Die Branche Detailhandel - Analyse, Ziele und Forderungen der Unia

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Die Branche Detailhandel - Analyse, Ziele und Forderungen der Unia
Die Branche
Detailhandel
Analyse, Ziele und Forderungen der Unia
Die Branche Detailhandel - Analyse, Ziele und Forderungen der Unia
Die Branche Detailhandel - Analyse, Ziele und Forderungen der Unia
Vorwort

Der Detailhandel ist mit über 320 000 Beschäftigten die zweitgrösste Branche der Schweiz.
Zudem bildet sie rund 26 000 Lehrlinge aus und ist damit die grösste Lehrlingsausbildnerin.
Die Arbeitsbedingungen im Detailhandel jedoch sind ungenügend: Die Arbeitszeiten sind
lang, die Löhne tief und prekäre Arbeitsbedingungen weit verbreitet. Jede zehnte beschäf­
tigte Person verdient für ein Vollzeitpensum weniger als 3673 Franken im Monat. Weder
Ausbildung noch Berufserfahrung werden genügend honoriert. Die Produktivität pro Arbeits­
kraft dagegen ist im Detailhandel zwischen 2000 und 2009 um ganze 23 Prozent gestiegen.
Das bedeutet: Weniger Beschäftigte leisten immer mehr und müssen erst noch längere
Öffnungszeiten abdecken. Dies führt für die Beschäftigten zu mehr Stress und gefährdet
ihre Gesundheit. Angesichts der schwierigen Arbeitsbedingungen im Detailhandel wäre eine
branchenweite sozialpartnerschaftliche Regulierung bzw. ein effektiver Schutz der Arbeit­
nehmenden besonders wichtig. Doch genau dieser fehlt: Ein nationaler branchenweiter Ge­
samtarbeitsvertrag, wie er für diese wichtige Branche eigentlich eine Selbstverständlichkeit
sein sollte, existiert nicht.
Mit 13 500 Mitgliedern ist die Gewerkschaft Unia die grösste Gewerkschaft im Detailhandel.
Als Vertragspartner des Gesamtarbeitsvertrages Coop – aber auch aller bestehenden all­ge­
mein­verbindlichen kantonalen und lokalen Branchen-Gesamtarbeitsverträge – setzt sich die
Unia für bessere Arbeitsbedingungen ein. Mit rund 200 000 Mitgliedern ist die interprofes­
sionelle Unia die grösste Gewerkschaft in der Schweiz. Die Unia ist auf dem Terrain präsent
und verfügt darüber hinaus über ein breites Netz von rund 90 lokalen Sekretariaten in der
ganzen Schweiz und ist so nahe bei den Anliegen des Personals im Detailhandel.
In der vorliegenden Broschüre liefern wir eine Analyse der eingangs skizzierten Punkte. In
einem Grundlagenteil werden die wirtschaftliche Entwicklung der Branche und ihr Stellen­
wert erörtert. Besonders analysiert werden der Strukturwandel der letzten Jahre und die
fortschreitende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. In den Anhängen werden zudem
Steckbriefe der wichtigsten Player der Branche zusammengetragen (sowohl in der Sparte
Nahrungsmittel als auch in den verschiedenen Subbranchen).
Diese Analysen zeigen, dass der Detailhandel grosses Potential hat, um gute Arbeitsbedin­
gungen zu bieten. Im Perspektiventeil definiert die Gewerkschaft Unia deshalb zusammen
mit den Mitgliedern des Detailhandels Ziele für die Branche. Die von der Branchenkonferenz
Detailhandel diskutierten und verabschiedeten Ziele sind drei: Aufwertung des Verkaufsbe­
rufes; gute Arbeitsplätze mit verantwortlicher Arbeitszeitpolitik; Stärkung des gesetzlichen,
sozialpartnerschaftlichen und vertraglichen Rahmens für eine nachhaltige Stärkung der
Branche. Dabei werden die Problemfelder eruiert und Vorschläge bzw. Forderungen formu­
liert, wie die Ziele zu erreichen sind und das Potential zu nutzen ist.

Vania Alleva
Leiterin Sektor Tertiär und Mitglied der Geschäftsleitung Unia
Die Branche Detailhandel - Analyse, Ziele und Forderungen der Unia
Impressum
Herausgeberin: Gewerkschaft Unia | Redaktion: José Corpataux, SGB; Eva Geel, Unia; Vania Alleva, Unia; Anne Rubin, Unia |
Grafik: Carole Lonati, Esther Wickli | Druck: Unia, Bern | Auflage: 350 Exemplare | Zu beziehen bei: Unia Zentralsekretariat,
Postfach 272, CH-3000 Bern 15 | Bern, Juni 2012

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Inhaltsverzeichnis
Grundlagen                                                                                     6
1.    Überblick                                                                                 6

2. Zweitgrösste Branche der Schweiz, dominiert von Coop und Migros                              8
2.1 Entwicklung seit 2000: Beschäftigung geht zurück, Produktivität steigt                      8
2.2 Migros und Coop dominieren                                                                 11

3.    Charakter der Branche: hoher Frauenanteil und tiefe Löhne                                13
3.1   Frauen- und Teilzeitarbeit                                                               13
3.2   Migranten und Migrantinnen                                                               16
3.3   Lehrlinge, Aus- und Weiterbildung                                                        18
3.4   Löhne                                                                                    21

4.    Detailhandel – eine Branche im permanenten Strukturwandel                                28
4.1   Konzentrations- und Rationalisierungsprozess                                             28
4.2   Harddiscounter, Tankstellen- und Convenienceshops                                        30
4.3   Starker Filialisierungstrend, unabhängige Detaillisten verschwinden                      32
4.4   Scheinselbständigkeit durch Franchising                                                  35

5.    Verschlechterung der Arbeitsbedingungen                                                  36
5.1   Arbeitszeiten, Stress und Gesundheit                                                     38
5.2   Organisationen der Arbeitgeber                                                           42
5.3   Organisationen der Arbeitnehmenden                                                       44
5.4   Gesamtarbeitsverträge im Detailhandel                                                    45

Perspektiven – Ziele und Vorschläge der Unia                                                   48
6.    Handlungsperspektiven                                                                    48
6.1   Ziel 1: Aufwertung des Verkaufsberufes                                                   48
6.2   Ziel 2: Gute Arbeitsplätze mit verantwortlicher Arbeitszeitpolitik                       50
6.3   Ziel 3: Stärkung des gesetzlichen, sozialpartnerschaftlichen und vertraglichen Rahmens   53
              für eine nachhaltige Stärkung der Branche

Anhänge                                                                                        54
Anhang A: Die wichtigsten Markteilnehmer in der Sparte Nahrungsmittel                          54
Anhang B: Die wichtigsten Teilnehmer in verschiedenen Subbranchen                              62

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Grundlagen – Überblick

1. Überblick
Der Detailhandel ist für die Schweizer Wirtschaft von zentraler
Wichtigkeit. Die Branche erwirtschaftet knapp 5 Prozent der natio-
nalen Wertschöpfung und beschäftigte im Jahr 2011 über 321 000
Personen. Das sind 7,4 Prozent aller Beschäftigten in der Schweiz.
Damit ist der arbeitsintensive Detailhandel der zweitgrösste Ar-
beitgeber der Schweiz.

6
Die Branche weist spezifische Eigenschaften auf: So sind grösstenteils Frauen im Detailhan­
del beschäftigt, und sie arbeiten meist Teilzeit. Obwohl der Detailhandel von allen Branchen
die meisten Ausbildungsplätze anbietet, sind die Aufstiegsmöglichkeiten sehr gering. Ein
überwiegender Teil der Angestellten hat denn auch keine Führungsfunktion inne; ein Phä­
nomen, das unter den weiblichen Beschäftigten noch ausgeprägter ist. Dazu kommt, dass
die Löhne im Vergleich zu anderen Branchen sehr niedrig sind.

Klare Markführer sind die beiden einheimischen Detailhandelsriesen Migros und Coop, die
ihre Vormachtstellung in den letzten Jahren trotz zunehmender internationaler Konkurrenz
ausbauen konnten. Allerdings ist auch festzuhalten, dass der Detailhandel zahlreichen
strukturellen Veränderungen unterworfen war und immer noch ist. Dazu gehören:
n Konkurrenzkampf und Konzentration: Die grossen Marktteilnehmer haben zahlreiche
  Unternehmen aufgekauft. Mit dem Markteintritt der Harddiscounter aus Deutschland
  verstärkt sich der Konkurrenzkampf in der Schweiz weiter.
n Filialisierung und neue Formate: Die Anzahl der Tankstellen- und Convenience-Shops hat
  in einer Dekade beinahe um das Doppelte zugenommen. Diese neuen Formate werden
  häufig in Franchise eines grossen Detailhandelsunternehmens geführt. Generell ist die
  Branche gekennzeichnet durch eine starke und wachsende Filialisierung.
n Rationalisierungsprozesse und Personalabbau haben die Produktivität der Angestellten
  erheblich erhöht, die Umsätze und Gewinne in der Branche sind entsprechend gestiegen.

Der erbitterte Kampf um Marktanteile hat fatale Folgen für das Verkaufspersonal:
n Rationalisierungs- und Sparmassnahmen verschlechtern die Arbeitsbedingungen.
n Der Stress am Arbeitsplatz ist in den letzten Jahren durch die permanente Verlängerung
  der Ladenöffnungszeiten und den Personalabbau massiv gestiegen.

Kapitel 6 zeigt die gewerkschaftlichen Handlungsperspektiven hinsichtlich dieser proble­
matischen Entwicklung auf.

                                                                                         7
Grundlagen – Zweitgrösste Branche

2. Zweitgrösste Branche
   der Schweiz, dominiert von
   Coop und Migros
2.1 Entwicklung seit 2000: Beschäftigung geht zurück,
    Produktivität steigt

Der Detailhandel ist eine der grössten Branchen der Schweiz, auch wenn die Beschäfti­
gung stark zurückgegangen ist und seit 2006 stagniert. Aktuell zählt der Detailhandel über
321 000 Arbeitsplätze. Umgerechnet auf 100 %-Pensen ergibt das 253 500 Arbeitsstellen,
was rund 7,4 % des gesamten Schweizer Arbeitsmarktes ausmacht (Grafik 2.1.1).

Grafik 2.1.1: Beschäftigungsanteil der Branchen in Prozent an der Gesamtwirtschaft, 2011*
10
 9
 8
 7
 6
 5
 4
 3
 2
 1
 0
     Baugewerbe

                                 Gesundheitswesen

                                                    Grosshandel

                                                                  Erziehung und Unterricht

                                                                                             Öffentliche Verwaltung

                                                                                                                              Erbringung von
                                                                                                                      Finanzdienstleistungen
                                                                                                                                               Sozialmedizinische
                                                                                                                                                    Einrichtungen
                                                                                                                                                                    Gastgewerbe/
                                                                                                                                                                    Beherbergung
                                                                                                                                                                                   Sonstige wirtschaftliche
                                                                                                                                                                                          Dienstleistungen
                                                                                                                                                                                                                 Herstellung von Datenver-
                                                                                                                                                                                                              arbeitungsgeräten und Uhren
                                                                                                                                                                                                                                                         Herstellung
                                                                                                                                                                                                                                             von Metallerzeugnissen
                                                                                                                                                                                                                                                                        Architektur und
                                                                                                                                                                                                                                                                       Ingenieurwesen
                                                                                                                                                                                                                                                                                               Güterverkehr auf dem
                                                                                                                                                                                                                                                                                          Landweg und Rohrleitungen

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Maschinenbau
                  Detailhandel

*ohne Landwirtschaft
Quelle: BFS (Bundesamt für Statistik)

8
Im Vergleich zu den vier Nachbarländern Österreich, Deutschland, Frankreich und Italien
klassiert sich der Schweizer Detailhandel mit seinem Beschäftigungsanteil von 7,4 % in der
Mitte. In Österreich und Deutschland arbeiten – gemessen an der Gesamtbeschäftigung –
mehr Menschen im Detailhandel, in Italien und Frankreich weniger (Grafik 2.1.2). Gleichzei­
tig ist aber die Wertschöpfung der schweizerischen Detailhandelsbranche vergleichsweise
hoch. 2009 lag sie bei 4,7 Prozent. Nur Österreich lag höher mit 4,8 Prozent. In Deutschland
machte dieser Anteil im Jahr 2009 nur gerade 3,6 Prozent aus.

Grafik 2.1.2: Anteil des Detailhandels an der Wertschöpfung und der Beschäftigung in diversen
Ländern, 2009
10
 9
 8
 7
 6
 5
 4
 3
 2
 1                                                                 Anteil (in %) an der Wertschöpfung
 0                                                                 Anteil (in %) an der Gesamtbeschäftigung
       Österreich

                    Deutschland

                                  Schweiz

                                            Italien

                                                      Frankreich

Quelle: Eurostat, mit Ausnahme der Wertschöpfung in der Schweiz (Quellen: BFS/Seco)

                                                                                                        9
Grundlagen – Zweitgrösste Branche

Die Arbeitsproduktivität1 ist in den letzten Jahren enorm gestiegen – zwischen 2000 und
2009 um gute 23 Prozent (Grafik 2.1.3). Das heisst, ein Angestellter/eine Angestellte pro­
duziert im Detailhandel heute weit mehr als früher. Zurückzuführen ist dies auf effizientere
und rationellere Arbeitsabläufe, aber auch auf den Personalabbau und den vermehrten
Druck auf das Personal (siehe Kapitel 5). Zum Vergleich: Im selben Zeitraum stieg die reale
Arbeitsproduktivität in der gesamten Schweizer Wirtschaft nur gerade um 5 %.
Auch die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008–2009 hat der schweizerische Detailhandel
bisher vergleichsweise gut überstanden, da die Migrationsbevölkerung wächst und den
Geschäftsgang im Detailhandel durch ihren Konsum stützt.

Grafik 2.1.3: Entwicklung von Produktivität und Beschäftigung in Detailhandel und
Gesamtwirtschaft, 2000–2009, in %
25

20

15

10

 5

 0                                                                        Detailhandel
                                                                          Schweizer Wirtschaft
-5                                                                        (ohne Landwirtschaft)
          Reale Arbeitsproduktivität      Entwicklung
          pro Vollzeitstelle, in %        der Beschäftigung, in %
Quelle: Seco/BFS, eigene Berechnungen

1 Die Arbeitsproduktivität misst den Zusammenhang zwischen den produzierten Waren oder Dienstleistungen
und den Arbeitsstunden, die dafür verwendet wurden. Wenn also die Arbeitsproduktivität pro Person zunimmt,
heisst dies, dass die Beschäftigten in einem gewissen Zeitraum mehr Waren oder Dienstleistungen produziert
haben.

10
2.2 Migros und Coop dominieren

Die Detailhandelsbranche verfügt über eine beinahe duopolistisch geprägte Struktur. Ein
Blick auf die Umsatzzahlen der zehn grössten Schweizer Detailhändler zeigt, dass Migros
und Coop den Markt klar dominieren (Tabelle 2.2.1). Sie registrierten 2010 einen Umsatz
von 19,6 Milliarden respektive 16,9 Milliarden Franken und übertrafen damit die anderen
Marktteilnehmer bei weitem. Manor zum Beispiel nähert sich als drittgrösstes Unternehmen
knapp der 3-Milliarden-Marke.

Tabelle 2.2.1: Die 10 grössten Schweizer Detailhändler gemäss Umsatzzahlen im Jahr 2010

Detailhändler             Umsatz 2010           Rechtsform                                       Beschäftigte
                          in Millionen CHF3
Migros1                       19’613            Genossenschaft                                      ca. 86’000
Coop2                         16’925            Genossenschaft                                   knapp 53’000
                                                                                           (ohne Transgourmet)
Manor                           2’988           Aktiengesellschaft, im Besitz der Maus                  11’799
                                                Frères Holding in Genf
Aldi Suisse                     1’410           Aktiengesellschaft, im Besitz der                   über 2’000
                                                Aldi Süd AG (Mühlheim an der Ruhr/D)
Volg Gruppe4                    1’295           AG                                                    ca. 3’000
                                                                                              (ohne Visavis und
                                                                                             Tankstellenshops)
Landi4                          1’100           AG                                                      ca. 300
Media Markt Schweiz             1’038           AG, im Besitz der Media Saturn Holding,               ca. 1’160
                                                die sich wiederum im Besitz der Metro-
                                                Gruppe befindet (beide in Ingolstadt/D)
Ikea                              987           AG, im Besitz der Ingka-Stiftung                      ca 3’000
                                                (Leiden/NL)
Valora                            974           AG                                                       5’801
Dosenbach-Ochsner                 949           AG, im Besitz der Deichmann-Gruppe                       3’896
                                                (Essen/D)
Quelle: Detailhandel Schweiz 2011, GFK Switzerland, Sites der diversen Unternehmen

1 Mit Denner und anderen Tochtergesellschaften
2 Mit Interdiscount, Fust und anderen Tochtergesellschaften
3 Diese Zahlen beinhalten nur die Geschäftstätigkeiten in der  Schweiz. Die Migros und die Coop-Gruppe sind je­
doch nicht nur im Schweizer Detailhandel tätig. Daher ergibt sich zwischen den oben erwähnten Zahlen und den
in den Geschäftsbericht publizierten Zahlen teilweise eine Differenz.
4 Volg und Landi sind Unternehmen der Fenaco (Volg betreibt u.a. eigene Läden, die Landi ist ein Vertriebs- und
Dienstleistungsunternehmen).

                                                                                                          11
Grundlagen – Zweitgrösste Branche

Die gesamte Detailhandelsbranche erwirtschaftete 2010 einen Umsatz von 97,8 Milliarden
Franken. Die Subbranche «Nahrungsmittel» bildet dabei den grössten Bereich und verbucht
mit einem Umsatz von 48.3 Milliarden beinahe 50 Prozent. Die Grafik 2.2.2 zeigt die Bedeu­
tung der Sektoren punkto Beschäftigung (siehe auch Anhänge).

Tabelle 2.2.2 Beschäftigung nach Sparten, in %
40     37
35
30
25
20                                                                                                                                                                                   16
15                       12
10                                              7              7                 5                                                                  5
 5                                                                                                 4                3                  2                             2
 0
     Nahrungs- und
      Genussmittel

                     Textilien, Bekleidung
                               und Schuhe

                                              Consumer
                                             Electronics

                                                           Warenhäuser, div.

                                                                               Printmedien

                                                                                                          Möbel,
                                                                                             Wohnungseinrichtung

                                                                                                                   Do-it-yourself

                                                                                                                                    Körperpflege

                                                                                                                                                   Apotheken

                                                                                                                                                               nicht-stationärer
                                                                                                                                                                   Detailhandel

                                                                                                                                                                                      Sonstiger
                                                                                                                                                                                   Detailhandel
Quelle: Die Volkswirtschaft 12/2007

Das Wichtigste in Kürze:
n Der Detailhandel ist einer der grössten Arbeitgeber der Schweiz.
n Im letzten Jahrzehnt hat die Arbeitsproduktivität pro Mitarbeitender im Vergleich zur Ge­
  samtwirtschaft stark zugenommen. Die Produktivität im schweizerischen Detailhandel ist
  auch höher als im benachbarten Ausland.
n Die Branche wird klar dominiert von Migros und Coop.

12
3. Charakter der Branche: hoher
   Frauenanteil und tiefe Löhne
3.1 Frauen- und Teilzeitarbeit

Der Detailhandel weist zwei spezifische Eigenschaften auf. Vor allem Frauen arbeiten in der
Branche. Dies im Gegensatz zur Gesamtwirtschaft, wo die Frauen mit 43,9 % noch in der
Minderheit sind. Im Detailhandel arbeiten über 213 000 Frauen, dies macht bei insgesamt
321 000 Angestellten beinahe 67 Prozent der Beschäftigten aus. Nur gerade 33,6 Prozent
der Arbeitsplätze werden durch Männer besetzt, was etwa 108 000 Stellen entspricht (Grafik
3.1.1).

Grafik 3.1.1: Beschäftigung nach Geschlecht in %, 2011

             Detailhandel            33.6                  66.4

Sekundärer und tertiärer
     Sektor zusammen                           56.1               43.9
                                                                                    Männer
                                                                                    Frauen
                           0%    10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Quelle: Beschäftigungsstatistik (BESTA), BFS

                                                                                      13
Grundlagen – Branchencharakter

 Zudem gibt es im Vergleich zur Gesamtwirtschaft sehr viele Teilzeitstellen. Im Jahr 2011
 machte die Teilzeitarbeit 31 Prozent aller Stellen im Sekundär- und Tertiärsektor aus. Im
 Detailhandel lag dieser Anteil wesentlich höher und machte beinahe 41 Prozent aus.
 n 24 Prozent der Personen im Detailhandel haben eine Stelle, die als «Teilzeit 1» definiert
   ist. Dies bezeichnet Teilzeitarbeit zwischen 50 und 89 Prozent (gegenüber 19 % in der
   Schweizer Wirtschaft).
 n 16,7 Prozent belegen eine «Teilzeit 2»-Stelle. Dies bezeichnet Teilzeitarbeit unter 50 Pro­
   zent (gegenüber 12 % in der Schweizer Wirtschaft).

 Die Aufschlüsselung nach Geschlechtern zeigt, dass die Teilzeitarbeit in erster Linie Frauen
 betrifft, und das sowohl in der gesamten Schweizer Wirtschaft als auch im Detailhandel
 (Grafik 3.1.2). In der Gesamtwirtschaft arbeiten 53,7 Prozent der Frauen Teilzeit, im Detail­
 handel sind es mit 53,2 Prozent praktisch gleich viel. Männer hingegen arbeiten nur gerade
 zu 15,9 Prozent Teilzeit (in der Gesamtwirtschaft zu 13,2 Prozent).

 Grafik 3.1.2: Voll- und Teilzeitstellen, Aufteilung nach Geschlecht und Beschäftigungsgrad in %, 2011
Sek. u. Tert. Sektor

                       Frauen           46.3                        33.0               20.7
zusammen

                       Männer                         86.8                              8.0 5.2
Detailhandel

                       Frauen           46.8                        31.5               21.7

                       Männer                         84.1                             9.2    6.7     Vollzeit
                                                                                                      Teilzeit 1
                                                                                                      Teilzeit 2
                            0%   10%   20%     30%   40%     50%   60%     70%   80%   90%     100%
 Quelle: Beschäftigungsstatistik (BESTA), BFS

 14
Nicht nur, dass Frauen häufig Teilzeit arbeiten – sie verfügen meist auch über niedriger
qualifizierte Stellen als Männer. So sind Frauen in Stellen ohne Führungsfunktion über­
proportional vertreten: 67,7 Prozent der Frauen hatten im Jahr 2000 eine Stelle ohne
Führungsfunktion. Demgegenüber arbeiteten nur 42,1 Prozent der Männer in einer Stelle
ohne Führungsfunktion (Grafik 3.1.3). Damit ist das Ungleichgewicht noch stärker als in
der Gesamtwirtschaft. Dort arbeiteten 65,5 Prozent der Frauen und 45,8 der Männer in
Positionen ohne Führungsfunktion.

Grafik 3.1.3: Beschäftigungsstatus unterteilt nach Geschlecht in %, 2000

                           Lernende
Angestellte ohne Führungsfunktion
      Mittleres und niederes Kader
              Eigentümer der Firma
    Mitglieder der Geschäftsleitung
  Mitarbeitende Familienmitglieder
      Selbständig ohne Angestellte
                                                                                          Frauen
       Selbständig mit Angestellten                                                       Männer
                                      0    10    20      30     40         50   60   70
Quelle: Eidgenössische Volkszählung, BFS

                                                                                            15
Grundlagen – Branchencharakter

3.2 Migranten und Migrantinnen

Im Detailhandel arbeiten vergleichsweise wenige Migrantinnen und Migranten. Jedoch auch
hier belegen sie mit 21,6 Prozent rund einen Fünftel aller Arbeitsplätze (Grafik 3.2.1). Im
Vergleich dazu erreichen sie 25 Prozent auf gesamtschweizerischer Ebene und 23 Prozent
im Tertiärsektor.

Grafik 3.2.1: Anteil ausländische Arbeitnehmende an Gesamtbeschäftigung in %, 2008
35
30                                                                               27.7
              25.0
25                                 23.0                   21.6
20
15
10
 5
 0
        Wirtschaft CH          Sektor Tertiär          Gesamter            nicht spezialisierter
                                                       Detailhandel        Detailhandel
Quelle: BFS

Die im Detailhandel beschäftigten Migrantinnen und Migranten arbeiten vornehmlich in
nicht-spezialisierten Betrieben. Diese Kategorie umfasst sowohl Grossmärkte als auch
verschiedene Kleinbetriebe, insgesamt beinahe 90 000 Stellen. Dort machen die Migran­
tinnen und Migranten beinahe 28 Prozent aus, was weit höher ist als ihr Anteil am übrigen
Detailhandel oder der Gesamtwirtschaft.

16
Grafik 3.2.2: Beschäftigungsstatus nach Nationalität in %, 2000

                           Lernende
Angestellte ohne Führungsfunktion
      Mittleres und niederes Kader
              Eigentümer der Firma
   Mitglieder der Geschäftsleitung
 Mitarbeitende Familienmitglieder
      Selbständig ohne Angestellte
                                                                                      Migranten
      Selbständig mit Angestellten                                                    Schweizer
                                      0    10    20     30        40   50   60   70
Quelle: Eidgenössische Volkszählung, BFS

Zudem belegen Migrantinnen und Migranten generell niedriger qualifizierte Positionen als
Schweizer Arbeitnehmende. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 belegten in der Gesamtwirtschaft
67,2 Prozent der MigrantInnen eine Stelle ohne Führungsfunktion. Bei den Schweizer Ar­
beitnehmenden betrug dieser Anteil nur 51 Prozent. Dieselbe Tendenz ist, wenn auch etwas
weniger ausgeprägt, auch im Detailhandel auszumachen. So arbeiteten im Jahr 2000 66,4
Prozent der Migrantinnen und Migranten in Positionen ohne Führungsfunktionen (Grafik
3.2.2) während 57,2 Prozent der Schweizer Beschäftigten keine Führungsfunktion inne
hatten.

                                                                                           17
Grundlagen – Branchencharakter

3.3 Lehrlinge, Aus- und Weiterbildung

Die Zahl der Lehrlinge in der Detailhandelsbranche ist hoch. Gemäss einer im Jahr 2008
durchgeführten Betriebszählung ist der Detailhandel die Branche mit den meisten Lehrlin­
gen (Grafik 3.3.1). 2008 zählte sie über 26 000 Lehrlinge und lag mit einem Anteil von 13 %
vor dem Baugewerbe (mit über 24 400 Lehrlingen).

Grafik 3.3.1: Lehrlinge im Branchenvergleich, in absoluten Zahlen und %, 2008
30000
              13.0            12.2
25000
20000
15000                                          6.2                     5.8
10000                                                                                        4.0                      3.7
 5000
     0
                              Baugewerbe
              Detailhandel,
             ausgenommen
            Motorfahrzeuge

                                              Handel und Reparatur
                                                   Motorfahrzeuge

                                                                              Berufe im
                                                                     Bereich Gesundheit

                                                                                                                          Architektur- und
                                                                                                                           Ingenieurbüros
                                                                                                                  Kontrollen und Analysen
                                                                                                     Mediz. und
                                                                                          soziale Einrichtungen

Quelle: Eidgenössische Betriebszählung, BFS

Zwar bildet die Branche viele Lehrlinge aus, die Grafik 3.3.2 zeigt aber auch, dass ein grosser
Teil der Detailhandelsangestellten keine weiterführende Ausbildung absolviert. 81 Prozent
der Beschäftigten haben keine oder nur die obligatorische Schulzeit absolviert, eine Lehre
abgeschlossen oder eine Berufsschule besucht. Lediglich rund 15 Prozent der Detailhan­
delsangestellten haben einen Maturitätsabschluss oder das Diplom einer höheren Fach­
schule in der Tasche. In der Gesamtwirtschaft hingegen liegt der Anteil der Beschäftigten
mit einem Maturitätsabschluss oder einer höheren Fachausbildung mit gut 29 % beinahe
doppelt so hoch.

18
Tabelle 3.3.2: Erwerbstätige nach der höchsten abgeschlossenen Ausbildung, 2000

Höchste abgeschlossene Ausbildung                        CH Wirtschaft %     Detailhandel %
Keine abgeschlossene Ausbildung                                2,3                 2,1
Obligatorische Schulzeit                                     17,8                 23,0
10. Schuljahr oder allg. Berufsvorbereitung                    2,7                 3,6
Lehre, vollzeitliche Berufsschule                            41,6                 52,3
Maturität                                                      4,8                 3,8
Fachmittelschule                                               3,2                 1,3
Höhere Berufsausbildung                                        8,5                 5,8
Höhere Fachschule                                              3,3                 0,9
Fachhochschule                                                 1,3                 0,5
Universität, Hochschule                                        8,3                 2,9
Keine Angaben                                                  6,3                 3,9
Quelle: Eidgenössische Volkszählung, BFS.

Auch hier zeigt sich ein Graben zwischen den Geschlechtern: 22,7 % der Männer können
einen Maturitätsabschluss oder das Diplom einer höheren Fachschule vorweisen. Bei den
Frauen ist es nicht mal die Hälfte (11,1 %). Auch haben über 85 % der Frauen keine über
die Lehre hinausgehende Ausbildung absolviert. Bei den Männern hingegen beträgt dieser
Anteil nur 73,2 %. Besonders augenfällig wird der Unterschied auf der Stufe der obligatori­
schen Schulzeit. Dort beträgt der Anteil der Frauen 25,6 %, der Anteil der Männer nur gerade
18 % (Tabelle 3.3.3).

Tabelle 3.3.3: Erwerbstätige im Detailhandel nach Ausbildung und Geschlecht, 2000

Höchste abgeschlossene Ausbildung                            Männer %             Frauen %
Keine abgeschlossene Ausbildung                                2,0                   2,2
Obligatorische Schulzeit                                      18,0                  25,6
10. Schuljahr oder allg. Berufsvorbereitung                    1,9                   4,5
Lehre, vollzeitliche Berufsschule                             51,3                  52,8
Maturität                                                      4,1                   3,5
Fachmittelschule                                               1,0                   1,5
Höhere Berufsausbildung                                       11,1                   3,0
Höhere Fachschule                                              1,8                   0,5
Fachhochschule                                                 0,8                   0,3
Universität, Hochschule                                        3,9                   2,3
Keine Angaben                                                  4,0                   3,8
Quelle: Eidgenössische Volkszählung, BFS.

                                                                                              19
Grundlagen – Branchencharakter

Mit anderen Worten:
n Die Detailhandelsbranche bildet zahlreiche Lehrlinge aus;
n Die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten sind nach wie vor bescheiden:
  nur wenige Personen erreichen eine leitende Stellung;
n Noch ausgeprägter zeigt sich dies bei den weiblichen Erwerbstätigen.

Diese Entwicklung widerspiegelt sich auch in den Zahlen zur Weiterbildung: 7000 Lehrlinge
starten jedes Jahr die berufliche Grundbildung zu Detailhandelsfachfrau/Detailhandels­
fachmann oder zum Detailhandelsassistenten. Diese beiden Ausbildungen schliessen
mit einem eidgenössisch anerkannten Fähigkeitszeugnis resp. eidg. Berufsattest ab. Nur
wenige absolvieren weiterführende Lehrgänge: Gerade 260 schliessen pro Jahr als Detail­
handelsspezialistIn (Textildetailhandel, Früchte & Gemüse) ab und noch weniger absolvieren
die höheren Fachprüfungen zur Detailhandelsökonomin oder zum Detailhandelsmanager.1

1Durchgeführt werden die Lehrgänge von BDS (Bildung Detailhandel Schweiz). BDS ist die Dachorganisation je­
ner Arbeitgeber, die im Detailhandel eine Aus- und Weiterbildung organisieren, sie wird getragen von Coop, Post,
Migros, Gewerbeverband, Swiss Retail und dem Verband Schweizerischer Filialunternehmungen.

20
3.4 Löhne

Die Arbeitskosten im schweizerischen Detailhandel sind vergleichsweise tief
Viele beklagen sich über die zu hohen Preise im Schweizer Detailhandel. Die Frankenstärke
hat diese Preisdebatte neu angefacht. Als Ursache für die hohen Preise gelten häufig die ver­
meintlich hohen Löhne und Arbeitskosten. Dem ist aber nicht so. Eine Studie des BAK zeigt,
dass 2009 der Preisunterschied vor allem in den höheren Kosten für die Warenbeschaffung
lag. Dagegen waren die Lohnstückkosten im Schweizer Detailhandel geringer als in den vier
Nachbarländern Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien.1

Grafik 3.4.1: Zerlegung der Schweizer Hochpreisinsel, 2009

            Mehrwertsteuer           -7
           Andere Faktoren                                          2
              Arbeitskosten                            -1
        Vorleistungskosten                                          2
Warenbeschaffung Ausland                                                        6
  Warenbeschaffung Inland                                                                9
         Detailhandelspreis                                                                    11
                              -10            -5             0              5             10             15
Durchschnittswert der verschiedenen, für die Preisunterschiede verantwortlichen Kostenfaktoren
im Vergleich zu Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien
Quelle: BAK (2010).

Die Frankenstärke hat diese Preisstruktur verzerrt (Veränderung der Beschaffungskosten).
Zudem hat die Frankenstärke die Konsumenten veranlasst, vermehrt im Ausland einzu­
kaufen – der Verdienstausfall durch den Einkaufstourismus dürfte sich 2011 auf 4 bis
5 Milliarden Franken oder 5 % des Branchenumsatzes belaufen.2 Die grossen Schweizer
Detailhändler haben auf diese Situation reagiert und die Preise gewisser Produkte gesenkt,
was sich wiederum auf die Umsätze niederschlug. Grosse Unternehmen wie Coop und Mi­
gros führen den anhaltenden Einkaufstourismus und die Preiserosion nun als Gründe für
die mageren Lohnerhöhungen oder gar Personalentlassungen an.

1BAK Basel Economics (2010), Preise, Kosten und Performance. Der Schweizer Detailhandel im internationalen
Vergleich, Basel.
2CS (2012), Retail Outlook 2012, Fakten und Trends, Zürich.

                                                                                                      21
Grundlagen – Branchencharakter

Weil die Preissenkungen aber dazu führen, dass wieder mehr Ware gekauft wird, sind die
Beschäftigten gleich doppelt belastet: Das Personal wird abgebaut, obwohl die Warenmen­
ge zunimmt. Und Lohnerhöhungen werden kaum gewährt, obwohl die Arbeitskosten in der
Schweiz ohnehin schon tiefer sind als im benachbarten Ausland.

Niedrige Löhne
Der monatliche Bruttomedianlohn1 beträgt im Detailhandel 2010 nur 4605 Franken (Grafik
3.4.2). Er liegt damit unter dem Lohnniveau in anderen grossen Wirtschaftssektoren. In
der Privatwirtschaft insgesamt beträgt der Medianlohn 5928 Franken und ist somit 1323
Franken höher als im Detailhandel. Vereinzelte Branchen haben allerdings einen tieferen
Bruttomedianlohn, so beispielsweise die Bekleidungsindustrie oder das Gastgewerbe.
Nichtsdestotrotz ist der Bruttomedianlohn in der Detailhandelsbranche sehr tief. Erschwe­
rend kommt hinzu, dass die meisten Beschäftigten Teilzeit arbeiten und somit noch weniger
verdienen. Zudem zählt Erfahrung im Detailhandel kaum – die Löhne stagnieren im Gegen­
satz zu anderen Branchen meist nach einigen Jahren.

Grafik 3.4.2: Differenz des monatlichen Bruttomedianlohns im Detailhandel
zu anderen Branchen (in Franken), 2010

-538                                                                           Bekleidungsindustrie

-499                                                                           Hotellerie/Gastgewerbe

                          1243                                                 Baugewerbe

                          1303                                                 Metallindustrie

                          1323                                                 Privatwirtschaft insgesamt

                             1552                                              Verarbeitungsindustrie

                                                            4336               Pharmaindustrie

                                                                  4823         Banken/Finanzdienste
-1000     0        1000       2000        3000       4000       5000      6000
Medianreferenzlohn Detailhandel: 4605 Franken
Quelle: BFS.

1Der Medianwert erlaubt, ein Ganzes in zwei gleich grosse Gruppen zu unterteilen. Der Medianlohn bezeichnet
also jenen Lohn, bei dem die Hälfte der Löhne darunter liegt und die andere Hälfte darüber.

22
Das tiefe Lohnniveau im Detailhandel wirkt sich auch auf die Schlechtestverdienenden
aus, das zeigt ein Blick auf die 10 % Beschäftigten, die am wenigsten verdienen. Sie liegen
rund 250 Franken unter dem schweizerischen Durchschnitt. Und das in einem Bereich, in
dem jeder Rappen zählt. In Zahlen heisst das: Die am schlechtesten entlöhnten 10 % im
Detailhandel haben 2010 einen monatlichen Bruttolohn unter 3673 Franken erzielt. Zum
Vergleich: Die am schlechtesten Verdienenden in der Privatwirtschaft haben 2010 einen
monatlichen Bruttolohn unter 3928 Franken erzielt (Grafik 3.4.3). Die am schlechtesten
entlöhnten 25 % haben im Detailhandel einen Bruttolohn unter 4078 Franken erhalten
(Gesamtwirtschaft: 4694 Franken).
Rund 23 000 Vollzeitstellen sind von Löhnen unter 3673 Franken betroffen. Solch ein Betrag
liegt deutlich unter dem existenzsichernden Mindestlohn, den der SGB mit seiner Initiative
fordert, nämlich 4000 Franken für eine 42-Stunden-Woche.

Grafik 3.4.3: Monatlicher Bruttolohn für verschiedene Gruppen,
Detailhandel und Privatwirtschaft, 2010
5000                                                                                       4694
4500
                                       3928                         4078
4000
                3673
3500
3000
2500
2000
1500
1000
 500
    0
              Detailhandel           Privatindustrie              Detailhandel        Privatindustrie
                                     insgesamt                                        insgesamt
                         Quantil 10%                                         Quantil 25%

Quelle: BFS.
«Quantil 10 %» bezeichnet die 10 % der Beschäftigten, die am wenigsten verdienen
«Quantil 25 %» bezeichnet die 25 % der Beschäftigten, die am wenigsten verdienen

                                                                                                    23
Grundlagen – Branchencharakter

Die Lohnunterschiede Mann/Frau verringern sich, sind aber noch nicht beseitigt
In der Privatwirtschaft geht der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen zurück. Er
ist in den letzten zehn Jahren von 21,3 % auf 18,4 % gesunken. In der Detailhandelsbranche
war der Lohnunterschied 2000 höher und betrug 24,4 %. Zehn Jahre später belief er sich
noch auf 18 %; im Vergleich zur Privatwirtschaft insgesamt hat sich der Lohnunterschied im
Detailhandel also stärker verringert. Dies gilt allerdings vor allem für die weniger qualifizier­
ten Beschäftigungskategorien: Bei den repetitiven Tätigkeiten hat sich der Lohnunterschied
von 15,6 % (2000) auf 7,6 % (2010) verkleinert und bei den Tätigkeiten, die Berufs- und
Fachkenntnisse voraussetzen, von 21,8 % auf 13,7 %.

Grafik 3.4.4: Lohnunterschied Männer/Frauen, bezogen auf den Bruttomedianlohn in %, 1998–2010*
25

20

15

10
                                                                                        Berufs- und
 5                                                                                      Fachkenntnisse
 0                                                                                      einfache,
       1998       2000       2002       2004        2006      2008        2010          repetitive Arbeit
* laut Definition NOGA 2002 bis 2006. Danach laut Definition NOGA 2008.
Quelle: BFS.

Bei den hochqualifizierten Tätigkeiten allerdings geht die Lohnschere immer noch weit auf
und liegt sogar über dem schweizerischen Durchschnitt. Liegt der Lohnunterschied in der
Gesamtwirtschaft noch bei 17,9 %, so beträgt er im Detailhandel satte 23,2 %.

Tabelle 3.4.5: Bruttomedianlohn, Lohnunterschiede Männer/Frauen nach Qualifikationen, 2010

                         Hochqualifizierte          Berufs- und                  Einfache,
                         Arbeiten                   Fachkenntnisse               repetitive Arbeiten
Branche          Jahr    Frauen Männer Diff.        Frauen Männer Diff.          Frauen Männer Diff.
Detailhandel     2010    5350     6969     23,2 %   4360     5052  13,7 %        4164     4508     7,6 %
Privatwirtschaft 2010    6671     8125     17,9 %   5202     5909  12,0 %        4225     4901     13,8 %
Quelle: BFS.

24
Mit anderen Worten:
n Die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen verringern sich zwar, insbesondere
  auf den unteren Lohnstufen, sie bestehen aber weiterhin. Die Tatsache, dass sich der
  Lohn­unterschied im Detailhandel verringert hat, ist unter anderem darauf zurückzufüh­
  ren, dass ein grosser Teil der Detailhandelsbeschäftigten im Tieflohnbereich arbeitet, was
  die Lohnunterschiede einebnet.
n Sobald die Löhne steigen, steigt auch die Diskriminierung wieder
n Bei den mittleren und hohen Qualifikationen ist der Lohnunterschied sogar wesentlich
  ausgeprägter als im schweizerischen Durchschnitt.

Weitergehende ökonomisch-statistische Auswertungen erlauben es zudem, den diskrimi­
nierenden Anteil zu eruieren. Damit wird jener Teil des Lohnunterschiedes festgestellt, der
nicht auf unterschiedliche Qualifikation, hierarchische Position oder Anforderungen der
Stelle zurückgeführt werden kann. Im Detailhandel beträgt dieser Anteil 58 %, ist also sehr
hoch – Frauen verdienen weniger, weil sie Frauen sind.1
Die Lohndiskriminierung betrifft übrigens alle Betriebe gleichermassen, sowohl kleine Be­
triebe als auch solche mit über 2500 Beschäftigten. Dies hat eine vertiefte Auswertung der
Lohnstrukturdaten durch die Universität Genf ergeben.

GAV und Mindestlöhne sorgen für eine Anhebung des Lohnniveaus
Die Reallohnerhöhungen für Detailhandelsangestellte von Unternehmen, die einem GAV
unterstellt sind, sind in den letzten Jahren deutlich höher ausgefallen. So sind sie seit dem
Jahr 2000 um 10,5 % gestiegen, was wesentlich mehr ist als der Zuwachs von 7,3 % für die
gesamte Detailhandelsbranche (Grafik 3.4.6).

1Silvia Strub, Desirée Stocker: Analyse der Löhne von Frauen und Männern anhand der Lohnstrukturerhebung
2008. Aktuelle Entwicklungen in der Privatwirtschaft und Situation im öffentlichen Sektor des Bundes, S.62,
2010.

                                                                                                        25
Grundlagen – Branchencharakter

Grafik 3.4.6: Entwicklung der allgemeinen Löhne im Vergleich mit den GAV-Löhnen (Basis 2000 = 100)

113

111

109

107

105

103
                                                                                     Reallöhne
101                                                                                  mit GAV
                                                                                     Reallöhne mit
 99                                                                                  und ohne GAV
      2000           2002         2004        2006         2008          2010
Basis
Quelle:2000
        BFS. = 100

Dank der Öffentlichkeitskampagne der Unia konnten die Mindestlöhne in einigen grossen
Detailhandelsunternehmen stark nach oben korrigiert werden. Innerhalb von 12 Jahren
konnten beispielsweise die Löhne bei Coop und Migros erheblich verbessert werden; je
nach Umstand und Region bewegt sich die Steigerung in der Bandbreite von 900 bis 1300
Franken, was einer nominalen Erhöhung von maximal 54 % für Coop und 48 % für Migros
entspricht.

Tabelle 3.4.7: Entwicklung der verbindlichen Mindestlöhne (x 13) für ungelernte Angestellte
(in Franken/Monat)

              1998              2002      2004       2008            2010       Max. Differenz in %
Coop          2400–2700*        3200      3300       3600            3700       54 %
Migros        2500–2800*        3150      3300       3300–3600*      3700       48 %
*Regional unterschiedliche Mindestlöhne

26
Die Unia will im Übrigen einen gesetzlichen Mindestlohn von 4000 Franken für die ganze
Branche durchsetzen. Die Frauen, die generell weniger verdienen als die Männer – und das
erst recht im Detailhandel, wo die Löhne ausgesprochen tief sind – würden in hohem Mass
von einem gesetzlichen Mindestlohn von 4000 Franken profitieren. Gleichzeitig könnte ein
weiterer Schritt in Richtung Lohngleichheit realisiert werden. Nicht zu vergessen, dass hö­
here Löhne im Detailhandel auch zu einer Steigerung der Kaufkraft führen – was wiederum
für die Detailhandelsbranche selbst von Vorteil wäre.

Das Wichtigste in Kürze:
Die Detailhandelsbranche weist etliche Besonderheiten auf:
n Es sind hauptsächlich Frauen im Detailhandel beschäftigt.
n Sie arbeiten überwiegend Teilzeit.
n Ungefähr jede fünfte Stelle ist von MigrantInnen besetzt.
n Die Branche bildet zwar viele Lehrlinge aus, bietet aber wenig Möglichkeiten, beruflich
  aufzusteigen.
n Im Detailhandel arbeiten viele Beschäftigte ohne leitende Funktion, darunter überpropor­
  tional viele Frauen.
n Der Detailhandel ist eine Tieflohnbranche. Über 23 000 Arbeitsstellen werden mit weniger
  als 3673 Franken entlöhnt.
n Die Frauen sind schlechter bezahlt als die Männer, auch wenn sich die Lohnunterschiede
  zwischen den Geschlechtern tendenziell verringern. Dies gilt allerdings nur für die tiefsten
  Einkommen – bei den höheren Einkommen steigt die Diskriminierung der Frauenlöhne
  deutlich und überdurchschnittlich.

                                                                                         27
Grundlagen – Strukturwandel

4. Detailhandel – eine Branche im
   permanenten Strukturwandel
Die Branche wurde in den letzten Jahren geprägt von einem Kon-
zentrationsprozess und diversen Rationalisierungsschüben. Ver-
schärft wurde dieser Strukturwandel durch den Markteintritt inter-
nationaler Harddiscounter wie Media Markt oder Aldi und Lidl. Die
Verkaufsflächen wurden in den letzten Jahren stetig vergrössert,
kleine Detaillisten verschwanden zusehends. Gleichzeitig lancier-
ten grosse Ketten jedoch neue, flexible Kleinformate wie Tankstel-
len- und Convenienceshops (häufig in scheinselbständigen Fran-
chisemodellen). Diese sind, zusammen mit den Einkaufszentren,
führend im Kampf für eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten.

4.1 Konzentrations- und Rationalisierungsprozess

Die Umsatzzahlen belegen, dass sich die grossen Unternehmen in den letzten zehn Jahren
ausgezeichnet behaupten konnten. Ihr realer Umsatz hat seit 2000 um mehr als 29 % zuge­
nommen. Auch die mittelgrossen Unternehmen konnten sich mit einem Zuwachs von 28 %
sehr gut halten. Nicht so die kleinen Unternehmen, deren Umsatzzahlen seit dem Jahr 2000
praktisch stagnieren und lediglich 1,1 % zugelegt haben. Das wirkt sich aus: Unabhängige
Detaillisten verschwinden zusehends, der Konzentrationsprozess führt dazu, dass wenige
grosse Ketten ein dichtes Netz von Filialen über die Schweiz ziehen.

28
Grafik 4.1.1: Umsatz nach Unternehmensgrösse (Basis 2000 = 100)

140

130

120
                                                             Total
110                                                          Klein
                                                             (weniger als 15 Vollzeitangestellte)
100                                                          Mittelgross
                                                             (15–45 Vollzeitangestellte)
90
                                                             Gross
80                                                           (mehr als 45 Vollzeitangestellte)
      2000     2002    2004      2006     2008      2010

Quelle: BFS.

Der Löwenanteil des Detailhandel-Geschäfts entfällt auf Migros und Coop. Ihr Anteil am
Gesamtumsatz beträgt weit über 30 % und ist im Wachsen begriffen. 2005 lag er noch bei
33,1 %, 2010 schon bei 37,3 %. Auch die Gewinne haben sich bei Coop und Migros gestei­
gert. Während Migros 2005 einen Gewinn von 699 Millionen und 2010 einen Gewinn von
852 Millionen verbuchen konnte, was einem Zuwachs von 22 % entspricht, konnte Coop
den Gewinn im gleichen Zeitraum noch stärker steigern, nämlich von 270 auf 470 Millionen
Franken, was einem Zuwachs von über 74 % entspricht!
Die Löhne haben mit dieser Entwicklung allerdings nicht mitgehalten. Sie wurden zwar
ebenfalls erhöht, aber niemals in diesem Ausmass.

Kurz: Die beiden Genossenschaften nehmen im helvetischen Detailhandelsgeschäft eine
einzigartige und beherrschende Stellung ein. Diese für Europa einzigartige Konzentration
ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die beiden Grossen über Jahre hinweg auf
Einkaufstour gegangen sind: So hat Coop beispielsweise EPA, Waro, Interdiscount, Fust,
Carrefour und Christ aufgekauft. Und Migros hat sich ABM, Globus, LeShop und Denner
angeeignet. Mit den diversen Firmenaufkäufen haben die beiden traditionellen Akteure ihre
Marktposition gefestigt.

Sie sind, zusammen mit anderen grossen Ketten, auch federführend bei vielen Einkaufs­
zentren. Die Idee der Einkaufszentren - viele Läden an einem Ort – ist alt. Neu jedoch
werden die Einkaufszentren zu richtigen Erlebnistempeln umgestaltet – von der Sauna bis
zum Schuhladen, vom Osterhasengiessen für Kinder bis zum Outdoor-Geschäft, vom Kino
bis zur Kirche (Westside/BE, St. Jakobs-Park/BS, Sihlcity/ZH, Balexert/GE, Foxtown/TI).
Die Ladenöffnungszeiten in den Einkaufszentren sind gegenüber den kleineren Läden im
Detailhandel deutlich länger.

                                                                                            29
Grundlagen – Strukturwandel

Die fortschreitende Konzentration geht zudem einher mit einem andauernden Rationalisie­
rungsprozess. Nachdem schon in den letzten Jahren Arbeitsabläufe rationalisiert worden
sind (elektronische Kassen), erlebt der Detailhandel zurzeit einen neuen Schub: Migros
beispielsweise legt einzelne Produktionsstandorte wie Jowa zusammen, Coop zentralisiert
die Logistik. Die Einführung von Onlineshopping, Selfscanning und neuen Kassensystemen
wie Passabene von Coop lagert einen Teil der Arbeit an die Kundschaft aus. Beim Online-
Shopping profitieren die Betreiber zudem von effizienten Lagermöglichkeiten und automa­
tisierten Abläufen, die nicht mehr zwingend von geschultem Verkaufspersonal verrichtet
werden müssen. Die anstehenden Veränderungen im Detailhandel werden das bisherige
Berufsbild verändern und eventuell weiter schwächen.

4.2 Harddiscounter, Tankstellen- und Convenienceshops

Die Konkurrenz im Detailhandel hat sich durch den Markteintritt der beiden deutschen
Harddiscounter Aldi und Lidl verschärft – Aldi ist seit 2005, Lidl seit 2009 in der Schweiz
präsent. Die Tiefpreispolitik der deutschen Konkurrenz haben die Schweizer Detailhandels­
riesen Migros und Coop bisher erfolgreich gekontert mit der Übernahme von Discountern
wie Denner und Carrefour. Nach einigen Startschwierigkeiten scheint sich Aldi mittlerweile
in der Schweiz behaupten zu können, während die Zukunft von Lidl ungewiss ist. Angesichts
von bezugsbereiten, aber leer stehenden Filialen begannen die Medien 2011, über einen
möglichen Rückzug von Lidl aus der Schweiz zu spekulieren – Gerüchte, die Lidl jedoch
bisher heftig dementierte. 2010 verfügten die beiden Harddiscounter über 233 Verkaufs­
stellen (Grafik 4.2.1), anfangs 2012 dürften es rund 250 Filialen gewesen sein, was im
Lebensmittelbereich immerhin einen Marktanteil von fast 5 % bedeutet.1

1CS   (2012), Retail Outlook 2012, Fakten und Trends, Zürich.

30
Grafik 4.2.1: Anzahl Verkaufsstellen von Aldi und Lidl, Schweiz
140                                                                                       132

120                                                                      112

100                                                       94

 80

                                          57                                                    61
 60

 40
                         27                                                    29
                                                                                                            Aldi
 20
          8                                                                                                 Lidl
  0
        2005            2006            2007            2008               2009            2010
Quelle: Detailhandel Schweiz 2011, GFK Switzerland.

Parallel zum zunehmenden Druck der deutschen Harddiscounter hat sich die Zahl der
Convenienceshops1 stetig vergrössert. Dabei handelt es sich um neue Ladenformate wie
Tankstellenshops, Convenience-Shops, Bahnhofsläden oder grosse Kioske. Sie sind meist
länger geöffnet als herkömmliche Lebensmittelläden, verfügen über eine vergleichsweise
kleine Ladenfläche und führen ein eingeschränktes Sortiment (siehe auch Kap. 4.4.).
Ihr Wachstum ist rasant. Im Jahr 2000 schätzte man ihre Zahl auf 830. Zehn Jahre später
hat sich ihre Zahl bereits verdoppelt (Grafik 4.2.2). Branchenführer ist Coop mit seinen
Pronto-Shops.
Bei den traditionellen, unabhängigen Lebensmittelläden zeigt sich in den letzten Jahren eine
stark gegenläufige Entwicklung. Sie verschwinden zusehends und ihr Niedergang setzt sich
ungebremst fort. Waren 1985 noch fast 6000 kleine Detaillisten in der Schweiz tätig, so
sind es heute gerade noch knapp 2400.

1Der Begriff «Convenience» wird erst seit Mitte der 90er-Jahre für vorverarbeitete, zeitsparend verwendbare Nah­
rungsmittel verwendet

                                                                                                           31
Grundlagen – Strukturwandel

Grafik 4.2.2: Entwicklung der Convenience-Shops und unabhängigen Lebensmitteldetaillisten

7000
6000 5920
               5258
5000
                        4441
4000                             3878                                             Selbständige
                                                                                  Lebensmitteldetaillisten
3000                                       2808                                   (ohne Fachgeschäfte)
                                                  2489      2458     2377
                                                                                  Tankstellen- und
2000                                                   1505     1581     1622     Convenience-Shops
                                              1399
                                                                                  (ohne Kioske)
1000                                 830
    0
        1985   1990     1995      2000     2005      2008     2009     2010

Quelle: Schätzungen für das Jahr 2000 für die Tankstellen- und Convenience-Shops, Detailhandel Schweiz
2007; für die übrigen Daten, Detailhandel Schweiz 2011, GFK Switzerland.

4.3 Starker Filialisierungstrend, unabhängige Detaillisten
    verschwinden

Die Branche ist also geprägt durch die Konzentration auf wenige grosse Unternehmen und
durch das Verschwinden der traditionellen unabhängigen Lebensmitteldetaillisten. Nichts­
destrotz gibt es immer noch sehr viele Quartierläden. Sie werden aber immer häufiger als
Filiale oder Franchiseunternehmen einer grossen Kette geführt. Das Phänomen der «Filiali­
sierung» ist im Detailhandel denn auch stark zunehmend.
In der Schweiz arbeiten rund 45 Prozent aller Beschäftigten in einem Unternehmen mit
mehreren Filialen. Der Filialisierungsgrad der Gesamtwirtschaft hat sich in der Periode
1998–2008 kaum verändert, ist aber je nach Branche unterschiedlich hoch. So arbeiteten
2008 im Gastgewerbe 21 Prozent der Beschäftigten in einem sogenannten Mehrbetriebs­
unternehmen, in der Finanzbranche hingegen 75 Prozent.
Im Detailhandel arbeiteten jedoch schon Ende der 90er Jahre überdurchschnittlich viele
Angestellte in einem Mehrbetriebunternehmen, dieser Anteil stieg bis 2008 auf 55 % an.

32
Grafik 4.3.1: Filialisierungsgrad nach Branchen, Schweiz, 2008

Hotellerie-Gastgewerbe                           21%

  Schweizer Wirtschaft                                                  45%

            Detailhandel                                                            55%

          Finanzbranche                                                                          75%

                           0%      10%       20%       30%       40%          50%    60%   70%    80%
                           Anteil Beschäftigung in Mehrbetriebsunternehmen
                           im Verhältnis zur Gesamtbeschäftigung in der Branche, in %

Quelle: CS (2010), Die Struktur der Schweizer Wirtschaft 1998–2020, Zürich.

In einzelnen Subbranchen des Detailhandels ist die Filialisierung in den letzten Jahren mas­
siv vorangetrieben worden, so etwa im Sporthandel (Tabelle 4.3.2). Die Subbranchen Wa­
renhäuser und Supermärkte sind mit einem Anteil von 97 % respektive 87 % am stärksten
filialisiert. Es folgen der Schuhhandel (83 %), die Parfümerien (70 %) und der Bekleidungs­
handel (67 %). Den schwächsten Filialisierungsgrad weist der Spezialdetailhandel Food auf
- zu dieser Kategorie gehören beispielsweise die Bäckereien und Metzgereien. Dort arbeiten
69 % der Angestellten in einem Betrieb ohne Filialen.

                                                                                                  33
Grundlagen – Strukturwandel

Tabelle 4.3.2: Filialisierungsgrad Subbranchen, Entwicklung 1998–2008

Detailhandel                            Filialisierungsgrad     Filialisierungsgrad   Durchschn. Anzahl
Subbranchen                             1998                    2008                  Läden pro Filialkette
Sporthandel                                      21 %                    37 %                   4
Apotheken und Drogerien                          21 %                    34 %                   6
Buchhandel                                       46 %                    59 %                   6
Möbelhandel                                      43 %                    55 %                   4
Bau- und Heimbedarffachmärkte                    42 %                    51 %                   5
Optiker                                          31 %                    39 %                   6
Papeterien                                       29 %                    35 %                   4
Bekleidungshandel                                62 %                    67 %                   8
Uhren- und Schmuckhandel                         44 %                    48 %                   4
Elektronikhandel                                 34 %                    39 %                   4
Schuhhandel                                      79 %                    83 %                 18
Spezialdetailhandel Food                         27 %                    31 %                   3
Supermärkte/Dorf- und Quartierläden              85 %                    87 %                 31
Warenhäuser                                      99 %                    97 %                 19
Parfümerien                                      72 %                    70 %                 22
Kioske                                           69 %                    60 %                 66
Detailhandel total                               52 %                    55 %                   8
Quelle: CS (2011), Retail Outlook 2011, Fakten und Trends, Zürich.

Der Filialisierungsgrad würde noch höher ausfallen, würde man die in Franchise geführten
Betriebe einberechnen. Sie werden aber statistisch als «unabhängige Betriebe» gezählt,
obwohl sie zu einer grossen Kette gehören.
So sind die Zahlen beispielsweise bei den Kiosken mit Vorsicht zu geniessen. Dort scheint
der Filialisierungsgrad abgenommen zu haben. In Tat und Wahrheit existieren jedoch nur
noch wenige unabhängige Kioske – der Markt ist aufgeteilt zwischen Valora und Naville.
Die 60 % sind viel eher Ausdruck der systematischen Umwandlung von Valora-Kiosken in
scheinbar unabhängige Agenturen, die aber faktisch Valora gehören (siehe auch Kap. 4.4).

Aus gewerkschaftlicher Sicht kann das Phänomen der Filialisierung sowohl als Vor- als
auch als Nachteil betrachtet werden. Ein Vorteil ist sicher, dass sozialpartnerschaftliche
Verhandlungen mit einem grossen statt mit vielen kleinen Partnern geführt werden können.
Allerdings ist der Detailhandel eine wenig geregelte Branche, die Arbeitgeber weigern sich
meist, in kollektivvertragliche Verhandlungen oder gar einen Rahmen-GAV für die ganze
Branche einzusteigen. Deshalb überwiegt zurzeit eindeutig der Nachteil der Filialisierung.

34
4.4 Scheinselbständigkeit durch Franchising

Mit dem Konzentrationsprozess und dem Aufstieg der Convenience-Shops hat ein neues Ge­
schäftsmodell Aufschwung erhalten: die Franchise oder Agentur. Das heisst, Mutterhäuser
wie Valora, Coop Mineralöl AG oder Migrol machen Auflagen zu den Produkten, die geführt
werden, bestimmen die Einkaufs- und Preispolitik und zweigen einen Teil des Gewinns ab.
Die Risiken werden einseitig auf die Franchisenehmer abgewälzt – und die Arbeitnehmen­
den sind kaum geschützt, weil die Arbeitsbedingungen in dieser Branche kaum geregelt sind.
Wie ein Konzern das Personal unter Druck setzt und gleichzeitig den Gewinn steigert, zeigt
das Beispiel Valora. Die Kioskbetreiberin hat das Agentursystem stark ausgebaut. Die
Kioskleiterinnen müssen nicht nur eigenes Geld in die Agentur einbringen, sie müssen
auch das unternehmerische Risiko tragen. Das Agenturmodell bedeutet nebst vermehrter
Selbstausbeutung der LeiterInnen auch zunehmenden Druck auf die Kioskmitarbeiterinnen.
Denn der Valora-Gesamtarbeitsvertrag, der minimale Rahmenbedingungen bietet, gilt für
diese Agenturen nach einem Jahr nicht mehr. Gleichzeitig beschäftigt der Konzern seine
Angestellten vermehrt im Stundenlohn – ohne Garantie für eine Mindestbeschäftigung.
Die Löhne sind tief und liegen vielerorts unter 20 Franken/Stunde. Zudem hat Valora 2011
Personal abgebaut – und gleichzeitig den Nettoerlös pro MitarbeiterIn um beinahe 10 %      

gesteigert.
Migros und Coop verfolgen mit ihren Convenience-Shops «Migrolino» und «Coop Pronto» eine
ähnliche Politik. Auch dort unterstehen die Angestellten nicht einem GAV – die Mutterhäuser
übernehmen somit keine Verantwortung für die Arbeitsbedingungen in ihren Franchisebe­
trieben. Die Arbeitsverträge in den Franchisebetrieben sind häufig deutlich schlechter als
der GAV des Mutterhauses. Die Folge sind Tieflöhne und die Aushebelung des Arbeitnehmer­
schutzes. Besonders deutlich wird dies bei jenen Convenience-Shops, die sonntags illegal
geöffnet haben, und gegen die die Unia teilweise gerichtlich vorgehen muss.
Aber auch andere Unternehmen kennen Franchisesysteme. Dazu gehören beispielsweise
Volg mit den Tankstellenshops «TopShop» und Denner mit den «Denner Satelliten» aber auch
grosse Unternehmen wie Ikea oder Esprit.

Das Wichtigste in Kürze:
n Der Markt ist gesättigt, die Branche ist geprägt von gewaltigen Strukturveränderungen
n Der Konzentrationsprozess im Detailhandel führt zum Verschwinden der kleineren, unab­
  hängigen Detaillisten
n Neue Formate entstehen (Convenience- und Tankstellenshops).
n Vor allem Kleinläden werden zunehmend in Franchise oder einem Agenturmodell geführt
  und sind abhängig von einer Kette.

                                                                                      35
Grundlagen – Arbeitsbedingungen

5. Verschlechterung
   der Arbeitsbedingungen
Die fortschreitenden Konzentrations- und Rationalisierungspro-
zesse bescheren den grossen Unternehmen in den letzten Jahren
zwar stark steigende Gewinne, verstärken den Druck auf die Be-
schäftigten aber erheblich: Arbeitsplätze werden abgebaut, die
Arbeitszeiten zusehends ausgedehnt und gleichzeitig fragmentiert
(kleine Pensen, grosse Pausen zwischen den Einsätzen, Wegfall
garantierter Pensen). Die Anforderungen an die Flexibilität der Ar-
beitnehmerInnen steigen (Arbeit auf Abruf, Stundenlohnverträge).

Ein erstes Signal für die Prekarisierung der Branche ist der wachsende Anteil der Teilzeitar­
beit. Arbeiteten 1994 noch 35,5 % der Angestellten Teilzeit, so waren es 2010 über 40 %
(Grafik 5.0.1). Eine Teilzeitstelle ist oftmals gleichzusetzen mit prekären Arbeitsbedingun­
gen, ungenügender sozialer Sicherheit (z.B. Pensionskasse), eingeschränkten Weiterbil­
dungs- und Karrieremöglichkeiten. Andrerseits ermöglicht eine Teilzeitbeschäftigung auch,
sich andern Aufgaben zu widmen, zum Beispiel der Weiterbildung, der Betreuung von
Kindern oder der Freiwilligenarbeit. Die Teilzeitarbeit ist deshalb meistens charakteristisch
für das Berufsleben der Frauen. Der Anteil der Frauen, die Teilzeit arbeiten, liegt bis 1997
knapp unter 50 % und schwankt seit 1999 zwischen 52 und 56 %. Der entsprechende
Teilzeitstellenanteil bei den Männern liegt bis 1998 unter 15 %. Seit 2000 bewegt er sich
zwischen 16 und 17,5 %.

36
Grafik 5.0.1: Anteil der Teilzeitbeschäftigung im Detailhandel, in %, 1992–2011
60
55
50
45
40
35
30
25
20
                                                                                       Total
15                                                                                     Frauen
10                                                                                     Männer
     1992     1994     1996     1998     2000     2002     2004   2006   2008   2010
Quelle: Beschäftigungsstatistik (BESTA), BFS.

Mit dem Markteintritt der deutschen Harddiscounter stellt sich aus gewerkschaftlicher Sicht
auch die Frage nach dem Niveau der sozialen Standards – beide Unternehmen sind bekannt
dafür, die Rechte der Beschäftigten häufig zu missachten. Mit ihrem Markteintritt hat der
Druck auch auf die Schweizer Unternehmen zugenommen. So hat Migros schon 2008 die
Arbeitszeit für 8000 Beschäftigte von 41 auf 43 Wochenstunden angehoben. Diese Arbeits­
zeiterhöhung betrifft immerhin rund 10 % der Migros-Belegschaft.

Weitere Faktoren tragen zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bei. So findet das
Wachstum im Detailhandel häufig in der Agglomeration statt (z. B. Einkaufszentren), die
Innenstädte entleeren sich zusehends. Der Personalbestand der Detailhandelsbranche in
den Stadtzentren ist zwischen 1998 und 2008 stagniert.1 Im gleichen Zeitraum hat die Be­
schäftigung in den Agglomerationsgemeinden deutlich zugenommen (+ 7 %). Das führt dazu,
dass der Arbeitsweg für die Detailhandelsangestellten oftmals schwieriger wird, besonders
für die nicht motorisierten Angestellten.

1CS   (2011), Retail Outlook 2011, Fakten und Trends, Zürich.

                                                                                         37
Grundlagen – Arbeitsbedingungen

In der Agglomeration arbeiten, immer später Feierabend haben – dies wird für einen immer
grösseren Teil der Detailhandelsangestellten zur Normalität. Dazu kommt ein steigender
Druck am Arbeitsplatz. Die Arbeitsproduktivität pro Arbeitnehmer nimmt zu, die Rationalisie­
rungsmassnahmen verändern den Arbeitsalltag und die Beschäftigten müssen eine immer
grössere Verkaufsfläche bewirtschaften.1 Letzteres ist gemäss einer Studie der Credit Suisse
sogar der Hauptgrund für die steigende Arbeitsproduktivität im Detailhandel.

5.1 Arbeitszeiten, Stress und Gesundheit

Der Kampf um Marktanteile wird im gesättigten Schweizer Markt momentan stark über die
Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten geführt. Über verschiedene Initiativen, Motionen und
Vorstösse sollen die Arbeitszeiten flexibilisiert und aus dem Sonntag ein Verkaufstag wie
jeder andere gemacht werden. Seitdem das Volk 1996 das Arbeitsgesetz mit sechs Sonn­
tagsverkaufstagen verworfen hat, versuchen die Liberalisierungsbefürworter, die vor allem
bei FDP und SVP zu finden sind, ihr Ziel mit einer «Salamitaktik» zu erreichen und verlangen
immer neue Ausnahmeregelungen für einzelne Bereiche.
Wieso dieser Druck auf die Ladenöffnungszeiten? Von längeren Öffnungszeiten profitieren
vor allem die Grossen. Die kleineren, unabhängigen Detaillisten können sich längere Laden­
öffnungszeiten – und damit höhere Personalkosten – kaum leisten.
Die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten geht zudem auf Kosten des Personals. Die
Arbeitszeiten werden länger und zerstückelter, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
immer schwieriger. Kein Wunder, sprechen sich die Beschäftigten in Unia-Umfragen jeweils
zu beinahe 100 % gegen eine weitere Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten aus. Auch die
kleinen und mittleren Detaillisten sind grossmehrheitlich gegen die Verlängerung der Laden­
öffnungszeiten. Nicht einmal die Kundschaft befürwortet das 24-Stunden-Shopping. Eine re­
präsentative Umfrage des Internetdienstes Comparis.ch2 zeigt, dass 82 % der Bevölkerung
zufrieden sind mit den geltenden Ladenöffnungszeiten. Sogar die flexibelste Altergruppe,
die Jungen bis 25 Jahre, sind mehrheitlich gegen eine Ausweitung. Und nicht zuletzt zeigt
ein Blick auf die Abstimmungen der letzten Jahre, dass das Stimmvolk eine Verlängerung
in rund 90 % der Fälle abgelehnt hat.
Trotzdem argumentieren die Liberalisierungsturbos mit einem fiktiven Kundenbedürfnis,
wenn sie Vorstösse zur Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten lancieren.

1CS (2010), Retail Outlook 2010, Fakten und Trends, Zürich.
2www.cash.ch/news/alle/chdrei_von_vier_konsumenten_gegen_laengere_ladenoeffnungszeiten-1146852-448

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