DRUCK PAPIER - DRUCK+PAPIER

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DRUCK PAPIER - DRUCK+PAPIER
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Die         Branchenzeitung

DRUCK
Nr. 5 | Dezember 2019 | Jahrgang 157
                                                                                 PAPIER                                www.verdi-drupa.de

                       Abbauen,
                       einstellen,
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                                                                                                                                                          ©Alexander Erdbeer - stock.adobe.com
                        Wo Gewinne schrumpfen, vergeht dem Verleger
                        die Lust am Printgeschäft | MICHAELA BÖHM

Zeitungsverlage produzieren zurzeit vor allem Nega-        Lustlos                                                     A U S D E M I N H A LT
tivschlagzeilen. Sie legen Redaktionen zusammen,           Zum Beispiel DuMont: Der Verlag will aus dem Zei-
dünnen Abteilungen aus, streichen Stellen. Beschäf-        tungsgeschäft aussteigen, doch keiner interessiert          Tarifhülle statt Tarif-
tigte werden in Altersteilzeit oder in die Arbeitslosig-   sich für das Paket aus Tageszeitungen, Druckereien          vertrag            Seite 3
keit entlassen. Es sind immer die gleichen Maßnah-         und kränkelnder Boulevardpresse. Einzig der Berliner
men, mit denen Zeitungsverlage sinkende Auflagen           Verlag fand Käufer. Was das Unternehmen vorhat, sei         SWMH: Die unbekannte
und Anzeigenrückgänge auszugleichen versuchen.             nicht erkennbar, sagt Röper. Außer der Lustlosigkeit        Krake     Seiten 4 und 5
                                                           der DuMont-Erben am Zeitungsgeschäft und deren
Interessenlos                                              Herumwursteln im Digitalen.                                 Zusteller*innen unter
Zum Beispiel Axel Springer: Nachdem der Finanzin-                                                                      Druck: 249 Zeitungen
vestor KKR größter Einzelaktionär geworden ist, hat        Einfallslos                                                 in 17 Minuten
die Geschäftsführung ihre Pläne öffentlich gemacht.        Zum Beispiel Südwestdeutsche Medienholding: Sie                                  Seite 7
50 Millionen Euro sollen im Nachrichtengeschäft von        hat jetzt angekündigt, bis Ende nächsten Jahres Stel-
Print und Online gekürzt werden. Branchenkenner            len abzubauen. Wie viele, ist unklar.                       Allgemeinverbindlich-
Gert Hautsch geht davon aus, dass ein Fünftel der               Wo Redaktionen kleiner werden und Zeitungen            keit: Weg mit dem
Stellen wegfällt. Ganze Zeitungen, wie Welt kompakt        schrumpfen, gibt es auch weniger zu drucken. Und            Vetorecht
und Welt Hamburg, verschwinden. Gleichzeitig inves-        wo Gewinne schrumpfen, lässt auch die Lust der                            Seiten 8 und 9
tiert der Verlag ins Digitalgeschäft. Dort werden jetzt    Verleger am Zeitungsgeschäft nach. Printwerbung
schon nahezu drei Viertel des Umsatzes gemacht. Die        brachte vor knapp 20 Jahren noch 6,5 Milliarden Euro        Gedruckte Elektronik:
Strategie des Konzerns sei seit Jahren die gleiche: Das    ein, jetzt nur noch 2,2 Milliarden. Medienforscher          Licht zu drucken ist
Digitale stärken und das Printgeschäft nebenher lau-       Röper: »Seit Jahren fällt Zeitungsverlegern nichts ein,     einfach
fen lassen – »so lange, wie sich damit Rendite erwirt-     um den Rückgang bei Anzeigen und Auflagen zu                           Seiten 12 und 13
schaften lässt«, sagt Zeitungsexperte Horst Röper. Das     stoppen.«
spüren auch die drei Springer-Druckereien in Ahrens-            Warum die Südwestdeutsche Medienholding                NÄCHSTE AUSGABE
burg, Kettwig und Spandau. Dort werden bis Ende            »unbekannte Krake« genannt wird, steht auf den
                                                                                                                       Die nächste DRUCK+
des Jahres gerade noch 450 Menschen Arbeit haben.          Seiten 4 und 5. Mehr zu den Springer-Druckereien
                                                                                                                       PAPIER erscheint im
Von einst 3.500 in den 1990er-Jahren.                      ist auf der Seite 6 zu lesen.
                                                                                                                       Februar 2020.
DRUCK PAPIER - DRUCK+PAPIER
2            D R U C K + PA P I E R 5 . 2 0 1 9

    EDITORIAL                                                                          STRICHÄTZUNG

Neulich habe ich (beim Unternehmerverband der
Druckindustrie) gelesen: »Wer keine Vision hat, hat
kein Ziel. Und wer kein Ziel hat, kommt nirgends
an.« Ich mag solche Sätze. Sie tun niemandem weh,
kosten keine Hirnzellen und machen sich auch auf
Weihnachtskarten sehr schön.
     Ich bin absolut für Schlichtheit – aber bitte rich-
tig! Man nehme sich nur mal die Tarifverträge der
Druckindustrie und Papierverarbeitung zur Hand –
was da alles Kompliziertes drinsteht! »Verantwort-
liches Einrichten, Umrüsten und Überwachen als Dru-
cker an Offsetrotationen.« Geht das nicht einfacher?
Doch, sagen die Unternehmerverbände. Sie nennen

                                                                                                                                                                           Illustration: Thomas Klefisch
das »Neugestaltung« (Papierverarbeitung) oder – we-
niger vornehm – »Entrümpelung« (Druckindustrie).
     Ich vermisse bei den
Verbänden allerdings
den Mut zu echten Visi-
onen. Warum diese ab-                                                                                                                                   ertgrie    ss.de
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strakten, schachtelartig                                                             Ein Königreich für mehr Hirn
formulierten Tätigkeits-
merkmale? Weg damit!                                                                 Was kommt wohl zuerst: Der Brexit          Begründung: »Viele von den Alten sind
                                                                                     oder die Eröffnung des Berliner Flug-      inzwischen tot. Die hätten heute keine
Stattdessen sollte man
                                                                                     hafens? Berlin hat immerhin den ersten     Mehrheit mehr.«
                                                           Foto: Jan Jacob Hofmann

sich ein Beispiel an der                                                             CO2-neutralen Airport der Welt gebaut.         Ich würde den Brexit gern als Drama
Augsburger Allgemei-                                                                 Beim Brexit aber macht sich neben den      in original Shakespeare-Zitaten am
nen nehmen und Kopf-                                                                 Briten auch Europa selbst lächerlich.      Stadttheater inszenieren. Das Setting:
noten wie in Zeugnissen                                                              Mit jedem neuen Aufschub, den die          Die Queen empfängt im Buckingham
einführen (Seite 6).                                                                 Briten kriegen, denken sich Populisten     Palace im Monty-Python-Saal Boris
     Für Lohnrahmentarifverträge genügen einige                                      wie Orban oder Salvini: Mit der EU kann    Johnson (der übrigens denselben Friseur
wenige: Fleiß, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Betragen.                                  man’s ja machen. Die EU sollte den         hat wie Donald Trump) und Labour-Chef
Nicht zu vergessen die Richtbeispiele. Hat dem Chef                                  Briten sagen: »War ’ne schöne Zeit mit     Corbyn zum Schwertkampf. Dann hauen
die Aktentasche ins Büro getragen – 3 Punkte.                                        euch, schade, dass ihr Schluss machen      die sich erst einen Arm, dann ein Bein
Widerspricht den Führungskräften nicht – 5 Punkte.                                   wollt, da ist die Tür. Und wenn ihr        ab (ist nur Theaterblut – Shakespeare
                                                                                     wieder reinwollt, könnt ihr euch gern      war der Quentin Tarantino seiner Zeit,
Arbeitet trotz Streik weiter – 10 Punkte. Das passt
                                                                                     wieder hinten anstellen.« Ein klarer       immer Action!) und dann die Zitate um
auf eine Seite, ist gut verständlich und sollte reichen,
                                                                                     Schnitt. Schließlich haben die Briten      die Ohren. Johnson: »To have lunch
um die Höhe des Lohns zu definieren.                                                 2016 im Referendum für den Austritt        or to be lunch – that is the question!«
     Mit Sekundärtugenden wie Fleiß, Treue, Gehor-                                   aus der EU gestimmt und am Tag da-         Und Corbyn erwidert: »Two beers or
sam, Disziplin und Pflichtbewusstsein kennen sich die                                nach erst gegoogelt, was das überhaupt     not two beers – that is the question!«
Deutschen aus.                                                                       bedeutet. Das Ergebnis damals war mit      Bis die Queen irgendwann verzweifelt
     Dann bin ich aufgewacht. Mir fiel zum Glück                                     51 zu 49 Prozent denkbar knapp: Die        aufspringt, dem Volk aus dem Fenster
ein, dass der Druckunternehmerverband mit seiner                                     Älteren stimmten für den Ausstieg aus      zuwinkt und ruft: »A brain, a brain – my
Entrümpelei gescheitert ist. Die Redaktion wünscht                                   der EU, die Jüngeren dagegen.              kingdom for more brain!« Das wäre
euch einen guten Start ins nächste Jahr – gern mit                                       Jetzt sah ich neulich eine junge       ein schön kurzes Drama, um halb
Visionen!                             MICHAELA BÖHM                                  Londonerin in den Tagesthemen, die ein     neun säßen wir alle gemütlich in der
                                                                                     zweites Referendum forderte mit der        Kneipe.                   ROBERT GRIESS

    SCHUSTERJUNGE

                                                                                                   Millionen Euro Lohn für die Axel-Springer-Vorstände, die gerade
Glühwein-Geflüster                                                                                 mal wieder kürzen, sparen, streichen – nur nicht bei sich selbst.
                                                                                                       Es sei nicht so, dass er es ihnen nicht gönnen würde, sagte
Die Vorweihnachtszeit lässt manch einen zur Besinnung kommen.                                      Kuban. Man müsse jedoch zwingend an der Bedürftigkeitsprüfung
So auch den Junge-Union-Vorsitzenden Tilman Kuban. 32 Jahre,                                       festhalten. Wörtlich: »Wir können uns nicht vorstellen, dass sich
Sneaker, beheimatet in Barsinghausen. Von Beruf: erzkonservativ.                                   diese zusätzliche Leistung nicht an der Bedürftigkeit orientiert.«
Nun meldete sich Kuban zu Wort, gar nicht so breitbeinig und                                       Ups. Da ist was durcheinandergeraten. Tatsächlich geißelte der
polterig wie sonst. Zimtduft und Glühwein haben ihn umgestimmt.                                    Junge-Union-Vorsitzende die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprü-
Sein Thema, mit dem er nun vor die Mikrofone tritt, sind die Ge-                                   fung – eine Minirente, zehn Prozent über der Sozialhilfe. Übrigens:
hälter und Boni für Vorstände. Nur ein paar Beispiele: 10 Millionen                                Die 6.000 Euro Prämie für den Kauf eines Elektroautos gibt es
Euro Jahresbonus für den Allianz-Chef, 1,3 Millionen Euro »Erfolgs-                                weiterhin ohne Bedürftigkeitsprüfung. Von irgendwoher müssen ja
bonus« für den Ex-Chef des Abgasbetrügers VW, für 4 Jahre 115                                      auch die Boni für die Vorstände kommen.                           mib
DRUCK PAPIER - DRUCK+PAPIER
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Tarifhülle statt Tarifvertrag                                                                          Druckindustrie

                                                                                                       Das fordert ver.di:
Die Unternehmerverbände in der Papierverarbeitung und Druck-
                                                                                                       • Für ausgewählte Tarifregelungen wird
industrie fordern Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen                                                 die Allgemeinverbindlichkeit beantragt.
                                                                                                       • Die Altersteilzeit wird auf bis zu zehn
Vieles ist noch vage in den Tarifgesprächen     tertür zu erreichen. Denn einzelne Beschäf-              Jahre ausgeweitet. Das Altersteilzeitent-
mit den beiden Unternehmerverbänden             tigte und Betriebsräte sind – anders als eine            gelt wird auf 85 Prozent aufgestockt.
der Druckindustrie und Papierverarbeitung.      Gewerkschaft – schwächer und erpressbar.               • Beschäftigte haben das Recht auf Ver-
Deutlich ist jedoch: Geht es nach deren         Und nur die Gewerkschaft kann zum Streik                 kürzung der Arbeitszeit und Ausstieg
Willen, werden Tarifverträge künftig einen      aufrufen. Einzelne Beschäftigte oder Be-                 aus der Schichtarbeit. Der Lohnverlust
anderen Charakter erhalten. Sie enthielten      triebsräte haben kein Druckmittel gegen die              wird jeweils zur Hälfte ausgeglichen.
keine einheitlichen Schutzregeln mehr für       Geschäftsführung in der Hand.                          • Der Manteltarifvertrag wird um weitere
die tarifgebundenen Betriebe einer Branche.          Weiter: Jede Forderung von ver.di soll mit          fünf Jahre bis zum 31. Mai 2026 ver-
Stattdessen wären sie gespickt mit Öff-         einem Verzicht bezahlt werden. Will ver.di               längert.
nungsklauseln. Tarifhülle statt Tarifvertrag.   beispielsweise eine Entlastung für Schichtar-          • Der Tarifvertrag zur Förderung der
    Ob eine Belegschaft 40 Stunden pro          beitende, möchte der Bundesverband Druck                 Altersvorsorge wird wieder in Kraft
Woche arbeitet, soll nach Vorstellung des       und Medien (bvdm) dafür eine Öffnungsklau-               gesetzt.
Bundesverbands Druck und Medien die             sel. ver.di und der bvdm haben sich nach der
Geschäftsführung mit dem Betriebsrat ver-       Wiederinkraftsetzung des Manteltarifvertrags
handeln. Der Hauptverband Papier- und           im Mai auf die Fortsetzung von Verhand-
                                                                                                       Papierverarbeitung
Kunststoffverarbeitung geht noch weiter:        lungen verständigt. Der bvdm hat alle seine
Auch der Betriebsrat soll außen vor bleiben.    früheren Forderungen wieder auf den Tisch              Das fordert ver.di:
Danach soll die Geschäftsführung mit jedem      gepackt: Arbeitszeit verlängern, Zuschläge             • Die Öffnungsklausel zur Arbeitszeit-
einzelnen Beschäftigten verhandeln können,      kürzen, Jahresleistung und Urlaubsgeld                   verlängerung wird gestrichen.
ob der etwa auf die Freiwilligkeit der Sams-    zusammenfassen und reduzieren. »Völlig                 • Ein Tarifvertrag bietet die Möglichkeit
tagsarbeit verzichtet. Damit erhoffen sich      absurd«, sagt ver.di-Verhandlungsführer                  zur geblockten Altersteilzeit. Das Alters-
beide Unternehmerverbände, Verschlechte-        Andreas Fröhlich. In einer Branche wie der               teilzeitentgelt von Schichtarbeitenden
rungen im Manteltarifvertrag durch die Hin-     Druckindustrie, in der Beschäftigung abge-               wird auf 85 Prozent aufgestockt.
                                                baut wird, gebe es nur ein Gebot der Stunde:           • Über 55-Jährige haben das Recht auf
                                                kürzer arbeiten, den vorzeitigen Ausstieg                Verkürzung der Arbeitszeit und Aus-
 Betriebliche Altersvorsorge                    aus der Schicht- und Erwerbsarbeit möglich               stieg aus der Schichtarbeit. Der Lohn-
 Bislang behielten Unternehmer ihren            machen und finanziell abfedern.            mib           verlust wird jeweils zur Hälfte aus-
 Anteil an der Sozialversicherung für sich,                                                              geglichen.
 wenn Beschäftigte einen Teil ihres Ent-                       Weitere Verhandlungstermine             • Beschäftigte erhalten einen Anspruch
 gelts in die betriebliche Altersvorsorge                      In der Papierverarbeitung wird am         auf bezahlte Weiterbildung.
 einzahlten. Mit dem neuen Gesetz zur                          6. Dezember und in der Druckindustrie   • Der Tarifvertrag zur Förderung der
 Betriebsrente ist diese Regelung abge-                        am 9. Dezember verhandelt – damit         Altersvorsorge wird wieder in Kraft
 schafft worden. Unternehmer müssen                            nach dem Druck der DRUCK+PAPIER.          gesetzt.
 bei Neuverträgen seit 1. Januar 2019
 pauschal 15 Prozent an eine Pensions-
 kasse, einen Pensionsfonds oder eine
 Direktversicherung zur Altersvorsorge
 weiterleiten. Für alte Verträge gilt das
 ab 2022.
     Da die Unternehmerverbände der
 Druckindustrie und Papierverarbeitung
 keine verbindliche Zusage machen, das
 Gesetz umzusetzen, hat ver.di die Tarif-
 verträge zur betrieblichen Altersvorsorge
 zum Ende des Jahres gekündigt. Die Ge-
 werkschaft fordert 100 Euro pro Monat
 und Beschäftigten für eine betriebliche
 Altersvorsorge.
     Zusätzlich hat ver.di dem Unter-
 nehmerverband der Papierverarbeitung
                                                Karikatur: Thomas Plaßmann

 vorgeschlagen, für Alt- und Neuverträge
 zwölf Prozent des Umwandlungsbetra-
 ges für vier Jahre zu vereinbaren, gültig
 ab 1. Januar 2020. Und 15 Prozent ab
 2024 für alle.
DRUCK PAPIER - DRUCK+PAPIER
4             D R U C K + PA P I E R 5 . 2 0 1 9

 VERLAGE                                                                                                           ZEITUNGSVERLAGE

                                                                                                                                                                                       Foto: Joachim E. Röttgers GRAFFITI, Collage: werkzwei
Die unbekannte Krake
 Südwestdeutsche Medienholding: scheut die Öffentlichkeit, kauft Zeitungen und entlässt
 Beschäftigte, streicht Stellen und bastelt an Einheitszeitungen | JOSEF-OTTO FREUDENREICH

Das Schaubild an der Wand in Siegfried Heims             Zeitung           Tariflos
Büro macht einen schwindlig. Überall Käst-               Druckerei         Tarifgebunden
chen, die jeweils für ein Unternehmen stehen.         Berücksichtigt sind Tageszeitungen (keine Anzeigenblätter) mit einer Auflage
150 Fachzeitschriften, 16 Tageszeitungen,             über 20.000 Exemplare.
16 Anzeigenblätter, Fernseh- und Radiosen-            * In den Druckereien ist oft nur noch der Druckbereich in der Tarifbindung,
                                                        nicht aber Vorstufe und Weiterverarbeitung.
der, Briefdienste. »Ich nenne es Zerlegungs-
                                                      Quelle: Formatt-Institut Dortmund, Stand: Januar 2017, und eigene Recherchen
orgie«, sagt der Landesfachbereichsleiter
Medien bei ver.di. So kann man die Betriebs-
räte klein oder gleich ganz draußen halten
und sich noch leichter aus dem Tarif stehlen.                                                        Südthüringer Zeitung +
Heim spricht von der Südwestdeutschen Me-                                                                 Freies Wort
dienholding, kurz SWMH, einem der größten
Zeitungskonzerne in Deutschland.                                                                                      SUHL           Frankenpost
    Das Kürzel kennen die wenigsten, dafür                                                           Neue Presse
                                                                                                         COBURG              HOF
die Namen der Blätter, die den Süden der
                                                                                           Druck- u. Verlagsanstalt           Nordbayerischer Kurier
Republik zupflastern. Im Westen fängt es
                                                                                                       Neue Presse                 BAYREUTH
mit der Rheinpfalz an, geht über die fusio-
nierte Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nach-                         Waiblinger Kreiszeitung
                                                                                                   Bechtle Verlag & Druck
richten und die Süddeutsche Zeitung bis zur                      Stuttgarter Nachrichten
Südthüringer Zeitung im Osten.                                                                       Eßlinger Zeitung

                                                                     Stuttgarter Zeitung
Unterm Deckel
                                                                                                                                                            Grafik: werkzwei Detmold

                                                                                               Pressehaus Stuttgart Druck
                                                                                       OBERNDORF
Die SWMH, das unbekannte Wesen. Das                                                 Schwarzwälder Bote                  Süddeutscher Verlag Zeitungsdruck
hängt auch damit zusammen, dass der La-                                           VILLINGEN-SCHWENNINGEN
den fast wie ein Geheimdienst funktioniert.                                      Druckzentrum Südwest        MÜNCHEN          Süddeutsche Zeitung
So wenig wie möglich Öffentlichkeitsarbeit,
möglichst keine Interviews und darauf ver-
trauen, dass die großen und kleinen Quäle-
reien im Meer der Nachrichten untergehen.          das Flaggschiff schaut die ganze Republik;                     ten dann die Ansagen, die nichts anderes
Außerdem legt man sich mit der Krake               deshalb hält sich das Management dort mit                      bedeuten, als die Kolleginnen und Kollegen
ungern an.                                         dem Brecheisen (noch) zurück.                                  rauszuschmeißen. Das sei aus Unternehmer-
    Wenn beim Nordbayerischen Kurier                   Beides gehört zum Geschäftsprinzip: das                    sicht »die logische Konsequenz schrumpfen-
gestreikt wird oder beim Schwarzwälder             Kaufen und das Quälen. Kaum gehört die                         der Märkte«, verbunden mit der Unfähigkeit
Boten, dann bleibt das unterm Deckel von           Neuerwerbung zum Konzern, kaum hat man                         oder dem Unwillen, sich um die betroffenen
Bayreuth und Oberndorf. Wenn die Eßlinger          hoch und heilig versichert, ihre Unabhängig-                   Menschen zu kümmern, sagt ver.di-Sekretär
Zeitung oder die Böblinger Kreiszeitung            keit zu wahren, wird geholzt. In den Redakti-                  Uwe Kreft.
gekauft wird, ist das vielleicht eine dpa-Mel-     onen, im Verlag und – wenn vorhanden – in                          Und dieser Prozess beschleunigt sich.
dung wert. Gefährlich wird es erst, wenn es        der Druckerei. Synergien heben, Effizienz                      ver.di hat nachgezählt, dass allein in der
bei der Süddeutschen Zeitung rumort. Auf           steigern, Doppelstrukturen abbauen, so lau-                    zweiten Hälfte des vergangenen Jahres
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430 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verloren   Gespart werden soll auch im Druckbereich.                     gemacht, wurde im Rahmen einer »Port-
haben. Verantwortlich dafür ist Christian      Im Zuge der Auflagen- und Anzeigenein-                        folio-Bereinigung« die Bechtle Druck & Ser-
Wegner, 45, der neue SWMH-Geschäfts-           brüche haben die Verlage Rotationen still-                    vice sowie die Akzidenz dichtgemacht, die
führer, der im Juli 2018 von dem Kommerz-      gelegt und Personal in großem Umfang auf                      60 Menschen Arbeit gegeben haben. Sollte
sender ProSiebenSat 1 gekommen ist. Er         die Straße gesetzt. ver.di-Mann Siegfried                     jetzt noch der Bild-Auftrag wegfallen, den der
war dort fürs Digitale zuständig, rechnet      Heim hat Vergleichszahlen parat: Im Jahr                      alte Otto W. Bechtle einst mit Axel Springer
sich als Großtat den Kauf des Datingportals    2000 waren in der Druckindustrie 200.000                      gefeiert hat, dann ist auch hier bald Schluss
»Parship« an. Zu seinem Antritt sagte er,      Menschen beschäftigt, 2019 sind es noch                       mit dem Druck – und einem unabhängigen
stolz darauf zu sein, jetzt ein Unternehmen    135.000. Keine andere Branche habe, pro-                      Journalismus. Die Mantelredaktion ist schon
führen zu dürfen, das einen »Purpose« habe.    zentual gesehen, einen solchen Niedergang                     überflüssig geworden, den überregionalen
Einen Sinn also.                               erlebt. Das heiße auch, sagt Heim, dass das                   Teil stellen die Stuttgarter Nachrichten.
    In den »Townhall-Meetings«, die früher     Drucken für die Zeitungsverlage kein Kern-                         Die Eßlinger Zeitung ist damit nicht
Betriebsversammlung hießen, wurde Weg-         geschäft mehr ist. Bei der SWMH sind es                       alleine. Im Stuttgarter Hauptquartier der
ner deutlicher. Man müsse »massiv Kosten       noch 155 Millionen bei fast einer Milliarde                   SWMH wird bereits an einem Mantel ge-
sparen«. In einem nächsten Schritt sollten     Euro Umsatz. Für die Zeit nach 2020 fürch-                    bastelt, der allen 16 Konzernblättern, die
etwa 150 Stellen gestrichen, aber auch         tet er, dass die SWMH weitere Druckereien                     Süddeutsche Zeitung ausgenommen, umge-
100 Millionen Euro investiert werden. Nicht    schließen könnte.                                             hängt werden soll. Wie das aussehen kann,
etwa in Qualitätsjournalismus, wie das die                                                                   hat sich bereits im Mai vergangenen Jahres
Gewerkschaften forderten, sondern in On-       Immer auf Kosten der Belegschaft                              abgezeichnet. Da erschienen die Stuttgar-
lineportale im Bereich Bildung und Gesund-     Wie der Konzern im Einzelnen vorgeht, lässt                   ter Nachrichten, die Nürtinger Zeitung, die
heit. Nur Erotikplattformen sollten außen      sich am Beispiel der Eßlinger Zeitung erzäh-                  Schorndorfer Nachrichten und so weiter mit
vor bleiben, das könnte manchen schwäbi-       len. Ein 150 Jahre altes Traditionsblatt, das                 derselben Schlagzeile: »Und ewig lockt die
schen Verleger doch zu sehr verschrecken.      2017 von der SWMH gekauft wurde – un-                         Currywurst.«
Die Herren über viele kleine Zeitungen im      ter wortreicher Beteuerung der Verlegerin                          Zuletzt, am 6. November 2019, sahen
Ländle halten immerhin 44,5 Prozent an der     Christine Bechtle-Kobarg, immer für die                       die Zeitungen wieder alle gleich aus. Die
SWMH.                                          Belegschaft da zu sein. Kaum hatte sie Kasse                  südwestdeutschen Verleger hatten eine
                                                                                                             »Haltungskampagne« ausgerufen, in der ihre
 INTERVIEW                                                                                                   Chefredakteure versicherten: »Die beste Zeit
                                                                                                             für guten Journalismus ist jetzt«. Es ging um
                                                                                                             Fake News und die gefährdete Demokratie,
 Sie schluckt und schluckt                                                                                   die nur mit ihrem Qualitätsjournalismus zu
                                                                                                             retten sei. Das kritische Onlinemagazin Kon-
 DRUCK+PAPIER: Herr Röper, Ihr                                                                               text titelte daraufhin: »Die beste Zeit für eine
 SWMH-Organigramm ist beeindruckend.                                                                         Currywurst ist jetzt.« Eine Gegendarstellung
 Müssen Sie bald wieder anbauen?                                                                             ist bisher ausgeblieben.
 Horst Röper: Da hätte ich ständig zu tun.
 Die SWMH ist seit Jahren auf Expansions-
 kurs und schluckt und schluckt Zeitungen                                                                     Die Eigentümer
 und Anzeigenblätter.
                                                                                                              Entscheidend für die Südwestdeutsche
                                                                                              Foto: privat

 Das Kaufen von Zeitungsverlagen war                                                                          Medienholding (SWMH) sind die Lud-
 lange Zeit die Strategie der SWMH. Ist das                                                                   wigshafener Familie Schaub mit ihrer
 nicht vorbei?                                       Horst Röper , Medienwissenschaftler,                     Medien-Union (Die Rheinpfalz) und die
                                                     Forschungsinstitut Formatt in Dortmund
 Nein, die SWMH wird diese Strategie wei-                                                                     Gruppe Württembergischer Verleger mit
 terverfolgen. Sie wird sich dabei auf jene          Das Organigramm der SWMH:                                Eberhard Ebner (Südwestpresse) an der
 Gebiete konzentrieren, in denen sie mit             bit.ly/Krake-SWMH                                        Spitze. Beide halten jeweils 44,5 Prozent
 anderen Zeitungen schon im Markt ist. In                                                                     an dem Konzern. Die meisten Verleger
 diesen Fällen sind bei Aufkäufen schnell      heute und künftig noch viel mehr Erlöse im                     sind mit Miniprozenten beteiligt, was sich
 Synergien machbar: durch Zusammenle-          Digitalen erwirtschaften. Bei Springer kann                    trotzdem gelohnt hat. In ihren besten
 gungen von Abteilungen, die Verlagerung       man sehen, wie ertragreich das alte Ge-                        Zeiten erzielte die SWMH Umsatzrenditen
 des Drucks in eigene Unternehmen oder         schäft mit Rubrikenanzeigen für den Auto-,                     von 20 Prozent und mehr. Der Kauf der
 auch die Nutzung der eigenen Hauptre-         Immobilien- und Stellenmarkt ist. Das war                      Süddeutschen Zeitung sollte sie endgültig
 daktionen für die überregionale Bericht-      einst eine Domäne der Zeitungsverlage.                         in die Bundesliga des Zeitungsgeschäfts
 erstattung der zugekauften Zeitungen. In      Aber dieses Geschäft haben sie nahezu                          katapultieren. Doch der viel zu hohe
 anderen Regionen ist ein Engagement eher      kampflos preisgegeben.                                         Kaufpreis von 720 Millionen Euro hat
 unwahrscheinlich.                                                                                            die Profite geschmälert. Dennoch ist die
                                               Was würden Sie tun, wenn Sie SWMH-                             SWMH weiter auf Einkaufstour. Um sie zu
 Jetzt sollen es Onlineportale richten.        Geschäftsführer Wegner wären?                                  finanzieren, hat der neue Geschäftsfüh-
 Halten Sie das für eine Lösung?               Ich würde in die Entertainment-Branche                         rer Wegner ein massives Sparprogramm
 Onlineportale sind unverzichtbar. Die ehe-    zurückkehren. Journalismus ist ein viel                        angekündigt – wie immer auf Kosten der
 maligen Printunternehmen müssen schon         schwierigeres Geschäft.                                        Beschäftigten.
DRUCK PAPIER - DRUCK+PAPIER
6             D R U C K + PA P I E R 5 . 2 0 1 9

                                                                                                                         ZEITUNGSVERLAGE

Kopfnoten für Drucker
Augsburger Allgemeine bewertet soziales Verhalten, Leistung und Loyalität
In Schulzeugnissen gibt es Zensuren für Ma-        halten, Flexibilität/Loyalität und betriebswirt-                    Loyalität? Wie das Ergebnis im Einzelnen zu-
the, Deutsch und Englisch. Und es gibt soge-       schaftlichem Denken. Für jedes Kriterium                            stande kam, wird den Beschäftigten erst auf
nannte Kopfnoten – etwa für Mitarbeit und          werden von null bis vier Punkte vergeben.                           Einspruch bekannt gegeben. Sicher ist nur
Verhalten. Je nach Bundesland beurteilen Leh-      Maschinenführer, Schichtleiter und Abtei-                           eins: Je nach Punktezahl verteilt das Unter-
rer*innen Fleiß und Betragen oder Konfliktfä-      lungsleiter bewerten Drucker. Schichtleiter                         nehmen Prämien. Wie viel Geld im Topf ist,
higkeit und Toleranz. Die Gewerkschaft GEW         und Abteilungsleiter beurteilen wiederum                            darüber will niemand sprechen.
bezeichnete Kopfnoten einmal als »pädago-          Maschinenführer.                                                        Der Betriebsrat beurteilt die Prämien-
gischen Unfug«. Kopfnoten sind umstritten –            Die Idee stammt von der Unternehmens-                           regelung skeptisch, stimmt aber einem
weil sie ungerecht sind, weil die Beurteilungs-    leitung. Allerdings möchte Verlagsleiter                            halbjährigen Probelauf zu. Lieber hätte er
kriterien unklar sind und weil damit rebellische   Andreas Schmutterer über dieses »betriebs-                          jedoch einen Großteil des Geldes an alle
Schüler*innen diszipliniert und liebedieneri-      interne Thema« in der Öffentlichkeit nicht                          gleichermaßen verteilt gesehen. Kritik gibt
sche belohnt werden. Nordrhein-Westfalen           sprechen.                                                           es von Beschäftigten, die eine Spaltung der
hat die Kopfnoten abgeschafft.                         Betroffen sind 44 Beschäftigte. Sie                             Belegschaft befürchten. Rudi Kleiber von
    Eingeführt werden sie nun im Druck-            wissen noch nicht, was genau hinter den                             ver.di Augsburg lehnt die Regelung ab:
zentrum der Augsburger Allgemeinen.                Kriterien steckt. Erhält ein Drucker, der aus                       »Sie ist undurchsichtig und willkürlich. Statt
Beschäftigte sollen bewertet werden nach           seinem freien Tag bereitwillig in den Betrieb                       Nasenprämien zu verteilen, sollte der Verlag
Qualifikation, Arbeitsleistung, sozialem Ver-      springt, volle Punktzahl bei Flexibilität und                       in die Tarifbindung zurückkehren.«

Weser-Kurier ohne                                                                               Sicherheit für drei Jahre
eigenes Druckhaus                                                                               Springer-Druckereien leiden unter Auflagenrückgang
Die Bremer Tageszeitungen AG schließt Ende November 2020 ihre                                   Der Einstieg eines Finanzinvestors beunruhigt die Betriebsräte der
Druckerei und lässt den Weser-Kurier samt Nebenausgaben dann                                    Axel-Springer-Druckereien weniger als die ständig sinkenden Aufla-
beim Druckhaus Delmenhorst drucken. Etwa 80 Festangestellte und                                 gen der verlagseigenen Zeitungen Bild, Bild am Sonntag, Welt, Welt
rund 50 Bedarfsaushilfen verlieren ihren Arbeitsplatz. Schon seit                               am Sonntag. Seit einiger Zeit werden einst ausgelagerte Druckauf-
Jahren war im Vorstand strittig, ob das Unternehmen in eine neue                                träge zurückgeholt. Ahrensburg druckt jetzt die Bild aus Niedersach-
Druckerei investieren oder die Zeitungsproduktion auslagern sollte.                             sen und Hannover-Land, vormals produziert bei Ippen. Mit jedem
Zur nun beschlossenen Fremdvergabe erklärte der Vorstand: »Der                                  größeren Rückgang von Produktion wird die Belegschaft kleiner.
Druckmarkt ist seit Jahren hart umkämpft, rückläufige Auflagen                                  Vor fünf Jahren zählte sie in Ahrensburg noch 300 Köpfe, jetzt nur
führen zu Überkapazitäten und Preisverfall.« Daher sei ein eigener                              noch 180. Kettwig wird Ende des Jahres unter 100 rutschen. Wie
Druckerei-Neubau wirtschaftlich nicht sinnvoll.                                                 die Zukunft aussieht? Die Druckbeschäftigten in Spandau, Kettwig
    Der Betriebsrat nannte die Entscheidung »entsetzlich, einfach                               und Ahrensburg klammern sich an eine Aussage des Vorstands.
furchtbar«. ver.di warf dem Verlag vor, er habe jahrelang nicht                                 Danach seien die Druckereien erst einmal drei Jahre sicher. Zudem
investiert und keine externen Druckaufträge hereingeholt. In den                                gibt es eine Standortvereinbarung aus dem Jahr 2013. Die garantiert
Sozialplanverhandlungen müsse das Unternehmen nun »gute                                         allerdings nicht die Zahl der Beschäftigten und ist seit drei Jahren
Bedingungen« für die Betroffenen schaffen und dafür Geld in die                                 kündbar. Von den aktuellen Kürzungsplänen im Verlag würde man
Hand nehmen. Das Druckhaus im benachbarten Delmenhorst                                          verschont, sagen zwei Betriebsratsmitglieder. Schließlich sei längst
will laut Bremer Tageszeitungen AG den neuen Auftrag zum An-                                    Personal in den Druckereien abgebaut worden. Bei den Beschäftig-
lass für Investitionen nehmen. Ob neue Arbeitsplätze entstehen,                                 ten gebe es eine Art bitteren Pragmatismus: So lange bleiben und
scheint noch unklar.                                            stg                             Tariflohn verdienen, bis der Laden dichtmacht.

                                                                                                Käufer gesucht
                                                                                                Wie geht es weiter mit den Kölner Zeitungen? Diese Frage treibt
                                                                                                Beschäftigte, Leser*innen, Politik und ver.di um. Das Medienhaus
                                                                                                DuMont hatte im Frühjahr den Ausstieg aus dem Zeitungsmarkt
                                                                                                bekannt gegeben. Seitdem versucht es, Käufer zu finden. Doch
                                                                                                bisher ist nur der Berliner Verlag verkauft. Ungewiss ist die Zu-
                                                                                                kunft für die Belegschaften der Druckerei und des Kölner Stadt-
                                                                                                anzeigers sowie Express. ver.di lud am 27. September 2019 ein,
                                                                          Foto: Jürgen Seidel

                                                                                                über die möglichen Folgen der Verkaufspläne zu diskutieren. Da-
                                                                                                rüber berichtete die ver.di-Zeitung M Menschen machen Medien.
                                                                                                bit.ly/mmm-DUMONT-K
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                                                                                                                          ZEITUNGSZUSTELLUNG

                                                                                                                          gleich. »Der Stundenlohn sinkt dann unter
                                                                                                                          den Mindestlohn«, sagt Helfensritter.
                                                                                                                              Die Zusteller, so beklagte sich einer
                                                                                                                          von ihnen bei ver.di, würden dazu »genö-
                                                                                                                          tigt« geänderte Arbeitsverträge zu unter-
                                                                                                                          schreiben und dann weniger Geld zu ver-
                                                                                                                          dienen. Und dann noch die Lohnabrech-
                                                                                                                          nungen. »Die sind völlig undurchsichtig«,
                                                                                                                          findet Betriebsrat Schieke. Statt einzelner
                                                                                                                          Posten stehe dort nur ein Gesamtbetrag.
                                                                                                                          Betriebsrätin Kästner sagt: Wer selber
                                                                                                                          nachrechne, stelle teilweise fest, dass
                                                                                                                          Fahrtkosten oder Nachtzuschläge fehlten.
Foto: Werner Bachmeier

                                                                                                                              Trotz weit verbreiteter Unzufrieden-
                                                                                                                          heit: »Die meisten nehmen das alles hin,
                                                                                                                          weil sie das Geld brauchen und Angst
                                                                                                                          haben«, berichtet Monika Helfensritter
                                                                                                                          von ver.di. Arbeitsgerichtsklagen habe es

                         249 Zeitungen in 17 Minuten                                                                      bisher nur wegen zu niedriger Nachtzu-
                                                                                                                          schläge gegeben – mit Erfolg.

                         Wie der Funke-Konzern in Thüringen mit Zusteller*innen umgeht                                |   Beschimpft und gemobbt
                                                                                                                          Neben der Bezahlung lässt auch das
                         ver.di: Umgehung des Mindestlohns | Unternehmen bestreitet                                       Betriebsklima zu wünschen übrig. »Es
                         Lohndumping und Nötigung                 | ECKHARD STENGEL                                       gibt nur noch Anweisungen, die man
                                                                                                                          durchzuführen hat«, erzählt Kästner.
                         Mitten in der Nacht Zeitungen in Haus-         nellen Teilzeit-Zusteller*innen bekommen          »Manche Chefs schalten und walten,
                         briefkästen werfen: ein unverzichtbarer,       Vorgaben, wie schnell sie wie viel vertei-        wie es ihnen gefällt.« Laut Helfensritter
                         aber belastender Job. Unter welchen            len müssen – in einem dokumentierten              werden manche Beschäftigte von Vorge-
                         Bedingungen Zusteller*innen teilweise          Fall 249 Zeitungen in 17 Minuten. »Das            setzten beschimpft oder sogar gemobbt
                         arbeiten müssen, zeigt das Beispiel der        ist oft nicht zu schaffen«, sagt Kästner.         – auch Kästner, die seit Herbst arbeits-
                         Mediengruppe Thüringen (Thüringer              Wer länger brauche, werde dafür in der            unfähig ist. »Der Betrieb hat sie krank
                         Allgemeine, Ostthüringer Zeitung, Thürin-      Regel nicht bezahlt. »So wird der Min-            gemacht.«
                         gische Landeszeitung), die zum Essener         destlohn unterwandert.« Außerdem, so                  Und was sagt die Gegenseite? Fun-
                         Funke-Konzern gehört.                          Kästner, würden diese Sollzeiten immer            ke-Sprecher Andreas Bartel weist die
                             Drei Tochterfirmen kümmern sich            wieder gekürzt – angeblich wegen sin-             Vorwürfe des Lohndumpings und der
                         um die Zustellung: Thüringen Logistik          kender Abo-Zahlen. »Aber dafür kommen             Nötigung »ganz entschieden zurück«.
                         (THL), Thüringer Direktmarketing (TDM)         immer mehr Kataloge, Zeitschriften und            Der Konzern halte sich an Recht und
                         und Mediengruppe Thüringen Logistik            Briefe dazu.« Wer mit den Zeitvorgaben            Gesetz. »Auch Beschimpfungen oder
                         (MGTL). Ihre Gemeinsamkeit: Einsparun-         nicht auskommt, kann das zwar melden.             Mobbing werden konsequent geahndet.«
                         gen zulasten der Beschäftigten.                Aber laut THL-Betriebsrat Michael Schieke         Sollten Missstände gemeldet werden,
                             Bei THL-Vollzeitkräften läuft es so:       sind viele damit überfordert – und wer            »gehen wir diesen umgehend nach.«
                         Sie bekommen einen festen Stundenlohn          doch einen Stundenzettel einreiche, er-               Die Zusteller-Zeitvorgaben basieren
                         und eine Zulage. Steigt der Stundenlohn,       halte manchmal trotzdem kein zusätz-              laut Bartel auf »aufwendigen und kom-
                         etwa wegen höherer Mindestlöhne, sinkt         liches Geld.                                      plexen Berechnungen«. Wer mehr Zeit
                         die Zulage. Für die Beschäftigten ein Null-                                                      brauche, könne mit dem Gebietsleiter
                         summenspiel.                                   Undurchsichtige Abrechnungen                      sprechen oder eine »Mehrstundenmel-
                             Lohndumping, so sagen die Erfurter         Ein weiterer Vorwurf von ver.di: Verteilbe-       dung« einreichen; von Januar bis Sep-
                         ver.di-Sekretärin Monika Helfensritter und     zirke von Minijobber*innen würden ohne            tember seien schon »knapp 165.000
                         THL-Betriebsrätin Marlies Kästner, gebe        Vorwarnung neu aufgeteilt. Bei Revieraus-         Mehrstunden erfasst« worden. Und »Be-
                         es auch bei TDM und MGTL. Ihre traditio-       weitungen bleibe das Entgelt trotzdem             zirksoptimierungen« ohne Vorwarnung
                                                                                                                          seien in der Praxis gar nicht möglich.
                           Bundesarbeitsgericht: Lohn auch an Feiertagen                                                      ver.di-Sekretärin Monika Helfensritter
                           Zeitungszusteller*innen haben auch an Feiertagen, an denen keine Zeitungen ausge-              sieht das anders: »Wir wünschen uns
                           tragen werden müssen, Anspruch auf Lohn. Das ist im Entgeltfortzahlungsgesetz so               Wertschätzung, vernünftige Arbeitsbe-
                           geregelt. Anderslautende arbeitsvertragliche Vereinbarungen seien unwirksam, urteilte          dingungen und korrekte Bezahlung. Mein
                           das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt (Az.: 5 AZR 352/18) am 16. Oktober. Falle ein         Verständnis für den Konzern hört dann
                           Feiertag auf einen Werktag, dann bestehe grundsätzlich ein Anspruch auf Bezahlung.             auf, wenn Beschäftigte immer wieder
                           Mehr dazu: bit.ly/mmm-zusteller                                                                darum kämpfen müssen, dass sie für ihre
                                                                                                                          Arbeit auch den richtigen Lohn erhalten.«
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8          D R U C K + PA P I E R 5 . 2 0 1 9

                                                                                                      TARIF

Weg mit dem Vetorecht
    Unternehmen dürfen sich Tarifverträgen nicht verweigern | Tarifbedingungen
    sollen für alle gelten | MICHAELA BÖHM

Wie arbeitet es sich besser – mit oder          einem Verband aus tariflosen Betrieben               fen. Die jüngste Reform von 2014 hatte
ohne Tarifvertrag? Gute Frage. Wer              besteht – und die bestimmen dann über                zwar das Ziel, die Allgemeinverbindlich-
einen Tarifvertrag hat, bekommt fast            die Tarifpolitik mit.                                erklärung von Tarifverträgen zu erleich-
ein Fünftel mehr Lohn oder Gehalt, ar-                                                               tern. Doch das ist gescheitert.
beitet im Durchschnitt wöchentlich eine
Stunde kürzer und hat mehr Urlaub und                                                                Sind viele Tarifverträge in Deutschland
Urlaubsgeld. Allerdings gilt ein Tarif-
                                                           »Um dem Preis- und                        allgemein verbindlich?
vertrag nur noch für jeden zweiten Be-               Lohndumping in der Druck-                       Zwei Zahlen vom Bundesarbeitsministe-
schäftigten. Es sei »wünschenswert und                                                               rium: Von den rund 73.000 Tarifverträgen
erstrebenswert, in Deutschland wieder
                                                       industrie etwas entgegen-                     im Tarifregister sind zurzeit 443 allgemein
eine höhere Tarifbindung zu gewinnen«,                     zusetzen, haben wir                       verbindlich (Stand: 1. Juli 2017; das Ver-
sagte Angela Merkel bei einem Festakt                                                                zeichnis wird derzeit überarbeitet).
zu 70 Jahre Deutscher Gewerkschafts-
                                                   den Bundesverband Druck und
bund (DGB). Das sehen wir auch so. Die                    Medien aufgefordert,                       Um welche Teile des Tarifwerks
große Koalition könnte sofort etwas tun                                                              könnte es gehen?
für mehr Tarifbindung.
                                                        gemeinsam mit uns für                        Um das gesamte Tarifwerk einer Branche.
                                                           bestimmte tarifliche                      Unter den wenigen allgemein verbind-
                                                                                                     lichen Tarifverträgen finden sich welche
                                                      Regelungen die Allgemein-                      zu Qualifizierung, Zusatzversorgung,
      »Das Vetorecht der Arbeit-
                                                            verbindlichkeit zu                       vermögenswirksamen Leistungen, Kündi-
       geber sollte abgeschafft                                                                      gungsschutz. Seltener wird die gesamte
                                                                beantragen.«                         Tariftabelle für allgemein verbindlich
     werden. OT-Mitgliedschaften
                                                                                                     erklärt. Eine andere Möglichkeit ist, über
     in den Arbeitgeberverbänden                             Andreas Fröhlich,
                                                  ver.di-Verhandlungsführer für die Druckindustrie
                                                                                                     das Arbeitnehmer-Entsendegesetz eine
     gehören ebenso abgeschafft.«                                                                    Lohngruppe herauszugreifen. Sie könnte
                                                                                                     für allgemein verbindlich erklärt werden.
            Dierk Hirschel ,                                                                         Konkret bedeutete das für die Papier-
           Chefökonom bei ver.di                Wie geht das?                                        verarbeitung: Jede Fachkraft verdiente
                                                Zunächst müssen sich Gewerkschaft und                dann im Westen mindestens 17,37 Euro
                                                der Unternehmerverband einig sein – bei-             (Ost: 16,88 Euro).
                                                spielsweise ver.di und der Bundesverband
Allgemein verbindlich – was ist das?            Druck und Medien (bvdm). Sie können
Ist ein Tarifvertrag für allgemein ver-         gemeinsam beim Bundesarbeitsministe-                   »Wir fordern eine Änderung
bindlich erklärt, dann gilt er für alle         rium oder – wenn es um regionale Tarif-
Betriebe und Beschäftigten der Branche.         verträge geht – bei den zuständigen Lan-                 des Tarifvertragsgesetzes.
Anders gesagt: Die ver.di-Tarifverträge         desregierungen einen Antrag stellen. Die                Die Allgemeinverbindlich-
werden in jedem Betrieb in der Druckin-         Tarifausschüsse der Regierungen sind mit
dustrie und Papierverarbeitung ange-            je drei Vertreter*innen der Gewerkschaf-             keit darf nicht länger an dem (…)
wandt – in Ost und West, Nord und               ten und der Bundesvereinigung Deut-                         Vetorecht der Arbeit-
Süd. Auch in tariflosen Unternehmen.            scher Arbeitgeberverbände besetzt. In
                                                diesen Ausschüssen muss – so der juris-                  geberverbände scheitern.«
Warum ist das nötig?                            tische Begriff – Einvernehmen hergestellt
Aus Notwehr. Denn für immer weniger             werden. Ist eine Seite dagegen, ist die                        Frank Werneke ,
Beschäftigte gilt ein Tarifvertrag. Weil        Allgemeinverbindlicherklärung geschei-                         Vorsitzender von ver.di

Firmen Betriebsteile auslagern und              tert. Oft stimmt die Bundesvereinigung
den Tarifvertrag nicht anwenden, aus            Deutscher Arbeitgeberverbände dagegen.
dem Unternehmerverband austreten                Sie hat praktisch ein Vetorecht.
oder neue tariflose Betriebe gründen.                                                                Welche Vorteile hat die Allgemeinver-
Darüber hinaus bieten Unternehmerver-           Wie lässt sich das ändern?                           bindlicherklärung für die Beschäftigten?
bände Mitgliedschaften ohne Tarifbin-           Der Deutsche Bundestag müsste das                    Man stelle sich vor: In jedem Betrieb der
dung an. Das wird so rege in Anspruch           Tarifvertragsgesetz ändern und das Veto-             Druckindustrie oder Papierverarbeitung
genommen, dass oft die Mehrheit in              recht für Unternehmerverbände abschaf-               werden Tariflöhne bezahlt. Zuschläge,
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                                                                                                                                     MELDUNGEN
Ohne Tarifvertrag: länger arbeiten, weniger verdienen
                                                                                                                                    Augsburger lehnen Verhandlung ab
Wöchentliche Arbeitszeit in Stunden                                                                                                 Das Augsburger Druck- und Verlagshaus
                39,5                                         39,5                                                                   verweigert Verhandlungen über einen
                                                                                      39,3                    39,3
                                                                                                                                    Firmentarifvertrag. Die Geschäftsführung
                                                                                                                      38,8
                            38,6                                                                                                    hatte die Tarifverträge zum 31. Dezember
                                                                    38,3
                                                                                              38,0                                  2019 gekündigt. Daraufhin beschlossen die
                                                                                                                                    ver.di-Mitglieder, das Augsburger Druck-
                                                                                                                                    und Verlagshaus zu Verhandlungen aufzu-
                                                                                                                                    fordern. Die betriebliche Tarifkommission
                                                                                                                                    wird weitere Schritte beraten.

                 Durchschnitt                                Baden-                    Bremen                   Hessen              Neues Druck- und Medien-ABC
                 Bundesgebiet                              Württemberg
                                                                                                                                    Der ZFA (Zentral Fachausschuss Berufsbil-
Bruttomonatsentgelte in Euro                                                                                                        dung Druck und Medien) liefert mit dem
                                                                                                                                    neuen Druck- und Medien-ABC wieder
                            3.781                                                                                                   fachliche Informationen für die Ausbildung.
                                                                    3.371                                                           Die aktuelle Ausgabe: DuM_66_2019.pdf
                                                                                              3.387                   3.329
                2.994
                                                                                                                                    Zu Weihnachten gehen viele leer aus
                                                                                                                                    Etwa die Hälfte der Beschäftigten in Deutsch-
                                                                                      2.322                   2.403                 land bekommt Weihnachtsgeld. In tarif-
                                                            2.213
                                                                                                                                    gebundenen Betrieben sind es mehr als drei
                                                                                                                                    Viertel. Das hat eine Auswertung des Wirt-
                 Durchschnitt                              Brandenburg                 Sachsen-                Sachsen
                 Bundesgebiet                                                           Anhalt                                      schafts- und Sozialwissenschaftlichen
                                                                                                                                    Instituts (WSI) ergeben. Eine hohe tarifliche
Quelle: Lübker, M. & Schulten, S. (2019). Tarifbindung in den Bundesländern.              ohne Tarifvertrag      mit Tarifvertrag
WSI-Tarifarchiv (Hrsg.), Elemente qualitativer Tarifpolitik Nr. 86.                                                                 Jahresleistung erhalten Beschäftigte der
                                                                                                                                    Druckindustrie und Papierverarbeitung.
                                                                                                                                    Tariflose Unternehmen erklären in Umfragen
Urlaubsgeld und tarifliche Jahresleistung                                   Blick in andere Branchen                                zwar, sich am Tarifvertrag zu orientieren.
sind überall gleich. Arbeitszeit und Zahl                                                                                           Aber beim Weihnachtsgeld tun das nur
der Urlaubstage ebenfalls. Niemand muss                                     Wach- und Sicherheitsgewerbe                            wenige.
mehr seine Heimatregion verlassen, weil                                     Mit Ausnahme der oberen Gehalts-
er sich die schlechte Bezahlung nicht                                       gruppen sind die Löhne im hessischen                    Schlafforscher warnt vor Folgen
mehr leisten kann. Niemand muss fürch-                                      Wach- und Sicherheitsgewerbe ab sofort                  der Schichtarbeit
ten, durch Niedriglöhne in die Armut                                        allgemein verbindlich. Dem Antrag von                   In einem Interview des Magazins der Süd-
getrieben zu werden. Stattdessen zahlen                                     Unternehmern und ver.di hat Hessens So-                 deutschen Zeitung äußerte sich der Schlaf-
Beschäftigte und Unternehmer auf Basis                                      zialminister zugestimmt. Nun haben auch                 forscher Albrecht Vorster zu Schichtarbeit.
anständiger Löhne Steuern und Beiträge                                      die Beschäftigten, deren Chefs nicht im                 Die sei gefährlich und gesundheitsschäd-
in die Sozialkassen. Davon profitieren alle.                                Bundesverband der deutschen Sicherheits-                lich. »Schichtarbeit entspricht in etwa zehn
Der Wettbewerb um Aufträge findet nicht                                     wirtschaft Mitglied sind, einen rechtsver-              Zigaretten pro Tag und verkürzt das Leben
mehr über niedrige Löhne statt, sondern                                     bindlichen Anspruch auf den Tariflohn.                  um durchschnittlich sechs bis acht Jahre
über gute Produkte und Dienstleistungen.                                                                                            bei 40 Jahren Schichtarbeit.« Er frage sich,
                                                                            Elektrohandwerk                                         ob es moralisch vertretbar sei, Menschen
    Das fordert ver.di:                                                     Die Tarifverträge im Elektrohandwerk von                zur Gewinnmaximierung, etwa zur Auslas-
                                                                            Berlin und Brandenburg gelten für alle                  tung der Produktionsstraße, vermeidbaren
  ➔ Weg mit dem Vetorecht für Unter-                                        Betriebe der Branche. Seit 1. Januar 2014               gesundheitlichen Gefahren auszusetzen.
       nehmerverbände. Stattdessen sollte                                   erhalten alle Elektriker*innen Tariflohn,               Schichtarbeit sollte maximal sieben Jahre
       die Mehrheit im Tarifausschuss über                                  ob der Chef Mitglied der Innung ist oder                erlaubt sein. Danach fingen die schweren
       eine Allgemeinverbindlicherklärung                                   nicht. Weniger zu zahlen, ist verboten.                 Gesundheitsprobleme an. Zudem sollte
       entscheiden.                                                         Möglich wurde das, weil sich IG Me-                     die Arbeitszeit von Schichtarbeiter*innen,
                                                                            tall und der Landesinnungsverband der                   insbesondere von Nachtarbeitern, begrenzt
  ➔ Ende der OT-Mitgliedschaft: Mitglieder                                 Elektrotechnischen Handwerke Berlin/                    werden. »Ein Schichtarbeiter, der statt
       in Unternehmerverbänden, die Tarif-                                  Brandenburg einig waren: Gemeinsam be-                  35 Stunden die Woche nur 25 Stunden
       verträge aushandeln, müssen die Tarif-                               antragten sie bei den beiden Länderminis-               arbeitet, kann aufgrund der besseren Erho-
       verträge auch anwenden.                                              terien, den Lohntarifvertrag für allgemein              lung viele Gesundheitsschäden vermeiden.
                                                                            verbindlich zu erklären. Ab 2020 steigen                Wir setzen die Menschen ja auch so wenig
  ➔ Tarifverträge sollten so lange nach-                                   zudem für alle Beschäftigten die Mindes-                wie möglich giftigem Feinstaub oder bösen
       wirken, bis ein neuer Vertrag an deren                               tentgelte in diesen Handwerken auf                      Chemikalien aus, wenn es sich vermeiden
       Stelle tritt.                                                        11,90 Euro pro Stunde. 2024 liegen sie                  lässt.« Vorster hat Biologie und Philosophie
                                                                            dann bei 13,94 Euro.                                    studiert.
DRUCK PAPIER - DRUCK+PAPIER
10            D R U C K + PA P I E R 5 . 2 0 1 9

                NACHRUFE                                                                                             AUS DEN BETRIEBEN

               Hubert Bartels ist tot
               Wenige Wochen vor seinem 90. Geburtstag
                                                                  Osten zieht fast gleich
               ist Hubert Bartels am 24. Oktober 2019             Neue Konzerntarifverträge für Smurfit Kappa
               gestorben. Hubert war fast sein ganzes
               Leben in der Gewerkschaft aktiv. Stehen-           Die Löhne der Beschäftigten in den Werken         Neu ist ein Lebensarbeitszeitkonto. Wer
               den Beifall gab es, als er am 16. Juni 2015        der Ost-Bundesländer werden in zwei Stufen        möchte, kann Stunden aus dem regulären
               die Leonhard-Mahlein-Medaille erhielt. Der         steigen. Die Arbeitszeit sinkt zudem ab nächs-    Arbeitszeitkonto übertragen und damit eine
               damals 85-Jährige hatte in freier Rede ge-         tem Jahr von 38 auf 37,5 Stunden pro Woche.       Auszeit (Sabbatical) finanzieren oder früher
               schildert, was ihn zu einem überzeugten            Damit beträgt der Abstand zu den Löhnen im        in Rente gehen.
               Gewerkschafter gemacht hat. »Ich bin und           Westen ab 2024 noch drei Prozentpunkte.                Keine Verbesserung gibt es bei der un-
               war ein klassenbewusster Prolet. Ein Prolet             ver.di ist bei den Verhandlungen ein         bezahlten Arbeitszeit. Die Regelung aus dem
               im wahrsten Sinne des Wortes, jemand               Einstieg in die Altersteilzeit gelungen. Wer      Jahr 2013 gilt unverändert. Im Westen kann
                                          ohne Grundbesitz        künftig einen Altersteilzeitvertrag abschließt,   bis 37 Stunden pro Woche gearbeitet wer-
                                          und ohne Besitz an      für den stockt das Unternehmen das Entgelt        den; davon ist eine Stunde unbezahlt. Für die
                                          Produktionsmitteln;     auf mindestens 80 Prozent auf. Allerdings         zweite Stunde finanziert das Unternehmen
                                          existenziell darauf     ist Smurfit Kappa nicht verpflichtet, sich auf    den Zuschuss zur Altersvorsorge und eine
                                          angewiesen, seine       Altersteilzeitverträge einzulassen. Es gibt       kleine Einmalzahlung. Im Osten gilt die glei-
                                          Arbeitskraft zu ver-    keinen Rechtsanspruch.                            che Regelung, allerdings bei einer 37,5-Stun-
                                          werten. Jemand,               Zudem wurde die betriebliche Alters-        den-Woche ab nächstem Jahr.
                                          der aus ›egoisti-       vorsorge neu geregelt. Seit 2018 steuert das           Der Konzerntarifvertrag wurde erstmals
                                          schen Interessen‹       Unternehmen monatlich pro Beschäftigten           2013 verhandelt, um einheitliche Arbeitsbe-
Foto: ver.di

                                          für die Verbesse-       50 Euro zur Altersvorsorge bei. Macht im          dingungen in den damals knapp 20 Smurfit-
                                          rung seiner Lebens-     Jahr 600 Euro. Der Betrag wird ab nächstem        Kappa-Werken zu schaffen. Die neuen Tarif-
               bedingungen kämpfen muss, weil er darauf           Jahr erhöht. Ab 2024 zahlt Smurfit Kappa          verträge gelten ab 1. Januar 2020 und enden
               angewiesen ist.« Bartels hatte ursprünglich        900 Euro pro Beschäftigten.                       im Dezember 2024.
               Stellmacher und später Buchdrucker gelernt.

               Ferdi Kammering ist gestorben
               Es war 1977 und im Verlag des Weser-
                                                                  Glückwunsch zum 60. Geburtstag
               Kuriers tobte ein wilder Streik, die Zeitun-       Ortsverein Kirchhain, ver.di-Fachbereich Medien, feierte Jubiläum
               gen erschienen nicht. Dieser Machtkampf
                                         mit dem Verleger         Kaum jemand kennt Kirchhain in Mittelhes-         Zeit, als alles anfing. 1959 hatten sich
                                         Meyer ist auf im-        sen. Zusammen mit der Marburger Tape-             30 IG-Druck+Papier-Mitglieder der Tape-
                                         mer mit dem da-          tenfabrik und dem Betriebsratsvorsitzenden        tenfabrik zur Gründung getroffen. Wenig
                                         maligen Betriebs-        Heinrich Hartmann (Bildmitte) ist die Klein-      später waren bereits 100 eingetreten.
                                         ratsvorsitzenden         stadt jedoch vielen Kollegen und Kolleginnen      Damals wie heute sind die gewerkschaft-
                                         Ferdinand Kam-           in der Papierverarbeitung ein Begriff. Jetzt      liche Betriebsarbeit und die Anbindung an
                                         mering verbunden.        wurde der Ortsverein Kirchhain, ver.di-Fach-      die Gewerkschaft wichtig, sagt Ortsver-
                                         Ein lebenskluger         bereich Medien, 60 Jahre alt. Ein Grund zum       einsvorsitzender Heinrich Hartmann, seit
                                         Mensch, dick-            Feiern, zum Redenhalten und Erinnern an die       über 40 Jahren mit dabei.
                                         schädelig, beharr-
                                         lich, mit einem
               guten Blick für das Durchsetzbare und ein
               guter Stratege. Kammering, den alle Ferdi
               nannten, war von Beruf Weber. Er ist am
               24. November mit 79 Jahren gestorben.

                MELDUNG

               Erinnerung an vier Wochen Streik
               Der Streik bei der Sächsischen Zeitung in
               Dresden dauerte vom 22. November bis
               19. Dezember 1999. Es war der längste
               Vollstreik in der deutschen Redaktions-
               geschichte. Zum 20. Jahrestag veröffent-
               lichte ver.di eine Broschüre, die bei einer
               Veranstaltung verteilt wurde. Der Streik
               richtete sich gegen den Versuch, sämtliche
                                                                                                                                                                    Foto: tsm/ver.di

               Lokal-redaktionen unter Verlust des Haus-
               tarifs auszugliedern. bit.ly/SZ-Streik
D R U C K + PA P I E R 5 . 2 0 1 9        11

                                                                   AUS DEN BETRIEBEN
                                                                                                                        Der Seitenwechsler
Klage gegen Mayr-Melnhof                                                                                                Jan Schulze-Husmann, 50, ist seit 1. Oktober​
                                                                                                                        der neue Tarifsekretär im Bundesfachbereich​
Rechte des Europäischen Betriebsrats werden beschnitten                                                                 Medien, Kunst und​
                                                                                                                        Industrie. Ursprüng-
Mayr-Melnhof missachtet die Rechte des                            Ausschusses. Allerdings geht es nicht um              lich wollte er »linker​
Europäischen Betriebsrats. So lautet der Vor-                     einen Streit über Formalien. »Der Europäi-            Anwalt« werden,​
wurf von dessen Vorsitzendem Michael Heiz-                        sche Betriebsrat ist nicht beteiligt worden, als      war aber angesichts​
mann. Das Verpackungsunternehmen hat                              an allen Standorten in Europa Digitalsysteme          des konservativen​
sich zuletzt geweigert, die Kosten für Reisen                     zur Leistungskontrolle von Produktionsarbei-          Jurastudiengangs​
und Dolmetschertätigkeit zu einer Sitzung                         tern eingeführt wurden.« Ein Europäischer             in Bonn bald desil-

                                                                                                                                                                            Foto: privat
des geschäftsführenden Ausschusses in Wien                        Betriebsrat (EBR) habe jedoch das Recht auf           lusioniert. Und hat​
zu bezahlen. Michael Heizmann hat, ebenso                         Anhörung und Information durch die Unter-             das getan, was ihm​
wie ein Kollege, Klage eingereicht: 532,68                        nehmensleitung. Mayr-Melnhof Packaging                mehr zusagte: Er​
Euro ist ihm das Unternehmen schuldig. Ins-                       ist das einzige Unternehmen in Österreich,            arbeitete als Referent für politische Bildung​
gesamt beliefen sich die Kosten jedoch auf                        dessen Europäischer Betriebsrat »kraft Ge-            in der Studierendenvertretung, kehrte der​
mehrere Tausend Euro, unter anderem für ein                       setz« und damit ohne EBR-Vereinbarung                 Universität nach vier Jahren den Rücken​
Sachverständigengutachten. Mayr-Melnhof,                          arbeitet – die hatte das Unternehmen gekün-           und lernte Buchhändler. Für gute politische​
einer der größten Faltschachtelproduzenten                        digt. Vor Jahren hatte Mayr-Melnhof bereits           Bücher wirbt er immer gern. Das wissen​
der Welt mit einem Gewinn nach Steuern                            die Rechtsanwaltskanzlei Schreiner, bekannt           alle, die bei den DruckerTagen von seinem​
von 164 Millionen Euro im Jahr 2018, be-                          für Union-Busting-Methoden, gegen Heiz-               Bücherstand nicht ohne Neuerwerbung weg-
streitet die Notwendigkeit der Sitzungen des                      mann engagiert.                                       gehen.
                                                                                                                            Jans gewerkschaftlicher Lebenslauf liest
                                                                                                                        sich wie das Organigramm von ver.di: Im
Letzter Krimi von Hans Dölzer                                                                                           Fachbereich Medien arbeitete er quasi​
                                                                                                                        überall mit – in Vorständen, Ausschüs-
Er hat seinen Motorradkrimi noch fertig                           Dort hängt ein Toter                                  sen​und Tarifkommissionen, auf Bezirks-,
geschrieben, aber die Drucklegung nicht                           in einer historischen                                 Landes-​und Bundesebene. Im Buchverlag
mehr erleben können. Hans Dölzer ist am                           Druckmaschine. Die                                    war er viele Jahre Betriebsratsvorsitzender.
15. Oktober 2018 gestorben. Er war so                             Leser*innen können                                    Jetzt wendet er sich wieder Neuem zu und​
etwas wie die personifizierte IG Medien:                          sich darauf verlassen,                                wechselt die Seiten – vom Ehrenamt in die​
Als Buchbinder, Grafiker, Journalist und                          dass Lokalkolorit                                     Bundesverwaltung. Mit ein paar Schleifen​
Schriftsteller vereinte er viele Berufe in sich.                  und Sachverständiges                                  kommt er dem »linken Anwalt« recht nah.
»Blut-Druck« ist der zweite Fall des Motor-                       aus dem grafischen       Hans Dölzer: Blut-Druck,
                                                                                                                        »Tarifpolitik ist für mich Gesellschaftspolitik.«
radjournalisten Jonas Jordan. Ort des Ver-                        Gewerbe nicht zu         1. Auflage. Ilmenau: Rhino   Jan folgt Holm-Andreas Sieradzki, der in den
brechens ist das Mannheimer Technoseum.                           kurz kommen.             Verlag, 2019, 10 Euro        Bezirk Aachen/Düren/Erft gewechselt ist.

                                                                                                                         MEIN STANDPUNKT

Was hältst du vom Recht
                    auf Weiterbildung?
Das brauchen wir, ganz klar! Aber nicht nur                                                                             auch die Chance auf Weiterbildung erhalten.
für abhängig Beschäftigte, sondern auch                                                       Jens Ehrlinger,           Denn wer 30 Jahre seinen Job gemacht hat,
                                                                                              Betriebsratsvorsitzen-
für Erwerbslose, für Berufsrückkehrer und                                                     der der Süddeutschen
                                                                                                                        hat den Unternehmensgewinn mit erarbeitet.
Berufsrückkehrerinnen, etwa Eltern, in un-                                                    Zeitung GmbH (und         Wir brauchen außerdem ein Recht, das Fort-
serer Branche auch für Selbstständige. Das                                                    weiteren 7 Gesell-        bildung auch in Teilzeit fördert, und ein Rück-
                                                                                              schaften), stellvertre-
Recht auf Weiterbildung sollte unbedingt im                                                   tender Konzernbe-
                                                                                                                        kehrrecht von Teilzeitkräften in die Vollzeit.
Gesetz verankert werden. Ein gesetzlicher                                                     triebsratsvorsitzender        Ich will besonders die Kolleginnen
Anspruch liegt im öffentlichen Interesse:                                                     der Südwestdeut-          und Kollegen in den Betriebsratsgremien
                                                                                              schen Medienholding
Die Wirtschaft florierte jahrzehntelang dank                                                                            ansprechen: Wir haben nach dem Betriebs-
                                                   Foto: privat

                                                                                              und des Süddeut-
des vorhandenen Wissens. Da Unternehmen                                                       schen Verlags             verfassungsgesetz Mitbestimmungsrechte
davon profitieren, müssen sie an den Kosten                                                                             bei Bildungs- und Weiterbildungsmaßnah-
der Weiterbildung beteiligt werden.                               sind höhere Fördersätze nötig – etwa für              men. Dabei können wir auch eigene Ideen
     Nötig sind auch Verbesserungen im                            Menschen, die eine Familie zu versorgen               einbringen, was wir, zugegeben, zu wenig
Bundesausbildungsförderungsgesetz, im                             haben – ohne dass Einkommen oder Ver-                 tun. Unter dem Blickwinkel sozialer Gerech-
BAföG. Die Altersbeschränkung müsste                              mögen angerechnet werden. Gerade auch                 tigkeit müssen alle weitergebildet werden,
wegfallen und es sollten auch Lernende                            Altersgruppen jenseits der 50 wollen im               nicht nur ein kleiner Kreis von Führungs-
über 30 Jahre gefördert werden. Zudem                             Beruf bleiben, zu Recht. Dann sollten sie             kräften.                          Protokoll: fws
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