Ein globales Problem 01/2021 - Schwerpunkt - FES Bibliothek der Friedrich ...

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Ein globales Problem 01/2021 - Schwerpunkt - FES Bibliothek der Friedrich ...
01/2021

Ein globales Problem

Schwerpunkt
Die internationale Klimapolitik
gerecht gestalten

Die digitale Revolution
Im Netz wird Vielfalt sichtbarer
Ein globales Problem 01/2021 - Schwerpunkt - FES Bibliothek der Friedrich ...
S CH W ER P U N K T – G ER E CH T E K
                                    ­ LIMAPOLITIK

                                     3   Jetzt alle Weichen stellen                     10 Ein globales Event
                                         Wege zum sozial-ökologischen W
                                                                      ­ andel              Das Global Green Deals Forum 2020
                                     4   »Just Transition«                              11 Ausstieg mit Folgen
                                         Grundregeln für den gerechten Strukturwandel      Ukraines Weg aus der Kohle
                                     5   Mehr Wert für alle                             12 Laboratorien des Wandels
                                         Energiewende und Teilhabe                         Asiens Städte unterwegs zur
                                                                                           ­Transformation
                                     7    Sand im Getriebe
                                          Umweltschädliche Subventionen ­behindern      13 Ein Green Deal für Lateinamerika?
                                         ­Klimaschutz                                      Chance für eine neue
                                                                                           ­Wirtschaftsstruktur
                                     8   Grüner Wasserstoff aus der Wüste
                                         Energiewende im Mittleren                      14 Eine Quadratur des Kreises
                                         und Nahen Osten                                   Anpassungsdruck lastet auf Afrika

THEMA

                                     Die digitale Revolution                            20 Mehr in IT-Sicherheit investieren
                                                                                           Fragen an Sebastian Hartmann
                                     17 Im Netz wird Vielfalt sichtbarer
                                        Fragen an Amina Yousaf                          22 Europa muss sich nicht verstecken
                                                                                           Der neue Mobilfunkstandard 5G
                                     18 Ein europäisches Internet-­Grundgesetz?
                                        Der Digital Services Act

                                     23 Erfolgsgeschichten                              24 Lese-Empfehlungen
                                        Fragen an Svenja Schulze,
                                        ehemalige Stipendiatin
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E D I TO R I A L

Liebe Leserin,
lieber Leser                                                                              IMPRESSUM

                                                                                          Herausgeber
                                                                                          Friedrich-Ebert-Stiftung
                                                                                          Kommunikation und Grundsatzfragen
                                                                                          Godesberger Allee 149, D-53175 Bonn

D
                                                                                          Tel. 0228_883-0 | presse@fes.de
               ie Corona-Pandemie führt uns deutlich vor Augen: Eine existentielle        www.fes.de
               Krise globalen Ausmaßes legt schonungslos die Fähigkeiten und Defi-
                                                                                          Redaktion (Text)
               zite offen, wie eine Gesellschaft, ein Staat, ja die Staatengemeinschaft   Peter Donaiski, Pressestelle Berlin
               in der Lage sind, einer Bedrohung ungeahnten Ausmaßes angemessen           Hiroshimastraße 17, D-10785 Berlin
                                                                                          Tel. 030_269 35-7038
  und zielgerichtet zu begegnen. Es zeigt sich, dass die Krise Gräben zwischen
                                                                                          peter.donaiski@fes.de
 ­Menschen aufreißen kann, wenn Glauben als Wissen deklariert und Eigennutz
  und Verbohrtheit über Rücksichtnahme und Solidarität gestellt werden. Damit             Korrektorat
                                                                                          Ulrike Schnellbach
  erweist sich die Auseinandersetzung über die Ursachen der Pandemie und den
  richtigen Weg heraus als Nagelprobe für den Umgang mit weiteren globalen                Redaktion (Bild)
­Bedrohungen.                                                                             Katja Ulanowski, Kommunikation
                                                                                          und Grundsatzfragen
     Auch die Reaktionen auf den sich beschleunigenden Klimawandel sind nicht             Godesberger Allee 149, D-53175 Bonn
  allein geprägt von Problembewusstsein und Lösungsorientierung. Klar ist aber:           Tel. 0228_883-7036
  Die Klimakrise ist ein weiteres globales Problem, das nur im gesellschaftlichen und     katja.ulanowski@fes.de

  politischen Konsens bewältigt werden kann, getragen von weltweiten Allianzen            Layout und Satz
  aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.                            Leitwerk. Büro für Kommunikation
     Die durch die Klimakrise hervorgerufenen Umweltveränderungen führen seit             www.leitwerk.com

  Jahren zu einer deutlichen Verschärfung politischer, ökonomischer und sozialer          Druck
  Konflikte. Sie bedrohen die Lebensgrundlage vieler Menschen, insbesondere im            Druckerei Brandt GmbH
  Globalen Süden. Um den zerstörerischen Folgen des Klimawandels entgegen­
                                                                                          Bildnachweis
  zuwirken, müssen wir unser Leben und Wirtschaften ressourcenschonender und              Jannika Bergold: S. 6 · Robert Brandt:
  ökologischer ausrichten. Klimagerechtigkeit bedeutet, dass Chancen und Be­las-          S. 6 · DGB / Simone M. Neumann: S. 4 ·
                                                                                          Foto Copyright Vanessa di Giulio: S. 7 ·
  tungen weltweit gerecht geteilt werden. Dabei müssen die ökologische und die            FES: S. 3, 10 · FIR: S. 19 · Susie Knoll:
  soziale Frage zusammen gedacht und beantwortet werden. Die Friedrich-Ebert-­            S. 21 · Studio Monbijou: S. 4 · picture
  Stiftung möchte dazu beitragen, indem sie Brücken baut zwischen den oft unter-          alliance / AA | Izzeddin Idilbi: Titel ·
                                                                                          picture alliance / blickwinkel / H. Blossey |
  schiedlichen Positionen von Umweltbewegung, Gewerkschaften und Arbeit­                  H. Blossey: S. 5 · picture alliance / dpa |
  nehmer_innen. Einige Beispiele dieser kontinentübergreifenden Initiativen und           Maksim Blinov: S. 11 · picture alliance/
  Vernetzungen stellen wir Ihnen in unserem Schwerpunktthema vor.                         dpa | Guido Kirchner: U2, S. 2 · picture
                                                                                          alliance/dpa | Silas Stein: S. 20 · picture
     Neben der Covid-19-Pandemie und der Klimakrise ist die Digitalisierung               alliance / imageBROKER | Florian Kopp:
  ein weiteres Megathema unserer Zeit. Einer der Beiträge in der Rubrik »Digitale         S. 15 · picture alliance / JOKER | Hady
                                                                                          Khandani: S. 8 · picture alliance /
  Revolution« bietet eine Zusammenfassung der EU-Strategie zur grundlegenden
                                                                                          Robert Schlesinger | Robert Schlesinger:
  Neuordnung der Internetlandschaft.                                                      U2, S. 16 · picture alliance / Jochen Tack |
                                                                                          Jochen Tack: S. 7 · picture alliance /
                                                                                          zhidemai / Costfoto | zhidemai /
    Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.                                            Costfoto: S. 12 · privat: S. 9, 11, 13, 14,
                                                                                          15, 17, 18 · Jens Schicke: Schlicht ·
    Die »info«-Redaktion                                                                  Thomas Trutschel / photek / BMU: U2,
                                                                                          S. 23 · Rayk Weber: S. 14

PS: Wussten Sie, dass Bundesumweltministerin Svenja Schulze ehemalige FES-­
Stipendiatin ist? Das »info« hat mit ihr gesprochen – über Klimaschutz, soziale           ISSN 0942-1351

Gerechtigkeit und die Frauenquote der SPD.                                                Die Meinungen der Autor_innen geben
                                                                                          nicht in jedem Fall die Positionen der FES
                                                                                          wieder.

                                                                                                                    E ditorial            1
Ein globales Problem 01/2021 - Schwerpunkt - FES Bibliothek der Friedrich ...
S CH W E R P U N K T

Gerechte
­Klimapolitik
Ein globales Problem 01/2021 - Schwerpunkt - FES Bibliothek der Friedrich ...
EINLEITUNG

Jetzt alle Weichen stellen
Wege zum sozial-ökologischen Wandel
Von Manuela Mattheß

                                                      Kinder und Enkelkinder. Ein adäquater globaler ­K limaschutz bedeutet
                                                      daher gelebte internationale Solidarität, aber auch Solidarität inner-
                                                      halb von Gesellschaften und über Generationen hinweg. Die Corona-­
                                                      Pandemie unterstreicht noch einmal, dass ein Leben im alten Stil

M
                                                      nicht mehr möglich ist und wir dringend alle ­Weichen in Richtung
                it der Verabschiedung des histo­      einer nachhaltigen, klimagerechten und sozial gerechteren Zukunft
                rischen Pariser Klimaabkommens        stellen müssen.
                sowie der Agenda 2030 für nach-          Nur durch eine sozial-ökologische Transformation können wir errei-
                haltige Entwicklung im Jahr 2015      chen, dass die notwendigen Veränderungen in allen Sektoren unseres
 verbanden sich große Hoffnungen, der Klimakrise      Lebens wie der Ausstieg aus fossilen Energieträgern, die Verkehrs-,
 durch multilaterale Zusammenarbeit begegnen          Agrar- und Gebäudewende so gestaltet werden, dass sie im Sinne einer
 und ihre negativen Folgen eindämmen zu können.       Just Transition – sozial gerecht, inklusiv und fair – allen Menschen
 Der Klimawandel bedroht nicht nur die natür­         weltweit zu Gute kommen. Dafür müssen Politik­ansätze überall auf der
 lichen Lebensgrundlagen weltweit, sondern in         Welt das Gemeinwohl in den Blick nehmen und die ökologische mit der
 vielen Ländern auch die wirtschaftliche und sozi-    ökonomischen wie der sozialen Ebene ver­söhnen. Dabei kann es keine
 ale Entwicklung sowie grundlegende Menschen-         »One Size Fits All Solution« geben. Jede Region und jedes Land wird
 rechte wie das Recht auf Nahrung, Wasser,            seinen eigenen Weg zum sozial-­ökologischen Wandel gehen müssen.
 Gesundheit oder menschenwürdiges Wohnen.             Dabei haben Industrieländer und viele Nationen des Globalen Nordens,
Aus Sicht der Klimawissenschaft ist vollkommen        die durch ihre Wirtschaftsmodelle wissenschaftlich belegt die Klima­
klar, dass die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad      krise befeuert haben, eine große Verantwortung, die Länder des Global
begrenzt werden muss, um die schlimmsten Aus-         Südens in ihren Minderungs- und Anpassungsanstrengungen zu unter-
wirkungen aufhalten zu können.                        stützen. Denn eines ist klar: die Klimakrise ist ein globales Problem,
     Die Bewältigung der Klimakrise ist im Kern       das nur gemeinsam über starke und breite Allianzen aus Politik, Wirt-
eine Gerechtigkeitsfrage: Die globalen, durch die     schaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bewältigt werden kann.
Klimakrise hervorgerufenen Umweltveränderun-             Die Friedrich-Ebert-Stiftung arbeitet bereits seit vielen Jahren daran,
gen führen seit Jahren zu einer deutlichen Ver-       ihre Partner in diesen Anstrengungen weltweit zu unterstützen, und
schärfung politischer, ökonomischer und sozialer      setzt sich über ihre Regionalprojekte zur sozial-ökologischen Trans­
Konflikte. Sie bedrohen die Lebensgrundlage vie-      formation in Afrika, Asien, Lateinamerika und der MONA Region sowie
 ler Menschen, insbesondere im Globalen Süden.        in Europa für eine gerechte Gestaltung internationaler Klimapolitik,
 Diese Länder sind zudem insgesamt am stärksten       eine sozial gerechte und klimafreundliche Energiewende und ein gutes
mit den negativen Auswirkungen des Klimawan-          Leben für alle ein. 			                                                             •
dels konfrontiert, obwohl sie in der Regel nur
wenig oder gar nichts zu seiner Entstehung bei­
getragen haben.
     Obwohl die Herausforderungen klar sind und
bereits erste wichtige Ziele erreicht werden
­konnten, erfolgt die Umsetzung der Beschlüsse
 des Pariser Klimaabkommens nicht schnell und                                        Manuela Mattheß
 ambitioniert genug – mit potenziell desaströsen                                     ist Referentin für
 Folgen besonders für die Ärmsten und Schwächs-                                      internationale Energie-
 ten auf der Welt sowie für die ­Generation unserer                                  und Klimapolitik.

                                                                            S CH W ER P U N K T | G ER E CH T E K L I M A P O L I T I K   3
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G A S T B E I TAG

»Just Transition«
Grundregeln für den gerechten Strukturwandel
Von Patrizia Kraft und Jan Philipp Rohde

K
            limawandel, Digitalisierung, Globali-
            sierung und Demografie treiben mit
            zunehmender Geschwindigkeit den
            Strukturwandel voran. Diese Verän­
 derungen werden wir – so wie wir produzieren,                  Strukturwandel ist nichts, was wir über uns
 leben und konsumieren – sehr deutlich spüren,              ergehen lassen müssen. Strukturwandel heißt nicht
 auch im täg­lichen Leben. Die Covid 19-Krise wirkt            ›Augen zu und durch!‹. Strukturwandel heißt
 wie ein Brennglas: Anpassungsprozesse werden                           ›Augen auf und loslegen!‹.
 beschleunigt, Ungleichheit vertieft und Finan­
 zierungsdruck verstärkt.
     Die Transformationsprozesse fallen je nach
 Branche und Region sehr unterschiedlich aus.
 Genauso unterschiedlich sind auch die Heraus­             Außerdem braucht es eine Flankierung durch Arbeitsmarkt-,
 forderungen, mit denen die Beschäftigten kon-        ­Bildungs- und Sozialpolitik. Das Motto muss lauten: Fachkräfte für
 frontiert werden. Um das alles zu bewäl­tigen,        ­morgen aus- und weiterbilden und gleichzeitig soziale Sicherheit bieten
braucht es einen gerechten Strukturwandel, eine       bei Arbeitsplatzverlust und Umorientierung.
»Just Transition«. Es ist den Gewerkschaften zu            Starke Mitbestimmung und Tarifbindung sind zentral für die erfolg-
ver­ danken, dass die Just Transition im ­  Pariser   reiche Gestaltung der Transformation. Sie sorgen für mehr Gerechtigkeit
­K limaabkommen verankert wurde.                      im Betrieb und sichern wirtschaftliche und soziale Teilhabe. Studien
                                                        zeigen, dass mitbestimmte Unternehmen mehr zur Vermeidung von
Klare Bedingungen für den Wandel                        Treibhausgasen beitragen und nachhaltiger wirtschaften. Die Gewerk-
Die Gesellschaft muss aktiv werden, bevor es um         schaften können und wollen den Strukturwandel so gestalten, dass er
den Abbau von Beschäftigung und das Abfedern            langfristig nachhaltigen und gerecht verteilten Wohlstand bietet.
von sozialen und ö   ­konomischen Verwerfungen             Mitbestimmung, Tarifverträge und Betriebsräte sind kein Selbst-
geht. Es ist bereits abzusehen, wo Beschäftigung        zweck. Klimaneutralität lässt sich nicht gegen Beschäftigte durchsetzen,
besonders unter Druck steht. Klima­    politische       sondern nur mit ihnen. Wer ökologische Nachhaltigkeit will, muss des-
Maßnahmen können außerdem zunehmend                     halb auch soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit vorantreiben.   •
sozial ungerecht wirken. Das gilt es anzuerken-
nen und ent­sprechend zu handeln.
    Wir brauchen gut ausgebaute Verkehrswege,
klima­freundliche Mobilitätskonzepte, bezahlbare
Energie, flächendeckende, schnelle Internetver-
bindungen, gute Bildungs- und Forschungsinfra-
struktur und vor allem einen nachhaltig moder­
nisierten Industriestandort Deutschland.
    Auch bei der Etablierung von neuen Wirt-
schaftszweigen und Geschäftsideen müssen
Grundregeln eingehalten werden, die Beschäf-
tigte und Gewerkschaften in Deutschland über
                                                                 Patrizia Kraft ist Referentin für Energie-
Jahrhunderte hart erkämpft haben. Fördergelder
                                                                 politik beim DGB.
und Vergünstigungen des Staates müssen ver-
bindlich an den DGB-Index Gute Arbeit und an                     Jan Philipp Rohde ist Referent für Umwelt-,
die Tarifbindung geknüpft werden.                                ­Klima-, und N
                                                                              ­ achhaltigkeitspolitik beim DGB.

4        info 01/2021
Ein globales Problem 01/2021 - Schwerpunkt - FES Bibliothek der Friedrich ...
P L Ä D OY E R

Mehr Wert für alle
Energiewende und Teilhabe
Von Ilka Müller und Robert Brandt

D
              ie Energiewende ist ein Gesell-         EE-Anlagen. Gibt es noch wenig oder keine Erfah-
              schaftsprojekt. Für eine sichere,       rung mit Erneuerbaren Energien, stehen Bürge-
              bezahlbare und nachhaltige Energie-     r_innen den Projekten eher skeptisch gegenüber.
              versorgung werden tausende An­­            Wären protestierende Bürger_innen Egois-
lagen gebaut. Diese Transformation ist für alle       t_innen, die bei Neuprojekten nur nach dem eige-
sichtbar und verändert das Landschaftsbild.           nen Kosten-Nutzen-Kalkül handelten, läge die
Zwei Botschaften sind deshalb ganz wichtig.           Lösung des Akzeptanzproblems auf der Hand:
­Erstens: Nur mit der Energiewende können wir       einen finanziellen Anreiz schaffen. So einfach ist
 das Klima schützen und die Erderhitzung brem-      es in der Praxis aber nicht, weil Menschen eben
 sen. Zweitens: Die Energiewende muss mit Teil-     nicht nach rein ökonomischen Motiven handeln.
 habe einhergehen, weil sie nur so mehr Wert        Finanzielle Anreize können die lokale Akzeptanz
 für alle bietet.                                   zwar in manchen Fällen steigern, aber auch um­­
    Die Zustimmung zu Erneuerbaren Energien         gekehrte Effekte haben – insbesondere dann,
(EE) und deren Ausbau ist in der Bevölkerung        wenn die Beteiligung ohne Mitspracherechte
nach wie vor hoch. Laut einer repräsentativen       ­einhergeht. Dann wird sie eher nicht als »echte
Umfrage der Agentur für Erneuerbare Energien         Beteiligung«, sondern als nachträgliche Legitima-
(AEE) vom Dezember 2020 befürworten 86 Pro-          tion verstanden.
zent der Befragten eine stärkere Nutzung Erneu-          Warum ist die Akzeptanz vor Ort wichtig?
erbarer Energien in Deutschland.                     Wollen wir das international vereinbarte Ziel
    Folgt man den lauten Stimmen der Minder-         einer Beschränkung der Erderhitzung auf unter
heit, könnte man annehmen, dass die Ablehnung        1,5 Grad erreichen, muss das Energiesystem zügig
steigt, wenn die Anlagen im eigenen Wohnumfeld       vollständig transformiert werden. Wir brauchen
stehen. Die AEE-Akzeptanzumfrage zeigt aber,         Erneuerbare Energien für alle Bereiche, für die
dass die Zustimmung zu EE-Anlagen auch im            Strom- und Wärmeversorgung, die nachhaltige
eigenen Wohnumfeld höher ist, wenn Menschen          Mobilität und eine klimaneutrale Industrie.
sie bereits in direkter Nachbarschaft haben. Eine    ­Deshalb muss der Ausbau beschleunigt werden.
der größten Herausforderungen bezüglich der           Das geht wiederum nur, wenn die Menschen vor
lokalen Akzeptanz liegt deshalb im Bau neuer          Ort mitmachen.

                                                               S CH W ER P U N K T | G ER E CH T E K L I M A P O L I T I K   5
Ein globales Problem 01/2021 - Schwerpunkt - FES Bibliothek der Friedrich ...
Energiewende nicht »top down«
Außerdem ist es eine Frage der Gerechtigkeit, die Energiewende nicht
»top down« zu organisieren, sondern Partizipation und Mitgestaltung
zu ermöglichen. Teilhabe bedeutet, transparente Wege zu finden und
auf die soziale Ausgewogenheit zu achten, also auch diejenigen zu
berücksichtigen, die nicht finanzstark sind und beispielsweise Anteile
an Energiegenossenschaften kaufen können. Die Energiewende ist
mehr als »nur« eine Stromwende. Teilhabe kann deshalb auch bedeu-
ten, Zugang zu schaffen zu Car-Sharing-Angeboten, niedrigen Strom­
tarifen durch Mieterstrom und Quartierskonzepte, sowie vergünstig-
ten oder kostenlosen ÖPNV-Tickets.
    In unserer Arbeit mit den Kommunen zeichnet sich ab, dass
­EE-Anlagen eher akzeptiert werden, wenn Menschen mitentscheiden
 und regional die Wertschöpfung steigt. Die harte empirische Evidenz
 für den Zusammenhang von Wertschöpfung, finanzieller Beteiligung
 und Akzeptanz fehlt aber noch. Hier setzt unser gemeinsames For-             Reformvorschläge
 schungsprojekt mit dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung
                                                                              Deutschland und Europa haben sich
 (IÖW) und dem Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme            bei der Umstellung ihres Energie­
 (IZES) an. In dem neuen Vorhaben werden regionalökonomische                  systems auf den Weg gemacht. Um
 Effekte in ausgewählten Energiekommunen quantifiziert und in eine            diesen Umbau möglichst effizient zu
 empirische Beziehung zu ihrer Akzeptanzwirkung gesetzt.                      gestalten, müssen auch bestehende
    Kommunen sind Schlüsselakteure in der Energiewende. Sie sollten           Subventionstatbestände für fossile
                                                                              Energieträger reformiert werden.
 deshalb stärker unterstützt werden. Einerseits wird ein großer Teil der
 klimarelevanten Emissionen in Städten, Gemeinden und Kreisen                 Für zwei Studien hat das Forum
                                                                              Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft
 erzeugt, andererseits hat die Kommune mit ihren vielfältigen Funk­
                                                                              (FÖS) Reformvorschläge entwickelt:
 tionen als Vorbild, Planungsträgerin, Eigentümerin und Versorgerin
 weitreichende Handlungsmöglichkeiten. So kann sie etwa bei der
                                                                                              »Umlenken!
 Gründung von Genossenschaften begleiten oder nachhaltige Quartiers­
                                                                                              Subventionen
 lösungen anstoßen, um die Energiewende in Bürgerhand zu unterstüt-                           ab­bauen,
 zen. In den letzten elf Jahren hat die AEE viele erfolgreiche Energie-­                      Strukturwandel
 Kommunen ausgezeichnet, in denen Politik, Wirtschaft und Zivil­                              ­ estalten,
                                                                                              g
 gesellschaft Hand in Hand arbeiten. All diese Praxisbeispiele zeigen, dass                   Klima schützen«
 es Kommunen hilft, wenn sie kommunikativ, strukturell und finanziell
 vom Bund und den Ländern unterstützt werden. Nur so werden wir das
 Generationenprojekt Energiewende gemeinsam schaffen.		                •                      »Umdenken!
                                                                                              Industrieausnah-
                                                                                              men reformieren,
Weiterführende Informationen auf dem A
                                     ­ EE-Informations­portal:                                Innovationen
                                                                                              ­fördern, Klima­
p   www.unendlich-viel-energie.de                                                              neutralität
                                                                                               ­ermöglichen«.

Dr. Robert Brandt ist Geschäftsführer der
Agentur für Erneuerbare Energien e.V. (AEE).
Er war einer der Referenten des Global Green
Deal Forums der FES im Oktober 2020.

Ilka Müller ist Projektmanagerin bei der AEE.

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Ein globales Problem 01/2021 - Schwerpunkt - FES Bibliothek der Friedrich ...
I NTERV IE W

Sand im Getriebe
Umweltschädliche Subventionen behindern Klimaschutz
Fragen an Florian Zerzawy

Herr Zerzawy, im Rahmen eines Projektes für die FES               würde zu einer doppelten Dividende führen. Erstens würde
haben Sie den Umfang der klimaschädlichen Sub­                    es dem Klima direkt nützen. Zweitens werden Mittel verfüg-
ventionen im Energiesektor untersucht. Von welchen                bar, die für den Klimaschutz, aber auch für die soziale Ab­­
Beträgen sprechen wir jährlich, und wie sieht es                  federung der Transformation eingesetzt werden können.
eigentlich in den anderen Sektoren, ­beispielsweise
im Verkehr, aus?                                                  Was sind aus Ihrer Sicht die Subventionen, die vor­
Im Energiesektor geht es um mehr als 16 Mrd. Euro, mit            rangig abgeschafft werden sollten? Wie könnte das
denen jedes Jahr fossile Energieträger gefördert werden. Das      politisch gelingen?
fängt schon bei der Rohstoffgewinnung an. Zum Beispiel            Wir brauchen eine Reform der Industrieausnahmen beim
muss die Braunkohle keine Förderabgabe zahlen. Aber auch          Strompreis. Es geht nicht um eine pauschale Abschaffung,
die Stromerzeugung mit Kohle, Öl und Gas wird subven­             sondern um eine Konzentration auf die Unternehmen, bei
tioniert, sie ist von der Energiesteuer befreit. Die größten      denen eine konkrete Gefahr besteht, dass sie in Länder mit
Subventionen finden sich aber beim Verbrauch. Hier greifen        geringeren Klimaschutzanforderungen abwandern. Das sind
Ausnahmeregelungen bei Steuern und Umlagen, z.B. für              viel weniger Betriebe, als heute begünstigt werden. Akzep-
Unternehmen, mit denen direkt oder indirekt über den Strom-       tanz kann, denke ich, dadurch erreicht werden, dass Unter-
preis die Nutzung fossiler Energieträger begünstigt wird.         nehmen gezielt bei ihrem Transformationsprozess hin zu
Im Verkehr gibt es auch enorme Verzerrungen. Alleine die          einer klimaneutralen Produktion unterstützt werden, bei-
günstigere Besteuerung von Diesel im Vergleich zu Benzin          spielsweise durch CO2-Differenzverträge. Aber auch die
summiert sich auf mehr als 8 Mrd. Euro pro Jahr. Oder die         ­Verkehrssubventionen sind relevant: Da stehen beim Straßen-
Entfernungspauschale: Sie beträgt weitere 4 bis 5 Mrd. Euro pro    verkehr das Dieselprivileg und die Entfernungspauschale
Jahr. Kerosin ist im Luftverkehr steuerbefreit. Wir schätzen       ganz oben auf der Liste.
die Subventionswirkung auf jährlich mehr als 8 Mrd. Euro.

Welche Auswirkungen haben diese Subventionen
auf unsere klimapolitischen Ziele auf der einen
und die Staatsfinanzen auf der anderen Seite?
Welche Chancen wären mit deren Abbau verbunden?                                                           Florian Zerzawy
Die Subventionen verzerren die Preise. Fossile Energieträger                                              ist ­wissenschaftlicher
werden günstiger und damit eher verwendet als klima­                                                      ­Referent für Energie­
freundliche Alternativen. Deutschland fördert mit viel Geld                                                politik beim Forum
den Klimaschutz. Auf der anderen Seite wird ähnlich viel                                                   ­Ökologisch-Soziale
Geld für die fossilen Energien ausgegeben. Das ist absurd.                                                  ­Marktwirtschaft e. V.
Für die Staatsfinanzen bedeutet das eine hohe Belastung. Die
Gelder fehlen an anderer Stelle. Ein Abbau der Subventionen                 Die Fragen stellte Max Ostermayer.

                                                                             S CH W ER P U N K T | G ER E CH T E K L I M A P O L I T I K   7
Ein globales Problem 01/2021 - Schwerpunkt - FES Bibliothek der Friedrich ...
PROGNOSE

Grüner Wasserstoff aus der Wüste
Energiewende im Mittleren
und Nahen Osten
Von Sarah Hepp und Merin Abbass

                                                                          Energiemärke in der Region
                                                                          Die MONA-Region stellt zwar über 60 Prozent der
                                                                          weltweiten Öl- und 45 Prozent der weltweiten
                                                                          Gasreserven, die Energiemärkte könnten jedoch
                                                                          unterschiedlicher kaum sein. Die Volkswirtschaf-

                     D
                                                                          ten der Region sind entweder vom Export fossiler
                                 ie Folgen des Klimawandels sind in der   Energieträger zu den wohlhabendsten Staaten der
                                 Region zwischen Teheran, Kairo und       Welt geworden oder nahezu gänzlich auf Energie­
                                 Casablanca schon jetzt deutlich zu       importe angewiesen. Das Wachstumsmodell v­ ieler
                                 spüren und es drohen weitere Konse-      Staaten wie beispielsweise der Golfländer, Liby-
                     quenzen: Der zu erwartende Temperaturanstieg         ens und Algeriens basiert auf fossilen Energie­
                     in der MONA-Region ist mit drei bis vier Grad        trägern. Dadurch wird Klimaschutz dort vor allem
                     höher als in den meisten anderen Regionen, in        als technologische Herausforderung interpretiert.
                     Wüstenregionen werden im Sommer die Tempe-           Importabhängige Länder wie Jordanien, Tunesien,
                     raturen bis zum Ende des Jahrhunderts wohl um        Marokko und der Libanon dagegen unternehmen
                     bis zu 8 Grad ­steigen. Erwartet werden eine stark   Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel
                     zunehmende Wasserknappheit und die damit ein-        und bei der Reduzierung von Kohlenstoffemis­
                     hergehende Desertifikation, mit der Folge ver­       sionen. Aber auch deren Energiesysteme sind noch
                     heerender Ernteausfälle. Diese Auswirkungen er­      meist zu 90 Prozent von Öl und Gas abhängig.
                     schweren die Lebensumstände in einer Region, die     Konfliktländer und fragile Staaten wie Syrien,
                     ohnehin von zahlreichen Konflikten und sozialen      Jemen und Palästina haben kaum Kapazitäten,
                     Spannungen gekennzeichnet ist.                       Klima- und Energiepolitik zu gestalten.

8     info 01/2021
Transformation der ­Energiesysteme                      Wirtschaftswachstum für die Region
Die Covid 19-Pandemie hat sich stark auf die Öl­­       Auch für die MONA-Region ist es in vielerlei
industrie und den Klimaschutz ausgewirkt. Die         ­Hinsicht reizvoll, zum »Powerhouse« für grünen
Ölindustrie litt bereits vor der weltweiten Pan­        Wasserstoff zu werden. Die Corona-Krise hat
demie an einem Rückgang der Nachfrage.                 ­Millionen von Menschen in den Ruin getrieben,
      Angesichts dieser wirtschaftlichen Unsicher-      in der Region besteht eine hohe Arbeitslosigkeit
heiten sowie der drohenden Verschärfung sozialer        von oftmals über 45 Prozent. Der Aufbau einer
Konflikte durch die andauernde Corona-Krise ist       Wasserstoffwirtschaft mithilfe europäischen Tech-
ein sozial-ökologischer Wandel nötiger denn je:       nologietransfers könnte zahlreiche Jobs und
Durch eine dezentrale Energieversorgung aus           Wirtschaftswachstum für die Region bedeuten.
erneuerbaren Energien könnten nicht nur hoch-              Ein möglicher Export von Wasserstoff birgt
wertige Arbeitsplätze und lokale Wertschöpfungs-      jedoch die Gefahr, dass der verfügbare Ökostrom
ketten entstehen, sondern gleichzeitig Energie­       in den MONA-Ländern nur noch zur Herstellung
sicherheit und Unabhängigkeit ermöglicht wer-         von Wasserstoff für den Export verwendet würde
den.                                                  und damit die nationalen Beiträge zum Pariser
      Die Hoffnung auf eine katalysierende Wirkung    Klimaabkommen auf der Strecke blieben. Immer
in Bezug auf eine lang ersehnte Energiewende          noch haben die meisten MONA-­Länder weniger als
wird derzeit auch durch ein kleines Molekül           10 Prozent EE in ihrem Strommix. Hier bedarf es
­be­­f lügelt: Wasserstoff.                           also weiterer Anstrengungen, das große Potenzial
                                                      für erneuerbare Energien zu n  ­ utzen und gleich-
 Grüner Wasserstoff aus der Wüste                     zeitig Subventionen für fossile Energieträger
 Wasserstoff wird als Hoffnungsträger der Energie-    zurückzufahren.
 wende angesehen. Entsteht Wasserstoff durch               Grüner Wasserstoff hat durchaus das Potenzial,
 die Elektrolyse von Wasser unter der Verwendung      einen entscheidenden Beitrag zur Erreichung von
 von erneuerbaren Energien, spricht man von           Klimaneutralität in der EU oder weltweit zu l­eisten
­g rünem Wasserstoff.                                 und gleichzeitig nachhaltige und soziale Entwick-
      Mit dem European Green Deal und dem Ziel,       lung in der MONA-Region zu fördern.
 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden,              Das FES MONA Klima- und Energieprojekt
 wächst die Nachfrage nach erneuerbaren Ener-         möchte Wege aufzeigen, wie eine Wasserstoff­
 gien ungemein. Da Europa den enormen Bedarf an       produktion und ein möglicher Export von Wasser-
 erneuerbaren Energien nicht selbst decken kann,        stoff aus der MONA-Region nach Europa sowohl
 sind alle Augen auf die MONA-Region gerichtet:         ökologisch als auch sozial nachhaltig sein kann
 Eine Region mit der höchsten Sonneneinstrah-         und zu Wachstum in der Region führt.		                         •
 lung der Welt, großem Windpotenzial und zudem
 viel Wüstenfläche bietet beste Bedin­g ungen für     Die im Dezember 2020 veröffentlichte FES-Studie
 die Erzeugung von EE-Strom und schließlich           »Risks and opportunities of green hydrogen
 ­g rünem Wasserstoff. Die Produktionskosten von      ­production from the MENA region to Europe«
  Wasserstoff in der MONA-Region ­werden von der       soll dazu einen Beitrag leisten:
  Industrieinitiative Dii Desert Energy auf weniger   p   library.fes.de/pdf-files/bueros/amman/16998.pdf
  als zwei US-Dollar pro Kilogramm geschätzt.
      Bereits bestehende Gas-Pipelines könnten für
  den Transport von Wasserstoff in den EU-Energie-
  markt genutzt werden.

                                    Sarah Hepp ist Leiterin des regionalen Klima- und
                                    ­Energie­projektes der FES für den Nahen / Mittleren ­Osten
                                     und Nordafrika.

                                    Merin Abbass ist Referent für Klima- und Energiepolitik
                                    im Referat Naher / Mittlerer Osten und Nordafrika.

                                                                  S CH W ER P U N K T | G ER E CH T E K L I M A P O L I T I K   9
Durch die zahlreichen Kooperationen wurde nicht nur
                                                                       über die Bedeutung der Bildung von Allianzen für eine
                                                                       erfolgreiche Klima- und Energiepolitik geredet, sondern
                                                                       diese auch selbst gelebt. Organisiert wurde das Global Green
V E R A N S TA LT U N GS R Ü CK B L I CK
                                                                       Deals Forum gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschafts-

Ein globales Event                                                      bund, der Klima-Allianz Deutschland und dem Olof Palme
                                                                        International Center.

Das Global Green                                                            In den In-Focus-Diskussionen ging es um die Rolle der
                                                                        EU in der internationalen Klimapolitik und die Potenziale

Deals Forum 2020                                                        des European Green Deal, um die Corona-Pandemie und
                                                                       die Rolle von Klima- und Energiepolitik, um demokratische
                                                                       Teilhabe, Klimagerechtigkeit und die Umsetzung des Pariser
Von Manuela Mattheß, Alexander Geiger
                                                                       Klimaabkommens. Es sprachen unter anderem ­         Patricia
und Bettina Mursch
                                                                       ­Espinosa, Nnimmo Bassey, Frans Timmermans, Kevin Küh-
                                                                         nert, Karin Wallensteen, Sharan Burrow, Reiner Hoffmann
                                                                         und Delara Burkhardt.

             90
                                                                            In interaktiven Laboren wurden vielfältige Themen­
                                  Referent_innen, 15 parallel lau­­-    aspekte des sozial-ökologischen Wandels aus verschiedenen
                                  fende Labore, 4 In-Focus-Dis-          internationalen Perspektiven diskutiert. Es ging unter
                                  kussionen, ein Tag: am 1. Okto-       a nderem um Gas im östlichen Mittelmeer, nachhaltige
                                                                        ­
                                  ber 2020 brachte die FES welt-        ­Stadtpolitik, Klimawandel und Geschlechtergerechtigkeit
               weit Menschen zusammen, um gemeinsam über                 sowie die Rolle Deutschlands beim Aufbau einer globalen
              einen sozial-ökologischen Wandel zu diskutieren.           Wasserstoffwirtschaft.
              Eines der Hauptziele war dabei, Allianzen zu                  Ein sozial-ökologischer Wandel birgt viele Chancen
              ­bilden für eine soziale, demokratische und klima­        für eine sozial gerechte Umgestaltung der Gesellschaft. Der
               gerechte Zukunft.                                        Klimawandel wirft die Frage auf, wie wir künftig arbeiten,
                   Bedingt durch die Corona-Krise war ein physi-        leben und wirtschaften wollen. Dies bietet für die Sozial­
               sches Zusammentreffen nicht möglich, daher war           demokratie und die Gewerkschaften die Chance, ihre Kern-
               von Anfang an klar, dass ein digitales Format             anliegen zu einem neuen sozial-ökologischen Fortschritts­
               gefunden werden musste. In monatelanger Vor­             projekt zusammenzubringen. Das Global Green Deals Forum
               bereitung wurde ein »fernsehgerechter Ablauf«            hat hierfür eine gute Basis gelegt. 			                 •
               der Veranstaltung konzipiert.
                   Die meisten Referent_innen wurden zuge-
               schaltet und die Diskussionen und Online-­
               Workshops per Livestream d    ­ reisprachig in die                Manuela Mattheß, Alexander Geiger und
               Welt übertragen. Damit wurde das Forum zu                         Bettina Mursch sind tätig im A
                                                                                                              ­ rbeitsbereich
               einem globalen Event.                                             Globale Politik und Entwicklung.

10       info 01/2021
B E F R AG U N G

        Ausstieg mit Folgen
        Ukraines Weg aus der Kohle
        Von Elisabeth Gisler

D
                ie Ukraine steht vor einem tiefgreifenden Struk-       stimmen zwar zu, dass unrentable Minen ge­­      schlossen
                turwandel. Waren zum Zeitpunkt der Unab­               ­ erden sollten, aber viele Menschen hoffen dennoch, dass
                                                                       w
                hängigkeit im Jahr 1991 noch über eine Million         es möglich ist, die Kohlebergwerke wieder rentabler zu
                Ukrainer_innen in Kohlebergwerken tätig, so ist        machen.
  deren Zahl heute auf etwa 30.000 gesunken. Dieser Prozess               Da die Ausbildung vieler Beschäftigter direkt oder in­­
  wird wohl weitergehen, denn die Regierung plant, in den              direkt in Verbindung mit der Arbeit in den Minen steht,
  nächsten Jahren den Großteil der verbliebenen staatlichen            bedeuten alternative Arbeitsplätze oft einen sozialen und
  Kohlebergwerke aus Rentabilitätsgründen zu schließen. Die            ökonomischen Abstieg. Daher sollte die Bevölkerung bei der
  wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen            Gestaltung von Umschulungsprogrammen einbezogen wer-
  für die betroffenen Regionen sind enorm, denn in der                 den und es sollten Anreize geschaffen werden, damit sich
 ­Vergangenheit haben es die Behörden versäumt, die Bevöl­             Gewerbebetriebe und Unternehmen neu ansiedeln.
  kerung, die Sozialpartner und die lokalen Verwaltungen                  Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Stärkung des
  in den Umgestaltungsprozess einzubeziehen. Nicht selten             Vertrauens der Bevölkerung in die lokalen Behörden. Viele
  endete die Schließung der Minen mit dem wirtschaftlichen            der Befragten fühlen sich hilflos und von den Lokalver­
Niedergang der Gemeinden und der Abwanderung der
­                                                                     waltungen im Stich gelassen. Die bereits erfolgreichen
­jüngeren Bevölkerungsgruppen.                                        ­Maßnahmen zur Eindämmung der Probleme werden nicht
       Diesem Prozess will die ukrainische Regierung nun ent­          wahrgenommen. Viele der Betroffenen halten es nicht für
  gegentreten und hat beschlossen, mit den lokalen Verwal­­­­          möglich, dass ein Strukturwandel, wie er in Europa statt­
  tungen, den Arbeitgebern und den Gewerkschaften ein                  findet, auf die Ukraine übertragbar ist.
  staatliches Programm für eine sozial-ökologische Trans­                 Die Studie der FES zeigt deshalb mehrere Möglichkeiten
  formation der betroffenen Regionen voranzubringen. Zur               auf, wie die Bevölkerung in einen Dialog über einen sozial-­
  Unterstützung dieses Vorhabens hat die Vertretung der                ökologischen Wandel einbezogen werden kann.                             •
  Friedrich-Ebert-­Stiftung in der Ukraine zusammen mit der
   NGO »Ecodiya« eine soziologische Studie durchgeführt mit
   dem Titel »Die Zukunft von Just Transition in der Ukraine:
   Wahrnehmung in den Kohlebergbaustädten«. Dafür wurden
   im Juli und August 2020 Menschen aus sieben betroffenen
   Bergbaustädten befragt.
       Die Studie zeigt eindrücklich, dass die vielerorts schlechte
  ­w irtschaftliche Situation kaum Perspektiven bietet. Hinzu                                           Elisabeth Gisler
   kommt, dass auch das Bildungs- und Gesundheitssystem,                                                ist Praktikantin
   das Wohnangebot, die öffentlichen Dienste und die städti-                                            in der FES-Vertretung
 sche Infrastruktur in marodem Zustand sind. Die Befragten                                              Ukraine.

                                                                                 S CH W ER P U N K T | G ER E CH T E K L I M A P O L I T I K   11
L ÄNDERSTUDIE

Laboratorien des Wandels
Asiens Städte unterwegs zur
Transformation
Von Claudia Ehing

                     S
                                tädte produzieren mit ihrer Konzentra-     zu untersuchen, wie Städte eine sozial-ökologi-
                                tion von Menschen und Ressourcen mehr      sche Transformation vorantreiben können.
                                als 70 Prozent der globalen CO2-Emissio-      Dabei standen nicht nur die Herausforderungen
                                nen. Sie spielen damit für den Klima-      des Klimawandels und Umweltprobleme wie Luft-
                     schutz und die im Pariser Klimaabkommen verein-       verschmutzung, im Zentrum der Analyse, sondern
                     barte Reduktion von Treibhausgas-Emissionen eine      auch soziale Fragen wie wachsende Ungleichheit,
                     entscheidende Rolle. Auch die Agenda der Ver­         Exklusion und Armut, die viele Städten Asiens
                     einten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung          prägen.
                     (SDG) strebt an, Städte und Siedlungen inklusiv,         Gegenwärtig entscheiden dort Faktoren wie
                     sicher, widerstandsfähig und nachhaltig zu ge­­       Alter, Geschlecht, Herkunft, Einkommen, Bildung
                     stalten. Angesichts der Gleichzeitigkeit verschie-    und sozialer Status darüber, wer welchen Zugang
                     dener K­ risen wie der Covid 19-Pandemie und des      zu Ressourcen hat und wer den Auswirkungen
                     Klimawandels erscheint dies notwendiger denn je.      der sich verschlechternden Umweltbedingungen
                         Einer Weltregion kommt dabei besondere            unmittelbar ausgesetzt ist.
                     Bedeutung zu: Im Jahr 2020 befanden sich 58
                     der weltweit 100 größten Städte in Asien. Mit dem     Synergieeffekte freisetzen
                     Wachstum von Städten und der Wirtschafts­             Eine der Handlungsempfehlungen der Studie
                     leistung insgesamt steigen auch die ausgestoße-       lautet daher, dass lokale Politikansätze unter-
                                                                           ­
                     nen Treibhausgase. Gleichzeitig ist die Region        schiedliche Bedrohungen (»differentiated vulne­
                     von den Auswirkungen des Klimawandels stark           rabilities«) und bestehende geschlechtsspezifische
                     betroffen.                                            Ungleichheiten berücksichtigen sollten. Es brau-
                                                                           che Mechanismen für politische Partizipation und
                     Länderübergreifende Studie                            Beteiligungsmöglichkeiten, die über Konsultatio-
                     Vor diesem Hintergrund wird das regionale Klima-      nen hinausgehen.
                     und Energieprojekt der FES in Asien mit Sitz in          Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Lö­­
                     Vietnam in den kommenden Jahren das Thema             sungen zu suchen sind, die sowohl eine positive
                     sozial-ökologische Transformation in Städten          Wirkung auf das Klima als auch auf soziale
                     bearbeiten. Zum Auftakt wurden die beiden For-        Gerechtigkeit haben und dadurch Synergieeffekte
                     scherinnen Diane Archer und Charlotte Adelina         freisetzen. Städte und Kommunen können damit
                     vom Stockholm Environment Institute (SEI) damit       zu Laboratorien für sozial-ökologischen Woh-
                     beauftragt, in einer länderübergreifenden Studie      nungsbau, inklusive und emissionsarme Trans-

12    info 01/2021
EINORDNUNG

                                               Ein Green Deal
                                               für Lateinamerika?
                                               Chance für eine neue
                                               ­Wirtschaftsstruktur
                                               Von Astrid Becker und Álvaro Calix

                                               A
portsysteme, erneuerbare Energiever-                         us den Ereignissen der Covid 19-
sorgung, zivilgesellschaftliches Enga­                       Pandemie sollten mindestens drei
gement und vieles mehr werden.                               Lehren gezogen werden: Wachstum
   In diesem Zusammenhang haben                              ist nicht alles, die Natur darf nicht
fünf FES-Vertretungen in Asien (Indo-           den Interessen des Kapitals untergeordnet werden
nesien, Indien, Thailand, Philippinen           und öffentliche Güter sind i­nsbesondere in Krisen-
und Vietnam) kurze Videos produziert,           zeiten von wesentlicher Bedeutung.
die in einer Social-Media-Kampagne                 Eine Rückkehr zur alten Normalität ist weder
zum Weltstädtetag verbreitet wurden.           wünschenswert noch möglich. Stattdessen sollten
In sechs Episoden analysieren Exper-           neue Initiativen gefördert werden, die eine um­­
t_innen, Vertreter_innen der Zivil­            fassende soziale und ökologische Neuausrichtung
gesellschaft, Stadtplaner_innen und            zum Ziel haben.
Aktivitst_innen die länderspezifischen             Mit ihrem Green Deal will die Europäische
Herausforderungen und präsentieren             Union die Dekarbonisierung, die Kreislaufwirt-
bereits existierende Initiativen zu einer      schaft, den Schutz und die Förderung menschen-
sozial-­ökologischen Transformation in         würdiger Beschäftigung sowie die universelle
den Bereichen Mobilität, Wohnungsbau,          Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen för-
Kreislaufwirtschaft, Wassermanagement          dern. Damit ist dieser Green Deal das fort­
und nachhaltige Stadtplanung.             •    schrittlichste Beispiel für einen normativen und
                                               institutionellen Rahmen, um sich gemeinsam den
Die Publikation, weiterführende                Herausforderungen bei der Bekämpfung des
­Informationen, Artikel und die Videos:        K limawandels zu stellen. Ein hervorragendes
                                               ­
                                               ­Beispiel für andere Regionen wie Lateinamerika,
p   www.fes-asia.org/news/pathways-
    towards-a-social-ecological-                wo die Integrationsbemühungen bisher nur
    transformation-in-asian-cities/             schwach ausgeprägt sind.
                                                   Lateinamerika ist die Region mit der größten
                                                sozialen Ungleichheit weltweit. Gleichzeitig sind
                                                viele Länder überproportional vom Klimawandel
                                                betroffen. Schwache Institutionen schränken den
                                                Spielraum für die Entwicklung und Umsetzung
                                                langfristig ausgerichteter Strategien für einen
                                                Transformationsprozess ein und beeinträchtigen
                                                die Einbeziehung der Bürger_innen.
                                                   Ein gemeinsames Ziel wie ein Green Deal
                                                böte eine Chance, um einen Fahrplan hin zu
                                                einer neuen Wirtschaftsstruktur zu entwickeln,
Claudia Ehing ist ­Leiterin des                 in dem die Einhaltung von Umweltgesetzen, die
­ egio­­nalen ­Klima- und E
R                         ­ nergie­projektes    Schaffung menschenwürdiger Arbeitsbedingun-
der FES in Asien mit Sitz in ­Vietnam           gen und die Finanzierung hochwertiger öffent­

                                               S CH W ER P U N K T | G ER E CH T E K L I M A P O L I T I K   13
MEINUNG

licher Dienstleistungen eine wich­tige
Rolle spielen.                             Eine Quadratur
    Im Rahmen der gemeinsamen Vision
müssten dafür die potenziellen Vorteile    des Kreises
für Wirtschaft, Gesellschaft und Öko­
logie hervorgehoben werden.                Anpassungsdruck
    Die zwischenstaatliche Zusammen-
arbeit erfordert Mechanismen für ein       lastet auf Afrika
effektives Management der Transfor-
                                           Von Constantin Grund
mationsprozesse.
    Zur Sicherung der Finanzierung
wäre unter anderem eine umfassende
Reform der nationalen Steuer­systeme
und die Förderung einer regionalen
Entwicklungsbank notwendig, die sich
                                           Keine andere Weltregion hat so wenig zur
an den Zielen Wirtschaftlichkeit, sozia-
                                           ­Klimakrise beigetragen wie Afrika,
ler Inklusion und Regeneration von
                                            aber der Kontinent zahlt den höchsten Preis.
Öko­ s ystemen orientiert. Dazu wäre        Forderungen nach sozial-öko­logischer
allerdings eine Unterstützung in der        Transformation in Afrika sind ­wichtig,
internationalen Zusammenarbeit in           ­verdrängen aber eine ehrliche Diskussion
Form von Krediten, Investitionen und         über das ­Verursacherprinzip.
Hilfsgeldern erforderlich.
    All dies mag in einer Region wie

                                                       A
Lateinamerika utopisch erscheinen,
aber ohne Schritte in Richtung eines                                  frika trägt trotz 14 Prozent Anteils
Green Deals wird die Beibehaltung des                                 an der Weltbevölkerung nur 5 Prozent
gegenwärtigen Kurses irreversible öko-                                zu den weltweiten CO2-Emissionen bei.
logische Schäden verursachen, die den                                 Aber Afrika zahlt einen sehr hohen
demokratischen und sozialen Zusam-                      Preis für das Lebensmodell der Anderen. Ausgelöst
menhalt und die Lebensbedingungen                       durch die Emissionen des Nordens werden weite
von fast 650 Millionen Lateinamerika-                   Landstriche Afrikas für die Nahrungsmittelpro-
ner_innen gefährden.                  •                 duktion un­­brauchbar, nehmen Stürme und Über-
                                                        schwemmungen zu und schwinden wichtige mari-
                                                        time Lebens­ressourcen. Die Folgen des Klimawandels
                                                        sind in Afrika sehr konkret und verdienen durchaus
                                                        den Bezug zu historischen Dimensionen. Nach der
                                                        Kolonisierung und den Strukturanpassungspro-
                                                        grammen der 1980er-Jahre stellt der Klimawandel
                                                        die dritte Welle von außen verursachter Veränderun-
                                                        gen in Afrika dar. Der Kontinent wird in einen
                                                        Kampf getrieben um fruchtbares Acker- oder Weide-
                                                        land und den Zugang zu Wasser. Warum sollte man
                                                        die CO2-Emissionen des Nordens nicht als Ver­
                                                       brechen gegen die Menschlichkeit einstufen?
                                                            Der Transformationsdruck zur Bewältigung des
                                                        Klimawandels steigt mit jedem Jahr auch in Afrika
                                                        exponentiell. Der Anpassungsdruck auf die Länder
Astrid Becker leitet das                                Afrikas in traditionellen Bereichen, wie etwa
FES-­Regionalprojekt
                                                       ­Menschenrechte, Medienfreiheit oder Investitions-
­Sozial-ökologische Transformation
                                                        bedingungen, ist bereits heute enorm; jede wieder-
 ­Lateinamerika.
                                                        kehrende Regierungskonsultation kann dies bele-
Álvaro Calix ist wissenschaftlicher                     gen. Neu allerdings ist das moralisch aufgeladene
Mitarbeiter im Regionalprojekt                          Argument, auch Afrika müsse nun endlich seinen
­Sozial-ökologische Transformation                      Beitrag leisten, um die internationale Klimakrise
 Lateinamerika.                                         in den Griff zu bekommen.

14     info 01/2021
Unabhängig von der Frage, wer die Klimakrise ursächlich        v­orbeugen. Einige Länder in Afrika haben diese
zu verantworten hat, verlangt dies von den Regierungen des          Fehler bereits gemacht und etwa massiv in ­fossile
Kontinents eine Quadratur des Kreises: Sie stehen enormen            Energiegewinnung investiert, andere stehen vor
wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen gegenüber,           einer grundsätzlichen Neuausrichtung ihres Ent-
müssen strukturelle Armut senken, Bildungschancen ermög­             wicklungsweges. Mitunter zaudern Regierungen
lichen, bis zum Jahr 2050 eine Milliarde ­    Menschen mehr          in Afrika in gleicher Weise wie in Europa, aber
ernähren, der Jugend eine Basis­   digitalisierung und wirt-       das konstruktive Potenzial in den Gesellschaften
schaftliche Perspektive ermöglichen, Immigrationen verhin-          ­Afrikas ist enorm. Es zu wecken, zu fördern und
dern, westliche LGBTIQ-­Philosophien umsetzen und müssen             in Allianzen einzubringen, die notwendige Kurs­
sie nun auch einen direkten Weg zu »emission-free develop-           korrekturen ermöglichen, ist ein zentrales Hand-
ment« finden. Afrika verfügt nicht annähernd über aus­               lungsfeld der Friedrich-Ebert-Stiftung in Afrika.
reichend Kapital, Zeit, Energie oder Kontrolle über die              Dabei geht es darum, den vermeintlichen Gegensatz
­Geschicke des eigenen ­Territoriums, um all dies gleichzeitig       zwischen dem Recht auf Entwicklung und der Not-
 umzu­setzen.                                                        wendigkeit des Klimaschutzes aufzuheben.
                                                                         Aber ob eine Modernisierung der Landwirt-
Schieflage in den Beziehungen                                      schaft, eine ökologische Industrialisierung und die
Deutsche und europäische Entscheidungsträger überbieten sich       Transformation der Energiesysteme gelingen, ist
gern mit Forderungen nach einer Partnerschaft mit Afrika auf         stets verbunden mit der Frage nach Gewinnern und
Augenhöhe, nach einem echten Neustart in den bi-kontinen­            Verlierern dieses Prozesses. Und sie ist verbunden
talen Beziehungen. Dies mag populär sein, aber eine ehrliche         mit der Frage wie ernsthaft ein ehrlicher, demokra­
Diskussion zu der grundsätzlichen Schieflage in den politi-          tischer und partizipativer Dialog in und mit Afrika
schen und wirtschaftlichen Beziehungen beider Kontinente             wirklich geführt werden kann. Dort scheint noch
­findet eigentlich kaum statt. Angesichts der Bedeutung der          einiges an Wegstrecke vor uns zu liegen. Der geplante
 Auswirkungen des Klimawandels für Afrika ist dies nicht nur         Gipfel der Staats- und Regierungschefs Europas
 verheerend, sondern auch eine vertane Chance.                       und Afrikas könnte zeigen, wie weit die beteiligten
    Während staatliche Entwicklungszusammenarbeit jene               Entscheidungsträger diesbezüglich bereits sind.              •
 Symptome zu mildern versucht, die durch andere Politikfelder
 verursacht wurden, ist es die Aufgabe der FES als politische
 Stiftung, als hybrider Wanderer zwischen den Welten, eben
 jenen Dialograum zu schaffen, der für die erfolgreiche Bearbei-
 tung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erforderlich
ist; ein Jahrhundert, das kommunikativ zwar globalisiert
 sein mag, sich aber durch enorme politische Fliehkräfte aus-
 zeichnet. Dabei ist internationale Verständigung und Koope­
 ration notwendiger denn je.                                                                          Constantin Grund
    Auch in Afrika soll die Debatte um eine sozial-öko­        -                                      ist Leiter der
logische Transformation die Fehlentwicklungen des westlichen                                          ­FES-Vertretung
Gesellschafts- und Produktionsmodells korrigieren oder ihnen                                           in Madagaskar.

                                                                               S CH W ER P U N K T | G ER E CH T E K L I M A P O L I T I K   15
THEMA

Die digitale
Revolution
Längst lässt sich die Digitalisierung nicht mehr auf technische Aspekte
reduzieren. Inzwischen beeinflusst sie alle Bereiche des privaten Lebens,
der Arbeit und des sozialen Miteinanders. Neue Abhängigkeiten und
­Formen der Ausbeutung entstehen. Es droht eine Vertiefung der
 ­gesellschaftlichen Spaltung. Die Schattenseiten des digitalen Kapitalismus
  sind aber weder zwangsläufig noch ist der digitale Strukturwandel
  ein Phänomen, das unkontrolliert über eine Gesellschaft hereinbricht.
  Der digitale Wandel lässt sich gestalten. Dabei muss das Ziel sein,
  sozialen Fortschritt zu schaffen, an dem alle teilhaben.
      Mit ihren Studien und Analysen zeigt die FES, welche politischen
  ­Antworten in Deutschland, Europa und international formuliert und beraten
   werden. Auch bei internationalen Großveranstaltungen der Stiftung
   ­werden die verschiedenen Facetten der Digitalisierung betrachtet und
mit Politik, Gewerkschaften, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft
diskutiert.
www.fes.de/themenportal-bildung-arbeit-digitalisierung/digitalisierung
I NTERV IE W

Im Netz wird Vielfalt sichtbarer
Fragen an Amina Yousaf

Frau Yousaf, das schlechte Abschneiden der              dern wir sind viele und wir sind sehr divers.« Im Vergleich mit an­­deren
Volksparteien gerade bei jungen Leuten in               europäischen Ländern, wie zum Beispiel Großbritannien, steckt
der Europawahl 2019 wird auch mit mangel-               Deutschland, was die Sichtbarkeit und Anerkennung von unterschied­
hafter Nutzung der sozialen Medien im                   lichen Identitäten im Alltag angeht, ja noch in den Kinderschuhen.
­Wahlkampf be­­gründet. Welche Rolle wird das
 Ihrer ­Meinung nach im Wahljahr 2021 spielen?          Wer im Netz sichtbar und aktiv ist, zieht auch Hasskommentare
 Die Frage ist einfach, wie Parteien es schaffen,       und alltagsrassistische Beleidigungen auf sich. Was raten Sie
 Politik für junge Menschen greifbar zu machen.         ­jungen Menschen, die sich politisch engagieren wollen?
 Das fängt damit an, dass viele junge Menschen           Nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Landesanstalt für Medien
 sich nicht mit den Parlamentarier_innen identi­         NRW sagen inzwischen über Drei Viertel der Menschen, die im Netz
 fizieren können. Das hat mit dem Durchschnitts­         unterwegs sind, dass sie digitale Gewalt erlebt haben. Wenn einem das
 alter im Bundestag zu tun, aber auch mit einem          passiert, hat man unterschiedliche Optionen: Man kann den Hass-­
 Gespür und einer Einsicht in die Lebenslagen und        Kommentar melden, man versucht ihn zu löschen, man beginnt die
 Interessen von jungen Menschen. Dazu gehören            ­Diskussion oder man steigt ganz aus. Aussagen, die strafrechtlich
 auch die Bedeutung von sozialen Medien und ein           ­relevant sind, sollte man in jedem Fall melden, nicht nur, wenn man
 Verständnis dafür, wo und wie sich junge Men-             sie auf den eigenen Profilen sieht.
 schen heutzutage informieren. Dieses fehlt in vielen          Wenn man selber betroffen ist, gibt es mehrere Stellen, an die man
 Bereichen der politischen Kommunikation.                  sich wenden kann, um Unterstützung zu erhalten. Wenn man erwägt zu
     Mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 bin ich         klagen, muss man sich auf nicht unerhebliche Kosten einstellen. Da kann
 vorsichtig optimistisch. Erstens erleben wir der-         eine Prozesskostenhilfe sehr hilfreich sein. Die bietet zum Beispiel
 zeit einen Generationenwechsel, zumindest in der          hateaid.org, eine Internetplattform, die auch persönlich berät. Eine
 SPD. Da bewerben sich gerade in mindestens 70             weitere ehrenamtliche Initiative, die gegen Hass im Netz vorgeht, ist die
 von 299 Bundestagswahlkreisen Menschen unter              Facebook-Gruppe #ichbinhier. Aus einer Jugendkampagne des Europa-
 35 darum, aufgestellt zu werden.                          rates ist no-hate-speech.de entstanden. Auf ihrer Seite findet man viele
     Zweitens sind Parteien ja derzeit pandemie­           Memes, kleine Videos oder GIFs, die man verwenden kann, um Diskussio-
 bedingt auch gezwungen, Beteiligungsprozesse              nen zu entschärfen und auch zu reagieren. Im konkreten Fall muss man
 ins Netz zu verlagern. Dadurch wird ermöglicht,           sicher abwägen, welche Reaktion angemessen ist, aber es ist wichtig zu
 dass sich auch Menschen ohne Mandat oder Funk-            wissen, wo man Unterstützung bekommen kann. Denn jeder Fall ist
 tion Gehör verschaffen.                                   unterschiedlich, aber kein_e Betroffene_r sollte allein gelassen werden.

Ein wachsender Anteil junger Menschen in                Mehr zum Thema Vielfalt in der Politik gibt es im Podcast Hörgut:
Deutschland hat eine Migrationsgeschichte.
                                                        p   www.fes.de/hoergut
Welche Rolle spielen digitale Instrumente
gerade für ihre politische Teilhabe?
Wir als junge Generation von Menschen mit Ein-
wanderungsgeschichte wollen viel stärker aner-                                            Amina Yousaf ist Bloggerin,
kannt und gesehen werden. Dabei spielt das Netz                                           Autorin und Feministin.
eine wesentliche Rolle, da klassische Gatekeeper,                                         Gemeinsam mit anderen
also Leute, die entscheiden, was etablierte Medien                                        ­Aktivist_innen startete sie
berichten, umgangen werden können. Heutzu-                                                 die bundes­weite ­Kampagne
tage kann ich bei Twitter oder Instagram Videos                                            #NetzohneGewalt. Sie ist
oder Texte von mir teilen und eine breite Masse                                            ­stellvertretende Vorsitzende
erreichen. Da sehe ich großes Potential und viele                                           der SPD im ­Bezirk Hannover.
andere Menschen mit Migrationsgeschichte auch.
Wir begreifen das als Chance, um zu zeigen: »Hey,                  Die Fragen stellte Annette Schlicht, Referentin für
wir sind nicht nur eine kleine Minderheit, son-                    Migration und Vielfalt im Forum Berlin der FES.

                                                                                     T H E M A | D I E D I G I TA L E R E VO L U T I O N 17 17
Z U S A M M E N FA S S U N G

        Ein europäisches Internet-Grundgesetz?
        Der Digital Services Act
        Von Marco Schwarz

       D
                    ie Gestaltung der digitalen Zukunft        Mehr Transparenz und weniger Marktmacht
                    Europas gehört zu den wichtigsten          Im Kern geht es bei den Gesetzespaketen darum, Vorschriften
                    Vorhaben der Euro­   päischen Union.       für digitale Dienste zu modernisieren und zu vereinheit­
                    Die EU-Digitalstrategie beruht auf drei    lichen, die Rechte von Verbraucher_innen- und Nutzer_innen
        Säulen und will eine leistungs- und wettbewerbs-       zu stärken und die Rolle und Pflichten von Online-Platt­
        fähige europäische Digitalwirtschaft begünstigen,      formen pass­genauer zu regeln. Je größer ein Anbieter ist,
        die technologische Entwicklung in den Dienst der       desto spezifischer sollen die Auflagen sein. Vor dem Hinter-
        Menschen stellt und eine offene und demokrati-         grund einer rasanten technologischen Entwicklung und
        sche Gesellschaft fördert.                             eines massiven ökonomischen und gesellschaftlichen Bedeu-
           Zu diesem Zweck hat die Europäische Kommis-        tungszuwachses des digitalen Raums sind die bislang beste-
        sion Entwürfe für einen Digital Services Act (DSA)    henden EU-­Regelungen in die Jahre gekommen und nicht
        und einen Digital Markets Act (DMA) vorgestellt.      mehr zeit­gemäß. Die Bestimmungen für digitale Dienst­
        Diese sehen eine grund­legende Neuordnung der         leistungen haben sich seit der 20 Jahre alten E-Commerce-­
        Internetlandschaft vor. Insbesondere große Online-­   Richtlinie nur wenig verändert. Hinzu kommt ein Flicken­
        Plattformen wie Google, Facebook oder Amazon          teppich von nationalen Bestimmungen in der EU.
        sollen künftig stärker reguliert und ihre Markt-           Eine Vereinheitlichung und präzisere Regulierung ist
        macht soll begrenzt werden. Neben hohen Strafen       daher dringend nötig. Zwei Prinzipien stehen im Vorder-
        bei ­Verstößen steht sogar die mögliche Zerschla-     grund: Die Kommission möchte eine größere Verantwortung
        gung von Internet-Großkonzernen im Raum.              von Online-Plattformen und die Kontrolle über die Nutzungs-
                                                              bedingungen der Plattformen erweitern. Zudem sollen
                                                              Ex-ante-Bestimmungen festgelegt werden, um gleiche Wett­
                                                              bewerbsbedingungen auf digitalen Märkten zu schaffen,
                                                              die von großen Plattformen dominiert werden. Unfaire
                                                              P raktiken wie etwa die Bevorzugung eigener Produkte
                                                              ­
                                                              gegenüber denen von Drittanbietern sollen verboten und
                                                              ­vorinstallierte Apps leichter entfernt werden können.

18   info 01/2021
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