nicht nur gegenüber der EU, son- ßen sich leichter erwidern – ein systematisches dern auch einigen anderen Organisationen wie den UN- Monitoring würde verfassungsmäßige und rechtli- Vertragsüberwachungsorganen. Vielen Vertreter_innen che Zusammenhänge klarer erkennbar machen als eine von Mitgliedstaaten erscheint diese Berichtspflicht schon mechanische Bezugnahme auf vereinzelte Artikel. jetzt zu aufwendig und zu ressourcenintensiv, insbesondere für die vergleichsweise kleinen Regierungsverwaltungen – Obgleich ein Monitoring-Mechanismus an sich kei- der kleineren Mitglieder. Dieses legitime praktische nen Rechtsgrund bilden würde, aus dem die EU sich Anliegen spricht für einen robusten und weniger detail- in Fragen der Demokratie einschalten sollte (die EUV- lierten Mechanismus. Auch weil die EU nicht noch mehr Artikel enthalten bereits diese Argumente), würde er Bürokratie schaffen will, wäre dies in ihrem Interesse. – gleichermaßen für alle Mitglieder geltend – trotz- Selbst wenn die Berichtspflicht nicht bei den dem die Legitimität der EU in diesem Bereich stärken. Mitgliedsländern liegen würde, werden weitere Bedenken gegenüber ein detailliertes und systematisches Monitoring – Ein systematischer Monitoring-Mechanismus geltend gemacht; etwa, dass ein Zusammenführen der würde erhebliche Defizite in einem Mitgliedstaat vielen bestehenden Instrumente und Daten eher auf durch die Abwesenheit solcher Defizite in ande- »Alchemie« als eine wissenschaftliche Vorgehensweise ren EU-Staaten klarer hervorheben und folglich hinauslaufen könnte (Wissenschaftlicher Dienst des auch den Vorwurf der Selektivität entkräften. Europäischen Parlaments 2016: Annex II, 110). 2.2 EINWÄNDE GEGEN EINEN 2.3 WIE KÖNNTE EIN MONITORING- MONITORING-MECHANISMUS MECHANISMUS AUSSEHEN? Über die Frage der Legitimität und Rechtsgrundlage hi- 2.3.1 METHODIK UND REICHWEITE naus bestehen zwei weitere Haupteinwände gegen ei- EINES DENKBAREN MECHANISMUS nen Monitoring-Mechanismus. Zum einen gibt es für EU-Mitglieder bereits Überwachungsmechanismen zu Wie erläutert sollte ein Monitoring-Mechanismus robust Demokratiefragen. Jedoch sammelt keiner von ihnen re- und in seinem Umfang begrenzt sein. Konzeptionell sollte levante Daten auf systematische Art und Weise: er sich auf die wesentlichen Bestandteile einer Demokratie konzentrieren. In der UN-Generalversammlung stimmten – Das EU-Justizbarometer sammelt Daten, die zu Teilen alle Mitgliedstaaten für eine Definition von sieben »wesent- relevant für die Rechtsstaatlichkeit in einer Demokratie lichen Elemente der Demokratie« (Vereinte Nationen 2005). sind; wegen der quantitativen Ausrichtung wird jedoch Da die EU über kein eigenes Dokument zur Definition von nicht zwischen konkreten Herausforderungen unter- Demokratie verfügt, bieten diese sieben Elemente einen schieden. Zudem sind weitere Aspekte der Demokratie – nützlichen und maßgeblichen Rahmen; ein weiterer Vorteil wie politische Teilhabe – nicht im Barometer enthalten. wäre, dass sich die externe und interne Dimension der EU auf dieser Grundlage integrieren ließen. Die EU würde dem- – Der Europarat verfügt über mehrere Berichtsverfahren, nach das Rahmenwerk, dass sie außerhalb der Union un- die jedoch keine systematischen Informationen zum terstützt, auch auf ihre eigenen Mitglieder anwenden. Stand der Demokratie in EU-Mitgliedstaaten lie- fern. So sammelt die Europäische Kommission für die Die sieben Elemente sind: Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) eher quantitative Daten, (i) Gewaltenteilung; während sich die Venedig-Kommission mit spezifi- (ii) die Unabhängigkeit der Justiz; schen Fällen verfassungsrechtlicher Änderungen be- (iii) ein pluralistisches System politischer fasst (mehr zur Venedig-Kommission im Folgenden). Parteien und Organisationen; (iv) die Achtung der Rechtsstaatlichkeit; – Die OSZE betreibt zwar Wahlbeobachtung in manchen (v) Transparenz und Rechenschaftspflicht; EU-Mitgliedstaaten, jedoch nicht auf systematische Art (vi) freie, unabhängige und pluralistische Medien; und Weise und in unterschiedlichem Ausmaß (vollstän- (vii) die Achtung vor den Menschenrechten und dige und »eingeschränkte« Beobachtungsmissionen sowie Grundfreiheiten, etwa der Vereinigungsfreiheit »Bewertungsmissionen«). Die Ergebnisse der Beobachter und Meinungsfreiheit und dem Recht, bei freien sollen in ein umfassenderes Monitoring einfließen, stellen Wahlen zu wählen und gewählt zu werden. jedoch per se noch keine systematische Kontrolle dar. Die OSZE sammelt weitere Informationen und verfügt über Diese Kriterien ließen sich auch aus einer Vielzahl anderer Expertise zu einer Reihe relevanter Themen, wie etwa verbindlicher wie nicht verbindlicher Rechtsinstrumente zie- Versammlungsfreiheit, aber sie sammelt nicht systema- hen, denen EU-Mitgliedstaaten unterliegen (die Europäische tisch Informationen oder Analysen zu EU-Mitgliedstaaten. Menschenrechtskonvention, der Internationale Pakt über
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 10 bürgerliche und politische Rechte, Pflichten im Rahmen der OSZE). Aber nirgendwo sonst werden sie in einer Liste zusam- WIE SÄHE DIES IN DER PRAXIS AUS? mengeführt (für eine Analyse hierzu vgl. Democracy Reporting International/Carter Center 2012). Die Kopenhagener Kriterien Ein Beispiel: (»institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte In Deutschland äußern die parlamentarischen sowie Achtung und Schutz von Minderheiten«), die ein Oppositionsparteien keine ernste Besorgnis über den Land für die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen er- Zustand der Demokratie. Anliegen können vor das füllen muss, nutzen hier kaum als Referenzrahmen. Bundesverfassungsgericht gebracht werden. Jedoch Erstens fügen sie den rechtsverbindlichen Verpflichtungen hat eine Partei, die Alternative für Deutschland, nach Artikel 2 EUV nichts Neues hinzu. Zweitens würde Bedenken über bestimmte Punkte geäußert, etwa so suggeriert, dass Fragen der Demokratie statt aller die staatliche Rundfunkberichterstattung, die sie der Mitgliedsländer lediglich jene Staaten betreffen, die der EU Voreingenommenheit beschuldigt. Eine solche Partei nach 1993 beitraten (als die Kriterien festgelegt wurden). würde gebeten, ihre Bedenken zu begründen und Wenngleich der Monitoring-Mechanismus systematisch alle darzulegen, inwiefern innerstaatliche Mechanismen, Mitgliedsländer behandeln sollte, muss er nicht für jedes von etwa Verfassungs- oder Verwaltungsjustiz, das ihnen ausgiebig alle sieben Elemente beschreiben und analy- Problem nicht ausreichend bewältigen können. sieren. Ein solches Unterfangen wäre enorm ressourcenintensiv Ein anderer Punkt, der in Deutschland genannt und ohne größeren praktischen Wert – nichts würde offen- werden könnte, ist der Zugang von Menschen mit bart, was nicht ohnehin bekannt wäre und worüber an anderer Behinderungen zu Wahlen. Das staatlich finan- Stelle berichtet wird. Ursprung der Besorgnis um die Wahrung zierte Deutsche Institut für Menschenrechte hat der Demokratie in den EU-Mitgliedstaaten sind schließlich nicht Bedenken geäußert, dass das Stimmrecht dieser Bedenken gegenüber potenziellen Verstößen, die es zu ent- Menschen gesetzlich unzulässig eingeschränkt ist decken gälte, sondern allgemein bekannte, kontroverse recht- (Deutsches Institut für Menschenrechte 2016: 12). In liche und politische Maßnahmen nationaler Regierungen. Erwiderung hierauf könnte ein Monitoring-Gremium Das Monitoring sollte sich vielmehr nur auf jene das Ausmaß des Problems bewerten und wie es sich Aspekte richten, die in einem Mitgliedstaat umstrit- mithilfe innerstaatlicher Mechanismen lösen ließe. ten sind. Aus den oben genannten sieben Kriterien würde eine Checkliste erstellt, mit der sich strittige Punkte er- mitteln ließen. Dies wäre die Grundlage für das Gespräch mit Regierungen, Oppositionsparteien, öffentlichen insoweit systematisch verfahren, als alle EU-Staaten am Dialog Einrichtungen, zivilgesellschaftlichen Vertreter_innen und in- beteiligt wären. Es würde insofern unsystematisch verfahren, ternationalen Organisationen. Erstes Ziel wäre also zu er- dass nicht sämtliche Aspekte demokratischer Staatsführung mitteln, welche Bereiche strittig oder unstrittig sind. analysiert würden. Punkte, die in einem einzelnen Mitgliedstaat Zwischen EU und Mitgliedstaaten ohnehin schon strit- zu Besorgnis führen, könnten kurz in allen Mitgliedstaaten un- tige Punkte würden unter Berücksichtigung der Vorrechte tersucht werden, um so eine Vergleichsbasis zu schaffen. der Europäischen Kommission und des Europäischen Ein solches System wäre vergleichbar mit der Empfehlung Gerichtshofs überwacht. Falls beispielsweise die Kommission des EPRS, nämlich einem Mechanismus mit Schwerpunkt bereits einen Dialog über Rechtsstaatlichkeit mit ei- auf: »a contextual, qualitative assessment of data and a nem EU-Mitglied führt, sollte der Mechanismus nicht die country-specific list of key issues, in order to grasp inter- Ergebnisse und Empfehlungen der Kommission neu be- relations between data and the causalities behind them« werten, sondern sie hervorheben und potenziell mit (Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments weiteren zum Fall gehörigen Fakten ergänzen. 2016: 21). Der Hauptunterschied hierzu bestünde darin, Ein Monitoring-Bericht sollte die Streitpunkte ana- dass sich die »list of key issues« aus Anliegen der wesent- lysieren und bewerten. Prämisse des Fokus auf stritti- lichen Akteur_innen im jeweiligen Land speisen würde. gen Punkten ist, dass kein einzelner EU-Staat so repressiv Auf diese Weise würde der Vorwurf entschärft, dass wäre, als dass bedeutende politische und gesellschaftli- Außenstehende Probleme erst erfänden. Im Grunde ge- che Akteure Bedenken nicht frei äußern könnten. Solange nommen würde der Weg formalisiert, auf dem Bedenken diese Akteure keine konkreten Bedenken äußern, wäre es über die Demokratiewahrung in Mitgliedstaaten üb- kaum sinnvoll, diese durch einen Monitoring-Mechanismus licherweise sichtbar werden: Nachdem sie auf zu bewerten. Einfach gesagt: Solange sich in Dänemark nie- nationaler Ebene deutlich zum Ausdruck gebracht wur- mand um das Niveau der Verfassungsjustiz sorgt, wäre den, werden sie auf EU-Ebene aufgegriffen. es sinnlos, anhand eines Monitoring-Mechanismus detail- liert das dänische Verfassungsjustizwesen zu analysieren. Dieser Ansatz reflektiert die Logik des Subsidiaritätsprinzips: 2.3.2 WER WÄRE ZUSTÄNDIG? Solange ein politisches System nicht vollkommen manipu- liert und repressiv ist, ist es für auf Nationalebene agierende Mehrere Akteure kämen als Verantwortliche des Institutionen und Akteure einfacher, ernstliche Bedrohungen Monitorings infrage (zu Details vgl. Democracy Reporting zu erkennen, als für ihre internationalen Pendants. Es würde International 2016):
DAS ANDERE DEMOKRATIEDEFIZIT 11 Eine naheliegende Wahl wäre die Agentur der Drittens: Auch wenn diese Option rechtlich möglich Europäischen Union für Grundrechte (FRA). Doch de- sein sollte, wäre die größte Aufgabe hier wohl politischer ren jetziges Mandat beschränkt sich auf die Überprüfung Natur. Zum einen könnte die EU zögern, einen sensiblen von Maßnahmen der Mitgliedstaaten, wenn diese Bereich wie Überwachung in eine Nicht-EU-Organisation, Gemeinschaftsrecht umsetzen (Verordnung (EG) Nr. der auch viele Nicht-EU-Regierungen angehören, »auszu- 168/2007 des Rates: Artikel 2). Viele Fragen der Demokratie lagern«. Der EPRS nennt auch Einwände gegenüber Nicht- sind zwar bereits in Artikel 2 EUV verankert, aber hierbei EU-Akteuren angesichts der eigenen EU-Rechtsordnung. setzen Mitgliedstaaten oftmals kein Gemeinschaftsrecht Doch der vorgeschlagene Mechanismus sieht keine di- um. Das Mandat der FRA müsste also geändert wer- rekten rechtlichen Konsequenzen vor (Wissenschaftlicher den. Dazu wäre Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten er- Dienst des Europäischen Parlaments 2016: 22). Vielmehr forderlich, was nur schwierig zu erreichen sein dürfte. würde etwas bereits Existierendes hervorgehoben und aus- Eine weitere Möglichkeit wäre die Venedig- geweitet: Nämlich, dass sich die Venedig-Kommission in Kommission des Europarates. Bei Analyse und Vergleich mehreren Mitgliedstaaten mit Demokratie-Problemen be- der strukturell-institutionellen Aspekte rechtsstaatlicher fasst und EU-Institutionen ihre Analysen verwenden. Demokratien in Europa verfügt sie über eine unübertroffene Selbst wenn sich EU- und Venedig-Kommission über einen Erfolgsbilanz. Laut ihrer Website hat die Kommission über Mechanismus wie diesen einigen sollten, müssten auch die 500 Gutachten zu 50 Ländern und Vergleichsstudien erstellt. Regierungen der Mitgliedstaaten kooperieren, etwa indem Ihr Aufgabenbereich – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und sie sich an den Demokratiedialogen beteiligen. Daher soll- Menschenrechte – würde voll und ganz den Anforderungen ten EU-Kommission und -Ratssekretariat diese Option mit al- an einen Monitoring-Mechanismus entsprechen. len Mitgliedstaaten besprechen. Da die Venedig-Kommission Die Venedig-Kommission setzt sich aus anerkannten schon eine feste Größe ist, würden die EU-Staaten womög- Expert_innen zusammen. Diese werden zwar von ihren je- lich einen solchen »weichen«, dialogbasierten Mechanismus weiligen Regierungen ernannt, handeln aber nach eige- härteren und stärker kontrollierenden Alternativen vorziehen. nem Ermessen, was der Institution Autorität und Legitimität Der größte Vorteil der Venedig-Kommission wären verleiht und eine angemessene Unabhängigkeit gewähr- ihr guter Ruf und ihre umfangreiche Erfahrung in die- leistet. Ihre Plenarsitzungen bieten eine Form offiziel- sem Bereich; sie beschäftigt sich seit knapp 20 Jahren ler Peer-Review, was die Sachverständigenautorität der und in einer Vielzahl von Ländern mit komplexen de- Gutachten noch einmal erhöht. Die Kommission hat bereits mokratiebezogenen Problemen. Ebenso besteht für die über Entwicklungen in vielen EU-Staaten berichtet und ist Kooperation zwischen EU und Europarat ein Präzedenzfall; auf ein wie in diesem Kapitel vorgeschlagenes dialogbasier- so beauftragte die EU-Kommission die zum Europarat tes Monitoring ausgerichtet. So entsendet sie regelmäßig gehörige Kommission für die Wirksamkeit der Justiz Delegationen in Mitgliedstaaten, um mit unterschiedlichen (CEPEJ) mit der Ausführung jährlicher Studien. Das Teilhabenden strittige Rechtshandlungen zu diskutieren. Justizbarometer der Kommission beruht teilweise auf Ob die Venedig-Kommission mit einem systematische- Daten der CEPEJ (Europäische Kommission 2017a: 2). ren, wie hier vorgeschlagenen Monitoring beauftragt wer- Ebenso könnte die EU ein unabhängiges Experten den könnte, müsste näher untersucht werden. Hierbei gilt es gremium zur Demokratieüberwachung in EU-Staaten ins vor allem drei Fragen zu klären. Erstens, die der Kapazitäten: Leben rufen, wie in der Entschließung des Europäischen Ein regelmäßiger Dialog mit und ein Monitoring al- Parlaments über einen Pakt für Demokratie skizziert ler EU-Staaten würde größere finanzielle und personelle (Europäisches Parlament 2016: Artikel 8 Anlage). Die EU- Ressourcen erfordern. Zweitens, die rechtliche Lage: Die Kommission hat sich gegen diese Option ausgesprochen, da EU hat in der Venedig-Kommission einen Sonderstatus sich die Ernennung eines solchen Gremiums negativ aus- inne, die EU-Kommission nimmt an den Treffen teil und wirken könne: »(…) raise serious questions of legality, in- alle EU-Staaten sind Mitglieder. In diesem Sinne umfasst stitutional legitimacy and accountability« (Europäische die Venedig-Kommission schon alle notwendigen Akteure; Kommission 2017b). Solange diese Option nicht vertieft es wäre jedoch eine eingehende Begutachtung vonnöten, untersucht wird, bleiben diese Bedenken davon abhän- um zu klären, ob die bestehende Kommissionssatzung ein gig, was die konkreten Aufgaben des Gremiums wären. solches gesondertes, »regionales« Mandat zulässt. Eine Wäre dessen Funktion auf Beratung beschränkt, sollte das erste Untersuchung legt nahe, dass diese Aufgabe zulässig Bedenken beschwichtigen. Im Gegensatz zur Venedig- wäre, ohne dass der Ministerrat involviert werden müsste.3 Kommission würde ein solches Gremium jedoch einen kom- pletten Neustart erfordern, was auch zu mehr Bürokratie durch ein zusätzliches EU-Organ führen würde. Zudem 3 »Gemäß ihres Mandates kann die Kommission Gutachten erstellen, auf Anfrage des Ministerkomitees, der Parlamentarischen Versammlung, des bräuchte es geraume Zeit, um Glaubwürdigkeit zu erlangen. Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarates, des Generalsekretärs Wenn das Europäische Parlament ein Expertengremium oder eines Staats der internationalen Organisation, sowie des internationalen ernennen würde, erhielte Letzteres die institutionelle Instituts die an den Tätigkeiten der Kommission teilnehmen.« Die EU hat in der Venedig-Kommission einen Sonderstatus inne. Im Hinblick auf die Finanzie- Legitimität und Rechenschaftspflicht anderer Organe, rung eines Überwachungsmechanismus besagt die Satzung: »Außerdem kann wie etwa der / die vom Europäischen Parlament ernannte die Kommission freiwillige Beiträge akzeptieren, die auf einem Sonderkonto Europäische Bürgerbeauftragte. Die Gremiumsmitglieder überwiesen werden, das im Sinne des Artikels 4.2 der Haushaltsordnung des Europarates für andere zugänglich ist. Weitere freiwillige Beiträge können für sollten aus allen EU-Staaten kommen. Wenngleich spezifische Forschungsarbeiten bestimmt werden.« (Venedig-Kommission 2002). die jeweiligen Regierungen die Mitglieder ernennen
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 12 würden, würden diese unabhängig agieren und nicht zu – Das Gremium sendet den Monitoring-Bericht, ein- Angelegenheiten ihres eigenen Landes arbeiten. Es sollte schließlich der Stellungnahmen der Parlamente der das Mehrheitsstimmrecht gelten. Mitgliedstaaten, an das Europäische Parlament. Dieses debattiert ihn und verabschiedet eine Entschließung über den Bericht, mit besonderem Augenmerk auf 2.3.3 DIE VERFAHRENSWEISE BEIM MONITORING dem Kapitel zur Demokratie auf EU-Ebene.4 Um den Bedenken der Mitgliedstaaten hinsichtlich einer – Der Rat diskutiert den Monitoring-Bericht, bei- zu großen Berichtspflicht Rechnung zu tragen, könnte ein spielsweise im Rahmen seines jährlichen, 2015 Monitoring alle zwei Jahre statt jährlich vorgenommen werden. unter Luxemburgs Präsidentschaft ins Leben ge- Wäre ein Gremium mit dem Monitoring betraut, könnte rufenen Dialogs über Rechtsstaatlichkeit. das Verfahren wie folgt aussehen (die Arbeitsweise könnte der anderer Organe, wie der Venedig-Kommission, ähneln): 2.4 WER SOLLTE DEN MECHANISMUS – Für jedes Mitgliedsland werden drei Gremiumsmitglieder VORSCHLAGEN? als Faktenermittler_innen ernannt. Nachdem diese die vorhandenen Daten, einschließlich der Berichte beste- Nachdem die EU-Kommission sich gegen ein Experten hender Monitoring-Mechanismen, und Informationen gremium ausgesprochen hat, steht die Debatte um zu dem jeweiligen Land untersucht haben, reisen sie Monitoring-Mechanismen derzeit still. Das Europäische dorthin, um mit den wichtigsten Akteur_innen ei- Parlament könnte in einer weiteren Entschließung alterna- nen wie oben beschriebenen Dialog zu führen. tive, wie hier umrissene Ideen anstoßen, etwa die Venedig- Kommission mit erweiterten Kompetenzen auszustatten. – Auf Grundlage ihrer Ergebnisse stellen sie dem ge- Aufgrund von Bedenken, nicht alle Mitgliedsländer von der samten Gremium einen Beurteilungsbericht vor. Teilnahme zu überzeugen, könnte sich die EU-Kommission je- doch abermals weigern, einen solchen Entwurf umzusetzen. – Berichte über alle Mitgliedstaaten werden vom ge- Da die Unterstützung der Regierungen sämtlicher samten Gremium diskutiert und verabschiedet. Wenn Mitgliedstaaten (einer der Hauptgesprächspartner der in einem Staat keiner der relevanten Akteure be- Faktenermittler_innen) erforderlich wäre, sollte eine deutsame Probleme festgestellt hat, fasst sich Gruppe von Mitgliedstaaten den Vorschlag im Rat vorbrin- der Bericht in seiner Beschreibung des demokrati- gen. Im Idealfall würde sich die Gruppe aus Regierungen schen Systems und konkreter Ergebnisse kurz. des gesamten politischen Spektrums zusammensetzen. – Auf Grundlage derselben Methodik, die auf die Länderberichte angewendet wird, erstellt das Gremium ein Kapitel zum Stand der Demokratie auf EU-Ebene. Dies käme jenen Kritiker_innen entgegen, die an ers- ter Stelle eine Selbstevaluation der EU einfordern. Er würde zudem unterstreichen, dass die EU bei demokra- tiebezogenen Themen offen und transparent vorgeht. – Die Parlamente der Mitgliedstaaten konsultieren die Öffentlichkeit und debattieren den Bericht in einer öf- fentlichen Sitzung, zu der auch zivilgesellschaftliche Organisationen eingeladen sind. Jedes Parlament kon- zentriert sich auf den eigenen Landesbericht und ver- abschiedet hierzu eine Resolution. Oppositionsparteien, die eine Parlamentsfraktion bilden und sich nicht der Mehrheitsmeinung anschließen, können dem Bericht ihre abweichende Stellungnahme beifügen. Idealerweise fänden alle Debatten am 15. September statt, dem Internationalen Tag der Demokratie. Die »Konferenz der Parlamentspräsidenten der Parlamente der Europäischen Union« könnte sich auf grundle- gende Elemente zur Führung dieser Debatten einigen. 4 Die Debatte in den nationalen Parlamenten wie auch die im Euro- päischen Parlament wäre mit dessen Entschließung zur Einrichtung eines – Zivilgesellschaftliche Organisationen, außerparlamen- EU-Mechanismus für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechte tarische Parteien oder fraktionslose Abgeordnete dür- abgestimmt. Hierin »unterstreicht [das Parlament] die Schlüsselrolle, die das Parlament und die nationalen Parlamente beim Messen des Fortschritts und fen dem Gremium Schattenberichte zusenden; der der Überwachung der Einhaltung der gemeinsamen Werte der EU gemäß Bericht des Gremiums diskutiert und erwähnt diese. Artikel 2 EUV spielen sollten« (Europäisches Parlament 2016: Punkt 9).
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