Die deutsch-russische Roadmap: Potenziale - Herausforderungen - Kooperationserfahrungen - KIWi IMPULS - DAAD

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Die deutsch-russische Roadmap: Potenziale - Herausforderungen - Kooperationserfahrungen - KIWi IMPULS - DAAD
KIWi

KI Wi I M P U LS

 Die deutsch-russische Roadmap:
 ­Potenziale – Herausforderungen –
­Kooperationserfahrungen

                                         daad.de/
                                     kompetenzzentrum


Inhalt

Die Kernpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Executive Summary.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Die Roadmap umsetzen:
Intensive Zusammenarbeit – komplexer Kontext. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

Den Rahmen kennen:
Aktuelle Entwicklungen der russischen Hochschul- und Forschungslandschaft.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

Potenziale erkennen:
Wissenschaftspolitische Leitlinien und fachliche Schwerpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
                                                                                                                                                                                                                                                                            3
Fördermöglichkeiten erkunden:
Den wissenschaftlichen Nachwuchs in deutsch-russische Kooperationen bringen.. . . . . . . . . . . . . . . . 14
  Förderungen des DAAD.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
  Förderungen weiterer Wissenschafts­organisationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Zwischen Internationalisierungs­bestreben und Kontrolldiskurs:
Herausfordernde Rahmenbedingungen für Wissenschaftskooperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                                                                                    16
  Erlass des russischen Wissenschafts­ministeriums zum Umgang mit
  ausländischen Gästen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                   17
  Gesetzgebung im IT-Bereich: Implikationen für den Wissenschaftsaustausch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                                                                                                 18
  Freiheit des akademischen Austausches. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                            18

Kooperationserfahrungen nutzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Ausblick��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 25

Anhang 1: DAAD-Leuchtturmprojekte in der Russischen Föderation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Anhang 2: Potenziale in der digitalen Lehre.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

       Daraus lassen sich folgende Empfehlungen ableiten:. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
       Zur DAAD-Förderung digitaler Teilhabe:. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

Weiterführende Informationen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

Quellenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

Impressum����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 33

         DIE KERNPUNKTE

         ∙    eit gut zehn Jahren modernisiert sich das russische Wissenschaftssystem, Internationa-
             S
             lisierung wird immer stärker integrativer Bestandteil. Das Kooperationsinteresse der rus-
             sischen Seite, sowohl des Staates wie auch der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler,
             steigt spürbar.

         ∙    ie Ende 2018 von den zuständigen Ministern unterzeichnete „Deutsch-russische Road-
             D
             map für die Zusammenarbeit in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation“ – kurz:
             Roadmap – schafft Verbindlichkeit in den deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen,
             in einem zunehmend konfrontativen außenpolitischen Umfeld, mit Konflikten zwischen
             Russland und der Europäischen Union oder der NATO.

         ∙    ie deutsch-russische Wissenschaftszusammenarbeit ist vielfältig, oftmals langjährig und
             D
             vertrauensvoll. Russland steht bei deutschen Hochschulen – nach den USA und China
             – auf dem dritten Platz der Zielländer von Kooperationen. Viele Expertinnen und Exper-
             ten berichten vom großen Engagement und der Verlässlichkeit ihrer russischen Partner.
             In Russland erlernen zudem 360.000 Studierende die deutsche Sprache, die bei weitem
             höchste Zahl weltweit.
4
         ∙    s bedarf jedoch eines differenzierten Blickes auf die Dynamik des russischen Wissenschafts-
             E
             systems, des politischen und gesellschaftlichen Umfelds, um durchaus relevante Fragen
             nach Reglementierungen und Kontrolle einerseits und wissenschaftlicher Qualität und Ge-
             staltungsfreiräumen andererseits adäquat zu beantworten. Wie groß sich der Spielraum
             zwischen Innovation und Risikoaversion konkret ausgestaltet, hängt nicht selten von der je-
             weiligen Institution sowie dem persönlichen Einfluss und Verhandlungsgeschick ihrer Leitung
             und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab. Der Freiraum für die Behandlung kritischer
             Themen kann zudem durch internationale Kooperationen potenziell erweitert werden.

         ∙    ei der Anbahnung und Umsetzung russisch-deutscher Kooperationen sollte daher ausrei-
             B
             chend Zeit für den Aufbau vertrauensvoller Beziehungen zu den russischen Partnern sowie
             zum Kennenlernen ihres Umfeldes eingeplant werden. Bezüge zur auf offizieller Ebene
             verabschiedeten deutsch-russischen Roadmap können entscheidend dabei helfen, Unsi-
             cherheit der Bürokratie beim Umgang mit internationalen Kooperationen abzubauen.

         ∙   I m Bereich der angewandten Wissenschaften ist nicht selten die Unterstützung von Regio-
              nalpolitikern und Verwaltungen auch außerhalb des Wissenschaftsbereichs erforderlich.
              Gerade hier kann der Bezug auf die Roadmap besonders hilfreich sein.

         ∙    ie verstärkt wettbewerbsorientierten Rahmenbedingungen des russischen Wissen-
             D
             schaftssystems schaffen Anreize für eine hohe Zahl internationaler Co-Publikationen und
             für Prestigegewinn durch internationale Kooperationen. Hier liegt eine Chance, aber auch
             das Risiko, dass fallweise Quantität höher als Qualität bewertet werden kann.

         ∙    roße Chancen liegen auf beiden Seiten in der Förderung des wissenschaftlichen Nach-
             G
             wuchses. Hierfür bieten sowohl der DAAD als auch weitere deutsche und russische Akteure
             eine Vielzahl von Fördermöglichkeiten an.
EXECUTIVE SUMMARY

∙    he Russian academic system has been increasingly modernised for a good ten years
    T
    now, with internationalisation becoming more and more of an integral element. Growing
    interest in cooperation is being shown on the Russian side, both by the state and by
    academics.

∙    igned by the ministers responsible at the end of 2018, the “German-Russian Roadmap
    S
    for Cooperation in Education, Science, Research and Innovation” – or Roadmap for
    short – makes for more binding German-Russian academic relations in an increasingly
    confrontational foreign policy environment characterised by conflicts between Russia and
    the European Union or NATO.

∙    erman-Russian academic cooperation is wide-ranging, has in many cases been
    G
    underway for many years, and is based on trust. For German universities, Russia is the
    third most desirable country for cooperation, after the USA and China. Many experts
    talk about the considerable commitment and dependability of their Russian partners.
    Furthermore, 360,000 university students in Russia are learning German, the highest
    number by far worldwide.
                                                                                                   5
∙    owever, a nuanced look needs to be taken at the dynamics of the Russian academic
    H
    system, and of the political and societal environment, in order to be able to answer
    relevant questions about regulations and control on the one hand and about academic
    quality and freedoms on the other. It is often the case that the room for manoeuvre
    between innovation and risk aversion will depend on the institution itself, and on the
    personal influence and negotiating skills of its director and staff. Moreover, the scope for
    addressing critical topics can potentially be expanded by international cooperation.

∙    hen initiating and realising Russian-German cooperative ventures, sufficient time
    W
    should therefore be earmarked for establishing trust-based relationships with the Russian
    partners and for getting to know their environment. References to the German-Russian
    Roadmap that has been adopted at the official level can play a crucial part in reducing
    bureaucratic uncertainty when approaching international cooperative ventures.

∙   I n the field of applied sciences, the support of regional politicians and governments,
     even outside the academic world, is frequently needed. Above all in such cases it can be
     especially helpful to refer to the Roadmap.

∙    he increasingly competition-oriented framework conditions of the Russian academic
    T
    system create incentives for a large number of international co-publications and for
    gaining prestige through international cooperation. This offers an opportunity, though it
    also entails a risk that quantity may in some cases be valued more highly than quality.

∙    upporting the next generation of young academics presents great opportunities on both
    S
    sides. In this context, both the DAAD and other German and Russian actors offer a whole
    host of funding possibilities.
KIWi IMPULS        DIE DEUTSCH-RUSSISCHE ROADMAP: POTENZIALE – HERAUSFORDERUNGEN – KOOPERATIONSERFAHRUNGEN

    Die Roadmap umsetzen:
    Intensive Zusammenarbeit –
    komplexer Kontext

6   Im September 2020 wurde das Deutsch-­Russische                          Durch die Roadmap werden in den k    ­ ommenden
    Jahr der Hochschulkooperation und Wissen-                               zehn Jahren vier Schwerpunkte, ­sogenannte
    schaft 2019/2020 (kurz „Themenjahr“) mit der                            „Säulen“, in der bilateralen Wissenschafts­
    Auszeichnung 25 deutsch-russischer Koopera-                             zusammenarbeit gesetzt: So soll die gemeinsa-
    tionsprojekte erfolgreich beendet. Zusammen­                            me Spitzenforschung im Bereich der „Großen
    arbeit und Vernetzung zwischen Hochschulen                              Forschungsinfrastrukturen“ zur physikalischen
    und Wissenschaftsakteuren sowie die Stärkung                            Grundlagenforschung (Säule I) wie auch in ge-
    des grenzüberschreitenden Austausches von                               meinsam festgelegten weiteren thematischen
    Studierenden, Forschenden und Lehrenden                                 Prioritäten2 (Säule II) gefördert werden. Die
    standen im Fokus. Zeitlich fiel das Themen-                             dritte Säule ist der Förderung des wissenschaft-
    jahr mit dem Auftakt der langfristig angelegten                         lichen Nachwuchses gewidmet. Eine erste Maß-
    „Deutsch-russischen Roadmap für die Zusammen-                           nahme in diesem Schwerpunktbereich stellt das
    arbeit in Bildung, Wissenschaft, Forschung und                          „Young Talents Programme“ dar. Mit ihm sollen
    Innovation“ zusammen. Ende 2018 haben Bun-                              der wissenschaftliche Nachwuchs gefördert und
    desforschungsministerin Anja Karliczek und                              dessen Mobilität gesteigert werden. Zudem wol-
    ihr damaliger russischer Amtskollege ­Mikhail                           len beide Länder in Säule IV die Wissenschafts-
    Kotjukov die Roadmap unterzeichnet und damit                            kommunikation und den Transfer von For-
    eine Arbeitsgrundlage für die wissenschaftli-                           schungsergebnissen erhöhen.
    che Zusammenarbeit der nächsten zehn Jahre
    geschaffen.1 Diese Vereinbarung bietet eine                             Seit gut zehn Jahren befindet sich das russische
    Orientierung zu den gemeinsamen Schwer-                                 Wissenschaftssystem in einem tiefgreifenden
    punkten und beruht auf einem umfangreichen                              Modernisierungs- und Reformprozess. Inter-
    Bottom-up-Prozess, an dem Hochschulen sowie                             nationalisierung von Forschung, Studium und
    Forschungs- und Mittlerorganisationen beider                            Lehre bilden hierin einen integralen Bestand-
    Länder aktiv mitgewirkt haben.                                          teil. Die sich daraus ergebenden Chancen haben

    1   Vgl. Pressemitteilung des BMBF
    2   Meeres- und Polarforschung, Bioökonomie, Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften, Gesundheitsforschung, Erneuerbare Energien und
        Energieeffizienz, Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit sowie Innovative Produktionstechniken und Lasertechnologien
Die Roadmap umsetzen

gerade die deutschen Wissenschaftspartner, die     Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der in
oftmals auf eine jahrzehntelange fruchtbare        der Roadmap hervorgehobenen Säule der Nach-
­Zusammenarbeit zurückblicken können, beson-       wuchsförderung.
 ders intensiv genutzt. Die Roadmap ist Ausdruck
 dieser Kooperationen.                             Ergänzt wird das Impulspapier durch zwei An-
                                                   hänge, die tiefere Einblicke in die Arbeit des
Die Internationalisierung des russischen           DAAD mit der Russischen Föderation geben.
­Wissenschaftssystems vollzieht sich in einem      In der ersten Anlage werden russisch-deutsche
 außenpolitischen Umfeld, das auch von Mei-        Leuchtturmprojekte vorgestellt, vier ­bilaterale
 nungsverschiedenheiten mit den Staaten der        Zentren mit besonderen fachlichen Schwer-
 Europäischen Union und der NATO geprägt ist.      punkten. Mit Blick auf digitale Lehre hat der
 Seit der Ukraine-Krise im Jahr 2014 beeinträch-   DAAD 2020 vor dem Hintergrund der Pandemie-
 tigen zudem mehrfach verschärfte Sanktionen       Situation die in Hochschulprojekten geförder-
 und Gegensanktionen das außenpolitische Ver-      ten Partner nach ihren Erfahrungen in inter-
 hältnis auch zu Deutschland.3 Gleichzeitig zei-   nationalen Kooperationen befragt. Der zweite
gen die deutsch-russischen Wissenschaftskoope-     ­Anhang stellt ausgewählte regionale Ergebnisse
rationen, dass gerade Wissenschaftlerinnen und      im Vergleich mit den weltweiten Resultaten dar.
Wissenschaftler, Forschungseinrichtungen und
Hochschulen auch in einem komplexer wer-           Die Informationen dieses Papiers speisen sich,
denden Kontext erfolgreich zusammenarbeiten        neben öffentlich zugänglichen Quellen, aus
können.                                            Kooperationserfahrungen deutscher Wissen-
                                                   schaftlerinnen und Wissenschaftler, deren aus           7
Mit dem vorliegenden Papier richtet der DAAD       Interviews gewonnene Einblicke in diesen Text
den Blick auf die Rahmenbedingungen, in            Eingang fanden. Zudem beriet sich der DAAD
denen sich Wissenschaftlerinnen und Wissen-        im Dezember 2020 mit Wissenschaftlerinnen
schaftler sowie Wissenschaftsmanagerinnen          und Wissenschaftlern deutscher Hochschu-
und -manager in deutsch-russischen Koope-          len zur akademischen Zusammenarbeit mit
rationen bewegen. Es greift die Impulse des        der Russischen Föderation (vgl. Impressum).
Themenjahres, insbesondere eine intensivierte      Gegenstand der Diskussion in einem virtuellen
Zusammenarbeit, von Geschichte über Physik         Expertengespräch war auch dieses Papier; die
bis zur Klimaforschung, sowie Nachwuchsförde-      Ergebnisse sind in eine Überarbeitung des Texts
rung, auf und setzt sie in den Kontext der Chan-   eingeflossen.
cen, die die Roadmap für den weiteren Ausbau
der deutsch-russischen Wissenschaftskoopera-       Die Verantwortung für die hier dargestellten
tionen bietet. Welche fachlichen Schwerpunkte      Inhalte liegt ausschließlich beim DAAD. Das
bieten Potenziale für Kooperationen? Welche        ­Papier ist als Impuls gedacht, als Auftakt zu ­einer
Fördermöglichkeiten gibt es? Worauf gilt es bei     Diskussion über Bedingungen, Chancen und
der Anbahnung und Umsetzung deutsch-rus-            Heraus­forderungen deutsch-russischer Wissen-
sischer Wissenschaftskooperationen zu ach-          schaftskooperationen. In diesem Sinne freuen
ten? Inwiefern beeinflussen die politischen,        wir uns über kritische Anmerkungen und Ergän-
zwischenstaatlichen Beziehungen die Zusam-          zungen (Kontaktdaten siehe Impressum).
menarbeit auf akademischer Ebene? Das sind
Fragen, die Hochschulen, Forschungseinrich-
tungen und Mittlerorganisationen gleicherma-
ßen beschäftigen und die mit diesem Papier in
den Fokus gerückt werden. Dies wird verbunden
mit qualitätsgesicherten Informationsquellen
und Empfehlungen aus der Kooperationspraxis.

3   DAAD 2020, S. 5
KIWi IMPULS         DIE DEUTSCH-RUSSISCHE ROADMAP: POTENZIALE – HERAUSFORDERUNGEN – KOOPERATIONSERFAHRUNGEN

    Den Rahmen kennen:
    Aktuelle Entwicklungen der
    russischen Hochschul- und
    Forschungslandschaft

8   Das russische Wissenschaftssystem erlebt seit         Studierenden in der Russischen Föderation
    Beginn der 2010er-Jahre tiefgreifende Refor-          bis 2024 verdoppelt werden. Herausragenden
    men. Mit veränderten wirtschaftlichen Entwick-        russischen und ausländischen Forschenden
    lungen und einem modernisierten Arbeitsmarkt          sowie den eigenen Nachwuchswissenschaft­
    wurde Ende der 2000er-Jahre deutlich, dass            lerinnen und -wissenschaftlern sollen qualita-
    Fachkräfte benötigt wurden, die das Bildungs-         tiv hochwertige Strukturen und Bedingungen
    system mit seinen Anfängen im 18. Jahrhundert         geboten werden, um sie so für den Verbleib
    und der Prägung sowjetischer Zeit nicht mehr          an russischen Wissenschaftseinrichtungen zu
    bereitstellen konnte. Die in den 1990er-­Jahren       gewinnen5. Die Reformen nehmen beispiels-
    starke Abwanderung einer ganzen Genera-               weise den deutschen Ansatz der Einheit von
    tion von Nachwuchswissenschaftlerinnen und            Lehre und Forschung auf und nutzen aktuelle
    -wissenschaftlern aus Forschung und Lehre             wissenschaftspolitische Entwicklungen wie die
    in die sich dynamisch entwickelnde russische          Exzellenz­initiative als Modell.
    Wirtschaft, aber auch an ausländische wissen-
    schaftliche Einrichtungen, die zunehmende             Das russische Wissenschaftssystem sieht tradi-
    Überalterung des in der Russischen Födera-            tionell eine Trennung von Lehre und Forschung
    tion verbliebenen Wissenschaftspersonals und          vor. Forschung fand – und dies ist bis heute
    ein sinkendes Budget hinterließen tiefe Spu-          in großem Umfang der Fall – überwiegend in
    ren. Dies änderte sich, als die Politik ab 2008       den Einrichtungen der Russischen Akademie
    wieder einen Schwerpunkt auf Forschung und            der Wissenschaften statt, die bereits 1724 ge-
    Entwicklung setzte und verstärkt ab 2012 eine         gründet wurde. Aktuell unterhält die Akademie
    Reihe grundlegender Reformen umsetzte, die            ca. 700 Forschungseinrichtungen. Universitä-
    bis heute andauern4. Angestrebt wird damit, die       ten dagegen waren und sind bis heute über-
    Wettbewerbsfähigkeit des russischen Wissen-           wiegend höhere Lehranstalten. Mit den jüngs-
    schaftssystems im globalen Vergleich zu erhö-         ten Reformen soll sich dies jedoch zumindest
    hen. So soll u. a. die Zahl der internationalen       zum Teil ändern. Ziel ist es, eine Gruppe von

    4   Köpplin 2015, S. 4
    5   Kooperation international 2020
Den Rahmen kennen

forschungsstarken, international konkurrenz-       etwa I­ T-­Sicherheit, Luft- und Raumfahrt oder
fähigen Universitäten als Exzellenzhochschulen     Material­wissenschaften, sowie die Lebens­
zu etablieren, damit diese die starke Fokussie-    wissenschaften, etwa Chemie oder Biotechno-
rung auf die Lehre zugunsten eines stärkeren       logie, besondere wissenschaftspolitische Auf-
Engagements auch in den Bereichen Forschung        merksamkeit.
und Innovation aufgeben. Dies geschieht wett-
bewerbsbasiert und unter hohem wissenschafts-       Nach aktuellen Zahlen des Goethe-­Instituts
politischem Druck.                                  lernen etwa 360.000 Studierende in der
                                                    ­Russischen Föderation Deutsch – so viele wie
Die knapp 50 führenden russischen Universi-          in keinem anderen Land (auf Platz 2 folgt Polen
täten („Vedushchie vuzy“, „Ведущие вузы“)6,          mit ca. 56.000 und auf Platz 3 die VR China mit
die vom Staat in verschiedenen Kategorien als        ca. 39.000 Lernenden an Hochschulen)7. Bei
Forschungsuniversitäten gefördert werden,          der Mobilität russischer Studierender ins Aus-
müssen beispielsweise für ihre Wissenschaftle-     land steht Deutschland auf dem ersten Platz,
rinnen und Wissenschaftler regelmäßige Pub-        vor der Tschechischen Republik, erst danach
likationen in internationalen Fachzeitschriften    folgen die englischsprachigen Destinationen
nachweisen, ebenso die Einwerbung von Dritt-       USA und das Vereinigte Königreich. 10.439
mitteln oder die Qualifikation des wissenschaft-   ­Studierende aus der Russischen Föderation
lichen Personals z. B. durch Fremdsprachen-         waren im WS 2018/2019 an deutschen Hoch-
kenntnisse. Diese Einrichtungen, die sich in        schulen eingeschrieben. In Deutschland gehört
der „Assoziation der Führenden Universitäten“       die Russische Föderation zu den wichtigsten
zusammengeschlossen haben, haben ein hohes          Herkunftsländern für internationales Wissen-       9
Interesse an internationalen Kooperationen          schaftspersonal. 2018 waren 2.221 russische
und können im Bereich der Forschung für deut-       Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in
sche Wissenschaftseinrichtungen besonders           Deutschland tätig.8
interessant sein.
                                                   Ein weiterer Trend im akademischen Reform­
Universitäten in der Russischen Föderation         prozess der Russischen Föderation, der ins-
spielen auch als regionale Entwicklungsmoto-       besondere für Technische Universitäten und
ren jenseits der Metropolen eine bedeutende        Hochschulen für Angewandte Wissenschaften
Rolle. Etwa 60 regionale Universitäten außer-      interessant ist, besteht in der zunehmenden
halb Moskaus und St. Petersburgs erhalten          Stärkung der anwendungsorientierten Ausbil-
eigens ausgewiesene Fördermittel, um diesen        dung, vor allem an den russischen Technischen
Auftrag zu erfüllen.                               Universitäten. Hier sind inzwischen Industrie-
                                                   praktika für die Studierenden und der Einbezug
Insgesamt gibt es derzeit 724 Hochschulen          von Lehrenden auch aus der Wirtschaft vorge-
(ohne Filialcampus) in der Russischen Föde-        sehen. Deutsche Technische Universitäten und
ration, davon sind gut 70 Prozent in staatli-      Hochschulen für Angewandte Wissenschaften
cher Trägerschaft, die übrigen haben private       können vom hohen Spezialisierungsgrad vieler
Eigentümer. Im Jahr 2017 waren nach Anga-          russischer Hochschulen profitieren, beispiels-
ben der UNESCO 5,9 Millionen Studierende           weise gibt es Technische Universitäten für Logis-
an Hochschulen in der Russischen Föderation        tik, Bauwesen oder Agrarwissenschaften. Daher
eingeschrieben. Diese sind oftmals gerade in       sind gerade deutsche Technische Universitäten
den MINT-Fächern sehr gut ausgebildet. Zu-         und Hochschulen für Angewandte Wissenschaf-
dem erfahren wirtschafts­relevante Fächer          ten mit ihren Industriekontakten, Praxisorien-
wie die Ingenieurwissenschaften, darunter          tierung und den Kompetenzen in angewandter

6   Vgl. Köpplin 2015
7   Auswärtiges Amt 2020
8   DAAD u. DZHW 2020, S. 78
KIWi IMPULS        DIE DEUTSCH-RUSSISCHE ROADMAP: POTENZIALE – HERAUSFORDERUNGEN – KOOPERATIONSERFAHRUNGEN

     Forschung für diese Gruppe von Universitäten
     interessante ­Kooperationspartner. Zudem kön-
     nen sie die in der Russischen Föderation um-
     fassend aufgestellte Deutsch-Russische Auslands-
     handelskammer (AHK) für Wirtschaftskontakte
     nutzen9.

     Weiterführende Informationen finden sich in
     der DAAD-Bildungssystemanalyse Russische Föde-
     ration und auf der Webseite des DWIH Moskau.

10

     9   DAAD 2020, S. 23
Potenziale erkennen

Potenziale erkennen:
Wissenschaftspolitische Leitlinien
und fachliche Schwerpunkte

Trotz schwerer Einschnitte insbesondere in den           I n Wissenschafts-Industrie-Kooperatio-     11
1990er-Jahren hat sich das russische Wissen-              nen sollen internationale Wissenschafts-
schaftssystem im Kern seine Qualitäten und                zentren (u. a. für Mathematik und
Profile bewahrt. So ist es für seine Leistungs-           Genom­forschung) sowie 15 Wissen-
stärke insbesondere in den technisch-naturwis-            schafts- und Bildungscluster (Science
senschaftlichen Fächern bekannt, aber auch von            and Education Centers, SEC) aufgebaut
einer langen und ausgezeichneten Tradition der            werden.
Zusammenarbeit in den Geisteswissenschaften
berichten deutsche Wissenschaftlerinnen und               roße Teile der bestehenden Forschungs­
                                                         G
Wissenschaftler mit Kooperationserfahrungen              infrastrukturen sollen modernisiert, mit
in der Russischen Föderation. Sie betonen ein            ­ingenieurwissenschaftlichen Zentren
hohes Arbeitsethos russischer Kooperations-               verbunden und zu einem Netzwerk von
partner, Verlässlichkeit, Engagement sowie ein            Großforschungseinrichtungen ausgebaut
hohes Ansehen von russischen Forschenden                  werden.
­sowohl in der Gesellschaft als auch in interna-
 tionalen Kooperationen.                                  achkräfte in Forschung und Lehre sollen
                                                         F
                                                         ­gezielt und systematisch ausgebildet
Wissenschaftspolitisch liegt das Augenmerk der            werden.
russischen Regierung zunehmend auf anwen-
dungsorientierter Forschung, hier besonders in       Die heutigen deutsch-russischen Wissenschafts-
den naturwissenschaftlich-technischen Fächern        beziehungen basieren auf einem bereits 1987
und den Lebenswissenschaften (Medizin, Bio­          mit der Sowjetunion geschlossenen Abkommen
logie). Im Dezember 2018 veröffentlichte die         über die wissenschaftlich-technische Zusam-
russische Regierung zudem die ambitionier-           menarbeit, das 2009 in ein russisch-deutsches
te Strategie des „Nationalen Projekts Wissen-        Abkommen überging. Vor diesem Hintergrund
schaft“, die bis 2024 drei wissenschaftspolitische   und zur weiteren Vertiefung der Kooperatio-
Ziele in den Vordergrund rückt10:                    nen in Bildung, Wissenschaft, Forschung und

10 Kooperation international 2020
KIWi IMPULS    DIE DEUTSCH-RUSSISCHE ROADMAP: POTENZIALE – HERAUSFORDERUNGEN – KOOPERATIONSERFAHRUNGEN

     Innovation entstand 2018 die Roadmap. The-             Gesundheitsforschung,
     matisch sind die Wissenschaftsbeziehungen
     zwischen Deutschland und der Russischen Fö-            Erneuerbare Energien und
     deration aufgrund der Vielzahl der beteiligten         ­Energieeffizienz,
     Akteure facettenreich. Deutsche Wissenschaft-
     lerinnen und Wissenschaftler betonen, dass             Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit sowie
     gerade die kontinuierliche Zusammenarbeit,
     gute persönliche Beziehungen und das dadurch           I nnovative Produktionstechniken und
     entstandene Vertrauen hierfür die Grundlage             Lasertechnologien.
     bildeten.
                                                        Diese thematischen Schwerpunkte ergänzen den
     Laut Hochschulrektorenkonferenz gibt es ak-        wissenschaftspolitischen Fokus des BMBF auf
     tuell 1.007 Kooperationen von Hochschulen in       die Entwicklung und den Bau wissenschaftlicher
     Deutschland mit Hochschulen und Partnerein-        Großgeräte. Hierzu gehört der mit der Russi-
     richtungen in der Russischen Föderation (Stand     schen Föderation und weiteren internationalen
     November 2020). Die Russische Föderation ist       Partnern errichtete und betriebene europäi-
     damit als Zielland für Kooperationen deutscher     sche Röntgen-Freie-Elektronen-Laser (­ European
     Hochschulen auf Platz drei nach den USA und        XFEL) bei Hamburg, der zu Erkenntnissen in
     der VR China. Nicht alle diese Kooperationen       den Bereichen Nanotechnologie, Energietech-
     werden gleichermaßen lebendig und von quali-       nik und Medizin beitragen soll. Grundlage der
     tativem Mehrwert sowohl für die deutschen als      gemeinsamen Erforschung der Entwicklungsge-
12   auch die russischen Beteiligten sein. Und doch     schichte des Universums soll zudem die neuarti-
     deutet diese Zahl auf ein hohes gegenseitiges      ge Beschleunigeranlage FAIR bilden, die am GSI
     Kooperationsinteresse. Die Zusammenarbeit          Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung
     reicht dabei von Engagement in akademischer        in Darmstadt entsteht11.
     Mobilität über gemeinsame Studienprogramme
     und Forschungsprojekte bis hin zu gemeinsam        Die in der Roadmap genannte Meeres- und
     errichteten Forschungsinfrastrukturen.             Polar­forschung erfährt Förderung durch das
                                                        BMBF und das russische Forschungsministeri-
     Die deutsch-russische Roadmap zeigt konkrete       um (MinObrNauki), um zu einem besseren Ver-
     Potenziale für Wissenschaftskooperationen zwi-     ständnis des globalen Klimas zu kommen. Auch
     schen der Russischen Föderation und Deutsch-       Biowissenschaften und ihre Nutzung in einer
     land auf. Als wissenschaftspolitisches Signal      nachhaltigen, biobasierten Wirtschaftsweise be-
     kann sie, dies berichten auch deutsche koopera-    nennt das BMBF als wichtige zukunftsweisende
     tionserfahrene Wissenschaftlerinnen und Wis-       Themen in der Kooperation zwischen Deutsch-
     senschaftler, Anstoß und Impulse besonders für     land und der Russischen Föderation. Diese wird
     den wissenschaftlichen Nachwuchs geben. Als        hier als starker Partner in einer international
     thematische Schwerpunkte benennt die Road-         wettbewerbsfähigen Bioökonomie gesehen12.
     map sogenannte Prioritäten, in denen Spitzen-
     forschung und die interdisziplinäre Zusammen-      Darüber hinaus lassen sich fachliche Koopera-
     arbeit besonders gefördert werden sollen:          tionspotenziale durch einen Blick in die Daten-
                                                        bank aktuell geförderter DFG-Projekte (vgl. DFG
          Meeres- und Polarforschung,                   GEPRIS) ableiten. Diese zeigt in der Grund-
                                                        lagenforschung derzeit 380 laufende Projekte
          Bioökonomie,                                  deutscher Hochschulen mit Bezug zur Russi-
                                                        schen Föderation (Stand November 2020). Der
          Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften,   überwiegende Teil dieser Projekte wird in den

     11 BMBF o.J.
     12 BMBF o.J.
Potenziale erkennen

Naturwissenschaften gefördert (ca. 44 Prozent)
und hier insbesondere in der Physik (vor allem
Physik der kondensierten Materie, d. h. fester
und flüssiger Aggregatzustände) gefolgt von den
Geowissenschaften (Geologie, Mineralogie, Geo-
chemie). Etwa 32 Prozent der Projekte werden
in den Geisteswissenschaften gefördert, hier
insbesondere in den Geschichtswissenschaften,
gefolgt von den Literatur- sowie Sprachwissen-
schaften.

Rechts-, Wirtschafts- und ­Sozialwissenschaften,
Germanistik und Ingenieurwissenschaften
sind aktuell Schwerpunkte in DAAD-geförder-
ten Hochschulkooperationen. Regional stehen
hier insbesondere St. Petersburg und Mos-
kau im Fokus, aber auch Kasan (Germanistik,
Physik, Informatik, Ingenieurwissenschaften),
­Krasnojarsk (Rechtswissenschaften, Bauwesen),
 Woronesch (Germanistik, Anglistik, Europäi-
 sche Integrationsstudien), Perm (Softwaretech-
 nik, Bauwesen, Europäische Integrationsstu-       13
 dien), Tomsk, Wolgograd und Wladiwostok (alle
 Germanistik) sind jeweils mit mehr als einem
 Hochschulprojekt vertreten.
KIWi IMPULS   DIE DEUTSCH-RUSSISCHE ROADMAP: POTENZIALE – HERAUSFORDERUNGEN – KOOPERATIONSERFAHRUNGEN

     Fördermöglichkeiten erkunden:
     Den wissenschaftlichen Nachwuchs
     in deutsch-russische Kooperationen
     bringen

14   Förderungen des DAAD                              Bildung und Wissenschaft der Russischen Föde-
                                                       ration oder das Nikolaj-Lobachevskij-­Programm
     Als Einstieg in die Forschungskooperation         des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft
     mit der Russischen Föderation bieten sich die     der Republik Tatarstan genannt.
     DAAD-Stipendienprogramme für (Nachwuchs-)
     Wissenschaftlerinnen und (Nachwuchs-‍)Wissen-     Um der nach wie vor unausgewogenen Aus-
     schaftler an deutschen Einrichtungen an. Erfah-   tauschbilanz zwischen Deutschland und der Rus-
     rungen deutsch-russischer Wissenschaftskoope-     sischen Föderation entgegenzuwirken, fördert
     ration zeigen, dass Kurzaufenthalte russischer    der DAAD im „Go East“-Programm eine breite
     Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissen-        Palette von Aktivitäten deutscher Hochschulen.
     schaftler zum gegenseitigen Kennenlernen der      Dadurch soll der deutsche wissenschaftliche
     Forschungsqualitäten und -interessen beider       Nachwuchs mit der Russischen ­Föderation – und
     Seiten zu nachhaltigen Kooperationsbeziehun-      anderen Ländern in der ­Region – in Kontakt
     gen führen können. Der DAAD bietet zu diesem      kommen. Dies beginnt mit Osteuropatagen an den
     Zweck u. a. die Programme „Studienstipendien –    Hochschulen und reicht über Sommerschulen bis
     Masterstudium für alle wissenschaftlichen Fä-     hin zu ­Semesterstipendien. Aufbauend auf ersten
     cher“, „Forschungsstipendien – Jahresstipendien   Kontakten fördert das DAAD-Programm „Russland
     für Doktoranden“ sowie „Forschungsaufenthalte     in der Praxis“ deutsche Studierende und Gradu-
     für Hochschullehrer und Wissenschaftler“ an.      ierte, die die Dynamik der deutsch-russischen
                                                       Wissenschafts- und Wirtschaftsbeziehungen vor
     Das Engagement der russischen Seite für die       Ort kennenlernen wollen. Deutsche Unterneh-
     Internationalisierung des eigenen wissenschaft-   men in der Russischen Föderation stellen dafür
     lichen Nachwuchses zeigt sich zudem in ver-       Praktikumsplätze zur Verfügung.
     schiedenen Regierungsstipendienprogrammen,
     die gemeinsam mit dem DAAD angeboten wer-         Mit dem Leonhard Euler-Stipendienprogramm för-
     den. Darin werden jährlich mehrere hundert        dert der DAAD die Umsetzung gemeinsamer bi-
     Personen gefördert. Beispielhaft seien hierfür    nationaler Forschungsprojekte insbesondere von
     das ­Immanuel-Kant-Programm und das Michail-      Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissen-
     Lomonosov-Programm des Ministeriums für           schaftlern auch aus der Russischen Föderation
Fördermöglichkeiten erkunden

(neben anderen ost- und südosteuropäischen               S­ tipendiendatenbank sowie für Projektförderun-
Ländern) und leistet gleichzeitig einen Beitrag           gen in der Projektdatenbank.
zum Verbleib des Hochschullehrernachwuchses
an den Heimathochschulen. Weiterhin fördert
und stärkt das Programm ­„Ostpartnerschaften“            Förderungen weiterer Wissenschafts­
partnerschaftliche Beziehungen deutscher Hoch-           organisationen
schulen mit der Russischen Föderation.
                                                         Unter dem Dach der Roadmap versammeln sich
Bei den seit 2019 bzw. 2020 weltweit neu angebo-         darüber hinaus eine Vielzahl von Akteuren, die
tenen Digitalisierungsprogrammen des DAAD,               deutsch-russische Wissenschaftskooperationen
wie „Internationale Mobilität und ­Kooperation           fördern. Neben dem BMBF (WTZ-Bekanntma-
digital“ (IMKD) oder „International Virtual              chungen) gehören dazu die Deutsche Forschungs-
Academic Collaboration“ (IVAC), gibt es derzeit          gemeinschaft (DFG), die auch gemeinsam mit
noch keine geförderten Projekte mit Partnern             der russischen Seite Förderbekanntmachungen
aus der Russischen Föderation. Hier gäbe es              veröffentlicht. Weiterhin sind die deutschen
also für deutsche Hochschulen Potenzial für              außeruniversitären Forschungseinrichtungen
neue Schwerpunktsetzungen13. Neben den ex-               Helmholtz-Gemeinschaft (HGF), Max-Planck-­
pliziten Digitalisierungsprogrammen des DAAD             Gesellschaft (MPG), Fraunhofer-­Gesellschaft (FhG)
beinhalten auch alle neu ausgeschriebenen För-           und Leibniz-Gemeinschaft auf Projekt- und Aus-
derprogramme in der Projektförderung inzwi-              tauschebene aktiv. Dabei sind DFG und HGF
schen zuwendungsfähige Ausgaben für digitale             zudem als Hauptunterstützer des Deutschen
Komponenten, mit denen Elemente digitaler                Wissenschafts- und Innovationshauses (DWIH)          15
Lehre und Forschung im Rahmen bestehender                Moskau vertreten, die Leibniz-Gemeinschaft als
Projekte integriert werden können.                       assoziierter Unterstützer.

Ergänzt werden diese bestehenden DAAD-­                  Trotz der Sanktionen im Wirtschaftsbereich14 ist
Programme um eine neue Initiative, die sich              die Russische Föderation weiterhin an akademi-
dezidiert aus der Roadmap heraus entwickelt              schen EU-Förderprogrammen beteiligt. Das der-
hat: Im November 2020 hat der DAAD mit Mit-              zeit größte Projekt ist CREMLINplus („­Connecting
teln des BMBF das „Young Talents Programme“              Russian and European ­Measures for Large-sca-
ausgeschrieben. Dieses richtet sich an russische         le Research Infrastructures – plus“), unter dem
Studierende und Forschende (Masterstudieren-             zwischen 2020 und 2024 die Zusammenarbeit
de bis Postdocs), die an ausgewählten deutschen          von Großforschungseinrichtungen in der Russi-
Großforschungsanlagen forschen möchten. Das              schen Föderation und der EU koordiniert wird.
Programm schließt damit eine Lücke, indem                Von russischer Seite werden bilaterale Förder-
es außerhalb etablierter Kooperationen neue,             bekanntmachungen mit Partnerländern im Be-
hoch qualifizierte Zielgruppen anspricht, um             reich der angewandten Forschung durch das
an deutschen Großforschungseinrichtungen zu              Ministerium für Wissenschaft und Hochschul-
arbeiten. Das Programm ist mit einer Laufzeit            bildung (MSHE) durchgeführt. Hinzu kommen
bis Ende 2024 konzipiert und bietet der Groß-            weitere Förderbekanntmachungen, etwa im Be-
forschung in Deutschland die Möglichkeit, ihre           reich der Grundlagenforschung oder für kleine,
wissenschaftlichen Beziehungen mit der Russi-            innovative Unternehmen.
schen Föderation auszubauen.
                                                          ine ausführliche Darstellung der deutsch-­
                                                         E
Weitere Möglichkeiten der DAAD-Förderung                 russischen Förderprogrammatik findet sich im
finden sich für Stipendienprogramme in der               ­Länderbericht Russland von Kooperation interna-
                                                          tional.

13 Vgl. Anhang 2 zu Potenzialen in der digitalen Lehre
14 Vgl. EU Sanctions Map
KIWi IMPULS        DIE DEUTSCH-RUSSISCHE ROADMAP: POTENZIALE – HERAUSFORDERUNGEN – KOOPERATIONSERFAHRUNGEN

     Zwischen Internationalisierungs­
     bestreben und Kontrolldiskurs:
     Herausfordernde
     Rahmenbedingungen
     für Wissenschaftskooperationen

               Beide Seiten erachten die Wissenschaftsfreiheit als eine Voraussetzung
               für exzellente Forschung.15

16   Nachrichten über Einschränkungen des Rech-                               Wettbewerbsfähigkeit in der internationalen
     tes auf Meinungsfreiheit, politische Opposition,                         Wissenschaftsgemeinschaft sei ein Prestige­
     über außenpolitische Spannungen zwischen der                             projekt der Russischen Föderation. Internationa-
     Russischen Föderation und der EU werfen die                              lisierung berge allerdings auch mögliche Risiken
     Frage auf, welche Auswirkungen dies auf inter-                           ausländischer Einflüsse, die einen Kontrolldis-
     nationale Wissenschaftskooperationen hat. Hier                           kurs prägen. Diese können politischer, ideologi-
     lohnt sich ein differenzierter Blick auf die aktu-                       scher oder sicherheitsrelevanter Natur, im Sinne
     ellen Herausforderungen für die akademische                              von Spionage, sein.
     Zusammenarbeit.
                                                                              Andreas Hoeschen, Leiter der DAAD-Außen-
     Alexander Libman, Professor für Politikwissen-                           stelle Moskau: „Internationalisierung erzeugt
     schaft mit Schwerpunkt Osteuropa und Russ-                               nach wie vor auch politischen Widerspruch
     land an der FU Berlin, spricht in seinem Artikel                         in Russland: War es in der Vergangenheit vor
     „Akademische Freiheit in Russland: Anpassung                             allem die Furcht vor einem Braindrain, ist es
     an den autoritären Staat?“16 von einem Spagat                            jetzt verstärkt die Besorgnis um einen mög-
     zwischen Status- und Prestigegewinn für das                              lichen Kontrollverlust, die diese Entwicklung
     Land durch die Internationalisierung der Wis-                            begleitet.“17
     senschaft, die Anpassung an ein globalisiertes
     Wissenschaftssystem und den internationa-                                Diese Dissonanzen haben mittelbar wie unmit-
     len Erfolg russischer Forschender einerseits.                            telbar auch Implikationen für Wissenschafts­
     Dem gegenüber stehen Risiken für den Staat                               kooperationen. Eine Strategie der Risiko-
     durch kritische Fragestellungen und unab-                                aversion auf russischer Seite ist es, in diesem
     hängiges Denken sowie einen daraus resultie-                             staatlichen Kontrolldiskurs einen möglichst
     renden Wunsch nach Kontrolle andererseits.                               hohen Grad der administrativen und bürokra-
     Internationalisierung, Spitzenforschung und                              tischen Formalisierung anzustreben. Der Grad

     15 Zitat aus der deutsch-russischen Roadmap für die Zusammenarbeit in ­Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation, S. 2
     16 Libmann 2020, o. S.
     17 Hoeschen 2019, S. 2
Zwischen Internationalisierungs­bestreben und Kontrolldiskurs

der Umsetzung politischer Vorgaben hingegen,                               sind daran interessiert, eine Zusammenarbeit
so die Einschätzung der vom DAAD befragten                                 auf Grundlage der Prinzipien einer offenen
Expertenrunde, hänge dabei vom Verhandlungs-                               ­Wissenschaft fortzusetzen.“19
spielraum und der Risikoaversion der jeweiligen
Institution ab18.                                                          Die „Erlass-Affäre“ hatte zwar deutsche Koope-
                                                                           rationspartnerinnen und -partner kurzfristig
Dieser Widerspruch zwischen Internationalisie-                             irritiert, sich letztlich jedoch auch aufgrund
rung der Wissenschaft und Forschung einer-                                 der klaren Reaktion der russischen Seite nicht
seits und Kontrolle des Austausches anderer-                               als Zäsur für die wissenschaftliche Zusam-
seits zeigt sich u. a. in der Reglementierung                              menarbeit erwiesen. Etwa zeitgleich mit dem
ausländischer Einflüsse sowie an den Schnitt-                              ungewollten Leak veröffentlichte das Minis-
stellen zwischen innen und außen in Bereichen                              terium für Wissenschaft und Hochschulbil-
der Internetsicherheitsstrukturen sowie Gesetz-                            dung zudem ein „Konzept der internationalen
gebungen zu sozialen Medien. Dies zeigen die                               wissenschaftlich-­technischen Zusammenar-
folgenden Beispiele.                                                       beit“. Hierin wurde explizit auf eine horizonta-
                                                                           le und reziproke Vernetzung gesetzt, mit dem
                                                                           Ziel „die Wett­bewerbsfähigkeit des eigenen
Erlass des russischen Wissenschafts­                                       Landes durch eine möglichst weitreichende
ministeriums zum Umgang mit ausländi­                                      Einbindung in internationale Kooperations-
schen Gästen                                                               strukturen zu steigern“20.

Im Jahr 2019 hat die Weitergabe eines inter-                               Die befragten deutschen Wissenschaftlerin-          17
nen Erlasses des Wissenschaftsministeriums                                 nen und Wissenschaftler betonten, dass die
an die Medien über den Umgang mit ausländi-                                gute, langjährige Zusammenarbeit mit russi-
schen Gästen in der russischen wie auch in der                             schen Partnern auf gegenseitigem Vertrauen
deutschen Hochschullandschaft für Aufregung                                und Offenheit basiere. Man habe im Zuge der
gesorgt. Der Erlass war aus einem Kontext der                              Öffentlichmachung des Erlasses das Gespräch
Spionage­abwehr entstanden und sah unter ande-                             mit den russischen Partnern gesucht, um mög-
rem die Anmeldung der Besuche, die Anwesen-                                liche Implikationen für den wissenschaftlichen
heit einer Kontrollinstanz bei gemeinsamen Tref-                           Austausch sowie den Grad der Umsetzung des
fen und die Nutzung von Aufnahmetechnik nur                                Erlasses gemeinsam zu besprechen. In diesen
nach genehmigter Erlaubnis vor. Auch sollten Be-                           Gesprächen habe sich deutlich gezeigt, so die
richte über die Aktivitäten ausländischer Wissen-                          deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler an den russi-                           schaftler, dass sich die russischen Universitäten
schen Gasteinrichtungen erstellt werden.                                   dezidiert gegen einen solchen Erlass und seine
                                                                           Umsetzung aussprächen. Basierend auch auf
Im Verlaufe der Debatten hat das Präsidium der                             dieser Kritik aus den russischen Universitäten
Russischen Akademie der Wissenschaften klar                                wurde der Erlass letztlich zurückgenommen.
Position bezogen und gegenüber dem Wissen-
schaftsministerium deutlich gemacht, dass ein
solches Vorgehen der Internationalisierungs-                               Gesetzgebung im IT-Bereich: Implikatio­
strategie des Ministeriums selbst widerspreche                             nen für den Wissenschaftsaustausch
und freie Vernetzung verhindere. Der Erlass
wurde schließlich von dem zu jenem Zeitpunkt                               Ein weiteres Beispiel des Kontrolldiskurses ist
neu eingesetzten Wissenschaftsminister Valery                              die „Souveränisierung“ der Internetarchitek-
Falkov am 10. Februar 2020 aufgehoben: „Wir                                tur in der Russischen Föderation. Seit dem Jahr

18 Vgl. hierzu auch Kaczmarska 2020, S. 118 f.
19 Falkov 10.02.2020, The Moscow Times; zitiert in Scholars at Risk 2020b, S. 103
20 Hoeschen 2019, S. 2
KIWi IMPULS        DIE DEUTSCH-RUSSISCHE ROADMAP: POTENZIALE – HERAUSFORDERUNGEN – KOOPERATIONSERFAHRUNGEN

     2000 (Doktrin zur Informationssicherheit der                            (Gesetz zur Datenspeicherung, seit September
     Russischen Föderation) erarbeitet der russi-                            2015 in Kraft), Vorratsdatenspeicherung sowie
     sche Staat gesetzliche und technische Struktu-                          Bereitstellung von Informationen für Sicher-
     ren, um eine „Souveränisierung“ des Informa-                            heitsdienste (Anti-Terror-Gesetze / Jarowaja-Ge-
     tionsbereiches und der Internetarchitektur zu                           setze 2016) sowie Befugnisse und Zugriffsrechte
     erreichen21. „Diese zielt insbesondere darauf,                          des Staates (Souveränes Internet, Gesetzesände-
     Datenübertragung, Datenaustausch und Daten-                             rung November 2019)24.
     speicherung innerhalb der Grenzen Russlands
     ohne jegliche Einmischung von außen kontrol-                            Die tatsächliche Implementierung der festge-
     lieren und steuern zu können.“22 2016 wurde                             schriebenen sehr umfangreichen Vorgaben be-
     eine aktualisierte Doktrin zur Informationssi-                          werten Experten jedoch als schleppend und in
     cherheit erlassen, in die Erfahrungswerte zum                           dem angestrebten Umfang für die meisten Be-
     Internet und sozialen Medien als Mittel zum                             reiche zu den gesetzten zeitlichen Rahmendaten
     Austausch und der Vernetzung politischer Kräf-                          als nicht realistisch25. Es verbleibt somit vorerst
     te und Oppositionsbewegungen eingeflossen                               eine Diskrepanz zwischen der Gesetzgebung
     zu sein scheinen. Dies zeigt sich in der Zielset-                       zur IT-Infrastruktur, der realistischen Möglich-
     zung der Doktrin einerseits sowie in den Jahren                         keit zur Implementierung solcher Maßnahmen
     2015 und 2016 verschärften Gesetzgebungen                               sowie dem weiterhin priorisierten Wunsch nach
     zur Vorratsdatenspeicherung und breiteren Zu-                           Wettbewerbsfähigkeit, Wissenschafts- und For-
     griffsrechten von Sicherheitsdiensten anderer-                          schungsexzellenz.
     seits. Die Doktrin von 2016 sieht eine stärkere
18   „Souveränisierung“ des Internets und damit
     eine stärkere Unabhängigkeit der informations-                          Freiheit des akademischen Austausches
     technologischen Infrastruktur der Russischen
     Föderation vor: „In der Doktrin von 2016 wird                           Aus der Dissonanz zwischen Internationali-
     als zentrales strategisches Ziel definiert, die                         sierungsbestrebungen und Kontrolldiskurs er-
     Abhängigkeit der russischen Industrie vom                               gibt sich auch die Frage nach dem derzeitigen
     ausländischen Markt abzubauen und durch die                             Stand der Wissenschaftsfreiheit in der Russi-
     Schaffung, Entwicklung und den breiten Ein-                             schen Föderation. Seit einem Hoch Mitte der
     satz inländischer IT zu ersetzen.“23 Zu diesem                          1990er-­Jahre verzeichnen alle Indikatoren des
     Zweck ergriffene rechtliche Maßnahmen be-                               ­„Academic Freedom Index“26 insbesondere seit
     ziehen sich auf die Einschränkung von Anony-                            2008 einen Abwärtstrend. So lagen die Werte des
     misierungssoftware und die Registrierung von                            „Academic Freedom Index“ 1994 bei 0,82 (bei
     Software und Anbietern von VPNs (Virtuellen                             einer Skala von minimal 0 bis maximal 1) und
     Privaten Netzwerken) (2017), die Registrierung                          2008 bei 0,69. Dabei stellte der Wert für „Frei-
     inländischer Software, Vorgaben zur ausschließ-                         heit des akademischen Austauschs und der
     lichen Nutzung russischer Soft- und Hardware                            Wissenschaftskommunikation“ den höchsten
     für Bereiche der kritischen Informationsinfra-                          (1,37 auf einer Skala zwischen 0 und 4) der fünf
     struktur bis 2022, darunter Gesundheitswesen,                           triangulierten Datensätze für die Bemessung
     Wissenschaft, Brennstoff-, Metall-, Raumfahrt-                          des „Academic Freedom Index“ dar. 2019 wur-
     und Chemieindustrie, Datenspeicherung auf                               de für die Russische Föderation im „Academic
     Servern innerhalb der Russischen Föderation                             Freedom Index“ ein Wert von 0,36 ausgewiesen,

     21 Scharikow 2020, S. 18
     22 Epifanova 2020, o. S.
     23 Epifanova 2020, o. S.
     24 Epifanova 2020, o. S.
     25 Epifanova 2020, o. S.
     26	Der „Academic Freedom Index“ umfasst insgesamt acht Indikatoren, die unter anderem die folgenden fünf Dimensionen von
         Wissenschaftsfreiheit umfassen: die Freiheit der Forschung und Lehre, die Freiheit des akademischen Austauschs und der
         Wissenschaftskommunikation, institutionelle Autonomie, Campus-Integrität sowie die Freiheit der akademischen und kulturellen
         Meinungsäußerung.
Zwischen Internationalisierungs­bestreben und Kontrolldiskurs

 Deutschland liegt im Vergleich bei 0,96.27 Jüngst    „… gibt es akademische Freiheit und ist das Bil-
ist in der von Katrin Kinzelbach, Professorin         dungssystem frei von umfassender politischer
für Menschenrechte an der Friedrich-Alexan-           Indoktrination?“ sowie „… können Einzelperso-
der-Universität Erlangen-Nürnberg, herausge-          nen ihre persönlichen Ansichten zu politischen
gebenen Publikation „Researching Academic             oder anderen sensiblen Themen äußern, ohne
Freedom. Guidelines and Sample Case Studies“          Angst vor Überwachung oder Vergeltung zu
eine Länder­analyse zu „Academic Freedom in           haben?“: Beide Indikatoren werden mit einem
­Russia“ von Katarzyna Kaczmarska erschie-            von vier möglichen Punkten bewertet.33 Das
 nen28. Wissenschaftsfreiheit sei in der Verfas-      „Scholars at Risk Academic Freedom Monito-
 sung der Russischen Föderation gewährleistet,        ring ­Project“ listet ferner für den Verlauf des
 so ­Kaczmarska. Dennoch präge ein zunehmend          letzten ­Jahres vier gemeldete Fälle von Ein-
 restriktiver Gesetzesrahmen die öffentliche De-      schränkung akademischer Freiheit auf (Stand
 batte und habe mittelbar auch Implikationen          November 2020)34.
 für die Wissenschaft. Diese bestünden einerseits
 in der Beobachtung und gesetzlichen Einfas-          Es ist ratsam, diesen generalisierenden Blick
 sung von Organisationen und Individuen, die          durch eine differenzierte Analyse des jeweili-
 Finanzmittel aus dem Ausland erhalten (über          gen konkreten Kontextes zu ergänzen, um der
 das „Foreign Agent Law“ von 2012), sowie ande-       Vielfältigkeit einer differenzierten Hochschul-
 rerseits über eine starke Kontrolle politischen      landschaft, wie der der Russischen Föderation,
 Engagements des akademischen Sektors29. Die-         gerecht zu werden. Die Akademikerinnen und
 ser Gesetzesrahmen, auch wenn er sich nicht          Akademiker wie auch die neue Leitung des
 direkt auf die Wissenschaft beziehe, beschreibt      Wissenschaftsministeriums der Russischen Fö-       19
 Kaczmarska, bestimme den Umfang der öffent-          deration haben ein verstärktes Interesse, Inter-
 lichen Debatte und verweise implizit auf Be-         nationalisierung weiter auszubauen, auch um
 reiche, die nicht diskutiert oder infrage gestellt   die Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschafts-
 werden sollten30. Eine Folge sei Selbstzensur        systems zu erhalten bzw. weiterzuentwickeln.
 von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern        So schaffen es gerade diejenigen Kräfte, für die
 in Bezug auf Themen, die als politisch sensibel      Autonomie der Hochschulinstitutionen und
 eingeschätzt würden oder zentrale Narrative der      Freiheit der Wissenschaften wichtig sind, oft
 Regierung infrage stellten. Die politische Unter-    sehr geschickt, eine freie Wissenschaft, Kritik
 drückung habe in den letzten zehn Jahren zu-         und einen pluralistischen Diskurs zu gestalten.
 genommen, was eine Verbreiterung der Palette         Es handle sich, so Stimmen deutscher Wissen-
 möglicher kritischer Themen nach sich ziehe31.       schaftlerinnen und Wissenschaftler, zwar um
                                                      ein staatlich zentralistisches System, dieses
Im „Freedom House Index“, der Meinungsfrei-           sei aber weder monolithisch noch statisch,
heit in den Blick nimmt, wird die Russische           sondern vielmehr dynamisch. Nicht immer
­Föderation als „nicht frei“ eingestuft, mit 5        sind politische Freiheiten oder ihre Einschrän-
 von 40 möglichen Punkten in den „politischen         kungen vollumfänglich auf den Bereich der
 Rechten“ und 15 von 60 möglichen Punkten in          Wissenschaftsfreiheit übertragbar. Eine trenn-
 den „zivilen Freiheiten“32. Von besonderer Re-       scharfe Unterscheidung und Abgrenzung, so
 levanz für den Bereich Wissenschaftsfreiheit         auch die Erfahrungen deutscher Wissenschaft-
 sind im „Freedom House Index“ die Aspekte            lerinnen und Wissenschaftler, müsse zwischen

27 V-Dem 2020
28 Vgl. Kaczmarska 2020
29 Kaczmarska 2020, S. 116 f.
30 Kaczmarska 2020, S. 118 f.
31 Kaczmarska 2020, S. 121 f.
32 Freedom House 2020
33 Ebd.
34 Scholars at Risk Network 2020a
KIWi IMPULS   DIE DEUTSCH-RUSSISCHE ROADMAP: POTENZIALE – HERAUSFORDERUNGEN – KOOPERATIONSERFAHRUNGEN

     Wissenschaft und Forschung sowie internatio-    Wissenschaftsfreiheit innerhalb der Projekte
     nalen Wissenschaftskooperationen einerseits     oder eine Einflussnahme auf Themen erlebt.
     und politischen Meinungsbekundungen sowie       Wenn auch ein gesteigertes Bewusstsein für die
     politischem Aktivismus andererseits gemacht     Sensibilität identitätspolitischer Debatten be-
     werden.                                         stehe, habe man keine Erfahrungen in Bezug
                                                     auf Eingriffe in Themenwahl oder Konferenz­
     In der deutsch-russischen Kooperationspraxis,   programme gemacht (vgl. folgendes Kapitel).
     so deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissen-
     schaftler, habe man keine Einschränkung der

20
Kooperationserfahrungen nutzen

Kooperationserfahrungen nutzen

Das Kooperationsinteresse russischer Wissen-        Kooperationserfahrungen zeigen, dass sich in       21
schaftlerinnen und Wissenschaftler ist in den       der Anbahnung sowohl Bottom-up- als auch
vergangenen Jahren stark gestiegen, wie aus         Top-down-Strategien eignen. Für strategische,
einer Reihe von Gesprächen mit in der deutsch-      institutionalisierte Kooperationen sei der Um-
russischen Zusammenarbeit besonders erfahre-        gang mit Top-down-Ansätzen notwendig, so die
nen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern       Erfahrungen der Expertinnen und Experten,
deutlich wurde. Dies liegt an den mit den Refor-    auch wenn Bottom-up-Prozesse, verstanden als
men verstärkt eingeleiteten Internationalisie-      individueller, fachlich motivierter Austausch,
rungsaktivitäten der russischen Regierung und       zunächst nachhaltiger seien. Für beide Ansät-
der damit verbundenen gestiegenen Wettbe-           ze (auch eine Mischung dieser) sollten ausrei-
werbsorientierung im russischen Wissenschafts-      chend zeitliche Kapazitäten eingeplant werden.
system. Es ist aber auch die große Offenheit und    Forschende bauen Kooperationen in der Regel
das Interesse russischer Wissenschaftlerinnen       über ihre thematischen Interessen, Konferen-
und Wissenschaftler (bereits seit den 1990er-Jah-   zen und Publikationen auf. Wenn der Wunsch
ren), sich in einem internationalen Umfeld zu       besteht, gemeinsame Projekte in der Forschung
bewegen. Deutsche Wissenschaftlerinnen und          und/oder der Lehre belastbar zu entwickeln, ist
Wissenschaftler begründen ihr Kooperations-         es unumgänglich, dafür unterschiedliche Hie-
interesse an der Russischen Föderation mit dem      rarchieebenen miteinzubeziehen. Bei strate-
großen Engagement, der Verlässlichkeit und          gischem Kooperationsinteresse auf deutscher
einer hohen akademischen Qualität. Insbeson-        Seite können Kooperationen zunächst direkt
dere in Methodik und Theorie ist die Ausbildung     über institutionelle Hierarchien etabliert wer-
des russischen Bildungssystems sehr gut. Zu-        den. Zugleich ist aber der rechtzeitige Einbezug
dem wurde in der jüngeren Vergangenheit deut-       von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
lich in russische Forschungsinfrastrukturen in      lern beider Seiten unabdingbar, um die thema-
den Natur-, Lebens- und Ingenieurwissenschaf-       tischen Schnittstellen und Interessen zu identi-
ten investiert, weshalb sich mittlerweile zum       fizieren. Um die Interessen auf russischer Seite
Teil sehr gute Laborbedingungen finden lassen.      besser einschätzen zu können, empfiehlt es sich
                                                    daher, Kooperationen auf mehreren Ebenen
                                                    gleichzeitig anzubahnen (individuelle Ebene,
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