DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT - Repräsentation und Pluralismus in öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshows - Das ...

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SEPTEMBER 2020

                                                                                     ©Evangeline Shaw on Unsplash
 STUDIE

DIE TALKSHOW-
GESELLSCHAFT
Repräsentation und Pluralismus in
öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshows
Paulina Fröhlich
Programmleitung „Zukunft der Demokratie“, Das Progressive Zentrum
Johannes Hillje
Policy Fellow, Das Progressive Zentrum

                                                                    Wir denken weiter.
STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

     Inhalt
     DIE STUDIE AUF EINEN BLICK                     3

     I. EINLEITUNG                                  4

     II. STUDIENDESIGN                              9

     III. ERGEBNISSE                               10

     IV. HANDLUNGSPOTENZIALE                       19
           1. Vertrauen schaffen                   19
           2. Konstruktiver werden                 20
           3. Mehr politische Ebenen einbeziehen    21

     DIE AUTORINNEN / DANKSAGUNG                   22

     DAS PROGRESSIVE ZENTRUM / IMPRESSUM           23

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STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

     Die Studie auf einen Blick
     Politische Talkshows erreichen Woche für Woche               die als Diagnose zeitgenössischer Demokratieherausfor-
     ein Millionenpublikum. Während der „ersten Welle“            derungen überzeugender erscheint als eine systemische
     der Corona-Pandemie nahm die Reichweite mancher              „Krise der Demokratie“. Die Studie untersucht, wie es
     Gesprächsformate von ARD und ZDF um weitere 30 Pro-          um die Repräsentation gesellschaftlicher Bereiche und
     zent zu. Gleichzeitig stehen diese Sendungen für die Art     politischer Ebenen in öffentlich-rechtlichen Talkshows
     von medialem Diskurs, durch die sich eine gesellschaft-      bestellt ist. Pointiert lautet die Forschungsfrage: Wer
     liche Minderheit nicht (mehr) repräsentiert fühlt und        spricht für wen? Untersucht wurden die Gästelisten und
     seinen VertreterInnen mitunter zunehmend aggressiv           Themen von 1.208 Sendungen über einen Zeitraum von
     gegenübertritt, zuletzt zu beobachten auf den Demonstra-     drei Jahren (März 2017 - März 2020), plus der Sendungen
     tionen gegen die Corona-Politik.                             aus der Hochphase der Corona-Pandemie (04. März -
                                                                  24. April). Der Fokus der Analyse liegt auf den „Big 4“
     Diese Entfremdung von Medien ist eine Distanzierung von      der Talkshow-Landschaft (Anne Will, hart aber fair,
     einer zentralen Vermittlungsinstanz unserer pluralisti-      Maischberger und Maybrit Illner), für punktuelle Vergleiche
     schen Gesellschaft. In dieser Studie wird dieses Phänomen    wurden außerdem Markus Lanz und die Phoenix Runde
     als Symptom einer „Krise der Repräsentation“ verstanden,     ausgewertet.

     Die wichtigsten Ergebnisse
     Die Datenanalyse der Gästebesetzung der Talkshows offenbart Unterschiede in der Repräsentation verschiedener
     gesellschaftlicher Kräfte und politischer Ebenen. Die zentralen Ergebnisse für die „Big 4“ der Talkshows lauten:

        ● Zwei Drittel aller Gäste kommen aus Politik und Medien; 8,8 Prozent aus der Wissenschaft; 6,4 Prozent aus
          der Wirtschaft; 2,7 Prozent aus der organisierten Zivilgesellschaft
        ● 70 Prozent der talkenden PolitikerInnen sind von der Bundesebene; 7,3 Prozent von der europäischen und
          2,4 Prozent von der kommunalen Ebene
        ● 84,8 Prozent der PolitikerInnen haben eine westdeutsche, 15,2 Prozent eine ostdeutsche politische Biografie
        ● Acht von zehn Gäste aus der Wirtschaft repräsentieren die Unternehmerseite, Gewerkschaften und
          Verbraucherschutz sind selten präsent
        ● Zwei Drittel der Gäste aus der organisierten Zivilgesellschaft sind AktivistInnen (Hauptthema: Klima),
          Nichtregierungsorganisationen kommen kaum zu Wort
        ● Zu Corona stieg der Anteil der Gäste aus der Wissenschaft auf 26,5 Prozent, aus dem Sozialbereich und der
          Bildung kamen zu Beginn der Krise nur jeweils 0,7 Prozent der Gäste

     Fazit
     Talkshows können freilich nicht die ganze Bandbreite         nur unzureichend abgebildet, worunter insbesondere die
     relevanter Stimmen zu einem Thema zu Wort kommen             Wertschätzung der kommunalen und europäischen Ebene
     lassen. Überraschend ist allerdings: Besonders niedrig ist   leiden könnte. Basierend auf den Ergebnissen identifiziert
     die Talkshow-Präsenz von Organisationen, die besonders       die Studie Handlungspotenziale um Vertrauen zu stärken,
     hohes Vertrauen in der Gesellschaft genießen (z.B. Ver-      lösungsorientierter zu debattieren und den politischen
     braucherschutz, NGOs, Gewerkschaften). Gleichzeitig          Blickwinkel zu weiten.
     wird die Realität des politischen Mehrebenensystems

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STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

                                                                                     Beispiel: Am 27. April 2020 lautete eine Schlagzeile im
                                                                                     Tagesspiegel: „Nach dieser Sendung wird Laschet niemals
     I. Einleitung                                                                   Kanzler“. Gut möglich, dass ein missglückter Talkshow-
     WARUM NOCH EINE TALKSHOW-STUDIE?                                                Auftritt die Karrierechance eines Politikers nicht erhöht.
                                                                                     Dass allerdings ein einziger Auftritt, zumal viele Monate
     Ob als „Ersatzparlament“ verklärt oder als „Quassel-                            vor der parteiinternen Kandidatenkür, über die Kanzler-
     runde“ polemisiert: Politische Talkshows sind nicht nur                         schaft entscheiden soll, erscheint wenig plausibel.
     ein populäres Fernsehformat, sondern auch beliebter
     Untersuchungsgegenstand wissenschaftlicher Studien,                             RELEVANZ VON TALKSHOWS
     journalistischer Analysen oder privater Gespräche. Der
     „Talk über den Talk“ wird mittlerweile fast leidenschaft-                       Möchte man sich anhand objektivierbarer Kriterien der
     licher geführt als manch eine Sendung selbst. Themen-                           Relevanz von Polit-Talkshows nähern, hilft ein Blick auf die
     setzung, Gästeauswahl, Sendungstitel, Diskursführung                            Zuschauerzahlen. Unter den vier großen, rein politischen
     – nahezu jeder Aspekt gerät regelmäßig auf den Prüf-                            Talkshows (Anne Will, hart aber fair, Maischberger2 und
     stand. Nicht immer mit überzeugenden Argumenten,                                Maybrit Illner, unten als „Big 4“ etikettiert) erreichte Anne
     häufig auch mit persönlichen Empfindlichkeiten.                                 Will 2019 mit durchschnittlich 3,3 Millionen ZuschauerIn-
                                                                                     nen das größte Publikum. Dahinter liegen hart aber fair
     Grundsätzlich verwundert dieses Interesse aber nicht,                           mit durchschnittlich 2,5 und Maybrit Illner mit 2,4 Millio-
     vergegenwärtigt man sich die Omnipräsenz der Talk-                              nen ZuschauerInnen. Maischberger erreichte, mutmaßlich
     Formate im Abendprogramm der öffentlich-rechtlichen                             dem späten Sendeplatz geschuldet, mit 1,2 Millionen die
     Sender: Im Jahre 2020 gibt es nur noch zwei Abende in der                       wenigsten Menschen. Im Vergleich zu 2018, ging bei allen
     Woche, an denen bei ARD oder ZDF keine Gesprächsrunde                           Sendungen der Publikumsdurchschnitt zurück. Den Talk-
     ausgestrahlt wird, die zumindest teilweise als politische                       shows macht schon seit Längerem ein Negativtrend zu
     Talkshow gelten kann. Die Gesprächsanordnung des                                schaffen: 2016 sahen Anne Will noch durchschnittlich über
     heutigen Talk-Standards (ein Thema, vier bis sechs Gäste,                       4 Millionen Menschen pro Sonntagabend. Ihr Vorgänger
     möglichst viel Dissens) wurde in den späten 1990er Jahren                       Günther Jauch kam in seinen erfolgreichsten Jahren gar
     von Sabine Christiansen und ihrer Produktionsfirma TV21                         auf fast fünf Millionen. Gestiegen ist hingegen in der
     etabliert. Seitdem ist eine regelrechte „Talkshowisierung“                      Tendenz das Publikumsinteresse an Markus Lanz. 2018
     des politischen Diskurses zu beobachten.1                                       erreichte die Sendung mit durchschnittlich 1,61 Millionen
                                                                                     ZuschauerInnen den höchsten Wert ihrer Geschichte. 2019
     Wie groß der Einfluss der Talkshows auf die Meinungs-                           ging dieser allerdings auf 1,4 Millionen zurück.3
     bildung in der Republik tatsächlich ist, lässt sich schwer
     messen. Einfacher ist hingegen festzustellen, dass der                          Zur Corona-Pandemie verzeichneten alle Sendungen
     Einfluss einer Sendung nicht damit endet, dass die Mode-                        mitunter deutlich höhere Einschaltzahlen. Das gestiegene
     ration das Publikum in die Nacht verabschiedet. Prompt                          Informationsbedürfnis während der Pandemie führte
     folgt die „Spielanalyse“. Einerseits in den sozialen Medien,                    nicht nur bei Nachrichtensendungen, sondern auch bei
     wo umgehend Redeschnipsel herumgereicht und kom-                                Polit-Talkshows zu einer überdurchschnittlich hohen
     mentiert und folglich noch mehr Menschen mit Inhalten                           Nachfrage. Prozentual legten hart aber fair, Maischberger
     der Sendung versorgt werden. Anderseits in journalis-                           und Markus Lanz am stärksten bei ihrer Reichweite zu
     tischen Medien, bei denen die „Talkshow-Kritik“ zum                             – um jeweils fast 30 Prozent im Vergleich zu den präpan-
     festen Bestandteil der Berichterstattung geworden ist.                          demischen Wochen des gleichen Jahres.4
     Nicht selten wird dabei die Wirkung einer singulären
     Sendung maßlos überhöht.

     1.   Dieser Trend kann als eine Ausformung der in den letzten zwanzig Jahren
                                                                                     2. Seit Juni 2019 “maischberger.die woche.”, im Folgenden “Maischberger”
          stark beschleunigten „Mediatisierung“ der Politik gesehen werden.
                                                                                        genannt.
          Unter Mediatisierung versteht man in der Politik- und Kommunikati-
          onswissenschaft in diesem Zusammenhang den Bedeutungsgewinn                3. Die Zuschauerzahlen stammen vom Mediendienst DWDL.
          der Medien im demokratischen Beziehungsdreieck von Politik, Medien         4. Die Werte stammen aus der Corona-Quotenbilanz von DWDL;
          und Öffentlichkeit. Als Literatur empfiehlt sich hierzu: Birkner, Thomas      https://w w w.dwdl.de/magazin/77648/coronaquotenbilanz_
          (2019): Medialisierung und Mediatisierung, Nomos Verlag, Baden-Baden.         die_grossen_gewinner_und_verlierer/.

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STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

     EINFLUSS AUF POLITISCHE THEMEN-                                           Zusammengefasst: Talkshows beeinflussen potenziell ob,
     UND PERSONENWAHRNEHMUNG                                                   wie und anhand welcher Personen wir über ein Thema
                                                                               nachdenken.
     Gemessen am Publikumsinteresse lässt sich somit über
     die Relevanz der TV-Debatten feststellen: Die Sendungen                   WAS WIR SCHON ÜBER TALKSHOWS WISSEN
     erreichen ein Millionenpublikum, wenn auch größtenteils
     mit rückläufiger Tendenz und einem strukturellen Prob-                    Neben einer Flut an feuilletonistischen Abhandlungen
     lem der Sender bei der jungen Zielgruppe. Bei wichtigen                   über Talkshows, gibt es mittlerweile auch eine beträcht-
     politischen Ereignissen wie einer Bundestagswahl oder                     liche Menge empirischer Daten. Bisherige Erhebungen
     einer akuten Krise schalten jedoch sogar noch mehr                        lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: Der erste
     BürgerInnen ein.                                                          Bereich von Analysen beschäftigt sich mit den Talkshow-
                                                                               Gästen und liefert Daten über die soziodemographischen
     Die Talkshows gehören offensichtlich zu einem Reper-                      oder politischen Merkmale der Diskutierenden. Die zweite
     toire von Medienangeboten, auf die Menschen bei einem                     Kategorie von Studien widmet sich den Themen der Sen-
     gesteigerten Informationsbedürfnis zurückgreifen. Ob                      dungen und macht in erster Linie Aussagen über deren
     aus Begeisterung oder Alternativlosigkeit lässt sich mit                  Verteilung. Eine dritte, etwas vielschichtigere Katego-
     diesen Daten zwar nicht sagen. Klar ist aber: Die Talk-                   rie untersucht die Talkshows auf qualitative Weise und
     shows tragen zur Meinungsbildung und Wahrnehmung                          nimmt etwa Inszenierungsstrategien oder den Diskurs
     politischer Themen bei; und dies potenziell auf mehreren                  (allgemein oder zu einem bestimmten Thema) in den
     Ebenen5:                                                                  Blick. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über zen-
                                                                               trale Erkenntnisse solcher Analysen gegeben:
        Erstens, die Sendungen weisen mit ihrer Themenaus-
     wahl einem politischen Thema eine besondere Wichtig-                      TALKSHOW-GÄSTE
     keit zu, küren gewissermaßen „das Thema der Woche“,
     während andere Themen in Relation dazu an Bedeu-                          Der Journalist Fabian Goldmann hat die Gäste von Anne
     tung einbüßen. Mit der Sendung an sich, aber auch ihrer                   Will, hart aber fair, Maischberger und Maybrit Illner aus
     medialen Nachbetrachtung, wird also Einfluss auf die                      dem Jahr 2019 entlang einer Reihe soziodemographi-
     Zusammensetzung und Reihenfolge von Themen auf                            scher Merkmale untersucht.6 Er kommt zu dem Schluss,
     der öffentlichen Agenda genommen (Agenda Setting).                        dass die Gästelisten die Diversität der Gesellschaft nur
                                                                               unzureichend abbilden. Im Gegensatz zur Gesamtge-
        Zweitens, die Sendungen treffen mit ihrer Gästeaus-                    sellschaft sind seinen Zahlen zufolge Frauen (38,2 Pro-
     wahl eine Entscheidung darüber, wer für das jeweilige                     zent der Talkshow-Gäste), MigrantInnen (5,4 Prozent),
     Thema wichtig ist. Präsenz bedeutet Relevanz. Neben                       Ostdeutsche (11,8 Prozent) und „People of Color“ (6,6
     den Themen wird somit auch Personen eine besondere                        Prozent) in der Talkshow-Gesellschaft mitunter deutlich
     Stellung für ein bestimmtes Thema zugewiesen, sie reprä-                  unterrepräsentiert.
     sentieren im Moment der Talkshow den Diskurs zu einem
     bestimmten Streitgegenstand (Personalisierung).                           Der SPIEGEL untersuchte während der Hochphase der
                                                                               Corona-Pandemie die Besetzung der Talkshows nach per-
       Drittens haben die Art und Weise wie das Thema                          sonenbezogenen Merkmalen.7 Junge Menschen, Frauen,
     zugeschnitten wird, welche Aspekte diskutiert werden,                     Migranten, Ostdeutsche und Menschen mit niedrigem
     welche Schwerpunkte durch Einspieler gesetzt werden,                      sozialem Status waren dieser Datenanalyse zufolge in
     potenziell einen Einfluss darauf, wie das Publikum das                    den Corona-Talkshows unterrepräsentiert. Die Auswer-
     Thema wahrnimmt (Framing).                                                tung zeigt außerdem, dass Frauen allein in der Rolle der

                                                                               6. „Wie divers sind deutsche Talkshows?“, abgerufen am 22. Juli 2020:
                                                                                  http://bliq-journal.de/analyse/wie-divers-sind-deutsche-talkshows.
     5. Für eine ausführliche kommunikationswissenschaftliche Einord-             html.
        nung der hier erwähnten Medieneffekte, empfiehlt sich als Literatur:   7. „Anne trifft Armin und Karl“, abgerufen am 22. Juli 2020: https://www.
        Bonfadelli, Heinz/Friemel, Thomas (2017): Medienwirkungsforschung,        spiegel.de/kultur/corona-talkshows-viele-aeltere-maenner-kaum-junge-
        UVK, Konstanz.                                                            menschen-a-2640650f-f9e3-446e-9a3d-d74933efd7df.

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STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

     „Betroffenen“ den Männern zahlenmäßig überlegen sind.                       DISKURS
     Bei den Gästen aus Politik, Wissenschaft oder Journalismus
     dominieren jeweils männliche Teilnehmer. Immerhin war                       Qualitative Studien, die Stil und Form der Debatten in den
     die am häufigsten talkende Person mit biomedizinischem                      Talkshows untersuchen, sind aufwendiger und deswegen
     Fachwissen eine Frau: die Virologin Melanie Brinkmann.                      auch weniger verbreitet. Der Medienwissenschaftler Bernd
                                                                                 Gäbler untersuchte bereits 2011 die Inszenierungsstrategien
     Ein bekanntes Ritual der jährlichen Talkshow-Analyse                        von Talkshows und führte dazu qualitative Interviews mit
     ist die Auszählung der Auftritte einzelner PolitikerInnen                   Sendungsmachern (prägender Satz: „Sie sollen aufeinan-
     sowie ihrer Parteizugehörigkeit. Das „Redaktionsnetzwerk                    der losgehen“).12 Ein anderes Beispiel ist die Promotion
     Deutschland“ (RND) ernannte Annalena Baerbock (Bündnis                      von Simon Goebel über die Wirklichkeitskonstruktion der
     90/Die Grünen) zur „Talkshow-Königin 2019“.8 Die Aus-                       Talkshows im Themenbereich Migration und Flucht. Mittels
     wertungen des Branchendienstes Meedia zeigen, dass in                       Diskursanalyse zeigt Goebel, dass Geflüchtete vornehm-
     den Jahren 2018 und 2019 die CDU am meisten Auftritte                       lich als Gefahr oder ökonomischer Nutzen geframed und
     hatte (116 [2018] + 91 [2019]), gefolgt von der SPD (73 + 65),              Differenzen zu den sogenannten „Einheimischen“ in den
     den Grünen (49 + 39), der FDP (28 + 26), der Linken (23 + 21)               Sendungen häufig reproduziert werden.13
     und der AfD (13 + 13).9 Auch die Gäste aus dem Journalismus
     wurden in dieser Analyse ausgewertet. 2019 löste Markus                     WAS WIR ÜBER TALKSHOWS WISSEN WOLLEN
     Feldenkirchen vom SPIEGEL den WELT-Journalisten Robin
     Alexander vom „Talkshow-Thron“ ab.                                          Die vorliegende Studie versucht nicht zu reproduzieren,
                                                                                 was andere Analysen zu den Talkshows bereits zutage
     THEMEN                                                                      gefördert haben. Wie oben dargelegt, beschäftigt
                                                                                 sich eine Reihe von Abhandlungen mit der Frage: „Wer
     Die Themen der Talkshows werden ebenfalls jährlich ausge-                   spricht?“. Insbesondere die Empirie zur Unterrepräsenta-
     zählt.10 Als Trend hat sich dabei über die Jahre gezeigt, dass              tion von Personengruppen, die gesellschaftlich ohnehin
     es regelmäßig Phasen mit monotonen Themenkonjunk-                           strukturell benachteiligt werden (z.B. Frauen oder „People
     turen gibt. Insbesondere wenn ein Thema in der Öffent-                      of Color“), macht auf wichtige Defizite bei der Besetzung
     lichkeit als „Krise“ definiert wird – z.B. Euro, Geflüchtete,               der Runden aufmerksam. Möchte man die Abbildung
     Corona – bekommt es oftmals wochenlang die ungeteilte                       gesellschaftlicher und politischer Vielfalt auf Talkshow-
     Aufmerksamkeit der Talkshows. Neben diesen Krisen-                          Podien untersuchen, stellt sich allerdings nicht nur die
     schwerpunkten zeigen die Themenauswertungen einen                           Frage „Wer spricht?“. Es stellt sich auch die Frage: „Wer
     starken Fokus auf Wahlen, Parteipolitik und internatio-                     spricht für wen?“.
     nale Politik. Soziales und Umweltthemen kommen in der
     Langzeitbetrachtung eher zu kurz. 2019 änderte sich das                     TALKSHOWS UND DIE KRISE DER REPRÄSENTATION
     zumindest mit Blick auf das Thema Klimaschutz (zweit-
     häufigster Themenkomplex).11                                                Hinter der Frage „Wer spricht für wen?“ steckt der Begriff
                                                                                 der Repräsentation. Repräsentation ist ein zentraler Funk-
                                                                                 tionsmechanismus unserer demokratischen Ordnung.
                                                                                 Meist wird sie in einem engen Sinne verstanden, als Über-
     8. „Grünen-Chefin Annalena Baerbock ist deutsche Talkshow-Königin
         2019“, abgerufen am 22. Juli 2020: https://www.rnd.de/politik/grunen-   tragung von politischer Entscheidungsmacht von den
         chefin-annalena-baerbock-ist-deutsche-talkshow-konigin-2019-NX-         Repräsentierten auf die (auf Zeit gewählten) Repräsentant-
         QYQS4R7RDTXHAMTZYDY5LIKU.html.
     9. „Die große Talkshow-Auswertung 2019: Annalena Baerbock ist neue
                                                                                 Innen. Demokratische Repräsentation findet allerdings
         Talkshow-Königin, Markus Feldenkirchen meistgeladener Journalist“,      nicht nur in Parlamenten statt, sondern auch in Parteien,
         abgerufen am 22. Juli 2020: https://meedia.de/2019/12/17/die-grosse-
         talkshow-auswertung-2019-annalena-baerbock-ist-die-neue-talkshow-       Verbänden, zivilgesellschaftlichen Organisationen und
         koenigin-markus-feldenkirchen-meisteingeladener-journalist/.
     10. „Die Flüchtlinge waren nur eine Phase“, abgerufen am 22.
         Juli 2020: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-06/
         talkshows-themensetzung-fluechtlinge-populismus-analyse.                12. „...und unseren täglichen Talk gib uns heute!“, abgerufen am
     11. „Die große Talkshow-Auswertung 2019: Annalena Baerbock ist neue             22. Juli 20202: https://www.otto-brenner-stiftung.de/wissen-
         Talkshow-Königin, Markus Feldenkirchen meistgeladener Journalist“,          schaf tspor tal/informationsseiten-zu-studien/studien-2011/
         abgerufen am 22. Juli 2020: https://meedia.de/2019/12/17/die-grosse-        und-unseren-taeglichen-talk-gib-uns-heute/.
         talkshow-auswertung-2019-annalena-baerbock-ist-die-neue-talkshow-       13. Goebel, Simon (2017): Politische Talkshows über Flucht. Wirklichkeitskon-
         koenigin-markus-feldenkirchen-meisteingeladener-journalist/.                struktionen und Diskurse. Eine kritische Analyse, Bielefeld: transcript.

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STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

     der Medienöffentlichkeit. Weil BürgerInnen demokrati-                               Deutschen erkennt sich weder in den Themen noch den
     sche Prozesse in beträchtlichem Umfang über Medien                                  RepräsentantInnen des medialen Diskurses wieder.17 Die
     wahrnehmen, prägt der mediale Diskurs auch in erhebli-                              AutorInnen der Mainzer Langzeitstudie zum Medienver-
     chem Maße das Demokratie- und Repräsentationsemp-                                   trauen schreiben: „Der Eindruck fehlender Repräsentation
     finden von Menschen.                                                                in der Berichterstattung und mangelnder Responsivität
                                                                                         des Journalismus mit Blick auf möglicherweise kulturell
     Eine gängige Diagnose, die oft im Zusammenhang mit                                  und sozial anders eingebettete Menschen, die nicht zu
     dem Aufstieg des illiberalen Rechtspopulismus getrof-                               den Kommunikationseliten in diesem Land zählen, führt
     fen wird, lautet: Die Demokratie sei in der Krise. Bei                              zu steigender Entfremdung.“ Das wirft die Frage auf, ob
     genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass gerade in                                der mediale Diskurs seine Repräsentationsfunktion für
     Deutschland weniger die Herrschaftsform an sich, son-                               gesellschaftlichen Pluralismus – trotz der unvermeidbaren
     dern vielmehr das Funktionieren der (repräsentativen)                               medialen Verdichtung – ausreichend erfüllt. Analog sollte
     Demokratie in der Kritik steht14. Statt einer Systemkrise                           diese Frage für politische Talkshows als einer zentralen
     handelt es eher um eine „Krise der Repräsentation“. Der                             Arena des öffentlichen Diskurses gestellt werden: Kom-
     Politikwissenschaftler Philip Manow sieht diese Reprä-                              men Talkshows ihrer Repräsentationsfunktion für gesell-
     sentationskrise dadurch gekennzeichnet, dass „traditi-                              schaftlichen Pluralismus in ausreichendem Maße nach?
     onelle Vermittlungsinstanzen, Parteien, Parlamente, die
     Presse, ihre politischen Aggregierungs-, Moderierungs-                              FOKUS: REPRÄSENTATION GESELLSCHAFTLICHER UND
     und Kanalisierungsfunktionen immer weniger erfüllen                                 DEMOKRATISCHER KOMPLEXITÄT IN TALKSHOWS
     können.“15
                                                                                         Die Frage, für wen Talkshow-Gäste sprechen, wird in
     Davon profitieren unter anderem (rechts-)populistische                              dieser Studie insgesamt auf zwei Dimensionen von Plura-
     AkteurInnen, indem sie etablierte Repräsentationsins-                               lismus und Repräsentation angewandt: Gesellschaft und
     tanzen (z.B. Parteien, Verbände, Medien) als Feindbilder                            Politik. Erstens: Der Pluralismus von Interessen wird in
     konstruieren. Unzufriedenheit über die Demokratie ist                               einer demokratischen Gesellschaft nicht allein durch Indi-
     demzufolge auch Unzufriedenheit damit, „wer“ Demo-                                  viduen artikuliert, sondern auch über gesellschaftliche
     kratie macht und „wie“ Demokratie gemacht wird – und                                Organisationen (z.B. Wirtschaftsverbände, Nichtregie-
     zwar in der Wahrnehmung der Unzufriedenen. Diese                                    rungsorganisationen, Kirchen), welche die Interessen ihrer
     Wahrnehmung demokratischer Realitäten wird maß-                                     Mitglieder bündeln. Organisierte Interessen sind für die
     geblich durch den medialen Diskurs als ein zentraler                                pluralistische Demokratie „notwendig und stabilisierend“,
     Repräsentationsmechanismus geprägt. Die Forschung                                   durch ihre Einbindung wird die Komplexität der vielfälti-
     über Medienvertrauen zeigt, dass Demokratie- und (pau-                              gen Ansprüche an die Entscheidungstragenden reduziert
     schale) Medienunzufriedenheit zusammenhängen.16 In                                  und die Legitimität ihrer Entscheidungen erhöht.18
     bestimmten Milieus hat sich in den vergangenen Jahren
     regelrechte Feindseligkeit gegenüber Qualitätsmedien                                Da die Willensbildung im politischen Prozess nicht nur auf
     wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk verhärtet.                                  institutionellen Wegen (z.B. Anhörungen, Lobbyismus),
                                                                                         sondern auch über den öffentlichen Diskurs stattfin-
     Ein wesentlicher Teil der lauter werdenden Kritik an                                det, ist an dieser Stelle die Einbindung unterschiedlicher
     Medien ist auch eine Kritik an deren Repräsentation                                 gesellschaftlicher Interessen für die Demokratie ebenso
     gesellschaftlicher Realität und demokratischer Aushand-                             notwendig wie stabilisierend. Untersucht werden soll also
     lungsprozesse. Empirisch lässt sich dieses Phänomen als                             zum einen, die Repräsentation von gesellschaftlichen
     „Medienentfremdung“ nachweisen: Knapp ein Viertel der                               Organisationen in Talkshows.

     14. Empirische Daten gibt es dazu u.a. in: Decker, Frank et al. (2019): Vertrauen
         in Demokratie, Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung.
     15. „Das Volk und die Eliten“, abgerufen am 22. Juli 2020: https://www.             17. vgl. Ziegele, M., Schultz, T., Jackob, N., Granow, V., Quiring, O. &
         tagesspiegel.de/meinung/demokratie-in-der-debatte-das-volk-und-                     Schemer, C. (2018). Lügenpresse-Hysterie ebbt ab. Mainzer Langzeitstudie
         die-eliten/25692662.html.                                                           „Medienvertrauen“. Media Perspektiven 4/2018, 150-162.
     16. vgl. die “Langzeitstudie Medienvertrauen” der Johannes Gutenberg-               18. vgl. Rudzio, Wolfgang (2019): Das politische System der Bundesrepublik
         Universität Mainz: https://medienvertrauen.uni-mainz.de.                            Deutschland, S.50.

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STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

     Zweitens: In einem „Mehrebenensystem“ sind Verant-             für ihre Formate, an denen sie in dieser Studie gemessen
     wortlichkeiten auf unterschiedliche politische Ebenen          werden sollen. Bei der ARD sind die drei Polit-Talks im
     verteilt. Ein Vorteil solcher Strukturen ist das Subsidiari-   Programmbereich „Information“ beheimatet. Für diesen
     tätsprinzip, also die Möglichkeit auf Herausforderungen        Bereich hat der ARD „genrespezifische Qualitätskriterien“
     mit regionalen und spezifischen Lösungen reagieren zu          definiert. Neben journalistischen Selbstverständlichkeiten
     können. Demokratischer Diskurs wird durch mehrere              wie Relevanz und Unabhängigkeit zählen zu diesen selbst
     Entscheidungsebenen komplexer, da unterschiedliche             gesetzten Qualitätsindikatoren auch Meinungsvielfalt,
     Ebenen an ein und demselben Thema auf unterschiedli-           Ausgewogenheit, Bürgernähe und Nutzwert.19 Zu den
     che Weise mitwirken. Diese Ebenen erstrecken sich von          allgemeinen Qualitätskriterien, die für alle Genres der ARD
     der europäischen (teilweise auch globalen) bis hin zur         gelten, gehört außerdem die „Vernetzung der globalen,
     lokalen Ebene. Die Studie untersucht als zweiten Aspekt,       europäischen, nationalen und regionalen Perspektive“.20
     inwiefern die unterschiedlichen politischen Ebenen in
     der Besetzung von Talkshows berücksichtigt werden.             Ähnliche Ansprüche formuliert das ZDF, bei dem die
                                                                    Sendung Maybrit Illner der Sparte „Politik und Zeitge-
     UNSERE FRAGESTELLUNGEN                                         schehen“ zugeordnet ist. In den Richtlinien des Senders
                                                                    heißt es etwa: „Die Pluralität im politischen Meinungsbil-
     Diese Untersuchung von Polit-Talkshows wird von fol-           dungsprozess ist sowohl auf nationaler Ebene als auch in
     genden Fragestellungen geleitet:                               europäischer Hinsicht zu sichern.“21 Neben den Kriterien
                                                                    und Leitlinien der Sender und ihrer Genres formulieren
     Für wen wird gesprochen? Wie verteilen sich Talkshow-          alle Talk-Sendungen in ihren Selbstbeschreibungen den
     Gäste auf unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche (z.B.    Anspruch an eine diversifizierte Rundenzusammenset-
     Politik, Journalismus, Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur,       zung. Für Markus Lanz gilt als thematisch breiter auf-
     Zivilgesellschaft) und darin auf unterschiedliche Organi-      gestellte Sendung ein anderer Anspruch. Lanz versteht
     sationen (z.B. Gewerkschaften, Unternehmerverbände,            sich in erster Linie als „Late-Talk mit unterhaltsamen
     NGOs, Bürgerinitiativen)?                                      Gesprächen über aktuelle und biografische Themen.“22
                                                                    Von oben aufgeführten allgemeinen Qualitätsstandards
        • Wer spricht zu was? Wie verteilen sich unterschied-       ist das Format damit freilich nicht entbunden.
          liche gesellschaftliche Organisationen auf die unter-
          schiedlichen Themen der Talkshows?

        • Welche politische Ebenen sprechen? Wie verteilen
          sich Talkshow-Gäste auf unterschiedliche politische
          Ebenen (Global, EU, National, Länder, Lokal)?

        • Welche Unterschiede gibt es zwischen den Talk-
          shows? Wie unterscheiden sich die „Big 4“ (Anne
          Will, hart aber fair, Maischberger, Maybrit Illner),
          Markus Lanz und die Phoenix Runde untereinander
          hinsichtlich der in den anderen Fragen angespro-
          chenen Aspekte?

     TALKSHOWS AN IHREM ANSPRUCH MESSEN                             19. „Genrespezifische Qualitätskriterien - Das Erste“, abgerufen am 22.
                                                                        Juli 2020: https://www.daserste.de/specials/ueber-uns/telemedien-
                                                                        genrespezifische-qualitaetskriterien-das-erste100.pdf.
     Allein aus dem hohen Publikumsinteresse und dem                20. „Bericht der ARD über die Erfüllung ihres Auftrags, über die Qualität
                                                                        und Quantität ihrer Angebote und Programme sowie über die geplanten
     öffentlichen Auftrag von ARD und ZDF ergeben sich eine             Schwerpunkte“, abgerufen am 22. Juli 2020: https://www.daserste.de/
     Verantwortung der Talkshows für den demokratischen                 specials/ueber-uns/ard-leitlinien-2018-2019-102.pdf.
                                                                    21. „Bericht der ARD über die Erfüllung ihres Auftrags, über die Qualität
     Diskurs. Die Sender formulieren zudem eigene Ansprüche             und Quantität ihrer Angebote und Programme sowie über die geplanten
                                                                        Schwerpunkte, ZDF“, abgerufen am 22. Juli 2020: https://www.zdf.de/
                                                                        assets/zdf-richtlinien-sendungen-telemedienangebote-100~original.
                                                                    22. ebd.

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STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

                                                                                 Die Phoenix Runde wurde als weiterer „Sonderfall“ aufge-
                                                                                 nommen. Die Sendung wendet sich an ein spezifischeres
     II. Studiendesign                                                           (politisch interessierteres) Publikum und hat entspre-
                                                                                 chend seiner Ausstrahlung auf einem Spartenkanal
     Für das methodische Vorgehen wurde für diese Studie                         deutlich niedrigere Publikumszahlen. Mit dem Wissen
     eine quantitative Medienanalyse gewählt. Die Materi-                        um die Unterschiede zu den „Big 4“ werden auch die
     algrundlage setzte sich aus den Sendungstiteln, Sen-                        Daten über die Phoenix Runde in erster Linie vergleichend
     dungsbeschreibungen und Gästelisten aller untersuchten                      herangezogen.
     Talkshows zusammen. Weitere wichtige Eckdaten des
     Studiendesigns lauten:                                                      ANALYSEKATEGORIEN:
                                                                                 AUSWERTUNG DER TALKSHOW-GÄSTE
     UNTERSUCHUNGSZEITRAUM:
     3 JAHRE + CORONA-PANDEMIE                                                   Der Schwerpunkt der Analyse liegt auf der Auswertung der
                                                                                 Talkshow-Gäste. Hauptsächlich wurden hierbei Merkmale
     Untersucht wurden Talkshows aus den letzten drei Jahren                     analysiert, die sich auf die Institution oder Organisation
     (zum Zeitpunkt der Erhebung in der ersten Jahreshälfte                      beziehen, die der Gast repräsentiert (gemäß der Sen-
     2020). Dieser Zeitrahmen beläuft sich auf März 2017 bis                     dungsbeschreibung). Ausgewertet wurden unter anderem
     März 2020. Zusätzlich und separat ausgewertet wurden                        der gesellschaftliche Bereich des Gastes (z.B. Wirtschaft,
     die Sendungen zur Hochphase der Corona-Pandemie in                          Journalismus, Wissenschaft, Zivilgesellschaft), die jewei-
     Deutschland (04. März bis 24. April 2020).                                  lige Organisation (z.B. Gewerkschaft, Unternehmen,
                                                                                 Verbraucherorganisation, Nichtregierungsorganisation,
     1.208 SENDUNGEN:                                                            Bewegung/Aktivismus), die politische Ebene von Gäs-
     DIE „BIG 4“ + MARKUS LANZ + PHOENIX RUNDE                                   ten aus der Politik (Global, EU, Bund, Land, Kommune),
                                                                                 Parteizugehörigkeit und eine Ost-West-Zuordnung der
     Insgesamt flossen 1.208 Ausgaben von sechs öffentlich-                      jeweiligen politischen Biographie. Außerdem wurden
     rechtlichen TV-Gesprächsformaten in die Analyse ein:                        wenige personenbezogene Merkmale der Gäste (Alter
     Anne Will, hart aber fair, Maischberger, Maybrit Illner,                    und Geschlecht) erfasst. Neben diesen Merkmalen der
     Markus Lanz und Phoenix Runde23. Die ersten vier sind                       Gäste, floss auch das jeweilige Sendungsthema in die
     sozusagen die “Big 4” der deutschen Polit-Talkshows. Sie                    Auswertung mit ein (bei Markus Lanz war dies nicht
     sind rein politische Gesprächsrunden und haben innerhalb                    möglich, weil es dort keine thematischen Sendungs-
     dieses Genres aufgrund ihrer Zuschauerzahlen die größte                     titel gibt). Vorrangiges Ziel der Untersuchung ist es zu
     Bedeutung für den öffentlichen Diskurs.                                     ermitteln, wie sich die Talkshow-Gäste auf verschiedene
                                                                                 gesellschaftliche Bereiche (und in diesen auf verschiedene
     Markus Lanz ist keine rein politische Talksendung, seine                    Organisationen) und politische Ebenen verteilen.
     Gäste kommen häufig auch aus den Bereichen Film,
     Literatur, Musik, Kabarett oder Sport. Das Gespräch
     wird überwiegend als „one on one“ zwischen Lanz und
     einem Gast geführt. Da bei Lanz aber eben auch poli-
     tische Gäste Platz nehmen und die Bedeutung seiner
     politischen Gespräche für den öffentlichen Diskurs in
     den letzten Jahren zugenommen hat, wurde die Sendung
     mit aufgenommen. Ein Vergleich zu den „Big 4“ wird in
     der Ergebnisdarstellung jedoch nur dann gezogen, wenn
     er trotz der Unterschiedlichkeit der Sendungen sinnvoll
     und möglich erscheint.

     23. Anne Will: 96 Sendungen, Maischberger: 107 Sendungen, Maybrit Illner:
         129 Sendungen, Hart aber fair: 108 Sendungen, Markus Lanz: 417 Sen-
         dungen, Phoenix Runde: 351 Sendungen

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STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

                                                                                       ZWEI DRITTEL ALLER GÄSTE KOMMEN
                                                                                       AUS POLITIK UND MEDIEN
     III. Ergebnisse
                                                                                      Alle Talkshow-Gäste wurde einem gesellschaftlichen
     Im Folgenden werden die Ergebnisse der Auswertung                                Bereich zugeordnet, in dem ihre hauptsächliche Tätigkeit
     1.208 öffentlich-rechtlicher Talkshows aus den letzten                           verordnet werden kann, die der Einladung zur Diskussion
     drei Jahren vorgestellt. Im Vordergrund stehen die Daten                         zugrunde liegt. Folgendes Bild ergibt sich für die „Big 4“
     über die „Big 4“ der Polit-Talkshows (Anne Will, hart aber                       (siehe Abb.1): 42,6 Prozent der Gäste sind VertreterInnen
     fair, Maischberger, Maybrit Illner). Komparativ werden                           von Parteien, 22,9 Prozent stammen aus dem Journalis-
     an jenen Stellen die Daten über Markus Lanz und die                              mus. Zusammengenommen kommen damit 65,5 Prozent
     Phoenix Runde herangezogen, wo ein Vergleich inhaltlich                          der Gäste in den wichtigsten vier Polit-Talkshows aus
     sinnvoll ist und relevante Unterschiede sichtbar macht.                          Politik und Medien. Die Anteile der anderen gesellschaft-
     Einschränkend gilt: Vergleiche zwischen den „Big 4“ und                          lichen Bereiche fallen unterdessen deutlich geringer
     den zwei anderen Formaten sind Vergleiche von Unglei-                            aus: 8,8 Prozent der Gäste kommen aus der Wissen-
     chen, da Lanz keine reine Polit-Talkshow und die Phoenix                         schaft; 6,4 Prozent aus der Wirtschaft; 2,8 Prozent aus
     Runde nicht für ein Massenpublikum konzipiert ist. Die                           dem Kulturbereich und 2,7 Prozent aus der organisierten
     Daten aus der Zeit vor und während der Corona-Pandemie                           Zivilgesellschaft. Besonders klein fallen die Anteile von
     werden getrennt voneinander behandelt, da die beson-                             Gästen aus den Bereichen Soziales (1,4 Prozent), Religion
     deren Eigenschaften dieser Krise die Gesamtergebnisse                            (0,7 Prozent) und Bildung (0,1 Prozent) aus.
     verzerren würden.

     Abb.1

                1,5% Soziales                                                                              Big 4: Zuordnung der
                2,1% Staat / Verwaltung                                                                      Talkshow-Gäste zu
                2,7% Zivilgesellschaft                                                                        gesellschaftlichen
                2,8% Kultur                                                                                           Bereichen
                6,4% Wirtschaft
                7,5% Einzelpersonen
                                                                                                                          Politik

                                                                                                                        42,6%
                          Wissenschaft

                          8,8%
                                      Journalismus

                                      22,9%
       „Big 4“: Anne Will, Maybrit Illner, Maischberger, hart aber fair. Untersuchungszeitraum: März 2017 - März 2020

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STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

     Politik und Medien sind in allen vier Sendungen die zwei           Prozent), Religion (0,7 Prozent) und Bildung (0,2 Prozent).
     dominanten Gruppen, allerdings mit kleinen Unter-                  Während bei den „Big 4“ also vornehmlich Politik auf
     schiedenen zwischen den Sendungen (siehe Abb.2): Bei               Journalismus trifft, diskutieren bei Phoenix primär Jour-
     Anne Will ist der Anteil von Parteien mit 58,5 Prozent am          nalismus und Wissenschaft miteinander. Ein Vergleich
     größten, während der Journalismus hier unter den vier              zur Zusammensetzung der Gäste bei Markus Lanz ist
     Hauptsendungen mit 17 Prozent auf den geringsten Wert              wenig sinnvoll, da aufgrund der nicht rein politischen
     kommt. Ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Politik              Ausrichtung der Sendung ein größerer Anteil von Gästen
     und Medien von jeweils knapp einem Drittel der Gäste               aus Bereichen wie Sport und Film vorliegt, mit denen
     findet sich bei Maischberger. Bei Maybrit Illner beläuft           überwiegend zu politikfernen Themen gesprochen wird.
     sich das Verhältnis zwischen Politik und Medien auf 2:1,
     bei hart aber fair ist es sehr ähnlich.                            70 PROZENT DER POLITIKERINNEN SIND
                                                                        VON DER BUNDESEBENE
     Bei der Phoenix Runde ergibt sich ein abweichendes Bild
     (siehe Abb.2): Über zwei Drittel der Gäste dieser Sendung          Im Kontext der zunehmenden politischen Verflechtung
     kommen aus Medien (39,2 Prozent) und Wissenschaft (31,1            von europäischer (bzw. globaler) bis lokaler Ebene, ist es
     Prozent). Dieser größere Anteil an Diskutierenden aus der          von Interesse, wie sich die Gäste auf die unterschiedli-
     Wissenschaft geht in erster Linie zu Lasten der Politik. Der       chen Ebenen politischer Verantwortung aufteilen. Dazu
     Anteil von VertreterInnen aus der Politik beträgt in dieser        wurden alle Gäste aus der Politik jener Ebene zugeordnet,
     Sendung nur 14,2 Prozent. Dahinter folgen mit deutlichem           auf der ihr hauptsächliches politisches Amt bzw. ihre
     Abstand Gäste aus den Bereichen Staat/Verwaltung (4,1              hauptsächliche Tätigkeit angesiedelt ist. Bei den „Big
     Prozent), Wirtschaft (3,7 Prozent), Soziales (2,5 Prozent),        4“-Talkshows zeigt sich insgesamt eine sehr deutliche
     organisierte Zivilgesellschaft (2,1 Prozent), Kultur (1,4          Dominanz der Bundesebene (siehe Abb.3): 70,2 Prozent

     Abb.2

          Talkshow-Gäste nach gesellschaftlichen Bereichen
                 Anne Will

             hart aber fair

             Maischberger

             Maybrit Illner

          Phoenix Runde

                              0%                      25%                50%                    75%                  100%

                                       Politik              Staat / Verwaltung         Zivilgesellschaft
                                       Journalismus         Bildung                    Sport
                                       Wissenschaft         Religion                   Einzelperson
                                       Wirtschaft           Kultur
                                       Soziales             Medizin
       Untersuchungszeitraum: März 2017 - März 2020

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STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

     der talkenden PolitikerInnen kommen von der bundes-                               globale politische Ebene ist bei Phoenix mit 1,5 Prozent
     politischen Ebene, also aus dem Berliner Politikbetrieb.                          vertreten. Auch Markus Lanz wartet mit Differenzen auf
     Danach folgen die Landesebene mit einem Anteil von                                (siehe Abb.3): In dieser Sendung kommt mit über einem
     19,3 Prozent, die EU-Ebene mit 7,3 Prozent24, die Lokal-                          Viertel ein verhältnismäßig großer Anteil der politischen
     ebene mit 2,4 Prozent und die globale Ebene mit 0,7 Pro-                          Gäste von der Landesebene.
     zent. Bundes- und Landesebene zusammen genommen
     machen fast 90 Prozent der Gäste aus der Politik aus.                             WESTDEUTSCHE POLITIKERINNEN ÜBERREPRÄSENTIERT
     Als Ausreißer innerhalb der „Big 4“ stellt sich in diesem
     Zusammenhang Maischberger heraus: In dieser Sendung                               Mit Blick auf die Repräsentation politischer Realitäten der
     sind die Anteile der Landesebene (28,1 Prozent) deutlich                          Bundesrepublik ist auch die Frage nach dem Verhältnis
     und die der europäischen Ebene (8,6 Prozent) geringfügig                          von ost- und westdeutschen PolitikerInnen in den Talk-
     größer. Die Bundesebene kommt bei Maischberger nur                                shows relevant. Ausschlaggebend für die Zuordnung war
     auf einen Anteil von 57,8 Prozent.                                                hierbei nicht, wo ein Gast geboren ist, sondern ob die
                                                                                       Person eine westdeutsche oder ostdeutsche politische
     Bei der Phoenix Runde weichen die Verhältnisse erneut                             Biographie hat.25
     etwas von den vier Hauptsendungen ab (siehe Abb.3):
     Hier sind die europäische Ebene mit 14,4 Prozent und die                          Für die „Big 4“ ergibt sich folgendes Ost-West-Verhältnis
     Lokalebene mit 6,0 Prozent häufiger vertreten. Dies geht                          (siehe Abb.4): 84,8 Prozent der Talkshow-Gäste haben
     in erster Linie zulasten der Landesebene (12,4 Prozent)                           eine westdeutsche und 15,2 Prozent eine ostdeutsche
     und in zweiter Linie der Bundesebene (65,5 Prozent). Die                          politische Biographie. Dieses Ost-West-Verhältnis der

     Abb.3

           Politische Gäste und ihre politische Ebene
                     100%

                      75%

                      50%

                      25%

                       0%
                                  Big4                                                                           Phoenix Runde Markus Lanz
                                                       Anne Will   hart aber fair Maischberger Maybrit Illner

                                            Bund             Länder               EU        Kommunal              Global
       Untersuchungszeitraum: März 2017 - März 2020

     24. Unter „EU-Ebene“ fallen Gäste aus anderen EU-Mitgliedsstaaten (z.B.           25. Gemessen an Funktionen und Ämtern im Leben der Person.
         ein österreichischer Minister) sowie deutsche und nicht-deutsche Poli-
         tikerinnen und Politiker aus EU-Institutionen (z.B. EU-Abgeordnete).

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STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

     Abb.4

           Ost-West-Verhältnis der Talkshow-Gäste
                    100%

                      75%

                      50%

                      25%

                       0%
                                 Big4                                                                               Phoenix Runde Markus Lanz
                                                      Anne Will    hart aber fair Maischberger Maybrit Illner

                                                 Politische West-Biografie                Politische Ost-Biografie
       Untersuchungszeitraum: März 2017 - März 2020

     Abb.5

           Big 4: Themen der Sendungen mit EU-PolitikerInnen
           und Themen aller Sendungen

                             Big 4
          (mit EU-PolitikerInnen)

                             Big 4
                  (alle Sendungen)

                                         0%                       25%                        50%                        75%                 100%

                                        Europa                         Rechtspopulismus                   Steuern / Finanzen
                                        Außenpolitik                   Migration / Asyl                   Wirtschaft
                                        Kriminalität                   Gesundheit / Pflege
                                        Parteien /Wahlen               Klima / Umwelt
       „Big 4“: Anne Will, Maybrit Illner, Maischberger, hart aber fair. Untersuchungszeitraum: März 2017 - März 2020

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STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

     Talkshow-Gäste ist sehr ähnlich jenem der Gesamtbe-                              Gäste aus einem anderen EU-Land kommen hauptsächlich
     völkerung (83,2 Prozent zu 16,8 Prozent). Gemessen an                            aus Österreich und Luxemburg. Mit Blick auf die euro-
     dem Verhältnis west- und ostdeutscher Länder in der                              päische Dimension wurde auch untersucht, zu welchen
     Bundesrepublik von 11 zu 5 (und damit dem Ost-West-                              Themen Gäste von der EU-Ebene eingeladen wurden.
     Verhältnis im Bundesrat), sind ostdeutsche PolitikerInnen                        Zwei Themen dominieren hierbei (siehe Abb.5): 40,4
     jedoch unterrepräsentiert. Auf den höchsten Anteil von                           Prozent der Sendungen mit EU-Beteiligung drehten sich
     Gästen mit ostdeutscher politischer Biographie kommt                             um Europapolitik (z.B. Brexit), gefolgt von Außenpolitik
     Anne Will mit 21,3 Prozent, hart aber fair weist mit 10,5                        mit einem Anteil von 25,0 Prozent.
     Prozent den geringsten Ost-Anteil auf.
                                                                                      Zu Themen, bei denen Kompetenzen sowohl auf euro-
     THEMEN: EUROPA DURCH DIE NATIONALE BRILLE                                        päischer als auch nationaler Ebene liegen, diskutieren
                                                                                      EU-PolitikerInnen eher selten mit: In drei Viertel aller
     Gemessen an der hohen Bedeutung der europapolitischen                            Sendungen von Will, Plasberg, Illner und Maischberger
     Ebene – fast jedes zweite Gesetz in Deutschland geht auf                         zum Thema Migration/Asyl waren keine EU-PolitikerInnen
     einen Impuls aus Brüssel zurück26 – sind PolitikerInnen                          anwesend. In den insgesamt 25 Sendungen zum Thema
     aus EU-Institutionen und anderen EU-Mitgliedsstaaten                             Klima/Umwelt war sogar nur in einer einzigen Sendung
     sehr selten in Talkshows zu Gast. Sie machen nur 7,3 Pro-                        ein Gast von der EU-Ebene dabei. Das heißt also: Zahl-
     zent der Gäste aus der Politik in den „Big 4“ aus. Mehrheit-                     reiche Themen, die heute maßgeblich auf europäischer
     lich handelt es sich dabei um deutsche EU-PolitikerInnen,                        Ebene verhandelt werden, debattieren die Talkshows

     Abb.6

             2,2% Kammern                                                                      Big 4: Wen die Talkshow-
                                                                                                  Gäste aus dem Bereich
             7,2% Arbeitgeberverbände                                                          Wirtschaft repräsentieren

            8,0% Gewerkschaften

            8,7% Verbraucherorganisationen
                                                                                                                        Unternehmen

                                                                                                                         46,4%

                                             Branchenverbände

                                             27,5%
       „Big 4“: Anne Will, Maybrit Illner, Maischberger, hart aber fair. Untersuchungszeitraum: März 2017 - März 2020

     26. Annette Elisabeth Töller (2012): Claims that 80 per cent of laws adopted
         in the EU Member States originate in Brussels actually tell us very little
         about the impact of EU policy-making. Beitrag für den europapo­liti­schen
         Blog der London School of Economics (LSE), Juni 2012, https://blogs.lse.
         ac.uk/europpblog/2012/06/13/europeanization-of-public-policy/.

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STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

     immer noch stark aus nationaler Sicht. Und wenn die                              Arbeitgeberverbänden (7,2 Prozent) machen zusammen
     europäische Ebene zu einem Thema mitreden darf, dann                             81,1 Prozent der Gäste aus der Wirtschaft aus. Nur 8 Pro-
     zuvorderst repräsentiert durch deutsche EU-PolitikerIn-                          zent kommen aus Gewerkschaften und 8,7 Prozent von
     nen. Europa wird durch die nationale Brille betrachtet.                          Verbraucher- und Konsumentenorganisationen.

     UNTERNEHMERSEITE DOMINIERT BEI                                                   Bei der Phoenix Runde ist die Unternehmerseite zwar
     GÄSTEN AUS DER WIRTSCHAFT                                                        insgesamt ähnlich stark überrepräsentiert, aber der Ver-
                                                                                      braucherschutz ist mit einem Anteil von 16,7 Prozent
     Beim Themenranking der Talkshows steht Wirtschaft auf                            stärker vertreten als in den vier Hauptsendungen. Auf der
     Platz vier. Die Wirtschaft ist auch der gesellschaftliche                        Unternehmerseite dominieren bei Phoenix die Branchen-
     Bereich, aus dem die viertmeisten Talkshow-Gäste kom-                            verbände (39,6 Prozent) gegenüber Einzelunternehmen
     men. Der Begriff „Wirtschaft“ steht bei der Auswertung                           (14,6 Prozent).
     der Talkshows als Überbegriff für die volkswirtschaftliche
     Trias aus Unternehmerseite, Beschäftigten und Konsu-                              WENN ZIVILGESELLSCHAFT MITREDET,
     mierenden. Diese drei Akteure kommen in den Talkshows                             DANN DER AKTIVISMUS
     jedoch alles andere als gleichmäßig vor, in acht von zehn
     Fällen wird die Wirtschaft durch die Unternehmerseite                            Dem Bereich der organisierten Zivilgesellschaft sind
     repräsentiert (siehe Abb.6): VertreterInnen von Unterneh-                        nur 2,7 Prozent der Talkshow-Gäste der „Big 4“ zuzu-
     men (46,4 Prozent), Branchenverbänden (27,5 Prozent) und                         ordnen (siehe Abb.7). Zu diesem Bereich zählen Gäste

     Abb.7

           Big 4: Wen die Talkshow-Gäste aus dem Bereich
           Zivilgesellschaft repräsentieren
                                                40

                                                30
                  Gäste (in absoluten Zahlen)

                                                20

                                                10

                                                 0
                                                     NGO                Bewegung / Aktivismus               Lokale Bürgerinitiative

       „Big 4“: Anne Will, Maybrit Illner, Maischberger, hart aber fair. Untersuchungszeitraum: März 2017 - März 2020

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STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

     aus Nichtregierungsorganisationen (NGOs), lokalen Bür-                           Für die vier Hauptsendungen zeigt sich ein interessanter
     gerinitiativen und Bewegungen bzw. dem Aktivismus27.                             Trend im Verlauf des Untersuchungszeitraums (siehe
     Insgesamt ergibt sich somit für den Beobachtungszeit-                            Abb.8): Die Gästeanzahl aus der organisierten Zivilge-
     raum von drei Jahren eine Gästeanzahl von lediglich 58                           sellschaft hat bei allen Sendungen zwischen 2018 und
     Personen. Maybrit Illner hat dabei mit 20 Gästen aus der                         2020 zugenommen. Dieser Anstieg liegt vor allem an
     Zivilgesellschaft den größten Anteil, Maischberger und                           der häufigeren Präsenz von Gästen aus dem Bereich
     Anne Will mit jeweils 11 Personen den geringsten. Zwei                           Bewegung/Aktivismus.
     Drittel der zivilgesellschaftlichen Gäste stammen dabei
     aus dem Unterbereich „Bewegung/Aktivismus“. Eine                                 Ein Blick auf die Themen und Zeitpunkte verrät: Die
     deutliche Diskrepanz in der Talkshow-Präsenz tut sich                            Klima-Debatte hat in den Jahren 2018 und 2019 zu einer
     zwischen AktivistInnen und Nichtregierungsorganisa-                              häufigeren Präsenz von AktivistInnen in Talkshow-Runden
     tionen auf: 15 Gäste sind Nichtregierungsorganisatio-                            geführt. Man könnte sagen: Die „Fridays for Future“-
     nen zuzuordnen, 39 Gäste repräsentieren den Bereich                              Bewegung schaffte es von der Straße in die Talkshow-Ses-
     Bewegung/Aktivismus.                                                             sel: Nach den großen Klimastreik-Protesten im März und
                                                                                      September 2019 fanden sich jeweils mehr AktivistInnen
     Bei Markus Lanz (1,4 Prozent) und der Phoenix Runde (2                           in den Sendungen. VertreterInnen von NGOs erleben im
     Prozent) ist der Gesamtanteil der Gäste aus der Zivilge-                         Zeitverlauf der „Big 4“ weder einen sprunghaften Anstieg
     sellschaft jeweils noch geringer als bei den „Big 4“.                            von Auftritten, wie jene aus dem Bereich Aktivismus/

     Abb.8

           Big 4: Talkshow-Gäste aus der Zivilgesellschaft im Zeitverlauf
             8

             6

             4

             2

             0
               Q2         Q3           Q4           Q1          Q2           Q3         Q4          Q1           Q2          Q3           Q4          Q1
              2017       2017         2017         2018        2018         2018       2018        2019         2019        2019         2019        2020

                                              Bewegung / Aktivismus                 NGO         Lokale Bürgerinitiative

       „Big 4“: Anne Will, Maybrit Illner, Maischberger, hart aber fair. Untersuchungszeitraum: März 2017 - März 2020

     27. Unter NGOs werden in dieser Studie politische und ideelle Vereinigungen           verstanden, die ein bestimmtes Ziel verfolgen (z.B. grundlegender sozi-
         verstanden, die staatlich unabhängig, mit formalen Strukturen organi-             aler Wandel) und häufig Proteste als Aktionsform wählen (z.B. Fridays
         siert (z.B. Verwaltung und Mitgliedschaft) und nicht gewinnorientiert             for Future oder das Bündnis „unteilbar“). Diese Definition ist angelehnt
         sind. Sie richten ihre Arbeit langfristig an Organisationszielen aus und          A. Zimmer, E. Priller und H.K. Anheier (2013): Der Nonprofit-Sektor in
         haben ein konsolidiertes Auftreten nach außen. Beispiele für NGOs sind            Deutschland. In: Handbuch der Nonprofit-Organisation: Strukturen
         Greenpeace e.V., Oxfam oder LobbyControl. Unter Bewegungen und                    und Management, hg. von R. Simsa, M. Meyer, und C. Badelt, 15–36. 5.
         Aktivismus werden in dieser Studie lose organisierten Gruppierungen               Auflage. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

www.progressives-zentrum.org                                                                                                                                          16
STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

     Bewegung, noch sind sie permanent zugegen. In einigen                              sprachen: Europa, Rechtspopulismus, Linksextremismus
     Quartalen treten sie sogar gar nicht in den Talksendun-                            und islamistischer Terror. Bei der Phoenix Runde hingegen
     gen auf.                                                                           war die Initiative „Pulse of Europe“ zweifach zu Gast und
                                                                                        sprach zu Europa.
     BEIM KLIMA SPRICHT DIE ZIVILGESELLSCHAFT
     (MITTLERWEILE) MIT                                                                 CORONA: WISSENSCHAFT TRIFFT POLITIK UND MEDIEN

     Bei drei Viertel aller Talkshows der „Big 4“ zum The-                              Zusätzlich zu und getrennt von den obigen Ergebnis-
     menbereich „Klima/Umwelt“, waren RepräsentantInnen                                 sen wurden 71 Sendungen während der Hochphase der
     der Zivilgesellschaft zugegen. Aufgrund der insgesamt                              Corona-Pandemie ausgewertet. In dem Zeitraum vom 03.
     niedrigen Repräsentation der Zivilgesellschaft bedeutet                            März bis 24. April 2020 sendeten die „Big 4“-Talkshows
     das auch: Sitzen bei den „Big 4“ zivilgesellschaftliche                            zusammen 28 Ausgaben, die Phoenix Runde strahlte 19
     RepräsentantInnen im Sessel, so sprechen sie mit großer                            und Markus Lanz 24 Sendungen aus.
     Wahrscheinlichkeit über den Klima- und Umweltschutz
     (siehe Abb.9). Etwa jede dritte Sendung, bei der Gäste                             Während Gäste aus der Wissenschaft vor Corona auf einen
     aus der Zivilgesellschaft sprachen, drehte sich explizit                           Anteil von 8,8 Prozent bei den „Big 4“ kamen, waren es
     um dieses Thema. Doch selbst in Sendungen, die hier auf                            während der Pandemie ganze 26,5 Prozent. Die Wissen-
     Grund des Titelthemas oder der Sendungsbeschreibung                                schaft ist der Politik in den Talkshows dadurch deutlich
     unter einem anderen Themenkomplex gefasst sind (z.B.                               nähergekommen, die Politik lag in der Corona-Zeit nur
     bei Mobilität oder Wirtschaft), sprachen die eingeladenen                          noch mit einem Anteil von 30 Prozent aller Gäste (vorher
     Gäste aus der organisierten Zivilgesellschaft hauptsäch-                           42,6 Prozent) vorne. Zwar sind nun im Verhältnis auch
     lich über Klimafragen. Themen zu denen keine Gäste                                 weniger Diskutierende aus dem Journalismus zu sehen,
     aus der organisierten Zivilgesellschaft bei den „Big 4“                            jedoch machen sie immer noch die drittgrößte Gruppe

     Abb.9

          Big 4: Themen der Sendungen mit VertreterInnen
          der Zivilgesellschaft
           20

             15

             10

             5

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                                                                                                 Ar

                                                                                                              *In der Kategorie „Sonstige“ sind alle Themen erfasst, zu
               Bewegung / Aktivisums                 NGO               Lokale Bürgerinitiative            denen jeweils nur eine Person aus der Zivilgesellschaft sprach.

       „Big 4“: Anne Will, Maybrit Illner, Maischberger, hart aber fair. Untersuchungszeitraum: März 2017 - März 2020

www.progressives-zentrum.org                                                                                                                                                17
STUDIE „DIE TALKSHOW-GESELLSCHAFT“

     Abb.10

           Corona: Zuordnung der Talkshow-Gäste zu
           gesellschaftlichen Bereichen

                       Big 4

              Markus Lanz

           Phoenix Runde

                                0%                          25%                           50%                           75%                    100%

                                              Politik                      Bildung                             Journalismus
                                              Wirtschaft                   Kultur                              Einzelperson
                                              Religion                     Staat / Verwaltung                  Sport
                                              Soziales                     Zivilgesellschaft
                                              Medizin                      Wissenschaft
       „Big 4“: Anne Will, Maybrit Illner, Maischberger, hart aber fair. Untersuchungszeitraum: 04. März - 24. April 2020

     mit 13,3 Prozent aus. Gäste aus der Wirtschaft (9,8 Pro-                           Von den 341 Gästen aus 71 Talkshows während des unter-
     zent) haben eine nahezu gleiche Präsenz wie jene aus                               suchten Corona-Zeitraums, repräsentieren nur zwei Per-
     der praktizierenden Medizin (9,1 Prozent), also Ärzte                              sonen den Bereich Soziales und weitere zwei Personen
     oder Krankenhauspersonal. Nur bei hart aber fair dreht                             den Bereich Bildung28.
     sich der leichte Vorsprung zu Gunsten der Medizin um.
     Repräsentierende anderer gesellschaftlicher Bereiche fal-
     len bei den „Big 4” dementsprechend weit zurück (siehe
     Abb.10). Personen aus der Zivilgesellschaft machen nur
     1,4 Prozent, Gäste aus dem Sozialbereich und der Bildung
     sogar nur jeweils 0,7 Prozent der Diskutierenden aus.

     Bei Markus Lanz zeigt sich ein ähnliches Bild: Die Politik
     dominiert mit einem Anteil von 34,3 Prozent, danach folgt
     die Wissenschaft mit 25,9 Prozent und der Journalismus
     mit 14,8 Prozent. Die Wirtschaft liegt mit 8,3 Prozent vor
     der praktischen Medizin (6,5 Prozent).

     In der Phoenix Runde sind die Verhältnisse etwas anders:
     Mit 38,4 Prozent ist der Journalismus der Bereich, aus
     dem die meisten Gäste kommen. Danach folgt die Wis-
     senschaft mit 29,5 Prozent, dann erst die Politik mit 12,8
                                                                                        28. Zu dem Bereich Soziales wurden Gäste aus Wohlfahrts-, Sozial-,
     Prozent.                                                                               Kriegsfolgen- und Pflegeverbände gezählt. Zu Bildung zählten Lehre-
                                                                                            rInnen, Bildungs- oder LehrerInnenverbände sowie SchülerInnen oder
                                                                                            SchülerInnenvertretungen.

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