DIGITALE B2B-PLATTFORMEN - 01/2021 Marina Hoffmann, Christian Schröder und Philipp Pasing

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DIGITALE B2B-PLATTFORMEN - 01/2021 Marina Hoffmann, Christian Schröder und Philipp Pasing
D I S K U R S
01/ 2021
Marina Hoffmann, Christian Schröder und Philipp Pasing

DIGITALE B2B-PLATTFORMEN
Status quo und Perspektiven
der Industrie in Deutschland
DIGITALE B2B-PLATTFORMEN - 01/2021 Marina Hoffmann, Christian Schröder und Philipp Pasing
WISO DISKURS
01/ 2021

Die Friedrich-Ebert-Stiftung
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegründet und ist die
traditionsreichste politische Stiftung Deutschlands. Dem Vermächtnis
ihres Namensgebers ist sie bis heute verpflichtet und setzt sich für die
Grundwerte der Sozialen Demokratie ein: Freiheit, Gerechtigkeit und
Solidarität. Ideell ist sie der Sozialdemokratie und den freien Gewerk­‑
schaften verbunden.

Die FES fördert die Soziale Demokratie vor allem durch:
– politische Bildungsarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft;
– Politikberatung;
– internationale Zusammenarbeit mit Auslandsbüros in über 100 Ländern;
– Begabtenförderung;
–	das kollektive Gedächtnis der Sozialen Demokratie mit u. a. Archiv und
   Bibliothek.

Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der
Friedrich-Ebert-Stiftung
Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik verknüpft Analyse und Diskussion
an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit, um
Antworten auf aktuelle und grundsätzliche Fragen der Wirtschafts- und
Sozialpolitik zu geben. Wir bieten wirtschafts- und sozialpolitische Analysen und
entwickeln Konzepte, die in einem von uns organisierten Dialog zwischen
Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit vermittelt werden.

WISO Diskurs
WISO Diskurse sind ausführlichere Expertisen und Studien, die Themen und
politische Fragestellungen wissenschaftlich durchleuchten, fundierte politische
Handlungsempfehlungen enthalten und einen Beitrag zur wissenschaftlich
basierten Politikberatung leisten.

Über die Autor_innen
Marina Hoffmann, Dipl. Volkswirt, ist ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Institut für Mittelstandsforschung Bonn.
Christian Schröder, Dr. rer. oec., ist Forschungskoordinator am Institut für
Mittelstandsforschung Bonn mit dem Forschungsschwerpunkt Digitalisierung
im Mittelstand.
Philipp Pasing, B.Sc, ist wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Mittelstands-
forschung Bonn.

Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich
Dr. Robert Philipps, Leiter des Arbeitsbereiches Unternehmen/Mittelstand der
Friedrich-Ebert-Stiftung.

Diese Publikation wird aus Mitteln der Franziska- und Otto-Bennemann-Stiftung
gefördert.
01/ 2021                                                              WISO DISKURS

Marina Hoffmann, Christian Schröder und Philipp Pasing

DIGITALE B2B-PLATTFORMEN
Status quo und Perspektiven
der Industrie in Deutschland

 2           VORBEMERKUNG UND ZUSAMMENFASSUNG

 4   1       EINLEITUNG

 6    2      EINORDNUNG DIGITALER PLATTFORMEN
 6   2.1     Evolution und Wertschöpfungslogik
 7   2.2     Entwicklungen im B2B-Plattformsegment

 9    3 	TYPOLOGIE VON B2B-PLATTFORMEN
          UND IHR VERBREITUNGSGRAD
10   3.1     Transaktionsplattformen
11   3.2     Technische Plattformen
11   3.2.1   Infrastrukturplattformen
13   3.2.2   Vernetzungsplattformen
13   3.2.3   Integrierte Plattformen

16    4      WETTBEWERBSFAKTOR B2B-PLATTFORM
16    4.1    Wirtschaftliche Bedeutung und Entwicklungsperspektiven
17    4.2    Akteure
18    4.3    Zukunftsszenarien

20    5 	B2B-PLATTFORMMÄRKTE – EINE HERAUSFORDERUNG
          FÜR DEN MITTELSTAND

23    6      FAZIT

25   Abbildungsverzeichnis
25   Tabellenverzeichnis
26   Glossar
27   Literaturverzeichnis
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                                   2

VORBEMERKUNG
UND ZUSAMMENFASSUNG

Unternehmen, deren Geschäftsmodelle auf digitalen Platt‑        aktionsbasierten Marktplätzen zu integrierten Plattformen
formen basieren, gehören gegenwärtig zu den wertvolls‑          im Internet der Dinge (Internet of Things – IoT). Ähnlich
ten weltweit. Die erfolgreichsten Plattformbetreiber sind       wie B2C-Plattformen sind auch B2B-Plattformen vielfach
im Bereich Business-to-Consumer (B2C) zu finden und             modular aufgebaut und verfolgen über standardisierte
stammen aus den USA oder dem asiatischen Raum. Ihre             Schnittstellen das Ziel, vielfältige datenbasierte Servicean‑
plattformbasierten Geschäftsmodelle wirkten teils disrup‑       gebote zu integrieren und dadurch ein digitales Öko‑
tiv auf die analogen Geschäftsmodelle der Handels- und          system zu erschaffen.
Dienstleistungsbranchen. Die zunehmende Verbreitung
von Plattformen im Markt Business-to-Business (B2B) wirft       Ausgangslage für deutsche Industrieunternehmen ist
vor dem Hintergrund des durchschlagenden Erfolgs einiger        vielversprechend
weniger B2C-Plattformen grundlegende Fragen auf. Wel‑
che Wirkung entfalten die unterschiedlichen digitalen Platt‑    Plattformen werden künftig branchenübergreifend von stei‑
formtypen im industriellen B2B-Segment? Werden deut‑            gender Bedeutung sein. Es wird ein deutlicher Anstieg
sche Unternehmen eher Gestalter oder doch Getriebene der        der plattformbasierten Wertschöpfung im B2B-Segment er‑
digitalen Transformation sein? Mit welchen Chancen und          wartet. Das wirtschaftliche Potenzial liegt überwiegend
Herausforderungen sind insbesondere mittelständische Un‑        in den datenbasierten IoT-Plattformen, während das Poten‑
ternehmen konfrontiert? Die vorliegende Studie hat das          zial für B2B-Marktplätze im direkten Vergleich geringer
Ziel, das Verständnis für industrielle B2B-Plattformen zu er‑   ausfällt und sich deren Wachstumspotenzial im Wesentli‑
höhen und sich den Antworten auf diese Fragen zu nähern.        chen aus der Umstellung von analogen zu digitalen Be‑
                                                                schaffungs- und Vertriebsvorgängen in den Unternehmen
Digitale Plattformen verändern die bestehende                   ergibt. Deutsche Player – etablierte Konzerne und Mittel‑
Wertschöpfungslogik                                             ständler aus der Industrie und der IKT-Branche sowie Start-
                                                                ups und Forschungseinrichtungen – sind in ihrem jeweili‑
Der Erfolg von B2C-Plattformen basiert im Wesentlichen          gen Segment bei der Entwicklung von plattformbasierten
auf einer Reduzierung der Transaktionskosten, der Skalier‑      IoT-Geschäftsmodellen weltweit mit führend. Das hohe
barkeit von Daten sowie direkten und indirekten Netz‑           Branchen-Know-how und der Zugang zu Maschinen- und
werkeffekten. Die Netzwerkeffekte steigen mit der Anzahl        Kundendaten verschafft der deutschen Industrie gute
der Plattformnutzer_innen und können zu einer Markt‑            Chancen, Plattformen im B2B-Segment erfolgreich zu eta‑
dominanz einzelner Plattformbetreiber führen. Im Vergleich      blieren und dadurch ihren relativ hohen Wertschöpfungs-
zu endkundenbasierten Märkten sind B2B-Marktsegmen‑             anteil zukünftig zu halten oder sogar auszubauen.
te kleinteiliger bzw. spezifischer. Netzwerkeffekte wirken
auf B2B-Plattformmärkten daher in abgeschwächter Form,          Dennoch: Wer zukünftig im B2B-Plattformsegment
womit auch die Monopolisierungstendenzen dort gerin‑            tatsächlich das Rennen macht, ist offen
ger sind.
                                                                B2B-Plattformen aus der Industrie greifen auch auf die In‑
B2B-Plattformen durchlaufen derzeit einen                       frastrukturplattformen aus der Cloud großer US-Anbieter
Entwicklungsprozess                                             wie Amazon oder Microsoft zurück. Die Infrastrukturanbie-
                                                                ter haben im Zeitablauf ihr Angebot von Rechen- und
Durch die große Dynamik bei der Entwicklung vernetzter          Speicherkapazitäten um die Bereitstellung von Programmier‑
Technologien haben sich die Anwendungsfelder für B2B-           umgebungen weiterentwickelt und damit ihren Nutzer_in-
Plattformen gewandelt. Sie entwickeln sich von trans‑           nen einen Werkzeugkasten zur Programmierung eigener
DIGITALE B2B-PLATTFORMEN                                                                    WISO DISKURS                3

IoT-Anwendungen zur Verfügung gestellt. Mittlerweile ma‑       Derzeit keine Wettbewerbsregulierung von
chen Infrastrukturanbieter IoT-Software über die Cloud         B2B-Plattformen notwendig
zugänglich und ermöglichen damit auch kleinen und mitt‑
leren Unternehmen (KMU), die im Vergleich zu großen            Die industriellen B2B-Plattformmärkte, seien es Transakti‑
Unternehmen über weniger Ressourcen verfügen, den Auf‑         onsplattformen oder IoT-Plattformen, werden zumindest
bau von IoT-Geschäftsmodellen. Durch diese Lösung „aus         in absehbarer Zeit nicht von einem oder sehr wenigen Un‑
einer Hand“ sowie ihre hohe Kompetenz in der Datenana‑         ternehmen dominiert werden. Eine spezifische wettbe‑
lyse und ihren hohen Marktanteil haben die großen US-          werbspolitische Regulierung ist daher derzeit nicht erfor‑
amerikanischen Infrastrukturanbieter einen Einfluss auf die    derlich. Dennoch sollten die Wettbewerbsbehörden im
Entwicklung industrieller B2B-Plattformen. Es ist noch         Blick behalten, ob sich die Nachfrage vieler Unternehmen
nicht abzusehen, inwieweit die aktuell hohen Anstrengun-       auf einen oder sehr wenige IoT-Softwareanbieter, insbe‑
gen dieser großen US-Cloud-Anbieter, ihren Marktanteil         sondere im Plattforminfrastrukturbereich konzentriert und
auch im IoT-Segment zu erhöhen, tatsächlich fruchten und       Marktmacht missbräuchlich ausgenutzt wird. Des Wei‑
sie ihre Dominanz im Infrastrukturbereich auch auf spezi‑      teren braucht es für Europa einheitliche regulatorische
fische plattformbasierte Geschäftsmodelle im Industriebe-      Rahmenbedingungen, die den ungehinderten grenzüber-
reich ausdehnen können.                                        schreitenden Datenverkehr ohne Diskriminierung ermögli‑
                                                               chen. Zudem muss der exponentiell anwachsende Daten‑
Nutzung von B2B-Plattformen für KMU eine                       fluss über große Distanzen in (nahezu) Echtzeitgeschwin-
Herausforderung                                                digkeit gewährleistet sein. Daher sollte in Deutschland
                                                               die infrastrukturelle Basis durch den zügigen und flächen‑
Damit die digitale Transformation hin zu plattformbasierten    deckenden Ausbau des glasfaserbasierten Breitband‑
Prozessen und Geschäftsmodellen für die deutsche Wirt‑         internets und des 5G-Mobilfunkstandards weiter verbes‑
schaft ein Erfolg wird, ist die Einbindung etablierter KMU     sert werden.
erforderlich. Trotz zahlreicher positiver Beispiele ist eine
Zurückhaltung der KMU in Deutschland vorhanden. Die            Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre!
Sorge um die Datensicherheit, der IT-Fachkräfteengpass
und dadurch fehlendes IT-Know-how, aber nicht zuletzt
auch fehlendes Bewusstsein für konkrete wirtschaftliche        DR. ROBERT PHILIPPS
Chancen sind hierfür wesentliche Gründe.                       Leiter Arbeitsbereich Unternehmen/Mittelstand der
                                                               Friedrich-Ebert-Stiftung
Strategisches Unternehmertum nimmt an
Bedeutung zu                                                   DR. CHRISTIAN SCHRÖDER
                                                               Forschungskoordinator am Institut für Mittelstandsfor-
Die Unternehmensleitung in den KMU ist daher angehal‑          schung Bonn
ten, ein Verständnis für das Potenzial digitaler plattform‑
basierter Geschäftsmodelle zu entwickeln, denn ihre viel‑
fältigen Einsatzmöglichkeiten bieten Mehrwerte für fast
jedes Unternehmen. Die notwendigen Anpassungsprozes-
se im Unternehmen erfordern strategische Kompetenzen,
ein Verständnis für die Wertschöpfungslogik digitaler Platt-
formen und eine hohe Veränderungsbereitschaft.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG      –W   ir t schaf t s- und S ozialp o litik                                                             4

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EINLEITUNG

„Das Plattform-Endspiel hat begonnen“ überschrieb das                     Im verarbeitenden Gewerbe, das maßgeblich durch B2B-
Handelsblatt einen Artikel, der im Dezember 2019 erschie‑                 Beziehungen geprägt ist, wird der Einfluss von Plattfor‑
nen ist. Die Autoren führen darin aus, dass das Rennen um                 men erst sukzessive sichtbar. In den Schlüsselbranchen der
die globale Führung im B2B-Plattformgeschäft eröffnet                     deutschen Industrie, wie beispielsweise dem Maschinen-
und der Ausgang völlig offen sei. Das Endspiel um die Ver‑                und Anlagenbau, elektrische Ausrüstung, Metallerzeugnisse
teilung der Marktanteile im endkundenbasierten Platt‑                     und dem Automobilsektor, dominieren digitale B2B-Platt‑
formgeschäft, also Business-to-Consumer (B2C) oder Con‑                   formen noch nicht das Wertschöpfungsgeschehen. Auf‑
sumer-to-Consumer (C2C), haben Unternehmen aus den                        grund der Produktkomplexität und Spezifizität für viele
USA bereits für sich entschieden, zumindest wenn die Bör‑                 industrielle Güter haben B2B-Verkaufsplattformen nicht
senkapitalisierung als Maßstab angelegt wird. Amazon                      die disruptive Wirkung auf die Marktteilnehmenden ent‑
ist mit einer Marktkapitalisierung von 1,4 Billionen Euro ähn‑            faltet wie im B2C-Segment. Es ist jedoch wahrscheinlich,
lich viel Wert wie die 160 größten börsennotierten Un‑                    dass andere Plattformtypen, die derzeit im B2B-Segment
ternehmen aus dem DAX, MDAX und SDAX zusammen.1                           aufkommen, einen deutlichen Einfluss auf die Wertschöp-
Apple, Microsoft, Alphabet und Facebook sind andere                       fungsprozesse im verarbeitenden Gewerbe haben wer‑
prominente und hoch bewertete Unternehmen, die ihre                       den. Durch die technologischen Entwicklungen in der In‑
Kompetenz eint, große Datenökosysteme um ihre virtu‑                      formations- und Kommunikationstechnologie (IKT) durch‑
ellen Plattformen aufzubauen und erfolgreich weiterzuent-                 laufen digitale Plattformen einen Evolutionsprozess von
wickeln. Auch chinesische Plattformanbieter, wie z. B.                    reinen Transaktionsplattformen hin zu integrierten Plattfor-
Alibaba und Tencent, haben jeweils eine vielfach höhere                   men im Internet der Dinge. In das Internet eingebundene
Marktbewertung als das derzeit wertvollste deutsche                       „Dinge“ senden und empfangen Daten z. B. über ihren Zu‑
Unternehmen SAP.                                                          stand, ihren Aufenthaltsort und ihre Außenwelt. Diese
    Die zurückliegende Dekade hat eindrucksvoll gezeigt,                  Daten ermöglichen datenbasierte Geschäftsmodelle und
dass sich mit dem Aufstieg der Plattformökonomie Wert‑                    werden die industrielle Wertschöpfung zukünftig prägen.
schöpfungsprozesse und Marktmachtpositionen im Handel                     IoT-Plattformen sind die Enabler und Treiber dieser Ent‑
und Dienstleistungssektor grundlegend verändert haben.                    wicklung, denn sie unterstützen die Vernetzung und Kom‑
Neben einigen großen Gewinnern haben digitale B2C-Platt‑                  munikation vernetzter Geräte, verwalten Daten und
formen auch viele Verlierer produziert. Etablierte Unter‑                 realisieren durch deren intelligente Verarbeitung und Aus‑
nehmen, die vor der digitalen Revolution erfolgreich ge‑                  wertung Effizienzgewinne in der Produktion. Zudem
wirtschaftet haben, sind aus dem Markt ausgeschieden,                     werden durch offene Schnittstellen zusätzliche Anwen‑
weil sie ihre Geschäftsmodelle nicht oder nicht schnell ge‑               dungen in die Plattform integriert und ein digitales Öko‑
nug an die neuen Entwicklungen angepasst haben. Platt‑                    system entsteht, das neue Dienstleistungen ermöglicht.
formbetreiber sind mitunter selbst zu dominanten Anbie‑                       Zwar ist in Deutschland die digitale Transformation der
tern geworden und treten damit in den direkten Wett‑                      Industrie bereits früh durch die Initiative Plattform Indus‑
bewerb ihrer Plattformnutzer_innen. Ob ein Plattformbe-                   trie 4.0 aufgegriffen worden, dennoch ist insbesondere in
treiber, wie beispielsweise Amazon, die eigene Markt‑                     den KMU das Verständnis für die Wertschöpfungslogik
dominanz schließlich auch missbräuchlich ausnutzt, ist                    industrieller IoT-Plattformen vielfach noch nicht sehr aus‑
derzeit Gegenstand eines von der EU-Kommission im                         geprägt. Das legt zumindest der Verbreitungsgrad von
Jahr 2019 angestoßenen Verfahrens (European Commis‑                       IoT-Plattformen im verarbeitenden Gewerbe nahe. Derzeit
sion 2019).                                                               nutzen große Unternehmen fast viermal so häufig IoT-
                                                                          Plattformen wie kleine Unternehmen, und im Vergleich mit
1   Börsenkapitalisierung Stand Ende Juni 2020.                           den mittleren Unternehmen ist der Anteil immer noch
DIGITALE B2B-PLATTFORMEN                                               WISO DISKURS   5

mehr als doppelt so hoch (Lerch et al. 2019). In Deutsch‑
land zählen 97,8 Prozent der Unternehmen des verar‑
beitenden Gewerbes zu den KMU (IfM Bonn 2020). Die
Fähigkeit, ihre Geschäftsmodelle zeitnah an diese tech‑
nologisch induzierten Veränderungen anzupassen, ist da‑
her von hoher gesamtwirtschaftlicher Bedeutung.
    Mit der vorliegenden Studie 2 erörtern wir die Wirt‑
schaftslogik digitaler Plattformen und stellen relevante B2B-
Plattformtypen vor. Wir ordnen deren Entwicklung, die
relevanten Akteure und die Perspektiven für das verarbei‑
tende Gewerbe ein. Schließlich thematisieren wir die
Herausforderungen für KMU und leiten daraus Handlungs‑
implikationen für die Unternehmensführungen und
die Wirtschaftspolitik als Gestalter der Rahmenbedingun-
gen ab.

2 Wir möchten auch den Experten Matthias Piksa (FORSIT GmbH &
Co KG), Thomas Ebbers (Plesk GmbH) und Lukas Hertig (Plesk GmbH)
für die ausführlichen Experteninterviews sehr danken. Für den Inhalt
der Studie sind natürlich die Autor_innen verantwortlich.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG   – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                               6

2

EINORDNUNG DIGITALER PLATTFORMEN

2.1 EVOLUTION UND WERTSCHÖPFUNGS-                               Der zweite Erfolgsfaktor digitaler Plattformgeschäfte beruht
LOGIK                                                           auf der Skalierbarkeit von Daten. Ist ein digitales Pro‑
                                                                dukt (z. B. Software) einmal erstellt, entstehen bei der an‑
Auch wenn Plattformen im Zuge der Digitalisierung einen         schließenden Vervielfältigung kaum zusätzliche Kosten.
enormen Bedeutungszuwachs erlangten, sind sie im                Zudem sind digitale Daten perfekt replizierbar und dank
Grunde seit jeher Bestandteil einer funktionierenden Wirt‑      moderner IKT sowie einer hohen Breitbandverfügbarkeit
schaft. Sie waren und sind ein Mittler, ein Intermediär         ortsunabhängig abrufbar.
oder eine Schnittstelle, um Angebot und Nachfrage zusam‑             Direkte und indirekte Netzwerkeffekte (auch Netz‑
menzubringen, z. B. in Form von Märkten, Börsen oder            werkexternalitäten) sind in Kombination mit der Ska‑
Einkaufszentren. Plattformen ermöglichen wertschaffende         lierbarkeit und den niedrigen Transaktionskosten der drit‑
Interaktionen zwischen mindestens zwei Akteuren, zumeist        te wesentliche Faktor für den Siegeszug plattformbasierter
zwischen Anbietern und Kund_innen. Wertschaffende               Geschäftsmodelle. Direkte Netzwerkeffekte entstehen
Interaktionen sind etwa der Austausch von Informationen,        durch jede_n zusätzliche_n Nutzer_in auf einer Plattform.
Gütern und Dienstleistungen oder einem Zahlungsmittel           Auf einer Transaktionsplattform wie z. B. Amazon oder
(Parker et al. 2016: 36). Die Betreiber von Plattformen         Alibaba steigt der Nutzen der Käufer_innen mit jedem oder
stellen die Infrastruktur für die Interaktion bereit und set‑   jeder zusätzlichen Verkäufer_in auf der Plattform. Umge‑
zen die Rahmenbedingungen (Gassmann et al. 2017;                kehrt steigt auch der Nutzen des Verkäufers oder der Ver‑
Parker et al. 2016; Täuscher/Laudien 2017).                     käuferin mit jedem und jeder Käufer_in. Gleichzeitig pro‑
    Finden wertschaffende Interaktionen auf internet- und       fitieren (bis zu einem gewissen Punkt) die Verkäufer_innen
datenbasierten Plattformen statt, sprechen wir von digitalen    aber auch indirekt von weiteren Verkäufer_innen, da diese
Plattformen (Obermaier/Mosch 2019: 382). Ist der Aus‑           die Plattform attraktiver machen und weitere potenzielle
tausch von Daten der Geschäftszweck, ohne dass physische        Käufer_innen für das eigene Produkt anlocken. Die Effekte
Komponenten unmittelbar einbezogen werden, handelt es           verstärken sich gegenseitig und führen zu der Wirkungs‑
sich um digitale Plattformen im engeren Sinne. Völlig digi‑     logik des sogenannten positiven Feedbacks, das zu einer
tal sind die meisten Plattformen bisher nicht, sodass man       Marktdominanz einzelner Plattformbetreiber führen kann.
von digitalen Plattformen im weiteren Sinne spricht, wenn       Gelingt es einem Plattformbetreiber durch einen zeitli‑
der Austausch von Daten mit dem Austausch physischer Ele‑       chen Vorsprung (First Mover Advantage) bzw. die richtigen
mente kombiniert wird (Obermaier/Mosch 2019: 382).              strategischen Entscheidungen, seine Nutzerzahl schneller
    Im Vergleich zu traditionellen, physischen Märkten un‑      zu erhöhen als seine Wettbewerber, begünstigt das eine
terliegen digitale Plattformmärkte einer anderen Wert‑          Monopolbildung (Winner-Takes-It-All-Märkte). Zwar ste‑
schöpfungslogik. Ein wesentliches Element der Wertschöp‑        hen diese erfolgreichen Plattformen im Mittelpunkt der Auf‑
fung sind die niedrigen Transaktionskosten auf di‑              merksamkeit, jedoch gelingt es naturgemäß nur wenigen
gitalen Plattformen. Diese werden durch die Standardisie-       Plattformbetreibern, ein Monopol auf ihrem Markt zu
rung der Kommunikation, des Datenaustauschs sowie               erschaffen.
der Vertragsbestandteile erreicht. Dadurch wird die Trans‑           Denn um Netzwerkeffekte zu erzeugen, muss der Platt‑
parenz zwischen den Plattformnutzer_innen deutlich              formbetreiber zunächst das Initialisierungsproblem
erhöht, der Aufwand zur Abstimmung sinkt. Anders als            überwinden. Das Initialisierungsproblem besteht darin, aus‑
auf physischen Märkten gibt es für Plattformen keine            reichend Nutzer_innen zu gewinnen, denn ohne Käufer_
geografischen Grenzen. Lediglich regulatorische, sprach‑        innen auf der Plattform werden keine Verkäufer_innen an‑
liche oder kulturelle Barrieren können Einschränkungen in       gezogen und umgekehrt ohne Verkäufer_innen keine
der Reichweite ergeben (Lichtblau 2019: 8).                     Käufer_innen. Um dieses Henne-Ei-Problem zu lösen, sind
DIGITALE B2B-PLATTFORMEN                                                                        WISO DISKURS                       7

oftmals hohe Anfangsinvestitionen von Plattformbetreibern       Möglichkeit, vormals interne Unternehmensprozesse zu öff‑
notwendig und die Verfolgung einer konsequenten Wachs‑          nen und Dritte in den Innovationsprozess miteinzube‑
tumsstrategie. Selbst beim derzeit weltgrößten Online‑          ziehen (Open Innovation). Das ist ein sehr effizienter Weg,
marktplatz Amazon hat das Hinzugewinnen von Marktan‑            neue Technologien zu entwickeln und zu kommerzialisie-
teilen immer noch Priorität vor dem Gewinnwachstum.             ren. Der Plattformbetreiber gibt die technischen Standards
     Mit zunehmender Teilnehmendenzahl kann es jedoch           nach einem Baukastenprinzip vor und öffnet die Platt‑
auch zu negativen Netzwerkeffekten kommen, die es               form für andere Softwareentwickler_innen. Nach diesem
aus Sicht des Plattformbetreibers zu vermeiden gilt, um das     Prinzip stellt Apple über seine iOS-Plattform derzeit ca.
eigene Wachstum nicht zu gefährden. Solche negativen            2 Millionen Applikationen (Apps) zu Verfügung, Mitbewer‑
Netzwerkeffekte entstehen beispielsweise, wenn auf einer        ber Google auf der Android-Plattform ca. 2,7 Millionen
Verkaufsplattform eine steigende Anzahl von Produkten           Apps.
minderer Qualität angeboten wird oder die Suchfunktion
einer Plattform den Nutzer_innen keine optimalen Treffer‑
ergebnisse liefert. Daher ist die sogenannte Community-         2.2 ENTWICKLUNGEN IM B2B-PLATT-
Kuratierung wichtig, um möglicher Kundenunzufrieden-            FORMSEGMENT
heit entgegenzuwirken. Ein Instrument der Community-Ku-
ratierung ist beispielsweise die algorithmusbasierte Aus‑       Die beschriebenen Elemente der Wertschöpfungslogik leiten
wertung großer Datenmengen, um Kund_innen individua‑            sich überwiegend aus den endkundenbasierten Plattform‑
lisierte Angebote oder ein Prüf- bzw. Bewertungssystem          märkten ab. Die B2B-Marktsegmente sind jedoch kleinteili‑
für die Inhalte auf der Plattform zu erstellen (Obermaier/      ger, segmentierter und spezifischer als der Endkunden-
Mosch 2019: 395).                                               markt, und die Plattformnutzung ist noch nicht so weit
     Für einen dauerhaften Erfolg am Markt versuchen Platt‑     verbreitet (Obermaier/Mosch 2019: 388).
formbetreiber einen Lock-in-Effekt zu erzeugen, d. h.               Das wesentliche Wertschöpfungsprinzip plattformba-
eine schwer zu lösende Bindung der Nutzer_innen an die          sierter Marktplätze, durch eine höhere Transparenz die
Plattform. Dieser Effekt ergibt sich aufgrund von Barrieren     Transaktionskosten zu reduzieren, funktioniert im B2B-Seg‑
und Kosten, die bei einem Wechsel zwischen alternativen         ment für standardisierte bzw. vergleichbare physische
Plattformen zu überwinden sind. Lock-in-Effekte enstehen        Produkte mit einer relativ hohen Preiselastizität. So hat bei‑
zum einen durch die Netzwerkeffekte und den ökono‑              spielsweise Amazon sein Geschäftsmodell aus dem B2C-
mischen Nutzen, den die Nutzer_innen daraus ziehen, aber        Segment mit Amazon Business in den B2B-Bereich übertra‑
auch aufgrund technisch-funktionaler Aspekte (Obermaier/        gen. Für spezialisierte Güter, für die es nur einen kleinen
Mosch 2019: 405). Letzteres sind zum Beispiel getätigte         Markt gibt, funktioniert die transaktionskostensenkende
Investitionen der Plattformnutzer_innen, um individuelle        Wertschöpfungslogik digitaler Plattformen jedoch nur
technische Anpassungen bzw. erweiterte Nutzungsmög-             eingeschränkt. Durch die im Vergleich zum B2C-Segment
lichkeiten zu realisieren. Diese Investitionen wären im Falle   wenigen Marktteilnehmenden entstehen geringere Ska‑
eines Wechsels zu einem anderen Plattformbetreiber wert‑        len- und Netzwerkeffekte für B2B-Güter und -Dienst‑
los, wenn sie nicht zum anderen Anbieter „mitgenommen“          leistungen.
werden können.                                                      Dennoch führt die Umstellung der Einkaufs- und Ver‑
     Um die anfängliche lose Bindung der Nutzer_innen an        triebsprozesse in zahlreichen Unternehmen vom analogen
die Plattform zu festigen, entwickeln Plattformbetreiber        ins digitale Umfeld dazu, dass der Onlinehandel und da‑
ein digitales Ökosystem, in das sie ihre Kund_innen ein‑        mit auch digitale Marktplätze ein hohes Umsatzwachstum
betten. Ein Ökosystem basiert etwa auf systemabhängigen         in den vergangenen Jahren erfahren haben. 3 Der güter‑
Komplementärgütern bzw. umfangreichen Produkt- und              basierte B2B-Internethandel von Industrieunternehmen und
Serviceangeboten. Das Ökosystem ermöglicht dem Platt‑           Großhändlern ist seit dem Jahr 2012 von 136 Milliarden
formbetreiber neue Erlösquellen und erhöht die Attrak‑          Euro auf 180 Milliarden Euro in 2018 (vgl. Abbildung 1) an‑
tivität, aber auch die Wechselkosten für die Nutzer_innen.      gewachsen (IFH Köln o. J.). Der anteilige Onlineumsatz
Eines der prominentesten Beispiele und Pionier für den          gemessen am Gesamtumsatz aller Waren und Dienstleis‑
Aufbau eines digitalen Ökosystems im B2C-Segment ist der        tungen im B2B-Segment liegt damit bei ca. fünf Prozent
Apple-Konzern. Apple kombiniert seine Hardwarekompo-            (Heinemann 2020). Zum Vergleich: Die Umsätze des Online‑
nenten mit einem umfangreichen digitalen Serviceportfolio       handels im Endkundengeschäft betrugen im Jahr 2018
auf seiner iOS-Plattform, um möglichst umfänglich die di‑       schätzungsweise 53,6 Milliarden Euro (Engels 2019). Das
gitalen Bedarfe seiner Kund_innen abzudecken.                   entspricht knapp zehn Prozent des Gesamtumsatzes im
     Für den Aufbau eines Ökosystems spielt wiederum die        Einzelhandel.
Modularität von Plattformen eine entscheidende Rolle.               Trotz der beeindruckenden Wachstumszahlen im B2B-
Digitale Plattformen haben keine monolithische Systemar‑        Onlinemarkt geht das größte Veränderungspotenzial
chitektur, sondern der Plattformkern kann um Module             für die Industrie nicht von den digitalen Marktplätzen aus,
erweitert werden. Die Module sind über standardisierte          sondern von datenzentrierten Plattformen. Durch die
Schnittstellen miteinander verbunden und ermöglichen die        Entwicklungsfortschritte u. a. in den Technologie- und An‑
schnelle Integration zusätzlicher Serviceangebote, wodurch
Verbundvorteile erzeugt werden. Durch den modularen             3 Der Onlinehandel umfasst den Vertrieb der Unternehmen über di-
Aufbau und die standardisierte Integration ergibt sich die      gitale Marktplätze, aber auch über Websites und Onlineshops.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG                   – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                                                         8

wendungsfeldern Cloud-Computing, Sensorik, Datenana‑                                                     von Lagerkapazitäten automatisiert vorgenommen. Selbst
lyse/Künstliche Intelligenz (KI), Augmented Reality, 3D-                                                 Werkstücke können eingebunden werden, und es entsteh‑
Druck und Distributed-Ledger-Technologie ist ein beachtli‑                                               en durch die digitale Vernetzung aller am Wertschöpfungs-
ches Potenzial für neue datenbasierte Geschäftsmodelle                                                   prozess beteiligten Instanzen sogenannte cyber-physische
entstanden. Softwarebasierte Plattformen verknüpfen                                                      Systeme (CPS), die Effizienzverluste und Unterauslastung in
diese Technologie- und Anwendungsfelder und realisieren                                                  der Produktion verringern. Die digitale internetbasierte
dadurch vielfältige datenbasierte Geschäftsmodellinno‑                                                   Vernetzung funktioniert auch unternehmensübergreifend
vationen.                                                                                                und ermöglicht es Unternehmen, z. B. nichtgenutzte Kapa‑
    Hinzu kommt, dass sich die Leistungsfähigkeit von Mi‑                                                zitäten anderer Unternehmen in Echtzeit abzurufen oder
kroprozessoren bereits seit Jahrzehnten in Zeiträumen                                                    eigene frei verfügbare Maschinenzeit selbst zur Verfügung
von nicht einmal zwei Jahren verdoppelt und die Preise                                                   zu stellen (Schröder 2016). Die Verrechnung kann durch
für IKT tendenziell fallen. Einfache Sensoren kosten heut‑                                               Distributed-Ledger-Technologien erfolgen. Durch sie können
zutage nicht einmal 10 Cent. Die Kosten für 1 Gigabyte                                                   Unternehmen selbst Geldbeträge unterhalb von 1 Cent
Cloud-Speicherplatz sind zwischen 2007 und 2017 um                                                       sicher verwalten (Zimmermann 2020). Das ermöglicht den
90 Prozent gefallen (Riemensperger/Falk 2019). Es ist da‑                                                Kauf und Verkauf kleinster Einheiten, die von den CPS
her möglich, physische Dinge kosteneffizient in das Inter‑                                               selbstständig erfasst und abgerechnet werden. Auf diese
net einzubinden, wodurch sich das wirtschaftliche Po‑                                                    Weise werden unkomplizierte Pay-per-Use-, Pay-per-Fea-
tenzial von B2B-Plattformen, speziell im verarbeitenden                                                  ture- und Pay-per-Output-Zahlungsmodelle möglich (Müller/
Gewerbe, enorm erhöht hat.                                                                               Buliga 2019). Rolls-Royce verkauft heute statt der gebau‑
    Das Zusammenspiel dieser Entwicklungen und Trends                                                    ten Flugzeugturbinen deren Einsatzzeit. Abgerechnet
ermöglicht z. B. die Schaffung digitaler Zwillinge von                                                   werden nur die Stunden, die sie tatsächlich beim Kunden
Maschinen und Anlagen. Auf diese Weise werden physi‑                                                     im Betrieb sind (Riemensperger/Falk 2019).
sche Produktionsprozesse digital abgebildet und über                                                         Durch ihre standardisierten Interfaces liefern B2B-Platt‑
digitale Plattformen mit Daten aus anderen Unternehmens‑                                                 formen dafür die technische Infrastruktur. Das heißt, um
bereichen wie der Logistik, dem Vertrieb oder der Be‑                                                    Teilprozesse der Produktion unkompliziert auszulagern und
schaffung verknüpft. Durch die Auswertung werden z. B.                                                   zu überwachen bzw. neue datenbasierte Geschäftsmodelle
entsprechende Bestellvorgänge für neue Rohstoffe vor‑                                                    zu kreieren, war die innovative Weiterentwicklung von B2B-
geschlagen sowie deren Abrechnung und die Vorhaltung                                                     Plattformsoftware eine weitere wichtige Voraussetzung.

 Abbildung 1
 Entwicklung der B2B- und B2C-Märkte von 2012 bis 2018 (in Euro)

                                                                                           B2B-Markt

             136 Mrd.                                                                                                                            180 Mrd.

                2012                      2013                       2014                       2015               2016            2017            2018

            28,0 Mrd.                  32,0 Mrd.                  35,6 Mrd.                  39,9 Mrd.          44,2 Mrd.        48,9 Mrd.       53,6 Mrd.

                                                                                            B2C-Markt

  Quelle: Engels 2019: 5 für den B2C-Markt und IfH Köln für den B2B-Markt; © IfM Bonn (20 1630111 07).
DIGITALE B2B-PLATTFORMEN                                                                                                                                WISO DISKURS                    9

3

TYPOLOGIE VON B2B-PLATTFORMEN UND
IHR VERBREITUNGSGRAD

Zur Kategorisierung von B2B-Plattformen in der Industrie                                                   Alle Plattformtypen können prinzipiell branchenübergrei-
können einige charakterisierende Merkmale herangezo‑                                                       fend ausgerichtet sein oder nur ein bestimmtes Branchen‑
gen werden. Das weitreichendste Unterscheidungsmerkmal                                                     segment oder noch spezifischer einen bestimmten Bereich
ist der Gegenstand der wertschaffenden Interaktion.                                                        innerhalb einer Branche adressieren. Auch der Zugang ist
Hier wird zwischen transaktionszentrierten Plattformen und                                                 ein Differenzierungsmerkmal von B2B-Plattformen. Wäh‑
technischen bzw. datenzentrierten Plattformen unter‑                                                       rend offene Plattformen keine Zutrittsbeschränkungen
schieden. Transaktionszentrierte Plattformen vermitteln An‑                                                haben, kann es für bestimmte Plattformbetreiber aus Si‑
gebot und Nachfrage von Gütern und Dienstleistungen.                                                       cherheits- und Qualitätsaspekten sinnvoller sein, nur
Bei technischen Plattformen stehen Interaktionen im Vor‑                                                   bestimmten Nutzer_innen Zugang zur Plattform zu gewäh‑
dergrund, die von Handelstransaktionen mit physischen                                                      ren. Auch der Wunsch des Plattformbetreibers, konkur‑
Gütern losgelöst sind. Es handelt sich um IT-Architekturen                                                 rierende Angebote aus wirtschaftlichen Gründen nicht an‑
zur Generierung, Strukturierung und zum Austausch von                                                      zubieten, kann ein Motiv sein, den Zugang zu beschränken
Daten basierend auf technischen Standards (Lichtblau 2019).                                                (Falk/Koenen 2020). Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal
Technische Plattformen haben also einen datenzentrierten                                                   von Plattformen ist die Monetarisierung ihrer Wertschöp-
Anwendungsbereich und lassen sich in Infrastruktur-, Ver‑                                                  fungsaktivitäten. Während im Vergleich zu B2C-Plattformen
netzungs- und integrierte Plattformen unterteilen.                                                         Erlöse über Werbeeinnahmen kaum eine Rolle spielen, ist

  Abbildung 2
  Wesentliche Differenzierungsmerkmale von B2B-Plattformen
 Merkmal

                                    Segmentierung                                                      Zugang                                             Erlösmodell

                      branchenübergreifend         branchenspezifisch                                    offen                              kommerziell             nicht kommerziell
                           horizontal                   vertikal
                                                                                        halboffen, bedingter Zugang

                                                                                                    geschlossen

                                                 bereichsübergreifend                                                                 indirekt           direkt
 Ausdifferenzierung

                                                                                                                                     z. B. Werbung

                                   bereichsspezifisch              segmentübergreifend
                                                                     segmentspezifisch                                                           einmalige Zugangsgebühr

                                                                                                                                             regelmäßige Abonnements

                                                                                                                                         erweiterte, individuelle Gebühren

                                                                                                                                                    Umsatzbeteiligung

                                                                                                                                           nutzungsabhängige Gebühren
                                                                                                                                            (Pay-per-Use / Pay-per-User)
   Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Lichtblau 2019; Obermaier/Mosch 2019; Rauen et al. 2018; © IfM Bonn (20 1630111 08).
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG                   – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                                            10

die direkte Finanzierung über eine Umsatzbeteiligung auf                           2014). Durch die digitale Einbindung in Prozesse, die einer
Transaktionsplattformen verbreitet. Datenbasierte Dienst‑                          Kundentransaktion vor- und nachgelagert sind, versuchen
leistungsanbieter präferieren häufig nutzungsabhängige                             insbesondere branchenspezifische Plattformen, einen
Bezahlmodelle. Anzutreffen sind auch Abonnementgebüh-                              Lock-in-Effekt zu erzeugen und die Nutzer_innen an die
ren, deren Höhe wiederum von der Anzahl der genutzten                              Plattform zu binden. 4
bzw. der angeschlossenen Geräte, dem verbrauchten
Datenvolumen oder dem Funktionsumfang abhängen
                                                                                     Eine branchenspezifische Transaktionsplattform aus der Industrie
(Falk/Koenen 2020).
                                                                                     ist XOM Materials. Hinter XOM Materials steckt der Stahlhändler
                                                                                     Klöckner & Co, der über seinen 2014 gegründeten digitalen Markt‑
                                                                                     platz mittlerweile über 2 Milliarden Euro und damit mehr als ein
3.1 TRANSAKTIONSPLATTFORMEN                                                          Drittel seines Umsatzes generiert. Der XOM Marketplace ist eine
                                                                                     Plattform für die Anbahnung und Abwicklung von Transaktionen
                                                                                     rund um Industriewerkstoffe wie Stahl, Kunststoff oder Metall. Für
Transaktionszentrierte B2B-Plattformen sind häufig für Ge‑                           Verkäufer_innen entstehen durch die Plattform Mehrwerte durch
schäftskund_innen offene Plattformen, die durch die im                               eine hohe internationale Reichweite. Auf die Werkstoffindustrie zu‑
Kapitel zuvor erläuterten Prinzipien Angebot und Nachfrage                           geschnittene Benutzeroberflächen sowie Dokumentations- und
                                                                                     Steuerungstools für ein gebündeltes Auftragsmanagement erhö-
der Marktteilnehmenden effizient vermitteln. Ein Platt‑
                                                                                     hen die Effizienz von Verkaufsprozessen. Für Käufer_innen bietet
formbetreiber von digitalen Marktplätzen ist oftmals ein                             die Transaktionsplattform ein umfassendes Angebot an Produkten
reiner Intermediär, der selbst nicht als Verkäufer auf seiner                        bzw. eine Vielzahl an Anbietern sowie kundenspezifische Kondi‑
Transaktionsplattform in Erscheinung tritt. Solche Platt‑                            tionsvereinbarungen mit Lieferanten. Darüber hinaus werden Be-
                                                                                     schaffungsvorgänge durch die Darstellung von Informationen wie
formen, wie z. B. Mercateo, besetzen ausschließlich die
                                                                                     Lieferzeiten und Verfügbarkeiten optimiert. Das Erlösmodell des
Schnittstelle zwischen Angebot und Nachfrage und betrei‑                             Marketplace basiert auf einmaligen Einrichtungsgebühren sowie
ben kein eigenes Lager, sondern erhalten eine Provision                              nutzungsabhängigen Gebühren, die für die Verkäufer_innen pro
für das Vermitteln zwischen Käufer_innen und Verkäufer_                              Transaktion anfallen.
innen. Dieser Ansatz unterscheidet sich z. B. von der
                                                                                     Eine branchenübergreifende (horizontale) Transaktionsplattform
Amazon-Business-Plattform, die ein physisches Distribu‑                              bietet häufig unspezifische Güter, z. B. C-Teile oder MRO-Güter
tionsnetzwerk unterhält und auch eigene Produkte über                                an. „Wer liefert was“ ist ein Beispiel für einen horizontal ausge‑
die Plattform veräußert (Falk/Koenen 2020).                                          richteten transaktionsbasierten B2B-Marktplatz, der vom Reini-
                                                                                     gungsmittel bis hin zur Werkzeugtechnik ein breites Produktange-
    Auch wenn sich die Wertschöpfungslogik von mehrseiti‑
                                                                                     bot für Geschäftskund_innen aus verschiedenen Branchen ver‑
gen Transaktionsplattformen aus dem B2C-Bereich auf
                                                                                     >
den B2B-Kontext übertragen lässt, sind die Anforderungen
an die IT-Architekturen im B2B-E-Commerce tendenziell
höher. Möglickeiten zur individuellen Preisgestaltung, un‑
terschiedliche Autorisierungsstufen, kundenspezifische                             4 Dies betrifft das Fulfillment, die Logistik, das Customer Relation‑
                                                                                   ship Management (CRM), das Enterprise Ressource Planning (ERP),
Nutzeroberflächen oder sonstige kundenindividuelle Ver‑                            das Warenwirtschaftssystem (WWS), das Produktinformationsmanage-
tragsbedingungen sind in der Regel wichtige Bestandteile                           ment (PIM), die Finanzierung oder die Rechnungstellung (Institut für
der Systemarchitekturen (Institut für Handelsforschung                             Handelsforschung 2014).

 Abbildung 3
 Beispiele für Transaktionsplattformen in Deutschland – branchenspezifisch und branchenübergreifend

                                                                                                            Zoro (Werkzeuge)

                                                                                                            Toolineo (Handwerksbedarf)

                                                                      branchenspezifisch           z. B.    Scrappel (Schrott und Metall)

                                                                                                            XOM Materials (Werkstoffe)

                                                                                                            Chemondis (chemische Produkte)

        Transaktionsplattform
           in der Industrie

                                                                                                            Mercateo

                                                                                                            Simple System

                                                                     branchenübergreifend          z. B.    Crowdfox Business

                                                                                                            Wer liefert was

                                                                                                            Scoutbee

 Quelle: eigene Darstellung; © IfM Bonn (20 1630111 02).
DIGITALE B2B-PLATTFORMEN                                                                                              WISO DISKURS                    11

                                                                      stellen. 5 Mit anderen Worten: Im Vergleich zur IaaS-Lösung
  >
                                                                      stellen Anbieter von PaaS nicht nur Rechenleistung und
  mittelt. „Wer liefert was“ ermöglicht es Lieferanten, Herstellern   Speicherplatz zur Verfügung, sondern bieten einen Werk‑
  und (Groß)Händlern, ein eigenes Verkäuferprofil anzulegen und
  Waren im gesamten deutschsprachigen Raum anzubieten. Auch           zeugkasten zum modularen Aufbau integrierter (IoT-)
  Einkäufer können ein Profil anlegen, personalisierte Listen spei‑   Plattformen. Auf der zweiten Ebene übernehmen PaaS-An‑
  chern, durch verschiedene Suchkriterien potenzielle Anbieter        bieter damit zusätzlich Verantwortung für das Betriebs‑
  identifizieren, Unternehmensinformationen einsehen und Ange‑        system; die Laufzeitumgebung und Middleware sowie die
  bote anfragen.
                                                                      IT-Sicherheit. Entscheidet sich ein Industrieunternehmen,
                                                                      mit einem Anbieter von IaaS- bzw. PaaS-Lösungen zusam‑
                                                                      menzuarbeiten, kann einerseits eine gewisse Abhängig‑
Die Transaktionsplattform ist der am häufigsten genutzte              keit (Lock-in-Effekt) entstehen, andererseits werden hohe
Plattformtyp von Unternehmen. Rund jedes vierte deut‑                 Investitionen in z. B. eine eigene Serverinfrastruktur ein‑
sche Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe nutzt trans‑               gespart. Ein Beispiel für eine große Industrieplattform, die
aktionszentrierte Plattformen (Lerch et al. 2019: 18). Aller‑         mit einem großen Infrastrukturanbieter kooperiert, ist
dings ist die Nutzung in Großunternehmen deutlich verbrei‑            MindSphere. Die Plattform des Siemenskonzerns wird auf
teter (38 Prozent) als in KMU (22 Prozent) (Lerch et al.              der Plattforminfrastruktur von AWS gehostet.
2019: 19). Die Verbreitung unter den Unternehmen wächst                   Der Markt für Infrastrukturplattformen wird dominiert
dynamisch, wobei sich jedoch der bereits vorhandene                   von den großen US-amerikanischen Digitalunternehmen.
Abstand zwischen den großen Unternehmen und KMU                       Diese liefern sich einen Wettlauf um den Aufbau von Ser‑
eher noch vergrößern wird. So planen rund 13 Prozent der              verparks und Rechenzentren, wobei der Pionier in diesem
KMU und 16 Prozent der großen Unternehmen, bis 2021                   Cloud-Segment – AWS – einen deutlichen Vorsprung hat
ihre Beschaffung bzw. den Vertrieb auf B2B-Marktplätze                (siehe nachfolgende Tabelle).
umzustellen (Lerch et al. 2019: 19).
                                                                        Tabelle 1
                                                                        Weltweiter Marktanteil der größten IaaS-Public-Cloud-Anbieter
3.2 TECHNISCHE PLATTFORMEN                                              in 2019

3.2.1 INFRASTRUKTURPLATTFORMEN                                           Unternehmen                         Umsatz         Marktanteil   Wachstum
                                                                                                             (in Mio.         (in %)       zwischen
                                                                                                            US-Dollar)                    2018–2019
Eine technische Plattform benötigt eine entsprechende                                                                                       (in %)
IT-Infrastruktur, also das technische Hintergrundsystem für
                                                                         Amazon Web
Hard- und Software. Die Plattforminfrastruktur definiert                                                   19.990,4              45,0         29,0
                                                                         Services (AWS)
die Standards zu grundlegenden Verarbeitungsregeln, Funk‑
                                                                         Microsoft Azure                     7.949,6             17,9         57,8
tionsweisen und Schnittstellen für andere Anwendungen
oder Benutzeroberflächen (vgl. Lichtblau 2019). Industrie‑               Alibaba Cloud                       4.060,0              9,1         62,4
unternehmen, die planen, digitale Wertschöpfungsprozesse                 Google Cloud                        2.365,5              5,3         80,1
über eine eigene technische Plattform zu organisieren,                   Tencent Cloud                       1.232,9              2,8        101,5
können die dafür notwendige IT-Infrastruktur durch ent‑
                                                                         andere Cloud‑
sprechende Investitionen selbst anschaffen und im eigenen                Anbieter
                                                                                                             8.858               19,9         19,3
Unternehmen (On-Premise) betreiben. Alternativ können
einzelne Komponenten bis hin zur gesamten Infrastruktur                  insgesamt                         44.456,6            100,0          37,3
durch externe Dienstleister über die Cloud zur Verfügung
                                                                        Quelle: Gartner 2020; © IfM Bonn (20 1630111 01).
gestellt werden.
    Haben solche Anbieter von Infrastrukturplattformen
anfangs Infrastructure-as-a-Service (IaaS) in der Cloud an‑           Die Marktverteilung im PaaS-Segment ist kleinteiliger als im
geboten, also virtuelle Serverleistung, Speicherplatz, Netz‑          IaaS-Cloud-Segment, und es existieren mehr als 360 An‑
werke oder Rechenleistung, erweiterten sie ihr Angebot                bieter (Jones 2020). Der PaaS-Markt umfasst im Jahr 2019
sukzessive um Platform-as-a-Service (PaaS). Ist IaaS die ers‑         ca. 20 Milliarden Dollar und wächst auf geschätzte 34 Mil‑
te und grundlegendste Infrastrukturebene, kann PaaS als               liarden in 2022 an (Gartner 2019). Da sich die Geschäfts‑
eine zweite Infrastrukturebene aufgefasst werden. Die zwei‑           modelle von IaaS und PaaS ergänzen, sind die größten
te Ebene geht über die erste insofern hinaus, als das ein             IaaS-Betreiber auch unter den bedeutenden PaaS-Anbie-
Umfeld in der Cloud zur Verfügung gestellt wird, um eigene            tern anzutreffen. Zu den weltweit größten PaaS-Cloud-Be-
Anwendungen entwickeln zu können. Die Kund_innen                      treibern gehören daher auch zahlreiche US-amerikanische
von PaaS-Anbietern haben Zugriff auf die neuesten und
auch spezielleren Entwicklungstools, ohne sie selbst an‑
zuschaffen. In der bereitgestellten Laufzeit- und Program‑            5 Evans/Gawer (2016: 6) verwendet den Terminus „Innovationsplatt-
mierumgebung mit flexiblen Rechen- und Datenkapazi‑                   form“ als eigenen B2B-Plattformtyp, der Technologien, Produkte oder
                                                                      Dienstleistungen darstellt, die für Dritte als Basis für die Entwicklung
täten werden die Nutzer_innen in die Lage versetzt, ihre              von komplementären Technologien, Produkten und Dienstleistungen
entwickelten Anwendungen auch Dritten über die Schnitt‑               dienen. Die Eigenschaft der Innovationsbasis subsumieren wir unter
stellen der Infrastrukturplattformen zur Verfügung zu                 den Infrastrukturplattformen.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG                  – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                                                   12

 Abbildung 4
 Größte Anbieter von SaaS für Unternehmen (weltweiter Markanteil in Q1 2019 und jährliche Wachstumsrate)

                                                                                                                                 Wachstum

 Microsoft                                                                                                                       Microsoft: 34 %

 Salesforce                                                                                                                      Salesforce: 21 %

 Adobe                                                                                                                           Adobe: 29 %

 SAP                                                                                                                             SAP: 39 %

 Oracle                                                                                                                          Oracle: 25 %

 Next 10                       Cisco, Google, IBM, ServiceNow, Workday, etc.                                                     Next 10: 26 %

                        0%                  5%                10 %          15 %           20 %         25 %                     basierend auf den Q
                                                                                                                                                   ­ uartalen
                                                          weltweiter Marktanteil – Q1 2019                                       Q1 2018 bis Q1 2019

 Quelle: Synergy Research Group; © IfM Bonn (20 1630111 09).

Unternehmen wie Amazon, Google, Oracle, Microsoft,
                                                                                           >
Salesforce, IBM, aber auch die deutsche SAP.
                                                                                           IaaS-Angebot und basiert auf einer Open-Source-Software (Open‑
    Software-as-a-Service (SaaS) ist die dritte Ebene auf der
                                                                                           Stack). Zu den vielfältigen Funktionen zählen beispielsweise die
Infrastrukturdienstleistungen, aus der Cloud angeboten                                     flexibel erweiterbare Rechenkapazität, Speicherplatzoptionen, die
werden. SaaS-Anbieter stellen Cloud-basiert Anwendungs-                                    durch skalierbare Kapazitäten flexibel angepasst werden können,
software zur Verfügung. Das können sehr allgemeine                                         sowie verschiedene Speicherverfahren.
Office-Anwendungen, aber auch ERP- oder CRM-Lösungen
                                                                                           Eine Cloud-Infrastruktur auf Basis einer PaaS-Lösung der Deutschen
für spezielle Industriesegmente sein. SaaS-Anbieter nut‑                                   Telekom ist die AppAgile PaaS. Sie kombiniert technische Entwick-
zen für das Hosting der Software ihre eigene Infrastruktur                                 lungsplattformen mit schnell verfügbaren Geschäftsanwendungen
oder greifen ebenfalls auf einen IaaS- bzw. PaaS-Anbie‑                                    aus der Cloud, wodurch sich z. B. Big-Data-Analysen durchführen
                                                                                           lassen. Darüber hinaus bietet die Telekom SaaS-Anwendungen für
ter zurück (Büst/Velten 2015). Das SaaS-Cloud-Segment
                                                                                           verschiede Industriebereiche z. B. Chemie, Elektronik, (Groß)Handel
hat mit ca. 100 Milliarden US-Dollar in 2019 das größte                                    und Maschinenbau an.
Volumen und wächst mit ca. 30 Prozent im Jahr dynamisch
(Synergy Research Group 2019). Auch im SaaS-Segment
spielt SAP als weltweit fünftgrößter Anbieter eine bedeu‑                                Der Aufbau von IaaS-Infrastrukturplattformen ist kapital‑
tende Rolle (siehe Abbildung 4). Die Wachstumsraten aller                                intensiv und erfordert entsprechend hohe Investitions‑
Cloud-Segmente belegen den Trend weg von On-Premise-                                     summen in die physische IT-Infrastruktur. Daher sind ange‑
IT-Lösungen hin zu flexibleren Lösungen über die Cloud.                                  botsseitige Skaleneffekte durch Größenvorteile ein wich‑
    Einige Infrastrukturanbieter wie z. B. AWS und Micro‑                                tiger Wettbewerbsfaktor. Es ist fraglich, ob der Vorsprung
soft weiten derzeit ihre Angebotspalette von IaaS und                                    von Amazon Web Service (AWS) durch den frühen Markt‑
PaaS um zahlreiche SaaS-Dienste für verschiedene Indus‑                                  eintritt (First Mover Advantage) und die hohen Investiti‑
triebereiche aus. Es hat damit eine Evolution der großen                                 onen in absehbarer Zeit aufzuholen ist (Obermaier/Mosch
Infrastrukturplattformen von reinen IaaS- zu PaaS- hin zu                                2019).
IoT-Dienstleistern stattgefunden, die Plattformlösungen                                      Um vor diesem Hintergrund in Europa digital unabhän‑
für Industrieunternehmen auf allen drei Ebenen anbieten.                                 giger zu werden, ist im Oktober 2019 die Initiative Gaia-X
Dazu kooperieren die Infrastrukturanbieter der verschie‑                                 ins Leben gerufen worden. Politik, Wirtschaft und Wissen‑
denen Ebenen auch untereinander, denn keiner hat alleine                                 schaft verfolgen mit der Initiative das gemeinsame Ziel,
die Möglichkeit bzw. das Know-how, die vielfältigen digi‑                                die Datensouveränität europäischer Unternehmen zu ge‑
talen Wertschöpfungsketten von Industrieunternehmen                                      währleisten, den sicheren Datenaustausch zu ermöglichen
vollständig abzudecken.                                                                  und die infrastrukturelle Grundlage für den Aufbau eines
                                                                                         digitalen Ökosystems zu liefern. Dabei wird Gaia-X kein
 Ein Anbieter aus Deutschland, der in allen drei Cloud-Bereichen ak‑                     eigenständiger Cloud-Anbieter sein, sondern beschreibt
 tiv ist, ist die Deutsche Telekom. Sie bietet verschiedene Lösungen                     die technischen Voraussetzungen, um Datenoperabilität zu
 auf Basis von IaaS, PaaS und SaaS an, für die sie je nach Zweck auf
                                                                                         ermöglichen. Durch die Vernetzung bzw. Bündelung ver‑
 verschiedene Technologien und Kooperationspartner (z. B. Micro-
 soft Azure und SAP) zurückgreift. Die Open Telekom Cloud ist ein                        schiedener IT-Ressourcen auf der Basis einheitlicher Stan‑
 >
                                                                                         dards soll ein Gegengewicht zu den Hyperscalern, also den
                                                                                         großen Cloud-Anbietern aus den USA entstehen und
DIGITALE B2B-PLATTFORMEN                                                                                                             13

gleichzeitig die Entwicklung branchenübergreifender Öko‑       Echtzeitdaten in größerer Menge eignet sich eher das Edge-
systeme erleichtert werden. Derzeit besteht die Initiative     Computing, also eine unternehmenseigene Plattformlö-
aus mehreren Hundert Organisationen (Unternehmen, Ver‑         sung, die eine Auswertung nahe am Ort der Datenentste-
bände, Initiativen und Forschungseinrichtungen) verschie‑      hung ermöglicht. Insbesondere bei Anwendungen, für
dener Länder, die eine Vernetzung über offene einheitliche     die kurze Latenzzeiten erforderlich sind, ist eine Fernüber‑
Schnittstellen und technische Standards bzw. den Aufbau        tragung großer Datenmengen in eine unternehmens‑
eines branchenübergreifenden Ökosystems beabsichtigen.         externe Cloud, selbst über das Breitbandinternet, mitunter
Das Projekt ist offen für neue Partner, auch für KMU           zu langsam. Vernetzungsplattformen werden auch durch
(BMWi 2020).                                                   eine Kombination sowohl aus Edge- und Cloud-Computing
                                                               realisiert.
3.2.2 VERNETZUNGSPLATTFORMEN
                                                                 Ein Beispiel für eine Vernetzungsplattform ist MAX. MAX kontrol‑
Zu den technischen B2B-Plattformen zählen auch die Ver‑          liert und analysiert Daten von Aufzügen. Kommt es bei den aus‑
netzungsplattformen. Der Fokus liegt hier auf der digita‑        gelieferten Aufzügen zu Auffälligkeiten im Betrieb, bekommt ein_e
len Vernetzung der am Wertschöpfungsprozess beteiligten          Servicetechniker_in eine Echtzeitmeldung und repariert den Auf‑
                                                                 zug, bevor er stillsteht (Thyssenkrupp o. J.). Ebenfalls eine voraus‑
Instanzen, also der Austausch von Informationen zwischen         schauende Wartung ermöglicht Kaeser SIGMA Air, dass durch
Mensch, Produkt und Maschine. Dazu sind Maschinen und            Vernetzung die gesamte Druckluftversorgung seiner Unternehmens‑
Werkstücke mit CPS-Sensoren ausgestattet. Die Sensoren           kund_innen nach Verbrauch abrechnet. Schuler ist ein weiteres
sind über Schnittstellen, beispielsweise mit dem Manufac‑        Unternehmensbeispiel, das Pressen mit Sensoren ausstattet und
                                                                 durch die Vernetzung mit dem MES seiner Kund_innen u. a. Stö-
turing-Execution-Systemen (MES) bzw. dem MES über‑               rungen und Verschleiß meldet.
geordneten Enterprise-Resource-Planning-System (ERP) des
Unternehmens verbunden. Ein Trend ist, dass die ursprüng‑
lich monolithisch aufgebauten ERP- bzw. MES-Lösungen           Vernetzungsplattformen werden derzeit häufig zu integrier‑
durch die Integration zusätzlicher Module zunehmend zu         ten Plattformen weiterentwickelt, womit eine Abgrenzung
Vernetzungsplattformen werden, die die physische mit           zwischen Vernetzungs- und integrierten Plattformen nicht
der informationstechnischen Welt in der Industrie zuneh‑       immer trennscharf ist.
mend verbinden. Vernetzungsplattformen organisieren
u. a. den Datenfluss dieser Sensoren, die z. B. Daten zum      3.2.3 INTEGRIERTE PLATTFORMEN
Luftdruck, zum Ort oder zur Temperatur messen.
     Netzwerkeffekte kommen bei Vernetzungsplattformen         Integrierte Plattformen stellen eine Kombination aus Trans‑
in anderer Weise zum Tragen, als dies klassischerweise         aktions-, Infrastruktur- und Vernetzungsplattform dar,
der Fall ist, da es sich zumeist um geschlossene Systeme       wobei Infrastruktur- und mitunter auch Vernetzungsplatt-
handelt. Sie ergeben sich in Bezug auf die Anzahl der          formen die technische Basis für darauf aufbauende inte‑
vernetzten Maschinen oder Werkstücke. Die Zielsetzung          grierte industrielle IoT-Plattformen darstellen (Obermaier/
liegt demnach vorrangig in der Generierung effizienzge-        Mosch 2019: 8). Bei integrierten Plattformgeschäftsmo‑
triebener Innovationen von Prozessen und Anlagen, weni‑        dellen liegt der Schwerpunkt auf der Schaffung eines Öko‑
ger der Skalierung von Produkten oder Geschäftsmodellen.       systems. Betreiber integrierter industrieller IoT-Plattformen
Produktivitätssteigerungen werden auf verschiedene             zielen darauf ab, Nutzer_innen über eine oder mehrere,
Arten generiert, etwa durch die digitale Überwachung bzw.      sich ergänzende Plattformen und ein umfangreiches Port‑
algorithmusbasierte Analyse von Maschinen- und Anlage‑         folio an Anwendungen entlang der gesamten Wertschöp-
daten, Verbrauchsdaten, Produktionsmitteln, Produktions-       fungskette zu begleiten. Integrierte Plattformen decken
bedingungen sowie die Verknüpfung mit externen Daten           daher ein breites Aufgabenspektrum ab (Rauen et al.
(z. B. Rohstoff-, Energiepreise, Verkehrssituation, Wetter).   2018).
Wenn umfangreiches Datenmaterial vorliegt, ist schluss‑            Krause et al. (2017: 14ff.) veranschaulichen in einem Re‑
endlich eine virtuelle Simulation, Validierung und Optimie‑    ferenzmodell die wesentlichen Aufgabenbereiche inte‑
rung der Produktionsumgebung möglich, bis hin zur              grierter IoT-Plattformen (siehe Abbildung 5): (1) der Bereich
Erstellung eines kompletten digitalen Produktionszwillings.    Geräte umfasst physische Komponenten, die mit Sensor-
In ihrer letzten Entwicklungsstufe können Vernetzungs-         und Vernetzungstechnologien ausgestattet sind; (2) die Ge‑
plattformen eine sich selbstständig organisierende Produk‑     räteverbindung, Vernetzung und Kommunikation umfas‑
tionsumgebung schaffen (Smart Factory); einen Gesamt‑          sen alle Technologien, die die Kommunikation von Geräten
komplex, der automatisiert auch sehr kleine Losgrößen          und Sensoren mit einer zentralen Plattform unterstützen;
wirtschaftlich effizient fertigen kann.                        (3) die Zurverfügungstellung der Infrastruktur für eine siche‑
     Vernetzungsplattformen sind sehr spezifisch auf den je‑   re standardisierte Vernetzung und Kommunikation ver‑
weiligen Kontext ausgestaltet und werden überwiegend           schiedener Systeme; (4) die Möglichkeit, über entsprechen-
branchen-, teils bereichsspezifisch entwickelt und einge‑      de Schnittstellen die Hardware, Anwendungen und Daten
setzt. Aufgrund des lokal eingegrenzten Wirkungsraumes         (auch Dritter) zu integrieren; (5) die intelligente Verarbei‑
ist eine Anbindung an eine unternehmensexterne Infra‑          tung und Auswertung der Daten; (6) der Bereich Developer
strukturplattform in der Cloud nicht unbedingt erforderlich    Services umfasst u. a. Schnittstellen, Systeme und Unter‑
oder aus Datenschutz- und Datensicherheitsgründen nicht        stützungsmöglichkeiten, die es ermöglichen, Komponenten
erwünscht. Auch für eine zeitkritische Verarbeitung von        zu entwickeln und zu integrieren oder bestehende Kompo‑
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