Der orale Biofilm - neue Perspektiven zu einem alten Thema?
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658 WISSENSCHAFT / RESEARCH Übersicht / Review D. Wolff1, A. Kensche2, S. Rupf3, M. Hannig3, C. Hannig2 Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema? The oral biofilm – new views on an old topic? D. Wolff Einleitung: Der kariespathogene Biofilm ist Gegen- Introduction: There are many studies on the cariogenic stand umfassender Studien mit modernen biowissen- biofilm based on modern methods common in life sciences. schaftlichen Techniken. Material and Methodes: This includes molecular biologi- Material und Methode: Dazu zählen molekularbiologi- cal techniques for the characterization of the microbiome sche Verfahren zur Identifizierung des Mikrobioms ebenso and metabolome of the biofilm as well as investigations on wie Untersuchungen zum Metabolom und zur Funktion, function, composition and ultrastructure of the extracellular Komposition und Ultrastruktur der extrazellulären Matrix. matrix. Prinzipiell können mit den teilweise sehr aufwendigen Me- Results: In principal, these elaborated methods offer broad thoden umfassende Informationen und Daten generiert wer- information and data. However, for a gain in knowledge on den. patho-mechanisms of caries initiation and progression, it is Ergebnisse: Für einen tatsächlichen Erkenntnisgewinn zu necessary to evaluate the data statistically in an adequate den Pathomechanismen von Kariesinitiation und Kariespro- manner and to combine the information from the different gression ist es jedoch erforderlich, die Daten adäquat statis- methods using an integrated scientific approach. Thereby, tisch aufzubereiten und die Ergebnisse der verschiedenen new strategies can be developed for the early diagnosis of Methoden vernetzt zu interpretieren. Auf diese Weise kön- individuals with a risk for developing caries. Furthermore, nen neue Strategien zur Früherkennung kariesgefährdeter In- novel approaches for preventive dentistry and for biofilm dividuen aber auch neue Ansätze für die Kariesprävention management can be established. und für das Biofilmmanagement entwickelt werden. Conclusion: Recent developments confirm the relevance of Schlussfolgerung: Die aktuellen Entwicklungen belegen life science basic research in dentistry. The present review die Relevanz von biowissenschaftlicher Grundlagenforschung aims to give an overview on recent studies and methodical in der Zahnmedizin zu den Hintergründen der häufigsten In- approaches. fektionskrankheit – der Karies. Der vorliegende Übersichts- artikel gibt einen Überblick über aktuelle Studien und me- Keywords: biofilm; caries; oral microbiome, microbial diversity thodische Ansätze. (Dtsch Zahnärztl Z 2014; 69: 658–673) Schlüsselwörter: Biofilm; Karies; orales Mikrobiom; mikrobielle Diversität. 1 Poliklinik für Zahnerhaltungskunde, Universitätsklinikum Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg 2 Poliklinik für Zahnerhaltung mit Bereich Kinderzahnheilkunde, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden, Fetscherstraße 74, 01307 Dresden 3 Klinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Präventive Zahnheilkunde, Universitätsklinikum des Saarlandes, Geb. 73, 66421 Homburg/Saar Peer-reviewed article: eingereicht: 06.10.2014, Fassung akzeptiert: 13.10.2014 DOI 10.3238/dzz.2014.0658–0673 ■ © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11)
D. Wolff et al.: Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema? The oral biofilm – new views on an old topic? 659 Einleitung naus zeigen Biofilme entsprechend der globuline (sIgA), Histatine oder Aggluti- besonderen Merkmale des besiedelten nine (Streptokokken-agglutinierendes Definition und Bedeutung von Lebensraumes (Temperatur, Sauerstoff, MUC-5B und MUC-7) [34, 43, 126]. Sul- Biofilmen Abscherkräfte) charakteristische struk- kusfluid, welches als Transsudat aus dem turelle Anpassungsmechanismen [39]. Blutplasma der Kapillaren entsteht, ist Die Aggregation von Mikroorganismen Dies hat erhebliche Konsequenzen für besonders reich an Albumin und Im- zu komplexen symbiotischen Gemein- die Medizin und Zahnmedizin, aber munglobulinen (IgA, IgG und IgM) [18]. schaften in Form der Biofilme gilt allge- auch die Werkstoff- und Ingenieurwis- Obgleich die gesamte Mundhöhle durch mein als die erfolgreichste mikrobielle senschaften [48]. So ist beispielsweise den Speichel benetzt wird, erfordert die (Über-)Lebensform [22, 33]. Der Begriff die Oberflächenmodifikation verschie- mikrobielle Adhärenz entsprechend der „Biofilm“ bezeichnet das an Oberflä- dener medizinisch relevanter Implan- Lokalisation spezifische Rezeptoren und chen bzw. an Grenzflächen auftretende tatmaterialien nach wie vor Schwer- komplementäre bakterielle Adhäsine Vorkommen adhärenter mikrobieller punkt zahlreicher kostenintensiver Stu- [80]. Die Biofilmbildung in der Mund- Populationen, eingebettet in eine extra- dien [34, 111]. höhle findet sowohl auf den epithelia- zelluläre polymere Matrix [22]. Diese len Oberflächen der Weichgewebe wird zu großen Teilen von den Mikro- Das Biotop Mundhöhle (Wangen, Zunge, Gaumen, Mund- organismen selbst synthetisiert und be- boden, Lippen und Gingiva), als auch steht aus Polysacchariden, Proteinen, In der Mundhöhle gewonnene Erkennt- auf den in der Mundhöhle exponierten Glycolipiden sowie bakterieller DNA. nisse zur Biofilmbildung sind für das ge- Festkörperoberflächen statt [48, 128]. Die individuelle Zusammensetzung der nerelle Verständnis des omnipräsenten Im Rahmen der physiologischen Rege- Biofilmmatrix variiert entsprechend der Phänomens der Bioadhäsion besonders neration der Mukosa werden oberfläch- vorhandenen Mikroorganismen und wertvoll [48]. Die Mundhöhle stellt ein liche Zellen regelmäßig abgestoßen, was Umweltbedingungen, ist jedoch essen- gut zugängliches Biotop dar, in dem die die dauerhafte Adhäsion von Mikro- zielle Voraussetzung für die Bildung ei- physiologischen und pathologischen organismen erschwert (soft-shedding- ner dynamischen, dreidimensionalen Prozesse und Mechanismen der Biofilm- surface) [80, 136]. Jedoch gewähren die Biofilmstruktur [33]. Die Bildung der ex- bildung unter Realbedingungen in situ papillären Strukturen der Zunge, die in- trazellulären Matrix ermöglicht den Mi- untersucht werden können [48]. Denta- terdentale Papille oder auch der gingiva- kroorganismen sowohl die feste Adhäsi- le Plaque ist ein dynamischer und äu- le Sulkus adhärenten Bakterien Schutz on an Oberflächen als auch die intermi- ßerst komplexer Biofilm im Sinne eines vor mechanischer Elimination. krobielle Kohäsion als Grundlage der mikrobiellen Ökosystems [110]. Zahlrei- Demgegenüber ist es ein Charakte- Bildung synergistischer Mikrokolonien che Studien belegen die dynamische Va- ristikum der Zahnoberfläche, dass sie als [33]. Bakterien im Biofilm weisen phä- riabilität der mikrobiellen Besiedelung non-shedding-surface kein physiologi- notypische Charakteristika auf, die sich der Mundhöhle [136]. Diese wird zum sches Abschilferungs- oder Regenerati- von denen der planktonischen Lebens- einen durch verschiedene postnatale onspotenzial aufweist [48]. Die intra- form deutlich unterscheiden [31]. Ver- Entwicklungsstadien (Dentitionen, oral wirksamen Scherkräfte, die masti- glichen mit ihrer planktonischen Le- Zahnverlust) aber auch zahnärztliche katorische Funktion, der Weichgewebs- bensform profitieren die Mikroorganis- Maßnahmen (restaurative und protheti- druck, Nahrungskomponenten, die Zu- men im immobilisierten Zustand des sche Therapie), zum anderen durch sammensetzung von Speichel- und Sul- Biofilms von einer erhöhten Retention wirtsspezifische Faktoren wie Alter, Er- kusfluid sowie Mundhygienemaßnah- metabolisch relevanter Komponenten nährung und Immunität beeinflusst men nehmen Einfluss auf die inter- und wie Enzymen und Nährstoffen im Bio- [21]. intraindividuelle Biofilmbildung an der film, was ihnen eine erhöhte Flexibilität Darüber hinaus existieren in der Zahnoberfläche. Aufgrund der differie- im Hinblick auf das oftmals stark variie- Mundhöhle, aufgrund ihrer anato- renden mechanischen und chemischen rende Substratangebot verleiht [131]. mischen Heterogenität, verschiedene Milieubedingungen resultieren Unter- Darüber hinaus haben diverse Studien Habitate [15, 64, 92, 136]. Diese sind schiede in der supra- und subgingivalen gezeigt, dass die Organisation prokary- charakteristischen physiko-chemischen Biofilmbildung [15, 17, 64]. Auch die ontischer Zellen in Biofilmen ihre Wi- Einflussfaktoren ausgesetzt, und ihre supragingivale Biofilmbildung unter- derstandsfähigkeit gegenüber pH-Wert- mikrobielle Besiedelung variiert nach- liegt innerhalb der Mundhöhle aus- Schwankungen, antibakteriellen Agen- weislich [136]. Das feuchte Milieu der geprägten topischen Unterschieden zien (Antibiotika, Desinfizentien) und Mundhöhle wird durch die kontinuierli- [54]. mechanischen Abscherkräften erhöht che Sekretion von Speichel, Sulkusfluid Liegen gesunde Verhältnisse vor, so [39, 133]. Da Bakterien an allen Grenz- und mukosalem Transsudat aufrecht- herrscht eine Balance zwischen dem flächen adhärieren können, sofern Was- erhalten. Für die bakterielle Kolonisati- Wirt und den Mikroorganismen des ora- ser und Nährstoffe vorhanden sind, ist on wesentliche Komponenten des Ge- len Biofilms. Die in der Mundhöhle vor- die Biofilmbildung ubiquitär. Geneti- samtspeichels sind prolinreiche Protei- kommenden Kommensalen (residente sche Regulations- und Selektionsmecha- ne, Phosphoproteine, Agglutinine, Mikroflora) sind als eine Form der kör- nismen ermöglichen prokaryontischen α-Amylase oder auch Muzine [43, 56]. pereigenen Abwehr anzusehen. Eindrin- Zellen eine bemerkenswerte Adaptati- Daneben enthält der Speichel diverse genden Mikroorganismen wird der Zu- onsfähigkeit in Abhängigkeit von den antibakterielle Komponenten wie Lyso- gang zum menschlichen Organismus Umweltbedingungen [19]. Darüber hi- zym, Peroxidase, Laktoferrin, Immun- durch den bestehenden oralen Biofilm © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11) ■
D. Wolff et al.: Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema? 660 The oral biofilm – new views on an old topic? werterweise unterliegen die charakteris- tischen Sub-Mikrobiome in einer Nische dabei einer deutlichen Selektion. Bei- spielsweise können von den über 700 verschiedenen Arten von Mikroorganis- men in der Mundhöhle nur etwas weni- ger als 30 im Gastrointestinaltrakt nach- gewiesen werden, obwohl täglich große Mengen über den verschluckten Spei- chel und den Speisebolus in den Magen- Darm-Trakt transportiert werden [81]. Über das humane Mikrobiom ist noch vergleichsweise wenig bekannt. Im Jahr 2007 wurde deswegen das soge- nannte Human Microbiome Project (http://hmpdacc.org/) ins Leben geru- fen. Ziel des Projektes ist die Bereitstel- Abbildung 1 Stadien der Plaquereifung von der initialen Besiedelung bis hin zur kariogenen lung einer öffentlich zugänglichen Da- Plaque (modifiziert nach [121]), MS = Mutans Streptokokken. tenbank, die spezielle Gensequenzen Figure 1 Stages of oral biofilm formation from initial bacterial colonization up to cariogenic von Mikroorganismen (16S rRNA) zur plaque (modified according to [121]), MS = mutans streptococci. Verfügung stellt. Wissenschaftler kön- nen Informationen eingeben und abru- fen und ihre eigenen Daten mit Refe- renzdaten vergleichen [38]. Bisherige verwehrt. Die Balance zwischen oralem rem Körper leben, wird als Humanes Mi- Analysen humaner Mikrobiome zeig- Biofilm und Wirt kann jedoch aus dem krobiom bezeichnet. Da wir scheinbar ten, dass es beträchtliche intra- und in- Gleichgewicht geraten. Veränderte ex- als Wirt für einen „mikrobiellen Orga- terindividuelle Unterschiede gibt [59]. trinsische oder intrinsische Faktoren nismus“ dienen, könnte man von uns Daher sucht man nach charakteristi- können zur Störung der mikrobiellen Menschen auch als „Superorganismen“ schen bakteriellen Mustern für be- Homöostase führen [81, 84]. Zum Bei- sprechen [10]. stimmte Habitate. Im Darm konnten spiel können die hochfrequente Zufuhr Interessanterweise ist das humane beispielsweise schon sogenannte Ente- von Zucker oder Nikotin, das Unterlas- Mikrobiom dabei nicht nur ein passiver rotypen (spezifische Typen des Darm- sen von Mundhygienemaßnahmen oder Begleiter des menschlichen Organismus. Mikrobioms) beschrieben werden [8]. ein ungenügendes Speichelangebot, aber Studienergebnisse des letzten Jahrzehnts Die verschiedenen Enterotypen sind auch Veränderungen der körpereigenen haben eindrucksvoll gezeigt, dass das wiederum mit der Zusammensetzung Immunabwehr Störungen der mikrobiel- humane Mikrobiom direkt und indirekt der Nahrung und dem Vorkommen von len Homöostase verursachen. Sowohl Einfluss auf wichtige physiologische Pro- Adipositas, entzündlichen Darmerkran- die Entstehung von Karies als auch von zesse, wie die Verdauung und den Stoff- kungen und Morbus Crohn assoziiert [8, Parodontopathien und Schleimhaut- wechsel, nimmt [8, 10, 137]. Die Ent- 107, 132]. Bei den Enterotypen der erkrankungen ist mit der Präsenz eines wicklung des Immunsystems wird eben- Darmflora wurden vergleichsweise ge- pathogenen Biofilms assoziiert [16, 23, falls vom Mikrobiom beeinflusst [8, 10, ringe Schwankungen beobachtet, bei 56, 113]. Umfangreicher mikrobiologi- 137]. Auch hier gilt, dass beim gesunden der Zusammensetzung der supragingi- scher und klinischer Forschung ist es zu Menschen das humane Mikrobiom und valen Plaque hingegen sah man aber ei- verdanken, dass unser Wissen zur Entste- der menschliche Körper harmonisch ko- ne sehr große Streubreite und Variabili- hung und möglichen Modifikation pa- existieren. Es entstehen jedoch Erkran- tät [30]. thogener Biofilme in der Mundhöhle kungen, wenn sich das Mikrobiom ver- Die Human Oral Microbiome Data- weiter präzisiert werden konnte. Ein um- ändert, dadurch virulent und pathogen base (http://www.homd.org) wurde im fassender Überblick des derzeitigen wird oder an Stellen vordringt, an denen Jahr 2008 von Wissenschaftlern des For- Kenntnisstandes mit besonderer Berück- es nicht vorgesehen ist [81]. syth Institute in Boston und des King’s sichtigung des kariogenen Biofilms ist Mit der Geburt beginnt die mikro- College in London ins Leben gerufen. Inhalt der vorliegenden Arbeit. bielle Besiedelung des menschlichen Diese Datenbank sammelt alle bekann- Körpers. Mikroorganismen aus der Um- ten genomischen Sequenzen, sowie ta- welt und von Kontaktpersonen koloni- xonomische, phänotypische, phyloge- Das menschliche Mikrobiom sieren die verschiedenen äußeren und netische, klinische und bibliografische inneren Oberflächen des Körpers, wobei Informationen oraler Spezies. Die Da- Der menschliche Organismus enthält aufgrund der spezifischen lokalen biolo- tenbank soll alle Informationen zum zehnmal mehr Bakterien als eigene Kör- gischen Gegebenheiten (biotische und oralen Mikrobiom zusammenführen perzellen (1014 Bakterienzellen, 1013 abiotische Faktoren) immer nur eine be- und die Erforschung der Rolle des oralen Körperzellen, [84]). Die Gesamtheit der stimmte Teilmenge des Mikrobioms in Mikrobioms für die Gesundheit und bei Mikroorganismen, die auf und in unse- einer Nische zu finden ist. Bemerkens- Erkrankungen fördern. ■ © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11)
D. Wolff et al.: Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema? The oral biofilm – new views on an old topic? 661 Aktuell konnte nachgewiesen wer- den, dass α-Amylase aus dem Speichel über spezifische Proteine an der bakte- riellen Zelloberfläche zahlreicher Strep- tokokkenspezies (u.a. S. gordonii, S. mitis, S. cristatus, S. parasanguis) immobilisiert werden kann. Streptokokken mit dieser Eigenschaft werden als α-Amylase bin- dende Streptokokken (ABS) bezeichnet [94]. ABS werden interessanterweise nur in den Tierspezies gefunden, die über den Speichel α-Amylase sezernieren [94]. Die Fähigkeit einzelner Streptokkenspe- zies, humane Speichelamylase an der Zelloberfläche zu immobilisieren, kann als eine hoch effektive evolutionäre Adaptation der Bakterien an den menschlichen Wirt angesehen werden. ABS profitieren von der an der Zellober- Abbildung 2 Synergistische und antagonistische Effekte ausgewählter Spezies im oralen Bio- fläche immobilisierten Amylaseaktivität film (modifiziert nach [69, 70, 72, 81]). insofern, als dass hochmolekulare Koh- Figure 2 Synergistic and antagonistic effects of selected species in the oral biofilm (modified lenhydrate aus der menschlichen Ernäh- according to [69, 70, 72, 81]). rung nun hydrolysiert, dem bakteriellen Stoffwechsel zugeführt und zur Energie- gewinnung genutzt werden können. Ein ähnlich opportunistisches Ver- Zusammensetzung und Diver- unlöslichen extrazellulären Polysaccha- halten, wie es bei Non-Mutans Strepto- sität des oralen Mikrobioms riden (Glucan, Mutan und Fructan) ini- kokken beobachtet wird, ist auch für tiieren [16]. Zudem können sie bei ei- Lactobazillen beschrieben worden. Im Die orale Mikroflora weist eine hohe Di- nem Überangebot an Kohlenhydraten Rahmen der frühen Biofilmbildung wer- versität auf. Zu ihr gehören neben Bakte- intrazelluläre Polysaccharide syntheti- den Lactobazillen eher mit gesunden rien auch Viren, Mykoplasmen und He- sieren und nutzen diese als Kohlenhy- Verhältnissen assoziiert. Man weist bei fen. Die Mundhöhle bietet dabei Ni- dratspeicher. Als wichtigste Pathogeni- einigen Spezies sogar positive Interfe- schen mit unterschiedlichem Nah- tätsfaktoren sind Lactatproduktion (azi- renzeffekte nach, wie beispielsweise die rungs- und Sauerstoffangebot und vari- dogen) und hohe Säureresistenz (azidu- Produktion von H2O2 oder Bakteriozi- ierenden pH-Werten, in denen sich dif- risch) anzusehen. Zudem wurde nach- nen. Kommt es jedoch zu einem Abfall ferenzielle Subgruppierungen herausbil- gewiesen, dass Mutans Streptokokken des pH-Wertes, dann profitieren einige den [81, 84, 85]. über extrazelluläre Signalmoleküle mit- Lactobacillus Spezies von dem sauren Wegweisende Forschungsarbeiten einander kommunizieren und sich da- Milieu, stellen ihren Metabolismus um von Dr. Paster und Dr. Dewhirst (beide durch an verändernde Bedingungen im und tragen selbst deutlich zur Säurepro- Forsyth Institute) zeigten, dass die Biofilm sehr gut anpassen können. duktion bei [115, 140]. Mundhöhle von einer bemerkenswer- Eine weitere interessante Strepto- ten Vielfalt und Vielzahl von bakteriel- kokken-Gruppe sind die Non-Mutans len Spezies besiedelt ist (> 700 verschie- Streptokokken. Zu ihnen gehören u.a. Plaquehypothesen – oder wie dene Spezies)[138]. Davon ist mindes- Streptococcus mitis, Streptococcus sangui- erklärt man den Zusammen- tens die Hälfte nicht über Kulturmetho- nis und Streptococcus intermedius [112]. hang zwischen oralen Biofil- den extraoral nachweisbar [2, 101, Einige Untersuchungen stufen die Non- men und Erkrankung? 102]. Mutans Streptokokken als assoziiert mit Neuere Studien zeigen, dass Strepto- oraler Gesundheit ein [20]. Andere ha- In der Vergangenheit wurde postuliert, kokken einen großen Anteil der oralen ben eine erhebliche Rolle dieser Bakte- dass die alleinige Ansammlung großer Mikroflora darstellen [105, 139]. Sie wa- rien bei der Kariesinitiation und Karies- Mengen von Mikroorganismen als Bio- ren und sind eine umfangreich unter- progression aufgezeigt [11]. Schließlich film in der Mundhöhle eine Entzün- suchte Bakteriengruppe, da vor allem wurde beschrieben, dass Non-Mutans dung oder Erkrankung hervorrufen wür- Mutans Streptokokken lange Zeit als so- Streptokokken im Sinne opportunisti- de, man sprach hier von der sogenann- genannte Leitkeime der Kariogenese gal- scher Pathogene azidogene und aziduri- ten unspezifischen Plaquehypothese ten. Die wichtigsten Vertreter der Mu- sche Subpopulationen ausbilden kön- [114, 124]. Diese Annahme musste je- tans Streptokokken sind Streptococcus nen. Diese sind aktiv in den Kariespro- doch teilweise revidiert werden, als man mutans und Streptococcus sobrinus. Sie zess involviert und werden als soge- in späteren mikrobiologischen Experi- sind als kariespathogen einzustufen, nannte low-pH Non-Mutans Strepto- menten bestimmte Keime in stark er- weil sie die Bildung von löslichen und kokken bezeichnet [120]. höhter Anzahl bei Erkrankungen wie © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11) ■
D. Wolff et al.: Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema? 662 The oral biofilm – new views on an old topic? subs.p animalis), Porphyromonas gingiva- lis oder auch unkultivierte orale Bergeyel- la spp. [41], sowie Rheumatoide Arthritis und Porphyromonas gingivalis aufgezeigt [41]. Entzündliche Darmerkrankungen werden durch Fusobacterium nucleatum und Campylobacter concisus (Enteric inva- sive) initiiert bzw. begünstigt. Gehirn-, Lungen, Leber- und Nierenabszesse so- wie entzündliche Appendizitis stehen im Zusammenhang mit Fusobacteria spp. [41]. Aufgrund der nachweisbaren syste- mischen Auswirkungen kommensaler Mikroorganismen, welche oral als Op- portunisten, jenseits der Mundhöhle je- doch als Pathogene auftreten, spricht Abbildung 3 Biofilmbildung (adaptiert nach [68]), Kolonisierung der Pellikel-bedeckten man heute auch vom „Mobilen Oralen Schmelzoberfläche durch Pionier-Spezies; Immobilisation von Glycosyltransferasen und weiter- Mikrobiom“ [41]. Die adäquate Thera- führende Kolonisierung mit S. mutans; es kommt zur Glucanbildung (EPS); eine EPS- pie oraler Biofilme gewinnt vor diesem reiche Matrix und EPS-Mikrokolonien werden ausgebildet; Mikrokolonien im fluoreszenzmikros- Hintergrund noch mehr an Bedeutung, kopischen Bild einer Schmelzprobe nach 8 h oraler Exposition, Vitalfärbung (BacLightBacterial nämlich nicht nur zur Gesunderhaltung Viability Kit). der Mundhöhle, sondern auch zur Mini- Figure 3 Biofilm formation (adapted according to [68]), bacterial adherence to the pellicle mierung der systemischen Wirkungen coated enamel surface by pioneer species; immobilization of extracellular glycosyltransferases oraler Bakterien. and further colonization by S. mutans; glucans are synthesized (EPS), a matrix rich in EPS and EPS-microcolonies is formed; fluorescence microscopic image of microcolonies on an enamel sample after 8 h of oral exposure, life-dead staining (BacLightBacterial Viability Kit). Entstehung und Aufbau des oralen Biofilms Die Pellikel – mehr als ein Karies und Parodontitis nachweisen mit zu einer Dysbalance im Biofilm füh- conditioning film? konnte. Auf Basis dieser Erkenntnisse ren. Aus dieser Dysbiose resultiert ein er- wurde die sogenannte spezifische Pla- höhtes Risiko für die Entstehung von Grundlage der Biofilmbildung auf „non- quehypothese formuliert [77, 122]. Die- Biofilm-assoziierten Erkrankungen [84]. shedding“-Oberflächen innerhalb der se leitete sich aus der ursprünglichen Mundhöhle ist die Adsorption spezi- chemoparasitären Theorie von Wil- fischer Speichelkomponenten an der loughby D. Miller ab [88]. Eine dritte Hy- Orale Mikroflora und syste- Grenzfläche zwischen Festkörper und pothese wurde dann von Marsh formu- mische Auswirkungen Mundhöhle [56]. Die darauf basierend liert [82]. Faktoren wie die Ökologie der innerhalb kürzester Zeit gebildete bakte- Mundhöhle und die spezifische bakte- Es gilt als gesichert, dass die Biofilme der rienfreie Schicht aus Proteinen, Glyko- rielle Zusammensetzung des Biofilms Mundhöhle nicht isoliert vom Rest des proteinen, Lipiden und anderen Makro- beeinflussen die Entstehung einer Er- Körpers betrachtet werden können. Der molekülen des Speichels wird als Pellikel krankung. Diese sogenannte ökologi- Übergang von Keimen im Bereich der bezeichnet [24, 56]. Die initiale Bio- sche Plaquehypothese hat bis heute Gingiva und des marginalen Sulkus in adhäsion zwischen Zahnoberfläche und weitgehend Gültigkeit [121]. Gesund- den Blutkreislauf ist möglich. Zusam- Speichelkomponenten wird durch elek- heit ist gleichzusetzen mit mikrobieller menhänge zwischen oralen Pathogenen trostatische, hydrophobe und thermo- Homöostase, d.h. unter physiologi- und systemischen Infektionen und Ent- dynamische Wechselwirkungen be- schen Bedingungen leben der Wirt und zündungen wurden vielfach dokumen- stimmt, später dominieren Protein-Pro- die residente Mikroflora in einer stabi- tiert [40, 41, 60, 91, 100, 137]. Dies be- tein-Interaktionen den Prozess der Pelli- len und harmonischen symbiotischen trifft kardiovaskuläre Erkrankungen und kelbildung [56]. Insbesondere Phospho- Beziehung [84]. Die durch den Wirt vor- Parodontalpathogene, wie Aggregati- proteine wie Statherin und Histatin so- gegebenen Milieubedingungen determi- bacter actinomycetemcomitans, Fusobacte- wie prolinreiche Proteine zeigen eine nieren dabei die Zusammensetzung und rium nucleatum und Porphyromonas gingi- hohe Affinität zu den Phosphat- und Genexpression der residenten Mikroflo- valis, oder Streptococcus mutans (Serotyp Calcium-Ionen der Zahnoberfläche. Da- ra im Biofilm [84]. Veränderungen der k) [41], oder die Initiation infektiöser rüber hinaus wurden auch Amylase, Ly- oralen Milieubedingungen durch extrin- Endokarditis durch Streptokokken, vor sozym, Peroxidase, Glycosyltransfera- sische oder intrinsische Einflussfaktoren allem S. sanguinis, S. gordonii und S. oralis sen, Muzine und Glycoproteine bereits können jedoch zur nachhaltigen Ver- [81]. Weitere Zusammenhänge wurden nach wenigen Minuten bei der Pellikel- änderung der symbiotischen Beziehung für das „Adverse Pregnancy Outcome“ bildung nachgewiesen [43, 56]. In aktu- zwischen Wirt und Mikroflora und da- und Fusobacterium nucleatum (vor allem ellen Untersuchungen zum Proteom der ■ © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11)
D. Wolff et al.: Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema? The oral biofilm – new views on an old topic? 663 Abbildung 4 Auswahl aktueller Methoden in der Biofilmforschung und ihre Hintergründe, modifiziert nach Nyvad et al. [96]; DNA kann aus den Proben extrahiert werden, zur Erfassung der taxonomischen Zusammensetzung wird eine 16S rDNA-Analyse vorgenommen. Andererseits können die Funktionen der codierenden Gen-Sequenzen evaluiert werden. Massenspektrometrische Verfahren werden angewendet, um die vorhandenen Proteine und Metaboliten (Kohlenhydrate, Lipide) zu bestimmen. Wenn metagenomische Verfahren die Untersuchung des gesamten genetischen Repertoires der Bakterien erlauben, so können mit den anderen Verfahren Rückschlüsse zur generellen Aktivität der mikrobiellen Gemeinschaft ge- zogen werden. Die tatsächliche biologische Aktivität kann durch die Messung von Enzymaktivitäten erfasst werden. Trotz der rasanten metho- dischen Entwicklung der vergangenen Jahre sind klassische Kulturverfahren nach wie vor von elementarer Bedeutung ebenso wie elektronenmi- kroskopische und fluoreszenzmikroskopische Verfahren. Figure 4 Recent methods in biofilm research and their background (modified according to [96]); DNA can be extracted from the samples, 16S rDNA-analysis is performed to evaluate the taxonomic composition. Furthermore, the function of the encoding gene sequences can be investi- gated. The proteins and metabolites in the biofilm specimen are analyzed by mass spectrometry techniques (lipids, carbohydrates). If metage- nomic approach allows identification of the whole genetic repertoire of the bacteria, other methods allow insights about the active organisms and functions of the respective bacterial community. The actual biologic activity is determined by the measurement of enzyme activities. Despite the rapid development of the methods in the last years, conventional culture based methods are still of essential relevance as well as fluorescence- microscopy and electron microscopic techniques for visualization of the biofilm. Pellikel konnten bereits nach fünfminü- polymeren des Speichels, was zu einer chen und Mukosa [14]. Des Weiteren tiger intraoraler Bildungszeit der Pellikel fortschreitend globulären und heteroge- werden durch die Adsorption der Bio- bis zu 89 verschiedene Peptide und Pro- nen Schichtbildung der Pellikel führt moleküle und ihrer Aggregate Oberflä- teine identifiziert werden [74]. In trans- [51, 54]. cheneigenschaften wie beispielsweise missionselektronenmikroskopischen Un- Sämtliche physiologischen und pa- Mikrorauheiten und -porositäten mas- tersuchungen manifestiert sich die ini- thophysiologischen Prozesse an der kiert [48, 127]. In verschiedenen aktuel- tiale Pellikel als eine elektronendichte, Zahnoberfläche werden maßgeblich len In-vitro- und In-vivo-Studien wurden homogene 10–20 nm messende basale von der Pellikel beeinflusst [56, 57, 116]. protektive Effekte der Pellikel bei De- Schicht, welche die gesamte Zahnober- Die Benetzung der gesamten Zahnober- und Remineralisationsprozessen nach- fläche lückenlos bedeckt. An dieser Ba- fläche durch einen dünnen Proteinfilm gewiesen [42, 44, 55, 58, 93]. Die retiku- sisschicht adsorbieren nachfolgend reduziert als Lubrikant die Reibungskräf- läre Pellikelstruktur wirkt dabei als semi- komplexe heterotype Proteinaggregate te sowohl zwischen antagonistischen permeable Membran [51, 56]. Diese und mizellartige Strukturen aus Bio- Zahnflächen als auch zwischen Zahnflä- setzt die Diffusion von Protonen herab © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11) ■
D. Wolff et al.: Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema? 664 The oral biofilm – new views on an old topic? Abbildung 5 Darstellung eines 72 h alten Biofilms auf einer maschi- Abbildung 6 Simultane Visualisierung von Bakterien (blau, DAPI), nierten Titan-Oberfläche durch Rasterelektronenmikroskopie (REM). Glucanen (Concanavalin A, grün) und Enzymen (GTF B, rot) zur Unter- Erkennbar sind unterschiedliche Morphotypen wie Kokken, Stäbchen suchung der Interaktionen während der initialen Phase der bakte- und Filamente, die inhomogen angeordnet sind. riellen Kolonisation. Eine Schmelzprobe wurde für 6 h in der Mund- (Abb. 5 u. 7: Dr. A. N. Idlibi) höhle getragen. Figure 5 Visualization of a 72-h-biofilm on a machinated titanium Figure 6 Simultaneous visualization of bacteria (blue, DAPI), glucans surface by SEM. Please note the different morphotypes such as cocci, (Concanavalin A, green) and enzymes (GTF B, red) for investigation of filaments and rods; the bacteria are arranged inhomogenously. interactions during the initial phase of bacterial colonization. An ena- (Fig. 5 and 7: Dr. A. N. Idlibi) mel slab was exposed to the oral fluids for 6 h. und die Dissoziation von Kalzium- und wenigen Minuten lassen sich erste, ran- den Vorteil, über extrazelluläre Glyco- Phosphationen aus dem Zahnschmelz domisiert verteilte adhärente Bakterien sidasen zu verfügen. Diese ermögli- wird reduziert [48, 51, 55]. Diese protek- an der Pellikel nachweisen [56, 83]. Die chen die Gewinnung von Zucker und tive Wirkung ist allerdings limitiert und bakterielle Adhärenz wird irreversibel, Aminozucker aus Glycoproteinen des pH-Wert-abhängig. wenn bakterielle Adhäsine wie Lipo- Speichels [81]. Somit können sie auch Die nachweislich reichhaltige Ad- teichonsäure oder Lektine mit Pellikel- ohne extrinsische Zuckerimpulse gut sorption von Lysozym und Peroxidase komponenten wie Amylase oder Glu- in der Mundhöhle überleben [121]. in der Pellikel ist ein wichtiger primärer kanen interagieren [83]. Auch hydro- Während der Reifung des Biofilms ver- Schutzmechanismus, um die bakterielle phobe Interaktionen werden als modu- mehren sich die Pionier-Spezies, eine Kolonisation zu erschweren. Die anti- lierende Wirkungsmechanismen bei Plaquematrix aus extrazellulären Poly- bakteriellen Enzyme zeigen in immobi- der bakteriellen Kolonisation angese- sacchariden wird gebildet und weitere lisierter Form eine hohe enzymatische hen [66]. Allgemein anerkannt ist zu- Bakterien heften sich an [81]. Die Bak- Aktivität [43, 47, 49]. Basierend auf dem, dass unter den Pellikelkom- terien agieren synergistisch und anta- fluoreszenzmikroskopischen Verfahren ponenten insbesondere die bakteriel- gonistisch und gruppieren sich in einer konnte die Akkumulation dieser pelli- len Glycosyltransferasen B, C und D die ökologisch für sie günstigen Nische. In kelgebundenen Enzyme um initial ad- mikrobielle Kolonisation beeinflussen pathogenen Clustern oder Inseln, wo härierende Bakterien in situ bestätigt [16]. beispielsweise kariespathogene Keime werden [65]. Neben ihren protektiven Nach Anheftung erster Bakterien- überwiegen, kommt es dann zum pH- Eigenschaften ist die Pellikel aber auch zellen an die Pellikel erfolgt die Adhä- Wert-Abfall. Opportunistische Patho- als „conditioning film“ Voraussetzung renz weiterer Bakterien über Rezeptor- gene reagieren auf den Selektionsdruck für die bakterielle Biofilmbildung. gesteuerte Adhäsion und Ko-Adhäsion (pH-Wert Abfall) und unterliegen einer an die bereits adhärenten Bakterienzel- Anpassung an die veränderten Um- Bakterielle Kolonisation len [81]. Initial findet man charakteris- weltbedingungen [68]. Sie zeigen eine tische Pionier-Spezies, dazu zählen ins- gesteigerte Azidogenität und Säuretole- Mikroorganismen werden durch den besondere Streptokokken, wie bei- ranz. Dies wird möglich, weil Zell- Speichel an die pellikelbedeckte Zahn- spielsweise S. sanguinis, S. oralis und wand-Mechanismen, wie etwa eine Er- oberfläche transportiert, wo zunächst S. mitis [95], aber auch Actinomyces höhung der Protonen-Impermeabilität reversible Interaktionen mit Pellikel- (Abb. 1) [29, 75]. Non-Mutans Strepto- der Zellmembranen, oder eine erhöhte komponenten bestehen. Bereits nach kokken und Actinomyces haben hierbei Aktivität der Protonen-translozieren- ■ © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11)
D. Wolff et al.: Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema? The oral biofilm – new views on an old topic? 665 Zusammenleben im oralen Biofilm: Organisation, Zell- Zell-Kommunikation und der Kampf ums Überleben Das Zusammenleben der Vielfalt an Spe- zies im oralen Biofilm ist weitgehend un- erforscht. Es liegen wenige Erkenntnisse über Synergien und Antagonismen vor, und diese sind vor allem für die bislang im Fokus stehenden Vertreter des oralen Biofilms, Streptokokken und Laktobazil- len, beschrieben [70, 115]. Die Vielfalt an Interaktionen, die sich allein zwischen diesen Bakteriengruppen zeigt, lässt erahnen, welch hochkomplexes Ökosys- tem im oralen Biofilm vorliegt (Abb. 2). Für S. sanguinis und S. oligofermentas ist beispielsweise bekannt, dass sie H2O2 produzieren und damit das Wachstum von S. mutans hemmen können [72]. S. sanguinis kann aus Arginin Ammoniak produzieren, S. oligofermentas metaboli- siert Lactat [72]. Somit haben beide die Möglichkeit, einem pH-Wert Abfall in ihrer Umgebung entgegenzuwirken. Die Metabolisierung von Lactat zu Propion- oder Essigsäure ist auch durch Veillonella Spezies möglich [81] (Abb. 2). Abbildung 7 Beispiel für die 3-dimensionale Visualisierung eines Biofilms mit einem konfo- S. gordonii kann über eine Protease kalen Laser-Scanning Fluoreszenzmikroskop (CLSM). Dargestellt ist ein 72 h alter Biofilm auf das Kommunikationssystem von S. mu- mikrostrukturiertem Titan. Die z-Achse verdeutlicht die Dicke des Biofilms. tans stören. Diese degradiert das Kom- Figure 7 Example for 3-dimensional visualization of a biofilm by confocal laser scanning mi- munikationsprotein Competence Sti- croscopy (CLSM). The image depicts a biofilm on micro structured titanium after 72 h. The mulating Peptide (CPS). Dadurch kann z-axis illustrates the thickness of the biofilm. S. gordonii die Virulenz von S. mutans hemmen. S. mutans wiederum pro- duziert ein potentes Bakteriozin, ge- nannt Mutacin, welches zur Bekämp- den ATPasen eingeschaltet werden Biofilms nimmt mit zunehmender Reife fung anderer Bakterien dient [70] (Abb. [109]. Neben der säureinduzierten, ab. Biofilme, die von erkrankten Stellen 2). phänotypischen Anpassung opportu- isoliert werden (sogenannte Climax Für Lactobacilli ist festgestellt wor- nistischer Pathogene gibt es auch eine Communities), zeigen im intraindividu- den, dass sie die Expression mehrerer S. säureinduzierte genotypische Selekti- ellen Vergleich mit gesunden Stellen ei- mutans Gene, welche die Saccharose-ab- on in Richtung azidogener und aziduri- ne deutliche Einengung der Flora (Abb. hängige Glucanbildung kodieren, hem- scher Subspezies [108, 117]. Bei länger 1) [13, 130]. men [72]. Lactobacilli, die von gesunden anhaltendem pH-Wert Abfall wird der Die Bildung des bakteriellen oralen Probanden isoliert wurden, können da- Biofilm von kompetitiveren Keimen Biofilms ist – wie in diesem Abschnitt bei sehr effektiv gegen Mutans Strepto- dominiert. dargestellt – als hochgradig geordneter, kokken vorgehen, wobei als Mechanis- In kariogenen Biofilmen haben älte- sequenzieller Vorgang beschrieben wor- men die Sekretion von Bakteriozinen re Studien einen hohen Anteil an Mu- den [67]. Die bakterielle Biofilmbildung und Metaboliten, wie H2O2, diskutiert tans Streptokokken nachgewiesen (ca. unterliegt allerdings auch ausgeprägten werden [115]. 30 % der Flora) [78]. Neuere Unter- individual-spezifischen Einflüssen [32]. Ein weiterer interessanter Aspekt suchungen weisen darauf hin, dass die Im interindividuellen Vergleich zeigen sind sogenannte suizidale altruistische mikrobielle Diversität auch in kariösen sich im Hinblick auf die Bildungsrate, Mechanismen, die für S. mutans be- Läsionen groß ist und neben Mutans Menge, Zusammensetzung, Diversität schrieben wurden [87]. Über Bakteriozi- Streptokokken azidogene und aziduri- und Vitalität des oralen Biofilms große ne werden nahe verwandte Streptokok- sche Lactobacilli, Bifidobacterium, Propio- Variationen und Unterschiede [9, 27, ken oder auch Subpopulationen kom- nibacterium, low-pH Non-Mutans Strep- 45], sodass der individuell gebildete Bio- petenter Mutans Streptokokken getötet, tokokken und Actinomyces eine wichtige film quasi als „Fingerabdruck” des Wir- um die DNA für die überlebenden Zellen Rolle spielen [3, 130]. Die Diversität des tes anzusehen ist. verfügbar zu machen. Über derartige Re- © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11) ■
D. Wolff et al.: Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema? 666 The oral biofilm – new views on an old topic? Abbildung 8 Der potenzielle Zusammenhang von Kariesrisiko, Biofilm und Wirtsfaktoren (spezifische und unspezifische Immunabwehr) [86]. Figure 8 The potential correlation of caries risk, biofilm and host (specific and unspecific immune defense) [86]. (Abb. 1–4, 6, 8: D. Wolff et al.) gulationsmechanismen kann eine selek- die für das Überleben im Biofilm essen- transfersen aus Saccharose synthetisiert tive Kompetenz einzelner Bakterienspe- ziell sind, über extrazelluläre Signalmo- werden können [16]. Glukane sind zum zies innerhalb des Biofilms erworben leküle gesteuert. Die Intra-Spezies Kom- einen wichtige Strukturkomponenten werden (z.B. Pathogenitätsfaktoren, An- munikation über das Competence Sti- und Nährstoffe des Biofilms, zum ande- tibiotikaresistenz u.a.) [87]. mulating Peptide (CPS) reguliert u.a. die ren agieren sie als wesentliche bakteriel- Bakterien können über chemische Zelldichte, Genregulation, Expression le Rezeptoren. Obgleich auch andere Stoffe im Biofilm kommunizieren. Mit- von Virulenzfaktoren, Bildung von Mi- Bakterien des Biofilms in der Lage sind, hilfe dieser Kommunikation, genannt krokolonien und Ausbildung der Bio- wasserlösliche Glukane zu synthetisie- Quorum Sensing, können sie u.a. die film-Struktur [117]. Aufgrund der ren, gilt die Fähigkeit von S. mutans, ver- Zelldichte der Population messen oder Schlüsselfunktion dieses Kommunikati- schiedene Glycosyltransferasen an der aber bestimmte Gene an- und ausschal- onssystems ist es auch ein mögliches Zelloberfläche zu exprimieren, als sein ten [81]. Der Begriff stammt ursprüng- Ziel für therapeutische Interventionen wesentlicher Virulenzfaktor [16]. Darü- lich aus dem Römischen Reich und be- [119]. ber hinaus können Glycosyltransferasen zeichnete die geringste Anzahl von Mit- an zahlreiche weitere Mikroorganismen gliedern des Senates, die für eine Ab- binden und diese zur Glukan-Synthese stimmung notwendig waren. Er wurde Extrazelluläre polymere Subs- befähigen [36] (Abb. 3). in die Biologie übernommen und be- tanzen des oralen Biofilms Nach derzeitigem Kenntnisstand schreibt heute das koordinierte gemein- können 3 Glycosyltransferasen von- same Agieren von Einzellern mithilfe Die Sekretion einer extrazellulären Poly- einander differenziert werden (Gtf B, C, von Kommunikationsmolekülen. mermatrix ist die essenzielle Grundlage D), die bereits als immobilisierte Pio- Für S. mutans ist das Phänomen des für das Entstehen eines komplexen, niermoleküle der bakteriellen Biofilm- Quorum Sensing sehr gut erforscht mehrschichtigen bakteriellen Biofilms bildung in der Pellikel nachgewiesen [117]. Es gibt ein System der Intra-Spe- [33]. Charakteristische Matrix-Bestand- werden können und dort auch enzyma- zies Kommunikation (Com CDE TCSTS) teile des kariogenen Biofilms sind was- tisch aktiv sind [16, 46]. Gtf D syntheti- und ein System der Inter-Spezies Kom- serlösliche und wasserunlösliche Poly- siert wasserlösliche Glukane, welche als munikation (LuxS System) [117]. Unter sacharide, sog. Glukane, welche primär Nahrungsquelle und möglicher Primer anderem werden verschiedene Gene, von S. mutans assoziierten Glycosyl- für weitere Isoformen im initialen Bio- ■ © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11)
D. Wolff et al.: Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema? The oral biofilm – new views on an old topic? 667 film zur Verfügung stehen. Ultrastruk- ren bevorzugt auf in situ generierten Bio- schiedener Proteine mithilfe der Immu- turelle Untersuchungen haben gezeigt, filmproben (Abb. 4). Mithilfe individu- nofluoreszenz möglich [65, 97, 99]. Da- dass insbesondere Gtf D bereits nach ell hergestellter Tiefziehschienen kön- bei werden in situ gebildete Pellikel- bzw. wenigen Minuten in der Pellikel nach- nen Schmelz-, Dentin- oder Werkstoff- Biofilmproben mit einem spezifischen gewiesen werden kann [46]. Dagegen proben gezielt dem oralen Milieu der primären Antikörper inkubiert. Dieser synthetisiert Gtf C vorrangig und Gtf B Mundhöhle ausgesetzt werden. Dieses bindet an Rezeptoren der entsprechen- ausschließlich wasserunlösliche Gluka- Modell hat sich bereits in zahlreichen den Strukturmoleküle. Anschließend ne, welche für die Kohäsion von Zellen Untersuchungen zu Bioadhäsionspro- wird der primäre Antikörper über einen und Mikrokolonien während des Bio- zessen bewährt [46, 65]. Fluorophor-gekoppelten sekundären An- film-Wachstums essenziell sind [133]. tikörper detektiert. Generell ermöglicht Es ist davon auszugehen, dass die zu- Ultrastrukturelle Untersuchung die große Bandbreite innerhalb des sicht- nehmende strukturelle Vernetzung des Biofilms baren Spektralbereichs die Anwendung durch hydrolysestabile extrazelluläre unterschiedlicher Farbstoffe. Dadurch Matrixbestandteile den pH-Wert inner- Wichtige Informationen zur physiologi- können verschiedene Komponenten si- halb des Biofilms wesentlich moduliert. schen und modifizierten Morphologie multan in einem Präparat dargestellt Zu den Mechanismen werden verschie- der Pellikel und des Biofilms können werden können. Dies gilt auch für den dene Hypothesen formuliert. So wird mithilfe der Transmissions- und Raster- Nachweis von Bakterien im initialen Bio- vermutet, dass neutralisierende ioni- elektronenmikroskopie gewonnen wer- film (Abb. 6) [52]. sche Speichelkomponenten nur be- den (Abb. 5) [54]. Nur mit diesen hoch- DAPI (4’, 6-Diamidino-2-Phenylin- dingt in das Netzwerk der extrazellulä- auflösenden Techniken kann ein grund- dol) ist ein klassischer Fluoreszenzfarb- ren Matrix diffundieren können, wäh- legendes Verständnis der Ultrastruktur stoff für den Nachweis adhärenter Bak- rend apolare Komponenten (Saccharo- und der Mikromorphologie des Biofilms terien in einer Probe [89]. Durch Bin- se) ungehindert in tiefere Biofilm- erzielt werden. Insbesondere die Trans- dung an AT-reiche Regionen der bakte- schichten eindringen können [68]. In- missionselektronenmikroskopie erfor- riellen DNA werden sowohl vitale als vitro-Untersuchungen eines über meh- dert dabei eine sehr aufwendige Proben- auch avitale Bakterien unspezifisch mar- rere Tage generierten mikrobiellen Bio- präparation [53, 54]. Verfahren wie das kiert. Darüber hinaus werden auch hu- films bestätigten die Bildung von Mi- Goldimmunolabeling zur Detektion mane Zellen angefärbt. krozentren niedrigen pH-Wertes (pH ausgewählter Komponenten oder die Eine entscheidende Determinante 4,4–5) in tiefen Schichten [133]. Folg- Fluoreszenzmikroskopie können diese für die antibakterielle Wirksamkeit von lich sind dynamische Verschiebungen Methoden ergänzen [6, 46]. Substanzen ist jedoch auch der Vitali- der lokalen mikrobiellen Populationen tätszustand der Bakterien [25, 121]. Klas- zugunsten säurestabiler und säurebil- Fluoreszenzmikroskopische sische Kulturverfahren können nur kul- dender Mikroorganismen möglich. Dies Verfahren tivierbare, vitale Bakterien erfassen. Bei führt zur Ausdifferenzierung, Vermeh- Weitem nicht alle Bakterien der Mund- rung und Reifung des oralen Biofilms In aktuellen Studien konnten Methoden höhle sind kultivierbar [2]. Um vitale [68] (Abb. 3). etabliert werden, um spezifische Be- von avitalen Bakterien zu unterschei- standteile des in situ gebildeten initialen den, können verschiedene Fluoreszenz- Biofilms fluoreszenzmikroskopisch sicht- farbstoffe kombiniert werden [25]. Es Untersuchungsmethoden des bar zu machen [50, 65]. Es ist ein heraus- sind einige Vitalfärbeverfahren be- oralen Biofilms ragender Vorteil fluoreszenzmikroskopi- kannt, die sich sowohl durch ihre Wirk- scher Verfahren, dass sie häufig an nati- mechanismen als auch ihre Haltbarkeit In-situ-Modell ven Präparaten angewandt werden kön- und Intensität unterscheiden [123]. So nen, ohne den Biofilm von dem Substrat kann die Fluoreszenz vitaler Zellen bei- In-vitro-Untersuchungen des oralen Bio- ablösen und gegebenenfalls beschädigen spielsweise aus der Verstoffwechselung films finden außerhalb des lebenden Or- zu müssen. Voraussetzung ist dabei die eines Farbstoffes (Fluorescin-Diacetat) ganismus statt. Vorteil dieser Verfahren Adaptation adäquater Färbeprotokolle, entstehen [103]. Andere Färbemecha- ist, dass Biofilme unter standardisierten um eine möglichst spezifische Detektion nismen beruhen auf der Markierung Bedingungen kultiviert und in Abhän- der Molekülaggregate zu gewährleisten. von DNA und RNA [25, 50] (Abb. 6). gigkeit von der Fragestellung selektiv Kritisch einzuwenden ist die begrenzte modifiziert werden können. Die Kom- Auflösungsrate des Epifluoreszenzmikros- FISH – Fluoreszenz-in-situ- plexität der Mundhöhle, vor allem die kops als ein limitierender Faktor [50, 65]. Hybridisierung Beeinflussung der Biofilmbildung durch Eine Zuordnung von Molekülen in tiefe- kontinuierliche Umbauvorgänge der ren Biofilmschichten ist kaum möglich. Mithilfe der Fluoreszenz-in-situ-Hybri- Plaque aufgrund von Ablösung und Einzelne Moleküle des Biofilms exponie- disierung gelingt die fluoreszenzbasierte Neubildung, physiologischer Fließver- ren potenzielle Bindungsstellen für Fluo- Differenzierung unterschiedlicher bak- hältnisse, individueller Ernährungs- reszenzfarbstoffe. So können Glukane terieller Spezies im Biofilm [7, 28, 63]. gewohnheiten oder immunologischer über den fluoreszierenden Farbstoff Con- Dabei werden die Mikroorganismen di- Reaktionen, können in vitro jedoch canavalin A epifluoreszenzmikrosko- rekt im in situ generierten Präparat nicht imitiert werden [48]. Demzufolge pisch detektiert werden (Abb. 6) [52]. In quantifiziert. Der große Anteil an Strep- basieren moderne analytische Verfah- Ergänzung dazu ist der Nachweis ver- tokokken in frühen Stadien des oralen © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11) ■
D. Wolff et al.: Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema? 668 The oral biofilm – new views on an old topic? Biofilms wurde bereits mehrfach nach- lich für jedes Individuum einen bakte- als ob jede dieser Spezies die Rolle der ka- gewiesen [28, 62, 75]. Die Markierung riellen „Fingerprint“ gibt [73]. Es ist also riespathogenen Leitkeime einnehmen der rRNA ausgewählter Bakterienspezies notwendig, über interindividuelle Un- kann. Die beschriebene Studie ist die ers- (Streptokokken und Eubakterien) basiert terschiede hinaus typische Muster zu fin- te ihrer Art, die einen Hinweis auf typi- auf der Verwendung spezifischer fluores- den. Diese Fragestellung kann auf ver- sche bakterielle Muster bei der Kariesent- zierender Oligonukleotidsonden [5, 45]. schiedenen Ebenen bearbeitet werden. stehung gibt. Die Fluoreszenz-Farbstoffe lassen sich Es ist möglich, in größeren Kohorten anschließend mittels konfokaler Laser- von oral Gesunden mikrobielle Profile Neue Methoden zur Biofilm- Scanning-Mikroskopie (CLSM) darstel- zu beschreiben. Man kann auch eine analytik und ihre Anwendung in len und mithilfe weiterer spezieller Bild- Gruppe von Erkrankten mit einer Grup- der kariologischen Forschung bearbeitungsprogramme auswerten. Die pe von Gesunden vergleichen. Alterna- konfokale Laser-Scanning-Mikroskopie tiv können zudem Biofilmproben von Neben den klassischen Kulturmethoden ist im Vergleich zur Epifluoreszenzmi- gesunden und erkrankten Zahnoberflä- werden seit mehreren Jahren weitere kroskopie durch eine erhöhte optische chen im Mund eines Individuums unter- Methoden zur oralen Biofilmanalyse Auflösung gekennzeichnet, da störendes sucht werden. Dabei kann im Quer- verwendet (Abb. 4). Dazu gehören Res- Streulicht durch das Einbringen einer Il- schnitts-Design zu einem Zeitpunkt an triktionsfragmentlängenpolymorphis- luminationslochblende eliminiert wird. verschiedenen Stellen oder im longitudi- mus (RFLP), RPAD (Randomly Amplified Zudem erlaubt sie eine dreidimensiona- nalen Design an der gleichen Stelle im Polymorphic DNA Fingerprinting) oder le Darstellung der Biofilmprobe (Abb. 7). zeitlichen Verlauf eine Untersuchung Denaturierungsgradientengelelektro- des Biofilms erfolgen. Die letztere Me- phorese (DGGE) [76]. Mikrobiologische Untersuchungen thode liefert wahrscheinlich die aussage- Die Polymerasekettenreaktionen der Karies kräftigsten Ergebnisse zur Differenzie- (PCR) wurden u.a. für den Nachweis von rung zwischen gesund und krank, ist einzelnen Bakterien eingesetzt. Später Die drei wichtigsten Pathogenitäts- bzw. aber auch mit dem größten Aufwand kam die sog. Quantitative Real-time Po- Virulenzfaktoren für die Kariogenese verbunden. Derartige Studien sind sehr lymerasekettenreaktion (RQ-PCR) zum sind Säureproduktion, Säuretoleranz selten, zeigen aber beeindruckende Er- Einsatz. Hochdurchsatzgeräte ermögli- und die Fähigkeit, Biofilme auszubilden gebnisse. So haben Gross et al. [37] bei ei- chen dabei die Durchführung größerer [104]. Da S. mutans diese Eigenschaften ner Gruppe von Kleinkindern (12–36 experimenteller Ansätze (z.B.: Nachweis alle in sich vereint, war man in der Ver- Monate) mikrobielle Proben von gesun- mehrerer Bakterien bei mehreren Pa- gangenheit der Meinung, in ihm den den Zähnen und Kariesläsionen ver- tienten in einem Durchgang) [129, 130]. maßgeblich kariesauslösenden Keim ge- schiedener Stadien entnommen. Diese Durch Fluoreszenzmessungen während funden zu haben [79]. Mittlerweile geht wurden mikrobiell untersucht und lon- der sich wiederholenden PCR-Zyklen man jedoch davon aus, dass mehrere gitudinal weiter beobachtet. In der lon- können Nachweis und Quantifizierung Bakterienspezies an der Kariesinitiation gitudinalen Beobachtung konnte gezeigt des PCR Produktes erfolgen [129]. und Progression beteiligt sind [1], da S. werden, dass die bakterielle Vielfalt mit Die sogenannte Checkerboard Hy- mutans in kariösen Kavitäten nicht in dem Voranschreiten der Karies signifi- bridisierung wurde für viele Studien im signifikanter Anzahl nachweisbar war kant abnimmt. Die mikrobielle Diver- Bereich der oralen Mikrobiologie ver- [11], und 10 % der Patienten mit schnell sität war bei Probanden, die eine Karies- wendet. Dahinter verbirgt sich ei- fortschreitender Karies keine detektier- progression zeigten, schon auf gesun- ne DNA-DNA-Hybridisierungsmethode. baren Level an S. mutans aufwiesen [3]. dem Schmelz vergleichsweise geringer Das bedeutet, dass DNA-Sonden, die Darauf folgend wurde eine zunehmende [37]. Im Vergleich dazu wiesen Proban- spezifisch für ein bestimmtes Bakterium Vielfalt von Keimen in kariösen Läsio- den mit arretierter Karies oder gesunden sind, auf einer Membran aufgebracht nen beschrieben, dazu zählen low-pH oralen Verhältnissen eine signifikant hö- sind. Dann wird DNA aus einer klinisch Non-Mutans Streptokokken, Rothia, here mikrobielle Diversität auf. Kariöse gewonnenen Probe auf den Träger auf- Actinomyces, Lactobacilli, Bifidobacteria Proben zeigten auch in dieser Studie eine gebracht. Liegen Sonde und passende u.v.a. [3, 11, 90, 106, 130]. Dominanz von S. mutans, S. vestibula- bakterielle DNA im Ansatz vor, so ver- Die Studiendaten lassen zwar wie- ris/S. salivarius, Veillonella atypica/Veillo- binden sie sich. Zur Kenntlichmachung derkehrende bakterielle Muster erken- nella dispar/Veillonella parvula, S. sobrinus der erfolgreichen Hybridisierung wer- nen, manche Ergebnisse sind jedoch und S. parasanguinis [37]. Bei dem Gros den Fluoreszenzfarbstoffe eingesetzt. auch widersprüchlich, wie beispielswei- der untersuchten Probanden mit voran- Mithilfe der Checkerboard Hybridisie- se die Beschreibung von einigen Strepto- schreitenden kariösen Läsionen ließ sich rung konnte eine effiziente und weit- kokkenspezies sowohl als krankheits- eine Dominanz von S. mutans feststellen, gehend zuverlässige Analyse oraler Spe- assoziiert [37] wie auch im Zusammen- allerdings konnten bei einzelnen Indivi- zies durchgeführt werden [118]. hang mit gesunden Verhältnissen [2]. duen mit progredienter Karies auch an- DNA-Mikroarrays funktionieren Bevor man mikrobiologische Muster für dere individualspezifische bakterielle prinzipiell wie die Checkerboard Hybri- eine Krankheit beschreiben kann, muss Profile („Fingerprints“) identifiziert wer- disierung. Sie bedienen sich dabei kürze- als Referenz die Mikrobiologie beim Ge- den. Es gab ein bakterielles Profil, bei rer Oligonukleotid-Sonden, die auf ein sunden erforscht sein. Schon dies ist eine dem S. sobrinus dominierte, sowie ein Trägermaterial (spezielle Glasobjektträ- herausfordernde Aufgabe, betrachtet weiteres Profil, bei dem S. vestibularis/S. ger) aufgebracht (gespottet) sind. Mikro- man die Tatsache, dass es wahrschein- salivarius vorherrschten. Es scheint also, arrays umfassen dabei allerdings eine ■ © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11)
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