Der Euro ist nicht unsere Währung, ist er aber unser Problem?
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Das Magazin der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz nebs / Nr. 2/2010 Der Euro ist nicht unsere Währung, ist er aber unser Problem?
inhalt editorial aktuell Liebe Leserin, lieber Leser Mit offenen Augen in die Sackgasse? : Seite 3 D iesen Sommer und Herbst durften wir endlich wieder eine lebhafte Europadebatte erleben. ten in der Eurozone dürften hier der Grund sein. Ob eine Mitgliedschaft ohne Euro möglich ist, könnten aller- Rund um den Bericht des Bundesra- dings erst konkrete Beitrittsverhand- sektion tes zur Europapolitik hat eine Viel- lungen zeigen. Ob dies erstrebens- Albert Tille: zahl von Beiträgen und Stellungnah- wert ist, ist wiederum eine andere Europhile Waadtländer men für Gesprächsstoff gesorgt. Frage. Die Nebs gibt sich diesbezüg- : Seite 4 Einige davon waren vorhersehbar, lich ergebnisoffen, eine Mitglied- andere enttäuschend und wieder andere sehr schaft darf aus Sicht der Nebs jedenfalls nicht mythen aufgespiesst erfreulich. Die Unzulänglichkeiten des bilate- an der Währungsfrage scheitern. Der starke Die masslose nationale ralen Wegs sind in der Diskussion augen- Franken und damit die Währungs- und Selbstüberschätzung scheinlich geworden, auch wenn manche dies Wechselkursproblematik ist für die hiesige des Herrn Wäfler nicht wahrhaben wollen. Zu dieser Erkennt- Wirtschaft eine aktuelle und ganz alltägliche : Seite 5 nis kommt auch der Bundesrat in seinem Be- Herausforderung. Wir haben für diese Aus- richt. Allerdings legt er dennoch wenig Weit- gabe von «europa.ch» eine Reihe von Kurz- hintergrund sicht an den Tag und setzt ausschliesslich auf interviews mit unterschiedlichen Personen die Option bilateral (S.3). Diese Europade- durchgeführt (S. 7–11). Ziel war es, einen Die Zukunft des Euro batte als blosses Sommerlochthema abzutun, Eindruck zu bekommen von den Auswirkun- und die Schweiz wird dem Gewicht der Frage nach dem euro- gen der relativen Euroschwäche auf die : Seite 6 papolitischen Kurs der Schweiz nicht gerecht. Schweizer Wirtschaft. Im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen interview 2011 legen die Parteien denn auch ihr aussen- Ich wünsche Ihnen eine angenehme und Euro-Interviews politisches Programm fest, leider nicht immer unterhaltsame Lektüre. : Seite 7–11 zum Guten … In seinem Bericht untersucht der Bundes- yes rat erstmals auch die Option «Beitritt mit Ausnahmen». Dies ist vor allem auf den Euro Eva Hirschi: gemünzt, die wirtschaftlichen Schwierigkei- Michael Fust, Generalsekretär Eine bürgernähere EU : Seite 12 international ch.spots 2 In der EU wird Vielfalt Himbeersirup Gotthard grossgeschrieben Da freut man sich auf erlesene Spirituosen und Weltrekord! Von historischer Bedeutung für Eu- : Seite 13 exotische Leckereien zu erschwinglichen Prei- ropa! Die Schweiz bringt Europa näher zusam- sen, und dann dies: Als erster offizieller Cassis- men! – Sicherlich hat die frohe Botschaft mittler- lesen de-Dijon-Artikel kommt ein Himbeersirup in den weile auch im Brüsseler Flachland die Runde Hans Peter Fagagnini: Schweizer Handel. gemacht: Wir Schweizer haben unseren Jahr- «Unser aller Sonderfall» Seit Anfang Oktober in der Migros zu haben in der hunderttunnel bald fertig gebaut (um genau zu : Seite 14 1,5-Liter-Flasche für Fr. 3.50 statt Fr. 4.80 Franken. sein fertig geplant und bezahlt, denn gebaut wird Doch das süsse Gold ist weder eine Spezialität er mehrheitlich von Gastarbeitern aus den umlie- aus dem Baltikum noch aus dem Baskenland. genden EU-Ländern, was hier zwar wenig zur Sa- schnappschuss Produziert wird in der Schweiz, mit EU-genorm- che tut). Die Key Message des Durchschlag- : Seite 15 tem Fruchtsaftanteil von 10%, anstelle der bisher Spektakels: Die Schweiz ist gegenüber Europa helvetisch-erforderlichen 30%. Doch man darf solidarisch, zahlt freiwillig Milliarden, ist keine sich freuen, die Migros gelobt Besserung und will Rosinenpickerin. Schade nur, dass es bis dahin weitere Möglichkeiten für Cassis-de-Dijon-Pro- niemand gemerkt hat. Denn für die Zufahrtsstre- dukte prüfen. Und tatsächlich, Mitte Oktober folgt cken in Italien und Deutschland bestehen höchs- der zweite Artikel: Ein Beerensirup für Fr. 3.30 – tens Absichtserklärungen, das nötige Kleingeld endlich! (dg) ist weder in Brüssel noch in Berlin oder Rom ge- sprochen worden. – So what? «Freude herrscht, wir sind längster Tunnel!» (dg)
aktuell Mit offenen Augen in die Sackgasse? Von Michael Fust, Generalsekretär Der Bundesrat setzt weiterhin auf den bilateralen Weg. Der Bericht zur Evaluation der Europapolitik liefert zwar eine differenzierte Analyse der aktuellen Situation, politisch hat er aber keine Konsequenzen und bleibt mutlos. D ie Pressekonferenz des Bundes- rates zur Europapolitik Mitte August fand grosse Beachtung in den In einem weiteren Schritt werden die einzelnen europapolitischen Optionen und ihre Auswirkungen auf verschiede- dass der Bundesrat eine gewisse Kurs- korrektur in seiner Europapolitik in Aussicht stellt oder zumindest verschie- Medien. Weiter wie gehabt, der bilate- ne Bereiche und bestehende Probleme dene Optionen in Erwägung zieht. Dem rale Weg ist am besten geeignet, die In- untersucht. Im Einzelnen sind dies: Wei- ist aber nicht so. Er kommt zum folge- teressen der Schweiz zu wahren. So in terführung des bilateralen Wegs ohne widrigen Schluss: «Angesichts der heute etwa die Botschaft des Bundesrats, die neue Abkommen, Weiterführung und weitgehend positiven Bilanz des bilate- an die breite Öffentlichkeit gelangt war. Ausbau des bilateralen Wegs, Schaffung ralen Wegs und angesichts der Tatsache, Der Bericht zur Evaluation der schwei- eines institutionellen Rahmens, Beitritt dass die Fortsetzung und die Weiterent- zerischen Europapolitik hingegen fand zum EWR, EU-Beitritt und ein EU-Bei- wicklung der Beziehungen zwischen der in den Medien kaum Aufmerksamkeit, tritt mit Ausnahmen (z.B. ohne Euro). Schweiz und der EU im beidseitigen In- die Kernbotschaft war ja bereits be- In den Schlussfolgerungen wird noch- teresse liegen, hält der Bundesrat einen kannt, und die Bundesratswahlen stan- mals eine Bilanz des bilateralen Wegs ge- abrupten Strategiewechsel momentan den vor der Tür. zogen. Die Ziele der schweizerischen für unangebracht […].» Europapolitik seien durch diesen Ansatz Obschon der Bundesrat also einsieht, Eine differenzierte Analyse … weitgehend erreicht worden, insbeson- dass der bilaterale Weg unzulänglich ist, Der Bericht ist aber aufschlussreich dere bei den Aspekten Wohlstand und die laufenden Verhandlungen blockiert und verdient daher gebührende Auf- Sicherheit. Ausserdem geniesse der bila- sind und die EU wiederholt ihre Unzu- merksamkeit. In einem ersten Teil wird terale Weg die Unterstützung durch die friedenheit mit diesem sektoriellen An- eine Lagebeurteilung vorgenommen Bevölkerung. Allerdings falle die Bilanz satz zum Ausdruck gebracht hat, zieht und der Kontext der Beziehungen zwi- bei den Aspekten Souveränität und er keine Konsequenzen. Er will lediglich schen der Schweiz und der EU beschrie- Autonomie «nuancierter» aus. Die den bilateralen Weg mit «institutionel- ben. Auch die in der EU erfolgten Ver- Verhandlungen mit der EU seien durch len Mechanismen» reanimieren, eine änderungen und ihre Auswirkungen auf verschiedene Entwicklungen erheblich Arbeitsgruppe soll Lösungsvorschläge 3 die Schweiz werden dargelegt, insbe- erschwert worden. Daher seien auch dazu präsentieren. Es bleibt zu hoffen, sondere die Neuerungen des Lissabon- verschiedene der laufenden Verhandlun- dass die Operation zumindest kurzfris- ner Vertrags. Anhand von drei im Euro- gen blockiert. Ausserdem räumt der tig halbwegs gelingt, denn eine europa- pabericht 2006 aufgestellten Kriterien Bundesrat ein, dass mit der Stellung der politische Blockade und ein weiteres werden in der Folge die Beziehungen Schweiz als Drittstaat gewisse Nachteile verlorenes Jahrzehnt darf sich die zwischen der Schweiz und der EU unter- verbunden sind, die sich tendenziell ver- Schweiz nicht erlauben. Daher muss der sucht. Fazit: «Die […] beschriebenen stärken: «Diese betreffen die mangeln- Bundesrat bald schon eine Kurskorrek- Entwicklungen lassen deutlich erken- den Einflussmöglichkeiten auf Normen, tur einleiten, sonst wird in Zukunft ein nen, dass sich bei der Gestaltung der die die Schweiz direkt betreffen, die Be- «abrupter Strategiewechsel» unver- Beziehungen der Schweiz zur EU mit schränkungen der Souveränität dort, wo meidlich. Dieser wird dann eine unvor- den Instrumenten des bilateralen Wegs die Schweiz ihr Recht an jenes der EU bereitete Öffentlichkeit treffen, was der der Handlungsspielraum unseres Lan- anpassen muss, um Wettbewerbsnach- innenpolitischen Machbarkeit nicht ge- des verringert. […] Die Entwicklungen teile zu vermeiden, das Fehlen eines voll- rade zuträglich sein wird. Es geht also der 2006 aufgestellten Eckwerte der umfänglichen Zutritts zum EU-Binnen- nicht um Visionen, sondern um Weit- wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, markt und schliesslich eine latente sicht. Wenn der Handlungsspielraum der Möglichkeiten zur Teilnahme an der Rechtsunsicherheit.» zunehmend erodiert, die massgebenden Entscheidfindung sowie der aussenpoli- Tendenzen negativ sind, wird die zwar tischen Machbarkeit weisen insgesamt …ohne politische Konsequenzen etwas abgedroschene, aber deshalb nicht eine je nach Bereich mehr oder weniger So weit, so gut. Angesichts dieser minder richtige Maxime «Gouverner, ausgeprägte negative Tendenz auf.» Analyse hätte man erwarten dürfen, c’est prévoir» wieder hochaktuell.
sektion Europhile Waadtländer Von Albert Tille, Mitglied der Waadtländer Sektion der Nebs Zwei Abgeordnete des Waadtländer Grossen Rates, Mitglieder der Nebs, haben die Kantonsregierung aufgefordert, eine offene Haltung gegenüber Europa ein-zunehmen. Die Reaktion des Staatsrates war positiv N ationalrätin und Nebs-Präsidentin Christa Markwal- der verlangte mit ihrem Postulat eine Neubewertung der Europapolitik durch den Bundesrat. Im nach wie vor pro- Reaktionen von Abgeordneten, Mitglieder der Nebs, nach der Debatte im Grossen Rat: europäisch aus-gerichteten Kanton Waadt unternahmen zwei Alessandra Silauri (Grüne) Nebs-Mitglieder einen ähnlichen Schritt. A-lessandra Silauri Neben den Schwierigkeiten des bilateralen Weges hat der Staats- wollte mit ihrer Interpellation vom Staatsrat erfahren, wie er rat auch die positiven As-pekte der mit der EU geschlossenen die Risiken und Grenzen der Weiterführung des bilateralen Abkommen hervorgehoben. Ich bedaure, dass er dies-bezüglich Weges einschätzt. François Cherix forderte mit einem weiter- keine Fakten genannt hat. Solche ermöglichten es, eine sachli- gehenden Postulat ein aktives Engagement der Regierung im chere und weniger emotionale Auseinandersetzung über die Vor- Bereich der Eu-ropapolitik in Abstimmung mit den Kanto- teile einer Annäherung an Europa und die Not-wendigkeit der Fort- nen, die dieselbe Auffassung vertreten. Die Waadt hat eine setzung dieses Prozesses mit allen Mitteln zu führen. Denn seine besondere Verantwortung, weil ihr Regierungspräsident, Unter-brechung könnte sich negativ auf den Wohlstand der Pascal Broulis, die Konferenz der Kantonsregierungen präsi- Schweiz auswirken. diert. Dieses Organ, das 1993 nach Ablehnung des EWR ge- Pierre Zwahlen (SP) gründet wurde, gewinnt zunehmend an Bedeutung für die Die Waadtländerinnen und Waadtländer haben sich bei Abstimmun- Ausrichtung der schweizerischen Aussenpolitik. gen oft bei den europafreundlichsten Kantonen wieder gefunden. Die Vorstösse von Silauri und Cherix wurden im Grossen Rat Waadtländer Regierung nimmt ebenfalls eine fortschrittlichere Hal- positiv aufgenommen. Im Namen der Regierung bekannte tung als der Bundesrat ein. Sie möchte das Beitrittsgesuch voran- sich ihr Präsident, Pascal Broulis, klar zur Öffnung. Er an bringen. Dabei handelt es sich nicht mehr bloss um eine Option auf erkennt die dank dem bilateralen Weg erreichten Vorteile, lange Sicht, sondern mittel- und langfristig um eine echte Alternative. insbesondere im Bereich der Bildung. Hingegen kritisiert er Raphaël Mahaim (Grüne) ohne Umschweife die Entwicklung der Verhandlungen mit Ich bin ein wenig enttäuscht, dass sich die Regierung nicht ebenso der EU und fordert die Eröffnung einer Debatte über den positiv wie die Freiburger zugunsten des Beitritts ausgesprochen hat. Beitritt. Der Regierungspräsident Pascal Broulis ist in einer schwierigen Position. Er präsidiert die Konferenz der Kantonsregierungen und 4 – Die Schengen-Dublin-Abkommen und der autonome Nach zögert daher, eine kämpferische Haltung einzunehmen, die ihm in sei- vollzug offenbaren die äusserst geringe Manövrierfähig- nen Diskussionen mit den anderen Kantonen hinderlich sein könnte. keit, die dem Bundesrat und den Kantonen verbleibt. – Die neuen EU-Mitgliedstaaten sind je länger je weniger be- François Cherix (SP) reit, der Schweiz entgegenzukommen. Mit meinem Postulat verlange ich, dass die Regierung – über ihre – Der bilaterale Weg darf nicht zu einem De-facto-Beitritt positive Erklärung hinaus – eine vollständige Bilanz der Interessen (ohne Recht auf Mitbestimmung) führen; dies scheint aber des Kantons in der Europafrage vorlegt und dass sie festhält, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen zunehmend der Fall die Waadt getreu ihrer Tradition einer Politik der Öffnung verpflich- zu sein. tet ist. Nach dieser Bilanz soll eine veritable Kommunikationsstra- – Der Bilateralismus erscheint nicht als ein auf freier Entschei- tegie entwickelt werden, die erläutert, wie die Stimme der Waadt- dung basierender Prozess, sondern als Vorstufe eines zwin- länderinnen und Waadtländer in der schweizerischen Öffentlichkeit genden Beitritts der Schweiz zu den Bedingungen der EU. nutzbar gemacht werden kann. – Der Beitritt darf kein Tabuthema sein. Die Waadtländer Laurent Wehrli (FDP) Regierung schliesst sich im Prinzip der Haltung des Frei- Berichterstatter zum Postulat Cherix burger Staatsrates an. Die grossmehrheitliche Unterstützung des Postulats Cherix macht das Erfordernis einer klaren Positionierung des Kantons in dieser Diese klare Positionierung ist nicht die letzte Entwicklung Debatte deutlich. Eine grosse Zahl von Abgeordneten ist der Mei- in der europapolitischen Auseinandersetzung im Kanton nung, dass man sich der Union annähern sollte. Das bedeutet aber Waadt. Der Staatsrat wird noch zum Postulat Cherix im De- nicht, dass der Waadtländer Grosse Rat heute im Falle einer tail Stellung nehmen müssen. Abstimmung «Ja» zum Beitritt sagen würde
mythen aufgespiesst Die masslose nationale selbstüberschätzung des herrn wäfler ten nach der Decke strecken, um die wichtige Beziehung «Massgebende EU-Funktionäre Schweiz – EU zu pflegen, wobei der Vorrat an Sonderbe- wollen uns in die EU bugsieren» handlungen und Extrawürsten nachgerade aufgebraucht ist. d) Die Schweiz wird in Brüssel jederzeit Gesprächspart- «Warum versuchen massgebende Funktionäre der EU un- ner finden – aber sie steht definitiv nicht zuoberst auf der ser Land in die EU zu bugsieren? Für die EU ist das Staats- Liste der hängigen Probleme. modell der Schweiz mit direkter demokratischer Mit entscheidung und Mitverantwortung der Bürger und 2. Die masslose Selbstüberschätzung, die aus Herrn Wäflers einer relativ erfolgreichen Staats- und Wirtschaftsord- nung ein lästiger Dorn im Auge. (…) Deshalb muss aus Text spricht, ist in der Schweiz weit verbreitet. Sie liegt zum Sicht der EU-Bürokraten dieses lästige Mahnmal Schweiz Beispiel auch der oft kolportierten Ansicht zugrunde, die verschwinden und innerhalb der EU angeglichen und neu- EU müsse der Schweiz ganz besonders entgegenkommen, tralisiert werden. Zudem sucht die EU neue zahlungs weil wir ja ihr «zweitbester Kunde» seien – will sagen: weil fähige Sponsoren, um ihren Finanzhunger zu stillen.» nach Statistik ausser den USA kein einzelnes anderes Nicht- EU-Land für mehr Geld Exporte aus den 27 EU-Mitglied- Altnationalrat Markus Wäfler im Parteiorgan «EDU- staaten abnimmt. Das klingt zwar imposant, ist aber, bei Standpunkt» der Eidgenössisch-Demokratischen Union näherem Hinsehen, politisch so gut wie bedeutungslos. (EDU), September 2010. Denn jedes EU-Land exportiert weit, weit mehr Waren und Dienstleistungen in die anderen Länder des Binnenmarkts als in Drittstaaten. Für den gesamten Aussenhandel, Bin- 1. Die «EU-Bürokraten» pendeln jeden Morgen an ihre Brüs- nenmarkt und Drittstaaten zusammengezählt, einer grossen seler Schreibtische, um von Neuem verzweifelt über ihrem Mehrheit der 27 EU-Mitglieder sind deren Exporte in die einzigen Problem zu brüten: Wie können wir die Schweiz Schweiz absolut marginal und liegen zum Teil im Promille- endlich in die EU zwingen? Und: Wie können wir der bereich. Für unsere unmittelbaren Nachbarländer sind wir Schweiz ihr Geld abknöpfen? In den endlosen Korridoren ein bisschen wichtigere Exportabnehmer; aber auch diese des Berlaymont-Gebäudes vernimmt man tagein, tagaus Werte sind nicht gar so berauschend: Wir nehmen 3,9% der 5 nichts als ein klagendes Raunen: Die Schweiz! Die Schweiz! gesamten deutschen Ausfuhren ab und belegen auf der Die Schweiz! Nein, im Ernst: Das Weltbild (oder Europa- deutschen «Rangliste» Platz 10, 2,8% der französischen bild), das Herr Wäfler zeichnet, zeugt von einer grotesken, (Rang 8), 3,9% der italienischen (Rang 6) und 3,7% der lachhaften nationalen Selbstüberschätzung. Kein einziger österreichischen (Rang 4) Exporte. Da sind wir einigermas «Funktionär der EU», weder ein «massgebender» noch ein sen «gute Kunden». Doch wieso sollte sich etwa ein EU- anderer, hat jemals versucht, die Schweiz «in die EU zu Vollmitglied wie Malta (0,47% / Rang 14) oder gar Estland bugsieren». Die Grundeinstellung dieser Organisation zu (0,2% / Rang 22) zu einem besonderen Entgegenkommen unserem Land ist seit Jahrzehnten unverändert: a) Wegen für schweizerische Extrawünsche motiviert fühlen? der geografischen Lage der Schweiz im Herzen des Konti- nents sind sie und die EU quasi «von Natur aus» dazu ver- 3. Und was den «Finanzhunger» der EU betrifft: Natürlich urteilt, im gegenseitigen Interesse auf zahllosen poli wäre die prosperierende Schweiz als EU-Mitglied ein «Net- tischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gebie- tozahler», d.h., bei den komplizierten Finanzströmen aus ten zusammenzuarbeiten. b) Die politische Kultur sowie «Brüssel» in die Mitgliedstaaten und von den Mitgliedstaa- die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Schweiz werden ten nach «Brüssel» würde sie in einem Haushaltjahr unter anerkannt und respektiert; sie sind aber kein Grund für die dem Strich etwas mehr Mittel abgeben als einnehmen. Aber anderen Länder Europas, sie auf einen Altar zu stellen und bleiben wir doch auf dem Teppich: Wir sind zwar wirt- vor der erhabenen Einzigartigkeit der Schweiz demutvoll schaftlich sicher kein «Nobody», aber halt doch ein kleines die Knie zu beugen. c) Sollte sich die Schweiz entschliessen, Land. Unsere Nettozahlung würde zwar dankend entge- der Union beizutreten, wäre sie herzlich willkommen; gengenommen, aber sie wäre sicher kein Betrag, der das wenn nicht – auch recht. Dann müssen sich eben beide Sei- EU-Budget massgeblich beeinflussen könnte. (sp)
hintergrund Die Zukunft des Euro und die Schweiz Über die Zukunft des Euro wurde in letzter Zeit viel geschrieben und noch mehr spekuliert. Auf dem zeitweiligen Höhepunkt der Schuldenkrise wurde er bereits als Fehlkonstruktion totgesagt. Angesichts dieser Unsicherheiten ist in der Schweiz auch bei Beitrittsbefürwortern die Skepsis gegenüber der Einheitswährung gewachsen. B ekanntlich leben Totgesagte ja Eine kleine Geschichte des Euro die Einführung des Euro ausgesprochen länger, und die EU hat innert be- Der Euro wurde 1999 zunächst als hatte, verletzt Schweden seither absicht- merkenswert kurzer Zeit einen Ret- virtuelle Währung und 2001 schliesslich lich das Kriterium der Wechselkurssta- tungsschirm gespannt, um Griechen- als Bargeld eingeführt. Heute ist er in 16 bilität. Dieses Vorgehen ist allseits be- land und auch die der 27 EU-Länder gesetzliches Zahlungs- kannt und wird von der EU bis jetzt Gemeinschaftswährung vor dem mittel von rund 329 Millionen Men- geduldet. Auch die Schweiz wäre eigent- Schlimmsten zu bewahren. Unlängst schen, und er hat sich als zweitwichtigste lich verpflichtet, bei einer EU-Mitglied- haben nun die Regierungschefs der EU Reservewährung etabliert. 2011 wird schaft den Euro zu übernehmen – zumal eine Verschärfung des Stabilitäts- und mit Estland ein weiteres EU-Mitglied den sie die angesprochenen Kriterien im Wachstumspakts beschlossen, in dessen Euro übernehmen. Die Geburtsstunde Normalfall erfüllt. Die Übergangsfrist Nichteinhaltung der Hauptgrund für des Euro war die Unterzeichnung des zur Einführung würde in den Beitritts- die Schuldenkrise lag. Damit sollen be- Vertrags über die Europäische Union in verhandlungen geklärt. Ob die Schweiz stehende Konstruktionsfehler der Ein- Maastricht, welcher am 1.11.1993 in allenfalls eine gänzliche Ausnahmerege- heitswährung behoben werden, die EU Kraft getreten ist. Der Vertrag sieht vor, lung erwirken könnte, könnten eben- wird die Wirtschaftspolitiken der ein- dass alle Mitgliedsländer zur Übernahme falls erst die konkreten Verhandlungen zelnen Staaten künftig stärker koordi- des Euro befugt – oder verpflichtet – zeigen. Angesichts der aktuellen Ver- nieren. Der Vertrag von Lissabon soll in sind, die die sogenannten Konvergenz- schuldung in der Eurozone und der da- einigen Punkten abgeändert werden, kriterien erfüllen. Dies sind Preisstabili- mit verbundenen Unsicherheiten scheint um so eine dauerhafte Stabilität der Eu- tät, Haushaltsstabilität, die Stabilität der es aber vielen Experten durchaus mög- rozone sicherzustellen. Wie diese Ände- langfristigen Zinsen und die Wechsel- lich, dass die Schweiz im Bedarfsfall ein rungen im Detail aussehen, ist noch kursstabilität. Von den neueren Mit- solches „Opt-out“ aushandeln könnte. nicht abschliessend geklärt, doch die gliedsländern erfüllen viele die obigen Als sicher gelten kann es aber nicht. Grundzüge stehen fest: Das Verbot der Kriterien noch nicht, daher haben sie 6 gegenseitigen Schuldenübernahme zwi- noch ihre nationalen Währungen. Die Stabilität des Euro – ein schen Staaten bleibt bestehen, die Wäh- wichtiger Faktor für die Schweiz rungsunion wird nicht zu einer Transfe- Eine Mitgliedschaft ohne Euro? Auch für das Nichtmitglied Schweiz runion. Es soll aber ein permanenter Mit Grossbritannien, Dänemark und ist der Euro natürlich von herausragen- Krisenmechanismus etabliert werden, Schweden haben aber auch Länder, die der Bedeutung, die Vernetzung mit dem um in Schwierigkeiten geratenen Mit- schon länger in der EU sind, den Euro Euroraum ist besonders eng. Daher gliedsländern der Eurozone beistehen nicht übernommen. Dieser Umstand kommt dem Wechselkurs für die hiesige zu können. Dies aber nur, wenn die Eu- wird hierzulande in der Europadebatte Wirtschaft grosse Bedeutung zu. Ge rozone als Ganzes in Gefahr ist. Um manchmal als Modell für die Schweiz rade die Stabilität und vergleichsweise dabei eine alleinige Haftung der Steuer- herangezogen. Allerdings waren Gross- geringe Verschuldung der Schweiz hat zahler auszuschliessen, sollen private britannien und Dänemark zum Zeit- im Zuge der Finanzkrise dazu geführt, Gläubiger und Banken an einer allfälli- punkt der oben genannten Vertragsun- dass der Franken im Vergleich zu Euro gen Sanierung beteiligt werden. Diese terzeichnung schon Mitglieder der EU und Dollar sehr stark ist. Die National- Reformen werden langfristig zu einer und erwirkten eine Ausnahmebedin- bank versuchte zwar den Wechselkurs Stabilisierung der Währungsunion und gung in der Währungsfrage, ein soge- mit massiven Interventionen zu stabili- des Euro führen. Auch für die Schweiz nanntes „Opt-out“. Schweden hingegen sieren, allerdings mit mässigem Erfolg. eine positive Entwicklung. Allerdings wurde erst 1995 Mitglied der EU und Wir wollten daher von verschiedenen wird eine wirtschaftlich stärker integ- wäre damit zur Einführung der Gemein- Akteuren und direkt betroffenen Krei- rierte EU künftig wohl noch weniger schaftswährung verpflichtet gewesen. sen erfahren, wie sie die Lage und die Gehör für Sonderwünsche von Dritt- Da sich die schwedische Bevölkerung Auswirkungen auf die Wirtschaft der staaten haben als jetzt schon. 2003 in einer Volksabstimmung gegen Schweiz einschätzen. (mf)
interview Starker Franken für die KMUs kein Problem Euro-Interview mit Roland M. Rupp, Schweizerischer KMU Verband europa.ch: Man konnte vermehrt lesen, dass viele Hat sich der Euro auch bei den kleinen und mittleren Un- exportorientierte KMUs wegen des starken Frankens mit ternehmen nicht längst schon als Zweitwährung etabliert, in- erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben und mit dem dem beispielsweise die Bücher in Euro geführt oder Zuliefer- Gedanken spielen, ihre Produktion in die Eurozone zu verle- verträge auch im Inland in Euro abgeschlossen werden? gen. Muss sich die Schweiz als Folge des starken Frankens auf Es ist ja klar, dass die 10% der KMUs, die im Import/Export einen massiven Verlust von Arbeitsplätzen gefasst machen? tätig, mit dem Euro konfrontiert sind und entsprechende Kon- Roland M. Rupp: Nein, keinesfalls. Nur gerade 10% ten führen. Dass aber deshalb die internen Kostenrechnungen aller Firmen in der Schweiz sind im Export tätig, und etc. in EUR geführt werden, ist uns völlig unbekannt. auch diese sind nicht ausschliesslich vom Export ab- hängig. Die Schweiz hat als Standort so viel zu bieten Brächte eine Einführung des Euro nicht auch ganz wie sichere Infrastrukturen, gut ausgebildete Arbeits- konkrete Vorteile für die Schweiz und ihre Wirtschaft? kräfte, Arbeitsmoral etc., Nein! Die eigene Wäh- dass nur wegen des starken rung hat immer Vorteile. Es Frankens alleine eine Ab- wanderung ins Ausland «Nur wegen des starken Fran- wäre grundfalsch, die Wäh- rung aufzugeben, vor allem noch nicht gerechtfertigt ist. kens alleine werden die wenigs- auf dem Hintergrund, dass ja bereits einige Staaten der EU Für kleinere Unternehmen ten KMUs in der Schweiz ums lieber wieder die eigene ist es nicht immer möglich, Währung hätten und dies sich gegen das Wechselkurs- Überleben kämpfen müssen.» den Staatshaushalt vereinfa- risiko abzusichern. Welche chen würde. Es wird immer Möglichkeiten haben die wieder vergessen, dass gera- KMUs, um den negativen Folgen des starken Frankens zu be- de kleine Firmen eher importieren als exportieren. Wer also z.B. gegnen? Leisten Sie als Verband konkrete Hilfestellung? zum Jahreskurs von 1.55 Ende 2009 seine Preise festgelegt hat, Natürlich unterstützen wir die KMUs in der Schweiz und ar- der hat heute eine schöne Mehrmarge alleine durch die Wäh- beiten deswegen mit Partnern wie dem Devisenhändler Wisen- rungsschwankung. Preislisten werden ja nicht während des 7 ta AG zusammen. Vielfach genügt aber bereits ein erstes Ge- Jahres angepasst, und so erhalten importierende KMUs z.B. bei spräch vor dem Schritt ins Ausland, um Firmen die Gefahren einem Importvolumen von 100 000 EUR rund 20 000.– Fr. der Währungsschwankungen aufzuzeigen, sodass entsprechen- mehr Marge … de Massnahmen (Festlegen Jahreskurse, Zahlungswährungen, Konditionen etc.) getroffen werden können. Roland M. Rupp Breite Kreise gehen davon aus, dass der Franken im Ver- gleich zum Euro längerfristig stark bleibt. Die Nationalbank Roland M. Rupp hat 2006 die will künftig auf grössere Interventionen verzichten. Welche KMU Netzwerke Schweiz ini Möglichkeiten sehen Sie, um den KMUs das Überleben zu ver- tiiert und ist seit 2008 Vizepräsi- einfachen? dent und Leiter der Geschäfts- Noch einmal: Nur wegen des starken Frankens alleine wer- stelle des Schweizerischen den die wenigsten KMUs in der Schweiz ums Überleben kämp- KMU Verbandes. fen müssen. Die Wirtschaftslage der vergangenen zwei Jahre traf hier einige Firmen wesentlich härter wegen des Absatzein- bruchs. Um den KMUs zu helfen, können wir gewünschte Kon- takte herstellen und die KMUs entsprechend unterstützen. (Bild: zVg)
interview Schweizer Tourismus- Verband hofft auf Übersee Euro-Interview mit Mario Lütolf, Schweizer Tourismus-Verband europa.ch: Sind die Auswirkungen der Franken- chen Auswirkungen im Tourismusbereich muss die Schweiz Hausse für den Schweizer Tourismus spürbar? Mussten Sie rechnen? Muss man gar einen Verlust von Arbeitsplätzen be- bislang einen Rückgang von Gästen oder Übernachtungen fürchten? verzeichnen? Wir rechnen mit einem Rückgang von etwa 5% aus dem Mario Lütolf: Der Sommer 2010 zeigt bisher (Mai – Euro-Raum. Im Sommer wird dieser Rückgang zum grossen August) ein Wachstum von 1,9% von Schwei-zer Teil von Gästen aus Übersee wettgemacht. Arbeitsplätze Gästen und 4% von Gästen aus dem Ausland. Ver- sind noch nicht in Gefahr. antwortlich für das Wachstum von ausländischen Besuchern sind vor allem die asiatischen und nord- Gegenüber dem Franken ist nebst dem Euro nun auch amerikanischen Märkte, aber auch zahlreiche Eu- der Dollar relativ schwach. Damit ist die Schweiz auch für ropa-Märkte zeigen eine aussereuropäische Touristen schöne Zunahme. «Wir rechnen mit einem beispielsweise aus China ver- gleichsweise teuer. Lässt sich Um den erwarteten Rückgang um 5% von Rückgang von etwas 5% dies anderweitig kompensieren? Gäste aus Asien und auch Gästen aus dem Euro- aus dem Euro-Raum.» Gäste aus Nordamerika haben Raum etwas abzufedern, im Sommer 2010 stark zuge- wurden auf die Sommer- nommen. Gerade aus dem asia saison hin Pauschalpakete mit fixen Preisen lanciert. Haben tischen Raum rechnen wir weiterhin mit starken Zuwächsen. sich diese 250 Pauschalangebote bewährt? Der Gästemix der Schweiz ist sehr breit abgestützt, und es Wir ziehen eine positive Bilanz. Wir haben mit den fixen werden immer einige stark wachsende Märkte einige kriseln- Euro-Preisen transparent beweisen können, dass die Schweiz de Märkte kompensieren. äusserst attraktive Angebote im Portfolio hat. Die Angebote wurden gut gebucht. Am stärksten in Deutschland, gefolgt Das Wechselkursrisiko stellt für die Schweizer Anbieter von den Niederlanden und Frankreich. Es hat sich aber auch einen latenten Unsicher-heitsfaktor dar. Wäre daher der Euro 8 gezeigt, dass der Kunde diese Fixpreise nicht als Überra- als Landeswährung nicht ein grosser Vorteil? schung und Innovation wahrgenommen hat, sondern eine Die Frage ist hypothetisch. Der Vorteil wäre die verein- solche Aktion als normal erachtet. Wir werden deshalb die fachte Vergleichbarkeit von Angeboten innerhalb des Euro- Topangebote weiterhin in fixen Euro-Preisen ausschreiben. Raumes. Die hohen Grundkosten der Schweiz und das Pre- mium-Produkt würden sich aber auch in einer Landeswährung Bislang wurde jede zweite Übernachtung von Gästen aus «Euro» manifestieren. dem Euro-Raum gebucht. Im Vergleich mit Konkurrenten wie Österreich ist die Schweiz für dieses Kundensegment teu- Quelle: Urs Eberhard/Schweiz Tourismus rer geworden. Rechnen Sie für die Wintersaison mit einem Rückgang der Besucherzahlen? Mario Lütolf In den Sommermonaten hatten wir einen sehr starken Zu- Mario Lütolf leitet seit 2007 den wachs an Gästen aus Märkten, die nicht zur Euro-Zone ge- Schweizer Tourismus-Verband hören. Gerade Märkte wie China, Indien und Australien, (STV), die nationale Dachorga- aber auch die USA und Kanada konnten dank einem starken nisation des Schweizer Touris- Wachstum den Rückgang von Gästen aus einigen Euro-Län- mus. Der STV führ ein Portfolio dern kompensieren. Der Schweizer Wintergast kommt aber an Labels zur Qualitätssiche- hauptsächlich aus Europa, und hier wird der hohe Franken- rung, Mandaten und engagiert Kurs bestimmt zu einem spürbaren Rückgang führen. sich in Aus- und Weiterbil- (Bild: zVg) dungsdossiers. Es wird davon ausgegangen, dass der Franken noch über längere Zeit stark blei-ben wird. Mit welchen wirtschaftli-
economiesuisse bleibt zuversichtlich Euro-Interview mit Rudolf Minsch, economiesuisse europa.ch: economiesuisse vertritt als Dachverband ro-Schwäche ein? Müssen wir tatsächlich mit einem massiven bekanntlich die Anliegen sehr unterschiedlicher Branchen. Verlust von Arbeitsplätzen in der Schweiz rechnen? Welche leiden am meisten unter der Franken-Hausse? Gibt es Die Schweiz verfügt über eine Reihe von äusserst positiven auch Wirtschaftszweige, die von der aktuellen Situation pro- Standortfaktoren: tiefe Steuerbelastung, gut ausgebildete Ar- fitieren? beitskräfte, tiefe Realzinsen, relativ liberale Arbeitsmärkte, Rudolf Minsch: Generell belastet der starke Franken politische Stabilität usw. Das Bündel entscheidet schliesslich die gesamte Exportindustrie. Ein Unternehmen ist umso darüber, ob die Schweizer Wirtschaft konkurrenzfähig bleibt. mehr betroffen, je weniger Vorleistungen aus dem Ausland Die Schweiz gilt nicht umsonst als das wettbewerbsfähigste importiert werden, je preissensitiver die Nachfrage ist und je Land der Welt. Die Franken-Stärke wird zwar vereinzelt zu weniger diversifiziert die Absatzmärkte sind. Diese Voraus- Arbeitsplatzverlusten führen, doch wenn die anderen Stand- setzungen sind zwar von Betrieb zu Betrieb stark ortfaktoren intakt bleiben, bin ich für den Wirtschafts- unterschiedlich. Etliche Unternehmen aber in der standort Schweiz zuversichtlich. Es wird zwar zu einem Textil-, Maschinen- oder Autozulieferindustrie ha- Abbau von Arbeitsplätzen in einigen Unternehmen kom- ben grosse Mühe, gegenüber den ausländischen men, aber es werden auch zusätzliche Arbeitsplätze ge- Konkurrenten wettbe- schaffen. Wir rechnen daher werbsfähig zu bleiben. nicht mit einem massiven Ver- Auch auf den Tourismus «Die Schweiz gilt nicht lust von Arbeitsplätzen. wird – mit einer Verzöge- rung von einigen Mona- umsonst als das wettbewerbs Brächte eine Einführung des ten – die Frankenstärke durchschlagen. Der Tou- fähigste Land der Welt.» Euro nicht auch konkrete Vor- teile für die Schweiz? rismus kann auch nicht Offensichtlich hat eine Ein- von tieferen Importpreisen profitieren, weil die Vorleistungen heitswährung auch Vorteile: Sie erhöht die Planungssicher- meist aus der Schweiz stammen und der Agrarschutz den Im- heit und reduziert die Transaktionskosten. Die Einführung port von tieferen Nahrungsmittelpreisen verbietet. Der starke des Euro würde zudem über eine fixe Anbindung des Fran- Franken ist aber für diejenigen Branchen, die vor allem Gü- kens an den Euro hinausgehen. Zum einen wäre es eine Ein- 9 ter und Dienstleistungen importieren, vorteilhaft. Auch für bahnstrasse, da ein Austritt aus der Euro-Zone nicht vorge- den Finanzsektor ist der starke Franken attraktiv. sehen ist. Zum anderen wäre die Einführung des Euro nur im Rahmen eines EU-Beitritts möglich, und ein solcher ist für die Zahlreiche Analysten gehen davon aus, dass der Franken Schweiz derzeit keine anzustrebende Option. Der bilaterale im Vergleich zum Euro längerfristig stark bleibt. Gerade Weg mit einer unabhängigen Geldpolitik ist – wie die aktuel- KMUs sind besonders stark betroffen, da eine Absicherung le Frankenstärke zeigt – mitunter mühsam, aber insgesamt des Wechselkursrisikos für sie nicht immer möglich ist. Kön- überwiegen die Vorteile für die Schweiz klar. nen die Schweizer KMUs in einer solchen Situation erfolg- reich überleben, oder bleibt letztlich nur die Verlagerung der Rudolf Minsch Produktion in die Eurozone? Rudolf Minsch ist Chefökonom Die Schweizer Wirtschaft muss durch Produktivitätsstei- und Mitglied der Geschäftslei- gerungen die Währungssituation kompensieren. Dies kann tung von economiesuisse. Er durch eine Produktionsverlagerung geschehen. Allerdings ist leitet den Bereich Wirtschafts- die Währungssituation nur ein Grund für den Standortent- politik, Bildung, Gesundheit. scheid unter vielen. Wir erwarten vor allem bei margen- Darüber hinaus ist Minsch schwachen Produkten Auslagerungen. Gastprofessor für Wirtschafts- politik and der Hochschule für (Bild: zVg) In letzter Zeit konnte man viel über die wachsenden Pro- Technik und Wirtschaft (HTW) bleme der exportorientierten Industrie lesen. Als wie gravie- Chur. rend schätzen Sie die längerfristigen Folgen der relativen Eu-
interview Das Problem ist der starke Franken, nicht der schwache Euro Euro-Interview mit Hugo Bohny, Finanzexperte und Mitglied der Politischen Kommission der Nebs europa.ch: Ziehen wir knapp neun Jahre nach der Ein- nicht verharmlost werden. Ob und in welchem Zeitraum sie führung des Euro eine Bilanz. Handelt es sich bei der Euro- entschärft werden können, ist schwer zu sagen. Ohne Druck Krise Ihrer Meinung nach nur um eine vorübergehende aus der EU würden die jetzt laufenden Sanierungsanstrengun- Schwäche, oder gibt sie vielmehr den Beitrittsgegnern recht, gen jedoch viel weniger zielstrebig angegangen. die sie mit einer angeblichen Fehlkonstruktion des Euro Vor drei Jahren schrieb die NZZ am Sonntag (21.10.2007) erklären? unter dem Titel «Ein Turm von einer Währung»: «Inzwischen Hugo Bohny: Der Euro hat sich innert weniger als loben sie [die Währung] längst auch jene, die dem Experi- zehn Jahren, seit seiner Lancierung 1999, zur zweitwichtigs- ment Euro skeptisch gegenüberstanden.» Und der Präsident ten Währung der Welt entwickelt. Der Euro liegt der SNB, Jean- Pierre Roth, sagte einen Monat früher in heute mit USD 1.39 um 18% höher als zu Beginn Lausanne, die EZB habe es geschafft, den disharmoni- der Währungsunion am 1. Januar 1999 mit USD schen Chor der europäischen Währungen in eine einzige 1.18. Was heisst da schon «Euro-Schwäche»? klare Stimme zu verwandeln, in jene des Euro. «Eine Der Euro-Kapitalmarkt ausgezeichnete Nachricht für war bis zum Ausbruch unser Land», so Roth. der weltweit schwersten «Was fehlt, ist emotionslose Wirtschafts- und Finanz- Es gibt immer mehr EU- krise seit den 30er-Jahren Aufklärung. Vielleicht bräuchte Befürworter, die sich für eine zeitweise sogar bedeuten- Mitgliedschaft ohne Euro aus- der als der Dollar-markt. es auch spürbare Nachteile des sprechen. Wie beurteilen Sie Wer in den gegenwärti- dieses Szenario? Wäre das gen Problemen des Euro Alleinganges, was natürlich wünschenswert? einen Beweis für eine Unser gegenwärtiges Prob- 10 Fehlkonstruktion sehen nicht wünschenswert ist.» lem ist die übermässige Stärke will, beweist höchstens, des Frankens, nicht die Schwä- dass er die Alternativen nicht bedacht hat. In der Finanzkrise che des Euro, wie ich schon ausgeführt habe. Das hat die der vergangenen drei Jahre hätten sich die 15 Währungen, die Nationalbank gezwungen, für Milliardenbeträge Euro zu heute den Euro-Verbund bilden, in alle Richtungen aus kaufen, was kaum wünschenswert sein kann, wenn der Fran- einanderbewegt, unabhängig von ihrer eigenen wirtschaft ken eigenständig bleiben soll. Dass es wieder viele Kapitalan- lichen Entwicklung, wie das früher häufig der Fall war, wenn leger in Europa gibt, die im Franken Sicherheit suchen, kann der USD stark schwankte. Die Folgen für die einzelnen Wirt- nicht im Interesse unserer Wirtschaft sein. Unser relativ be- schaften wären unabsehbar gewesen. Ein gemeinsamer schränkter Kapitalmarkt kann sie auf Dauer nicht schützen. Markt, mit stark schwankenden Währungen, wäre in der Tat Dass viele Banken diese Kapitalbewegungen noch fördern, eine Fehlkonstruktion. läuft sowohl der Politik der Nationalbank als auch den Be- dürfnissen der Exportwirtschaft zuwider. Was wäre in der europäischen Bankenwelt geschehen, Die Idee eines EU-Beitritts ohne Euro-Übernahme mag ab- wenn es die Europäische Zentralbank nicht gäbe? stimmungspolitisch begründet sein. Die Anhänglichkeit im Es ist wohl fair zu sagen, dass die EZB die Krise besser ge- Volk an die eigene Währung dürfte vor allem emotional, meistert hat als die Zentralbanken anderer bedeutender Wäh- nicht logisch begründet sein. Wir würden mit dieser Lösung rungen. Ob die Probleme des Euro vorübergehender Natur Vorteile verlieren, wie weiter unten gezeigt wird. (Solche sind, hängt unter anderem auch von der Entwicklung der Emotionen gingen Mitte des 19. Jahrhunderts auch in den Finanzkrise ab, die noch keineswegs gelöst ist. Schweizer Kantonen gegenüber der Einführung des Schwei- Selbstverständlich dürfen die Probleme, die durch fehlge- zer Frankens hoch). leitete Fiskalpolitiken der Teilnehmerstaaten entstanden sind,
europa.abc Europäische Was fehlt noch, um die Bevölkerung und die Wirtschaft davon zu überzeugen, dass die Einführung des Euro der Investitionsbank Schweiz Vorteile bringen könnte? (EIB) Was fehlt, ist emotionslose Aufklärung. Vielleicht bräuch- te es auch spürbare Nachteile des Alleinganges, was natürlich Bereits mit dem Gründungsvertrag von nicht wünschenswert ist. Rom wurde ein Finanzierungsinstrument geschaffen, das in gemeinschaftlich be- Wo sehen Sie die grösste Chance für die Schweiz im Falle schlossene Projekte für eine ausgewoge- einer Euro-Übernahme? ne Entwicklung des Gemeinschaftsge- Für Industrie und Handel würden die Risiken von Wäh- biets langfristig investiert. Anteilseigner rungsschwankungen mit unserem wichtigsten Handelspart- der EIB sind heute die 27 EU-Mitgliedstaa- ner wegfallen. Die Bedeutung dieser Risiken hat gerade die ten; ihr «Rat der Gouverneure» setzt sich Franken-Hausse der vergangenen Monate wieder vor Augen aus den 27 nationalen Finanzministern zu- geführt. sammen. Das Kapital beschafft sich die Als Vorteil der eigenen Währung werden immer wieder die EIB überwiegend durch Anleihen am Ka- tiefen Franken-Zinsen ins Feld geführt, die sogenannte Zins- pitalmarkt. Die EIB wird heute auch zur Fi- insel Schweiz. Wieso tiefe Zinsen per se ein Vorteil sein nanzierung von Infrastrukturinvestitionen sollten, hat mir noch niemand überzeugend beantworten in beitrittswilligen «Kandidatenländern» können. Tiefe Zinsen bedeuten hohe Kapitalwerte und damit und in der weltweiten Entwicklungspolitik stellt sich die Frage, ob als Spiegelbild von unseren über herangezogen. (sp) 700 Milliarden Hypothekenschulden nicht einfach ein über- bewertetes Immobilienkapital besteht. Es ist richtig, dass höhere Zinsen, wie sie bei einer Übernahme des Euro wahr- Petitionsrecht scheinlich wären, auf die Immobilienwerte dämpfend wirken würden. Das würde die immer weiter verbreitete Klage über Jeder Unionsbürger, aber auch jede ande- unerschwingliche Wohnungen politisch entschärfen. re Person mit Wohnsitz in einem EU-Land, Zu tiefe Zinsen können auch zu Fehlallokationen von hat das Recht, Anliegen oder Beschwer- Kapital führen, wie u.a. die Firmenkrisen Mitte der ersten den über Angelegenheiten, die thema- Dekade dieses Jahrhunderts (Swissair, Zürich, Rentenanstalt) tisch in die EU-Kompetenz fallen, an das und dann der verhütete Zusammenbruch der UBS gezeigt Europäische Parlament zu richten. Der haben. Petitionsausschuss des Parlaments prüft Als wohl bedeutendster Nachteil zu tiefer Zinsen müssen jede Eingabe und entscheidet über das die Folgen für die Sparer genannt werden. So wird die risiko- weitere Vorgehen. (sp) gerechte Anlage von über 600 Milliarden Franken Pensions- 11 kassengeldern zum Dauerproblem. Der Franken-Kapital- markt ist viel zu klein, um sie alle aufnehmen zu können. Rechnungshof Ganz allgemein wird die Zinsinsel zum grössten Nachteil für unsere Altersvorsorge wie auch für die Ersparnisse der drit- Der 1975 gegründete und 1992 zum euro- ten Säule. Mit der Übernahme des Euro würde sich für unse- päischen Organ erhobene Rechnungshof re Spargelder ein breiter, liquider Kapitalmarkt öffnen, ohne mit Sitz in Luxemburg prüft einerseits die Währungsrisiko und mit höheren Zinsen. Jahresrechnung der Europäischen Union, andererseits in vertieften Analysen be- Die Interviews wurden in der Zeit vom 13. bis 20. Okto- stimmte Tätigkeitsbereiche der EU-Ver- ber schriftlich durchgeführt. waltung; er erstattet dem Rat der Europä- ischen Union sowie dem Europäischen Interviews: Milena Caderas und Julien Chérault Parlament über seine Befunde Bericht. Die (oft sehr kritischen) Berichte sind all- gemein zugänglich und werden im EU- Hugo Bohny Amtsblatt integral veröffentlicht. Jedes Hugo Bohny, 82, war 36 Jahre bei der Guyerzeller Bank AG, Zürich, Mitgliedsland stellt einen Vertreter im tätig, 1977–1988 als Vorsitzender der Geschäftsleitung und 1989– Rechnungshof. (sp) 1998 als Präsident des Verwaltungsrates. Er ist Mitglied der Politi- schen Kommission der Nebs und wohnt in Feldmeilen.
yes EINE bürgernähere eu Von Eva Hirschi, Tink.ch Redaktorin und Teilnehmerin der Challenge 2010 Ein Schritt Richtung partizipative Demokratie: Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die Europäische Bürgerinitia- tive eingeführt, die den Unionsbürgerinnen und -bürgern ermöglichen soll, sich direkt in den europäischen Rechtset-zungsprozess einzubringen. Nun wird die Ausgestaltung dieses Gesetzes de-battiert. «W ir wollen eine Verbindung schaffen zwischen den Entscheidungen der EU und ihren Bürgern», so Alain Lamassoure, Mitglied des Vorstandes der Europäischen «Bei einem Testlauf im November 2006 sind wir zur Erkennt- nis gekommen, dass es einfacher und schneller ist, die Unter- schriften in Papierform zu sammeln», berichtete er. Sende man Volkspartei. Die Rede ist von der Europäischen Bürgerinitia- lediglich eine E-Mail mit dem entsprechenden Link zur Initia- tive, die mit dem Vertrag von Lissabon eingeführt wurde. Mit tive, würden die meisten Menschen gar nicht reagieren. Anders der Initiative können eine Million Unionsbürgerinnen und sei die Situation aber, wenn man ihnen Papier und Stift gleich Unionsbürger die EU-Kommission dazu auffordern, Vor- unter die Nase halte. schläge zu Themen zu unterbreiten, die ihrer Meinung nach Marco Contiero von Greenpeace befürwortete hingegen die einen Rechtsakt der EU benötigen. Nach Prüfung der Initia Online-Unterschriftensammlung: es sei viel weniger aufwen- tive kann die Europäische Kommission mit einem Gesetzes- dig, elektronische Unterschriften zu prüfen. «Mit richtigen vorschlag reagieren, ist jedoch nicht dazu verpflichtet. Vorkehrungen kann man auch die Sicherheit der Daten ge- währleisten», so Contiero zur Frage, wie sich Effizienz und Für die Rechte der Bürger Datenschutz bei der Unterschriftensammlung gegenüberstehen. Am 1. Dezember dieses Jahres tritt die entsprechende Ver- ordnung dazu in Kraft. Erstmals wird die Bevölkerung der Eu- Barrieren politischer Art ropäischen Union direkt in den europäischen Rechtsetzungs- Zur Sprache kamen unter anderem noch das Mindestalter prozess mit eingebunden. Bevor dieses Gesetz jedoch umgesetzt für das Unterzeichnen einer Initiative sowie die Mindestan- werden kann, müssen das Europäische Parlament sowie der zahl der Stimmen aus den beteiligten Staaten oder die Über- Ministerrat zunächst generelle Bestimmungen und Verfahren prüfungsverfahren der Unterschriften. festlegen. Aus diesem Grund fand im September in Brüssel ein Die gesamte Vorlage sei im Moment noch zu wenig trans- Hearing statt, an welchem Politiker und Vertreter verschiede- parent, drückte Lamassoure die allgemeine Meinung aus. ner Organisationen zu diesem Thema Stellung bezogen. Nun gehe es darum, «die politischen Barrieren zu zerstö- «Wir wollen zuverlässige und einfache Instrumente, um die ren» – die einzigen Barrieren, die noch zwischen den EU-Mit- Rechte der Bürger zu optimieren», sagte Maroš Šefčovič, Vi- gliedstaaten bestünden. 12 zepräsident der Europäischen Kommission. Conny Reuter, Der Entwurf der Verordnung, die die EU-Kommission Generalsekretär des europäischen Netzwerks von Nichtregie- Ende März 2010 vorgelegt hat, muss noch vom Europäischen rungsorganisationen (Solidar) ergänzte, dass deshalb Parteien Parlament und vom Ministerrat beschlossen werden. Am keine Initiativen ergreifen können. «Hier geht es ganz klar um 1.12.2010 soll die Verordnung in Kraft treten. die Bürger», sagte er. Olivier Hoedemann von Corporate Europe Observatory befürchtete allerdings die Bildung einer : Diese Artikel enstand in Zusammenarbeit mit Tink.ch Subindustrie mit Interessengruppen und Lobbying. Effizienz vs. Datenschutz Challenge Europe 2010 Heftige Diskussion gab es vor allem darüber, wie für Initia- Die Young European Swiss (yes) organisierte die bereits sechste tiven Unterschriften ge-sammelt und geprüft werden sollten. Ausgabe des erfolgreichen Projekts «Challenge Europe» im Alexander Alvaro, innenpolitischer Sprecher der ALDE-Frak- August und September dieses Jahres. Europa herausfordern war tion (Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa) im denn auch das Ziel der 24 jungen Politinteressierten aus der gan- Europäi-schen Parlament, sprach die Probleme der Sicherheit zen Schweiz. Zur Vorbereitung trafen sich die Teilnehmer zuerst in bezüglich Unterschriftensammeln im Internet an. «Heutzutage regionalen, später in einem gemeinsamen nationalen Seminar. Um ist es kein Problem mehr, ein zweites E-Mail-Konto zu eröff- die EU-Politik jedoch auch hautnah miterleben zu können, reisten nen, um zweimal unterschreiben zu können.» Gleichzeitig sehe sie im September für eine Woche nach Brüssel. Höhepunkt bildete er aber ein, dass eine Unterschriftensammlung mit Papier und der Besuch beim Hearing zur Europäischen Bürgerinitiative im Stift zu viel Material verbrauche. Europäischen Parlament. Auch in der Schweizer Mission wurde Wolfgang Kowalsky von der European Trade Union Confe- von und mit interessanten Gastrednern über die EU informiert und deration konnte auf praktische Erfahrungen zurückgreifen. diskutiert. (sr)
international In der EU wird Vielfalt grossgeschrieben Von Julien Chérault, stv. Generalsekretär Die Europäische Union, die oft als das Europa des Marktes wahrgenommen wird, gründet hingegen auf Werten wie die Achtung der Menschenwürde, der Freiheit, der Demokratie, des Rechtsstaates und der Menschenrechte. Diese Werte werden von allen Mitgliedstaaten geteilt. Ausserdem zeichnen sich die Gesellschaften der Mitgliedstaaten aus durch Pluralismus, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und Nichtdiskriminierung, unabdingbare Voraussetzun- gen für eine Mitgliedschaft. Dabei gilt es auch, diese Werte in der täglichen Praxis zu respektieren, nicht zuletzt hinsichtlich der Diskriminierung der homosexuellen Paare. F rédéric Minvielle, französischer Staatsbürger, heiratete seinen Partner, niederländischer Staatsbürger, weil diese die Grundrechte der homo sexuellen Paare in der EU missachteten. Zu den Grundrechten gehören Nicht- Transsexuelle), fügt bei: «Wir sprechen von Beziehungen, die vielleicht den per- sönlichsten und privatesten Aspekt im im Dezember 2003. Ein ganz normaler diskriminierung, Personenfreizügigkeit Leben eines Menschen darstellen. Die Vorgang, da ein niederländisches Ge- und gegenseitige Anerkennung von europäischen Grundrechte müssen für setz die Heirat von Personen gleichen Eheschliessungen. Unter den heutigen alle gelten. Es geht nicht darum, das Geschlechts seit 2001 erlaubt. Im End- Verhältnissen verlieren verheiratete Eherecht in den Mitgliedstaaten zu än- effekt ging Minvielle indessen durch oder in einer anderen offiziellen Part- dern, sondern die Personenfreizügigkeit diesen Vertrag faktisch seiner franzö nerschaft lebende homosexuelle Paare in der EU zu garantieren.» Die Mitglie- sischen Staatsbürgerschaft verlustig. oft ihre elterlichen, fiskalischen und der des Europäischen Parlaments ver- Gemäss einer Konvention zwischen den konsularischen Rechte, sobald sie ihren langen nun von der Kommissarin, ihr beiden Staaten aus dem Jahr 1985 ist Wohnsitz innerhalb der EU wechseln. Engagement in diesem Dossier zu be- die doppelte Staatsbürgerschaft nur im Die EU-Kommissarin gab den pro- kräftigen und warten auf die Aktualisie- Falle einer Heirat und des ausdrückli- testierenden Abgeordneten recht und rung des Berichts der Grundrechteagen- chen Willens zur Beibehaltung der hielt Folgendes fest: «Wenn Sie in einer tur zur Homophobie, der im Januar Staatsbürgerschaft möglich. Dieses Pro- als legal anerkannten ehelichen Verbin- 2011 erscheinen soll. blem offenbart die gegenwärtige Ver- dung in einem Land A wohnen, haben Es bleibt zu hoffen, dass homo wirrung in Europa hinsichtlich der Sie und Ihr Partner das Recht, diesen sexuelle und heterosexuelle Paare bald Anerkennung von Eheschliessungen Status in einem Land B zu behalten. An- in den Genuss derselben Rechte wie alle zwischen gleichgeschlechtlichen Perso- dernfalls handelt es sich um eine Verlet- anderen Menschen kommen werden, 13 nen (oder jeder anderen eingetragenen zung des Gemeinschaftsrechts.» Nichts nämlich jener der Personenfreizügig- bzw. standesamtlichen Partnerschaft) als schöne Worte, die in den Korridoren keit, Eckstein der europäischen Eini- und ihrer damit verbundenen Rechte. des Brüsseler Parlaments verhallen wer- gung und mithin der Verbrüderung der Obschon die Genannten in den Nieder- den, denken Sie wahrscheinlich. Nichts Völker. landen offiziell verheiratet sind, wurde dergleichen, denn die Kommissarin liess in Frankreich der Erwerb der Staatsbür- verlauten, dass sie sich gegenwärtig mit gerschaft durch Heirat nicht anerkannt dem Problem im Rahmen bilateraler und als Verzicht auf die französische Kontakte beschäftige und dass sie die Hinweis Staatsbürgerschaft betrachtet. (Infolge nationalen Regierungen auffordere, das Die Verhältnisse innerhalb der EU sind des Aufschreis in den Medien hat der Gemeinschaftsrecht zu respektieren. Sie gegenwärtig folgende: Belgien, die Nie- Franzose seine doppelte Staatsbürger- fügte ausserdem bei: «Wann das statt- derlande, Portugal, Spanien und Schwe- schaft inzwischen wieder erlangt.) finden soll? Jetzt, nicht erst in fünf oder den erlauben homosexuellen Paaren die Am 8. September hat sich in der Tat zehn Jahren! (…) Wenn die Regierun- Eheschliessung. Österreich, die Tschechi- eine kleine Revolution ereignet. Eine gen das nicht begreifen wollen, werden sche Republik, Dänemark, Finnland, Gruppe von EU-Abgeordneten machte wir radikalere Massnahmen treffen Frankreich, Deutschland, Ungarn, Irland, die EU-Kommissarin für Justiz, Grund- müssen.» Luxemburg, Slowenien und das Vereinigte rechte und Bürgerschaft, Viviane Re- Der Euroabgeordnete Michael Cash- Königsreich (wie auch die Schweiz) erlau- ding, auf die Diskriminierung und man (SPE, Brite), Kopräsident der De ben die eingetragene Partnerschaft Nichteinhaltung der Verträge durch ge- legation für die Rechte der LGBT homosexueller Paare. wisse Mitgliedstaaten aufmerksam, (Lesbierinnen, Gays, Bisexuelle und
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