Education first! Bildung entscheidet über die Zukunft Sahel-Afrikas - Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
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Education first! Bildung entscheidet über die Zukunft Sahel-Afrikas te +++ kaum Berufs- und Hochschulbildung +++ Ungleichheiten beim Bildungszugang +++ wachsender Migrationsdruck +++ fehlendes Humanvermögen +++ ra erspektiven +++ zu wenig qualifizierte Lehrer +++ Konflikte verstärken Bildungsmisere +++ Bildungsausgaben nicht ausreichend +++ höchste Kinderzahlen wel
Impressum Über das Berlin-Institut Originalausgabe November 2017 Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist ein unab- hängiger Thinktank, der sich mit Fragen regionaler und globaler © Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung demografischer Veränderungen beschäftigt. Das Institut wurde 2000 als gemeinnützige Stiftung gegründet und hat die Aufgabe, das Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auch auszugsweise Verwertung Bewusstsein für den demografischen Wandel zu schärfen, nachhaltige bleibt vorbehalten. Entwicklung zu fördern, neue Ideen in die Politik einzubringen und Konzepte zur Lösung demografischer und entwicklungspolitischer Herausgegeben von Probleme zu erarbeiten. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Schillerstraße 59 In seinen Studien, Diskussions- und Hintergrundpapieren bereitet das 10627 Berlin Berlin-Institut wissenschaftliche Informationen für den politischen Telefon: (030) 22 32 48 45 Entscheidungsprozess auf. Telefax: (030) 22 32 48 46 E-Mail: info@berlin-institut.org Weitere Informationen, wie auch die Möglichkeit, den kostenlosen www.berlin-institut.org regelmäßigen Newsletter „Demos“ zu abonnieren, finden Sie unter www.berlin-institut.org. Das Berlin-Institut finden Sie auch bei Facebook und Twitter (@berlin_institut) Unterstützen Sie die unabhängige Arbeit des Berlin-Instituts Design: Jörg Scholz (www.traktorimnetz.de) Layout und Grafiken: Christina Ohmann (www.christinaohmann.de) Das Berlin-Institut erhält keinerlei öffentliche institutionelle Unter- Druck: Laserline Berlin stützung. Projektförderungen, Forschungsaufträge, Spenden und Zustiftungen ermöglichen die erfolgreiche Arbeit des Instituts. Das Einige thematische Landkarten wurden auf Grundlage des Programms EasyMap der Berlin-Institut ist als gemeinnützig anerkannt. Spenden und Zustiftun- Lutum+Tappert DV-Beratung GmbH, Bonn, erstelllt. gen sind steuerlich absetzbar. ISBN: 978-3-946332-95-4 Im Förderkreis des Berlin-Instituts kommen interessierte und enga- gierte Privatpersonen, Unternehmen und Stiftungen zusammen, die bereit sind, das Berlin-Institut ideell und finanziell zu unterstützen. Die Autoren Informationen zum Förderkreis finden Sie unter http://www.berlin- institut.org/foerderkreis-des-berlin-instituts.html Alisa Kaps, 1991, Masterstudium in Wirtschafts- und Sozialgeographie an der Uni- versität Salzburg. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Institut für Bevölkerung Bankverbindung: und Entwicklung. Bankhaus Hallbaum IBAN DE50 2506 0180 0020 2864 07 Alexandra Reinig, 1989, Masterstudium in Soziologie an der Universität Bielefeld. BIC/SWIFT HALLDE2H Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Ruth Müller, 1984, Masterstudium in Osteuropastudien an der Freien Universität Berlin. Ressortleiterin Internationale Demografie am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Dr. Reiner Klingholz, 1953, Promotion im Fachbereich Chemie an der Universität Hamburg, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Das Berlin-Institut dankt dem Auswärtigen Amt für die Finanzierung des Projekts. Für den Inhalt der Studie trägt das Berlin-Institut die alleinige Verantwortung.
INHALT Ohne Bildung keine Perspektiven..........................................................................................................2 Das Wichtigste in Kürze...........................................................................................................................4 1 | Warum Bildung für Afrika wichtig ist...........................................................................................6 2 | Sahel – wo es am meisten an Bildung mangelt........................................................................12 2.1 Burkina Faso...................................................................................................................... 21 2.2 Mali.....................................................................................................................................22 2.3 Mauretanien......................................................................................................................24 2.4 Niger...................................................................................................................................26 2.5 Nigeria ...............................................................................................................................28 2.6 Senegal .............................................................................................................................31 2.7 Tschad................................................................................................................................32 Die Sahelländer im Überblick...............................................................................................................34 3 | Was tun?............................................................................................................................................35 Quellen....................................................................................................................................................40 Berlin-Institut 1
OHNE BILDUNG KEINE PERSPEKTIVEN Afrika südlich der Sahara steht schon lange dürfte der Klimawandel die Bedingungen für Warum aber blieben die Erfolge in Afrika aus, im Fokus der Entwicklungszusammenarbeit, die lokale Landwirtschaft, den Hauptarbeit- während viele asiatische Länder in den ver- aus guten Gründen: Zwar konnten einzelne geber in diesen Ländern, massiv erschweren. gangenen Jahrzehnten eine ganz andere Ent- Länder in der jüngeren Vergangenheit ökono- wicklungsdynamik entfacht haben und längst mische Erfolge erzielen, aber vielerorts fehlt So nachvollziehbar die internationalen In- zu Schwellen- oder gar Industrieländern auf- es an wirtschaftlichem Potenzial jenseits des terventionen sind, eine militärische Unter- gestiegen sind? Staaten wie Südkorea, selbst Rohstoffsektors. Es gibt viel zu wenig Arbeit stützung kann kaum etwas an den eigent- Vietnam oder Bangladesch waren zu Beginn und damit mangelt es an Perspektiven für die lichen Gründen von Perspektivlosigkeit ihrer Entwicklung in einer schlechteren Ver- rasch wachsenden jungen Bevölkerungen. und Migration ändern. Deshalb haben sich fassung als die meisten Staaten südlich der Gerade in dieser Altersgruppe wächst die Deutschland wie auch die Europäische Union Sahara, können aber heute bei den meisten Unzufriedenheit, die sich vermehrt in sozia- und die G20 vorgenommen, die Fluchtursa- sozioökonomischen Indikatoren deutlich len Konflikten niederschlägt. Spätestens seit chen, genau genommen, die Migrationsursa- bessere Resultate vorweisen. Das liegt auch radikale Kräfte an Zulauf gewinnen, die Zahl chen, an der Wurzel zu bekämpfen. Im Kern daran, dass mit der wirtschaftlichen und ge- der Flüchtenden gen Europa steigt und sich bedeutet das, die Länder bei ihrer Entwick- sellschaftlichen Entwicklung überall in den die Menschen einfach aus wirtschaftlicher lung zu unterstützen. Dabei geht es weniger asiatischen Aufsteigerstaaten die Geburten- Not auf den gefährlichen Weg über das Mit- um humanitäre oder Soforthilfe in akuten ziffern sanken und sich das Bevölkerungs- telmeer machen, ist das Thema auch in der Krisenfällen, sondern darum, die wirtschaft- wachstum verlangsamte. Dadurch blieb den Sicherheits- und Außenpolitik angekommen. lichen Rahmenbedingungen für die vor Ort Ländern mehr Geld, um weitere und höher- Die Hilfspolitik der Vergangenheit wandelt lebenden Menschen zu verbessern, damit sie wertige Arbeitsplätze für die nachwachsen- sich seither zu einer strategischen Politik. ihre Länder aus eigener Kraft auf den Weg den Generationen zu schaffen. einer positiven Entwicklung bringen. Damit Die 2016 abgeschlossenen Migrationspart- sie produktiv werden und Unternehmen grün- Der vermutlich wichtigste Unterschied zwi- nerschaften der EU mit einzelnen afrikani- den, Arbeitsplätze, Wohlstand und Sicherheit schen diesen Ländern und den meisten Staa- schen Ländern und die auf dem G20-Gipfel schaffen. ten Afrikas aber liegt im durchschnittlichen in Hamburg beschlossene „Partnerschaft mit Bildungsstand der Bevölkerung. Zahlreiche Afrika“ sind nur ein Zeichen dieser neuen Grenzen der klassischen Studien belegen, dass die Bildung breiter Be- Aufmerksamkeit für Europas Nachbarkon- Entwicklungszusammenarbeit völkerungskreise die Grundlage für eine sozio- tinent im Süden. Auch die Bundeswehr hat ökonomische Entwicklung ist. Staaten können ihre Aufgaben neu definiert und ihre derzeit Genau das war und ist in etwa die Aufgaben- – zumindest vorübergehend – zu Wohlstand größten Kontingente im westafrikanischen beschreibung der jahrzehntelangen deut- gelangen, wenn sie Rohstoffe auf dem Welt- Mali stationiert. Deren Ziel ist es, „dauer- schen und europäischen Entwicklungszu- markt verkaufen. Aber eine dauerhafte wirt- haften Frieden“ wiederherzustellen und für sammenarbeit oder Entwicklungshilfe, wie schaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Stabilität in der Sahelregion zu sorgen.1 Eine sie früher einmal hieß. Nüchtern betrachtet ist keinem Land der Welt jemals ohne massive gewaltige Aufgabe, denn dort liegen die konnten diese Bemühungen allerdings nicht Investitionen in die Bildung gelungen.2 Auch wichtigsten Routen für den Drogen-, Waffen- den Fortschritt erzielen, den man sich von der jüngste Entwicklungsbericht der Welt- und Menschenschmuggel durch die Sahara. ihnen versprochen hatte. Die grundsätzlichen bank, der sich erstmals ausschließlich mit Die politische Lage ist höchst instabil und die Probleme vieler Länder Subsahara-Afrikas diesem Thema befasst, zeigt, welche Perspek- Bevölkerung wird sich je nach Land bis 2050 haben sich seither eher verschärft denn tiven sich gerade für die am wenigsten entwi- verdoppeln bis verdreifachen. Zusätzlich aufgelöst. ckelten Länder durch Bildung ergeben.3 2 Education first!
Großbaustelle Bildung eine spätere berufliche Karriere gilt. Dabei Bildung muss zum einen ein Schwerpunkt in geht es nicht nur um den Erwerb von Wis- afrikanischen Regierungsprogrammen wer- Hier liegt Afrikas größtes Defizit: Der Bil- sensgrundlagen wie Lesen, Schreiben und den. Zum anderen aber muss die internatio- dungsstand in den Ländern südlich der Sa- Rechnen, sondern auch um Schlüsselkom- nale Zusammenarbeit Bildung zu einer zen- hara, insbesondere im Sahel ist schlecht bis petenzen wie die Fähigkeit zu kritischem tralen Aufgabe machen. Diese Kooperation katastrophal. In den Sahelländern können im Denken, zur Lösung von Problemen und sollte weit über die klassische Entwicklungs- Schnitt rund 40 Prozent der erwachsenen Be- Konflikten, also um Voraussetzungen für die zusammenarbeit hinausgehen und auch die völkerung zwischen 25 und 64 Jahren nicht Entwicklung zu einem verantwortungsvol- Ressorts Wirtschaft, Finanzen, Verteidigung lesen und schreiben.4 Auch bei den jüngeren len Weltbürger. Bildung ist das wichtigste und Außenamt mit einbeziehen. Für Deutsch- Nachwuchsjahrgängen, also jenen Menschen, wirtschafts- und sozialpolitische Steuerungs- land wäre es zudem wichtig, sich mit dem die sich über die nächsten Jahrzehnte für ihre instrument. Zudem hat sie einen erheblichen klassischen Partner in der Region Westafrika, Länder verdient machen und ihren Platz in Einfluss auf die demografische Entwicklung, also mit Frankreich, abzustimmen. einer globalen Wissensgesellschaft finden denn Frauen mit Sekundarbildung bekommen müssen, verfügt in manchen Ländern des in den armen Ländern Afrikas nur ein Drittel Der Kontinent ist auf Hilfe von außen ange- Sahel weniger als die Hälfte über derartige bis halb so viele Kinder wie Frauen, die nie wiesen, denn die nötigen Schulen zu bauen, Basisfähigkeiten.5 Aufgrund des heutigen eine Schule besucht haben.7 das Lehrpersonal auszubilden und die Lehr- Bildungsstandes gehen Experten davon aus, materialen bereitzustellen, überfordert die dass diese Länder bis 2030 nicht einmal das Die Ursachen von Flucht und Migration aus Länder, die teilweise zu den ärmsten der Welt Millenniums-Entwicklungsziel der Vereinten Not zu bekämpfen ist deshalb ein langfris- gehören. Schon aus geografischen Gründen Nationen erreichen werden, das eigentlich tiges Geschäft. Bildung kann nicht morgen kann sich Europa nicht von der Entwicklung schon für 2015 auf dem Programm stand, schon die Migrationsströme durch die Sahara in Afrika abkoppeln. „Education First!“ sollte nämlich allen Kindern einen Grundschulzu- und über das Mittelmeer bremsen. Bildung deshalb die Lösung für die Zusammenarbeit gang zu garantieren. Geschweige denn die verbessert die Perspektiven der betroffe- mit den Nachbarn im Süden sein. weitaus ambitionierteren Nachhaltigen Ent- nen Länder, aber sie versetzt auch mehr wicklungsziele im Bildungsbereich, welche Menschen in die Lage, über eine Migration Berlin, im Oktober 2017 die Vereinten Nationen als notwendige Vo- nachzudenken, sie zu organisieren und zu fi- raussetzung für Stabilität und Wohlergehen nanzieren. Doch Bildung ist ohne Alternative. Reiner Klingholz festgelegt haben.6 Ohne sie könnte die Bevölkerung Subsahara- Direktor Berlin-Institut für Afrikas noch in diesem Jahrhundert auf fast Bevölkerung und Entwicklung Zugegeben: Wer in Bildung investiert und da- 3,5 Milliarden anwachsen.8 Die Möglichkei- raus wirtschaftliche und gesellschaftliche Er- ten, diese Menschen auch nur mit dem Not- folge erwartet, braucht Geduld. Es vergehen wendigsten zu versorgen, würden sich weiter Subsahara-Afrika vor Wachstumsschub mehr als zehn Jahre, bis ein Kind wenigstens verschlechtern. Weitere Krisen, Konflikte, eine untere Sekundarbildung erlangt hat, die Flucht und Migration wären zwangsläufige In den Ländern südlich der Sahara bekommen Frauen heute weltweit als Mindestanforderung für Folgen. im Schnitt fünf Kinder. Das sind drei mehr als im Durchschnitt der Europäischen Union. Die Bevölke- rungen wachsen deshalb rasant. Vorausschätzungen der Vereinten Nationen zufolge dürfte die Zahl der Menschen in einigen Ländern, in Abwesenheit von Migration, bis ins Jahr 2050 um über 100 Prozent steigen – sich also mehr als verdoppeln. Insgesamt dürfte die Weltregion im Jahr 2050 2,2 Milliarden Einwohner zählen – 1,2 Milliarden mehr als heute noch. Dieses Wachstum wird sich nicht abwenden lassen – denn die Eltern von morgen sind bereits heute geboren. Möglich wäre es aber, das Wachstum zu bremsen – und zwar über bessere Bildung. Denn je länger Frauen eine Schule besuchen, desto weniger Kinder wünschen sie sich und desto besser sind sie dazu in der Lage, diesen Wunsch auch umzusetzen. Vorausgeschätztes Bevölkerungswachstum in Abwe- senheit von Migration, in Prozent, 2017 bis 2050 (Datengrundlage: UNDESA9) Berlin-Institut 3
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE Subsahara-Afrika und am wenigsten entwickelten Ländern dominanten Unterrichtssprachen Französisch in der Bildungskrise weltweit, sondern auch zu denen mit dem und Arabisch. Selbst dort, wo die Regie- geringsten Bildungsstand. Letzteres gilt auch rungen in Bildung investieren, kämpfen sie Auf den ersten Blick hat Afrika seit dem für Nigeria, das als einziges nicht frankopho- gegen Windmühlen. Denn das Bevölkerungs- Millenniumswechsel in Sachen Bildung gro- nes Land ebenfalls Teil dieser Analyse ist. wachstum in der Region – das höchste welt- ße Fortschritte gemacht. Das gilt vor allem weit – hat die Zahl der Personen im Schulal- für die Länder südlich der Sahara, wo sich In einigen Ländern der Sahelregion ist im ter zwischen 6 und 17 Jahren von 2000 bis der Anteil der Kinder ohne Bildungszugang Schnitt nur ein Drittel der erwachsenen Be- 2015 um rund 55 Prozent steigen lassen. Bis zwischen 2000 und 2015 fast halbiert hat. völkerung alphabetisiert und selbst von der ins Jahr 2030 dürften es noch einmal knapp Doch auf den zweiten Blick werden nach wie jungen Generation kann teilweise nicht ein- 40 Prozent mehr werden. Die Nachfrage nach vor enorme Defizite deutlich: Im Jahr 2015 mal die Hälfte lesen und schreiben. Zum Teil Bildung steigt damit schneller als die Bil- gingen immer noch 32 Millionen Kinder im liegen die Einschulungsraten unter 65 Pro- dungsinfrastruktur mithalten kann. Grundschulalter nicht zur Schule. Damit lebt zent. Zudem bestehen je nach Wohnort, Ge- mehr als die Hälfte der Kinder weltweit, die schlecht und Familieneinkommen weiterhin Entscheidende Weichenstellung keinen Zugang zu Bildung haben, in Subsa- große Ungleichheiten beim Bildungszugang. hara-Afrika. Ein Viertel der 15- bis 24-Jäh- Auf der Suche nach besseren Lebensmög- rigen kann nicht lesen und schreiben. Eine Selbst eine Einschulung bedeutet in den Sa- lichkeiten wird es deshalb künftig noch weiterführende Schule besucht bis heute helländern nicht, dass Kinder tatsächlich eine mehr Menschen in Afrika südlich der Sahara, im Schnitt nur ein Drittel aller Jugendlichen. nutzbare Bildung erhalten. Viele verlassen die insbesondere im Sahel, auf die Wander- Nicht einmal ein Zehntel schafft den Sprung Schule vorzeitig oder schaffen ihren Grund- schaft in die ausufernden Städte treiben, in an die Hochschule. schulabschluss nicht, geschweige denn den andere Länder Afrikas oder nach Europa. Übergang auf eine weiterführende Schule. Wie immer wandern die Menschen dabei ent- Bislang hat keines der Länder Subsahara-Af- Die Bildungsinfrastruktur ist unzureichend, lang eines Arbeitsmarkt-, Wohlstands- und rikas das für 2015 gesetzte Bildungsziel der die Unterrichtsbedingungen sind teilweise Sicherheitsgefälles. Millenniums-Entwicklungsziele erreicht und extrem schlecht. Vielerorts fehlt es nicht nur es geschafft, allen Kindern eine Grundschul- an guten Schulgebäuden und Unterrichtsma- Ohne ausreichende Bildung bleibt es weiten bildung zu ermöglichen. Aller Voraussicht terialien, sondern vor allem an qualifizierten Teilen der jungen Bevölkerung Subsahara- nach dürfte dies noch nicht einmal bis 2030 Lehrern. Das schlägt sich auf die Lernerfolge Afrikas vorenthalten, an der Entwicklung des gelingen. Bis dahin sollten bereits die Nach- der Kinder nieder: In Tschad beispielsweise 21. Jahrhunderts teilzuhaben: Unter diesen haltigen Entwicklungsziele umgesetzt sein, können am Ende der Grundschule acht von Bedingungen ist weder zu erwarten, dass die zusätzlich eine Sekundarschulbildung für zehn Jugendlichen nicht ihrem Alter entspre- die Pro-Kopf-Einkommen steigen, noch, dass alle Kinder und Jugendlichen vorsehen. chend lesen und rechnen, in Niger trifft das wettbewerbsfähige Unternehmen und Ar- sogar auf neun von zehn Schülern zu. beitsplätze – also Lebensperspektiven – für Extremfall Sahel die rasch wachsende Bevölkerung entstehen. Die Gründe für die Bildungsmisere sind viel- Vielmehr spricht der Bildungsmangel dafür, Besonders schlecht ist die Situation in den fältig: Es fehlt an finanziellen Möglichkeiten, dass die Kinderzahlen je Frau weiter auf sehr frankophonen Ländern der Sahelregion, an der Bildungssektor ist schlecht organisiert hohem Niveau bleiben und sich die vielfäl- den südlichen Ausläufern der Sahara. Burkina und manche Eltern halten es für überflüs- tigen Probleme der Region noch schwerer Faso, Mali, Mauretanien, Niger, Senegal und sig, ihre Kinder auf öffentliche Schulen zu lösen lassen werden. Tschad gehören nicht nur zu den ärmsten schicken. Zudem gibt es sprachliche Hürden: Längst nicht alle Kinder beherrschen die 4 Education first!
Bildung ist der zentrale Hebel, um einen so- - Auf allen Ebenen der politischen Zusam- Grund- und Sekundarschulbildung, insbeson- zioökonomischen Wandel einzuleiten und die menarbeit sollte dem Thema Bildung mehr dere für die bisher benachteiligten Mädchen. Staaten südlich der Sahara auf einen positi- Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das gilt Daneben sollte der Aufbau berufsbildender ven Entwicklungspfad zu bringen. Ein besse- für Foren wie die G20, internationale Organi- Systeme, die Ausbildung des Lehrpersonals rer Bildungsstand in der Bevölkerung trägt sationen wie UN und EU sowie für die bilate- und der Einsatz moderner Lehr- und Lernmit- nicht nur zu einer höheren wirtschaftlichen rale Kooperation Deutschlands mit afrikani- tel mit Vorrang betrieben werden. Leistungsfähigkeit und steigenden Einkom- schen Staaten. men bei, sondern auch zu besseren Gesund- - Vorhandene Instrumente der deutschen Au- heitswerten. Besser gebildete Frauen ent- - Bei den Verhandlungen und der Umsetzung ßenpolitik sollten verstärkt genutzt werden, scheiden sich für deutlich kleinere Familien neu aufgelegter Partnerschaften der G20, um die Zusammenarbeit im Bildungsbereich und haben damit einen erheblichen Einfluss der EU und Deutschlands mit den Ländern als Ergänzung zur traditionellen EZ weiter auf die Bevölkerungsdynamik und die öko- Subsahara-Afrikas müssen Verbesserungen auszubauen – etwa bei der Stipendienver- nomischen Möglichkeiten ihrer Länder. Denn im Bildungssektor ein zentrales Ziel sein. gabe und der Stärkung des Hochschul- und ein höheres Bildungsniveau bei sinkenden Wissenschaftsstandorts Afrika. Kinderzahlen eröffnet den Staaten südlich der - Die Finanzierung von Bildung muss generell Sahara die Aussicht auf eine demografische erhöht werden. Die afrikanischen Länder - Bildungspolitische Unterstützungen für die Dividende und damit auf einen Entwicklungs- sollten sich an den Empfehlungen der Unesco Sahelländer sollte Deutschland, wo sinnvoll, schub, wie ihn einst die asiatischen Tiger- orientieren. Diese sehen vor, die Staatsaus- in enger Kooperation mit Frankreich umset- staaten erlebt haben. Unter diesen Bedingun- gaben für Bildung auf 15 bis 20 Prozent der zen, das aus historischen Gründen über gute gen sinkt erfahrungsgemäß der Druck auf die nationalen Haushalte respektive 4 bis 6 Pro- Kontakte zur Region verfügt. Arbeitsmärkte, die Beschäftigungschancen zent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. der jungen Erwerbsfähigen verbessern sich und die sozialen Spannungen lassen nach. - Aufgrund der begrenzten Möglichkeiten und Zumindest langfristig kann Bildung deshalb des stark wachsenden Bedarfs der armen dazu beitragen, Flucht- und Migrationsursa- Länder sind auch die internationalen Geber chen zu reduzieren. für Mittel der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) gefordert. Deutschland sollte mit gutem Was tun? Beispiel vorangehen und seine Bildungsaus- gaben in der EZ weiter erhöhen. Dabei sollte Im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise ist das Bildungssystem der jeweiligen Partner- die Entwicklung des afrikanischen Konti- staaten in der Sahelregion in seiner Gesamt- nents verstärkt in den Blick der deutschen, heit gestärkt werden: Im Primarbereich, europäischen und internationalen Politik damit alle Kinder überhaupt zur Schule gehen gerückt. Im Rahmen der vielen unterschied- können; bei der Sekundarschulbildung, um lichen Abkommen und partnerschaftlichen ein möglichst breites Bildungsfundament zu Vereinbarungen, die seither geschlossen schaffen; im Hochschulbereich, um beispiels- wurden, sollte das Thema Bildung stärker in weise qualifiziertes Lehrpersonal auszubil- den Fokus gerückt werden. Dabei sollte die den; und bei der praxisnahen beruflichen Politik umgehend tätig werden, weil sich die Bildung, um Unternehmertum zu stärken und sozioökonomischen Effekte von Bildung erst Perspektiven zu schaffen. zeitverzögert auswirken. Auch die deutsche Außenpolitik sollte sich deshalb vermehrt im - Die deutsche und europäische Politik sollte Bildungsbereich engagieren und dabei fol- den afrikanischen Regierungen bei Bildungs- gende Empfehlungen beachten: reformen beratend zur Seite stehen und wichtige Handlungsbereiche im Bildungssek- tor aufzeigen. Dazu gehören der generelle Zu- gang für alle Kinder und Jugendliche zu einer Berlin-Institut 5
1 WARUM BILDUNG FÜR AFRIKA WICHTIG IST Der afrikanische Kontinent vereint auf etwa Für die Zukunftsperspektive des Kontinents zwölf Millionen Afrikaner ins Erwerbsalter einem Fünftel der gesamten Landmasse bietet dies durchaus eine Chance auf eine hinein wachsen, werden auf dem gesamten der Erde eine enorme geografische, kultu- positive sozioökonomische Entwicklung. Kontinent nur rund drei Millionen neue Ar- relle und sprachliche Vielfalt.1,2 Angesichts Denn Afrikas Bevölkerung ist jung – mehr als beitsplätze pro Jahr geschaffen.7 Grund dafür seiner enormen Fläche ist Afrika mit rund die Hälfte der Menschen in Subsahara-Afrika ist vor allem, dass die Wirtschaft vielerorts 1,3 Milliarden Einwohnern vergleichsweise ist unter 20 Jahre alt.5 Entsprechend groß ist wenig diversifiziert ist und sich überwiegend dünn besiedelt.3 Doch das dürfte sich künftig der Pool an potenziellen Arbeitskräften und auf die Extraktion von Rohstoffen stützt.8 ändern. Denn die afrikanische Bevölkerung dieser wird auch in Zukunft weiter wachsen: Anstatt vom Lohn aus einem formellen Ar- wächst – und zwar rasant. Nach Schätzungen Bis zur Mitte des Jahrhunderts dürften in der beitsverhältnis leben die meisten Menschen der Vereinten Nationen wird sie sich alleine Region rund zweieinhalb mal mehr junge von der Subsistenz-Agrarwirtschaft – also bis 2050, also binnen weniger als 35 Jahren, Menschen im erwerbsfähigen Alter zwischen von dem, was sie auf ihrem eigenen Stück verdoppeln. Die Hälfte des weltweiten Bevöl- 20 und 34 leben als in China, das heute eine Land erwirtschaften. Das erschwert es vielen, kerungswachstums bis 2050 dürfte damit in treibende Kraft der Weltwirtschaft ist.6 ihre eigene Lebenssituation zu verbessern: Afrika stattfinden – der größte Teil davon in Im Jahr 2013 lebten zwei Fünftel der Bevöl- den Ländern südlich der Sahara.4 Bislang sind die Länder südlich der Sahara kerung in Subsahara-Afrika noch immer in jedoch nicht in der Lage, dieses Potenzial zu absoluter Armut, also von weniger als 1,90 nutzen. Während jährlich zwischen zehn und US-Dollar am Tag.9 6 Education first!
in Prozent 41 Mio. 40 2000 2015 10 Mio. 5 Mio. 1 Mio. 30 35 Mio. 8 Mio. 100 Mio. 20 32 Mio. 10 2 Mio. 11 Mio. 3 Mio. 2 Mio. 11 Mio. 0,4 Mio. 5 Mio. 3 Mio. 1 Mio. 0,2 Mio. 1 Mio. 61 Mio. 7 Mio. 0 und Westeuropa Welt insgesamt Lateinamerika Nordamerika Zentralasien Zentral- und Subsahara- und Karibik und Pazifik Osteuropa Westasien arabische Süd- und Ostasien Staaten Afrika Fehlende Bildung Lehrern und einer guten Schulinfrastruktur. Fortschritte auf niedrigem Niveau als Ursache vieler Probleme Im Schnitt erreicht jedes zweite Kind in der Seit der Verabschiedung der Millenniums-Ent- Region die Pubertät, ohne einfachste Re- wicklungsziele im Jahr 2000 haben die Länder Erklärungsmuster für die Frage, warum die chenaufgaben lösen oder vernünftig lesen südlich der Sahara formal große Fortschritte afrikanischen Staaten südlich der Sahara zu zu können.12 bei der Verbesserung des Bildungszugangs gemacht. Innerhalb von 15 Jahren hat sich den am wenigsten entwickelten Ländern der in der Region der Anteil der Kinder, die zur Welt gehören, gibt es viele. Bei aller Kom- Ohne Bildung wird die heutige Jungendgene- Grundschule gehen, beinahe verdoppelt – plexität der Faktoren, die dazu beitragen, ist ration Afrikas kaum in der Lage sein, einen allerdings ausgehend von einem sehr niedrigen eine Ursache zentral: Von der Republik Süd- Job außerhalb der Landwirtschaft oder dem Einschulungsniveau. Da die Zahl der Kinder im Grundschulalter durch das hohe Bevölkerungs- afrika bis nach Niger, vom Horn von Afrika einfachen Dienstleistungsbereich zu finden, wachstum jedoch weiter angestiegen ist, ist die bis nach Liberia mangelt es den Menschen an geschweige denn in einer global aufgestell- Zahl derer, die nicht eingeschult werden mit Bildung. ten Wirtschaft mit Gleichaltrigen aus anderen etwa 32 Millionen weiterhin hoch.15 Schätzun- Ländern zu konkurrieren. Das trübt auch gen der Unesco zufolge dürften 45 Prozent von ihnen auch in Zukunft nicht zur Schule gehen.16 Derzeit leben in Subsahara-Afrika rund 200 die Zukunftsaussichten ihrer Heimatländer. Millionen Analphabeten, 60 Prozent davon Perspektivlosigkeit und Unzufriedenheit, Zahl der Grundschulkinder ohne Bildungszu- sind Frauen.10 Zwar ist die junge Generation gepaart mit Verteilungskämpfen um zuneh- gang sowie deren Anteil an der entsprechenden bereits deutlich besser gebildet als ihre El- mend knappere Ressourcen, dürften künftig Altersgruppe nach Weltregionen, in Millionen und in Prozent, 2000 und 2015 tern, aber trotzdem ist die Bildungssituation weiter soziale Spannungen und Konflikte auf (Datengrundlage: UIS17) weiterhin besorgniserregend: Im Jahr 2014 dem afrikanischen Kontinent befeuern. In Zu- besuchte ein Drittel der Kinder und Jugend- kunft könnte sich eine wachsende Zahl Afri- lichen zwischen 6 und 17 Jahren in den Län- kaner gezwungen sehen, auf der Suche nach dern südlich der Sahara keine Schule.11 Dieje- besseren Lebensbedingungen ihre Heimat zu nigen, die zur Schule gehen, lernen meist nur verlassen. wenig, denn oft mangelt es an qualifizierten Berlin-Institut 7
Gute Gründe für mehr Bildung BEVÖLKERUNGSWACHSTUM VERHINDERT ERFOLG BEI BILDUNGSZIELEN Mangelnde schulische Bildung weiter Teile der Bevölkerung trübt die Aussichten auf so- Zur Jahrtausendwende verabschiedete die Weltgemeinschaft mit den sogenann- zioökonomischen Fortschritt in Afrika. Mehr ten Millenium Development Goals (MDGs) eine globale Entwicklungsagenda, in Bildung für Afrika wäre dagegen ein wichtiger der die Verbesserung der Bildung ein zentrales Ziel darstellte. Demnach sollten – wenn nicht gar der wichtigste – Hebel, um bis 2015 alle Kinder weltweit die Möglichkeit bekommen, eine Grundschulausbil- einen positiven und anhaltenden Wandel dung zu absolvieren. Bis zum Ende der MDG-Laufzeit hatte kein Land in Subsa- einzuleiten. Die positiven Effekte, die mehr hara-Afrika dieses Ziel erreicht, trotz beachtlicher Fortschritte beim Bildungszu- Bildung für jeden Einzelnen sowie für ganze gang.27 Ein Grund dafür war das hohe Bevölkerungswachstum, mit dem auch die Länder mit sich bringt, sind wissenschaftlich Zahl der Kinder im Schulalter zunahm. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätten gut belegt: die Länder südlich der Sahara bereits zu Beginn der 2000er Jahre eine universel- le Grundschulbildung erreichen können.28 • Höhere Einkommen Mit jedem Jahr, in dem Menschen eine Schule Die 2015 verabschiedeten Nachfolgeziele, die Sustainable Development Goals besuchen, wächst nicht nur die Chance jedes (SDGs) der 2030-Agenda, versprechen, die Versäumnisse der MDGs bis 2030 Einzelnen, einen Job zu bekommen, sondern nachzuholen und setzen die Messlatte der bis dahin zu erreichenden Bildungs- auch, eine Stelle mit fairen Arbeitsbedin- fortschritte sogar noch höher: Bis 2030 sollen alle Kinder und Jugendlichen gungen und guter Bezahlung zu finden. Eine weltweit nicht nur eine Grund-, sondern auch eine Sekundarschulbildung erhal- Studie der Weltbank in 139 Ländern zeigt: Im ten. In weniger als 15 Jahren allen Kindern in Subsahara-Afrika eine zwölfjährige weltweiten Durchschnitt steigt mit jedem ab- Schulausbildung zu ermöglichen, dürfte aufgrund des anhaltenden Wachstums geschlossenen Bildungsjahr das persönliche der Bevölkerung allerdings kaum zu schaffen sein.29 Trotzdem stellen die Ziele Lebenseinkommen um etwa zehn Prozent.18 der Weltgemeinschaft auch eine Verpflichtung für die Länder Afrikas südlich der Sahara dar, bis ins Jahr 2030 große Anstrengungen zu unternehmen, um den • Wachsende Volkswirtschaften SDG-Bildungszielen möglichst nahe zu kommen. Den reicheren Ländern entsteht Bildungsökonomen sind sich einig: Zusätzli- aus der 2030-Agenda die Verantwortung, die Länder Afrikas zu unterstützen. che Bildungsjahre einzelner Personen können Bildung zahlt sich aus In keiner Region der Welt fällt der monetäre Nutzen von Welt Bildung höher aus als in Subsahara-Afrika. Dort steigt mit jedem abgeschlossenen Schuljahr das Lebenseinkommen Subsahara- um zwölf Prozent. Das liegt vor allem daran, dass der Afrika Bildungsstand in den Ländern südlich der Sahara insgesamt niedriger ist als in allen anderen Weltregionen, höhere Bildung also besonders privilegiert. In manchen Ländern Südasien der Region sind die Effekte sogar noch deutlich größer. In Ruanda etwa bringt jedes zusätzliche Bildungsjahr ein Lebenseinkommensplus von etwa 22 Prozent. Ähnlich hoch Nahost und sind die Werte in Südafrika, Äthiopien und Namibia. Frauen Nordafrika profitieren stärker von einer höheren Bildung als Männer.30 Lateinamerika Durchschnittlicher Anstieg des Lebenseinkommens je und Karibik zusätzlich abgeschlossenem Schuljahr nach Weltregionen und Geschlecht, in Prozent, 2014 Europa und (Datengrundlage: Montenegro & Patrinos31) Zentralasien Frauen Ostasien und Pazifik Männer in Prozent Gesamt 0 2 4 6 8 10 12 14 8 Education first!
zusammengenommen zu einem höheren Speziell die Bildung von Frauen ist dabei Vorteilhafte Altersstruktur Wirtschaftswachstum und einem höheren entscheidend, denn sie bestimmt wesentlich Pro-Kopf-Einkommen beitragen.19 Menschen über die Gesundheit ganzer Familien. Wenn Mit ihrem großen Einfluss auf Kindergesund- mit Schul- bzw. Hochschulbildung gründen Frauen eine Sekundarschulbildung erhalten, heit und Kinderzahlen trägt Bildung dazu bei, nicht nur häufiger Unternehmen und schaffen ist das Risiko, dass ihre Kinder vor dem fünf- einen demografischen Übergang von starkem damit Arbeitsplätze, sie sind meist auch inno- ten Lebensjahr sterben, deutlich geringer als Bevölkerungswachstum zu immer niedrige- vativer und entwickeln eher neue Ideen und auf niedrigeren Bildungsstufen.23 Das wirkt ren Wachstumsraten in Gang zu setzen. Ein Technologien.20, 21 sich auch auf die Familiengröße aus: Je höher verlangsamtes Bevölkerungswachstum ist die Überlebenswahrscheinlichkeit des Nach- eine Grundbedingung für bessere Entwick- • Bessere Gesundheit, wuchses, desto eher entscheiden sich Eltern lungsmöglichkeiten in den afrikanischen geringere Kindersterblichkeit dafür weniger Kinder zu bekommen.24 Ländern südlich der Sahara. Denn derzeit er- Wenn Männer und Frauen höhere Einkommen schweren die rasant wachsenden Einwohner- erzielen, steht ihnen mehr Geld zur Verfü- • Sinkende Geburtenziffer zahlen die Versorgung mit Nahrungsmitteln, gung, das sie für ein gesundes Leben aufwen- Bildung trägt nicht nur indirekt durch eine Infrastruktur und Arbeitsplätzen. den können – also für nahrhafte Lebensmit- niedrigere Kindersterblichkeit zu kleineren tel, Arztbesuche oder Medikamente. Mit dem Familien bei. Sie wirkt auch unmittelbar auf Vielleicht noch entscheidender für den Bildungsstand steigt zudem die Fähigkeit die Geburtenziffer ein: Je länger Mädchen sozioökonomischen Fortschritt ist jedoch zum abstrakten Denken und damit auch das und junge Frauen zur Schule gehen, desto der Wandel der Altersstruktur in einer Ge- Verständnis für medizinische Zusammenhän- älter sind sie im Schnitt, wenn sie heiraten sellschaft, der mit dem demografischen ge. Das beeinflusst wiederum, welche Ent- und Mütter werden.25 Zudem wünschen sich Übergang einhergeht. Denn wenn weniger scheidungen Menschen im Hinblick auf ihre gebildete Frauen tendenziell weniger Nach- Kinder zur Welt kommen, verschiebt sich Gesundheit treffen und inwiefern sie in der wuchs und können diesen Wunsch auch eher der Schwerpunkt der Bevölkerung in höhere Lage sind, Risiken zu verringern und Krank- umsetzen – unter anderem, weil sie meist Lebensjahre und der Anteil der Menschen im heiten vorzubeugen.22 besser über Methoden zur Familienplanung Erwerbsalter nimmt überproportional zu. Da- informiert sind.26 durch stehen der Wirtschaft mehr Menschen Durchschnittliche Kinderzahl je Frau 8 Niger Mehr Gleichberechtigung, weniger Nachwuchs 7 Wo Frauen sozioökonomisch benach- Burundi teiligt werden, bringen sie im Verlaufe 6 ihres Lebens viele Kinder zur Welt. Mit wachsendem Bildungsgrad bevorzugen Afghanistan Frauen kleinere Familien. Auch sind 5 gebildete Frauen eher in der Lage, ihre Interessen gegenüber ihren Partnern durchzusetzen, vor allem, wenn sie zum Haushalteinkommen beitragen. 4 Das ist wichtig, denn in vielen Entwick- lungsländern wünschen sich Frauen weniger Kinder als ihre Partner.32 3 Mongolei Durchschnittliche Kinderzahl je Frau (2010 bis 2015) in Abhängigkeit der Indien Geschlechtergerechtigkeit nach dem 2 Gender Development Index (2015) Estland (Datengrundlage: UNDESA33, UNDP34) 1 0,6 0,65 0,7 0,75 0,8 0,85 0,9 0,95 1,0 1,05 1,1 Gender Development Index Berlin-Institut 9
Sekundarbildung bringt Kinder pro Frau den größten Unterschied Würde es den Ländern südlich der Sahara ge- lingen, durch sinkende Kinderzahlen eine vor- Gebildete Frauen bekommen weniger Kinder als ungebildete – besonders 7 teilhafte Altersstruktur zu erreichen und die- wenn sie nach der Grundschule auch sen Bonus in eine Dividende zu verwandeln, eine weiterführende Schule besucht 6 hätten sie eine Chance auf eine sich selbst haben. In Niger, Mali und Mauretanien verstärkende, positive Entwicklung nach dem etwa bekommen Frauen mit einem höheren Sekundarschulabschluss im 5 Vorbild der asiatischen Tigerstaaten. Notwen- Schnitt weniger als halb so viel Nach- dig sind dafür Bildungsinvestitionen, denn wuchs wie jene, die nie eine Schule diese tragen maßgeblich dazu bei, dass die besucht haben.35 4 Geburtenziffer sinkt und ein demografischer Durchschnittliche Kinderzahl pro Frau Bonus überhaupt entsteht. nach Bildungsabschluss, 2010 bis 2015 3 (Datengrundlage: Wittgenstein Centre36) Am Scheideweg 2 ohne Schulbildung Eine solche Entwicklung ist jedoch kein Grundschulbildung 1 Selbstläufer. Dies zeigen die meisten Länder untere Sekundarschulbildung im Nahen Osten und Nordafrikas (Mena), wo höhere Sekundarschulbildung seit Jahren zwar die formalen Bildungswerte 0 Niger Mali Mauretanien gestiegen und die Geburtenziffern gesunken sind, aus dem demografischen Bonus aber keine Dividende entstanden ist. Dort ist es bislang nicht gelungen, die große Zahl an jun- gen und tendenziell besser gebildeten Men- schen in Arbeit zu bringen.45 zur Verfügung, die arbeiten und produktiv und erreichte auf diesem Wege, dass die sein können, während die Zahl der zu versor- durchschnittliche Kinderzahl pro Frau binnen Das Beispiel der Mena-Länder verdeutlicht, genden Kinder und Jugendlichen abnimmt. 30 Jahren von 6,3 auf 1,6 sank.39 Ausländi- dass höhere formale Bildungswerte alleine Diese Altersstruktur wird als demografischer sche Investoren schufen zudem Tausende keine Garantie für tatsächliche Entwicklungs- Bonus bezeichnet.37 von Arbeitsplätzen in der Massenfertigung fortschritte sind. Entscheidend ist nicht nur, und sorgten so dafür, dass die vielen, halb- dass die Fähigkeiten der Menschen durch Dem Weg der Tiger folgen wegs gut gebildeten Erwerbsfähigen bezahlte qualitativ hochwertige Bildung verbessert Arbeit fanden.40 werden, sondern auch, dass dieses Human- Bei guten politischen und wirtschaftlichen vermögen volkswirtschaftlich zum Einsatz Rahmenbedingungen lässt sich dieser Bonus Mit steigendem Wohlstand investierten El- kommt.46 Dafür sind zum einen ausreichend in einen erheblichen und lange anhaltenden tern und Staat wiederum mehr in die Bildung Arbeitsplätze notwendig und zum anderen Entwicklungsschub überführen, die soge- der kleiner werdenden Nachwuchsjahrgän- Bildungssysteme, die sich an den Bedürfnis- nannte demografische Dividende. Ökono- ge. Diese konnten dann Schritt für Schritt in sen der Arbeitgeber orientieren. Nur dann men zufolge lässt sich der wirtschaftliche produktivere Industriebereiche mit höherer kann mehr Bildung langfristig auch zu bes- Aufschwung asiatischer Tigerstaaten wie Wertschöpfung aufsteigen. Heute gehört Süd- seren Lebensbedingungen, mehr Wohlstand Südkorea, Singapur oder Taiwan zu großen korea zu den führenden Industrienationen.41 und politischer Stabilität führen.47 Teilen auf die Nutzung des demografischen Dies war der Entwicklungsweg, dem später Bonus zurückzuführen.38 Die wirtschaftliche alle asiatischen Tigerstaaten folgten. Selbst Die Länder Subsahara-Afrikas stehen damit Lage Südkoreas etwa war nach dem Ende Länder wie Bangladesch, Vietnam oder Kam- an einem Scheideweg. Sie benötigen zum des Korea-Krieges 1953 ähnlich schlecht wie bodscha, die allesamt schlechtere Startbedin- einen massive Anstrengungen im Bildungs- in vielen afrikanischen Ländern heute. Die gungen hatten als viele afrikanische Staaten sektor, damit bereits kurzfristig die Gebur- südkoreanische Regierung investierte gezielt heute, haben so einen Ausweg aus dem tenziffern sinken und mittelfristig ein demo- in Bildung und Familienplanungsprogramme Kreislauf von hohem Bevölkerungswachstum, grafischer Bonus entsteht. Sie brauchen zum Armut und Perspektivlosigkeit gefunden.42 10 Education first!
anderen (Auslands-)Investitionen um Be- schäftigung und Einkommensmöglichkeiten BEDEUTET MEHR BILDUNG WENIGER MIGRATION? zu schaffen. Damit diese Investitionsmittel fließen, ist wiederum ein ausreichender, auf Bildung befähigt Menschen dazu, sich von Armut zu befreien und die eigene die Ansprüche von Unternehmen ausgerich- Lebenssituation zu verbessern. Bildungsinvestitionen scheinen deshalb ein gutes teter und steigender Bildungsstand in der Instrument zu sein, um den Migrationsdruck auf dem afrikanischen Kontinent zu erwerbsfähigen Bevölkerung notwendig. Bil- mindern. Denn wenn Menschen eine Perspektive auf ein gutes Leben in ihrer Hei- dung steht damit im Zentrum aller Fragen von mat haben, werden sie nach dieser Vorstellung kaum den Wunsch hegen, diese Entwicklung und politischer Stabilität. zu verlassen und anderswo, etwa in den wohlhabenderen europäischen Ländern, eine Zukunft zu suchen. Die Realität sieht jedoch meist anders aus: Tendenziell steigt mit dem Bildungsstand die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen migrieren.48 Denn gebildete Menschen haben bessere Aussichten auf ökonomischen Erfolg in einem anderen Land und verfügen eher über die notwendigen finanziellen Mittel, um auszuwandern.49 Eine von 2010 bis 2015 weltweit erhobene Umfrage des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Gallup zeigt: Am höchsten ist der Migrationswunsch unter jungen Menschen, die mindestens eine Sekundarschule abgeschlossen haben.50 Mehr Bildung für Afrika könnte die Zahl der potenziellen Migranten perspektivisch also erhöhen. Dennoch sind Investitionen im Bildungs- sektor dringend geboten und ohne Alternative. Denn ohne Bildung ist die Aus- sicht auf einen soziökonomischen Wandel in der Region nahezu ausgeschlossen. Konflikte, Kriege und Flucht wären zwangsläufige Folgen. Länder südlich der Sahara noch am Anfang des demografischen Übergangs USA China Alle Länder der Welt durchlaufen im Zuge ihrer Deutschland sozioökonomischen Entwicklung den demografischen Übergang. In dessen Phase 1 liegen sowohl Sterbe- wie Brasilien Bevölkerung auch Geburtenrate auf hohem Niveau und die Bevölke- rung wächst kaum. In Phase 2 sinkt durch verbesserte Lebensbedingungen zunächst die Sterberate, insbeson- dere von Kindern, weshalb die Bevölkerung stark wächst. Ägypten Dieser Entwicklung folgt in Phase 3 ein Rückgang der Geburtenrate. In Phase 4 pendeln sich Geburten- und Sterberate auf einem niedrigeren Niveau ein und das Senegal Bevölkerungswachstum kommt zum Erliegen. Die Länder Subsahara-Afrikas stehen überwiegend am Anfang dieser Entwicklung. Die Sterberate in der Region hat sich seit den 1970er Jahren zwar bereits halbiert. Die Geburten- rate sinkt jedoch sehr langsam – in vielen Ländern sogar deutlich langsamer als zuvor in anderen Weltregio- Niger nen.43 Das Ergebnis ist ein anhaltend hohes Bevölke- rungswachstum. Bis zur Mitte des Jahrhunderts wird Subsahara-Afrika im Schnitt um 35 Millionen Menschen Sterberate jährlich wachsen. Das entspricht in etwa der zweifachen heutigen Bevölkerung der Niederlande.44 Geburtenrate Schematische Darstellung der Entwicklung von Gebur- ten- und Sterberaten sowie der Gesamtbevölkerung in Phase 1 Phase 2 Phase 3 Phase 4 Phase 5 Abwesenheit von Migration (eigene Darstellung) Berlin-Institut 11
2 SAHEL – WO ES AM MEISTEN AN BILDUNG MANGELT Die Bewohner der sogenannten Sahelzone müssen sich im Vergleich zu allen ande- entwickelten Ländern weltweit. Unterschied- liche Faktoren tragen zu dieser schlechten Frauen im reproduktiven Alter zwischen 15 und 49 Jahren in den sieben Ländern, waren ren Regionen Afrikas mit den schlechtesten Situation in den sieben Ländern bei: es 2017 mit rund 65 Millionen mehr als vier- Lebensbedingungen zufrieden geben – und mal so viele.4 Zudem werden Frauen in der zwar in beinahe jeder Hinsicht.1 Die hier be- Höchstes Bevölkerungswachstum Sahelregion häufig bereits in jungen Jahren trachteten Länder an den südlichen Ausläu- weltweit Mütter. In Niger und Tschad etwa, wo rund fern der Sahara, Burkina Faso, Mali, Maureta- drei Fünftel der Bevölkerung unter 20 Jahre nien, Niger, Senegal und Tschad, gehören zu Heute leben 285 Millionen Menschen in die- alt sind, bekommen Frauen im Schnitt ihr ers- den ärmsten und am wenigsten entwickelten sem Teil der Sahelregion, davon mit etwa tes Kind mit 18 Jahren.5, 6, 7 Ländern der Welt. Alle sechs zählen zu den 190 Millionen rund zwei Drittel in Nigeria. Staaten mit dem sozioökonomischen Status Seit die Länder in den 1960er Jahren ihre Un- Durch das hohe Bevölkerungswachstum „niedrigster menschlicher Entwicklung“. Bur- abhängigkeit erlangt haben, hat sich die Be- dürfte sich die Zahl der Menschen in den sie- kina Faso, Tschad und Niger belegen im Index völkerung mehr als vervierfacht.3 Das rasante ben Sahelländern künftig etwa alle 30 Jahre der Menschlichen Entwicklung der Vereinten Bevölkerungswachstum dürfte sich auch in verdoppeln und auf 640 Millionen im Jahr Nationen die Ränge 185 bis 187 von insge- Zukunft fortsetzen, denn mit durchschnittlich 2050 respektive auf 1,3 Milliarden bis zum samt 188 Ländern.2 Auch das im Vergleich fünf Kindern bekommen Frauen in der Region Ende des Jahrhunderts ansteigen.8 Gemessen dazu deutlich wohlhabendere Nigeria, das heute nur etwa zwei Kinder weniger als vor an dem Entwicklungsstand der dortigen Ge- aufgrund seiner wirtschaftlichen und demo- 50 Jahren. Während die Geburtenziffer im sellschaften übersteigt die Bevölkerungszahl grafischen Bedeutung in der Region Teil die- Sahel also nur sehr langsam gesunken ist, hat des Sahel schon heute die Tragfähigkeit der ser Analyse ist, gehört zu den am wenigsten die Zahl der potenziellen Mütter deutlich zu- Gebiete. Dieses Problem dürfte sich künftig genommen: Lebten 1960 etwa 16 Millionen massiv verschärfen.9 Im Blickpunkt: die frankophonen Sahelländer und Nigeria „Sahel“ bezeichnet die Region am Übergang der Sahara Wüstenlandschaft Sahara hin zu den im Süden Sahel angrenzenden Savannen- und Steppengebieten. Der Sahel erstreckt sich auf einer Gesamtfläche von über drei Millionen Quadratkilometern wie ein Band vom Atlantischen Ozean bis zum Roten Meer.10 Da sich die Gebietsabgrenzung auf klimatische und ökologische Faktoren bezieht, werden häufig unterschiedliche Staaten als „Sahelländer“ bezeichnet.11 In dieser Studie sind damit die sechs frankophonen Länder Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger, Senegal und Tschad gemeint, die allesamt Anrainer dieser Naturregion sind. Als einziger nicht-frankophoner Anrainer-Staat ist Nigeria ebenfalls Teil der Betrach- tung, da das Land als bevölkerungsreichstes Afrikas und als größte Volkswirtschaft des Kontinents großen Einfluss auf die übrigen Sahelländer hat. 12 Education first!
Schwache Volkswirtschaften Die Volkswirtschaften der Sahelzone wach- Risikostufe. Niger, Tschad und Senegal gelten sen im Vergleich zur Einwohnerzahl nicht nur sogar als Länder mit sehr hohem Risiko.18 In den vergangenen Jahrzehnten verzeich- viel zu langsam, ihre Wachstumsmodelle sind neten die Sahelländer ein vergleichsweise darüber hinaus sehr krisenanfällig: Es man- Klimaforschern zufolge dürften bis 2050 die hohes Wirtschaftswachstum, wenn auch gelt an einer wettbewerbsfähigen Industrie, mittleren Temperaturen in der Sahelzone um mit starken jährlichen Schwankungen. Im die den Ländern zu Produktivkraft verhelfen durchschnittlich drei bis fünf Grad steigen.19 Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2015 ist die würde. Stattdessen fußt das Wirtschafts- Dadurch verschärft sich das Risiko extremer Wirtschaft der Länder zwischen vier Prozent wachstum nahezu ausschließlich auf der Wetterereignisse wie Dürren und Über- (Mali) und knapp sechs Prozent (Nigeria) pro Extraktion von Rohstoffen, durch die kaum schwemmungen. Gleichzeitig nehmen durch Jahr gewachsen.13 Arbeitsplätze entstehen und deren Export- weiter voranschreitende Wüstenbildung und preise den Schwankungen des Weltmarktes Landdegradation auch die Herausforderun- Das hohe Bevölkerungswachstum zehrt die- unterworfen sind.16 In vielen Sahelstaaten gen bei der Nahrungsmittelproduktion zu – se Erfolge derzeit jedoch zu großen Teilen ist die Landwirtschaft nach wie vor der größ- mit schweren Folgen für die Gesundheit und auf. Im gleichen Zeitraum sind die Pro-Kopf- te Sektor und sorgt für mehr als die Hälfte die Überlebensmöglichkeiten der Menschen Einkommen nur zwischen 0,5 Prozent (Mali) aller Arbeitsplätze, teilweise sogar für drei in der Region.20 Treffen Klimawandel und ra- und zwei Prozent (Niger) gestiegen.14 Der Viertel.17 pides Bevölkerungswachstums aufeinander, wirtschaftliche Fortschritt fällt damit viel zu wird eine Verknappung von Nahrungsmitteln gering aus, um die Länder in den kommenden Klimatische Extreme wahrscheinlich und die Überlebenschancen Jahrzehnten aus der absoluten Armut zu füh- der Menschen sinken.21 ren. Selbst in Nigeria, wo das Bruttoinlands- Die Länder der Sahelzone leiden seit jeher produkt pro Kopf das Zwei- bis Sechsfache unter extremen klimatischen Bedingun- Politische Instabilität und Konflikte der anderen Sahelländer erreicht, beträgt die gen. Im jährlich erhobenen Weltrisikoindex, Wirtschaftsleistung je Einwohner gerade ein- der die Gefahr von Naturkatastrophen wie Bei einer solchen Entwicklung dürften künftig mal ein Drittel des Wertes in Bulgarien – dem Dürren, Überflutungen oder Stürmen misst Verteilungskonflikte und soziale Spannungen ärmsten Land der EU.15 sowie die Fähigkeit eines Landes, mit die- weiter zunehmen – in einer Region, die schon sen Herausforderungen umzugehen, landen heute von Konflikten und politischer Instabi- vier der sieben Sahelländer auf einer hohen lität geprägt ist. Auseinandersetzungen um in Prozent 20 Berg- und Talfahrten Beginn Ölförderung Senegal in Mauretanien Die Volkswirtschaften der Sahelländer Mali sind wenig diversifiziert und stützen Ölpreisanstieg, Burkina Faso sich maßgeblich auf die Extraktion von erntereiches Jahr in Tschad Niger Rohstoffen und die Produktion des 15 Eröffnung neuer Subsahara-Afrika Agrarsektors. Das macht sie anfällig gegenüber Veränderungen der globa- Uranmine und Nigeria Ölraffinerie in Niger len Rohstoffpreise und den lokalen Tschad Wetterverhältnissen. Starke Schwan- erntereiches Mauretanien kungen der jährlichen Wachstumsraten Jahr in Niger 10 verdeutlichen dieses Abhängigkeits- verhältnis. Darüber hinaus hemmt die prekäre Sicherheitssituation in vielen Ländern der Sahelzone die wirtschaft- liche Leistungsfähigkeit.31 5 Jährliche Wachstumsraten des realen Bruttoinlandprodukts in den Sahellän- dern, in Prozent, 2005 bis 2015 (Datengrundlage: Weltbank32) Ölpreisverfall 0 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 politische Unruhen Ölpreisverfall Tuareg-Rebellion und Stagnation der durch Finanzkrise in Mali Ölförderung in Tschad Berlin-Institut 13
Land und andere Ressourcen sowie Span- Wachsender Migrationsdruck Irak mit 128.000 Asylanträgen ist ihre Zahl nungen zwischen unterschiedlichen ethni- damit verhältnismäßig gering. Aus diesen schen und religiösen Gruppen haben seit Die Kombination aus wachsender Bevölke- drei Hauptherkunftsländern von Geflüchteten Jahrzehnten eine destabilisierende Wirkung rung und den Folgen den Klimawandels dürf- kamen zusammen neunmal mehr Menschen im Sahel.22 Die Rebellion der Tuareg, die im te dazu führen, dass künftig viele Bewohner als aus den Ländern der Sahelregion.29 Ein Norden Malis 2012 zu gewaltsamen Konflik- der Sahelländer ihre Heimat verlassen. Nach Vergleich zum Jahr 2010 zeigt jedoch, dass ten führte, ist ein Beispiel dafür. Außerdem Einschätzungen von Forschern der Universi- Europa zunehmend zum Ziel von Asylsuchen- tragen schwache Institutionen und schlechte tät von Kalifornien könnten sich künftig bis den aus den Sahelländern wird: Mit 11.000 Regierungsführung zu einem Vertrauensver- zu 100 Millionen Menschen dazu gezwungen Neuanträgen lag deren Zahl damals bei lust der Menschen in die Politik bei.23 sehen, in andere afrikanische Länder auszu- knapp einem Siebtel des heutigen Werts.30 wandern oder in Europa eine neue Perspekti- Schwache staatliche Strukturen verschaffen ve zu suchen.27 Am wenigsten entwickelt, kriminellen Gruppen Raum für Menschen-, am schlechtesten gebildet Drogen- und Waffenhandel, was für zusätzli- Derzeit noch lassen sich die meisten Mig- che Unsicherheit in der Sahelregion sorgt.25 ranten aus den Sahelländern innerhalb der Wenn man im Falle Subsahara-Afrikas von Mangelnde Perspektiven, Armut, Korruption Region oder in den angrenzenden Nachbar- einer Bildungskrise spricht, muss man bei den und fehlendes Vertrauen in die Politik bieten staaten nieder.28 Sowohl die legale Zuwan- Sahelländern von einer regelrechten Bildungs- zudem Nährboden für die Ausbreitung ra- derung nach Europa, wie auch die Asylbe- katastrophe sprechen. Insgesamt können in dikaler Gruppen. Die Schreckensherrschaft werberzahlen aus dem Sahel in Europa sind den sieben Ländern nach Schätzungen der islamistischer Gruppen wie Boko Haram im dagegen noch vergleichsweise niedrig. Im Unesco rund 70 Millionen Menschen nicht le- Norden Nigerias, deren Gewalt sich auch auf Jahr 2016 erhielten aus den sieben Ländern sen und schreiben. Das gilt auch für knapp die die Nachbarländer Tschad, Niger und Kame- rund 43.000 Personen einen legalen Aufent- Hälfte der Jugendlichen zwischen 15 und 24 run ausbreitet, verschlimmert die ohnehin haltstitel aus Familiengründen, zur Bildung Jahren.33 Letzteres ist besonders besorgniser- schwierige Lage in der Region immer weiter. und zur Erwerbstätigkeit. 70.000 Menschen regend. In vielen Ländern Subsahara-Afrikas Insgesamt wurden bislang fünf Millionen stellten einen Antrag auf Schutz in Europa – ist die Analphabetenquote der derzeitigen Menschen in der Region durch die Gewalt zwei Drittel davon aus Nigeria. Im Vergleich Erwachsenengeneration zwar ebenfalls hoch, von Boko Haram vertrieben, etwa zwei Millio- zu anderen Herkunftsländern wie Syrien dort weisen die nachrückenden Generationen nen davon allein in Nigeria.26 mit 337.000, Afghanistan mit 186.000 und dagegen deutlich bessere Bildungsergebnisse auf. In der Sahelzone scheint es aber bislang kaum Verbesserungen zu geben. Die gesamte Sahelzone steckt in einem fatalen Kreislauf DIE BILDUNGSSYSTEME DER FRANKOPHONEN SAHELLÄNDER aus schlechten Bildungs- und Gesundheits- werten, schwacher wirtschaftlicher Leistungs- In den ehemaligen französischen Kolonien Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Ni- fähigkeit, politischer Fragilität und hohem ger, Senegal und Tschad sind die öffentlichen Bildungssysteme an das dreistufige Bevölkerungswachstum, welches die Lösung französische System von école élementaire (Grundschule, 6 Jahre), collège (unte- aller Probleme erschwert. Neben einer Basis- re Sekundarstufe, 4 Jahre) und lycée (höhere Sekundarstufe, 3 Jahre) angelehnt.35 bildung für breite Bevölkerungskreise fehlt es auch qualifizierten Hochschulabsolventen, die In der Regel werden Kinder im Alter von fünf bis sechs Jahren eingeschult. In allen für den Aufbau moderner Wirtschaftsstruktu- Sahelländern besteht eine offizielle Schulpflicht, die zwischen acht und elf Jahren ren sorgen könnten. dauert und überwiegend auch die untere Sekundarstufe umfasst.36 Allerdings durchläuft nur ein geringer Teil der Schüler auch tatsächlich die formal vorge- Dauerhaft ließe sich der Kreislauf nur durch schriebene Zahl an Schuljahren. Offiziell ist der Bildungszugang mindestens bis Bildung durchbrechen. Ohne Bildung können zum Ende der unteren Sekundarstufe in allen Ländern der Region kostenfrei.37 Da keine privatwirtschaftlichen Unternehmen viele öffentliche Schulen jedoch unterfinanziert sind, ist davon auszugehen, dass entstehen, keine Arbeitsplätze, keine Einkom- einige Kosten, wie etwa die Löhne der Lehrer, teilweise auch informell von den mensmöglichkeiten, vielmehr bleiben immer Eltern getragen werden. mehr Menschen von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen. Erfahrungsgemäß verharren unter diesen Bedingungen auch die Geburtenziffern auf hohem Niveau.34 14 Education first!
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