Der Euro ist nicht unsere Währung, ist er aber unser Problem?

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Der Euro ist nicht unsere Währung, ist er aber unser Problem?
Das Magazin der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz nebs / Nr. 2/2010

                                                            Der Euro ist
                                                 nicht unsere Währung,
                                             ist er aber unser Problem?
Der Euro ist nicht unsere Währung, ist er aber unser Problem?
inhalt                                                                                                      editorial

    aktuell                    Liebe Leserin, lieber Leser
    Mit offenen Augen in
    die Sackgasse?
    : Seite 3                    D     iesen Sommer und Herbst
                                       durften wir endlich wieder
                               eine lebhafte Europadebatte erleben.
                                                                                                 ten in der Eurozone dürften hier der
                                                                                                 Grund sein. Ob eine Mitgliedschaft
                                                                                                 ohne Euro möglich ist, könnten aller-
                               Rund um den Bericht des Bundesra-                                 dings erst konkrete Beitrittsverhand-
    sektion                    tes zur Europapolitik hat eine Viel-                              lungen zeigen. Ob dies erstrebens-
    Albert Tille:              zahl von Beiträgen und Stellungnah-                               wert ist, ist wiederum eine andere
    Europhile Waadtländer      men für Gesprächsstoff gesorgt.                                   Frage. Die Nebs gibt sich diesbezüg-
    : Seite 4                  Einige davon waren vorhersehbar,                                  lich ergebnisoffen, eine Mitglied-
                               andere enttäuschend und wieder andere sehr                schaft darf aus Sicht der Nebs jedenfalls nicht
    mythen aufgespiesst        erfreulich. Die Unzulänglichkeiten des bilate-            an der Währungsfrage scheitern. Der starke
    Die masslose nationale     ralen Wegs sind in der Diskussion augen-                  Franken und damit die Währungs- und
    Selbstüberschätzung        scheinlich geworden, auch wenn manche dies                Wechselkursproblematik ist für die hiesige
    des Herrn Wäfler           nicht wahrhaben wollen. Zu dieser Erkennt-                Wirtschaft eine aktuelle und ganz alltägliche
    : Seite 5                  nis kommt auch der Bundesrat in seinem Be-                Herausforderung. Wir haben für diese Aus-
                               richt. Allerdings legt er dennoch wenig Weit-             gabe von «europa.ch» eine Reihe von Kurz-
    hintergrund                sicht an den Tag und setzt ausschliesslich auf            interviews mit unterschiedlichen Personen
                               die Option bilateral (S.3). Diese Europade-               durchgeführt (S. 7–11). Ziel war es, einen
    Die Zukunft des Euro       batte als blosses Sommerlochthema abzutun,                Eindruck zu bekommen von den Auswirkun-
    und die Schweiz            wird dem Gewicht der Frage nach dem euro-                 gen der relativen Euroschwäche auf die
    : Seite 6                  papolitischen Kurs der Schweiz nicht gerecht.             Schweizer Wirtschaft.
                               Im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen
    interview                  2011 legen die Parteien denn auch ihr aussen-               Ich wünsche Ihnen eine angenehme und
    Euro-Interviews            politisches Programm fest, leider nicht immer             unterhaltsame Lektüre.
    : Seite 7–11               zum Guten …
                                  In seinem Bericht untersucht der Bundes-
    yes                        rat erstmals auch die Option «Beitritt mit
                               Ausnahmen». Dies ist vor allem auf den Euro
    Eva Hirschi:
                               gemünzt, die wirtschaftlichen Schwierigkei-                  Michael Fust, Generalsekretär
    Eine bürgernähere EU
    :        Seite 12

    international                                                                                                  ch.spots
2   In der EU wird Vielfalt                Himbeersirup                                                  Gotthard
    grossgeschrieben            Da freut man sich auf erlesene Spirituosen und           Weltrekord! Von historischer Bedeutung für Eu-
    : Seite 13                  exotische Leckereien zu erschwinglichen Prei-            ropa! Die Schweiz bringt Europa näher zusam-
                                sen, und dann dies: Als erster offizieller Cassis-       men! – Sicherlich hat die frohe Botschaft mittler-
    lesen                       de-Dijon-Artikel kommt ein Himbeersirup in den           weile auch im Brüsseler Flachland die Runde
    Hans Peter Fagagnini:       Schweizer Handel.                                        gemacht: Wir Schweizer haben unseren Jahr-
    «Unser aller Sonderfall»    Seit Anfang Oktober in der Migros zu haben in der        hunderttunnel bald fertig gebaut (um genau zu
    : Seite 14                  1,5-Liter-Flasche für Fr. 3.50 statt Fr. 4.80 Franken.   sein fertig geplant und bezahlt, denn gebaut wird
                                Doch das süsse Gold ist weder eine Spezialität           er mehrheitlich von Gastarbeitern aus den umlie-
                                aus dem Baltikum noch aus dem Baskenland.                genden EU-Ländern, was hier zwar wenig zur Sa-
    schnappschuss
                                Produziert wird in der Schweiz, mit EU-genorm-           che tut). Die Key Message des Durchschlag-
    : Seite 15                  tem Fruchtsaftanteil von 10%, anstelle der bisher        Spektakels: Die Schweiz ist gegenüber Europa
                                helvetisch-erforderlichen 30%. Doch man darf             solidarisch, zahlt freiwillig Milliarden, ist keine
                                sich freuen, die Migros gelobt Besserung und will        Rosinenpickerin. Schade nur, dass es bis dahin
                                weitere Möglichkeiten für Cassis-de-Dijon-Pro-           niemand gemerkt hat. Denn für die Zufahrtsstre-
                                dukte prüfen. Und tatsächlich, Mitte Oktober folgt       cken in Italien und Deutschland bestehen höchs-
                                der zweite Artikel: Ein Beerensirup für Fr. 3.30 –       tens Absichtserklärungen, das nötige Kleingeld
                                endlich! (dg)                                            ist weder in Brüssel noch in Berlin oder Rom ge-
                                                                                         sprochen worden. – So what?
                                                                                         «Freude herrscht, wir sind längster Tunnel!» (dg)
Der Euro ist nicht unsere Währung, ist er aber unser Problem?
aktuell

                   Mit offenen Augen
                    in die Sackgasse?
                                             Von Michael Fust, Generalsekretär

Der Bundesrat setzt weiterhin auf den bilateralen Weg. Der Bericht zur Evaluation der Europapolitik liefert zwar
eine differenzierte Analyse der aktuellen Situation, politisch hat er aber keine Konsequenzen und bleibt mutlos.

  D     ie Pressekonferenz des Bundes-
        rates zur Europapolitik Mitte
August fand grosse Beachtung in den
                                                In einem weiteren Schritt werden die
                                            einzelnen europapolitischen Optionen
                                            und ihre Auswirkungen auf verschiede-
                                                                                         dass der Bundesrat eine gewisse Kurs-
                                                                                         korrektur in seiner Europapolitik in
                                                                                         Aussicht stellt oder zumindest verschie-
Medien. Weiter wie gehabt, der bilate-      ne Bereiche und bestehende Probleme          dene Optionen in Erwägung zieht. Dem
rale Weg ist am besten geeignet, die In-    untersucht. Im Einzelnen sind dies: Wei-     ist aber nicht so. Er kommt zum folge-
teressen der Schweiz zu wahren. So in       terführung des bilateralen Wegs ohne         widrigen Schluss: «Angesichts der heute
etwa die Botschaft des Bundesrats, die      neue Abkommen, Weiterführung und             weitgehend positiven Bilanz des bilate-
an die breite Öffentlichkeit gelangt war.   Ausbau des bilateralen Wegs, Schaffung       ralen Wegs und angesichts der Tatsache,
Der Bericht zur Evaluation der schwei-      eines institutionellen Rahmens, Beitritt     dass die Fortsetzung und die Weiterent-
zerischen Europapolitik hingegen fand       zum EWR, EU-Beitritt und ein EU-Bei-         wicklung der Beziehungen zwischen der
in den Medien kaum Aufmerksamkeit,          tritt mit Ausnahmen (z.B. ohne Euro).        Schweiz und der EU im beidseitigen In-
die Kernbotschaft war ja bereits be-            In den Schlussfolgerungen wird noch-     teresse liegen, hält der Bundesrat einen
kannt, und die Bundesratswahlen stan-       mals eine Bilanz des bilateralen Wegs ge-    abrupten Strategiewechsel momentan
den vor der Tür.                            zogen. Die Ziele der schweizerischen         für unangebracht […].»
                                            Europapolitik seien durch diesen Ansatz          Obschon der Bundesrat also einsieht,
  Eine differenzierte Analyse …             weitgehend erreicht worden, insbeson-        dass der bilaterale Weg unzulänglich ist,
   Der Bericht ist aber aufschlussreich     dere bei den Aspekten Wohlstand und          die laufenden Verhandlungen blockiert
und verdient daher gebührende Auf-          Sicherheit. Ausserdem geniesse der bila-     sind und die EU wiederholt ihre Unzu-
merksamkeit. In einem ersten Teil wird      terale Weg die Unterstützung durch die       friedenheit mit diesem sektoriellen An-
eine Lagebeurteilung vorgenommen            Bevölkerung. Allerdings falle die Bilanz     satz zum Ausdruck gebracht hat, zieht
und der Kontext der Beziehungen zwi-        bei den Aspekten Souveränität und            er keine Konsequenzen. Er will lediglich
schen der Schweiz und der EU beschrie-      Autonomie «nuancierter» aus. Die             den bilateralen Weg mit «institutionel-
ben. Auch die in der EU erfolgten Ver-      Verhandlungen mit der EU seien durch         len Mechanismen» reanimieren, eine
änderungen und ihre Auswirkungen auf        verschiedene Entwicklungen erheblich         Arbeitsgruppe soll Lösungsvorschläge        3
die Schweiz werden dargelegt, insbe-        erschwert worden. Daher seien auch           dazu präsentieren. Es bleibt zu hoffen,
sondere die Neuerungen des Lissabon-        verschiedene der laufenden Verhandlun-       dass die Operation zumindest kurzfris-
ner Vertrags. Anhand von drei im Euro-      gen blockiert. Ausserdem räumt der           tig halbwegs gelingt, denn eine europa-
pabericht 2006 aufgestellten Kriterien      Bundesrat ein, dass mit der Stellung der     politische Blockade und ein weiteres
werden in der Folge die Beziehungen         Schweiz als Drittstaat gewisse Nachteile     verlorenes Jahrzehnt darf sich die
zwischen der Schweiz und der EU unter-      verbunden sind, die sich tendenziell ver-    Schweiz nicht erlauben. Daher muss der
sucht. Fazit: «Die […] beschriebenen        stärken: «Diese betreffen die mangeln-       Bundesrat bald schon eine Kurskorrek-
Entwicklungen lassen deutlich erken-        den Einflussmöglichkeiten auf Normen,        tur einleiten, sonst wird in Zukunft ein
nen, dass sich bei der Gestaltung der       die die Schweiz direkt betreffen, die Be-    «abrupter Strategiewechsel» unver-
Beziehungen der Schweiz zur EU mit          schränkungen der Souveränität dort, wo       meidlich. Dieser wird dann eine unvor-
den Instrumenten des bilateralen Wegs       die Schweiz ihr Recht an jenes der EU        bereitete Öffentlichkeit treffen, was der
der Handlungsspielraum unseres Lan-         anpassen muss, um Wettbewerbsnach-           innenpolitischen Machbarkeit nicht ge-
des verringert. […] Die Entwicklungen       teile zu vermeiden, das Fehlen eines voll-   rade zuträglich sein wird. Es geht also
der 2006 aufgestellten Eckwerte der         umfänglichen Zutritts zum EU-Binnen-         nicht um Visionen, sondern um Weit-
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen,         markt und schliesslich eine latente          sicht. Wenn der Handlungsspielraum
der Möglichkeiten zur Teilnahme an der      Rechtsunsicherheit.»                         zunehmend erodiert, die massgebenden
Entscheidfindung sowie der aussenpoli-                                                   Tendenzen negativ sind, wird die zwar
tischen Machbarkeit weisen insgesamt        …ohne politische Konsequenzen                etwas abgedroschene, aber deshalb nicht
eine je nach Bereich mehr oder weniger        So weit, so gut. Angesichts dieser         minder richtige Maxime «Gouverner,
ausgeprägte negative Tendenz auf.»          Analyse hätte man erwarten dürfen,           c’est prévoir» wieder hochaktuell.
sektion

          Europhile Waadtländer
                                     Von Albert Tille, Mitglied der Waadtländer Sektion der Nebs

    Zwei Abgeordnete des Waadtländer Grossen Rates, Mitglieder der Nebs, haben die Kantonsregierung aufgefordert,
    eine offene Haltung gegenüber Europa ein-zunehmen. Die Reaktion des Staatsrates war positiv

       N      ationalrätin und Nebs-Präsidentin Christa Markwal-
              der verlangte mit ihrem Postulat eine Neubewertung
    der Europapolitik durch den Bundesrat. Im nach wie vor pro-
                                                                         Reaktionen von Abgeordneten, Mitglieder der Nebs,
                                                                         nach der Debatte im Grossen Rat:
    europäisch aus-gerichteten Kanton Waadt unternahmen zwei             Alessandra Silauri (Grüne)
    Nebs-Mitglieder einen ähnlichen Schritt. A-lessandra Silauri         Neben den Schwierigkeiten des bilateralen Weges hat der Staats-
    wollte mit ihrer Interpellation vom Staatsrat erfahren, wie er       rat auch die positiven As-pekte der mit der EU geschlossenen
    die Risiken und Grenzen der Weiterführung des bilateralen            Abkommen hervorgehoben. Ich bedaure, dass er dies-bezüglich
    Weges einschätzt. François Cherix forderte mit einem weiter-         keine Fakten genannt hat. Solche ermöglichten es, eine sachli-
    gehenden Postulat ein aktives Engagement der Regierung im            chere und weniger emotionale Auseinandersetzung über die Vor-
    Bereich der Eu-ropapolitik in Abstimmung mit den Kanto-              teile einer Annäherung an Europa und die Not-wendigkeit der Fort-
    nen, die dieselbe Auffassung vertreten. Die Waadt hat eine           setzung dieses Prozesses mit allen Mitteln zu führen. Denn seine
    besondere Verantwortung, weil ihr Regierungspräsident,               Unter-brechung könnte sich negativ auf den Wohlstand der
    Pascal Broulis, die Konferenz der Kantonsregierungen präsi-          Schweiz auswirken.
    diert. Dieses Organ, das 1993 nach Ablehnung des EWR ge-             Pierre Zwahlen (SP)
    gründet wurde, gewinnt zunehmend an Bedeutung für die                Die Waadtländerinnen und Waadtländer haben sich bei Abstimmun-
    Ausrichtung der schweizerischen Aussenpolitik.                       gen oft bei den europafreundlichsten Kantonen wieder gefunden. Die
       Vorstösse von Silauri und Cherix wurden im Grossen Rat            Waadtländer Regierung nimmt ebenfalls eine fortschrittlichere Hal-
    positiv aufgenommen. Im Namen der Regierung bekannte                 tung als der Bundesrat ein. Sie möchte das Beitrittsgesuch voran-
    sich ihr Präsident, Pascal Broulis, klar zur Öffnung. Er an­         bringen. Dabei handelt es sich nicht mehr bloss um eine Option auf
    erkennt die dank dem bilateralen Weg erreichten Vorteile,            lange Sicht, sondern mittel- und langfristig um eine echte Alternative.
    insbesondere im Bereich der Bildung. Hingegen kritisiert er
                                                                         Raphaël Mahaim (Grüne)
    ohne Umschweife die Entwicklung der Verhandlungen mit
                                                                         Ich bin ein wenig enttäuscht, dass sich die Regierung nicht ebenso
    der EU und fordert die Eröffnung einer Debatte über den
                                                                         positiv wie die Freiburger zugunsten des Beitritts ausgesprochen hat.
    Beitritt.
                                                                         Der Regierungspräsident Pascal Broulis ist in einer schwierigen
                                                                         Position. Er präsidiert die Konferenz der Kantonsregierungen und
4   –	Die Schengen-Dublin-Abkommen und der autonome Nach­
                                                                         zögert daher, eine kämpferische Haltung einzunehmen, die ihm in sei-
       vollzug offenbaren die äusserst geringe Manövrierfähig-
                                                                         nen Diskussionen mit den anderen Kantonen hinderlich sein könnte.
       keit, die dem Bundesrat und den Kantonen verbleibt.
    –	Die neuen EU-Mitgliedstaaten sind je länger je weniger be-        François Cherix (SP)
       reit, der Schweiz entgegenzukommen.                               Mit meinem Postulat verlange ich, dass die Regierung – über ihre
    –	Der bilaterale Weg darf nicht zu einem De-facto-Beitritt          positive Erklärung hinaus – eine vollständige Bilanz der Interessen
       (ohne Recht auf Mitbestimmung) führen; dies scheint aber          des Kantons in der Europafrage vorlegt und dass sie festhält, dass
       unter den gegenwärtigen Bedingungen zunehmend der Fall            die Waadt getreu ihrer Tradition einer Politik der Öffnung verpflich-
       zu sein.                                                          tet ist. Nach dieser Bilanz soll eine veritable Kommunikationsstra-
    –	Der Bilateralismus erscheint nicht als ein auf freier Entschei-   tegie entwickelt werden, die erläutert, wie die Stimme der Waadt-
       dung basierender Prozess, sondern als Vorstufe eines zwin-        länderinnen und Waadtländer in der schweizerischen Öffentlichkeit
       genden Beitritts der Schweiz zu den Bedingungen der EU.           nutzbar gemacht werden kann.
    –	Der Beitritt darf kein Tabuthema sein. Die Waadtländer            Laurent Wehrli (FDP)
       Regierung schliesst sich im Prinzip der Haltung des Frei-         Berichterstatter zum Postulat Cherix
       burger Staatsrates an.                                            Die grossmehrheitliche Unterstützung des Postulats Cherix macht
                                                                         das Erfordernis einer klaren Positionierung des Kantons in dieser
       Diese klare Positionierung ist nicht die letzte Entwicklung       Debatte deutlich. Eine grosse Zahl von Abgeordneten ist der Mei-
    in der europapolitischen Auseinandersetzung im Kanton                nung, dass man sich der Union annähern sollte. Das bedeutet aber
    Waadt. Der Staatsrat wird noch zum Postulat Cherix im De-            nicht, dass der Waadtländer Grosse Rat heute im Falle einer
    tail Stellung nehmen müssen.                                        Abstimmung «Ja» zum Beitritt sagen würde
mythen aufgespiesst

        Die masslose nationale
         selbstüberschätzung
           des herrn wäfler
                                                                      ten nach der Decke strecken, um die wichtige Beziehung
    «Massgebende EU-Funktionäre                                       Schweiz – EU zu pflegen, wobei der Vorrat an Sonderbe-
   wollen uns in die EU bugsieren»                                    handlungen und Extrawürsten nachgerade aufgebraucht
                                                                      ist. d) Die Schweiz wird in Brüssel jederzeit Gesprächspart-
 «Warum versuchen massgebende Funktionäre der EU un-                  ner finden – aber sie steht definitiv nicht zuoberst auf der
 ser Land in die EU zu bugsieren? Für die EU ist das Staats-
                                                                      Liste der hängigen Probleme.
 modell der Schweiz mit direkter demokratischer Mit­
 entscheidung und Mitverantwortung der Bürger und
                                                                   2. Die masslose Selbstüberschätzung, die aus Herrn Wäflers
 einer relativ erfolgreichen Staats- und Wirtschaftsord-
 nung ein lästiger Dorn im Auge. (…) Deshalb muss aus                 Text spricht, ist in der Schweiz weit verbreitet. Sie liegt zum
 Sicht der EU-Bürokraten dieses lästige Mahnmal Schweiz               Beispiel auch der oft kolportierten Ansicht zugrunde, die
 verschwinden und innerhalb der EU angeglichen und neu-               EU müsse der Schweiz ganz besonders entgegenkommen,
 tralisiert werden. Zudem sucht die EU neue zahlungs­                 weil wir ja ihr «zweitbester Kunde» seien – will sagen: weil
 fähige Sponsoren, um ihren Finanzhunger zu stillen.»                 nach Statistik ausser den USA kein einzelnes anderes Nicht-
                                                                      EU-Land für mehr Geld Exporte aus den 27 EU-Mitglied-
 Altnationalrat Markus Wäfler im Parteiorgan «EDU-                    staaten abnimmt. Das klingt zwar imposant, ist aber, bei
 Standpunkt» der Eidgenössisch-Demokratischen Union                   ­näherem Hinsehen, politisch so gut wie bedeutungslos.
 (EDU), September 2010.                                                Denn jedes EU-Land exportiert weit, weit mehr Waren und
                                                                       Dienstleistungen in die anderen Länder des Binnenmarkts
                                                                       als in Drittstaaten. Für den gesamten Aussenhandel, Bin-
1. Die «EU-Bürokraten» pendeln jeden Morgen an ihre Brüs-              nenmarkt und Drittstaaten zusammengezählt, einer grossen
   seler Schreibtische, um von Neuem verzweifelt über ihrem            Mehrheit der 27 EU-Mitglieder sind deren Exporte in die
   einzigen Problem zu brüten: Wie können wir die Schweiz              Schweiz absolut marginal und liegen zum Teil im Promille-
   endlich in die EU zwingen? Und: Wie können wir der                  bereich. Für unsere unmittelbaren Nachbarländer sind wir
   Schweiz ihr Geld abknöpfen? In den endlosen Korridoren              ein bisschen wichtigere Exportabnehmer; aber auch diese
   des Berlaymont-Gebäudes vernimmt man tagein, tagaus                 Werte sind nicht gar so berauschend: Wir nehmen 3,9% der         5
   nichts als ein klagendes Raunen: Die Schweiz! Die Schweiz!          gesamten deutschen Ausfuhren ab und belegen auf der
   Die Schweiz! Nein, im Ernst: Das Weltbild (oder Europa-             deutschen «Rangliste» Platz 10, 2,8% der französischen
   bild), das Herr Wäfler zeichnet, zeugt von einer grotesken,         (Rang 8), 3,9% der italienischen (Rang 6) und 3,7% der
   lachhaften nationalen Selbstüberschätzung. Kein einziger            österreichischen (Rang 4) Exporte. Da sind wir einigermas­
   «Funktionär der EU», weder ein «massgebender» noch ein              sen «gute Kunden». Doch wieso sollte sich etwa ein EU-
   anderer, hat jemals versucht, die Schweiz «in die EU zu             Vollmitglied wie Malta (0,47% / Rang 14) oder gar Estland
   bugsieren». Die Grundeinstellung dieser Organisation zu             (0,2% / Rang 22) zu einem besonderen Entgegenkommen
   unserem Land ist seit Jahrzehnten unverändert: a) Wegen             für schweizerische Ex­trawünsche motiviert fühlen?
   der geografischen Lage der Schweiz im Herzen des Konti-
   nents sind sie und die EU quasi «von Natur aus» dazu ver-       3. Und was den «Finanzhunger» der EU betrifft: Natürlich
   urteilt, im gegenseitigen Interesse auf zahllosen poli­            wäre die prosperierende Schweiz als EU-Mitglied ein «Net-
   tischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gebie-         tozahler», d.h., bei den komplizierten Finanzströmen aus
   ten zusammenzuarbeiten. b) Die politische Kultur sowie             «Brüssel» in die Mitgliedstaaten und von den Mitgliedstaa-
   die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Schweiz werden          ten nach «Brüssel» würde sie in einem Haushaltjahr unter
   anerkannt und respektiert; sie sind aber kein Grund für die        dem Strich etwas mehr Mittel abgeben als einnehmen. Aber
   anderen Länder Europas, sie auf einen Altar zu stellen und         bleiben wir doch auf dem Teppich: Wir sind zwar wirt-
   vor der erhabenen Einzigartigkeit der Schweiz demutvoll            schaftlich sicher kein «Nobody», aber halt doch ein kleines
   die Knie zu beugen. c) Sollte sich die Schweiz entschliessen,      Land. Unsere Nettozahlung würde zwar dankend entge-
   der Union beizutreten, wäre sie herzlich willkommen;               gengenommen, aber sie wäre sicher kein Betrag, der das
   wenn nicht – auch recht. Dann müssen sich eben beide Sei-          EU-Budget massgeblich beeinflussen könnte. (sp)
hintergrund

                 Die Zukunft des Euro
                   und die Schweiz
    Über die Zukunft des Euro wurde in letzter Zeit viel geschrieben und noch mehr spekuliert. Auf dem zeitweiligen
    Höhepunkt der Schuldenkrise wurde er bereits als Fehlkonstruktion totgesagt. Angesichts dieser Unsicherheiten
    ist in der Schweiz auch bei Beitrittsbefürwortern die Skepsis gegenüber der Einheitswährung gewachsen.

      B    ekanntlich leben Totgesagte ja      Eine kleine Geschichte des Euro                die Einführung des Euro ausgesprochen
           länger, und die EU hat innert be-      Der Euro wurde 1999 zunächst als            hatte, verletzt Schweden seither absicht-
    merkenswert kurzer Zeit einen Ret-         virtuelle Währung und 2001 schliesslich        lich das Kriterium der Wechselkurssta-
    tungsschirm gespannt, um Griechen-         als Bargeld eingeführt. Heute ist er in 16     bilität. Dieses Vorgehen ist allseits be-
    land         und         auch        die   der 27 EU-Länder gesetzliches Zahlungs-        kannt und wird von der EU bis jetzt
    Gemeinschaftswährung        vor     dem    mittel von rund 329 Millionen Men-             geduldet. Auch die Schweiz wäre eigent-
    Schlimmsten zu bewahren. Unlängst          schen, und er hat sich als zweitwichtigste     lich verpflichtet, bei einer EU-Mitglied-
    haben nun die Regierungschefs der EU       Reservewährung etabliert. 2011 wird            schaft den Euro zu übernehmen – zumal
    eine Verschärfung des Stabilitäts- und     mit Estland ein weiteres EU-Mitglied den       sie die angesprochenen Kriterien im
    Wachstumspakts beschlossen, in dessen      Euro übernehmen. Die Geburtsstunde             Normalfall erfüllt. Die Übergangsfrist
    Nichteinhaltung der Hauptgrund für         des Euro war die Unterzeichnung des            zur Einführung würde in den Beitritts-
    die Schuldenkrise lag. Damit sollen be-    Vertrags über die Europäische Union in         verhandlungen geklärt. Ob die Schweiz
    stehende Konstruktionsfehler der Ein-      Maastricht, welcher am 1.11.1993 in            allenfalls eine gänzliche Ausnahmerege-
    heitswährung behoben werden, die EU        Kraft getreten ist. Der Vertrag sieht vor,     lung erwirken könnte, könnten eben-
    wird die Wirtschaftspolitiken der ein-     dass alle Mitgliedsländer zur Übernahme        falls erst die konkreten Verhandlungen
    zelnen Staaten künftig stärker koordi-     des Euro befugt – oder verpflichtet –          zeigen. Angesichts der aktuellen Ver-
    nieren. Der Vertrag von Lissabon soll in   sind, die die sogenannten Konvergenz-          schuldung in der Eurozone und der da-
    einigen Punkten abgeändert werden,         kriterien erfüllen. Dies sind Preisstabili-    mit verbundenen Unsicherheiten scheint
    um so eine dauerhafte Stabilität der Eu-   tät, Haushaltsstabilität, die Stabilität der   es aber vielen Experten durchaus mög-
    rozone sicherzustellen. Wie diese Ände-    langfristigen Zinsen und die Wechsel-          lich, dass die Schweiz im Bedarfsfall ein
    rungen im Detail aussehen, ist noch        kursstabilität. Von den neueren Mit-           solches „Opt-out“ aushandeln könnte.
    nicht abschliessend geklärt, doch die      gliedsländern erfüllen viele die obigen        Als sicher gelten kann es aber nicht.
    Grundzüge stehen fest: Das Verbot der      Kriterien noch nicht, daher haben sie
6   gegenseitigen Schuldenübernahme zwi-       noch ihre nationalen Währungen.                   Die Stabilität des Euro – ein
    schen Staaten bleibt bestehen, die Wäh-                                                   wichtiger Faktor für die Schweiz
    rungsunion wird nicht zu einer Transfe-    Eine Mitgliedschaft ohne Euro?                     Auch für das Nichtmitglied Schweiz
    runion. Es soll aber ein permanenter          Mit Grossbritannien, Dänemark und           ist der Euro natürlich von herausragen-
    Krisenmechanismus etabliert werden,        Schweden haben aber auch Länder, die           der Bedeutung, die Vernetzung mit dem
    um in Schwierigkeiten geratenen Mit-       schon länger in der EU sind, den Euro          Euroraum ist besonders eng. Daher
    gliedsländern der Eurozone beistehen       nicht übernommen. Dieser Umstand               kommt dem Wechselkurs für die hiesige
    zu können. Dies aber nur, wenn die Eu-     wird hierzulande in der Europadebatte          Wirtschaft grosse Bedeutung zu. Ge­
    rozone als Ganzes in Gefahr ist. Um        manchmal als Modell für die Schweiz            rade die Stabilität und vergleichsweise
    dabei eine alleinige Haftung der Steuer-   herangezogen. Allerdings waren Gross-          geringe Verschuldung der Schweiz hat
    zahler auszuschliessen, sollen private     britannien und Dänemark zum Zeit-              im Zuge der Finanzkrise dazu geführt,
    Gläubiger und Banken an einer allfälli-    punkt der oben genannten Vertragsun-           dass der Franken im Vergleich zu Euro
    gen Sanierung beteiligt werden. Diese      terzeichnung schon Mitglieder der EU           und Dollar sehr stark ist. Die National-
    Reformen werden langfristig zu einer       und erwirkten eine Ausnahmebedin-              bank versuchte zwar den Wechselkurs
    Stabilisierung der Währungsunion und       gung in der Währungsfrage, ein soge-           mit massiven Interventionen zu stabili-
    des Euro führen. Auch für die Schweiz      nanntes „Opt-out“. Schweden hingegen           sieren, allerdings mit mässigem Erfolg.
    eine positive Entwicklung. Allerdings      wurde erst 1995 Mitglied der EU und            Wir wollten daher von verschiedenen
    wird eine wirtschaftlich stärker integ-    wäre damit zur Einführung der Gemein-          Akteuren und direkt betroffenen Krei-
    rierte EU künftig wohl noch weniger        schaftswährung verpflichtet gewesen.           sen erfahren, wie sie die Lage und die
    Gehör für Sonderwünsche von Dritt-         Da sich die schwedische Bevölkerung            Auswirkungen auf die Wirtschaft der
    staaten haben als jetzt schon.             2003 in einer Volksabstimmung gegen            Schweiz einschätzen. (mf)
interview

      Starker Franken für die
         KMUs kein Problem
Euro-Interview mit Roland M. Rupp, Schweizerischer KMU Verband

   europa.ch: Man konnte vermehrt lesen, dass viele                 Hat sich der Euro auch bei den kleinen und mittleren Un-
exportorientierte KMUs wegen des starken Frankens mit            ternehmen nicht längst schon als Zweitwährung etabliert, in-
erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben und mit dem         dem beispielsweise die Bücher in Euro geführt oder Zuliefer-
Gedanken spielen, ihre Produktion in die Eurozone zu verle-      verträge auch im Inland in Euro abgeschlossen werden?
gen. Muss sich die Schweiz als Folge des starken Frankens auf       Es ist ja klar, dass die 10% der KMUs, die im Import/Export
einen massiven Verlust von Arbeitsplätzen gefasst machen?        tätig, mit dem Euro konfrontiert sind und entsprechende Kon-
   Roland M. Rupp: Nein, keinesfalls. Nur gerade 10%             ten führen. Dass aber deshalb die internen Kostenrechnungen
aller Firmen in der Schweiz sind im Export tätig, und                     etc. in EUR geführt werden, ist uns völlig unbekannt.
auch diese sind nicht ausschliesslich vom Export ab-
hängig. Die Schweiz hat als Standort so viel zu bieten                      Brächte eine Einführung des Euro nicht auch ganz
wie sichere Infrastrukturen, gut ausgebildete Arbeits-                   konkrete Vorteile für die Schweiz und ihre Wirtschaft?
kräfte, Arbeitsmoral etc.,                                                                             Nein! Die eigene Wäh-
dass nur wegen des starken                                                                          rung hat immer Vorteile. Es
Frankens alleine eine Ab-
wanderung ins Ausland
                                «Nur wegen des starken Fran-                                        wäre grundfalsch, die Wäh-
                                                                                                    rung aufzugeben, vor allem
noch nicht gerechtfertigt ist.  kens alleine werden die wenigs-                                     auf dem Hintergrund, dass ja
                                                                                                    bereits einige Staaten der EU
    Für kleinere Unternehmen     ten KMUs in der Schweiz ums                                        lieber wieder die eigene
ist es nicht immer möglich,                                                                         Währung hätten und dies
sich gegen das Wechselkurs-      Überleben kämpfen müssen.»                                         den Staatshaushalt vereinfa-
risiko abzusichern. Welche                                                                          chen würde. Es wird immer
Möglichkeiten haben die                                                                             wieder vergessen, dass gera-
KMUs, um den negativen Folgen des starken Frankens zu be-        de kleine Firmen eher importieren als exportieren. Wer also z.B.
gegnen? Leisten Sie als Verband konkrete Hilfestellung?          zum Jahreskurs von 1.55 Ende 2009 seine Preise festgelegt hat,
    Natürlich unterstützen wir die KMUs in der Schweiz und ar-   der hat heute eine schöne Mehrmarge alleine durch die Wäh-
beiten deswegen mit Partnern wie dem Devisenhändler Wisen-       rungsschwankung. Preislisten werden ja nicht während des                         7
ta AG zusammen. Vielfach genügt aber bereits ein erstes Ge-      Jahres angepasst, und so erhalten importierende KMUs z.B. bei
spräch vor dem Schritt ins Ausland, um Firmen die Gefahren       einem Importvolumen von 100 000 EUR rund 20 000.– Fr.
der Währungsschwankungen aufzuzeigen, sodass entsprechen-        mehr Marge …
de Massnahmen (Festlegen Jahreskurse, Zahlungswährungen,
Konditionen etc.) getroffen werden können.
                                                                  Roland M. Rupp
   Breite Kreise gehen davon aus, dass der Franken im Ver-
gleich zum Euro längerfristig stark bleibt. Die Nationalbank      Roland M. Rupp hat 2006 die
will künftig auf grössere Interventionen verzichten. Welche       KMU Netzwerke Schweiz ini­
Möglichkeiten sehen Sie, um den KMUs das Überleben zu ver-        tiiert und ist seit 2008 Vizepräsi-
einfachen?                                                        dent und Leiter der Geschäfts-
   Noch einmal: Nur wegen des starken Frankens alleine wer-       stelle des Schweizerischen
den die wenigsten KMUs in der Schweiz ums Überleben kämp-         KMU Verbandes.
fen müssen. Die Wirtschaftslage der vergangenen zwei Jahre
traf hier einige Firmen wesentlich härter wegen des Absatzein-
bruchs. Um den KMUs zu helfen, können wir gewünschte Kon-
takte herstellen und die KMUs entsprechend unterstützen.
                                                                                                                                    (Bild: zVg)
interview

      Schweizer Tourismus-
    Verband hofft auf Übersee
    Euro-Interview mit Mario Lütolf, Schweizer Tourismus-Verband

       europa.ch: Sind die Auswirkungen der Franken-               chen Auswirkungen im Tourismusbereich muss die Schweiz
    Hausse für den Schweizer Tourismus spürbar? Mussten Sie        rechnen? Muss man gar einen Verlust von Arbeitsplätzen be-
    bislang einen Rückgang von Gästen oder Übernachtungen          fürchten?
    verzeichnen?                                                      Wir rechnen mit einem Rückgang von etwa 5% aus dem
       Mario Lütolf: Der Sommer 2010 zeigt bisher (Mai –           Euro-Raum. Im Sommer wird dieser Rückgang zum grossen
    August) ein Wachstum von 1,9% von Schwei-zer                       Teil von Gästen aus Übersee wettgemacht. Arbeitsplätze
    Gästen und 4% von Gästen aus dem Ausland. Ver-                     sind noch nicht in Gefahr.
    antwortlich für das Wachstum von ausländischen
    Besuchern sind vor allem die asiatischen und nord-                     Gegenüber dem Franken ist nebst dem Euro nun auch
    amerikanischen Märkte, aber auch zahlreiche Eu-                     der Dollar relativ schwach. Damit ist die Schweiz auch für
    ropa-Märkte zeigen eine                                                                       aussereuropäische     Touristen
    schöne Zunahme.
                                       «Wir rechnen mit einem                                     beispielsweise aus China ver-
                                                                                                  gleichsweise teuer. Lässt sich
       Um den erwarteten
    Rückgang um 5% von
                                       Rückgang von etwas 5%                                      dies anderweitig kompensieren?
                                                                                                     Gäste aus Asien und auch
    Gästen aus dem Euro-                aus dem Euro-Raum.»                                       Gäste aus Nordamerika haben
    Raum etwas abzufedern,                                                                        im Sommer 2010 stark zuge-
    wurden auf die Sommer-                                                                        nommen. Gerade aus dem asia­
    saison hin Pauschalpakete mit fixen Preisen lanciert. Haben    tischen Raum rechnen wir weiterhin mit starken Zuwächsen.
    sich diese 250 Pauschalangebote bewährt?                       Der Gästemix der Schweiz ist sehr breit abgestützt, und es
       Wir ziehen eine positive Bilanz. Wir haben mit den fixen    werden immer einige stark wachsende Märkte einige kriseln-
    Euro-Preisen transparent beweisen können, dass die Schweiz     de Märkte kompensieren.
    äusserst attraktive Angebote im Portfolio hat. Die Angebote
    wurden gut gebucht. Am stärksten in Deutschland, gefolgt          Das Wechselkursrisiko stellt für die Schweizer Anbieter
    von den Niederlanden und Frankreich. Es hat sich aber auch     einen latenten Unsicher-heitsfaktor dar. Wäre daher der Euro
8   gezeigt, dass der Kunde diese Fixpreise nicht als Überra-      als Landeswährung nicht ein grosser Vorteil?
    schung und Innovation wahrgenommen hat, sondern eine              Die Frage ist hypothetisch. Der Vorteil wäre die verein-
    solche Aktion als normal erachtet. Wir werden deshalb die      fachte Vergleichbarkeit von Angeboten innerhalb des Euro-
    Topangebote weiterhin in fixen Euro-Preisen ausschreiben.      Raumes. Die hohen Grundkosten der Schweiz und das Pre-
                                                                   mium-Produkt würden sich aber auch in einer Landeswährung
       Bislang wurde jede zweite Übernachtung von Gästen aus       «Euro» manifestieren.
    dem Euro-Raum gebucht. Im Vergleich mit Konkurrenten
    wie Österreich ist die Schweiz für dieses Kundensegment teu-     Quelle: Urs Eberhard/Schweiz Tourismus
    rer geworden. Rechnen Sie für die Wintersaison mit einem
    Rückgang der Besucherzahlen?                                    Mario Lütolf
       In den Sommermonaten hatten wir einen sehr starken Zu-
                                                                    Mario Lütolf leitet seit 2007 den
    wachs an Gästen aus Märkten, die nicht zur Euro-Zone ge-
                                                                    Schweizer Tourismus-Verband
    hören. Gerade Märkte wie China, Indien und Australien,
                                                                    (STV), die nationale Dachorga-
    aber auch die USA und Kanada konnten dank einem starken
                                                                    nisation des Schweizer Touris-
    Wachstum den Rückgang von Gästen aus einigen Euro-Län-
                                                                    mus. Der STV führ ein Portfolio
    dern kompensieren. Der Schweizer Wintergast kommt aber
                                                                    an Labels zur Qualitätssiche-
    hauptsächlich aus Europa, und hier wird der hohe Franken-
                                                                    rung, Mandaten und engagiert
    Kurs bestimmt zu einem spürbaren Rückgang führen.
                                                                    sich in Aus- und Weiterbil-
                                                                                                                                     (Bild: zVg)

                                                                    dungsdossiers.
       Es wird davon ausgegangen, dass der Franken noch über
    längere Zeit stark blei-ben wird. Mit welchen wirtschaftli-
economiesuisse bleibt
               zuversichtlich
Euro-Interview mit Rudolf Minsch, economiesuisse

    europa.ch: economiesuisse vertritt als Dachverband           ro-Schwäche ein? Müssen wir tatsächlich mit einem massiven
bekanntlich die Anliegen sehr unterschiedlicher Branchen.        Verlust von Arbeitsplätzen in der Schweiz rechnen?
Welche leiden am meisten unter der Franken-Hausse? Gibt es          Die Schweiz verfügt über eine Reihe von äusserst positiven
auch Wirtschaftszweige, die von der aktuellen Situation pro-     Standortfaktoren: tiefe Steuerbelastung, gut ausgebildete Ar-
fitieren?                                                        beitskräfte, tiefe Realzinsen, relativ liberale Arbeitsmärkte,
    Rudolf Minsch: Generell belastet der starke Franken          politische Stabilität usw. Das Bündel entscheidet schliesslich
die gesamte Exportindustrie. Ein Unternehmen ist umso            darüber, ob die Schweizer Wirtschaft konkurrenzfähig bleibt.
mehr betroffen, je weniger Vorleistungen aus dem Ausland         Die Schweiz gilt nicht umsonst als das wettbewerbsfähigste
importiert werden, je preissensitiver die Nachfrage ist und je   Land der Welt. Die Franken-Stärke wird zwar vereinzelt zu
weniger diversifiziert die Absatzmärkte sind. Diese Voraus-      Arbeitsplatzverlusten führen, doch wenn die anderen Stand-
setzungen sind zwar von Betrieb zu Betrieb stark                      ortfaktoren intakt bleiben, bin ich für den Wirtschafts-
unterschiedlich. Etliche Unternehmen aber in der                      standort Schweiz zuversichtlich. Es wird zwar zu einem
Textil-, Maschinen- oder Autozulieferindustrie ha-                    Abbau von Arbeitsplätzen in einigen Unternehmen kom-
ben grosse Mühe, gegenüber den ausländischen                          men, aber es werden auch zusätzliche Arbeitsplätze ge-
Konkurrenten      wettbe-                                                                       schaffen. Wir rechnen daher
werbsfähig zu bleiben.                                                                          nicht mit einem massiven Ver-
Auch auf den Tourismus            «Die Schweiz gilt nicht                                       lust von Arbeitsplätzen.
wird – mit einer Verzöge-
rung von einigen Mona-         umsonst als das wettbewerbs­                                       Brächte eine Einführung des
ten – die Frankenstärke
durchschlagen. Der Tou-          fähigste Land der Welt.»                                      Euro nicht auch konkrete Vor-
                                                                                               teile für die Schweiz?
rismus kann auch nicht                                                                            Offensichtlich hat eine Ein-
von tieferen Importpreisen profitieren, weil die Vorleistungen   heitswährung auch Vorteile: Sie erhöht die Planungssicher-
meist aus der Schweiz stammen und der Agrarschutz den Im-        heit und reduziert die Transaktionskosten. Die Einführung
port von tieferen Nahrungsmittelpreisen verbietet. Der starke    des Euro würde zudem über eine fixe Anbindung des Fran-
Franken ist aber für diejenigen Branchen, die vor allem Gü-      kens an den Euro hinausgehen. Zum einen wäre es eine Ein-                      9
ter und Dienstleistungen importieren, vorteilhaft. Auch für      bahnstrasse, da ein Austritt aus der Euro-Zone nicht vorge-
den Finanzsektor ist der starke Franken attraktiv.               sehen ist. Zum anderen wäre die Einführung des Euro nur im
                                                                 Rahmen eines EU-Beitritts möglich, und ein solcher ist für die
   Zahlreiche Analysten gehen davon aus, dass der Franken        Schweiz derzeit keine anzustrebende Option. Der bilaterale
im Vergleich zum Euro längerfristig stark bleibt. Gerade         Weg mit einer unabhängigen Geldpolitik ist – wie die aktuel-
KMUs sind besonders stark betroffen, da eine Absicherung         le Frankenstärke zeigt – mitunter mühsam, aber insgesamt
des Wechselkursrisikos für sie nicht immer möglich ist. Kön-     überwiegen die Vorteile für die Schweiz klar.
nen die Schweizer KMUs in einer solchen Situation erfolg-
reich überleben, oder bleibt letztlich nur die Verlagerung der    Rudolf Minsch
Produktion in die Eurozone?
                                                                  Rudolf Minsch ist Chefökonom
   Die Schweizer Wirtschaft muss durch Produktivitätsstei-
                                                                  und Mitglied der Geschäftslei-
gerungen die Währungssituation kompensieren. Dies kann
                                                                  tung von economiesuisse. Er
durch eine Produktionsverlagerung geschehen. Allerdings ist
                                                                  leitet den Bereich Wirtschafts-
die Währungssituation nur ein Grund für den Standortent-
                                                                  politik, Bildung, Gesundheit.
scheid unter vielen. Wir erwarten vor allem bei margen-
                                                                  Darüber hinaus ist Minsch
schwachen Produkten Auslagerungen.
                                                                  Gastprofessor für Wirtschafts-
                                                                  politik and der Hochschule für
                                                                                                                                  (Bild: zVg)

   In letzter Zeit konnte man viel über die wachsenden Pro-
                                                                  Technik und Wirtschaft (HTW)
bleme der exportorientierten Industrie lesen. Als wie gravie-
                                                                  Chur.
rend schätzen Sie die längerfristigen Folgen der relativen Eu-
interview

          Das Problem ist der
           starke Franken,
       nicht der schwache Euro
     Euro-Interview mit Hugo Bohny, Finanzexperte und Mitglied der Politischen Kommission der Nebs

        europa.ch: Ziehen wir knapp neun Jahre nach der Ein-            nicht verharmlost werden. Ob und in welchem Zeitraum sie
     führung des Euro eine Bilanz. Handelt es sich bei der Euro-        entschärft werden können, ist schwer zu sagen. Ohne Druck
     Krise Ihrer Meinung nach nur um eine vorübergehende                aus der EU würden die jetzt laufenden Sanierungsanstrengun-
     Schwäche, oder gibt sie vielmehr den Beitrittsgegnern recht,       gen jedoch viel weniger zielstrebig angegangen.
     die sie mit einer angeblichen Fehlkonstruktion des Euro               Vor drei Jahren schrieb die NZZ am Sonntag (21.10.2007)
     erklären?                                                          unter dem Titel «Ein Turm von einer Währung»: «Inzwischen
        Hugo Bohny: Der Euro hat sich innert weniger als                loben sie [die Währung] längst auch jene, die dem Experi-
     zehn Jahren, seit seiner Lancierung 1999, zur zweitwichtigs-       ment Euro skeptisch gegenüberstanden.» Und der Präsident
     ten Währung der Welt entwickelt. Der Euro liegt                         der SNB, Jean- Pierre Roth, sagte einen Monat früher in
     heute mit USD 1.39 um 18% höher als zu Beginn                           Lausanne, die EZB habe es geschafft, den disharmoni-
     der Währungsunion am 1. Januar 1999 mit USD                             schen Chor der europäischen Währungen in eine einzige
     1.18. Was heisst da schon «Euro-Schwäche»?                              klare Stimme zu verwandeln, in jene des Euro. «Eine
        Der Euro-Kapitalmarkt                                                                          ausgezeichnete Nachricht für
     war bis zum Ausbruch                                                                              unser Land», so Roth.
     der weltweit schwersten        «Was fehlt, ist emotionslose
     Wirtschafts- und Finanz-                                                                             Es gibt immer mehr EU-
     krise seit den 30er-Jahren    Aufklärung. Vielleicht bräuchte                                     Befürworter, die sich für eine
     zeitweise sogar bedeuten-                                                                         Mitgliedschaft ohne Euro aus-
     der als der Dollar-markt.     es auch spürbare Nachteile des                                      sprechen. Wie beurteilen Sie
     Wer in den gegenwärti-                                                                            dieses Szenario? Wäre das
     gen Problemen des Euro          Alleinganges, was natürlich                                       wünschenswert?
     einen Beweis für eine                                                                                Unser gegenwärtiges Prob-
10   Fehlkonstruktion sehen           nicht wünschenswert ist.»                                        lem ist die übermässige Stärke
     will, beweist höchstens,                                                                          des Frankens, nicht die Schwä-
     dass er die Alternativen nicht bedacht hat. In der Finanzkrise     che des Euro, wie ich schon ausgeführt habe. Das hat die
     der vergangenen drei Jahre hätten sich die 15 Währungen, die       Nationalbank gezwungen, für Milliardenbeträge Euro zu
     heute den Euro-Verbund bilden, in alle Richtungen aus­             kaufen, was kaum wünschenswert sein kann, wenn der Fran-
     einanderbewegt, unabhängig von ihrer eigenen wirtschaft­           ken eigenständig bleiben soll. Dass es wieder viele Kapitalan-
     lichen Entwicklung, wie das früher häufig der Fall war, wenn       leger in Europa gibt, die im Franken Sicherheit suchen, kann
     der USD stark schwankte. Die Folgen für die einzelnen Wirt-        nicht im Interesse unserer Wirtschaft sein. Unser relativ be-
     schaften wären unabsehbar gewesen. Ein gemeinsamer                 schränkter Kapitalmarkt kann sie auf Dauer nicht schützen.
     Markt, mit stark schwankenden Währungen, wäre in der Tat           Dass viele Banken diese Kapitalbewegungen noch fördern,
     eine Fehlkonstruktion.                                             läuft sowohl der Politik der Nationalbank als auch den Be-
                                                                        dürfnissen der Exportwirtschaft zuwider.
         Was wäre in der europäischen Bankenwelt geschehen,                Die Idee eines EU-Beitritts ohne Euro-Übernahme mag ab-
     wenn es die Europäische Zentralbank nicht gäbe?                    stimmungspolitisch begründet sein. Die Anhänglichkeit im
         Es ist wohl fair zu sagen, dass die EZB die Krise besser ge-   Volk an die eigene Währung dürfte vor allem emotional,
     meistert hat als die Zentralbanken anderer bedeutender Wäh-        nicht logisch begründet sein. Wir würden mit dieser Lösung
     rungen. Ob die Probleme des Euro vorübergehender Natur             Vorteile verlieren, wie weiter unten gezeigt wird. (Solche
     sind, hängt unter anderem auch von der Entwicklung der             Emotionen gingen Mitte des 19. Jahrhunderts auch in den
     Finanzkrise ab, die noch keineswegs gelöst ist.                    Schweizer Kantonen gegenüber der Einführung des Schwei-
         Selbstverständlich dürfen die Probleme, die durch fehlge-      zer Frankens hoch).
     leitete Fiskalpolitiken der Teilnehmerstaaten entstanden sind,
europa.abc

                                                                        Europäische
   Was fehlt noch, um die Bevölkerung und die Wirtschaft
davon zu überzeugen, dass die Einführung des Euro der
                                                                        Investitionsbank
Schweiz Vorteile bringen könnte?                                        (EIB)
   Was fehlt, ist emotionslose Aufklärung. Vielleicht bräuch-
te es auch spürbare Nachteile des Alleinganges, was natürlich           Bereits mit dem Gründungsvertrag von
nicht wünschenswert ist.                                                Rom wurde ein Finanzierungsinstrument
                                                                        geschaffen, das in gemeinschaftlich be-
   Wo sehen Sie die grösste Chance für die Schweiz im Falle             schlossene Projekte für eine ausgewoge-
einer Euro-Übernahme?                                                   ne Entwicklung des Gemeinschaftsge-
   Für Industrie und Handel würden die Risiken von Wäh-                 biets langfristig investiert. Anteilseigner
rungsschwankungen mit unserem wichtigsten Handelspart-                  der EIB sind heute die 27 EU-Mitgliedstaa-
ner wegfallen. Die Bedeutung dieser Risiken hat gerade die              ten; ihr «Rat der Gouverneure» setzt sich
Franken-Hausse der vergangenen Monate wieder vor Augen                  aus den 27 nationalen Finanzministern zu-
geführt.                                                                sammen. Das Kapital beschafft sich die
   Als Vorteil der eigenen Währung werden immer wieder die              EIB überwiegend durch Anleihen am Ka-
tiefen Franken-Zinsen ins Feld geführt, die sogenannte Zins-            pitalmarkt. Die EIB wird heute auch zur Fi-
insel Schweiz. Wieso tiefe Zinsen per se ein Vorteil sein               nanzierung von Infrastrukturinvestitionen
sollten, hat mir noch niemand überzeugend beantworten                   in beitrittswilligen «Kandidatenländern»
können. Tiefe Zinsen bedeuten hohe Kapitalwerte und damit               und in der weltweiten Entwicklungspolitik
stellt sich die Frage, ob als Spiegelbild von unseren über              herangezogen. (sp)
700 Milliarden Hypothekenschulden nicht einfach ein über-
bewertetes Immobilienkapital besteht. Es ist richtig, dass
höhere Zinsen, wie sie bei einer Übernahme des Euro wahr-               Petitionsrecht
scheinlich wären, auf die Immobilienwerte dämpfend wirken
würden. Das würde die immer weiter verbreitete Klage über               Jeder Unionsbürger, aber auch jede ande-
unerschwingliche Wohnungen politisch entschärfen.                       re Person mit Wohnsitz in einem EU-Land,
   Zu tiefe Zinsen können auch zu Fehlallokationen von                  hat das Recht, Anliegen oder Beschwer-
Kapital führen, wie u.a. die Firmenkrisen Mitte der ersten              den über Angelegenheiten, die thema-
Dekade dieses Jahrhunderts (Swissair, Zürich, Rentenanstalt)            tisch in die EU-Kompetenz fallen, an das
und dann der verhütete Zusammenbruch der UBS gezeigt                    Europäische Parlament zu richten. Der
haben.                                                                  Petitionsausschuss des Parlaments prüft
   Als wohl bedeutendster Nachteil zu tiefer Zinsen müssen              jede Eingabe und entscheidet über das
die Folgen für die Sparer genannt werden. So wird die risiko-           weitere Vorgehen. (sp)
gerechte Anlage von über 600 Milliarden Franken Pensions-                                                              11
kassengeldern zum Dauerproblem. Der Franken-Kapital-
markt ist viel zu klein, um sie alle aufnehmen zu können.               Rechnungshof
Ganz allgemein wird die Zinsinsel zum grössten Nachteil für
unsere Altersvorsorge wie auch für die Ersparnisse der drit-            Der 1975 gegründete und 1992 zum euro-
ten Säule. Mit der Übernahme des Euro würde sich für unse-              päischen Organ erhobene Rechnungshof
re Spargelder ein breiter, liquider Kapitalmarkt öffnen, ohne           mit Sitz in Luxemburg prüft einerseits die
Währungsrisiko und mit höheren Zinsen.                                  Jahresrechnung der Europäischen Union,
                                                                       andererseits in vertieften Analysen be-
   Die Interviews wurden in der Zeit vom 13. bis 20. Okto-              stimmte Tätigkeitsbereiche der EU-Ver-
ber schriftlich durchgeführt.                                           waltung; er erstattet dem Rat der Europä-
                                                                        ischen Union sowie dem Europäischen
  Interviews: Milena Caderas und Julien Chérault                        Parlament über seine Befunde Bericht.
                                                                        Die (oft sehr kritischen) Berichte sind all-
                                                                        gemein zugänglich und werden im EU-
 Hugo Bohny                                                             Amtsblatt integral veröffentlicht. Jedes
 Hugo Bohny, 82, war 36 Jahre bei der Guyerzeller Bank AG, Zürich,      Mitgliedsland stellt einen Vertreter im
 tätig, 1977–1988 als Vorsitzender der Geschäftsleitung und 1989–       Rechnungshof. (sp)
 1998 als Präsident des Verwaltungsrates. Er ist Mitglied der Politi-
 schen Kommission der Nebs und wohnt in Feldmeilen.
yes

                 EINE bürgernähere eu
                              Von Eva Hirschi, Tink.ch Redaktorin und Teilnehmerin der Challenge 2010

     Ein Schritt Richtung partizipative Demokratie: Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die Europäische Bürgerinitia-
     tive eingeführt, die den Unionsbürgerinnen und -bürgern ermöglichen soll, sich direkt in den europäischen
     Rechtset-zungsprozess einzubringen. Nun wird die Ausgestaltung dieses Gesetzes de-battiert.

       «W         ir wollen eine Verbindung schaffen zwischen den
                  Entscheidungen der EU und ihren Bürgern», so
     Alain Lamassoure, Mitglied des Vorstandes der Europäischen
                                                                        «Bei einem Testlauf im November 2006 sind wir zur Erkennt-
                                                                        nis gekommen, dass es einfacher und schneller ist, die Unter-
                                                                        schriften in Papierform zu sammeln», berichtete er. Sende man
     Volkspartei. Die Rede ist von der Europäischen Bürgerinitia-       lediglich eine E-Mail mit dem entsprechenden Link zur Initia-
     tive, die mit dem Vertrag von Lissabon eingeführt wurde. Mit       tive, würden die meisten Menschen gar nicht reagieren. Anders
     der Initiative können eine Million Unionsbürgerinnen und           sei die Situation aber, wenn man ihnen Papier und Stift gleich
     Unionsbürger die EU-Kommission dazu auffordern, Vor-               unter die Nase halte.
     schläge zu Themen zu unterbreiten, die ihrer Meinung nach             Marco Contiero von Greenpeace befürwortete hingegen die
     einen Rechtsakt der EU benötigen. Nach Prüfung der Initia­         Online-Unterschriftensammlung: es sei viel weniger aufwen-
     tive kann die Europäische Kommission mit einem Gesetzes-           dig, elektronische Unterschriften zu prüfen. «Mit richtigen
     vorschlag reagieren, ist jedoch nicht dazu verpflichtet.           Vorkehrungen kann man auch die Sicherheit der Daten ge-
                                                                        währleisten», so Contiero zur Frage, wie sich Effizienz und
                     Für die Rechte der Bürger                          Datenschutz bei der Unterschriftensammlung gegenüberstehen.
        Am 1. Dezember dieses Jahres tritt die entsprechende Ver-
     ordnung dazu in Kraft. Erstmals wird die Bevölkerung der Eu-                       Barrieren politischer Art
     ropäischen Union direkt in den europäischen Rechtsetzungs-            Zur Sprache kamen unter anderem noch das Mindestalter
     prozess mit eingebunden. Bevor dieses Gesetz jedoch umgesetzt      für das Unterzeichnen einer Initiative sowie die Mindestan-
     werden kann, müssen das Europäische Parlament sowie der            zahl der Stimmen aus den beteiligten Staaten oder die Über-
     Ministerrat zunächst generelle Bestimmungen und Verfahren          prüfungsverfahren der Unterschriften.
     festlegen. Aus diesem Grund fand im September in Brüssel ein          Die gesamte Vorlage sei im Moment noch zu wenig trans-
     Hearing statt, an welchem Politiker und Vertreter verschiede-      parent, drückte Lamassoure die allgemeine Meinung aus.
     ner Organisationen zu diesem Thema Stellung bezogen.               Nun gehe es darum, «die politischen Barrieren zu zerstö-
        «Wir wollen zuverlässige und einfache Instrumente, um die       ren» – die einzigen Barrieren, die noch zwischen den EU-Mit-
     Rechte der Bürger zu optimieren», sagte Maroš Šefčovič, Vi-      gliedstaaten bestünden.
12   zepräsident der Europäischen Kommission. Conny Reuter,                Der Entwurf der Verordnung, die die EU-Kommission
     Generalsekretär des europäischen Netzwerks von Nichtregie-         Ende März 2010 vorgelegt hat, muss noch vom Europäischen
     rungsorganisationen (Solidar) ergänzte, dass deshalb Parteien      Parlament und vom Ministerrat beschlossen werden. Am
     keine Initiativen ergreifen können. «Hier geht es ganz klar um     1.12.2010 soll die Verordnung in Kraft treten.
     die Bürger», sagte er. Olivier Hoedemann von Corporate
     Europe Observatory befürchtete allerdings die Bildung einer          : Diese Artikel enstand in Zusammenarbeit mit Tink.ch
     Subindustrie mit Interessengruppen und Lobbying.

                     Effizienz vs. Datenschutz                           Challenge Europe 2010
         Heftige Diskussion gab es vor allem darüber, wie für Initia-    Die Young European Swiss (yes) organisierte die bereits sechste
     tiven Unterschriften ge-sammelt und geprüft werden sollten.         Ausgabe des erfolgreichen Projekts «Challenge Europe» im
     Alexander Alvaro, innenpolitischer Sprecher der ALDE-Frak-          August und September dieses Jahres. Europa herausfordern war
     tion (Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa) im           denn auch das Ziel der 24 jungen Politinteressierten aus der gan-
     Europäi-schen Parlament, sprach die Probleme der Sicherheit         zen Schweiz. Zur Vorbereitung trafen sich die Teilnehmer zuerst in
     bezüglich Unterschriftensammeln im Internet an. «Heutzutage         regionalen, später in einem gemeinsamen nationalen Seminar. Um
     ist es kein Problem mehr, ein zweites E-Mail-Konto zu eröff-        die EU-Politik jedoch auch hautnah miterleben zu können, reisten
     nen, um zweimal unterschreiben zu können.» Gleichzeitig sehe        sie im September für eine Woche nach Brüssel. Höhepunkt bildete
     er aber ein, dass eine Unterschriftensammlung mit Papier und        der Besuch beim Hearing zur Europäischen Bürgerinitiative im
     Stift zu viel Material verbrauche.                                  Europäischen Parlament. Auch in der Schweizer Mission wurde
         Wolfgang Kowalsky von der European Trade Union Confe-           von und mit interessanten Gastrednern über die EU informiert und
     deration konnte auf praktische Erfahrungen zurückgreifen.           diskutiert. (sr)
international

          In der EU wird Vielfalt
             grossgeschrieben
                                            Von Julien Chérault, stv. Generalsekretär

Die Europäische Union, die oft als das Europa des Marktes wahrgenommen wird, gründet hingegen auf Werten wie
die Achtung der Menschenwürde, der Freiheit, der Demokratie, des Rechtsstaates und der Menschenrechte. Diese
Werte werden von allen Mitgliedstaaten geteilt. Ausserdem zeichnen sich die Gesellschaften der Mitgliedstaaten
aus durch Pluralismus, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und Nichtdiskriminierung, unabdingbare Voraussetzun-
gen für eine Mitgliedschaft. Dabei gilt es auch, diese Werte in der täglichen Praxis zu respektieren, nicht zuletzt
hinsichtlich der Diskriminierung der homosexuellen Paare.

  F     rédéric Minvielle, französischer
        Staatsbürger, heiratete seinen
 Partner, niederländischer Staatsbürger,
                                             weil diese die Grundrechte der homo­
                                             sexuellen Paare in der EU missachteten.
                                             Zu den Grundrechten gehören Nicht-
                                                                                           Transsexuelle), fügt bei: «Wir sprechen
                                                                                           von Beziehungen, die vielleicht den per-
                                                                                           sönlichsten und privatesten Aspekt im
 im Dezember 2003. Ein ganz normaler         diskriminierung, Personenfreizügigkeit        Leben eines Menschen darstellen. Die
 Vorgang, da ein niederländisches Ge-        und gegenseitige Anerkennung von              europäischen Grundrechte müssen für
 setz die Heirat von Personen gleichen       Eheschliessungen. Unter den heutigen          alle gelten. Es geht nicht darum, das
 Geschlechts seit 2001 erlaubt. Im End-      Verhältnissen verlieren verheiratete          Eherecht in den Mitgliedstaaten zu än-
 effekt ging Minvielle indessen durch        oder in einer anderen offiziellen Part-       dern, sondern die Personenfreizügigkeit
 diesen Vertrag faktisch seiner franzö­      nerschaft lebende homosexuelle Paare          in der EU zu garantieren.» Die Mitglie-
 sischen Staatsbürgerschaft verlustig.       oft ihre elterlichen, fiskalischen und        der des Europäischen Parlaments ver-
 Gemäss einer Konvention zwischen den        konsularischen Rechte, sobald sie ihren       langen nun von der Kommissarin, ihr
 beiden Staaten aus dem Jahr 1985 ist        Wohnsitz innerhalb der EU wechseln.           Engagement in diesem Dossier zu be-
 die doppelte Staatsbürgerschaft nur im          Die EU-Kommissarin gab den pro-           kräftigen und warten auf die Aktualisie-
 Falle einer Heirat und des ausdrückli-      testierenden Abgeordneten recht und           rung des Berichts der Grundrechteagen-
 chen Willens zur Beibehaltung der           hielt Folgendes fest: «Wenn Sie in einer      tur zur Homophobie, der im Januar
 Staatsbürgerschaft möglich. Dieses Pro-     als legal anerkannten ehelichen Verbin-       2011 erscheinen soll.
 blem offenbart die gegenwärtige Ver-        dung in einem Land A wohnen, haben               Es bleibt zu hoffen, dass homo­
wirrung in Europa hinsichtlich der           Sie und Ihr Partner das Recht, diesen         sexuelle und heterosexuelle Paare bald
­Anerkennung von Eheschliessungen            Status in einem Land B zu behalten. An-       in den Genuss derselben Rechte wie alle
 zwischen gleichgeschlechtlichen Perso-      dernfalls handelt es sich um eine Verlet-     anderen Menschen kommen werden,              13
 nen (oder jeder anderen eingetragenen       zung des Gemeinschaftsrechts.» Nichts         nämlich jener der Personenfreizügig-
 bzw. standesamtlichen Partnerschaft)        als schöne Worte, die in den Korridoren       keit, Eckstein der europäischen Eini-
 und ihrer damit verbundenen Rechte.         des Brüsseler Parlaments verhallen wer-       gung und mithin der Verbrüderung der
 Obschon die Genannten in den Nieder-        den, denken Sie wahrscheinlich. Nichts        Völker. 
 landen offiziell verheiratet sind, wurde    dergleichen, denn die Kommissarin liess
 in Frankreich der Erwerb der Staatsbür-     verlauten, dass sie sich gegenwärtig mit
 gerschaft durch Heirat nicht anerkannt      dem Problem im Rahmen bilateraler
 und als Verzicht auf die französische       Kontakte beschäftige und dass sie die          Hinweis
 Staatsbürgerschaft betrachtet. (Infolge     nationalen Regierungen auffordere, das         Die Verhältnisse innerhalb der EU sind
 des Aufschreis in den Medien hat der        Gemeinschaftsrecht zu respektieren. Sie        gegenwärtig folgende: Belgien, die Nie-
 Franzose seine doppelte Staatsbürger-       fügte ausserdem bei: «Wann das statt-          derlande, Portugal, Spanien und Schwe-
 schaft inzwischen wieder erlangt.)          finden soll? Jetzt, nicht erst in fünf oder    den erlauben homosexuellen Paaren die
    Am 8. September hat sich in der Tat      zehn Jahren! (…) Wenn die Regierun-            Eheschliessung. Österreich, die Tschechi-
 eine kleine Revolution ereignet. Eine       gen das nicht begreifen wollen, werden         sche Republik, Dänemark, Finnland,
 Gruppe von EU-Abgeordneten machte           wir radikalere Massnahmen treffen              Frankreich, Deutschland, Ungarn, Irland,
 die EU-Kommissarin für Justiz, Grund-       müssen.»                                       Luxemburg, Slowenien und das Vereinigte
 rechte und Bürgerschaft, Viviane Re-            Der Euroabgeordnete Michael Cash-          Königsreich (wie auch die Schweiz) erlau-
 ding, auf die Diskriminierung und           man (SPE, Brite), Kopräsident der De­          ben die eingetragene Partnerschaft
 Nichteinhaltung der Verträge durch ge-      legation für die Rechte der LGBT               homosexueller Paare.
 wisse Mitgliedstaaten aufmerksam,           ­(Les­bierinnen, Gays, Bisexuelle und
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