Effekt von Gangjustierhilfen auf die Stabilisierung und Symmetrisierung des Gehens

Die Seite wird erstellt Vanessa-Hortensia Riedl
 
WEITER LESEN
Effekt von Gangjustierhilfen auf die Stabilisierung und Symmetrisierung des Gehens
Originalien
Manuelle Medizin
https://doi.org/10.1007/s00337-021-00822-6
Angenommen: 5. August 2021
                                             Effekt von Gangjustierhilfen auf
© Der/die Autor(en) 2021                     die Stabilisierung und
                                             Symmetrisierung des Gehens
                                             Christoph Anders1,3 · Isabelle Dürrschnabel2 · Lutz Dürrschnabel2
                                              1
                                                Funktionsbereich Motorik, Pathophysiologie und Biomechanik, Klinik für Unfall-, Hand-und
                                                Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Jena, Jena, Deutschland
                                              2
                                                Praxis Dr. med. Lutz Dürrschnabel, Karlsruhe, Deutschland
                                              3
                                                Funktionsbereich Motorik, Pathophysiologie und Biomechanik, Experimentelle Unfallchirurgie, Klinik für
                                                Unfall-, Hand und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Jena, Jena, Deutschland

                                                  Zusammenfassung

                                                  Hintergrund: Der Mensch hat im Laufe der Evolution den bipedalen Gang, verbunden
                                                  mit entsprechenden funktionellen und morphologischen Anpassungsprozessen,
                                                  entwickelt. Eine dieser Entwicklungen ist die Vergrößerung des Calcaneus, der bei
                                                  korrekter Positionierung zur Verbesserung der Statik des gesamten Fußes beiträgt und
                                                  in der Folge zu einer Symmetrisierung des Gangbilds führen kann.
                                                  Methodik: Um die Hypothese des Einflusses einer ausgelösten Kipprotation auf die
                                                  Gangstatik zu überprüfen, wurden 29 gesunde, männliche Probanden randomisiert
                                                  der Kontroll- (K) bzw. Interventionsgruppe (I) zugeordnet und während des
                                                  Gehens auf einer instrumentierten Gehstrecke untersucht. Beide Gruppen wurden
                                                  mit baugleichen Schuhen ausgestattet, in die bei der Interventionsgruppe eine
                                                  seitengleich positionierte Gangjustierhilfe im medialen Rückfußbereich zur Auslösung
                                                  einer Kipprotation des unteren Sprunggelenks eingebracht wurde. Alle Probanden
                                                  wurden zu zwei Zeitpunkten im Abstand von 14 Tagen vor (U1, U3) und nach ihrer
                                                  Arbeitsschicht (Spätschicht; U2, U4) untersucht. Es wurden ausgewählte, bewährte
                                                  ganganalytische Parameter und die muskuläre Aktivität eines antagonistischen
                                                  Muskelpaars am Unterschenkel beidseitig erfasst. Die Analyse der Muskelaktivität
                                                  erfolgte im Seitenvergleich mithilfe von Kokontraktions- und Symmetrieindizes
                                                  während der mittleren Standphase des Gangzyklus.
                                                  Ergebnisse: Die Ganganalyseparameter wiesen für die laterale Verlagerung tendenziell
                                                  geringere Werte in der Interventionsgruppe auf (U4 K: 4,4, I: 2,3). Für die analysierte
                                                  Muskelaktivität (Elektromyographie) konnte eine signifikant geringere Seitendifferenz
                                                  in der Interventionsgruppe nach der Arbeitsschicht identifiziert werden (U4 K: 26,2, I:
                                                  13,7, p = 0,02).
                                                  Schlussfolgerung: Es ergeben sich deutliche Hinweise darauf, dass die durch die
                                                  verwendete Gangjustierhilfe erfolgte Beeinflussung des unteren Sprunggelenks
                                                  zu einer Harmonisierung des Gangbilds beiträgt. Damit können die Stand- und
                                                  Gangsicherheit verbessert werden.

                                                  Schlüsselwörter
                                                  Ganganalyse · Gangjustierhilfe · Oberflächenelektromyographie · Kokontraktion · Symmetrie

                                             Eine wesentliche Spezifik, die den Men-                 durch die frei werdenden Arme effektivere
                                             schen von allen anderen Säugetieren                    Nahrungsaufnahme [10], die durch die
                                             unterscheidet, ist seine im Laufe der Evolu-           Aufrichtung verminderte Sonneneinstrah-
                                             tion erworbene Bipedie. Diese hat sich vor             lung und damit ein verringerter Hitzestau
                                             ca. 3 Mio. Jahren entwickelt [17]. Obwohl              [30] oder andere evolutionäre Vorteile hier
                                             die Bipedie augenscheinlich energetische               die ausschlaggebenden Faktoren waren,
                                             [19] und biomechanische [18, 25] Nachtei-              ist nach wie vor Gegenstand wissenschaft-
                                             le gegenüber der Quadrupedie aufweist,                 licher Diskussionen. Durch die geänderte
QR-Code scannen & Beitrag online lesen       überwogen dennoch die Vorteile. Ob die                 biomechanische Beanspruchung erfolg-

                                                                                                                               Manuelle Medizin     1
Originalien
                                                  Vorgänge haben sich jedoch in einer na-        caneus beim Gehen eine Aufrichtung der
                                                  türlichen Umgebung, also auf weichen           Fußpyramide zur Folge hat, was Vorausset-
                                                  und federnden Böden, und ohne heutiges         zung für die Entspannung des interossä-
                                                  Schuhwerk entwickelt [34].                     ren Bandes zwischen unterem und oberem
                                                      Inwieweit diese Anpassungsprozesse         Sprunggelenk ist. Das Lig. talocalcaneum
                                                  dem täglichen Leben unserer Zeit ent-          interosseum ist gemäß Kapandji 2009 [14]
                                                  sprechen oder ob es immer noch Reserven        das Band mit den meisten Propriozepto-
                                                  gibt, um den menschlichen Gang in ei-          ren des menschlichen Körpers und für die
                                                  ner modernen Lebens-, Industrie- und           Einstellung des Fußes auf den Untergrund
                                                  Arbeitswelt funktionell und energetisch        zuständig. Die beschriebene Kipprotation
                                                  zu optimieren, bleibt zu hinterfragen.         im unteren Sprunggelenk war die Grundla-
                                                      Hinweise darauf ergeben sich aus Stu-      ge zur Entwicklung einer auf den Rückfuß
                                                  dien, bei denen gezeigt werden konnte,         und dessen Muskel-, Bänder- und Faszien-
                                                  dass, obwohl für den Gesamtorganismus          strukturen wirkenden Gangjustierhilfe, die
                                                  während der Lokomotion ein energeti-           eben dieses Rotationskippmoment seiten-
                                                  sches Optimum bei ca. 4,5 km/h existiert       gleich in den Bewegungsablauf inkludiert
                                                  [1, 4], dieses auf muskulärer Ebene so nicht   wissen wollte (. Abb. 1). Der gedankliche
                                                  nachweisbar ist [5]. Offensichtlich sind an-    Ansatz der an dieser Stelle eingebrachten
                                                  dere als rein lokomotorische Funktionen        Impulssituation ist eine frühe Aufrichtung
Abb. 1 8 Gangjustierhilfen in unterschiedli-      hier von Bedeutung. Dennoch kann man           der Fußpyramide bereits beim Initialkon-
chen Größenausführungen (oben). Repräsen-
                                                  aufgrund der besonderen Kontaktfunktion        takt, sodass dadurch ein symmetrisches,
tative Darstellung der Positionierung der Gang-
justierhilfe im Rückfußbereich (unten)            der Füße annehmen, dass sich die Morpho-       ökonomisches Gehen ermöglicht werden
                                                  logie des menschlichen Fußes bereits op-       kann. Die sog. Augmentation fördert die
                                                  timal an die Anforderungen der bipedalen       optimale Abrollbewegung des Fußes beim
ten anatomische Anpassungsvorgänge,               Lokomotion angepasst hat, um eine opti-        Gehen, indem sie so auf den Fersenkno-
die v. a. im Becken und in den Beinen zu          male Balance zwischen Mobilität und Sta-       chen einwirkt, dass dieser leicht nach au-
einer Massenzunahme führten. Auch die             bilität zu gewährleisten. Allerdings haben     ßen bewegt wird und der Fuß in der Folge
Füße veränderten anforderungsbedingt              sich die Lebensumstände der Menschen           über den Außenrand abrollt. Dies bewirkt
ihre Anatomie: die Greiffunktion der Ze-           in vergleichsweise kurzer Zeit dramatisch      im Fuß eine Aufrichtung des Fußgewölbes
hen ging durch die Eingliederung der              verändert, indem Gebiete besiedelt und         sowie eine verbesserte Statik des Fußes
Großzehe in den Zehenverbund der rest-            befestigte Wege und Behausungen errich-        während der Standphase und infolgedes-
lichen Zehen zwar verloren [21], jedoch           tet wurden. Insbesondere innerhalb der         sen eine Symmetrisierung des Gangbildes.
wurde damit die Standfestigkeit deutlich          letzten ca. 200 Jahre hat noch einmal eine         Das zugrunde liegende mathemati-
verbessert [11]. Es gibt Hinweise darauf,         dramatische Erhöhung der Veränderungs-         sche Modell zur Symmetrisierung wird
dass unsere hominiden Vorfahren bereits           geschwindigkeit stattgefunden, die aktu-       abstrahiert dargestellt durch die Lemnis-
über ein federndes Fußgewölbe verfüg-             ell durch Lokomotion über feste Unter-         kate nach Bernoulli, die für den Fall einer
ten [32], was durch einen sich ebenfalls          gründe, dem Tragen von eher modischem          strengen Symmetrie in der Position zweier
adaptierenden Muskel- und Halteapparat            als funktionellem Schuhwerk, durch allge-      Ausgangspunkte eine liegende Acht er-
ermöglicht wurde. All diese evolutionären         meine Bewegungsarmut hervorgerufene            gibt [16]. Das Verlassen dieser Symmetrie
                                                  muskuläre Degeneration sowie einem ho-         führt zu einer Lageänderung der resul-
    Abkürzungen                                   hen Anteil statischer Belastungen gekenn-      tierenden geometrischen Form, die auf
ANOVA      „analysis of variance“                 zeichnet ist und somit der Evolution bis       die Gangmechanik übertragen bedeutet,
BMI        Body-Mass-Index                        dato kaum Zeit gab, sich hierfür anzupas-      dass unsymmetrische Lastangriffspunkte
COP        „center of pressure“                   sen.                                           (also direkt zum initialen Fersenaufsatz)
Df         „degrees of freedom“                       Unbestritten bleiben die bereits ge-       ebenfalls unsymmetrische Lastkompen-
F          F-Wert
                                                  nannten Vorteile der Bipedie [20, 28, 31],     sationsvektoren im weiteren zeitlichen
FDM        Fußdruckmatte
g          Hedges g                               jedoch ist der lange Hebel des Körpers         Verlauf der Standphase zur Folge ha-
KI         Kokontraktionsindex                    im Vergleich zum kurzen Hebel der Füße         ben. Gerade der initiale Bodenkontakt
M.         „musculus“                             auf eine optimale anatomische Stellung         entscheidet also darüber, welche reflekto-
MSE        „mean squared error“                   der Knochen des Fußes und seiner früh-         rischen Korrekturmaßnahmen eingeleitet
OEMG       Oberflächen-Elektromyographie
                                                  zeitigen pyramidalen Aufrichtung zwecks        werden müssen, um die Standphase zu
p          p-Wert (Irrtumswahrscheinlichkeit)
rms        „root mean square“                     elastischer Aufrichtung angewiesen [25].       stabilisieren.
SD         Standardabweichung                         Abgeleitet aus empirischen Beobach-            Die Unterstützung der optimalen Posi-
SI         Symmetrieindex                         tungen an betagten Schwindelpatienten          tionierung der Knochenpyramide des Fu-
x          Mittelwert                             wurde nach anatomischen Studien hypo-          ßes und die aus der Optimierung der Sta-
ηp2        Partielles Eta Quadrat (Effektgröße)
                                                  thetisiert, dass eine Kipprotation des Cal-    tik folgende Symmetrisierung des Gehens

2     Manuelle Medizin
Tab. 1 Anthropometrische Kenndaten der Studienpopulation                                 Die Probanden waren hinsichtlich der
 Gruppe                   Größe (cm)     Gewicht (kg)     BMI (kg/m2)   Alter (Jahre)     Gruppenzuordnung verblindet.
 Kontrolle (n = 14)       181,2 ± 6,3    82,4 ± 12,8      25,0 ± 3,2    35,8 ± 7,3           Für die Untersuchung gingen die Pro-
 Intervention (n = 16)    179,0 ± 6,0    83,0 ± 11,7      25,8 ± 2,9    38,0 ± 7,4        banden in ihrer selbst gewählten normalen
 t-Test                   n. s.          n. s.            n. s.         n. s.             Gehgeschwindigkeit über eine 10 m lange
 Mittelwerte ± SD                                                                         Gehstrecke. Diese wurde jeweils 4-mal
                                                                                          absolviert, sodass für die Auswertung
                                                                                          mindestens 40 vollständige Doppelschrit-
wurden nun um die Stabilisierungsnut-         verständnis zur Teilnahme an der Studie.    te zur Verfügung standen. Daten wurden
zung in der Standphase erweitert und in       Die Studie wurde durch die Ethik-Kom-       mittels Oberflächenelektromyographie
der vorliegenden Untersuchung überprüft.      mission der Landesärztekammer Baden-        (OEMG) und einer im Boden eingelegten
Gesucht wurde ein möglichst standardi-        Württemberg positiv evaluiert (F-2020-      Druckmessplatte (Länge 3 m, Zebris FDM,
siertes Versuchsumfeld mit standardisier-     049) und die entsprechende Bewilligung      [Zebris medical GmbH, Isny, Deutschland])
ten Bewegungsbedingungen, um mithilfe         erteilt.                                    erhoben.
eines einheitlichen Schuhs mit und ohne          Die Studienteilnehmer waren Arbeiter
Augmentation die Hypothese zu überprü-        einer Schuhfertigungsfabrik. Die Zuord-     Durchgeführte Messungen und
fen, dass das Einbringen einer gangjustie-    nung zur Kontroll- bzw. Interventions-      Analyseparameter
renden Bewegungshilfe (ab jetzt Gangjus-      gruppe erfolgte randomisiert. Die beiden
tierhilfe genannt) Einfluss auf die musku-     Gruppen unterschieden sich hinsichtlich     Ganganalyse Zebris
läre Aktivität der in der ersten Studie als   ihrer anthropometrischen Kennzahlen         Die beiden folgenden Parameter basieren
relevant für das Gehen detektierten Un-       nicht (. Tab. 1).                           auf dem Verlauf des Belastungsschwer-
terschenkelmuskeln und deren kokontrak-                                                   punkts („center of pressure“, COP) während
tive Zusammenarbeit sowie die posturale       Untersuchung                                der entsprechenden Schrittzyklen und be-
Kontrolle beim Gehen hat. Im Sinne einer                                                  schreiben die Auslenkungen des mittleren
Verbesserung wäre jegliche Veränderung        Alle Studienteilnehmer wurden zu zwei       COP-Schnittpunkts auf der Transversalebe-
zu interpretieren, die entweder zu einer      Zeitpunkten im Abstand von 14 Tagen         ne. Äquivalent zum Kokontraktionssym-
Aufwandsminimierung oder zu einer Sym-        untersucht. Zu jedem Untersuchungszeit-     metrieindex wurde die Seitenzuordnung
metrisierung der untersuchten Parameter       punkt erfolgte eine Messung vor und ei-     durch eine Betragsbildung aufgehoben.
führt.                                        ne Untersuchung nach Beendigung der
                                              Arbeitsschicht (jeweils Spätschicht). So-   Laterale Verlagerung
Methodik                                      mit gingen insgesamt vier Einzeluntersu-    Dieser Parameter beschreibt die Links-
                                              chungen in die Analyse ein: Untersuchung    rechts-Verlagerung des COP-Schnitt-
Bei der Untersuchung handelt es sich um       vor Beginn der Arbeitsschicht (U1), Un-     punkts im zeitlichen Verlauf des Belas-
eine Interventionsstudie im Messwieder-       tersuchung nach Beendigung der Arbeits-     tungsschwerpunkts. Die absoluten Werte
holungsdesign mit Kontrollgruppe.             schicht (U2), Untersuchung vor Beginn der   beschreiben die mittlere Auslenkung un-
                                              Arbeitsschicht (U3), Untersuchung nach      abhängig von der Seite.
Probanden                                     Beendigung der Arbeitsschicht (U4).
                                                  Alle Probanden waren Sicherheits-       Anterior-posterior-Verlagerung
Für die Studie wurden insgesamt 47 Pro-       schuhträger (Klasse S1). Dieser Schuh ist   Dieser Parameter beschreibt die Vor-rück-
banden als studientauglich identifiziert,      in Relation zu einem Freizeitschuh re-      Verlagerung des COP-Schnittpunkts im
von denen sich 30 bereit erklärten, an        lativ schwer (Schuhgewicht hat in etwa      zeitlichen Verlauf des Belastungsschwer-
der Untersuchung teilzunehmen. Die Pro-       das Gewicht eines Fußes). Jeder Proband     punkts. Die absoluten Werte beschreiben
banden sollten männlich sowie zwischen        wurde zu Beginn der Untersuchung mit        die mittlere Auslenkung unabhängig von
25 und 45 Jahren alt sein, keine or-          baugleichen, neuen Sicherheitsschuhen       der Seite.
thopädischen Beschwerden haben und            (HAIX Black Eagle) nach Anprobe in sei-
im Untersuchungszeitraum in der Spät-         ner Schuhgröße ausgestattet, die er über    OEMG
schicht eingeteilt sein. Ausgeschlossen       den gesamten Interventionszeitraum von      Mittels OEMG wurde die muskuläre Ak-
wurden Probanden mit orthopädischen           2 Wochen kontinuierlich während der Ar-     tivität der zu untersuchenden Muskeln
Beschwerden sowie weiteren behand-            beitsschicht und auch während der Unter-    während der Lokomotion erfasst. Aus
lungsbedürftigen gesundheitlichen Pro-        suchung trug. Die Kontrollgruppe erhielt    den zeitnormierten Amplitudenverlaufs-
blemen. Aufgrund eines Dropouts wurden        das Standardmodell ohne Augmentation,       kurven wurden mittlere Amplitudenwerte
schlussendlich die Datensätze von 29 Pro-     während bei der Interventionsgruppe die     für den Bereich der mittleren Standphase
banden in die Auswertung einbezogen.          zusätzliche Gangjustierhilfe in den Schuh   (10–30 %) bestimmt, um die aufgestellte
Alle Teilnehmer wurden vor Beginn der         eingebracht wurde (Patent Nr. DE10 2019     Hypothese der kokontraktiven Symmetrie
Untersuchung über Zweck und Inhalt            100 841.7, Gangjustierhilfe im Schuh).      zu überprüfen.
aufgeklärt und gaben ihr schriftliches Ein-

                                                                                                                 Manuelle Medizin   3
Originalien
                                                                                                                                                                                                                                   Symmetrieindex Kokontraktion EMG                     Die Werte beider Seiten wurden dann

                                  0,017**
                                                                                                                                                                                                                                   Für die Analyse der Muskelfunktion wur-          hinsichtlich vorhandener Seitenunter-
                                  0,680

                                  0,157
                                                                                                                                                                                                                                   den beidseitig der M. tibialis anterior sowie    schiede durch Anwendung des Symme-
                                  p

                                                                                                                                                                                                                                   der M. peroneus longus mittels OEMG un-          trieindex [22, 27] quantifiziert (Berech-
                                                                                                                                                                                                                                   tersucht. Die Elektroden wurden hierfür          nung als Differenz der Werte/Mittelwert,
                                0,021
                                0,143
                                0,063
                                                                                                                                                                                                                                   an den von der SENIAM empfohlenen Po-            daher Wertebereich –200 bis 200, kleine
                                ηp2

                                                                                                                                                                                                                                   sitionen entlang der Faserrichtung ange-         Zahlenwerte stehen für geringe Asym-
                                                                                                                                                                                                                                   bracht. M tibialis anterior: Mitte des Elek-     metrie), wobei hier die Seitenzuordnung
                                  0,46
                                  3,69
                                  1,81

                                                                                                                                                                                                                                   trodenpaares bei 1/3 des Abstands zwi-           bewusst durch eine Betragsbildung aufge-
                                  F

                                                                                                                                                                                                                                   schen Caput fibulae und Malleolus media-          hoben wurde, damit wechselnde Seiten-
                                                                                                                                                                                                                                   lis, Ausrichtung entlang der Verbindungs-        differenzen sich nicht auslöschen und das
                         148,12
                         15,13
                         MSE

                                                                                                                                                                                                                                   linie zwischen den genannten Punkten;            Ergebnis verfälschen können. Die Verän-
                         6,06
               Zeit × Gruppe

                                                                                                                                                                                                                                   M. peroneus longus: Mitte der Elektroden         derung der Werte bis zu den Grenzwerten
                                                                                                                                                                                                                                   bei ¼ des Abstands zwischen Caput fi-             ist dabei linear, was die Beurteilung deut-
               2,55
               2,91
               2,73

                                                                                                                                                                                                                                   bulae und Malleolus lateralis, Ausrichtung       lich besser nachvollziehbar macht und so
               Df

                                                                                                                                                                                                                                   senkrecht auf der Linie zwischen den ge-         nicht für prozentuale Unterschiede gilt.
                                                                                                                                                                                                                                   nannten Punkten. Für die Identifikation
                                  0,006***

                                                                                                                                                                                                                                   der Schrittereignisse wurden zusätzlich auf      Statistische Analyse
                                  0,079*

                                  0,836

                                                                                                                                                                                                                                   dem Fußrücken beidseitig Inertialsensoren        Die Verteilungen sämtlicher Parameter
                                  p

                                                                                                                                                                                                                                   angebracht. Die Datenerfassung erfolgte          wurden visuell mittels Kerndichteschät-
                                                                                                                                                                                                                                   mittels kabelloser OEMG-Technik (Myon            zer inspiziert. Für die Variablen laterale
                                0,102
                                0,172
                                0,010
                                ηp2

                                                                                                                                                                                                                                   AG, Schwarzenberg, Schweiz), sowohl für          Verlagerung und Anterior-posterior-Verla-
                                                                                                                                                                                                                                   die OEMG-Daten (Abtastrate 2000/s, Auflö-         gerung wurden aufgrund fehlender Werte
                                                                                                                                                                                                                                   sung 12 bit) als auch für die simultan erfass-   die Stichprobengröße per Zufallsziehung
                                  2,49
                                  4,57
                                  0,26

                                                                                                                                                                                                                                   ten Daten der Inertialsensoren (Abtastrate       ausbalanciert (Interventionsgruppe = 12,
                                  F

                                                                                                          df Freiheitsgrade, MSE mittlerer quadratischer Fehler, ηp2 partielles Eta-Quadrat (Effektgröße), EMG Elektromyographie

                                                                                                                                                                                                                                   286/s: Akzeleration, Lage und Magnetfeld         Kontrollgruppe = 12). Es wurde eine zwei-
                                                                                                                                                                                                                                   in jeweils 3 Ebenen).                            faktorielle Varianzanalyse (ANOVA) mit
                                                                                                 148,12
                                                                                                 15,13
                                                                                                 MSE

                                                                                                 6,06

                                                                                                                                                                                                                                        Für die Datenanalyse wurden in der          Messwiederholungen (Gruppe × Zeit), mit
         Ergebnisse der Varianzanalyse (ANOVA) mit Messwiederholung für die ausgewählten Variablen

                                                                                                                                                                                                                                   Folge lediglich die kompletten Doppel-           der Gruppe als Zwischensubjektfaktor
                                                                                                                                                                                                                                   schritte verwendet, deren Dauer maxi-            und Zeit als Innersubjektfaktor, gerech-
                                                                                       2,55
                                                                                       2,91
                                                                                       2,73
                                                                                       Zeit
                                                                                       Df

                                                                                                                                                                                                                                   mal 10 % vom Median aller Schritte des           net, um globale Effekte zu bewerten.
                                                                                                                                                                                                                                   jeweiligen Durchlaufs abwich. Die ver-           Bei Verletzungen der Sphärizität wurde
                                                                                                                                                                                                                                   bleibenden Doppelschritte wurden mit             die Greenhouse-Geißer-Korrektur verwen-
                                                                             0,206
                                                                             0,407
                                                                             0,119

                                                                                                                                                                                                                                   einer Genauigkeit von 0,5 % zeitnormiert.        det. Die Verteilung der Residuen wurde
                                                                             p

                                                                                                                                                                                                                                   Die Rohdaten wurden als „root mean               visuell über Quantil-Quantil-Diagramme
                                                                                                                                                                                                                                   square“ (rms) quantifiziert und im Wei-           überprüft. Anschließend wurden Post-
                                                                 0,072
                                                                 0,031
                                                                 0,088
                                                                 η p2

                                                                                                                                                                                                                                   teren die Einzelschritte eliminiert, die         hoc-Vergleiche mit korrigierten p-Werten,
                                                                                                                                                                                                                                   stärker als die doppelte Standardabwei-          je nach Stichprobenanzahl mit Tukey-
                                                                                                                                                                                                                                   chung vom Kurvenmittelwert aller gül-            oder Holm-Anpassung, gerechnet. Das
                                                        1,70
                                                        0,71
                                                        2,60

                                                                                                                                                                                                                                   tigen Einzelschritte abwichen (Software:         Signifikanzlevel wurde auf 0,05 gesetzt.
                                                        F

                                                                                                                                                                                                                                   Maleda, CULTURA HOMINIS (Stutensee,              Ergebnisse mit einem p-Wert von klei-
                                            402,47

                                                                                                                                                                                                                                   Deutschland)/GJB Datentechnik [Ilmenau,          ner als 0,1 werden als mögliche Trends
                                            27,36
                                            50,61
                                            MSE

                                                                                                                                                                                                                                   Deutschland]). Für die Datenanalyse selbst       angesehen. Zusätzlich wurden korrigierte
                                      Gruppe

                                                                                                                                                                                                                                   wurden die gemittelten Zeitverlaufskur-          Hedges’-g-Effektgrößen (|d| > 0,2 klein,
                                                                                                                                                                                                                                   ven pro untersuchtem Muskel verwendet.           |d| > 0,5 mittel, |d| > 0,8 groß) berechnet.
                                      Df
                                      1
                                      1
                                      1

                                                                                                                                                                                                                                   Für den Bereich der mittleren Standphase         Sämtliche statistischen Analysen wurden
                                                                                                                                                                                                                                   (10–30 % des normierten Schrittzyklus)           mit der Statistiksoftware R (R Core Team,
                                                                                                          * p < 0,01, ** p < 0,05, *** p < 0,001
Anterior-posterior-Verlagerung

                                                                                                                                                                                                                                   wurde seitengetrennt der Kokontraktions-         2020) unter der Verwendung verschiede-
                                                                                                                                                                                                                                   index nach Rudolph berechnet [23]. Die           ner Pakete [15, 24, 26, 33] durchgeführt.
                                                                                                                                                                                                                                   Auswahl genau dieses Indexes erschien
EMG-Symmetrieindex
Laterale Verlagerung

                                                                                                                                                                                                                                   für die Fragestellung in Hinblick auf eine       Ergebnisse
                                                                                                                                                                                                                                   Optimierung der muskulären Aktivität als
                                                                                                                                                                                                                                   sinnvoll, weil er nicht nur das Amplitu-         Ganganalyseparameter
                                                                                                                                                                                                                                   denverhältnis der ausgewählten Muskeln
Tab. 2

                                                                                                                                                                                                                                   zueinander, sondern auch das gemeinsa-           Laterale Verlagerung. Es konnten kei-
                                                                                                                                                                                                                                   me Amplitudenniveau berücksichtigt.              ne signifikanten Interaktionseffekte zwi-

4                   Manuelle Medizin
Laterale Verlagerung
                                     Messsystem Zebris

                                15
    Laterale Verlagerung [mm]

                                10
                                                                                                                  Gruppe
                                                                                                                           Interventionsgruppe
                                                                                                                           Kontrollgruppe

                                5

                                0                                                                                                                   Abb. 2 9 Prozentuale seit-
                                                                                                                                                    liche Verlagerung des COP-
                                            U1              U2             U3                   U4
                                                                                                                                                    Schnittpunktes (s. Zebris)
                                                             Messzeitpunkt                                                                          für beide Gruppen über die
                                                                                               n = 12, n = 12                                       Messzeitpunkte. COP „cen-
                                                                                                                                                    ter of pressure“

schen den Messwiederholungen und                                    zeitpunkten (xKontrolle_2 = 9,3; xKontrolle_3 = 7,0,       ren Symmetrieindex der Interventions-
den Gruppen gefunden werden: F (2,55,                               xKontrollel_4 = 7,1). Bei der Interventions-               gruppe (xIntervention = 13,16, xKontrollel = 22,13,
56,14) = 0,46, p = 0,680, ηp2 = 0,01.                               gruppe zeigten sich keine signifikanten                     p = 0,09, g = –0,62). Auch zum vierten
    Gruppenunabhängig zeigten sich in                               Änderungen über die Messzeitpunkte hin-                    Messzeitpunkt nach der Schicht zeigt
den Post-hoc-Tests streng genommen kei-                             weg. Der Einfluss der Messwiederholung                      die Interventionsgruppe einen geringe-
ne signifikanten Unterschiede (p = 0,057,                            (Haupteffekt Zeit) ist in der ANOVA signi-                  ren Symmetrieindex (xIntervention = 13,70,
g = 0,63) zwischen den Messzeitpunkten                              fikant mit F (2,91, 63,96) = 4,57, p = 0,006,               xKontrolle = 26,20, p = 0,02, g = –0,83) und
U2 (x = 6,07) und U4 (x = 3,4).                                     ηp2 = 0,05.                                                damit weniger starke Unterschiede zwi-
    Weiter zeigen Post-hoc Tests, dass die                              Post-hoc-Tests zeigen, dass sich die                   schen den beiden Körperhälften.
lateralen Verlagerungen bei der Inter-                              Gruppen zu U1 nicht wesentlich unter-
ventionsgruppe zu U2 (xIntervention = 4,9,                          scheiden (xIntervention = 5,5, xKontrolle = 4,4,           Diskussion
xKontrollel = 7,2, p = 0,16, g = –0,47) und U4                      p = 0,5, g = 0,2). Zu U2 zeigt sich aber
(xIntervention = 2,3, xKontrolle = 4,4, p = 0,22,                   eine signifikant größere Vor- und Rück-                     Ziel der Studie war es zu überprüfen, ob das
g = –0,6) leicht geringer sind. Die Er-                             wärtsverlagerung bei der Kontrollgruppe                    Tragen einer Gangjustierhilfe Auswirkun-
gebnisse der ANOVA zeigten für die-                                 (xIntervention = 5,7, xKontrolle = 9,3, p = 0,04,          gen auf die posturale Kontrolle und die
sen Vergleich (Haupteffekt Gruppe) je-                               g = –0,75). Die Ergebnisse der ANOVA                       muskuläre Aktivität ausgewählter Unter-
doch keinen signifikanten Unterschied:                               zeigten für diesen Vergleich (Hauptef-                     schenkelmuskeln im Sinne einer Symme-
F (1, 22) = 1,70, p = 0,206, ηp2 = 0,031                            fekt Gruppe) jedoch keinen signifikanten                    trisierung des Gehens hat. Durch eine An-
(. Tab. 2, . Abb. 2).                                               Unterschied: F(1, 22) = 0,71, p = 0,407,                   gleichung der Statik des Fußes von rechter
                                                                    ηp2 = 0,023 (. Tab. 2, . Abb. 3).                          und linker Seite durch eine Gangjustierhil-
Anterior-posterior-Verlagerung.            Es                                                                                  fe soll eine größtmögliche Symmetrie und
konnten signifikante Interaktionseffekte                              Auswertung der OEMG                                        Harmonie beim Gehen hergestellt werden.
zwischen den Gruppen und den Messwie-                                                                                          Eine Erhöhung der Symmetrie führt zu ei-
derholungen gefunden werden: F (2,91,                               Symmetrieindex Kokontraktion. Global                       ner Reduktion des muskulären Aufwands
63,96) = 3,69, p = 0,017, ηp2 = 0,04.                               konnten keine signifikanten Interaktions-                   und damit zu einer Ökonomisierung des
    Unterschiede innerhalb der Gruppen                              effekte, Haupt- und Nebeneffekte gefun-                      Gehens [8], was v. a. bei Menschen, die im
zeigten sich nur bei für die Kontroll-                              den werden (. Tab. 2, . Abb. 4).                           Stehen und Gehen arbeiten, von großem
gruppe mit einer geringeren Vor- und                                   Multiple Mittelwertvergleiche zeigen                    Vorteil ist: Mehr Wachheit und weniger Ar-
Rückwärtsverlagerung im Vergleich U1                                jedoch in der Tendenz einen Gruppen-                       beitsunfälle, weniger Müdigkeit am Ende
(xKontrollel_1 = 4,4) zu den restlichen Mess-                       unterschied zu U2 mit einem niedrige-

                                                                                                                                                           Manuelle Medizin     5
Originalien

                                              Anterior−Posterior Position
                                              Messsystem Zebris

                                         15
    Vor− und Rückwärtsverlagerung [mm]

                                         10                                                                         Gruppe
                                                                                                                          Interventionsgruppe
                                                                                                                          Kontrollgruppe

                                         5

                                         0                                                                                                      Abb. 3 9 Prozentuale Vor-
                                                                                                                                                und Rückwärtsverlagerung
                                                     U1            U2            U3                U4
                                                                                                                                                des COP-Schnittpunktes
                                                                     Messzeitpunkt                                                              (s. Zebris) für beide Grup-
                                                                                                   n = 12, n = 12                               penüberdie Messzeitpunk-
                                                                                                                                                te. COP „center of pressure“

der Schicht, weniger orthopädische Be-                                      komotion bzw. manuellen Lastmanipula-             Gruppeneffekte nachweisen. Bei einer
schwerden können die Folge sein.                                            tionen untersucht haben. Gerade die ini-          Teststärke von 0,8 und einer notwendigen
    Sowohl für die posturale Kontrolle als                                  tiale Lastübernahme (die allerdings noch          Effektgröße von 0,5 wäre dafür eine Ge-
auch für die muskuläre Aktivität wurden                                     beidseitig durch die Doppelkontaktpha-            samtstichprobengröße von 64 Probanden
Effekte detektiert. Die dafür ausgewählten                                   se gesichert ist) und die sich daran an-          erforderlich [35], die aufgrund der Coro-
beschreibenden Parameter – der Kokon-                                       schließende einbeinige Standphase sind            naschutzmaßnahmen und des Lockdowns
traktionsindex (KI) sowie der Symmetrie-                                    für einen sicheren, effizienten und damit           nicht erreicht werden konnte.
index (SI) in der hier verwendeten Vari-                                    symmetrischen Gang wichtige funktionel-              DieVerlagerungdes COP-Schnittpunkts
ante mit Betragsbildung – erscheinen aus                                    le Phasen, für die physiologische Struktur-       auf der Transversalebene kann in Verbin-
verschiedenen Gründen als sehr geeignet.                                    verstrickungen gefunden wurden.                   dung mit der posturalen Kontrolle ge-
Zum einen erfasst der KI durch die Ein-                                         Im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigte        bracht werden. Diese wird von mehreren
beziehung der summierten Gesamtakti-                                        die Interventionsgruppe eine geringere la-        extrinsischen und intrinsischen Faktoren
vität nicht nur das Amplitudenverhältnis                                    terale Verlagerung des COP-Schnittpunkts          beeinflusst, u. a. auch die neuromuskuläre
der beiden betrachteten Muskeln, sondern                                    jeweils nach der Arbeitsschicht (U2 und           Ermüdung [9, 29]. Auch gibt es Studien,
auch deren Aktivitätsniveau, sodass damit                                   U4). Ebenso konnten Gruppenunterschie-            die zeigen, dass eine höhere Variabilität
insbesondere die Frage der energetischen                                    de nach der Arbeitsschicht zu U2 in der           der lateralen Verlagerung mit einem hö-
Effizienz mit beantwortet wird. Zum ande-                                     Anterior-posterior-Verlagerung gefunden           heren Sturzrisiko verbunden ist [12, 13].
ren erlaubt die Verwendung der Betrags-                                     werden, mit einer geringeren Auslenkung           Rückschließend kann vermutet werden,
werte des SI die Aufsummierung vorhan-                                      des COP-Schnittpunkts bei der Interven-           dass eine geringere Auslenkung des COP-
dener Seitendifferenzen, die ansonsten bei                                   tionsgruppe. Jedoch ist dieser Effekt für          Schnittpunkts auf der Transversalebene für
wechselnden Seitendifferenzen durchaus                                       den 4. Messzeitpunkt nicht feststellbar.          eine bessere posturale Kontrolle steht und
verloren gehen kann und somit auftreten-                                    Gleichsinnig verhielt sich der Symmetrie-         damit auf eine Optimierung des Gang-
de Schwankungen maskiert.                                                   index, bei dem ebenfalls jeweils nach der         verhaltens bei der augmentierten Gruppe
    Bis dato sind uns keinerlei Untersuchun-                                Arbeitsschicht, systematisch dann zu U4           hindeutet.
gen bekannt, die die Fragestellung einer                                    nachweisbar weniger große Seitendiffe-                Wenngleich der Effekt in der Vor- und
seitenangleichenden Korrektur der Bewe-                                     renzen als vor der Schicht und im Vergleich       Rückwärtsverlagerung des COP-Schnitt-
gungsführung des Fußes beim Tragen von                                      zur Kontrollgruppe nachgewiesen werden            punkts lediglich zum Messzeitpunkt 2
entsprechend ausgestatteten Schuhen in                                      konnten. Global lassen sich über Varianz-         (nach der Schicht) nachweisbar war, bleibt
Hinblick auf eine Gangsymmetrisierung                                       analysen im Messwiederholungsdesign               festzuhalten, dass das Tragen der Gang-
bzw. Gangstabilisierung während der Lo-                                     aufgrund der Stichprobengröße keine

6                    Manuelle Medizin
Symmetrieindex Kokontraktionsindex
                         EMG

                    60

                    40
   Symmetrieindex

                                                                                             Gruppe
                                                                                                    Interventionsgruppe
                                                                                                    Kontrollgruppe

                    20

                                                                                                                               Abb. 4 9 Veränderung
                                                                                                                               des Symmetrieindexes für
                                                                                                                               den Kokontraktionsindex
                    0                                                                                                          nach Rudolph [23] wäh-
                                                                                                                               rend der mittleren Stand-
                               U1           U2            U3                U4
                                                                                                                               phase (10–30 %) für beide
                                              Messzeitpunkt                                                                    Gruppen über die Messzeit-
                                                                            n = 15, n = 14                                     punkte. EMG Elektromyo-
                                                                                                                               graphie

justierhilfe die posturale Kontrolle positiv         Symmetrisierung der Muskelaktivität ge-            der Arbeitsschicht stärker als vor Beginn
beeinflussen kann.                                    funden werden kann.                                zum Vorschein kommen.
    Im zeitlichen Verlauf der statistischen              An dieser Stelle ist es zwar nicht mög-            Wenngleich in der alltäglichen Praxis
Analyse der zitierten Arbeiten [2, 6, 7] und         lich, abstrahierte Aussagen hinsichtlich ei-       der beiden Praxisinhaber beständig im
dieser Publikation zeigte sich, dass Über-           ner erhöhten oder verminderten Stabilisie-         alltäglichen Anwendungsgebrauch wohl
legungen bezüglich Bewegungssymmetri-                rungsleistung beider Muskeln abzuleiten,           erfolgreich umgesetzt [2, 6, 7], müssen
sierung berechtigt in ein indexiertes Ver-           die Angleichung der beiden Körperhälften           weitere Studien zeigen, ob und in wel-
hältnis gesetzt werden können. Anhand                gibt jedoch deutliche Hinweise auf eine            chem Ausmaß längerfristige Auswirkun-
der nachweisbaren Verringerung des Sym-              Angleichung vorhandener Seitendifferen-             gen durch das Tragen der Augmentati-
metrieindex kann zumindest der indirekte             zen. Diese sind in wechselnder Seitenzu-           on zu beobachten sind. Insbesondere bei
Hinweis auf eine Umstellung der intrinsi-            ordnungund Ausprägunggrundsätzlichzu               Personengruppen mit starken Asymmetri-
schen, funktionellen Ansteuerung der für             unterstellen, da es eine ideale Symmetrie          en, die dauerhaft zu Überlastungen der
die einbeinige Standphase wichtigen An-              weder morphologisch noch funktionell ge-           aktiven und passiven Strukturen führen
tagonisten M. tibialis anterior (Supinator           ben kann. Insbesondere die Tatsache, dass          oder die Koordination beinträchtigen kön-
im unteren Sprunggelenk, Dorsalflexor im              die Symmetrisierung v. a. nach der jewei-          nen, sind weitere Studien angezeigt. Insge-
oberen Sprunggelenk) und M. peroneus                 ligen Arbeitsschicht nachweisbar war, was          samt sprechen sowohl die Ergebnisse der
longus (Pronator im unteren Sprungge-                als gegensätzliche Tendenz zur Kontroll-           Ganganalyseparameter als auch die Un-
lenk, Plantarflexor im oberen Sprungge-               gruppe auftrat, spricht für eine funktionel-       tersuchungsergebnisse der durchgeführ-
lenk). Beide bilden einen Pseudosteigbü-             le Harmonisierung der Ansteuerung auch             ten EMG-Untersuchung für eine positive
gel und sorgen so, unabhängig von der                unter Anstrengung. Da in beiden Kollek-            Wirkung der applizierten Augmentation,
Wirkung auf die Fußstellung, gemeinsam               tiven dasselbe Schuhmodell zum Einsatz             sodass die Bezeichnung „Gangjustierhilfe“
für die Querverspannung des Fußgewöl-                kam, sind die beobachteten Veränderun-             berechtigt erscheint.
bes [3]. Hierbei sichern und kontrollie-             gen mit großer Sicherheit der Wirkung
ren sie also die Fußstabilität während der           der Augmentation zuzurechnen. Eine Zu-                 Fazit für die Praxis
Standphase, was insbesondere während                 nahme der Asymmetrie nach der Arbeits-             4    Es konnte gezeigt werden, dass die Opti-
der einbeinigen Standphase wichtig für               schicht, wie sie in der Kontrollgruppe zu               mierung der Statik des Calcaneus durch
die Standstabilität ist. Lässt sich diese al-        beobachten war, ist ein weiterer deutlicher             beispielsweise die oben beschriebene
so harmonisieren, kann von einer verbes-             Hinweis auf das Vorhandenseinvonim Nor-                 Gangjustierhilfe zu einer Symmetrisie-
serten Standstatik ausgegangen werden,               malfall zu unterstellenden Asymmetrien,                 rung des Gehens und zu einer Ökonomi-
                                                                                                             sierung des Gehens beiträgt.
deren funktionelles Spiegelbild in einer             die also durch die anhaltende Belastung

                                                                                                                                     Manuelle Medizin   7
Abstract

4    Aus der vorliegenden Untersuchung erge-
     ben sich deutliche Hinweise darauf, dass
                                                          Effect of gait-adjustment aids on stabilization and symmetrization of
     die Verwendung von Gangjustierhilfen                 walking
     zu einer Harmonisierung des Gangbildes
     bei gleichzeitig verringertem Kontrol-               Background: During evolution, humans developed bipedality and the corresponding
     laufwand beiträgt. Damit können ins-                 functional and morphological adaptation processes. One of these developments is
     besondere für lang dauernde Geh- und                 enlargement of the calcaneus, which, if correctly positioned, helps to improve the
     Stehbelastungen die Gefahr eines durch               statics of the entire foot, subsequently followed by a more symmetrical gait pattern.
     muskuläre Ermüdung verringerten Ge-                  Methods: To test the hypothesis of the influence of a provoked tilt rotation on
     lenkschutzes für das Sprunggelenk sowie              gait statics, 29 healthy male subjects were randomly assigned to the control (C) or
     ganz allgemein die Stand- und Gangsi-
     cherheit verbessert werden. Dies spielt
                                                          intervention (I) group and examined during walking on an instrumented walkway.
     eine Rolle bei arbeitenden Menschen, Trä-            Both groups were fitted with identical shoes, but the intervention group additionally
     gern von Sicherheitsschuhen, Leistungs-              received a gait adjustment aid that was inserted in the medial hindfoot region to
     sportlern, Kindern und älteren, gangunsi-            trigger a tilt rotation of the lower ankle joint. All subjects were examined at two
     cheren Menschen.                                     timepoints 14 days apart before (T1, T3) and after their work shift (late shift; T2, T4) in
4    Ein geeignetes Mittel zur Überprüfung                a repeated measurement design. Selected established gait analysis parameters and
     dieser Effekte ist der Kokontraktionssym-             muscular activity of one antagonistic shank muscle pair on both sides were recorded
     metrieindex, der in der Praxis in sehr kur-
                                                          during the mid-stance phase of the gait cycle.
     zer Zeit und mit wenig Aufwand bestimmt
     werden kann. Darauf aufbauend lassen                 Results: Gait analysis parameters tended to show lower values for the intervention
     sich manualtherapeutische Interventio-               group for lateral displacement (T4 C: 4.4, I: 2.3). For the analysed muscle activity
     nen anschließen, die die Optimierung der             (electromyography), a significantly smaller side difference in the intervention group
     Statik durch die Gangjustierhilfe nutzen,            after the work shift could be identified (T4 C: 26.2, I: 13.7, p = 0.02).
     um den Patienten in korrekter Positionie-            Conclusion: There are clear indications that use of gait adjustment aids has an impact
     rung der Fuß- und Beinachse beüben zu                on the lower ankle joint, which contributes to harmonization of the gait pattern. This
     können.
                                                          can improve stance and gait safety.

                                                          Keywords
    Korrespondenzadresse                                  Gait analysis · Gait adjustment aid · Surface electromyography · Co-contraction · Symmetry
apl. Prof. Dr. med. habil. Christoph Anders
Funktionsbereich Motorik, Pathophysio-
logie und Biomechanik, Experimentelle                   veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung,         4. Bastien GJ, Willems PA, Schepens B et al (2005)
Unfallchirurgie, Klinik für Unfall-, Hand und           Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jegli-               Effect of load and speed on the energetic cost of
Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklini-         chem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die              human walking. Eur J Appl Physiol 94:76–83
kum Jena                                                ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsge-          5. Carrier DR, Anders C, Schilling N (2011) The
07740 Jena, Deutschland                                 mäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz              musculoskeletal system of humans is not tuned to
christoph.anders@med.uni-jena.de                        beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenom-                   maximize the economy of locomotion. Proc Natl
                                                        men wurden.                                                     Acad Sci USA 108:18631–18636
                                                                                                                     6. Dürrschnabel I, Dürrschnabel L (2021) Der
                                                        Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges          beschuhte Fuß beim Gehen: Anatomische Grund-
                                                        Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten               lagen und Grundsätzliches zu Gangoptimierung.
Funding. Open Access funding enabled and organi-
                                                        Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbil-             Orthopädieschuhtechnik 72:28–34
zed by Projekt DEAL.
                                                        dungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das be-           7. Dürrschnabel I, Dürrschnabel L (2021) Gleichge-
                                                        treffende Material nicht unter der genannten Creative            wichtssinn und Symmetrie – untrennbare Einheit
                                                        Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung                einer stabilen Bipedalität. Man Med 59:87–93
Einhaltung ethischer Richtlinien                        nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für    8. Ellis RG, Howard KC, Kram R (2013) The metabolic
                                                        die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Ma-                and mechanical costs of step time asymmetry in
Interessenkonflikt. C. Anders, I. Dürrschnabel und      terials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers          walking. Proc Roy Soc B Biol Sci 280:20122784
L. Dürrschnabel geben an, dass kein Interessenkonflikt   einzuholen.                                                  9. Hlavackova P, Vuillerme N (2012) Do somatosen-
besteht.                                                                                                                sory conditions from the foot and ankle affect
                                                        Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der              postural responses to plantar-flexor muscles
Alle Teilnehmer wurden vor Beginn der Untersu-          Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/               fatigue during bipedal quiet stance? Gait Posture
chung über Zweck und Inhalt aufgeklärt und gaben        licenses/by/4.0/deed.de.                                        36:16–19
ihr schriftliches Einverständnis zur Teilnahme an der                                                               10. Hunt KD (1994) The evolution of human bipedality:
Studie. Die Studie wurde durch die Ethikkommission                                                                      ecology and functional morphology. J Hum Evol
der Landesärztekammer Baden-Württemberg positiv                                                                         26:183–202
evaluiert (F-2020-049) und die entsprechende Bewilli-   Literatur                                                   11. Johanson DC, Edgar B, Brill D (1998) Lucy und ihre
gung erteilt. Alle beschriebenen Untersuchungen am                                                                      Kinder. Spektrum Akad. Verlag,
Menschen oder an menschlichem Gewebe wurden              1. Alexander RM (2002) Energetics and optimization         12. Kalron A, Achiron A (2014) The relationship
mit Zustimmung der zuständigen Ethikkommission,             ofhumanwalkingandrunning: the2000 Raymond                   between fear of falling to spatiotemporal gait
im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der            Pearl memorial lecture. Am J Hum Biol 14:641–648            parameters measured by an instrumented tread-
Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen,     2. Anders C (2019) Die Formel des harmonischen                 mill in people with multiple sclerosis. Gait Posture
überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen             Gehens – gemeinsame Beurteilungsgrundlage                   39:739–744
beteiligten Probanden liegt eine Einverständniserklä-       für OT, OST, PT und Arzt. In: Fit in die Zukunft: 5.    13. Kalron A, Frid L (2015) The „butterfly diagram“:
rung vor.                                                   Orthopädie Schuh Technik                                    A gait marker for neurological and cerebellar
                                                         3. Appell H-J, Stang-Voss C (2008) Funktionelle                impairment in people with multiple sclerosis.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative         Anatomie. Springer, Heidelberg                              J Neurol Sci 358:92–100
Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz

8     Manuelle Medizin
14. Kapandji IA (2009) Funktionelle Anatomie der
    Gelenke. Obere Extremität – Untere Extremität –
    Rumpf und Wirbelsäule. Thieme, Stuttgart
15. Lenth R (2020) Emmeans: estimated marginal
    means, aka least-squares means
16. Loria G (1910) Theorie und Geschichte Bd. 1.
    Teubner, Leipzig
17. Lovejoy CO (1988) Evolution of human walking. Sci
    Am 259:118–125
18. Lovejoy CO (1981) The origin of man. Science
    211:341–350
19. Nakatsukasa M (2004) Acquisition of bipedalism:
    the Miocene hominoid record and modern
    analogues for bipedal protohominids. Kaibogaku
    Zasshi 204:385–402
20. Niemitz C (2010) The evolution of the upright
    posture and gait—a review and a new synthesis.
    Naturwissenschaften 97:241–263
21. Preuschoft H (2004) Mechanisms for the acquisiti-
    on of habitual bipedality: are there biomechanical
    reasons for the acquisition of upright bipedal
    posture? J Anat 204:363–384
22. Robinson RO, Herzog W, Nigg BM (1987) Use of
    force platform variables to quantify the effects
    of chiropractic manipulation on gait symmetry.
    J Manipulative Physiol Ther 10:172–176
23. Rudolph KS, Axe MJ, Snyder-Mackler L (2000)
    Dynamic stability after ACL injury: who can hop?
    Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 8:262–269
24. Singmann H, Bolker B, Westfall J et al (2021) Afex:
    analysis of factorial experiments
25. Skoyles JR (2006) Human balance, the evolution
    of bipedalism and dysequilibrium syndrome. Med
    Hypotheses 66:1060–1068
26. Torchiano M (2020) Effsize: efficient effect size
    computation
27. Vagenas G, Hoshizaki B (1992) A multivariable
    analysis of lower-extremity kinematic asymmetry
    in running. Int J Sport Biomech 8:11–29
28. Vaughan CL (2003) Theories of bipedal walking: an
    odyssey. J Biomech 36:513–523
29. Vuillerme N, Sporbert C, Pinsault N (2009) Postural
    adaptation to unilateral hip muscle fatigue during
    human bipedal standing. Gait Posture 30:122–125
30. Wheeler PE (1984) The evolution of bipedality and
    loss of functional body hair in hominids. J Hum Evol
    13:91–98
31. Wheeler PE (1991) The thermoregulatory advan-
    tages of hominid bipedalism in open equatorial
    environments—the contribution of increased
    convective heat-loss and cutaneous evaporative
    cooling. J Hum Evol 21:107–115
32. White TD, Suwa G (1987) Hominid footprints
    at Laetoli: facts and interpretations. Am J Phys
    Anthropol 72:485–514
33. Wickham H (2016) ggplot2: elegant graphics for
    data analysis. Springer, New York
34. Woldegabriel G, Haile-Selassie Y, Renne PR et al
    (2001) Geology and palaeontology of the late
    Miocene Middle Awash valley, Afar rift, Ethiopia.
    Nature 412:175–178
35. Zhang Z, Mai Y (2018) WebPower: basic and
    advanced statistical power analysis

                                                           Manuelle Medizin   9
Sie können auch lesen