Education first! Bildung entscheidet über die Zukunft Sahel-Afrikas - Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

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Education first! Bildung entscheidet über die Zukunft Sahel-Afrikas - Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
Education first!
            Bildung entscheidet über die Zukunft Sahel-Afrikas

 te +++ kaum Berufs- und Hochschulbildung +++ Ungleichheiten beim Bildungszugang +++ wachsender Migrationsdruck +++ fehlendes Humanvermögen +++ ra
erspektiven +++ zu wenig qualifizierte Lehrer +++ Konflikte verstärken Bildungsmisere +++ Bildungsausgaben nicht ausreichend +++ höchste Kinderzahlen wel
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Impressum
                                                                                        Über das Berlin-Institut
Originalausgabe
November 2017                                                                           Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist ein unab-
                                                                                        hängiger Thinktank, der sich mit Fragen regionaler und globaler
© Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung                                       demografischer Veränderungen beschäftigt. Das Institut wurde
                                                                                        2000 als gemeinnützige Stiftung gegründet und hat die Aufgabe, das
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auch auszugsweise Verwertung        Bewusstsein für den demografischen Wandel zu schärfen, nachhaltige
bleibt vorbehalten.                                                                     Entwicklung zu fördern, neue Ideen in die Politik einzubringen und
                                                                                        Konzepte zur Lösung demografischer und entwicklungspolitischer
Herausgegeben von                                                                       Probleme zu erarbeiten.
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
Schillerstraße 59                                                                       In seinen Studien, Diskussions- und Hintergrundpapieren bereitet das
10627 Berlin                                                                            Berlin-Institut wissenschaftliche Informationen für den politischen
Telefon: (030) 22 32 48 45                                                              Entscheidungsprozess auf.
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ISBN: 978-3-946332-95-4                                                                 Im Förderkreis des Berlin-Instituts kommen interessierte und enga-
                                                                                        gierte Privatpersonen, Unternehmen und Stiftungen zusammen, die
                                                                                        bereit sind, das Berlin-Institut ideell und finanziell zu unterstützen.
Die Autoren                                                                             Informationen zum Förderkreis finden Sie unter http://www.berlin-
                                                                                        institut.org/foerderkreis-des-berlin-instituts.html
Alisa Kaps, 1991, Masterstudium in Wirtschafts- und Sozialgeographie an der Uni-
versität Salzburg. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Institut für Bevölkerung   Bankverbindung:
und Entwicklung.                                                                        Bankhaus Hallbaum
                                                                                        IBAN DE50 2506 0180 0020 2864 07
Alexandra Reinig, 1989, Masterstudium in Soziologie an der Universität Bielefeld.       BIC/SWIFT HALLDE2H
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.

Ruth Müller, 1984, Masterstudium in Osteuropastudien an der Freien Universität
Berlin. Ressortleiterin Internationale Demografie am Berlin-Institut für Bevölkerung
und Entwicklung.

Dr. Reiner Klingholz, 1953, Promotion im Fachbereich Chemie an der Universität
Hamburg, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.

Das Berlin-Institut dankt dem Auswärtigen Amt für die Finanzierung des Projekts.
Für den Inhalt der Studie trägt das Berlin-Institut die alleinige Verantwortung.
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INHALT
Ohne Bildung keine Perspektiven..........................................................................................................2

Das Wichtigste in Kürze...........................................................................................................................4

1 | Warum Bildung für Afrika wichtig ist...........................................................................................6

2 | Sahel – wo es am meisten an Bildung mangelt........................................................................12

              2.1 Burkina Faso...................................................................................................................... 21

              2.2 Mali.....................................................................................................................................22

              2.3 Mauretanien......................................................................................................................24

              2.4 Niger...................................................................................................................................26

              2.5 Nigeria ...............................................................................................................................28

              2.6 Senegal .............................................................................................................................31

              2.7 Tschad................................................................................................................................32

Die Sahelländer im Überblick...............................................................................................................34

3 | Was tun?............................................................................................................................................35

Quellen....................................................................................................................................................40

                                                                                                                                                                Berlin-Institut   1
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OHNE BILDUNG
KEINE PERSPEKTIVEN
    Afrika südlich der Sahara steht schon lange       dürfte der Klimawandel die Bedingungen für     Warum aber blieben die Erfolge in Afrika aus,
    im Fokus der Entwicklungszusammenarbeit,          die lokale Landwirtschaft, den Hauptarbeit-    während viele asiatische Länder in den ver-
    aus guten Gründen: Zwar konnten einzelne          geber in diesen Ländern, massiv erschweren.    gangenen Jahrzehnten eine ganz andere Ent-
    Länder in der jüngeren Vergangenheit ökono-                                                      wicklungsdynamik entfacht haben und längst
    mische Erfolge erzielen, aber vielerorts fehlt    So nachvollziehbar die internationalen In-     zu Schwellen- oder gar Industrieländern auf-
    es an wirtschaftlichem Potenzial jenseits des     terventionen sind, eine militärische Unter-    gestiegen sind? Staaten wie Südkorea, selbst
    Rohstoffsektors. Es gibt viel zu wenig Arbeit     stützung kann kaum etwas an den eigent-        Vietnam oder Bangladesch waren zu Beginn
    und damit mangelt es an Perspektiven für die      lichen Gründen von Perspektivlosigkeit         ihrer Entwicklung in einer schlechteren Ver-
    rasch wachsenden jungen Bevölkerungen.            und Migration ändern. Deshalb haben sich       fassung als die meisten Staaten südlich der
    Gerade in dieser Altersgruppe wächst die          Deutschland wie auch die Europäische Union     Sahara, können aber heute bei den meisten
    Unzufriedenheit, die sich vermehrt in sozia-      und die G20 vorgenommen, die Fluchtursa-       sozioökonomischen Indikatoren deutlich
    len Konflikten niederschlägt. Spätestens seit     chen, genau genommen, die Migrationsursa-      bessere Resultate vorweisen. Das liegt auch
    radikale Kräfte an Zulauf gewinnen, die Zahl      chen, an der Wurzel zu bekämpfen. Im Kern      daran, dass mit der wirtschaftlichen und ge-
    der Flüchtenden gen Europa steigt und sich        bedeutet das, die Länder bei ihrer Entwick-    sellschaftlichen Entwicklung überall in den
    die Menschen einfach aus wirtschaftlicher         lung zu unterstützen. Dabei geht es weniger    asiatischen Aufsteigerstaaten die Geburten-
    Not auf den gefährlichen Weg über das Mit-        um humanitäre oder Soforthilfe in akuten       ziffern sanken und sich das Bevölkerungs-
    telmeer machen, ist das Thema auch in der         Krisenfällen, sondern darum, die wirtschaft-   wachstum verlangsamte. Dadurch blieb den
    Sicherheits- und Außenpolitik angekommen.         lichen Rahmenbedingungen für die vor Ort       Ländern mehr Geld, um weitere und höher-
    Die Hilfspolitik der Vergangenheit wandelt        lebenden Menschen zu verbessern, damit sie     wertige Arbeitsplätze für die nachwachsen-
    sich seither zu einer strategischen Politik.      ihre Länder aus eigener Kraft auf den Weg      den Generationen zu schaffen.
                                                      einer positiven Entwicklung bringen. Damit
    Die 2016 abgeschlossenen Migrationspart-          sie produktiv werden und Unternehmen grün-     Der vermutlich wichtigste Unterschied zwi-
    nerschaften der EU mit einzelnen afrikani-        den, Arbeitsplätze, Wohlstand und Sicherheit   schen diesen Ländern und den meisten Staa-
    schen Ländern und die auf dem G20-Gipfel          schaffen.                                      ten Afrikas aber liegt im durchschnittlichen
    in Hamburg beschlossene „Partnerschaft mit                                                       Bildungsstand der Bevölkerung. Zahlreiche
    Afrika“ sind nur ein Zeichen dieser neuen         Grenzen der klassischen                        Studien belegen, dass die Bildung breiter Be-
    Aufmerksamkeit für Europas Nachbarkon-            Entwicklungszusammenarbeit                     völkerungskreise die Grundlage für eine sozio-
    tinent im Süden. Auch die Bundeswehr hat                                                         ökonomische Entwicklung ist. Staaten können
    ihre Aufgaben neu definiert und ihre derzeit      Genau das war und ist in etwa die Aufgaben-    – zumindest vorübergehend – zu Wohlstand
    größten Kontingente im westafrikanischen          beschreibung der jahrzehntelangen deut-        gelangen, wenn sie Rohstoffe auf dem Welt-
    Mali stationiert. Deren Ziel ist es, „dauer-      schen und europäischen Entwicklungszu-         markt verkaufen. Aber eine dauerhafte wirt-
    haften Frieden“ wiederherzustellen und für        sammenarbeit oder Entwicklungshilfe, wie       schaftliche und gesellschaftliche Entwicklung
    Stabilität in der Sahelregion zu sorgen.1 Eine    sie früher einmal hieß. Nüchtern betrachtet    ist keinem Land der Welt jemals ohne massive
    gewaltige Aufgabe, denn dort liegen die           konnten diese Bemühungen allerdings nicht      Investitionen in die Bildung gelungen.2 Auch
    wichtigsten Routen für den Drogen-, Waffen-       den Fortschritt erzielen, den man sich von     der jüngste Entwicklungsbericht der Welt-
    und Menschenschmuggel durch die Sahara.           ihnen versprochen hatte. Die grundsätzlichen   bank, der sich erstmals ausschließlich mit
    Die politische Lage ist höchst instabil und die   Probleme vieler Länder Subsahara-Afrikas       diesem Thema befasst, zeigt, welche Perspek-
    Bevölkerung wird sich je nach Land bis 2050       haben sich seither eher verschärft denn        tiven sich gerade für die am wenigsten entwi-
    verdoppeln bis verdreifachen. Zusätzlich          aufgelöst.                                     ckelten Länder durch Bildung ergeben.3

2     Education first!
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Großbaustelle Bildung                            eine spätere berufliche Karriere gilt. Dabei    Bildung muss zum einen ein Schwerpunkt in
                                                 geht es nicht nur um den Erwerb von Wis-        afrikanischen Regierungsprogrammen wer-
Hier liegt Afrikas größtes Defizit: Der Bil-     sensgrundlagen wie Lesen, Schreiben und         den. Zum anderen aber muss die internatio-
dungsstand in den Ländern südlich der Sa-        Rechnen, sondern auch um Schlüsselkom-          nale Zusammenarbeit Bildung zu einer zen-
hara, insbesondere im Sahel ist schlecht bis     petenzen wie die Fähigkeit zu kritischem        tralen Aufgabe machen. Diese Kooperation
katastrophal. In den Sahelländern können im      Denken, zur Lösung von Problemen und            sollte weit über die klassische Entwicklungs-
Schnitt rund 40 Prozent der erwachsenen Be-      Konflikten, also um Voraussetzungen für die     zusammenarbeit hinausgehen und auch die
völkerung zwischen 25 und 64 Jahren nicht        Entwicklung zu einem verantwortungsvol-         Ressorts Wirtschaft, Finanzen, Verteidigung
lesen und schreiben.4 Auch bei den jüngeren      len Weltbürger. Bildung ist das wichtigste      und Außenamt mit einbeziehen. Für Deutsch-
Nachwuchsjahrgängen, also jenen Menschen,        wirtschafts- und sozialpolitische Steuerungs-   land wäre es zudem wichtig, sich mit dem
die sich über die nächsten Jahrzehnte für ihre   instrument. Zudem hat sie einen erheblichen     klassischen Partner in der Region Westafrika,
Länder verdient machen und ihren Platz in        Einfluss auf die demografische Entwicklung,     also mit Frankreich, abzustimmen.
einer globalen Wissensgesellschaft finden        denn Frauen mit Sekundarbildung bekommen
müssen, verfügt in manchen Ländern des           in den armen Ländern Afrikas nur ein Drittel    Der Kontinent ist auf Hilfe von außen ange-
Sahel weniger als die Hälfte über derartige      bis halb so viele Kinder wie Frauen, die nie    wiesen, denn die nötigen Schulen zu bauen,
Basisfähigkeiten.5 Aufgrund des heutigen         eine Schule besucht haben.7                     das Lehrpersonal auszubilden und die Lehr-
Bildungsstandes gehen Experten davon aus,                                                        materialen bereitzustellen, überfordert die
dass diese Länder bis 2030 nicht einmal das      Die Ursachen von Flucht und Migration aus       Länder, die teilweise zu den ärmsten der Welt
Millenniums-Entwicklungsziel der Vereinten       Not zu bekämpfen ist deshalb ein langfris-      gehören. Schon aus geografischen Gründen
Nationen erreichen werden, das eigentlich        tiges Geschäft. Bildung kann nicht morgen       kann sich Europa nicht von der Entwicklung
schon für 2015 auf dem Programm stand,           schon die Migrationsströme durch die Sahara     in Afrika abkoppeln. „Education First!“ sollte
nämlich allen Kindern einen Grundschulzu-        und über das Mittelmeer bremsen. Bildung        deshalb die Lösung für die Zusammenarbeit
gang zu garantieren. Geschweige denn die         verbessert die Perspektiven der betroffe-       mit den Nachbarn im Süden sein.
weitaus ambitionierteren Nachhaltigen Ent-       nen Länder, aber sie versetzt auch mehr
wicklungsziele im Bildungsbereich, welche        Menschen in die Lage, über eine Migration       Berlin, im Oktober 2017
die Vereinten Nationen als notwendige Vo-        nachzudenken, sie zu organisieren und zu fi-
raussetzung für Stabilität und Wohlergehen       nanzieren. Doch Bildung ist ohne Alternative.   Reiner Klingholz
festgelegt haben.6                               Ohne sie könnte die Bevölkerung Subsahara-      Direktor Berlin-Institut für
                                                 Afrikas noch in diesem Jahrhundert auf fast     Bevölkerung und Entwicklung
Zugegeben: Wer in Bildung investiert und da-     3,5 Milliarden anwachsen.8 Die Möglichkei-
raus wirtschaftliche und gesellschaftliche Er-   ten, diese Menschen auch nur mit dem Not-
folge erwartet, braucht Geduld. Es vergehen      wendigsten zu versorgen, würden sich weiter
                                                                                                 Subsahara-Afrika vor Wachstumsschub
mehr als zehn Jahre, bis ein Kind wenigstens     verschlechtern. Weitere Krisen, Konflikte,
eine untere Sekundarbildung erlangt hat, die     Flucht und Migration wären zwangsläufige        In den Ländern südlich der Sahara bekommen Frauen
heute weltweit als Mindestanforderung für        Folgen.                                         im Schnitt fünf Kinder. Das sind drei mehr als im
                                                                                                 Durchschnitt der Europäischen Union. Die Bevölke-
                                                                                                 rungen wachsen deshalb rasant. Vorausschätzungen
                                                                                                 der Vereinten Nationen zufolge dürfte die Zahl der
                                                                                                 Menschen in einigen Ländern, in Abwesenheit von
                                                                                                 Migration, bis ins Jahr 2050 um über 100 Prozent
                                                                                                 steigen – sich also mehr als verdoppeln. Insgesamt
                                                                                                 dürfte die Weltregion im Jahr 2050 2,2 Milliarden
                                                                                                 Einwohner zählen – 1,2 Milliarden mehr als heute
                                                                                                 noch. Dieses Wachstum wird sich nicht abwenden
                                                                                                 lassen – denn die Eltern von morgen sind bereits
                                                                                                 heute geboren. Möglich wäre es aber, das Wachstum
                                                                                                 zu bremsen – und zwar über bessere Bildung. Denn je
                                                                                                 länger Frauen eine Schule besuchen, desto weniger
                                                                                                 Kinder wünschen sie sich und desto besser sind sie
                                                                                                 dazu in der Lage, diesen Wunsch auch umzusetzen.

                                                                                                 Vorausgeschätztes Bevölkerungswachstum in Abwe-
                                                                                                 senheit von Migration, in Prozent, 2017 bis 2050
                                                                                                 (Datengrundlage: UNDESA9)

                                                                                                                                   Berlin-Institut     3
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
    Subsahara-Afrika                                 und am wenigsten entwickelten Ländern             dominanten Unterrichtssprachen Französisch
    in der Bildungskrise                             weltweit, sondern auch zu denen mit dem           und Arabisch. Selbst dort, wo die Regie-
                                                     geringsten Bildungsstand. Letzteres gilt auch     rungen in Bildung investieren, kämpfen sie
    Auf den ersten Blick hat Afrika seit dem         für Nigeria, das als einziges nicht frankopho-    gegen Windmühlen. Denn das Bevölkerungs-
    Millenniumswechsel in Sachen Bildung gro-        nes Land ebenfalls Teil dieser Analyse ist.       wachstum in der Region – das höchste welt-
    ße Fortschritte gemacht. Das gilt vor allem                                                        weit – hat die Zahl der Personen im Schulal-
    für die Länder südlich der Sahara, wo sich       In einigen Ländern der Sahelregion ist im         ter zwischen 6 und 17 Jahren von 2000 bis
    der Anteil der Kinder ohne Bildungszugang        Schnitt nur ein Drittel der erwachsenen Be-       2015 um rund 55 Prozent steigen lassen. Bis
    zwischen 2000 und 2015 fast halbiert hat.        völkerung alphabetisiert und selbst von der       ins Jahr 2030 dürften es noch einmal knapp
    Doch auf den zweiten Blick werden nach wie       jungen Generation kann teilweise nicht ein-       40 Prozent mehr werden. Die Nachfrage nach
    vor enorme Defizite deutlich: Im Jahr 2015       mal die Hälfte lesen und schreiben. Zum Teil      Bildung steigt damit schneller als die Bil-
    gingen immer noch 32 Millionen Kinder im         liegen die Einschulungsraten unter 65 Pro-        dungsinfrastruktur mithalten kann.
    Grundschulalter nicht zur Schule. Damit lebt     zent. Zudem bestehen je nach Wohnort, Ge-
    mehr als die Hälfte der Kinder weltweit, die     schlecht und Familieneinkommen weiterhin          Entscheidende Weichenstellung
    keinen Zugang zu Bildung haben, in Subsa-        große Ungleichheiten beim Bildungszugang.
    hara-Afrika. Ein Viertel der 15- bis 24-Jäh-                                                       Auf der Suche nach besseren Lebensmög-
    rigen kann nicht lesen und schreiben. Eine       Selbst eine Einschulung bedeutet in den Sa-       lichkeiten wird es deshalb künftig noch
    weiterführende Schule besucht bis heute          helländern nicht, dass Kinder tatsächlich eine    mehr Menschen in Afrika südlich der Sahara,
    im Schnitt nur ein Drittel aller Jugendlichen.   nutzbare Bildung erhalten. Viele verlassen die    insbesondere im Sahel, auf die Wander-
    Nicht einmal ein Zehntel schafft den Sprung      Schule vorzeitig oder schaffen ihren Grund-       schaft in die ausufernden Städte treiben, in
    an die Hochschule.                               schulabschluss nicht, geschweige denn den         andere Länder Afrikas oder nach Europa.
                                                     Übergang auf eine weiterführende Schule.          Wie immer wandern die Menschen dabei ent-
    Bislang hat keines der Länder Subsahara-Af-      Die Bildungsinfrastruktur ist unzureichend,       lang eines Arbeitsmarkt-, Wohlstands- und
    rikas das für 2015 gesetzte Bildungsziel der     die Unterrichtsbedingungen sind teilweise         Sicherheitsgefälles.
    Millenniums-Entwicklungsziele erreicht und       extrem schlecht. Vielerorts fehlt es nicht nur
    es geschafft, allen Kindern eine Grundschul-     an guten Schulgebäuden und Unterrichtsma-         Ohne ausreichende Bildung bleibt es weiten
    bildung zu ermöglichen. Aller Voraussicht        terialien, sondern vor allem an qualifizierten    Teilen der jungen Bevölkerung Subsahara-
    nach dürfte dies noch nicht einmal bis 2030      Lehrern. Das schlägt sich auf die Lernerfolge     Afrikas vorenthalten, an der Entwicklung des
    gelingen. Bis dahin sollten bereits die Nach-    der Kinder nieder: In Tschad beispielsweise       21. Jahrhunderts teilzuhaben: Unter diesen
    haltigen Entwicklungsziele umgesetzt sein,       können am Ende der Grundschule acht von           Bedingungen ist weder zu erwarten, dass
    die zusätzlich eine Sekundarschulbildung für     zehn Jugendlichen nicht ihrem Alter entspre-      die Pro-Kopf-Einkommen steigen, noch, dass
    alle Kinder und Jugendlichen vorsehen.           chend lesen und rechnen, in Niger trifft das      wettbewerbsfähige Unternehmen und Ar-
                                                     sogar auf neun von zehn Schülern zu.              beitsplätze – also Lebensperspektiven – für
    Extremfall Sahel                                                                                   die rasch wachsende Bevölkerung entstehen.
                                                     Die Gründe für die Bildungsmisere sind viel-      Vielmehr spricht der Bildungsmangel dafür,
    Besonders schlecht ist die Situation in den      fältig: Es fehlt an finanziellen Möglichkeiten,   dass die Kinderzahlen je Frau weiter auf sehr
    frankophonen Ländern der Sahelregion, an         der Bildungssektor ist schlecht organisiert       hohem Niveau bleiben und sich die vielfäl-
    den südlichen Ausläufern der Sahara. Burkina     und manche Eltern halten es für überflüs-         tigen Probleme der Region noch schwerer
    Faso, Mali, Mauretanien, Niger, Senegal und      sig, ihre Kinder auf öffentliche Schulen zu       lösen lassen werden.
    Tschad gehören nicht nur zu den ärmsten          schicken. Zudem gibt es sprachliche Hürden:
                                                     Längst nicht alle Kinder beherrschen die

4     Education first!
Bildung ist der zentrale Hebel, um einen so-    - Auf allen Ebenen der politischen Zusam-       Grund- und Sekundarschulbildung, insbeson-
zioökonomischen Wandel einzuleiten und die      menarbeit sollte dem Thema Bildung mehr         dere für die bisher benachteiligten Mädchen.
Staaten südlich der Sahara auf einen positi-    Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das gilt       Daneben sollte der Aufbau berufsbildender
ven Entwicklungspfad zu bringen. Ein besse-     für Foren wie die G20, internationale Organi-   Systeme, die Ausbildung des Lehrpersonals
rer Bildungsstand in der Bevölkerung trägt      sationen wie UN und EU sowie für die bilate-    und der Einsatz moderner Lehr- und Lernmit-
nicht nur zu einer höheren wirtschaftlichen     rale Kooperation Deutschlands mit afrikani-     tel mit Vorrang betrieben werden.
Leistungsfähigkeit und steigenden Einkom-       schen Staaten.
men bei, sondern auch zu besseren Gesund-                                                       - Vorhandene Instrumente der deutschen Au-
heitswerten. Besser gebildete Frauen ent-       - Bei den Verhandlungen und der Umsetzung       ßenpolitik sollten verstärkt genutzt werden,
scheiden sich für deutlich kleinere Familien    neu aufgelegter Partnerschaften der G20,        um die Zusammenarbeit im Bildungsbereich
und haben damit einen erheblichen Einfluss      der EU und Deutschlands mit den Ländern         als Ergänzung zur traditionellen EZ weiter
auf die Bevölkerungsdynamik und die öko-        Subsahara-Afrikas müssen Verbesserungen         auszubauen – etwa bei der Stipendienver-
nomischen Möglichkeiten ihrer Länder. Denn      im Bildungssektor ein zentrales Ziel sein.      gabe und der Stärkung des Hochschul- und
ein höheres Bildungsniveau bei sinkenden                                                        Wissenschaftsstandorts Afrika.
Kinderzahlen eröffnet den Staaten südlich der   - Die Finanzierung von Bildung muss generell
Sahara die Aussicht auf eine demografische      erhöht werden. Die afrikanischen Länder         - Bildungspolitische Unterstützungen für die
Dividende und damit auf einen Entwicklungs-     sollten sich an den Empfehlungen der Unesco     Sahelländer sollte Deutschland, wo sinnvoll,
schub, wie ihn einst die asiatischen Tiger-     orientieren. Diese sehen vor, die Staatsaus-    in enger Kooperation mit Frankreich umset-
staaten erlebt haben. Unter diesen Bedingun-    gaben für Bildung auf 15 bis 20 Prozent der     zen, das aus historischen Gründen über gute
gen sinkt erfahrungsgemäß der Druck auf die     nationalen Haushalte respektive 4 bis 6 Pro-    Kontakte zur Region verfügt.
Arbeitsmärkte, die Beschäftigungschancen        zent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben.
der jungen Erwerbsfähigen verbessern sich
und die sozialen Spannungen lassen nach.        - Aufgrund der begrenzten Möglichkeiten und
Zumindest langfristig kann Bildung deshalb      des stark wachsenden Bedarfs der armen
dazu beitragen, Flucht- und Migrationsursa-     Länder sind auch die internationalen Geber
chen zu reduzieren.                             für Mittel der Entwicklungszusammenarbeit
                                                (EZ) gefordert. Deutschland sollte mit gutem
Was tun?                                        Beispiel vorangehen und seine Bildungsaus-
                                                gaben in der EZ weiter erhöhen. Dabei sollte
Im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise ist    das Bildungssystem der jeweiligen Partner-
die Entwicklung des afrikanischen Konti-        staaten in der Sahelregion in seiner Gesamt-
nents verstärkt in den Blick der deutschen,     heit gestärkt werden: Im Primarbereich,
europäischen und internationalen Politik        damit alle Kinder überhaupt zur Schule gehen
gerückt. Im Rahmen der vielen unterschied-      können; bei der Sekundarschulbildung, um
lichen Abkommen und partnerschaftlichen         ein möglichst breites Bildungsfundament zu
Vereinbarungen, die seither geschlossen         schaffen; im Hochschulbereich, um beispiels-
wurden, sollte das Thema Bildung stärker in     weise qualifiziertes Lehrpersonal auszubil-
den Fokus gerückt werden. Dabei sollte die      den; und bei der praxisnahen beruflichen
Politik umgehend tätig werden, weil sich die    Bildung, um Unternehmertum zu stärken und
sozioökonomischen Effekte von Bildung erst      Perspektiven zu schaffen.
zeitverzögert auswirken. Auch die deutsche
Außenpolitik sollte sich deshalb vermehrt im    - Die deutsche und europäische Politik sollte
Bildungsbereich engagieren und dabei fol-       den afrikanischen Regierungen bei Bildungs-
gende Empfehlungen beachten:                    reformen beratend zur Seite stehen und
                                                wichtige Handlungsbereiche im Bildungssek-
                                                tor aufzeigen. Dazu gehören der generelle Zu-
                                                gang für alle Kinder und Jugendliche zu einer

                                                                                                                              Berlin-Institut   5
1                   WARUM BILDUNG FÜR
                          AFRIKA WICHTIG IST
    Der afrikanische Kontinent vereint auf etwa     Für die Zukunftsperspektive des Kontinents       zwölf Millionen Afrikaner ins Erwerbsalter
    einem Fünftel der gesamten Landmasse            bietet dies durchaus eine Chance auf eine        hinein wachsen, werden auf dem gesamten
    der Erde eine enorme geografische, kultu-       positive sozioökonomische Entwicklung.           Kontinent nur rund drei Millionen neue Ar-
    relle und sprachliche Vielfalt.1,2 Angesichts   Denn Afrikas Bevölkerung ist jung – mehr als     beitsplätze pro Jahr geschaffen.7 Grund dafür
    seiner enormen Fläche ist Afrika mit rund       die Hälfte der Menschen in Subsahara-Afrika      ist vor allem, dass die Wirtschaft vielerorts
    1,3 Milliarden Einwohnern vergleichsweise       ist unter 20 Jahre alt.5 Entsprechend groß ist   wenig diversifiziert ist und sich überwiegend
    dünn besiedelt.3 Doch das dürfte sich künftig   der Pool an potenziellen Arbeitskräften und      auf die Extraktion von Rohstoffen stützt.8
    ändern. Denn die afrikanische Bevölkerung       dieser wird auch in Zukunft weiter wachsen:      Anstatt vom Lohn aus einem formellen Ar-
    wächst – und zwar rasant. Nach Schätzungen      Bis zur Mitte des Jahrhunderts dürften in der    beitsverhältnis leben die meisten Menschen
    der Vereinten Nationen wird sie sich alleine    Region rund zweieinhalb mal mehr junge           von der Subsistenz-Agrarwirtschaft – also
    bis 2050, also binnen weniger als 35 Jahren,    Menschen im erwerbsfähigen Alter zwischen        von dem, was sie auf ihrem eigenen Stück
    verdoppeln. Die Hälfte des weltweiten Bevöl-    20 und 34 leben als in China, das heute eine     Land erwirtschaften. Das erschwert es vielen,
    kerungswachstums bis 2050 dürfte damit in       treibende Kraft der Weltwirtschaft ist.6         ihre eigene Lebenssituation zu verbessern:
    Afrika stattfinden – der größte Teil davon in                                                    Im Jahr 2013 lebten zwei Fünftel der Bevöl-
    den Ländern südlich der Sahara.4                Bislang sind die Länder südlich der Sahara       kerung in Subsahara-Afrika noch immer in
                                                    jedoch nicht in der Lage, dieses Potenzial zu    absoluter Armut, also von weniger als 1,90
                                                    nutzen. Während jährlich zwischen zehn und       US-Dollar am Tag.9

6     Education first!
in Prozent                                                                                                                                   41 Mio.

  40

                                                                              2000
                                                                              2015          10 Mio.    5 Mio.         1 Mio.
  30

               35 Mio.
                           8 Mio.
                                                                                                                                                                 100 Mio.
  20

                                                                                                                                               32 Mio.

   10                                    2 Mio.                                      11 Mio.          3 Mio.               2 Mio.
               11 Mio.                                       0,4 Mio.

                           5 Mio.                                                                     3 Mio.
                                         1 Mio.              0,2 Mio.                                                          1 Mio.                             61 Mio.
                                                                                     7 Mio.
   0

                                                                                                                           und Westeuropa

                                                                                                                                                                    Welt insgesamt
                                                                                                      Lateinamerika

                                                                                                                           Nordamerika
                                                               Zentralasien
                                         Zentral- und

                                                                                                                                                 Subsahara-
                                                                                                      und Karibik
                                                                                     und Pazifik
                                         Osteuropa
               Westasien

                           arabische
               Süd- und

                                                                                     Ostasien
                           Staaten

                                                                                                                                                 Afrika
Fehlende Bildung                                        Lehrern und einer guten Schulinfrastruktur.                                     Fortschritte auf niedrigem Niveau
als Ursache vieler Probleme                             Im Schnitt erreicht jedes zweite Kind in der
                                                                                                                                        Seit der Verabschiedung der Millenniums-Ent-
                                                        Region die Pubertät, ohne einfachste Re-                                        wicklungsziele im Jahr 2000 haben die Länder
Erklärungsmuster für die Frage, warum die               chenaufgaben lösen oder vernünftig lesen                                        südlich der Sahara formal große Fortschritte
afrikanischen Staaten südlich der Sahara zu             zu können.12                                                                    bei der Verbesserung des Bildungszugangs
                                                                                                                                        gemacht. Innerhalb von 15 Jahren hat sich
den am wenigsten entwickelten Ländern der
                                                                                                                                        in der Region der Anteil der Kinder, die zur
Welt gehören, gibt es viele. Bei aller Kom-             Ohne Bildung wird die heutige Jungendgene-                                      Grundschule gehen, beinahe verdoppelt –
plexität der Faktoren, die dazu beitragen, ist          ration Afrikas kaum in der Lage sein, einen                                     allerdings ausgehend von einem sehr niedrigen
eine Ursache zentral: Von der Republik Süd-             Job außerhalb der Landwirtschaft oder dem                                       Einschulungsniveau. Da die Zahl der Kinder im
                                                                                                                                        Grundschulalter durch das hohe Bevölkerungs-
afrika bis nach Niger, vom Horn von Afrika              einfachen Dienstleistungsbereich zu finden,                                     wachstum jedoch weiter angestiegen ist, ist die
bis nach Liberia mangelt es den Menschen an             geschweige denn in einer global aufgestell-                                     Zahl derer, die nicht eingeschult werden mit
Bildung.                                                ten Wirtschaft mit Gleichaltrigen aus anderen                                   etwa 32 Millionen weiterhin hoch.15 Schätzun-
                                                        Ländern zu konkurrieren. Das trübt auch                                         gen der Unesco zufolge dürften 45 Prozent von
                                                                                                                                        ihnen auch in Zukunft nicht zur Schule gehen.16
Derzeit leben in Subsahara-Afrika rund 200              die Zukunftsaussichten ihrer Heimatländer.
Millionen Analphabeten, 60 Prozent davon                Perspektivlosigkeit und Unzufriedenheit,                                        Zahl der Grundschulkinder ohne Bildungszu-
sind Frauen.10 Zwar ist die junge Generation            gepaart mit Verteilungskämpfen um zuneh-                                        gang sowie deren Anteil an der entsprechenden
bereits deutlich besser gebildet als ihre El-           mend knappere Ressourcen, dürften künftig                                       Altersgruppe nach Weltregionen, in Millionen
                                                                                                                                        und in Prozent, 2000 und 2015
tern, aber trotzdem ist die Bildungssituation           weiter soziale Spannungen und Konflikte auf                                     (Datengrundlage: UIS17)
weiterhin besorgniserregend: Im Jahr 2014               dem afrikanischen Kontinent befeuern. In Zu-
besuchte ein Drittel der Kinder und Jugend-             kunft könnte sich eine wachsende Zahl Afri-
lichen zwischen 6 und 17 Jahren in den Län-             kaner gezwungen sehen, auf der Suche nach
dern südlich der Sahara keine Schule.11 Dieje-          besseren Lebensbedingungen ihre Heimat zu
nigen, die zur Schule gehen, lernen meist nur           verlassen.
wenig, denn oft mangelt es an qualifizierten

                                                                                                                                                                              Berlin-Institut   7
Gute Gründe für mehr Bildung
       BEVÖLKERUNGSWACHSTUM VERHINDERT
       ERFOLG BEI BILDUNGSZIELEN                                                                Mangelnde schulische Bildung weiter Teile
                                                                                                der Bevölkerung trübt die Aussichten auf so-
       Zur Jahrtausendwende verabschiedete die Weltgemeinschaft mit den sogenann-               zioökonomischen Fortschritt in Afrika. Mehr
       ten Millenium Development Goals (MDGs) eine globale Entwicklungsagenda, in               Bildung für Afrika wäre dagegen ein wichtiger
       der die Verbesserung der Bildung ein zentrales Ziel darstellte. Demnach sollten          – wenn nicht gar der wichtigste – Hebel, um
       bis 2015 alle Kinder weltweit die Möglichkeit bekommen, eine Grundschulausbil-           einen positiven und anhaltenden Wandel
       dung zu absolvieren. Bis zum Ende der MDG-Laufzeit hatte kein Land in Subsa-             einzuleiten. Die positiven Effekte, die mehr
       hara-Afrika dieses Ziel erreicht, trotz beachtlicher Fortschritte beim Bildungszu-       Bildung für jeden Einzelnen sowie für ganze
       gang.27 Ein Grund dafür war das hohe Bevölkerungswachstum, mit dem auch die              Länder mit sich bringt, sind wissenschaftlich
       Zahl der Kinder im Schulalter zunahm. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätten           gut belegt:
       die Länder südlich der Sahara bereits zu Beginn der 2000er Jahre eine universel-
       le Grundschulbildung erreichen können.28                                                 • Höhere Einkommen
                                                                                                Mit jedem Jahr, in dem Menschen eine Schule
       Die 2015 verabschiedeten Nachfolgeziele, die Sustainable Development Goals               besuchen, wächst nicht nur die Chance jedes
       (SDGs) der 2030-Agenda, versprechen, die Versäumnisse der MDGs bis 2030                  Einzelnen, einen Job zu bekommen, sondern
       nachzuholen und setzen die Messlatte der bis dahin zu erreichenden Bildungs-             auch, eine Stelle mit fairen Arbeitsbedin-
       fortschritte sogar noch höher: Bis 2030 sollen alle Kinder und Jugendlichen              gungen und guter Bezahlung zu finden. Eine
       weltweit nicht nur eine Grund-, sondern auch eine Sekundarschulbildung erhal-            Studie der Weltbank in 139 Ländern zeigt: Im
       ten. In weniger als 15 Jahren allen Kindern in Subsahara-Afrika eine zwölfjährige        weltweiten Durchschnitt steigt mit jedem ab-
       Schulausbildung zu ermöglichen, dürfte aufgrund des anhaltenden Wachstums                geschlossenen Bildungsjahr das persönliche
       der Bevölkerung allerdings kaum zu schaffen sein.29 Trotzdem stellen die Ziele           Lebenseinkommen um etwa zehn Prozent.18
       der Weltgemeinschaft auch eine Verpflichtung für die Länder Afrikas südlich der
       Sahara dar, bis ins Jahr 2030 große Anstrengungen zu unternehmen, um den                 • Wachsende Volkswirtschaften
       SDG-Bildungszielen möglichst nahe zu kommen. Den reicheren Ländern entsteht              Bildungsökonomen sind sich einig: Zusätzli-
       aus der 2030-Agenda die Verantwortung, die Länder Afrikas zu unterstützen.               che Bildungsjahre einzelner Personen können

    Bildung zahlt sich aus
    In keiner Region der Welt fällt der monetäre Nutzen von       Welt
    Bildung höher aus als in Subsahara-Afrika. Dort steigt mit
    jedem abgeschlossenen Schuljahr das Lebenseinkommen           Subsahara-
    um zwölf Prozent. Das liegt vor allem daran, dass der         Afrika
    Bildungsstand in den Ländern südlich der Sahara insgesamt
    niedriger ist als in allen anderen Weltregionen, höhere
    Bildung also besonders privilegiert. In manchen Ländern       Südasien
    der Region sind die Effekte sogar noch deutlich größer.
    In Ruanda etwa bringt jedes zusätzliche Bildungsjahr ein
    Lebenseinkommensplus von etwa 22 Prozent. Ähnlich hoch        Nahost und
    sind die Werte in Südafrika, Äthiopien und Namibia. Frauen    Nordafrika
    profitieren stärker von einer höheren Bildung als Männer.30
                                                                  Lateinamerika
    Durchschnittlicher Anstieg des Lebenseinkommens je            und Karibik
    zusätzlich abgeschlossenem Schuljahr nach Weltregionen
    und Geschlecht, in Prozent, 2014                              Europa und
    (Datengrundlage: Montenegro & Patrinos31)                     Zentralasien

        Frauen                                                    Ostasien
                                                                  und Pazifik
        Männer                                                                                                                   in Prozent
        Gesamt                                                                    0   2     4    6        8        10       12           14

8     Education first!
zusammengenommen zu einem höheren                      Speziell die Bildung von Frauen ist dabei          Vorteilhafte Altersstruktur
Wirtschaftswachstum und einem höheren                  entscheidend, denn sie bestimmt wesentlich
Pro-Kopf-Einkommen beitragen.19 Menschen               über die Gesundheit ganzer Familien. Wenn          Mit ihrem großen Einfluss auf Kindergesund-
mit Schul- bzw. Hochschulbildung gründen               Frauen eine Sekundarschulbildung erhalten,         heit und Kinderzahlen trägt Bildung dazu bei,
nicht nur häufiger Unternehmen und schaffen            ist das Risiko, dass ihre Kinder vor dem fünf-     einen demografischen Übergang von starkem
damit Arbeitsplätze, sie sind meist auch inno-         ten Lebensjahr sterben, deutlich geringer als      Bevölkerungswachstum zu immer niedrige-
vativer und entwickeln eher neue Ideen und             auf niedrigeren Bildungsstufen.23 Das wirkt        ren Wachstumsraten in Gang zu setzen. Ein
Technologien.20, 21                                    sich auch auf die Familiengröße aus: Je höher      verlangsamtes Bevölkerungswachstum ist
                                                       die Überlebenswahrscheinlichkeit des Nach-         eine Grundbedingung für bessere Entwick-
• Bessere Gesundheit,                                  wuchses, desto eher entscheiden sich Eltern        lungsmöglichkeiten in den afrikanischen
geringere Kindersterblichkeit                          dafür weniger Kinder zu bekommen.24                Ländern südlich der Sahara. Denn derzeit er-
Wenn Männer und Frauen höhere Einkommen                                                                   schweren die rasant wachsenden Einwohner-
erzielen, steht ihnen mehr Geld zur Verfü-             • Sinkende Geburtenziffer                          zahlen die Versorgung mit Nahrungsmitteln,
gung, das sie für ein gesundes Leben aufwen-           Bildung trägt nicht nur indirekt durch eine        Infrastruktur und Arbeitsplätzen.
den können – also für nahrhafte Lebensmit-             niedrigere Kindersterblichkeit zu kleineren
tel, Arztbesuche oder Medikamente. Mit dem             Familien bei. Sie wirkt auch unmittelbar auf       Vielleicht noch entscheidender für den
Bildungsstand steigt zudem die Fähigkeit               die Geburtenziffer ein: Je länger Mädchen          sozioökonomischen Fortschritt ist jedoch
zum abstrakten Denken und damit auch das               und junge Frauen zur Schule gehen, desto           der Wandel der Altersstruktur in einer Ge-
Verständnis für medizinische Zusammenhän-              älter sind sie im Schnitt, wenn sie heiraten       sellschaft, der mit dem demografischen
ge. Das beeinflusst wiederum, welche Ent-              und Mütter werden.25 Zudem wünschen sich           Übergang einhergeht. Denn wenn weniger
scheidungen Menschen im Hinblick auf ihre              gebildete Frauen tendenziell weniger Nach-         Kinder zur Welt kommen, verschiebt sich
Gesundheit treffen und inwiefern sie in der            wuchs und können diesen Wunsch auch eher           der Schwerpunkt der Bevölkerung in höhere
Lage sind, Risiken zu verringern und Krank-            umsetzen – unter anderem, weil sie meist           Lebensjahre und der Anteil der Menschen im
heiten vorzubeugen.22                                  besser über Methoden zur Familienplanung           Erwerbsalter nimmt überproportional zu. Da-
                                                       informiert sind.26                                 durch stehen der Wirtschaft mehr Menschen

   Durchschnittliche Kinderzahl je Frau
    8
                                      Niger
                                                                                                                      Mehr Gleichberechtigung,
                                                                                                                      weniger Nachwuchs
    7
                                                                                                                      Wo Frauen sozioökonomisch benach-
                                                                          Burundi                                     teiligt werden, bringen sie im Verlaufe
    6                                                                                                                 ihres Lebens viele Kinder zur Welt. Mit
                                                                                                                      wachsendem Bildungsgrad bevorzugen
              Afghanistan                                                                                             Frauen kleinere Familien. Auch sind
    5                                                                                                                 gebildete Frauen eher in der Lage, ihre
                                                                                                                      Interessen gegenüber ihren Partnern
                                                                                                                      durchzusetzen, vor allem, wenn sie
                                                                                                                      zum Haushalteinkommen beitragen.
    4                                                                                                                 Das ist wichtig, denn in vielen Entwick-
                                                                                                                      lungsländern wünschen sich Frauen
                                                                                                                      weniger Kinder als ihre Partner.32
    3
                                                                                              Mongolei                Durchschnittliche Kinderzahl je Frau
                                                                                                                      (2010 bis 2015) in Abhängigkeit der
                                                       Indien
                                                                                                                      Geschlechtergerechtigkeit nach dem
    2
                                                                                                                      Gender Development Index (2015)
                                                                                                Estland               (Datengrundlage: UNDESA33, UNDP34)

    1
        0,6         0,65    0,7           0,75   0,8      0,85      0,9      0,95      1,0      1,05       1,1
                                                                                    Gender Development Index

                                                                                                                                            Berlin-Institut      9
Sekundarbildung bringt                    Kinder pro Frau
 den größten Unterschied                                                                               Würde es den Ländern südlich der Sahara ge-
                                                                                                       lingen, durch sinkende Kinderzahlen eine vor-
 Gebildete Frauen bekommen weniger
 Kinder als ungebildete – besonders
                                            7                                                          teilhafte Altersstruktur zu erreichen und die-
 wenn sie nach der Grundschule auch                                                                    sen Bonus in eine Dividende zu verwandeln,
 eine weiterführende Schule besucht         6                                                          hätten sie eine Chance auf eine sich selbst
 haben. In Niger, Mali und Mauretanien                                                                 verstärkende, positive Entwicklung nach dem
 etwa bekommen Frauen mit einem
 höheren Sekundarschulabschluss im          5
                                                                                                       Vorbild der asiatischen Tigerstaaten. Notwen-
 Schnitt weniger als halb so viel Nach-                                                                dig sind dafür Bildungsinvestitionen, denn
 wuchs wie jene, die nie eine Schule                                                                   diese tragen maßgeblich dazu bei, dass die
 besucht haben.35                           4
                                                                                                       Geburtenziffer sinkt und ein demografischer
 Durchschnittliche Kinderzahl pro Frau                                                                 Bonus überhaupt entsteht.
 nach Bildungsabschluss, 2010 bis 2015      3
 (Datengrundlage: Wittgenstein Centre36)                                                               Am Scheideweg
                                            2
     ohne Schulbildung
                                                                                                       Eine solche Entwicklung ist jedoch kein
     Grundschulbildung
                                            1
                                                                                                       Selbstläufer. Dies zeigen die meisten Länder
     untere Sekundarschulbildung
                                                                                                       im Nahen Osten und Nordafrikas (Mena), wo
     höhere Sekundarschulbildung
                                                                                                       seit Jahren zwar die formalen Bildungswerte
                                            0
                                                      Niger           Mali        Mauretanien          gestiegen und die Geburtenziffern gesunken
                                                                                                       sind, aus dem demografischen Bonus aber
                                                                                                       keine Dividende entstanden ist. Dort ist es
                                                                                                       bislang nicht gelungen, die große Zahl an jun-
                                                                                                       gen und tendenziell besser gebildeten Men-
                                                                                                       schen in Arbeit zu bringen.45
 zur Verfügung, die arbeiten und produktiv             und erreichte auf diesem Wege, dass die
 sein können, während die Zahl der zu versor-          durchschnittliche Kinderzahl pro Frau binnen    Das Beispiel der Mena-Länder verdeutlicht,
 genden Kinder und Jugendlichen abnimmt.               30 Jahren von 6,3 auf 1,6 sank.39 Ausländi-     dass höhere formale Bildungswerte alleine
 Diese Altersstruktur wird als demografischer          sche Investoren schufen zudem Tausende          keine Garantie für tatsächliche Entwicklungs-
 Bonus bezeichnet.37                                   von Arbeitsplätzen in der Massenfertigung       fortschritte sind. Entscheidend ist nicht nur,
                                                       und sorgten so dafür, dass die vielen, halb-    dass die Fähigkeiten der Menschen durch
 Dem Weg der Tiger folgen                              wegs gut gebildeten Erwerbsfähigen bezahlte     qualitativ hochwertige Bildung verbessert
                                                       Arbeit fanden.40                                werden, sondern auch, dass dieses Human-
 Bei guten politischen und wirtschaftlichen                                                            vermögen volkswirtschaftlich zum Einsatz
 Rahmenbedingungen lässt sich dieser Bonus             Mit steigendem Wohlstand investierten El-       kommt.46 Dafür sind zum einen ausreichend
 in einen erheblichen und lange anhaltenden            tern und Staat wiederum mehr in die Bildung     Arbeitsplätze notwendig und zum anderen
 Entwicklungsschub überführen, die soge-               der kleiner werdenden Nachwuchsjahrgän-         Bildungssysteme, die sich an den Bedürfnis-
 nannte demografische Dividende. Ökono-                ge. Diese konnten dann Schritt für Schritt in   sen der Arbeitgeber orientieren. Nur dann
 men zufolge lässt sich der wirtschaftliche            produktivere Industriebereiche mit höherer      kann mehr Bildung langfristig auch zu bes-
 Aufschwung asiatischer Tigerstaaten wie               Wertschöpfung aufsteigen. Heute gehört Süd-     seren Lebensbedingungen, mehr Wohlstand
 Südkorea, Singapur oder Taiwan zu großen              korea zu den führenden Industrienationen.41     und politischer Stabilität führen.47
 Teilen auf die Nutzung des demografischen             Dies war der Entwicklungsweg, dem später
 Bonus zurückzuführen.38 Die wirtschaftliche           alle asiatischen Tigerstaaten folgten. Selbst   Die Länder Subsahara-Afrikas stehen damit
 Lage Südkoreas etwa war nach dem Ende                 Länder wie Bangladesch, Vietnam oder Kam-       an einem Scheideweg. Sie benötigen zum
 des Korea-Krieges 1953 ähnlich schlecht wie           bodscha, die allesamt schlechtere Startbedin-   einen massive Anstrengungen im Bildungs-
 in vielen afrikanischen Ländern heute. Die            gungen hatten als viele afrikanische Staaten    sektor, damit bereits kurzfristig die Gebur-
 südkoreanische Regierung investierte gezielt          heute, haben so einen Ausweg aus dem            tenziffern sinken und mittelfristig ein demo-
 in Bildung und Familienplanungsprogramme              Kreislauf von hohem Bevölkerungswachstum,       grafischer Bonus entsteht. Sie brauchen zum
                                                       Armut und Perspektivlosigkeit gefunden.42

10 Education first!
anderen (Auslands-)Investitionen um Be-
schäftigung und Einkommensmöglichkeiten                    BEDEUTET MEHR BILDUNG WENIGER MIGRATION?
zu schaffen. Damit diese Investitionsmittel
fließen, ist wiederum ein ausreichender, auf               Bildung befähigt Menschen dazu, sich von Armut zu befreien und die eigene
die Ansprüche von Unternehmen ausgerich-                   Lebenssituation zu verbessern. Bildungsinvestitionen scheinen deshalb ein gutes
teter und steigender Bildungsstand in der                  Instrument zu sein, um den Migrationsdruck auf dem afrikanischen Kontinent zu
erwerbsfähigen Bevölkerung notwendig. Bil-                 mindern. Denn wenn Menschen eine Perspektive auf ein gutes Leben in ihrer Hei-
dung steht damit im Zentrum aller Fragen von               mat haben, werden sie nach dieser Vorstellung kaum den Wunsch hegen, diese
Entwicklung und politischer Stabilität.                    zu verlassen und anderswo, etwa in den wohlhabenderen europäischen Ländern,
                                                           eine Zukunft zu suchen. Die Realität sieht jedoch meist anders aus: Tendenziell
                                                           steigt mit dem Bildungsstand die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen migrieren.48
                                                           Denn gebildete Menschen haben bessere Aussichten auf ökonomischen Erfolg in
                                                           einem anderen Land und verfügen eher über die notwendigen finanziellen Mittel,
                                                           um auszuwandern.49 Eine von 2010 bis 2015 weltweit erhobene Umfrage des
                                                           amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Gallup zeigt: Am höchsten ist der
                                                           Migrationswunsch unter jungen Menschen, die mindestens eine Sekundarschule
                                                           abgeschlossen haben.50 Mehr Bildung für Afrika könnte die Zahl der potenziellen
                                                           Migranten perspektivisch also erhöhen. Dennoch sind Investitionen im Bildungs-
                                                           sektor dringend geboten und ohne Alternative. Denn ohne Bildung ist die Aus-
                                                           sicht auf einen soziökonomischen Wandel in der Region nahezu ausgeschlossen.
                                                           Konflikte, Kriege und Flucht wären zwangsläufige Folgen.

Länder südlich der Sahara noch am
Anfang des demografischen Übergangs
                                                                                                                  USA China
Alle Länder der Welt durchlaufen im Zuge ihrer                                                                                       Deutschland
sozioökonomischen Entwicklung den demografischen
Übergang. In dessen Phase 1 liegen sowohl Sterbe- wie
                                                                                             Brasilien                        Bevölkerung
auch Geburtenrate auf hohem Niveau und die Bevölke-
rung wächst kaum. In Phase 2 sinkt durch verbesserte
Lebensbedingungen zunächst die Sterberate, insbeson-
dere von Kindern, weshalb die Bevölkerung stark wächst.                                  Ägypten
Dieser Entwicklung folgt in Phase 3 ein Rückgang der
Geburtenrate. In Phase 4 pendeln sich Geburten- und
Sterberate auf einem niedrigeren Niveau ein und das                         Senegal
Bevölkerungswachstum kommt zum Erliegen. Die Länder
Subsahara-Afrikas stehen überwiegend am Anfang dieser
Entwicklung. Die Sterberate in der Region hat sich seit
den 1970er Jahren zwar bereits halbiert. Die Geburten-
rate sinkt jedoch sehr langsam – in vielen Ländern sogar
deutlich langsamer als zuvor in anderen Weltregio-                               Niger
nen.43 Das Ergebnis ist ein anhaltend hohes Bevölke-
rungswachstum. Bis zur Mitte des Jahrhunderts wird
Subsahara-Afrika im Schnitt um 35 Millionen Menschen                                                                           Sterberate
jährlich wachsen. Das entspricht in etwa der zweifachen
heutigen Bevölkerung der Niederlande.44
                                                                                                                              Geburtenrate
Schematische Darstellung der Entwicklung von Gebur-
ten- und Sterberaten sowie der Gesamtbevölkerung in        Phase 1          Phase 2           Phase 3          Phase 4          Phase 5
Abwesenheit von Migration
(eigene Darstellung)

                                                                                                                               Berlin-Institut 11
2                         SAHEL – WO ES AM MEISTEN
                            AN BILDUNG MANGELT
 Die Bewohner der sogenannten Sahelzone
 müssen sich im Vergleich zu allen ande-
                                                          entwickelten Ländern weltweit. Unterschied-
                                                          liche Faktoren tragen zu dieser schlechten
                                                                                                          Frauen im reproduktiven Alter zwischen 15
                                                                                                          und 49 Jahren in den sieben Ländern, waren
 ren Regionen Afrikas mit den schlechtesten               Situation in den sieben Ländern bei:            es 2017 mit rund 65 Millionen mehr als vier-
 Lebensbedingungen zufrieden geben – und                                                                  mal so viele.4 Zudem werden Frauen in der
 zwar in beinahe jeder Hinsicht.1 Die hier be-             Höchstes Bevölkerungswachstum                  Sahelregion häufig bereits in jungen Jahren
 trachteten Länder an den südlichen Ausläu-               weltweit                                        Mütter. In Niger und Tschad etwa, wo rund
 fern der Sahara, Burkina Faso, Mali, Maureta-                                                            drei Fünftel der Bevölkerung unter 20 Jahre
 nien, Niger, Senegal und Tschad, gehören zu              Heute leben 285 Millionen Menschen in die-      alt sind, bekommen Frauen im Schnitt ihr ers-
 den ärmsten und am wenigsten entwickelten                sem Teil der Sahelregion, davon mit etwa        tes Kind mit 18 Jahren.5, 6, 7
 Ländern der Welt. Alle sechs zählen zu den               190 Millionen rund zwei Drittel in Nigeria.
 Staaten mit dem sozioökonomischen Status                 Seit die Länder in den 1960er Jahren ihre Un-   Durch das hohe Bevölkerungswachstum
 „niedrigster menschlicher Entwicklung“. Bur-             abhängigkeit erlangt haben, hat sich die Be-    dürfte sich die Zahl der Menschen in den sie-
 kina Faso, Tschad und Niger belegen im Index             völkerung mehr als vervierfacht.3 Das rasante   ben Sahelländern künftig etwa alle 30 Jahre
 der Menschlichen Entwicklung der Vereinten               Bevölkerungswachstum dürfte sich auch in        verdoppeln und auf 640 Millionen im Jahr
 Nationen die Ränge 185 bis 187 von insge-                Zukunft fortsetzen, denn mit durchschnittlich   2050 respektive auf 1,3 Milliarden bis zum
 samt 188 Ländern.2 Auch das im Vergleich                 fünf Kindern bekommen Frauen in der Region      Ende des Jahrhunderts ansteigen.8 Gemessen
 dazu deutlich wohlhabendere Nigeria, das                 heute nur etwa zwei Kinder weniger als vor      an dem Entwicklungsstand der dortigen Ge-
 aufgrund seiner wirtschaftlichen und demo-               50 Jahren. Während die Geburtenziffer im        sellschaften übersteigt die Bevölkerungszahl
 grafischen Bedeutung in der Region Teil die-             Sahel also nur sehr langsam gesunken ist, hat   des Sahel schon heute die Tragfähigkeit der
 ser Analyse ist, gehört zu den am wenigsten              die Zahl der potenziellen Mütter deutlich zu-   Gebiete. Dieses Problem dürfte sich künftig
                                                          genommen: Lebten 1960 etwa 16 Millionen         massiv verschärfen.9

 Im Blickpunkt: die frankophonen
 Sahelländer und Nigeria
 „Sahel“ bezeichnet die Region am Übergang der               Sahara
 Wüstenlandschaft Sahara hin zu den im Süden                 Sahel
 angrenzenden Savannen- und Steppengebieten. Der
 Sahel erstreckt sich auf einer Gesamtfläche von über
 drei Millionen Quadratkilometern wie ein Band vom
 Atlantischen Ozean bis zum Roten Meer.10 Da sich die
 Gebietsabgrenzung auf klimatische und ökologische
 Faktoren bezieht, werden häufig unterschiedliche
 Staaten als „Sahelländer“ bezeichnet.11 In dieser
 Studie sind damit die sechs frankophonen Länder
 Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger, Senegal
 und Tschad gemeint, die allesamt Anrainer dieser
 Naturregion sind. Als einziger nicht-frankophoner
 Anrainer-Staat ist Nigeria ebenfalls Teil der Betrach-
 tung, da das Land als bevölkerungsreichstes Afrikas
 und als größte Volkswirtschaft des Kontinents großen
 Einfluss auf die übrigen Sahelländer hat.

12 Education first!
Schwache Volkswirtschaften                          Die Volkswirtschaften der Sahelzone wach-                  Risikostufe. Niger, Tschad und Senegal gelten
                                                      sen im Vergleich zur Einwohnerzahl nicht nur               sogar als Länder mit sehr hohem Risiko.18
In den vergangenen Jahrzehnten verzeich-              viel zu langsam, ihre Wachstumsmodelle sind
neten die Sahelländer ein vergleichsweise             darüber hinaus sehr krisenanfällig: Es man-                Klimaforschern zufolge dürften bis 2050 die
hohes Wirtschaftswachstum, wenn auch                  gelt an einer wettbewerbsfähigen Industrie,                mittleren Temperaturen in der Sahelzone um
mit starken jährlichen Schwankungen. Im               die den Ländern zu Produktivkraft verhelfen                durchschnittlich drei bis fünf Grad steigen.19
Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2015 ist die          würde. Stattdessen fußt das Wirtschafts-                   Dadurch verschärft sich das Risiko extremer
Wirtschaft der Länder zwischen vier Prozent           wachstum nahezu ausschließlich auf der                     Wetterereignisse wie Dürren und Über-
(Mali) und knapp sechs Prozent (Nigeria) pro          Extraktion von Rohstoffen, durch die kaum                  schwemmungen. Gleichzeitig nehmen durch
Jahr gewachsen.13                                     Arbeitsplätze entstehen und deren Export-                  weiter voranschreitende Wüstenbildung und
                                                      preise den Schwankungen des Weltmarktes                    Landdegradation auch die Herausforderun-
Das hohe Bevölkerungswachstum zehrt die-              unterworfen sind.16 In vielen Sahelstaaten                 gen bei der Nahrungsmittelproduktion zu –
se Erfolge derzeit jedoch zu großen Teilen            ist die Landwirtschaft nach wie vor der größ-              mit schweren Folgen für die Gesundheit und
auf. Im gleichen Zeitraum sind die Pro-Kopf-          te Sektor und sorgt für mehr als die Hälfte                die Überlebensmöglichkeiten der Menschen
Einkommen nur zwischen 0,5 Prozent (Mali)             aller Arbeitsplätze, teilweise sogar für drei              in der Region.20 Treffen Klimawandel und ra-
und zwei Prozent (Niger) gestiegen.14 Der             Viertel.17                                                 pides Bevölkerungswachstums aufeinander,
wirtschaftliche Fortschritt fällt damit viel zu                                                                  wird eine Verknappung von Nahrungsmitteln
gering aus, um die Länder in den kommenden             Klimatische Extreme                                       wahrscheinlich und die Überlebenschancen
Jahrzehnten aus der absoluten Armut zu füh-                                                                      der Menschen sinken.21
ren. Selbst in Nigeria, wo das Bruttoinlands-         Die Länder der Sahelzone leiden seit jeher
produkt pro Kopf das Zwei- bis Sechsfache             unter extremen klimatischen Bedingun-                         Politische Instabilität und Konflikte
der anderen Sahelländer erreicht, beträgt die         gen. Im jährlich erhobenen Weltrisikoindex,
Wirtschaftsleistung je Einwohner gerade ein-          der die Gefahr von Naturkatastrophen wie                   Bei einer solchen Entwicklung dürften künftig
mal ein Drittel des Wertes in Bulgarien – dem         Dürren, Überflutungen oder Stürmen misst                   Verteilungskonflikte und soziale Spannungen
ärmsten Land der EU.15                                sowie die Fähigkeit eines Landes, mit die-                 weiter zunehmen – in einer Region, die schon
                                                      sen Herausforderungen umzugehen, landen                    heute von Konflikten und politischer Instabi-
                                                      vier der sieben Sahelländer auf einer hohen                lität geprägt ist. Auseinandersetzungen um

                                         in Prozent
                                         20
Berg- und Talfahrten                                        Beginn Ölförderung                                                                                Senegal
                                                            in Mauretanien
Die Volkswirtschaften der Sahelländer                                                                                                                         Mali
sind wenig diversifiziert und stützen                                                                 Ölpreisanstieg,                                         Burkina Faso
sich maßgeblich auf die Extraktion von                                                                erntereiches Jahr
                                                                                                      in Tschad                                               Niger
Rohstoffen und die Produktion des        15
                                                                                                                           Eröffnung neuer                    Subsahara-Afrika
Agrarsektors. Das macht sie anfällig
gegenüber Veränderungen der globa-                                                                                         Uranmine und                       Nigeria
                                                                                                                           Ölraffinerie in Niger
len Rohstoffpreise und den lokalen                                                                                                                            Tschad
Wetterverhältnissen. Starke Schwan-                                              erntereiches                                                                 Mauretanien
kungen der jährlichen Wachstumsraten                                             Jahr in Niger
                                         10
verdeutlichen dieses Abhängigkeits-
verhältnis. Darüber hinaus hemmt die
prekäre Sicherheitssituation in vielen
Ländern der Sahelzone die wirtschaft-
liche Leistungsfähigkeit.31
                                          5
Jährliche Wachstumsraten des realen
Bruttoinlandprodukts in den Sahellän-
dern, in Prozent, 2005 bis 2015
(Datengrundlage: Weltbank32)
                                                                                                                                                          Ölpreisverfall
                                          0
                                              2005       2006       2007      2008         2009      2010       2011      2012       2013          2014       2015
                                                          politische Unruhen                Ölpreisverfall                Tuareg-Rebellion
                                                          und Stagnation der                durch Finanzkrise             in Mali
                                                          Ölförderung in Tschad

                                                                                                                                                          Berlin-Institut 13
Land und andere Ressourcen sowie Span-            Wachsender Migrationsdruck                     Irak mit 128.000 Asylanträgen ist ihre Zahl
 nungen zwischen unterschiedlichen ethni-                                                         damit verhältnismäßig gering. Aus diesen
 schen und religiösen Gruppen haben seit           Die Kombination aus wachsender Bevölke-        drei Hauptherkunftsländern von Geflüchteten
 Jahrzehnten eine destabilisierende Wirkung        rung und den Folgen den Klimawandels dürf-     kamen zusammen neunmal mehr Menschen
 im Sahel.22 Die Rebellion der Tuareg, die im      te dazu führen, dass künftig viele Bewohner    als aus den Ländern der Sahelregion.29 Ein
 Norden Malis 2012 zu gewaltsamen Konflik-         der Sahelländer ihre Heimat verlassen. Nach    Vergleich zum Jahr 2010 zeigt jedoch, dass
 ten führte, ist ein Beispiel dafür. Außerdem      Einschätzungen von Forschern der Universi-     Europa zunehmend zum Ziel von Asylsuchen-
 tragen schwache Institutionen und schlechte       tät von Kalifornien könnten sich künftig bis   den aus den Sahelländern wird: Mit 11.000
 Regierungsführung zu einem Vertrauensver-         zu 100 Millionen Menschen dazu gezwungen       Neuanträgen lag deren Zahl damals bei
 lust der Menschen in die Politik bei.23           sehen, in andere afrikanische Länder auszu-    knapp einem Siebtel des heutigen Werts.30
                                                   wandern oder in Europa eine neue Perspekti-
 Schwache staatliche Strukturen verschaffen        ve zu suchen.27                                Am wenigsten entwickelt,
 kriminellen Gruppen Raum für Menschen-,                                                          am schlechtesten gebildet
 Drogen- und Waffenhandel, was für zusätzli-       Derzeit noch lassen sich die meisten Mig-
 che Unsicherheit in der Sahelregion sorgt.25      ranten aus den Sahelländern innerhalb der      Wenn man im Falle Subsahara-Afrikas von
 Mangelnde Perspektiven, Armut, Korruption         Region oder in den angrenzenden Nachbar-       einer Bildungskrise spricht, muss man bei den
 und fehlendes Vertrauen in die Politik bieten     staaten nieder.28 Sowohl die legale Zuwan-     Sahelländern von einer regelrechten Bildungs-
 zudem Nährboden für die Ausbreitung ra-           derung nach Europa, wie auch die Asylbe-       katastrophe sprechen. Insgesamt können in
 dikaler Gruppen. Die Schreckensherrschaft         werberzahlen aus dem Sahel in Europa sind      den sieben Ländern nach Schätzungen der
 islamistischer Gruppen wie Boko Haram im          dagegen noch vergleichsweise niedrig. Im       Unesco rund 70 Millionen Menschen nicht le-
 Norden Nigerias, deren Gewalt sich auch auf       Jahr 2016 erhielten aus den sieben Ländern     sen und schreiben. Das gilt auch für knapp die
 die Nachbarländer Tschad, Niger und Kame-         rund 43.000 Personen einen legalen Aufent-     Hälfte der Jugendlichen zwischen 15 und 24
 run ausbreitet, verschlimmert die ohnehin         haltstitel aus Familiengründen, zur Bildung    Jahren.33 Letzteres ist besonders besorgniser-
 schwierige Lage in der Region immer weiter.       und zur Erwerbstätigkeit. 70.000 Menschen      regend. In vielen Ländern Subsahara-Afrikas
 Insgesamt wurden bislang fünf Millionen           stellten einen Antrag auf Schutz in Europa –   ist die Analphabetenquote der derzeitigen
 Menschen in der Region durch die Gewalt           zwei Drittel davon aus Nigeria. Im Vergleich   Erwachsenengeneration zwar ebenfalls hoch,
 von Boko Haram vertrieben, etwa zwei Millio-      zu anderen Herkunftsländern wie Syrien         dort weisen die nachrückenden Generationen
 nen davon allein in Nigeria.26                    mit 337.000, Afghanistan mit 186.000 und       dagegen deutlich bessere Bildungsergebnisse
                                                                                                  auf. In der Sahelzone scheint es aber bislang
                                                                                                  kaum Verbesserungen zu geben. Die gesamte
                                                                                                  Sahelzone steckt in einem fatalen Kreislauf
     DIE BILDUNGSSYSTEME DER FRANKOPHONEN SAHELLÄNDER                                             aus schlechten Bildungs- und Gesundheits-
                                                                                                  werten, schwacher wirtschaftlicher Leistungs-
     In den ehemaligen französischen Kolonien Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Ni-                fähigkeit, politischer Fragilität und hohem
     ger, Senegal und Tschad sind die öffentlichen Bildungssysteme an das dreistufige             Bevölkerungswachstum, welches die Lösung
     französische System von école élementaire (Grundschule, 6 Jahre), collège (unte-             aller Probleme erschwert. Neben einer Basis-
     re Sekundarstufe, 4 Jahre) und lycée (höhere Sekundarstufe, 3 Jahre) angelehnt.35            bildung für breite Bevölkerungskreise fehlt es
                                                                                                  auch qualifizierten Hochschulabsolventen, die
     In der Regel werden Kinder im Alter von fünf bis sechs Jahren eingeschult. In allen          für den Aufbau moderner Wirtschaftsstruktu-
     Sahelländern besteht eine offizielle Schulpflicht, die zwischen acht und elf Jahren          ren sorgen könnten.
     dauert und überwiegend auch die untere Sekundarstufe umfasst.36 Allerdings
     durchläuft nur ein geringer Teil der Schüler auch tatsächlich die formal vorge-              Dauerhaft ließe sich der Kreislauf nur durch
     schriebene Zahl an Schuljahren. Offiziell ist der Bildungszugang mindestens bis              Bildung durchbrechen. Ohne Bildung können
     zum Ende der unteren Sekundarstufe in allen Ländern der Region kostenfrei.37 Da              keine privatwirtschaftlichen Unternehmen
     viele öffentliche Schulen jedoch unterfinanziert sind, ist davon auszugehen, dass            entstehen, keine Arbeitsplätze, keine Einkom-
     einige Kosten, wie etwa die Löhne der Lehrer, teilweise auch informell von den               mensmöglichkeiten, vielmehr bleiben immer
     Eltern getragen werden.                                                                      mehr Menschen von der gesellschaftlichen
                                                                                                  Teilhabe ausgeschlossen. Erfahrungsgemäß
                                                                                                  verharren unter diesen Bedingungen auch die
                                                                                                  Geburtenziffern auf hohem Niveau.34

14 Education first!
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