Der orale Biofilm - neue Perspektiven zu einem alten Thema?

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Der orale Biofilm - neue Perspektiven zu einem alten Thema?
658 WISSENSCHAFT / RESEARCH                                                                 Übersicht / Review

      D. Wolff1, A. Kensche2, S. Rupf3, M. Hannig3, C. Hannig2

      Der orale Biofilm –
      neue Perspektiven zu
      einem alten Thema?
      The oral biofilm – new views on an old topic?

                                                                                                                          D. Wolff

              Einleitung: Der kariespathogene Biofilm ist Gegen-                             Introduction: There are many studies on the cariogenic
              stand umfassender Studien mit modernen biowissen-                              biofilm based on modern methods common in life sciences.
      schaftlichen Techniken.                                                                Material and Methodes: This includes molecular biologi-
      Material und Methode: Dazu zählen molekularbiologi-                                    cal techniques for the characterization of the microbiome
      sche Verfahren zur Identifizierung des Mikrobioms ebenso                               and metabolome of the biofilm as well as investigations on
      wie Untersuchungen zum Metabolom und zur Funktion,                                     function, composition and ultrastructure of the extracellular
      Komposition und Ultrastruktur der extrazellulären Matrix.                              matrix.
      Prinzipiell können mit den teilweise sehr aufwendigen Me-                              Results: In principal, these elaborated methods offer broad
      thoden umfassende Informationen und Daten generiert wer-                               information and data. However, for a gain in knowledge on
      den.                                                                                   patho-mechanisms of caries initiation and progression, it is
      Ergebnisse: Für einen tatsächlichen Erkenntnisgewinn zu                                necessary to evaluate the data statistically in an adequate
      den Pathomechanismen von Kariesinitiation und Kariespro-                               manner and to combine the information from the different
      gression ist es jedoch erforderlich, die Daten adäquat statis-                         methods using an integrated scientific approach. Thereby,
      tisch aufzubereiten und die Ergebnisse der verschiedenen                               new strategies can be developed for the early diagnosis of
      Methoden vernetzt zu interpretieren. Auf diese Weise kön-                              individuals with a risk for developing caries. Furthermore,
      nen neue Strategien zur Früherkennung kariesgefährdeter In-                            novel approaches for preventive dentistry and for biofilm
      dividuen aber auch neue Ansätze für die Kariesprävention                               management can be established.
      und für das Biofilmmanagement entwickelt werden.                                       Conclusion: Recent developments confirm the relevance of
      Schlussfolgerung: Die aktuellen Entwicklungen belegen                                  life science basic research in dentistry. The present review
      die Relevanz von biowissenschaftlicher Grundlagenforschung                             aims to give an overview on recent studies and methodical
      in der Zahnmedizin zu den Hintergründen der häufigsten In-                             approaches.
      fektionskrankheit – der Karies. Der vorliegende Übersichts-
      artikel gibt einen Überblick über aktuelle Studien und me-                             Keywords: biofilm; caries; oral microbiome, microbial diversity
      thodische Ansätze.
      (Dtsch Zahnärztl Z 2014; 69: 658–673)

      Schlüsselwörter: Biofilm; Karies; orales Mikrobiom; mikrobielle
      Diversität.

      1 Poliklinik für Zahnerhaltungskunde, Universitätsklinikum Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg
      2 Poliklinik für Zahnerhaltung mit Bereich Kinderzahnheilkunde, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden, Fetscherstraße 74, 01307 Dresden
      3 Klinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Präventive Zahnheilkunde, Universitätsklinikum des Saarlandes, Geb. 73, 66421 Homburg/Saar

      Peer-reviewed article: eingereicht: 06.10.2014, Fassung akzeptiert: 13.10.2014
      DOI 10.3238/dzz.2014.0658–0673

  ■ © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11)
Der orale Biofilm - neue Perspektiven zu einem alten Thema?
D. Wolff et al.:
Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema?
The oral biofilm – new views on an old topic?                                                                                                              659

Einleitung                                  naus zeigen Biofilme entsprechend der              globuline (sIgA), Histatine oder Aggluti-
                                            besonderen Merkmale des besiedelten                nine (Streptokokken-agglutinierendes
Definition und Bedeutung von                Lebensraumes (Temperatur, Sauerstoff,              MUC-5B und MUC-7) [34, 43, 126]. Sul-
Biofilmen                                   Abscherkräfte) charakteristische struk-            kusfluid, welches als Transsudat aus dem
                                            turelle Anpassungsmechanismen [39].                Blutplasma der Kapillaren entsteht, ist
Die Aggregation von Mikroorganismen         Dies hat erhebliche Konsequenzen für               besonders reich an Albumin und Im-
zu komplexen symbiotischen Gemein-          die Medizin und Zahnmedizin, aber                  munglobulinen (IgA, IgG und IgM) [18].
schaften in Form der Biofilme gilt allge-   auch die Werkstoff- und Ingenieurwis-              Obgleich die gesamte Mundhöhle durch
mein als die erfolgreichste mikrobielle     senschaften [48]. So ist beispielsweise            den Speichel benetzt wird, erfordert die
(Über-)Lebensform [22, 33]. Der Begriff     die Oberflächenmodifikation verschie-              mikrobielle Adhärenz entsprechend der
„Biofilm“ bezeichnet das an Oberflä-        dener medizinisch relevanter Implan-               Lokalisation spezifische Rezeptoren und
chen bzw. an Grenzflächen auftretende       tatmaterialien nach wie vor Schwer-                komplementäre bakterielle Adhäsine
Vorkommen adhärenter mikrobieller           punkt zahlreicher kostenintensiver Stu-            [80]. Die Biofilmbildung in der Mund-
Populationen, eingebettet in eine extra-    dien [34, 111].                                    höhle findet sowohl auf den epithelia-
zelluläre polymere Matrix [22]. Diese                                                          len Oberflächen der Weichgewebe
wird zu großen Teilen von den Mikro-        Das Biotop Mundhöhle                               (Wangen, Zunge, Gaumen, Mund-
organismen selbst synthetisiert und be-                                                        boden, Lippen und Gingiva), als auch
steht aus Polysacchariden, Proteinen,       In der Mundhöhle gewonnene Erkennt-                auf den in der Mundhöhle exponierten
Glycolipiden sowie bakterieller DNA.        nisse zur Biofilmbildung sind für das ge-          Festkörperoberflächen statt [48, 128].
Die individuelle Zusammensetzung der        nerelle Verständnis des omnipräsenten              Im Rahmen der physiologischen Rege-
Biofilmmatrix variiert entsprechend der     Phänomens der Bioadhäsion besonders                neration der Mukosa werden oberfläch-
vorhandenen Mikroorganismen und             wertvoll [48]. Die Mundhöhle stellt ein            liche Zellen regelmäßig abgestoßen, was
Umweltbedingungen, ist jedoch essen-        gut zugängliches Biotop dar, in dem die            die dauerhafte Adhäsion von Mikro-
zielle Voraussetzung für die Bildung ei-    physiologischen und pathologischen                 organismen erschwert (soft-shedding-
ner dynamischen, dreidimensionalen          Prozesse und Mechanismen der Biofilm-              surface) [80, 136]. Jedoch gewähren die
Biofilmstruktur [33]. Die Bildung der ex-   bildung unter Realbedingungen in situ              papillären Strukturen der Zunge, die in-
trazellulären Matrix ermöglicht den Mi-     untersucht werden können [48]. Denta-              terdentale Papille oder auch der gingiva-
kroorganismen sowohl die feste Adhäsi-      le Plaque ist ein dynamischer und äu-              le Sulkus adhärenten Bakterien Schutz
on an Oberflächen als auch die intermi-     ßerst komplexer Biofilm im Sinne eines             vor mechanischer Elimination.
krobielle Kohäsion als Grundlage der        mikrobiellen Ökosystems [110]. Zahlrei-                 Demgegenüber ist es ein Charakte-
Bildung synergistischer Mikrokolonien       che Studien belegen die dynamische Va-             ristikum der Zahnoberfläche, dass sie als
[33]. Bakterien im Biofilm weisen phä-      riabilität der mikrobiellen Besiedelung            non-shedding-surface kein physiologi-
notypische Charakteristika auf, die sich    der Mundhöhle [136]. Diese wird zum                sches Abschilferungs- oder Regenerati-
von denen der planktonischen Lebens-        einen durch verschiedene postnatale                onspotenzial aufweist [48]. Die intra-
form deutlich unterscheiden [31]. Ver-      Entwicklungsstadien        (Dentitionen,           oral wirksamen Scherkräfte, die masti-
glichen mit ihrer planktonischen Le-        Zahnverlust) aber auch zahnärztliche               katorische Funktion, der Weichgewebs-
bensform profitieren die Mikroorganis-      Maßnahmen (restaurative und protheti-              druck, Nahrungskomponenten, die Zu-
men im immobilisierten Zustand des          sche Therapie), zum anderen durch                  sammensetzung von Speichel- und Sul-
Biofilms von einer erhöhten Retention       wirtsspezifische Faktoren wie Alter, Er-           kusfluid sowie Mundhygienemaßnah-
metabolisch relevanter Komponenten          nährung und Immunität beeinflusst                  men nehmen Einfluss auf die inter- und
wie Enzymen und Nährstoffen im Bio-         [21].                                              intraindividuelle Biofilmbildung an der
film, was ihnen eine erhöhte Flexibilität       Darüber hinaus existieren in der               Zahnoberfläche. Aufgrund der differie-
im Hinblick auf das oftmals stark variie-   Mundhöhle, aufgrund ihrer anato-                   renden mechanischen und chemischen
rende Substratangebot verleiht [131].       mischen Heterogenität, verschiedene                Milieubedingungen resultieren Unter-
Darüber hinaus haben diverse Studien        Habitate [15, 64, 92, 136]. Diese sind             schiede in der supra- und subgingivalen
gezeigt, dass die Organisation prokary-     charakteristischen physiko-chemischen              Biofilmbildung [15, 17, 64]. Auch die
ontischer Zellen in Biofilmen ihre Wi-      Einflussfaktoren ausgesetzt, und ihre              supragingivale Biofilmbildung unter-
derstandsfähigkeit gegenüber pH-Wert-       mikrobielle Besiedelung variiert nach-             liegt innerhalb der Mundhöhle aus-
Schwankungen, antibakteriellen Agen-        weislich [136]. Das feuchte Milieu der             geprägten topischen Unterschieden
zien (Antibiotika, Desinfizentien) und      Mundhöhle wird durch die kontinuierli-             [54].
mechanischen Abscherkräften erhöht          che Sekretion von Speichel, Sulkusfluid                 Liegen gesunde Verhältnisse vor, so
[39, 133]. Da Bakterien an allen Grenz-     und mukosalem Transsudat aufrecht-                 herrscht eine Balance zwischen dem
flächen adhärieren können, sofern Was-      erhalten. Für die bakterielle Kolonisati-          Wirt und den Mikroorganismen des ora-
ser und Nährstoffe vorhanden sind, ist      on wesentliche Komponenten des Ge-                 len Biofilms. Die in der Mundhöhle vor-
die Biofilmbildung ubiquitär. Geneti-       samtspeichels sind prolinreiche Protei-            kommenden Kommensalen (residente
sche Regulations- und Selektionsmecha-      ne, Phosphoproteine, Agglutinine,                  Mikroflora) sind als eine Form der kör-
nismen ermöglichen prokaryontischen         α-Amylase oder auch Muzine [43, 56].               pereigenen Abwehr anzusehen. Eindrin-
Zellen eine bemerkenswerte Adaptati-        Daneben enthält der Speichel diverse               genden Mikroorganismen wird der Zu-
onsfähigkeit in Abhängigkeit von den        antibakterielle Komponenten wie Lyso-              gang zum menschlichen Organismus
Umweltbedingungen [19]. Darüber hi-         zym, Peroxidase, Laktoferrin, Immun-               durch den bestehenden oralen Biofilm

                                                                   © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11) ■
Der orale Biofilm - neue Perspektiven zu einem alten Thema?
D. Wolff et al.:
          Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema?
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                                                                                                                werterweise unterliegen die charakteris-
                                                                                                                tischen Sub-Mikrobiome in einer Nische
                                                                                                                dabei einer deutlichen Selektion. Bei-
                                                                                                                spielsweise können von den über 700
                                                                                                                verschiedenen Arten von Mikroorganis-
                                                                                                                men in der Mundhöhle nur etwas weni-
                                                                                                                ger als 30 im Gastrointestinaltrakt nach-
                                                                                                                gewiesen werden, obwohl täglich große
                                                                                                                Mengen über den verschluckten Spei-
                                                                                                                chel und den Speisebolus in den Magen-
                                                                                                                Darm-Trakt transportiert werden [81].
                                                                                                                     Über das humane Mikrobiom ist
                                                                                                                noch vergleichsweise wenig bekannt.
                                                                                                                Im Jahr 2007 wurde deswegen das soge-
                                                                                                                nannte Human Microbiome Project
                                                                                                                (http://hmpdacc.org/) ins Leben geru-
                                                                                                                fen. Ziel des Projektes ist die Bereitstel-
          Abbildung 1 Stadien der Plaquereifung von der initialen Besiedelung bis hin zur kariogenen            lung einer öffentlich zugänglichen Da-
          Plaque (modifiziert nach [121]), MS = Mutans Streptokokken.                                           tenbank, die spezielle Gensequenzen
          Figure 1 Stages of oral biofilm formation from initial bacterial colonization up to cariogenic        von Mikroorganismen (16S rRNA) zur
          plaque (modified according to [121]), MS = mutans streptococci.                                       Verfügung stellt. Wissenschaftler kön-
                                                                                                                nen Informationen eingeben und abru-
                                                                                                                fen und ihre eigenen Daten mit Refe-
                                                                                                                renzdaten vergleichen [38]. Bisherige
          verwehrt. Die Balance zwischen oralem                     rem Körper leben, wird als Humanes Mi-      Analysen humaner Mikrobiome zeig-
          Biofilm und Wirt kann jedoch aus dem                      krobiom bezeichnet. Da wir scheinbar        ten, dass es beträchtliche intra- und in-
          Gleichgewicht geraten. Veränderte ex-                     als Wirt für einen „mikrobiellen Orga-      terindividuelle Unterschiede gibt [59].
          trinsische oder intrinsische Faktoren                     nismus“ dienen, könnte man von uns          Daher sucht man nach charakteristi-
          können zur Störung der mikrobiellen                       Menschen auch als „Superorganismen“         schen bakteriellen Mustern für be-
          Homöostase führen [81, 84]. Zum Bei-                      sprechen [10].                              stimmte Habitate. Im Darm konnten
          spiel können die hochfrequente Zufuhr                          Interessanterweise ist das humane      beispielsweise schon sogenannte Ente-
          von Zucker oder Nikotin, das Unterlas-                    Mikrobiom dabei nicht nur ein passiver      rotypen (spezifische Typen des Darm-
          sen von Mundhygienemaßnahmen oder                         Begleiter des menschlichen Organismus.      Mikrobioms) beschrieben werden [8].
          ein ungenügendes Speichelangebot, aber                    Studienergebnisse des letzten Jahrzehnts    Die verschiedenen Enterotypen sind
          auch Veränderungen der körpereigenen                      haben eindrucksvoll gezeigt, dass das       wiederum mit der Zusammensetzung
          Immunabwehr Störungen der mikrobiel-                      humane Mikrobiom direkt und indirekt        der Nahrung und dem Vorkommen von
          len Homöostase verursachen. Sowohl                        Einfluss auf wichtige physiologische Pro-   Adipositas, entzündlichen Darmerkran-
          die Entstehung von Karies als auch von                    zesse, wie die Verdauung und den Stoff-     kungen und Morbus Crohn assoziiert [8,
          Parodontopathien und Schleimhaut-                         wechsel, nimmt [8, 10, 137]. Die Ent-       107, 132]. Bei den Enterotypen der
          erkrankungen ist mit der Präsenz eines                    wicklung des Immunsystems wird eben-        Darmflora wurden vergleichsweise ge-
          pathogenen Biofilms assoziiert [16, 23,                   falls vom Mikrobiom beeinflusst [8, 10,     ringe Schwankungen beobachtet, bei
          56, 113]. Umfangreicher mikrobiologi-                     137]. Auch hier gilt, dass beim gesunden    der Zusammensetzung der supragingi-
          scher und klinischer Forschung ist es zu                  Menschen das humane Mikrobiom und           valen Plaque hingegen sah man aber ei-
          verdanken, dass unser Wissen zur Entste-                  der menschliche Körper harmonisch ko-       ne sehr große Streubreite und Variabili-
          hung und möglichen Modifikation pa-                       existieren. Es entstehen jedoch Erkran-     tät [30].
          thogener Biofilme in der Mundhöhle                        kungen, wenn sich das Mikrobiom ver-             Die Human Oral Microbiome Data-
          weiter präzisiert werden konnte. Ein um-                  ändert, dadurch virulent und pathogen       base (http://www.homd.org) wurde im
          fassender Überblick des derzeitigen                       wird oder an Stellen vordringt, an denen    Jahr 2008 von Wissenschaftlern des For-
          Kenntnisstandes mit besonderer Berück-                    es nicht vorgesehen ist [81].               syth Institute in Boston und des King’s
          sichtigung des kariogenen Biofilms ist                         Mit der Geburt beginnt die mikro-      College in London ins Leben gerufen.
          Inhalt der vorliegenden Arbeit.                           bielle Besiedelung des menschlichen         Diese Datenbank sammelt alle bekann-
                                                                    Körpers. Mikroorganismen aus der Um-        ten genomischen Sequenzen, sowie ta-
                                                                    welt und von Kontaktpersonen koloni-        xonomische, phänotypische, phyloge-
          Das menschliche Mikrobiom                                 sieren die verschiedenen äußeren und        netische, klinische und bibliografische
                                                                    inneren Oberflächen des Körpers, wobei      Informationen oraler Spezies. Die Da-
          Der menschliche Organismus enthält                        aufgrund der spezifischen lokalen biolo-    tenbank soll alle Informationen zum
          zehnmal mehr Bakterien als eigene Kör-                    gischen Gegebenheiten (biotische und        oralen Mikrobiom zusammenführen
          perzellen (1014 Bakterienzellen, 1013                     abiotische Faktoren) immer nur eine be-     und die Erforschung der Rolle des oralen
          Körperzellen, [84]). Die Gesamtheit der                   stimmte Teilmenge des Mikrobioms in         Mikrobioms für die Gesundheit und bei
          Mikroorganismen, die auf und in unse-                     einer Nische zu finden ist. Bemerkens-      Erkrankungen fördern.

      ■ © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11)
Der orale Biofilm - neue Perspektiven zu einem alten Thema?
D. Wolff et al.:
Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema?
The oral biofilm – new views on an old topic?                                                                                                                        661

                                                                                                              Aktuell konnte nachgewiesen wer-
                                                                                                         den, dass α-Amylase aus dem Speichel
                                                                                                         über spezifische Proteine an der bakte-
                                                                                                         riellen Zelloberfläche zahlreicher Strep-
                                                                                                         tokokkenspezies (u.a. S. gordonii, S. mitis,
                                                                                                         S. cristatus, S. parasanguis) immobilisiert
                                                                                                         werden kann. Streptokokken mit dieser
                                                                                                         Eigenschaft werden als α-Amylase bin-
                                                                                                         dende Streptokokken (ABS) bezeichnet
                                                                                                         [94]. ABS werden interessanterweise nur
                                                                                                         in den Tierspezies gefunden, die über
                                                                                                         den Speichel α-Amylase sezernieren [94].
                                                                                                         Die Fähigkeit einzelner Streptokkenspe-
                                                                                                         zies, humane Speichelamylase an der
                                                                                                         Zelloberfläche zu immobilisieren, kann
                                                                                                         als eine hoch effektive evolutionäre
                                                                                                         Adaptation der Bakterien an den
                                                                                                         menschlichen Wirt angesehen werden.
                                                                                                         ABS profitieren von der an der Zellober-
Abbildung 2 Synergistische und antagonistische Effekte ausgewählter Spezies im oralen Bio-               fläche immobilisierten Amylaseaktivität
film (modifiziert nach [69, 70, 72, 81]).                                                                insofern, als dass hochmolekulare Koh-
Figure 2 Synergistic and antagonistic effects of selected species in the oral biofilm (modified          lenhydrate aus der menschlichen Ernäh-
according to [69, 70, 72, 81]).                                                                          rung nun hydrolysiert, dem bakteriellen
                                                                                                         Stoffwechsel zugeführt und zur Energie-
                                                                                                         gewinnung genutzt werden können.
                                                                                                              Ein ähnlich opportunistisches Ver-
Zusammensetzung und Diver-                         unlöslichen extrazellulären Polysaccha-               halten, wie es bei Non-Mutans Strepto-
sität des oralen Mikrobioms                        riden (Glucan, Mutan und Fructan) ini-                kokken beobachtet wird, ist auch für
                                                   tiieren [16]. Zudem können sie bei ei-                Lactobazillen beschrieben worden. Im
Die orale Mikroflora weist eine hohe Di-           nem Überangebot an Kohlenhydraten                     Rahmen der frühen Biofilmbildung wer-
versität auf. Zu ihr gehören neben Bakte-          intrazelluläre Polysaccharide syntheti-               den Lactobazillen eher mit gesunden
rien auch Viren, Mykoplasmen und He-               sieren und nutzen diese als Kohlenhy-                 Verhältnissen assoziiert. Man weist bei
fen. Die Mundhöhle bietet dabei Ni-                dratspeicher. Als wichtigste Pathogeni-               einigen Spezies sogar positive Interfe-
schen mit unterschiedlichem Nah-                   tätsfaktoren sind Lactatproduktion (azi-              renzeffekte nach, wie beispielsweise die
rungs- und Sauerstoffangebot und vari-             dogen) und hohe Säureresistenz (azidu-                Produktion von H2O2 oder Bakteriozi-
ierenden pH-Werten, in denen sich dif-             risch) anzusehen. Zudem wurde nach-                   nen. Kommt es jedoch zu einem Abfall
ferenzielle Subgruppierungen herausbil-            gewiesen, dass Mutans Streptokokken                   des pH-Wertes, dann profitieren einige
den [81, 84, 85].                                  über extrazelluläre Signalmoleküle mit-               Lactobacillus Spezies von dem sauren
    Wegweisende Forschungsarbeiten                 einander kommunizieren und sich da-                   Milieu, stellen ihren Metabolismus um
von Dr. Paster und Dr. Dewhirst (beide             durch an verändernde Bedingungen im                   und tragen selbst deutlich zur Säurepro-
Forsyth Institute) zeigten, dass die               Biofilm sehr gut anpassen können.                     duktion bei [115, 140].
Mundhöhle von einer bemerkenswer-                       Eine weitere interessante Strepto-
ten Vielfalt und Vielzahl von bakteriel-           kokken-Gruppe sind die Non-Mutans
len Spezies besiedelt ist (> 700 verschie-         Streptokokken. Zu ihnen gehören u.a.                  Plaquehypothesen – oder wie
dene Spezies)[138]. Davon ist mindes-              Streptococcus mitis, Streptococcus sangui-            erklärt man den Zusammen-
tens die Hälfte nicht über Kulturmetho-            nis und Streptococcus intermedius [112].              hang zwischen oralen Biofil-
den extraoral nachweisbar [2, 101,                 Einige Untersuchungen stufen die Non-                 men und Erkrankung?
102].                                              Mutans Streptokokken als assoziiert mit
    Neuere Studien zeigen, dass Strepto-           oraler Gesundheit ein [20]. Andere ha-                In der Vergangenheit wurde postuliert,
kokken einen großen Anteil der oralen              ben eine erhebliche Rolle dieser Bakte-               dass die alleinige Ansammlung großer
Mikroflora darstellen [105, 139]. Sie wa-          rien bei der Kariesinitiation und Karies-             Mengen von Mikroorganismen als Bio-
ren und sind eine umfangreich unter-               progression aufgezeigt [11]. Schließlich              film in der Mundhöhle eine Entzün-
suchte Bakteriengruppe, da vor allem               wurde beschrieben, dass Non-Mutans                    dung oder Erkrankung hervorrufen wür-
Mutans Streptokokken lange Zeit als so-            Streptokokken im Sinne opportunisti-                  de, man sprach hier von der sogenann-
genannte Leitkeime der Kariogenese gal-            scher Pathogene azidogene und aziduri-                ten unspezifischen Plaquehypothese
ten. Die wichtigsten Vertreter der Mu-             sche Subpopulationen ausbilden kön-                   [114, 124]. Diese Annahme musste je-
tans Streptokokken sind Streptococcus              nen. Diese sind aktiv in den Kariespro-               doch teilweise revidiert werden, als man
mutans und Streptococcus sobrinus. Sie             zess involviert und werden als soge-                  in späteren mikrobiologischen Experi-
sind als kariespathogen einzustufen,               nannte low-pH Non-Mutans Strepto-                     menten bestimmte Keime in stark er-
weil sie die Bildung von löslichen und             kokken bezeichnet [120].                              höhter Anzahl bei Erkrankungen wie

                                                                             © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11) ■
Der orale Biofilm - neue Perspektiven zu einem alten Thema?
D. Wolff et al.:
          Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema?
662       The oral biofilm – new views on an old topic?

                                                                                                                    subs.p animalis), Porphyromonas gingiva-
                                                                                                                    lis oder auch unkultivierte orale Bergeyel-
                                                                                                                    la spp. [41], sowie Rheumatoide Arthritis
                                                                                                                    und Porphyromonas gingivalis aufgezeigt
                                                                                                                    [41]. Entzündliche Darmerkrankungen
                                                                                                                    werden durch Fusobacterium nucleatum
                                                                                                                    und Campylobacter concisus (Enteric inva-
                                                                                                                    sive) initiiert bzw. begünstigt. Gehirn-,
                                                                                                                    Lungen, Leber- und Nierenabszesse so-
                                                                                                                    wie entzündliche Appendizitis stehen
                                                                                                                    im Zusammenhang mit Fusobacteria spp.
                                                                                                                    [41]. Aufgrund der nachweisbaren syste-
                                                                                                                    mischen Auswirkungen kommensaler
                                                                                                                    Mikroorganismen, welche oral als Op-
                                                                                                                    portunisten, jenseits der Mundhöhle je-
                                                                                                                    doch als Pathogene auftreten, spricht
          Abbildung 3 Biofilmbildung (adaptiert nach [68]), Kolonisierung der Pellikel-bedeckten                    man heute auch vom „Mobilen Oralen
          Schmelzoberfläche durch Pionier-Spezies; Immobilisation von Glycosyltransferasen und weiter-              Mikrobiom“ [41]. Die adäquate Thera-
          führende Kolonisierung mit S. mutans; es kommt zur Glucanbildung (EPS); eine EPS-                         pie oraler Biofilme gewinnt vor diesem
          reiche Matrix und EPS-Mikrokolonien werden ausgebildet; Mikrokolonien im fluoreszenzmikros-               Hintergrund noch mehr an Bedeutung,
          kopischen Bild einer Schmelzprobe nach 8 h oraler Exposition, Vitalfärbung (BacLightBacterial             nämlich nicht nur zur Gesunderhaltung
          Viability Kit).                                                                                           der Mundhöhle, sondern auch zur Mini-
          Figure 3 Biofilm formation (adapted according to [68]), bacterial adherence to the pellicle               mierung der systemischen Wirkungen
          coated enamel surface by pioneer species; immobilization of extracellular glycosyltransferases            oraler Bakterien.
          and further colonization by S. mutans; glucans are synthesized (EPS), a matrix rich in EPS and
          EPS-microcolonies is formed; fluorescence microscopic image of microcolonies on an enamel
          sample after 8 h of oral exposure, life-dead staining (BacLightBacterial Viability Kit).                  Entstehung und Aufbau des
                                                                                                                    oralen Biofilms

                                                                                                                    Die Pellikel – mehr als ein
          Karies und Parodontitis nachweisen                        mit zu einer Dysbalance im Biofilm füh-         conditioning film?
          konnte. Auf Basis dieser Erkenntnisse                     ren. Aus dieser Dysbiose resultiert ein er-
          wurde die sogenannte spezifische Pla-                     höhtes Risiko für die Entstehung von            Grundlage der Biofilmbildung auf „non-
          quehypothese formuliert [77, 122]. Die-                   Biofilm-assoziierten Erkrankungen [84].         shedding“-Oberflächen innerhalb der
          se leitete sich aus der ursprünglichen                                                                    Mundhöhle ist die Adsorption spezi-
          chemoparasitären Theorie von Wil-                                                                         fischer Speichelkomponenten an der
          loughby D. Miller ab [88]. Eine dritte Hy-                Orale Mikroflora und syste-                     Grenzfläche zwischen Festkörper und
          pothese wurde dann von Marsh formu-                       mische Auswirkungen                             Mundhöhle [56]. Die darauf basierend
          liert [82]. Faktoren wie die Ökologie der                                                                 innerhalb kürzester Zeit gebildete bakte-
          Mundhöhle und die spezifische bakte-                      Es gilt als gesichert, dass die Biofilme der    rienfreie Schicht aus Proteinen, Glyko-
          rielle Zusammensetzung des Biofilms                       Mundhöhle nicht isoliert vom Rest des           proteinen, Lipiden und anderen Makro-
          beeinflussen die Entstehung einer Er-                     Körpers betrachtet werden können. Der           molekülen des Speichels wird als Pellikel
          krankung. Diese sogenannte ökologi-                       Übergang von Keimen im Bereich der              bezeichnet [24, 56]. Die initiale Bio-
          sche Plaquehypothese hat bis heute                        Gingiva und des marginalen Sulkus in            adhäsion zwischen Zahnoberfläche und
          weitgehend Gültigkeit [121]. Gesund-                      den Blutkreislauf ist möglich. Zusam-           Speichelkomponenten wird durch elek-
          heit ist gleichzusetzen mit mikrobieller                  menhänge zwischen oralen Pathogenen             trostatische, hydrophobe und thermo-
          Homöostase, d.h. unter physiologi-                        und systemischen Infektionen und Ent-           dynamische Wechselwirkungen be-
          schen Bedingungen leben der Wirt und                      zündungen wurden vielfach dokumen-              stimmt, später dominieren Protein-Pro-
          die residente Mikroflora in einer stabi-                  tiert [40, 41, 60, 91, 100, 137]. Dies be-      tein-Interaktionen den Prozess der Pelli-
          len und harmonischen symbiotischen                        trifft kardiovaskuläre Erkrankungen und         kelbildung [56]. Insbesondere Phospho-
          Beziehung [84]. Die durch den Wirt vor-                   Parodontalpathogene, wie Aggregati-             proteine wie Statherin und Histatin so-
          gegebenen Milieubedingungen determi-                      bacter actinomycetemcomitans, Fusobacte-        wie prolinreiche Proteine zeigen eine
          nieren dabei die Zusammensetzung und                      rium nucleatum und Porphyromonas gingi-         hohe Affinität zu den Phosphat- und
          Genexpression der residenten Mikroflo-                    valis, oder Streptococcus mutans (Serotyp       Calcium-Ionen der Zahnoberfläche. Da-
          ra im Biofilm [84]. Veränderungen der                     k) [41], oder die Initiation infektiöser        rüber hinaus wurden auch Amylase, Ly-
          oralen Milieubedingungen durch extrin-                    Endokarditis durch Streptokokken, vor           sozym, Peroxidase, Glycosyltransfera-
          sische oder intrinsische Einflussfaktoren                 allem S. sanguinis, S. gordonii und S. oralis   sen, Muzine und Glycoproteine bereits
          können jedoch zur nachhaltigen Ver-                       [81]. Weitere Zusammenhänge wurden              nach wenigen Minuten bei der Pellikel-
          änderung der symbiotischen Beziehung                      für das „Adverse Pregnancy Outcome“             bildung nachgewiesen [43, 56]. In aktu-
          zwischen Wirt und Mikroflora und da-                      und Fusobacterium nucleatum (vor allem          ellen Untersuchungen zum Proteom der

      ■ © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11)
Der orale Biofilm - neue Perspektiven zu einem alten Thema?
D. Wolff et al.:
Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema?
The oral biofilm – new views on an old topic?                                                                                                                        663

Abbildung 4 Auswahl aktueller Methoden in der Biofilmforschung und ihre Hintergründe, modifiziert nach Nyvad et al. [96]; DNA kann aus den
Proben extrahiert werden, zur Erfassung der taxonomischen Zusammensetzung wird eine 16S rDNA-Analyse vorgenommen. Andererseits können
die Funktionen der codierenden Gen-Sequenzen evaluiert werden. Massenspektrometrische Verfahren werden angewendet, um die vorhandenen
Proteine und Metaboliten (Kohlenhydrate, Lipide) zu bestimmen. Wenn metagenomische Verfahren die Untersuchung des gesamten genetischen
Repertoires der Bakterien erlauben, so können mit den anderen Verfahren Rückschlüsse zur generellen Aktivität der mikrobiellen Gemeinschaft ge-
zogen werden. Die tatsächliche biologische Aktivität kann durch die Messung von Enzymaktivitäten erfasst werden. Trotz der rasanten metho-
dischen Entwicklung der vergangenen Jahre sind klassische Kulturverfahren nach wie vor von elementarer Bedeutung ebenso wie elektronenmi-
kroskopische und fluoreszenzmikroskopische Verfahren.
Figure 4 Recent methods in biofilm research and their background (modified according to [96]); DNA can be extracted from the samples, 16S
rDNA-analysis is performed to evaluate the taxonomic composition. Furthermore, the function of the encoding gene sequences can be investi-
gated. The proteins and metabolites in the biofilm specimen are analyzed by mass spectrometry techniques (lipids, carbohydrates). If metage-
nomic approach allows identification of the whole genetic repertoire of the bacteria, other methods allow insights about the active organisms and
functions of the respective bacterial community. The actual biologic activity is determined by the measurement of enzyme activities. Despite the
rapid development of the methods in the last years, conventional culture based methods are still of essential relevance as well as fluorescence-
microscopy and electron microscopic techniques for visualization of the biofilm.

Pellikel konnten bereits nach fünfminü-            polymeren des Speichels, was zu einer                 chen und Mukosa [14]. Des Weiteren
tiger intraoraler Bildungszeit der Pellikel        fortschreitend globulären und heteroge-               werden durch die Adsorption der Bio-
bis zu 89 verschiedene Peptide und Pro-            nen Schichtbildung der Pellikel führt                 moleküle und ihrer Aggregate Oberflä-
teine identifiziert werden [74]. In trans-         [51, 54].                                             cheneigenschaften wie beispielsweise
missionselektronenmikroskopischen Un-                  Sämtliche physiologischen und pa-                 Mikrorauheiten und -porositäten mas-
tersuchungen manifestiert sich die ini-            thophysiologischen Prozesse an der                    kiert [48, 127]. In verschiedenen aktuel-
tiale Pellikel als eine elektronendichte,          Zahnoberfläche werden maßgeblich                      len In-vitro- und In-vivo-Studien wurden
homogene 10–20 nm messende basale                  von der Pellikel beeinflusst [56, 57, 116].           protektive Effekte der Pellikel bei De-
Schicht, welche die gesamte Zahnober-              Die Benetzung der gesamten Zahnober-                  und Remineralisationsprozessen nach-
fläche lückenlos bedeckt. An dieser Ba-            fläche durch einen dünnen Proteinfilm                 gewiesen [42, 44, 55, 58, 93]. Die retiku-
sisschicht adsorbieren nachfolgend                 reduziert als Lubrikant die Reibungskräf-             läre Pellikelstruktur wirkt dabei als semi-
komplexe heterotype Proteinaggregate               te sowohl zwischen antagonistischen                   permeable Membran [51, 56]. Diese
und mizellartige Strukturen aus Bio-               Zahnflächen als auch zwischen Zahnflä-                setzt die Diffusion von Protonen herab

                                                                             © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11) ■
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          Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema?
664       The oral biofilm – new views on an old topic?

          Abbildung 5 Darstellung eines 72 h alten Biofilms auf einer maschi-                    Abbildung 6 Simultane Visualisierung von Bakterien (blau, DAPI),
          nierten Titan-Oberfläche durch Rasterelektronenmikroskopie (REM).                      Glucanen (Concanavalin A, grün) und Enzymen (GTF B, rot) zur Unter-
          Erkennbar sind unterschiedliche Morphotypen wie Kokken, Stäbchen                       suchung der Interaktionen während der initialen Phase der bakte-
          und Filamente, die inhomogen angeordnet sind.                                          riellen Kolonisation. Eine Schmelzprobe wurde für 6 h in der Mund-
                                                               (Abb. 5 u. 7: Dr. A. N. Idlibi)   höhle getragen.
          Figure 5 Visualization of a 72-h-biofilm on a machinated titanium                      Figure 6 Simultaneous visualization of bacteria (blue, DAPI), glucans
          surface by SEM. Please note the different morphotypes such as cocci,                   (Concanavalin A, green) and enzymes (GTF B, red) for investigation of
          filaments and rods; the bacteria are arranged inhomogenously.                          interactions during the initial phase of bacterial colonization. An ena-
                                                              (Fig. 5 and 7: Dr. A. N. Idlibi)   mel slab was exposed to the oral fluids for 6 h.

          und die Dissoziation von Kalzium- und                     wenigen Minuten lassen sich erste, ran-                den Vorteil, über extrazelluläre Glyco-
          Phosphationen aus dem Zahnschmelz                         domisiert verteilte adhärente Bakterien                sidasen zu verfügen. Diese ermögli-
          wird reduziert [48, 51, 55]. Diese protek-                an der Pellikel nachweisen [56, 83]. Die               chen die Gewinnung von Zucker und
          tive Wirkung ist allerdings limitiert und                 bakterielle Adhärenz wird irreversibel,                Aminozucker aus Glycoproteinen des
          pH-Wert-abhängig.                                         wenn bakterielle Adhäsine wie Lipo-                    Speichels [81]. Somit können sie auch
               Die nachweislich reichhaltige Ad-                    teichonsäure oder Lektine mit Pellikel-                ohne extrinsische Zuckerimpulse gut
          sorption von Lysozym und Peroxidase                       komponenten wie Amylase oder Glu-                      in der Mundhöhle überleben [121].
          in der Pellikel ist ein wichtiger primärer                kanen interagieren [83]. Auch hydro-                   Während der Reifung des Biofilms ver-
          Schutzmechanismus, um die bakterielle                     phobe Interaktionen werden als modu-                   mehren sich die Pionier-Spezies, eine
          Kolonisation zu erschweren. Die anti-                     lierende Wirkungsmechanismen bei                       Plaquematrix aus extrazellulären Poly-
          bakteriellen Enzyme zeigen in immobi-                     der bakteriellen Kolonisation angese-                  sacchariden wird gebildet und weitere
          lisierter Form eine hohe enzymatische                     hen [66]. Allgemein anerkannt ist zu-                  Bakterien heften sich an [81]. Die Bak-
          Aktivität [43, 47, 49]. Basierend auf                     dem, dass unter den Pellikelkom-                       terien agieren synergistisch und anta-
          fluoreszenzmikroskopischen Verfahren                      ponenten insbesondere die bakteriel-                   gonistisch und gruppieren sich in einer
          konnte die Akkumulation dieser pelli-                     len Glycosyltransferasen B, C und D die                ökologisch für sie günstigen Nische. In
          kelgebundenen Enzyme um initial ad-                       mikrobielle Kolonisation beeinflussen                  pathogenen Clustern oder Inseln, wo
          härierende Bakterien in situ bestätigt                    [16].                                                  beispielsweise kariespathogene Keime
          werden [65]. Neben ihren protektiven                          Nach Anheftung erster Bakterien-                   überwiegen, kommt es dann zum pH-
          Eigenschaften ist die Pellikel aber auch                  zellen an die Pellikel erfolgt die Adhä-               Wert-Abfall. Opportunistische Patho-
          als „conditioning film“ Voraussetzung                     renz weiterer Bakterien über Rezeptor-                 gene reagieren auf den Selektionsdruck
          für die bakterielle Biofilmbildung.                       gesteuerte Adhäsion und Ko-Adhäsion                    (pH-Wert Abfall) und unterliegen einer
                                                                    an die bereits adhärenten Bakterienzel-                Anpassung an die veränderten Um-
          Bakterielle Kolonisation                                  len [81]. Initial findet man charakteris-              weltbedingungen [68]. Sie zeigen eine
                                                                    tische Pionier-Spezies, dazu zählen ins-               gesteigerte Azidogenität und Säuretole-
          Mikroorganismen werden durch den                          besondere Streptokokken, wie bei-                      ranz. Dies wird möglich, weil Zell-
          Speichel an die pellikelbedeckte Zahn-                    spielsweise S. sanguinis, S. oralis und                wand-Mechanismen, wie etwa eine Er-
          oberfläche transportiert, wo zunächst                     S. mitis [95], aber auch Actinomyces                   höhung der Protonen-Impermeabilität
          reversible Interaktionen mit Pellikel-                    (Abb. 1) [29, 75]. Non-Mutans Strepto-                 der Zellmembranen, oder eine erhöhte
          komponenten bestehen. Bereits nach                        kokken und Actinomyces haben hierbei                   Aktivität der Protonen-translozieren-

      ■ © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11)
Der orale Biofilm - neue Perspektiven zu einem alten Thema?
D. Wolff et al.:
Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema?
The oral biofilm – new views on an old topic?                                                                                                                         665

                                                                                                          Zusammenleben im oralen
                                                                                                          Biofilm: Organisation, Zell-
                                                                                                          Zell-Kommunikation und
                                                                                                          der Kampf ums Überleben

                                                                                                          Das Zusammenleben der Vielfalt an Spe-
                                                                                                          zies im oralen Biofilm ist weitgehend un-
                                                                                                          erforscht. Es liegen wenige Erkenntnisse
                                                                                                          über Synergien und Antagonismen vor,
                                                                                                          und diese sind vor allem für die bislang
                                                                                                          im Fokus stehenden Vertreter des oralen
                                                                                                          Biofilms, Streptokokken und Laktobazil-
                                                                                                          len, beschrieben [70, 115]. Die Vielfalt an
                                                                                                          Interaktionen, die sich allein zwischen
                                                                                                          diesen Bakteriengruppen zeigt, lässt
                                                                                                          erahnen, welch hochkomplexes Ökosys-
                                                                                                          tem im oralen Biofilm vorliegt (Abb. 2).
                                                                                                               Für S. sanguinis und S. oligofermentas
                                                                                                          ist beispielsweise bekannt, dass sie H2O2
                                                                                                          produzieren und damit das Wachstum
                                                                                                          von S. mutans hemmen können [72]. S.
                                                                                                          sanguinis kann aus Arginin Ammoniak
                                                                                                          produzieren, S. oligofermentas metaboli-
                                                                                                          siert Lactat [72]. Somit haben beide die
                                                                                                          Möglichkeit, einem pH-Wert Abfall in
                                                                                                          ihrer Umgebung entgegenzuwirken. Die
                                                                                                          Metabolisierung von Lactat zu Propion-
                                                                                                          oder Essigsäure ist auch durch Veillonella
                                                                                                          Spezies möglich [81] (Abb. 2).
Abbildung 7 Beispiel für die 3-dimensionale Visualisierung eines Biofilms mit einem konfo-                     S. gordonii kann über eine Protease
kalen Laser-Scanning Fluoreszenzmikroskop (CLSM). Dargestellt ist ein 72 h alter Biofilm auf              das Kommunikationssystem von S. mu-
mikrostrukturiertem Titan. Die z-Achse verdeutlicht die Dicke des Biofilms.                               tans stören. Diese degradiert das Kom-
Figure 7 Example for 3-dimensional visualization of a biofilm by confocal laser scanning mi-              munikationsprotein Competence Sti-
croscopy (CLSM). The image depicts a biofilm on micro structured titanium after 72 h. The                 mulating Peptide (CPS). Dadurch kann
z-axis illustrates the thickness of the biofilm.                                                          S. gordonii die Virulenz von S. mutans
                                                                                                          hemmen. S. mutans wiederum pro-
                                                                                                          duziert ein potentes Bakteriozin, ge-
                                                                                                          nannt Mutacin, welches zur Bekämp-
den ATPasen eingeschaltet werden                   Biofilms nimmt mit zunehmender Reife                   fung anderer Bakterien dient [70] (Abb.
[109]. Neben der säureinduzierten,                 ab. Biofilme, die von erkrankten Stellen               2).
phänotypischen Anpassung opportu-                  isoliert werden (sogenannte Climax                          Für Lactobacilli ist festgestellt wor-
nistischer Pathogene gibt es auch eine             Communities), zeigen im intraindividu-                 den, dass sie die Expression mehrerer S.
säureinduzierte genotypische Selekti-              ellen Vergleich mit gesunden Stellen ei-               mutans Gene, welche die Saccharose-ab-
on in Richtung azidogener und aziduri-             ne deutliche Einengung der Flora (Abb.                 hängige Glucanbildung kodieren, hem-
scher Subspezies [108, 117]. Bei länger            1) [13, 130].                                          men [72]. Lactobacilli, die von gesunden
anhaltendem pH-Wert Abfall wird der                    Die Bildung des bakteriellen oralen                Probanden isoliert wurden, können da-
Biofilm von kompetitiveren Keimen                  Biofilms ist – wie in diesem Abschnitt                 bei sehr effektiv gegen Mutans Strepto-
dominiert.                                         dargestellt – als hochgradig geordneter,               kokken vorgehen, wobei als Mechanis-
    In kariogenen Biofilmen haben älte-            sequenzieller Vorgang beschrieben wor-                 men die Sekretion von Bakteriozinen
re Studien einen hohen Anteil an Mu-               den [67]. Die bakterielle Biofilmbildung               und Metaboliten, wie H2O2, diskutiert
tans Streptokokken nachgewiesen (ca.               unterliegt allerdings auch ausgeprägten                werden [115].
30 % der Flora) [78]. Neuere Unter-                individual-spezifischen Einflüssen [32].                    Ein weiterer interessanter Aspekt
suchungen weisen darauf hin, dass die              Im interindividuellen Vergleich zeigen                 sind sogenannte suizidale altruistische
mikrobielle Diversität auch in kariösen            sich im Hinblick auf die Bildungsrate,                 Mechanismen, die für S. mutans be-
Läsionen groß ist und neben Mutans                 Menge, Zusammensetzung, Diversität                     schrieben wurden [87]. Über Bakteriozi-
Streptokokken azidogene und aziduri-               und Vitalität des oralen Biofilms große                ne werden nahe verwandte Streptokok-
sche Lactobacilli, Bifidobacterium, Propio-        Variationen und Unterschiede [9, 27,                   ken oder auch Subpopulationen kom-
nibacterium, low-pH Non-Mutans Strep-              45], sodass der individuell gebildete Bio-             petenter Mutans Streptokokken getötet,
tokokken und Actinomyces eine wichtige             film quasi als „Fingerabdruck” des Wir-                um die DNA für die überlebenden Zellen
Rolle spielen [3, 130]. Die Diversität des         tes anzusehen ist.                                     verfügbar zu machen. Über derartige Re-

                                                                              © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11) ■
Der orale Biofilm - neue Perspektiven zu einem alten Thema?
D. Wolff et al.:
          Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema?
666       The oral biofilm – new views on an old topic?

          Abbildung 8 Der potenzielle Zusammenhang von Kariesrisiko, Biofilm und Wirtsfaktoren (spezifische und unspezifische Immunabwehr) [86].
          Figure 8 The potential correlation of caries risk, biofilm and host (specific and unspecific immune defense) [86].     (Abb. 1–4, 6, 8: D. Wolff et al.)

          gulationsmechanismen kann eine selek-                     die für das Überleben im Biofilm essen-     transfersen aus Saccharose synthetisiert
          tive Kompetenz einzelner Bakterienspe-                    ziell sind, über extrazelluläre Signalmo-   werden können [16]. Glukane sind zum
          zies innerhalb des Biofilms erworben                      leküle gesteuert. Die Intra-Spezies Kom-    einen wichtige Strukturkomponenten
          werden (z.B. Pathogenitätsfaktoren, An-                   munikation über das Competence Sti-         und Nährstoffe des Biofilms, zum ande-
          tibiotikaresistenz u.a.) [87].                            mulating Peptide (CPS) reguliert u.a. die   ren agieren sie als wesentliche bakteriel-
              Bakterien können über chemische                       Zelldichte, Genregulation, Expression       le Rezeptoren. Obgleich auch andere
          Stoffe im Biofilm kommunizieren. Mit-                     von Virulenzfaktoren, Bildung von Mi-       Bakterien des Biofilms in der Lage sind,
          hilfe dieser Kommunikation, genannt                       krokolonien und Ausbildung der Bio-         wasserlösliche Glukane zu synthetisie-
          Quorum Sensing, können sie u.a. die                       film-Struktur [117]. Aufgrund der           ren, gilt die Fähigkeit von S. mutans, ver-
          Zelldichte der Population messen oder                     Schlüsselfunktion dieses Kommunikati-       schiedene Glycosyltransferasen an der
          aber bestimmte Gene an- und ausschal-                     onssystems ist es auch ein mögliches        Zelloberfläche zu exprimieren, als sein
          ten [81]. Der Begriff stammt ursprüng-                    Ziel für therapeutische Interventionen      wesentlicher Virulenzfaktor [16]. Darü-
          lich aus dem Römischen Reich und be-                      [119].                                      ber hinaus können Glycosyltransferasen
          zeichnete die geringste Anzahl von Mit-                                                               an zahlreiche weitere Mikroorganismen
          gliedern des Senates, die für eine Ab-                                                                binden und diese zur Glukan-Synthese
          stimmung notwendig waren. Er wurde                        Extrazelluläre polymere Subs-               befähigen [36] (Abb. 3).
          in die Biologie übernommen und be-                        tanzen des oralen Biofilms                      Nach derzeitigem Kenntnisstand
          schreibt heute das koordinierte gemein-                                                               können 3 Glycosyltransferasen von-
          same Agieren von Einzellern mithilfe                      Die Sekretion einer extrazellulären Poly-   einander differenziert werden (Gtf B, C,
          von Kommunikationsmolekülen.                              mermatrix ist die essenzielle Grundlage     D), die bereits als immobilisierte Pio-
              Für S. mutans ist das Phänomen des                    für das Entstehen eines komplexen,          niermoleküle der bakteriellen Biofilm-
          Quorum Sensing sehr gut erforscht                         mehrschichtigen bakteriellen Biofilms       bildung in der Pellikel nachgewiesen
          [117]. Es gibt ein System der Intra-Spe-                  [33]. Charakteristische Matrix-Bestand-     werden können und dort auch enzyma-
          zies Kommunikation (Com CDE TCSTS)                        teile des kariogenen Biofilms sind was-     tisch aktiv sind [16, 46]. Gtf D syntheti-
          und ein System der Inter-Spezies Kom-                     serlösliche und wasserunlösliche Poly-      siert wasserlösliche Glukane, welche als
          munikation (LuxS System) [117]. Unter                     sacharide, sog. Glukane, welche primär      Nahrungsquelle und möglicher Primer
          anderem werden verschiedene Gene,                         von S. mutans assoziierten Glycosyl-        für weitere Isoformen im initialen Bio-

      ■ © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11)
D. Wolff et al.:
Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema?
The oral biofilm – new views on an old topic?                                                                                                               667

film zur Verfügung stehen. Ultrastruk-      ren bevorzugt auf in situ generierten Bio-          schiedener Proteine mithilfe der Immu-
turelle Untersuchungen haben gezeigt,       filmproben (Abb. 4). Mithilfe individu-             nofluoreszenz möglich [65, 97, 99]. Da-
dass insbesondere Gtf D bereits nach        ell hergestellter Tiefziehschienen kön-             bei werden in situ gebildete Pellikel- bzw.
wenigen Minuten in der Pellikel nach-       nen Schmelz-, Dentin- oder Werkstoff-               Biofilmproben mit einem spezifischen
gewiesen werden kann [46]. Dagegen          proben gezielt dem oralen Milieu der                primären Antikörper inkubiert. Dieser
synthetisiert Gtf C vorrangig und Gtf B     Mundhöhle ausgesetzt werden. Dieses                 bindet an Rezeptoren der entsprechen-
ausschließlich wasserunlösliche Gluka-      Modell hat sich bereits in zahlreichen              den Strukturmoleküle. Anschließend
ne, welche für die Kohäsion von Zellen      Untersuchungen zu Bioadhäsionspro-                  wird der primäre Antikörper über einen
und Mikrokolonien während des Bio-          zessen bewährt [46, 65].                            Fluorophor-gekoppelten sekundären An-
film-Wachstums essenziell sind [133].                                                           tikörper detektiert. Generell ermöglicht
Es ist davon auszugehen, dass die zu-       Ultrastrukturelle Untersuchung                      die große Bandbreite innerhalb des sicht-
nehmende strukturelle Vernetzung            des Biofilms                                        baren Spektralbereichs die Anwendung
durch hydrolysestabile extrazelluläre                                                           unterschiedlicher Farbstoffe. Dadurch
Matrixbestandteile den pH-Wert inner-       Wichtige Informationen zur physiologi-              können verschiedene Komponenten si-
halb des Biofilms wesentlich moduliert.     schen und modifizierten Morphologie                 multan in einem Präparat dargestellt
Zu den Mechanismen werden verschie-         der Pellikel und des Biofilms können                werden können. Dies gilt auch für den
dene Hypothesen formuliert. So wird         mithilfe der Transmissions- und Raster-             Nachweis von Bakterien im initialen Bio-
vermutet, dass neutralisierende ioni-       elektronenmikroskopie gewonnen wer-                 film (Abb. 6) [52].
sche Speichelkomponenten nur be-            den (Abb. 5) [54]. Nur mit diesen hoch-                  DAPI (4’, 6-Diamidino-2-Phenylin-
dingt in das Netzwerk der extrazellulä-     auflösenden Techniken kann ein grund-               dol) ist ein klassischer Fluoreszenzfarb-
ren Matrix diffundieren können, wäh-        legendes Verständnis der Ultrastruktur              stoff für den Nachweis adhärenter Bak-
rend apolare Komponenten (Saccharo-         und der Mikromorphologie des Biofilms               terien in einer Probe [89]. Durch Bin-
se) ungehindert in tiefere Biofilm-         erzielt werden. Insbesondere die Trans-             dung an AT-reiche Regionen der bakte-
schichten eindringen können [68]. In-       missionselektronenmikroskopie erfor-                riellen DNA werden sowohl vitale als
vitro-Untersuchungen eines über meh-        dert dabei eine sehr aufwendige Proben-             auch avitale Bakterien unspezifisch mar-
rere Tage generierten mikrobiellen Bio-     präparation [53, 54]. Verfahren wie das             kiert. Darüber hinaus werden auch hu-
films bestätigten die Bildung von Mi-       Goldimmunolabeling zur Detektion                    mane Zellen angefärbt.
krozentren niedrigen pH-Wertes (pH          ausgewählter Komponenten oder die                        Eine entscheidende Determinante
4,4–5) in tiefen Schichten [133]. Folg-     Fluoreszenzmikroskopie können diese                 für die antibakterielle Wirksamkeit von
lich sind dynamische Verschiebungen         Methoden ergänzen [6, 46].                          Substanzen ist jedoch auch der Vitali-
der lokalen mikrobiellen Populationen                                                           tätszustand der Bakterien [25, 121]. Klas-
zugunsten säurestabiler und säurebil-       Fluoreszenzmikroskopische                           sische Kulturverfahren können nur kul-
dender Mikroorganismen möglich. Dies        Verfahren                                           tivierbare, vitale Bakterien erfassen. Bei
führt zur Ausdifferenzierung, Vermeh-                                                           Weitem nicht alle Bakterien der Mund-
rung und Reifung des oralen Biofilms        In aktuellen Studien konnten Methoden               höhle sind kultivierbar [2]. Um vitale
[68] (Abb. 3).                              etabliert werden, um spezifische Be-                von avitalen Bakterien zu unterschei-
                                            standteile des in situ gebildeten initialen         den, können verschiedene Fluoreszenz-
                                            Biofilms fluoreszenzmikroskopisch sicht-            farbstoffe kombiniert werden [25]. Es
Untersuchungsmethoden des                   bar zu machen [50, 65]. Es ist ein heraus-          sind einige Vitalfärbeverfahren be-
oralen Biofilms                             ragender Vorteil fluoreszenzmikroskopi-             kannt, die sich sowohl durch ihre Wirk-
                                            scher Verfahren, dass sie häufig an nati-           mechanismen als auch ihre Haltbarkeit
In-situ-Modell                              ven Präparaten angewandt werden kön-                und Intensität unterscheiden [123]. So
                                            nen, ohne den Biofilm von dem Substrat              kann die Fluoreszenz vitaler Zellen bei-
In-vitro-Untersuchungen des oralen Bio-     ablösen und gegebenenfalls beschädigen              spielsweise aus der Verstoffwechselung
films finden außerhalb des lebenden Or-     zu müssen. Voraussetzung ist dabei die              eines Farbstoffes (Fluorescin-Diacetat)
ganismus statt. Vorteil dieser Verfahren    Adaptation adäquater Färbeprotokolle,               entstehen [103]. Andere Färbemecha-
ist, dass Biofilme unter standardisierten   um eine möglichst spezifische Detektion             nismen beruhen auf der Markierung
Bedingungen kultiviert und in Abhän-        der Molekülaggregate zu gewährleisten.              von DNA und RNA [25, 50] (Abb. 6).
gigkeit von der Fragestellung selektiv      Kritisch einzuwenden ist die begrenzte
modifiziert werden können. Die Kom-         Auflösungsrate des Epifluoreszenzmikros-            FISH – Fluoreszenz-in-situ-
plexität der Mundhöhle, vor allem die       kops als ein limitierender Faktor [50, 65].         Hybridisierung
Beeinflussung der Biofilmbildung durch      Eine Zuordnung von Molekülen in tiefe-
kontinuierliche Umbauvorgänge der           ren Biofilmschichten ist kaum möglich.              Mithilfe der Fluoreszenz-in-situ-Hybri-
Plaque aufgrund von Ablösung und            Einzelne Moleküle des Biofilms exponie-             disierung gelingt die fluoreszenzbasierte
Neubildung, physiologischer Fließver-       ren potenzielle Bindungsstellen für Fluo-           Differenzierung unterschiedlicher bak-
hältnisse, individueller Ernährungs-        reszenzfarbstoffe. So können Glukane                terieller Spezies im Biofilm [7, 28, 63].
gewohnheiten oder immunologischer           über den fluoreszierenden Farbstoff Con-            Dabei werden die Mikroorganismen di-
Reaktionen, können in vitro jedoch          canavalin A epifluoreszenzmikrosko-                 rekt im in situ generierten Präparat
nicht imitiert werden [48]. Demzufolge      pisch detektiert werden (Abb. 6) [52]. In           quantifiziert. Der große Anteil an Strep-
basieren moderne analytische Verfah-        Ergänzung dazu ist der Nachweis ver-                tokokken in frühen Stadien des oralen

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D. Wolff et al.:
          Der orale Biofilm – neue Perspektiven zu einem alten Thema?
668       The oral biofilm – new views on an old topic?

          Biofilms wurde bereits mehrfach nach-                     lich für jedes Individuum einen bakte-           als ob jede dieser Spezies die Rolle der ka-
          gewiesen [28, 62, 75]. Die Markierung                     riellen „Fingerprint“ gibt [73]. Es ist also     riespathogenen Leitkeime einnehmen
          der rRNA ausgewählter Bakterienspezies                    notwendig, über interindividuelle Un-            kann. Die beschriebene Studie ist die ers-
          (Streptokokken und Eubakterien) basiert                   terschiede hinaus typische Muster zu fin-        te ihrer Art, die einen Hinweis auf typi-
          auf der Verwendung spezifischer fluores-                  den. Diese Fragestellung kann auf ver-           sche bakterielle Muster bei der Kariesent-
          zierender Oligonukleotidsonden [5, 45].                   schiedenen Ebenen bearbeitet werden.             stehung gibt.
          Die Fluoreszenz-Farbstoffe lassen sich                    Es ist möglich, in größeren Kohorten
          anschließend mittels konfokaler Laser-                    von oral Gesunden mikrobielle Profile            Neue Methoden zur Biofilm-
          Scanning-Mikroskopie (CLSM) darstel-                      zu beschreiben. Man kann auch eine               analytik und ihre Anwendung in
          len und mithilfe weiterer spezieller Bild-                Gruppe von Erkrankten mit einer Grup-            der kariologischen Forschung
          bearbeitungsprogramme auswerten. Die                      pe von Gesunden vergleichen. Alterna-
          konfokale Laser-Scanning-Mikroskopie                      tiv können zudem Biofilmproben von               Neben den klassischen Kulturmethoden
          ist im Vergleich zur Epifluoreszenzmi-                    gesunden und erkrankten Zahnoberflä-             werden seit mehreren Jahren weitere
          kroskopie durch eine erhöhte optische                     chen im Mund eines Individuums unter-            Methoden zur oralen Biofilmanalyse
          Auflösung gekennzeichnet, da störendes                    sucht werden. Dabei kann im Quer-                verwendet (Abb. 4). Dazu gehören Res-
          Streulicht durch das Einbringen einer Il-                 schnitts-Design zu einem Zeitpunkt an            triktionsfragmentlängenpolymorphis-
          luminationslochblende eliminiert wird.                    verschiedenen Stellen oder im longitudi-         mus (RFLP), RPAD (Randomly Amplified
          Zudem erlaubt sie eine dreidimensiona-                    nalen Design an der gleichen Stelle im           Polymorphic DNA Fingerprinting) oder
          le Darstellung der Biofilmprobe (Abb. 7).                 zeitlichen Verlauf eine Untersuchung             Denaturierungsgradientengelelektro-
                                                                    des Biofilms erfolgen. Die letztere Me-          phorese (DGGE) [76].
          Mikrobiologische Untersuchungen                           thode liefert wahrscheinlich die aussage-            Die     Polymerasekettenreaktionen
          der Karies                                                kräftigsten Ergebnisse zur Differenzie-          (PCR) wurden u.a. für den Nachweis von
                                                                    rung zwischen gesund und krank, ist              einzelnen Bakterien eingesetzt. Später
          Die drei wichtigsten Pathogenitäts- bzw.                  aber auch mit dem größten Aufwand                kam die sog. Quantitative Real-time Po-
          Virulenzfaktoren für die Kariogenese                      verbunden. Derartige Studien sind sehr           lymerasekettenreaktion (RQ-PCR) zum
          sind Säureproduktion, Säuretoleranz                       selten, zeigen aber beeindruckende Er-           Einsatz. Hochdurchsatzgeräte ermögli-
          und die Fähigkeit, Biofilme auszubilden                   gebnisse. So haben Gross et al. [37] bei ei-     chen dabei die Durchführung größerer
          [104]. Da S. mutans diese Eigenschaften                   ner Gruppe von Kleinkindern (12–36               experimenteller Ansätze (z.B.: Nachweis
          alle in sich vereint, war man in der Ver-                 Monate) mikrobielle Proben von gesun-            mehrerer Bakterien bei mehreren Pa-
          gangenheit der Meinung, in ihm den                        den Zähnen und Kariesläsionen ver-               tienten in einem Durchgang) [129, 130].
          maßgeblich kariesauslösenden Keim ge-                     schiedener Stadien entnommen. Diese              Durch Fluoreszenzmessungen während
          funden zu haben [79]. Mittlerweile geht                   wurden mikrobiell untersucht und lon-            der sich wiederholenden PCR-Zyklen
          man jedoch davon aus, dass mehrere                        gitudinal weiter beobachtet. In der lon-         können Nachweis und Quantifizierung
          Bakterienspezies an der Kariesinitiation                  gitudinalen Beobachtung konnte gezeigt           des PCR Produktes erfolgen [129].
          und Progression beteiligt sind [1], da S.                 werden, dass die bakterielle Vielfalt mit            Die sogenannte Checkerboard Hy-
          mutans in kariösen Kavitäten nicht in                     dem Voranschreiten der Karies signifi-           bridisierung wurde für viele Studien im
          signifikanter Anzahl nachweisbar war                      kant abnimmt. Die mikrobielle Diver-             Bereich der oralen Mikrobiologie ver-
          [11], und 10 % der Patienten mit schnell                  sität war bei Probanden, die eine Karies-        wendet. Dahinter verbirgt sich ei-
          fortschreitender Karies keine detektier-                  progression zeigten, schon auf gesun-            ne DNA-DNA-Hybridisierungsmethode.
          baren Level an S. mutans aufwiesen [3].                   dem Schmelz vergleichsweise geringer             Das bedeutet, dass DNA-Sonden, die
          Darauf folgend wurde eine zunehmende                      [37]. Im Vergleich dazu wiesen Proban-           spezifisch für ein bestimmtes Bakterium
          Vielfalt von Keimen in kariösen Läsio-                    den mit arretierter Karies oder gesunden         sind, auf einer Membran aufgebracht
          nen beschrieben, dazu zählen low-pH                       oralen Verhältnissen eine signifikant hö-        sind. Dann wird DNA aus einer klinisch
          Non-Mutans Streptokokken, Rothia,                         here mikrobielle Diversität auf. Kariöse         gewonnenen Probe auf den Träger auf-
          Actinomyces, Lactobacilli, Bifidobacteria                 Proben zeigten auch in dieser Studie eine        gebracht. Liegen Sonde und passende
          u.v.a. [3, 11, 90, 106, 130].                             Dominanz von S. mutans, S. vestibula-            bakterielle DNA im Ansatz vor, so ver-
               Die Studiendaten lassen zwar wie-                    ris/S. salivarius, Veillonella atypica/Veillo-   binden sie sich. Zur Kenntlichmachung
          derkehrende bakterielle Muster erken-                     nella dispar/Veillonella parvula, S. sobrinus    der erfolgreichen Hybridisierung wer-
          nen, manche Ergebnisse sind jedoch                        und S. parasanguinis [37]. Bei dem Gros          den Fluoreszenzfarbstoffe eingesetzt.
          auch widersprüchlich, wie beispielswei-                   der untersuchten Probanden mit voran-            Mithilfe der Checkerboard Hybridisie-
          se die Beschreibung von einigen Strepto-                  schreitenden kariösen Läsionen ließ sich         rung konnte eine effiziente und weit-
          kokkenspezies sowohl als krankheits-                      eine Dominanz von S. mutans feststellen,         gehend zuverlässige Analyse oraler Spe-
          assoziiert [37] wie auch im Zusammen-                     allerdings konnten bei einzelnen Indivi-         zies durchgeführt werden [118].
          hang mit gesunden Verhältnissen [2].                      duen mit progredienter Karies auch an-               DNA-Mikroarrays        funktionieren
          Bevor man mikrobiologische Muster für                     dere individualspezifische bakterielle           prinzipiell wie die Checkerboard Hybri-
          eine Krankheit beschreiben kann, muss                     Profile („Fingerprints“) identifiziert wer-      disierung. Sie bedienen sich dabei kürze-
          als Referenz die Mikrobiologie beim Ge-                   den. Es gab ein bakterielles Profil, bei         rer Oligonukleotid-Sonden, die auf ein
          sunden erforscht sein. Schon dies ist eine                dem S. sobrinus dominierte, sowie ein            Trägermaterial (spezielle Glasobjektträ-
          herausfordernde Aufgabe, betrachtet                       weiteres Profil, bei dem S. vestibularis/S.      ger) aufgebracht (gespottet) sind. Mikro-
          man die Tatsache, dass es wahrschein-                     salivarius vorherrschten. Es scheint also,       arrays umfassen dabei allerdings eine

      ■ © Deutscher Ärzte-Verlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2014; 69 (11)
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