18 2020 STIKO: Schutzimpfungen während COVID-19, Impfung gegen Japanische Enzephalitis - RKI

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aktuelle daten und informationen
                  zu infektionskrankheiten und public health

  18 Epidemiologisches
2020 Bulletin
 30. April 2020

                  STIKO: Schutzimpfungen während COVID-19,
                  Impfung gegen Japanische Enzephalitis
Epidemiologisches Bulletin          18 | 2020       30. April 2020                                                          2

  Inhalt

  Stellungnahme der Ständigen Impfkommission: Durchführung von empfohlenen Schutzimpfungen
  während der COVID-19-Pandemie                                                                                                  3
  Gerade während einer Pandemie kommt ­allgemein gültigen Präventionsmaßnahmen zum Schutz der
  ­Gesundheit große Bedeutung zu. Hierzu zählen vor allem die von der STIKO empfohlenen Impfungen. Die
   Pan­demie sollte keinesfalls zu zusätzlichen Impflücken führen, mit der Gefahr von Ausbrüchen impfpräven-
   tabler Erkrankungen.

  Wissenschaftliche Begründung für die Empfehlung zur Impfung gegen Japanische Enzephalitis
  bei Reisen in Endemiegebiete und für Laborpersonal                                                                             5
  Die STIKO empfiehlt die Impfung gegen Japanische Enzephalitis als Reiseimpfung für alle Reisenden bei
  Aufenthalten in entsprechenden Verbreitungsgebieten unter bestimmten Bedingungen und als beruflich in-
  dizierte Impfung für Laborpersonal, das gezielt mit vermehrungsfähigen Japanische-Enzephalitis-Virus-Wild-
  typstämmen arbeitet. In Deutschland ist derzeit nur ein inaktivierter Ganzvirusimpfstoff zugelassen.

  Erfassung der SARS-CoV-2-Testzahlen in Deutschland (Update vom 29.4.2020)                                                     28
  Im Rahmen der COVID-19-Pandemie spielt die Labordiagnostik zu SARS-CoV-2 eine entscheidende Rolle.
  Daten zur Anzahl der durchgeführten Testungen zu SARS-CoV-2 sowie zur Anzahl der Personen mit den
  ­jeweiligen Testergebnissen und den Testkapazitäten werden aktuell über verschiedene Netzwerke bzw. Um-
   fragen erhoben. Es erfolgt ein Update gegenüber Ausgabe 17/2020.

  Zur aktuellen Situation bei ARE/Influenza in der 17. Kalenderwoche 2020                                                       29

  Impressum
  Herausgeber                                                        Allgmeine Hinweise/Nachdruck
  Robert Koch-Institut                                               Die Ausgaben ab 1996 stehen im Internet zur Verfügung:
  Nordufer 20, 13353 Berlin                                          www.rki.de/epidbull
  Telefon 030 18754 – 0
                                                                     Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise
  Redaktion                                                          die Meinung des Robert Koch-Instituts wider.
  Dr. med. Jamela Seedat
  Telefon: 030 18754 – 23 24                                         Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons
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  Redaktionsassistenz:
  Francesca Smolinski
  Telefon: 030 18754 – 24 55                                         ISSN 2569-5266
  E-Mail: EpiBull@rki.de
  Claudia Paape, Judith Petschelt (Vertretung)

         Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
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  Stellungnahme der Ständigen Impfkommission
  Durchführung von empfohlenen Schutzimpfungen während
  der COVID-19-Pandemie

  Aktuell gilt die öffentliche Aufmerksamkeit der                ▶▶   Sollte bei einer Kontaktperson eine SARS-Cov-2-­
  ­COVID-19-Pandemie und ihrer Bekämpfung. Viel                       Infektion nachgewiesen worden sein und diese
   wird unternommen, um die SARS-CoV-2-Ausbrei-                       asymptomatisch verlaufen, sollten Impfungen
   tung und damit Infektionen, Erkrankungen und                       frühestens 4 Wochen nach dem positiven
   ­Todesfälle zu verhindern. Ziel ist es, das Gesund-                PCR-Befund erfolgen.
    heitssystem nicht zu überlasten und jederzeit eine
    suffiziente Versorgung der Betroffenen zu gewähr-
    leisten. Gerade während einer Pandemie kommt                 Priorisierung von Impfungen
    ­allgemein gültigen Präventionsmaßnahmen zum                 ▶▶   Grundsätzlich können und sollten alle von der
     Schutz der Gesundheit große Bedeutung zu. Hierzu                 STIKO empfohlenen Impfungen altersentspre-
     zählen vor allem die von der Ständigen Impfkom-                  chend durchgeführt werden. Besonders die Grund­
     mission (STIKO) empfohlenen Impfungen. Die Pan­                  immunisierung mit allen STIKO-empfohlenen
     demie sollte keinesfalls zu zusätzlichen Impflücken              Impfungen im ersten und zweiten Lebens­jahr
     führen, mit der Gefahr von Ausbrüchen impfprä-                   sollte unbedingt zeitgerecht begonnen werden
     ventabler Erkrankungen. Folgende Aspekte gilt es                 (ab 8 Wochen) und möglichst rechtzeitig (mit 15
     bei der Durchführung von Impfungen während der                   Monaten) beendet werden. Da die Kontakt­redu­
     aktuellen Pandemie zu berücksichtigen:                           zierung zu den wichtigsten Maßnahmen der Be-
                                                                      kämpfung der COVID-19-Pandemie gehört, kann
                                                                      es sinnvoll sein, Auffrischimpfungen, die mit
  Mögliche Interaktionen von Impfungen                                ­einem breiten Zeitfenster empfohlen sind, erst
  und COVID-19                                                         bei einem geringerem Pandemiegeschehen
  ▶▶   Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Aus­                    durchzuführen.
       einandersetzung des Immunsystems mit SARS-
       CoV-2 durch eine in zeitlicher Nähe verabreichte          ▶▶   Bei Personen im Alter ab 60 Jahren muss an die
       Impfung negativ beeinflusst wird.                              altersbedingten Impfempfehlungen zum Schutz
                                                                      vor Pneumokokken, Herpes zoster und die jähr-
  ▶▶   Anstehende Routineimpfungen entsprechend                       liche Influenza-Impfung gedacht werden.
       den STIKO-Empfehlungen sollen grundsätzlich
       nur bei akuten, schweren Erkrankungen verscho­            ▶▶   Besonders wichtig ist der Impfschutz bei Immun­
       ben werden.                                                    supprimierten oder Personen mit anderen ge-
                                                                      sundheitlichen Risikofaktoren. Bitte überprüfen
  ▶▶   Impfungen bei COVID-19-Patienten sollen erst                   Sie den Impfstatus für empfohlene Indikations-
       nach vollständiger Genesung und frühestens                     impfungen (s. Tab. 2 in den STIKO-Empfeh­
       4 Wochen nach dem letzten positiven PCR-­                      lungen). Detaillierte Anwendungshinweise der
       Befund erfolgen.                                               ­STIKO für Impfungen von Patienten mit Im-
                                                                       mundefizienz bzw. Immunsuppression sind
  ▶▶   Impfungen von Kontaktpersonen können bei                        ­unter folgendem Link verfügbar: www.rki.de/
       Symptomfreiheit 14 Tage nach dem letzten                         immundefizienz.
       potenziell infektiösen Kontakt erfolgen.
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  Organisation der Praxisabläufe                                     ▶▶   Nutzen Sie bitte jeden Patientenkontakt, um den
  ▶▶   Es sollten Praxisabläufe gewährleistet sein, durch                 Impfstatus zu überprüfen und holen Sie gegebe-
       die die Möglichkeit einer Ansteckung mit SARS-                     nenfalls versäumte Impfungen nach.
       CoV-2 während des Impftermins soweit wie
       überhaupt möglich ausgeschlossen wird.                        ▶▶   Kann ein verabredeter Impftermin nicht einge-
                                                                          halten werden, weil der Impfstoff nicht verfügbar
  ▶▶   Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Infek­                     ist, informieren Sie bitte den Patienten rechtzeitig.
       tions­risiko in der Praxis zu vermindern. Diese
       richten sich natürlich auch nach den räumlichen               ▶▶   Um die Zahl der Impftermine gering zu halten,
       Gegebenheiten und den Patienten der Praxis.                        ist es möglich, mehr als zwei Impfungen an ei-
                                                                          nem Termin zu verabreichen.
       ▶▶   Beispielsweise können gesonderte Impfsprech­­
            stunden eingerichtet werden. Impftermine
                                                                     ▶▶   Erinnerungssysteme können dabei helfen,
            sollten so organisiert werden, dass die Patien-
                                                                          Patien­ten, deren Eltern oder Sorgeberechtigte
            ten und deren Begleitpersonen möglichst
                                                                          bzw. Angehörige aktiv an fällige oder versäumte
            ­keine Wartezeit haben.
                                                                          Impfungen zu erinnern und zur Vereinbarung
       ▶▶   In der kinder- und jugendärztlichen Versor-                   von Impfterminen zu ermuntern.
            gung können gesonderte Sprechzeiten für Früh­
            erkennungsuntersuchungen und Impfungen                   ▶▶   Die STIKO gibt altersabhängige Empfehlungen
            von infektfreien Kindern und Jugendlichen                     zur Verabreichung von Nachholimpfungen
            ­geplant werden. Zu den Kinder- und Säug-                     ­(s. Tabellen 9 A–E im Kapitel 6.10 der STIKO-­
             lingsimpfungen sollten möglichst keine Ge-                    Empfehlungen: www.rki.de/stiko-empfehlungen).
             schwisterkinder mitgebracht werden.

  ▶▶   Bei der Vereinbarung der Impftermine soll dar-
       auf hingewiesen werden, dass diese ggf. verscho-
       ben werden müssen, falls der Patient oder die
       Begleitperson Erkältungssymptome hat.

  Autorinnen und Autoren                                             Vorgeschlagene Zitierweise
  Ständige Impfkommission (STIKO) beim                               Ständige Impfkommission beim RKI: Stellungnahme
  Robert Koch-Institut                                               der Ständigen Impfkommission: Durchführung von
                                                                     empfohlenen Schutzimpfungen während der
  Korrespondenz: STIKO-Geschaeftsstelle@rki.de                       COVID-19-Pandemie

                                                                     Epid Bull 2020;18:3 –4 | DOI 10.25646/6858
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  Wissenschaftliche Begründung für die Empfehlung zur
  Impfung gegen Japanische Enzephalitis bei Reisen in
  Endemiegebiete und für Laborpersonal

  Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat auf ihrer                   oder im Abstand von 1 Woche (Schnellschema: d 0
  95. Sitzung am 4. März 2020 die Empfehlung der                      und d 7, zugelassen für die Anwendung von 18 – 65
  Impfung gegen Japanische Enzephalitis bei Reisen                    Jahren). Bei Kindern im Alter von 2 Monaten bis 3
  in Endemiegebiete und für Laborpersonal beschlos-                   Jahren sind 2 Dosen à 3 µg/0,25 ml im Abstand von
  sen. Hierzu erfolgten Diskussionen auf mehreren                     4 Wochen erforderlich. Ab dem 3. Lebensjahr erhal-
  Sitzungen, wobei auch Stellungnahmen des Gemein-                    ten Kinder bei jeder Impfung die Erwachsenendo-
  samen Bundesausschusses (G-BA), der obersten Ge-                    sis, können jedoch nicht nach dem Schnellschema
  sundheitsbehörden der Bundesländer sowie betroffe-                  geimpft werden. Eine dritte Dosis (erste Auf-
  ner Fachgesellschaften Berücksichtigung fanden.                     frischimpfung) sollte bei einem fortgesetzten oder
                                                                      wiederholten Expositionsrisiko 12 – 24 Monate nach
                                                                      der Grundimmunisierung gegeben werden. Auch
  Empfehlung                                                          bei einer späteren Impfindikation (> 24 Monate
  Die STIKO empfiehlt die Impfung gegen Japani-                       nach Grundimmunisierung) ist von einem ausrei-
  sche Enzephalitis (JE) als Reiseimpfung (R) für alle                chenden Impfschutz nach einmaliger Auffrischimp-
  Reisenden bei Aufenthalten in den unten genann-                     fung auszugehen. Bei fortbestehender Indikation
  ten Verbreitungsgebieten (fortlaufend Endemie-                      zur Impfung wird die Verabreichung der zweiten
  gebiete genannt) unter bestimmten Bedingungen                       Auffrischimpfung 10 Jahre nach der ersten Auf-
  und als beruflich indizierte Impfung (B) für Labor-                 frischimpfung empfohlen. Ziel der Impfung ist die
  personal, das gezielt mit vermehrungsfähigen Japa-                  Verhinderung von schweren Erkrankungen und
  nische-Enzephalitis-Virus-(JEV-)Wildtypstämmen                      Tod aufgrund einer JEV-Infektion bei Aufenthalten
  arbeitet. In Deutschland ist derzeit nur ein inakti-                in Endemiegebieten oder bei Arbeit mit vermeh-
  vierter Ganzvirusimpfstoff zugelassen, der den                      rungsfähigen JEV-Wildtypstämmen.
  Stamm SA14-14-2 (Genotyp III) enthält, und unter
  dem Namen IXIARO vertrieben wird. Die Grund-                        Ergänzende Abbildungen und Tabellen zu diesem
  immunisierung mit diesem Impfstoff besteht bei                      Dokument finden Sie im Anhang unter:
  Erwachsenen aus 2 Dosen à 6 µg/0,5 ml im Abstand                    www.rki.de/JE_18_20
  von 4 Wochen (klassisches Schema: d 0 und d 28)

  Auszug aus Tabelle 2 der STIKO-Empfehlungen – Japanische Enzephalitis
   Impfung        Kate-      Indikation                                           Anmerkungen
   gegen          gorie                                                           (Packungsbeilage/Fachinformation beachten)
   Japanische        R       Aufenthalte in Endemiegebieten (Südost-Asien,        Grundimmunisierung mit 2 Dosen gemäß Fachin-
   Enzephalitis              weite Teile von Indien, Korea, Japan, China,         formation; eine Auffrischungsdosis vor erneuter
                             West-Pazifik, Nordaustralien) während der Übertra-   Exposition, frühestens 12 Monate nach der Grundi-
                             gungszeit, insbesondere bei:                         mmunisierung
                             • Reisen in aktuelle Ausbruchsgebiete
                             • Langzeitaufenthalt (> 4 Wochen)
                             • wiederholten Kurzzeitaufenthalten
                             • voraussehbarem Aufenthalt in der Nähe von
                                Reisfeldern und Schweinezucht (nicht auf länd-
                                liche Gebiete begrenzt)
                     B       Laborpersonal, das gezielt mit vermehrungsfähigen
                             JEV-Wildtypstämmen arbeitet
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  Wissenschaftliche Begründung                                    geführt, wobei die gesamte bis zum 31. August 2019
                                                                  verfügbare Literatur berücksichtigt wurde.63
  1. Einleitung
  Die Japanische Enzephalitis (JE) ist eine Viruser-
  krankung, die durch vornehmlich nachtaktive                     2. Erreger und Übertragung
  Stechmücken übertragen wird. Sie ist endemisch in               Das JEV gehört wie das Gelbfiebervirus (YFV), das
  vielen Ländern Asiens, dem West-Pazifik und im                  Denguevirus (DENV), das West-Nil-Virus (WNV), das
  nördlichen Australien. Es wird geschätzt, dass in               Zika-Virus (ZIKV) und das Tick-Borne-Encephali-
  den Endemiegebieten jährlich etwa 67.900 sympto-                tis-Virus (TBEV) zur Familie der Flaviviridae; das
  matische Fälle von JE auftreten (Gesamtinzidenz 1,8             Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus (FSMEV)
  pro 100.000 Einwohner), wobei schätzungsweise                   gehört zur Gruppe der TBEV. Das JEV ist ein behüll-
  nur ca. 10 % der tatsächlich aufgetretenen sympto-              tes Virus mit einem Durchmesser von ca. 50 nm und
  matischen Fälle der Weltgesundheitsorganisation                 enthält einzelsträngige RNA mit positiver Polarität
  (WHO) übermittelt werden.1                                      (+ssRNA) bei einer Genomgröße von ca. 11 kB und
                                                                  nur geringfügigen Längenunterschieden zwischen
  Die meisten Infektionen mit dem JE-Virus (JEV)                  den Genotypen. Es sind 5 verschiedene Genotypen be-
  verlaufen bei der lokalen Bevölkerung in den En-                kannt, von denen Genotyp I und III epidemiologisch
  demiegebieten asymptomatisch. Von den Patien-                   relevant sind.4 Genotyp IV wurde in Indonesien und
  ten, die eine Symptomatik entwickeln, erkranken                 Malaysia isoliert.5 Genotyp V wurde bislang nur sehr
  wiederum die meisten an einer milden Form                       selten nachgewiesen;6 er gilt als der älteste der Geno-
  (grippeähnliche Symptome) und nur ca. einer von                 typen, der sich von seinem Ursprungsgebiet in der
  250 symptomatischen Patienten erkrankt schwer                   Region Indonesien-Malaysia aus in die heute bekann-
  (neurologische Symptomatik).2 Bei schwerem                      ten Endemiegebiete verbreitet und dabei genetisch
  Verlauf stirbt ca. 1/3 der Patienten und bei                    verändert hat.7 Alle Genotypen gehören zum gleichen
  30 – 50 % der Überlebenden persistieren psychia-                Serotyp und ihre Virulenz ist vergleichbar.8 Die Impf-
  trisch-neurologische Schäden.2                                  stoffe der neuesten Generation richten sich gegen
                                                                  den Genotyp III. Neuere Daten zeigen allerdings,
  Reisende können sich bei Aufenthalten in Endemie-               dass in mehreren Regionen Genotyp I den Genotyp
  gebieten infizieren. In der Literatur findet sich keine         III ersetzt hat.9-12 Diese Problematik wird in 7.2.2.1.
  einheitliche Risikoberechnung für Reisende. Dem                 ausführlich diskutiert.
  insgesamt niedrigen Risiko für den Einzelnen steht
  der möglicherweise schwere Verlauf der Erkran-                  Wat- und Zugvögel sind natürliche Wirte und Träger
  kung gegenüber.                                                 des JEV. Durch saisonale Wanderung verbreiten sie
                                                                  das JEV zwischen tropischen, subtropischen und
  Aufgrund der Verfügbarkeit eines gut verträglichen              gemäßigten Klimazonen. Wilde und domestizierte
  und wirksamen Impfstoffs in Deutschland hat sich                Schweine spielen als Träger und Amplifikatoren
  die STIKO eingehend mit der Risiko-Nutzen-Bewer-                eine besondere Rolle in der Infektionskette, da sie
  tung dieses Impfstoffs (IXIARO) beschäftigt. Der                auch ohne Vektoren das Virus untereinander über-
  Totimpfstoff ist bereits seit 2009 als einziger Impf-           tragen können. Auch aus Fledermäusen konnte be-
  stoff in Deutschland für Erwachsene und seit 2013 für           reits das JEV isoliert werden. Ihre Rolle bei der
  Kinder > 2 Monate zugelassen. In den letzten Jahren             Übertragung ist allerdings noch nicht geklärt.13
  sind zusätzlich Studien zur Langzeitimmunogenität
  erschienen, die einen Anhaltspunkt für den optima-              Die Übertragung des JEV zwischen den Spezies fin-
  len Zeitpunkt der Auffrischimpfung liefern können.              det saisonabhängig in den Endemiegebieten über
  Die STIKO hat die Bewertung nach ihrer Standard-                eine Vielzahl von Stechmücken-Spezies statt, wobei
  vorgehensweise (SOP) vorgenommen 3 und in diesem                Culex-Mücken der Culex vishnui-Gruppe, insb. Culex
  Rahmen einen systematischen Review zur Immuno-                  tritaeniorhynchus, die kompetentesten Vektoren sind.14
  genität und Sicherheit des Impfstoffs IXIARO durch-             Culex-Mücken brüten in Reisfeldern und stechen
                                                                  hauptsächlich kurz nach Sonnenuntergang und nach
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  Mitternacht. Eine Übertragung am Tag ist nicht aus-             wie bilaterale, nicht selten hämorrhagische Läsio-
  geschlossen.15-17 Der Mensch ist nicht nur ein Fehl-,           nen im Thalamus.26
  sondern auch ein Blindwirt, der epidemiologisch kei-
  ne Rolle spielt. Die Virämie reicht üblicherweise nicht         Ungefähr 30 % der Patienten mit schwerer JEV-
  aus, um Mücken zu infizieren und zu einer Übertra-              Infektion sterben und die Hälfte der Überlebenden
  gung auf andere empfängliche Wirte beizutragen.18,19            leidet an persistierenden neurologischen Defiziten.
                                                                  Dazu gehören schwere motorische Defizite (ca.
  Eine Übertragung von Mensch zu Mensch über                      30 % der Überlebenden), kognitive und sprachliche
  Bluttransfusionen ist prinzipiell möglich.20                    Defizite (ca. 20 %) oder rezidivierende Krampfanfälle
                                                                  (ca. 20 %).27 Eine wirksame spezifische Therapie ge-
  In Europa gibt es bisher keine autochthonen Infek-              gen die Infektion mit JEV ist bisher nicht verfüg-
  tionen trotz des eventuellen Vorkommens einzelner               bar.28 Im Falle einer Rekonvaleszenz kann diese Wo-
  für die Übertragung notwendiger Faktoren (wie z. B.             chen bis zu mehreren Monaten andauern und ein-
  stehende Gewässer, Culex-Arten oder anderer Vek-                hergehen mit Konzentrationsschwäche, rascher Er-
  toren,21 Schweinezucht).                                        müdbarkeit, Persönlichkeitsveränderungen und
                                                                  z. B. einem Tremor.29 Nach einer durchgemachten
  Bei der Laborarbeit mit vermehrungsfähigen                      Infektion sind lebenslang Antikörper nachweisbar.18
  JEV-Wildtypstämmen kann es ebenfalls zu einer                   Es ist allerdings nicht gesichert, ob diese einen
  Übertragung kommen.                                             lebenslangen Schutz vermitteln.

  3. Krankheitsbild                                               4. Risikofaktoren für eine Infektion und
  Infektionen mit dem JEV sind in der Region                      einen schweren Krankheitsverlauf
  Asien-Pazifik die Hauptursache für Enzephalitiden               Die Möglichkeit für eine Infektion des Reisenden ist
  beim Menschen.19 Nach dem Stich einer infizierten               in tropischen Gebieten aufgrund des Vorhanden-
  Mücke und einer Inkubationszeit von 5 – 15 Tagen                seins von Vektor und natürlichen Wirten zwar ganz-
  kommt es zu einer plötzlich auftretenden fieberhaf-             jährig gegeben, jedoch steigt das Risiko während
  ten Erkrankung, zu der auch Symptome wie Kopf-                  der Regenzeit.30 Während bislang das Risiko einer
  schmerzen, Schnupfen, Husten, Übelkeit, Erbre-                  Infektion auf ländliche Gebiete begrenzt galt, zei-
  chen und Durchfall gehören können.22 Ein kleiner                gen zahlreiche Studien aus Endemieländern, dass
  Teil dieser symptomatisch erkrankten Patienten                  sich die Verbreitung auf periurbane und urbane
  kann im Rahmen einer Mitbeteiligung des zentra-                 Gebiete ausgebreitet hat.31-34 Entscheidend für eine
  len Nervensystems neurologische Symptome entwi-                 Übertragung ist das Vorhandensein von Reservoir-
  ckeln: Meningismus, Verwirrtheit, Verhaltensän-                 wirten (Schweinezucht) und Brutstätten von Vekto-
  derungen, Lähmungen, parkinsonähnliche Sympto-                  ren (Reisfelder). Bei erhöhter Exposition zum Vek-
  me, Krampfanfälle oder Bewusstseinsstörungen.22,23              tor steigt das Infektionsrisiko und deshalb sind wei-
  Ebenfalls häufig sind Hirnstammschädigungen.18                  tere Risikofaktoren für eine JEV-Infektion der Auf-
                                                                  enthalt im Freien, kein Auftragen von Repellents
  Der diagnostische Nachweis des Virus ist durch mo-              oder keine Benutzung von Mückennetzen. Außer-
  lekularbiologische Methoden möglich. Der Antikör-               dem erhöhen fehlende JEV-spezifische Antikörper
  pernachweis im Serum oder Liquor kann durch ver-                (bei Menschen, die weder die Infektion durchge-
  schiedene Verfahren erfolgen, ist aber teilweise                macht haben noch geimpft sind) das Risiko einer
  durch kreuzreagierende Flavivirusantikörper er-                 symptomatischen Infektion.18,30,35 Bei Laborpersonal
  schwert. JEV-Antikörper können spezifisch mittels               gilt die Exposition gegenüber vermehrungsfähigen
  IgM-capture-ELISA und Plaque-Neutralisationstests               JEV-Wildtypstämmen als Risikofaktor.
  nachgewiesen werden.24
                                                                  Es ist bisher nicht bekannt, welche Faktoren dazu
  In der MRT finden sich bei Infektion mit Arboviren              führen, dass der überwiegende Teil der infizierten
  oft ein asymmetrischer Stammganglienbefall 25 so-               Menschen keine Erkrankung und nur eine Minder-
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  Abb. 1 | Geografische Ausbreitung des Japanische Enzephalitis Virus 2019*
  *
    Quelle: Robert Koch-Institut, adaptiert nach CDC, 2019 24

  heit einen schweren Krankheitsverlauf entwickelt.                    dehnt.44-46 Kürzlich wurde ein erster autochthoner Fall
  Grundsätzlich gehören zu den Risikofaktoren für                      in Afrika (Angola) registriert.47 Des Weiteren konnte
  einen schweren Krankheitsverlauf verschiedene                        das Virus aus Culex pipiens Stechmücken sowie aus
  Wirtsfaktoren wie z. B. höheres Alter,35,36 Schwan-                  Knochenmarkszellen von Vögeln in Italien isoliert
  gerschaft 37,38 und fehlende Immunität (JE-naiv),                    werden.48 Es erscheint demnach möglich, dass sich
  auch gegen andere Flaviviren, wie z. B. dem Den-                     das JEV sogar noch weiter auf andere Kontinente aus-
  guevirus.36,39,40 Infektionen und Erkrankungen kom-                  breiten könnte.19 JEV-Infektionen wurden früher
  men deutlich häufiger im Kindesalter vor, während                    nicht in Gebieten beobachtet, die 1.200 m oder höher
  das Risiko für eine neuroinvasive schwere JEV-                       liegen. Neuere Studien zeigten jedoch, dass es dem
  Erkrankung mit dem Alter steigt. Das Vorhanden-                      Virus auch in großen Höhen wie zum Beispiel in
  sein zerebraler Läsionen bei einer Infektion mit                     Tibet (2.900 m) gelingt, zwischen Moskitos und Ver-
  dem Schweinebandwurm zählt in Endemieländern                         tebraten zu zirkulieren.49
  als weiterer Risikofaktor für einen schweren Ver-
  lauf.41 Bei tödlich verlaufenden JE-Fällen wurde in                  Durch das Zusammenspiel von Vektoren, Wirten,
  einer Studie in Indien eine erhöhte Prävalenz von                    Umwelt und Wetter kommen humane Infektionen
  zerebraler Zystizerkose beobachtet.42                                insbesondere in Gegenden bzw. Zeiten mit hoher
                                                                       Vektordichte, stehenden Gewässern und Schweine-
                                                                       zucht vor.50 Während früher die Erkrankung fast
  5. Epidemiologie                                                     ausschließlich mit einem Infektionsrisiko im länd-
  5.1. Epidemiologie in Endemieländern                                 lichen Raum assoziiert war, wurde durch die Zunah-
  Abbildung 1 zeigt die geografische Verbreitung des                   me an Schweinezucht sowie die rasche Größenzu-
  JEV. Betroffen sind fast alle Länder Südost-Asiens so-               nahme von Städten in vielen asiatischen Ländern
  wie weite Teile von Indien, Korea, Japan und China.                  ein erhöhtes Risiko in periurbanen oder urbanen
  Mehr als 3 Milliarden Menschen leben in Endemie-                     Gebieten festgestellt.31-34 Abhängig von der geografi-
  oder Epidemiegebieten und haben damit ein perma-                     schen Lage findet die Übertragung in den Tropen
  nentes oder sporadisches Infektionsrisiko.43 In den                  ganzjährig und in den subtropischen und gemäßig-
  letzten Jahrzehnten hat sich die JEV-Aktivität bis nach              ten Klimazonen saisonal statt.51
  Nord-Australien (Torres Strait, Queensland) ausge-
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  Die Jahreszeit mit den höchsten JEV-Inzidenzen ist              Da der Mensch ein Fehl- und ein Blindwirt ist, wird
  von Region zu Region unterschiedlich: In den ge-                die Präsenz des Virus im Tierreservoir durch humane
  mäßigten Klimazonen von Japan und Korea liegt sie               Impfprogramme nicht wesentlich beeinflusst. Das
  zwischen Mai und September, in Thailand, Kambod-                bedeutet auch, dass das JEV-Infektionsrisiko für
  scha und Vietnam zwischen April und Oktober, in                 nicht-immune Personen (inklusive Reisende) durch
  Nepal und Nord-Indien zwischen September und                    das Vorhandensein eines nationalen Impfprogramms
  Dezember.18                                                     in einer endemischen Region nicht beeinflusst wird.

  Die Inzidenz von JEV-Infektionen und JEV-                       Vor Implementierung eines Impfprogramms lag
  Enzephalitiden ist in den einzelnen Endemiegebie-               die altersspezifische Inzidenz von JEV-Erkrankun-
  ten sehr unterschiedlich. Da die Surveillance der               gen in Thailand zwischen 8 – 11/100.000 für Kinder
  Erkrankung in vielen Ländern nicht gut etabliert ist            unter 4 Jahren, 7 – 10/100.000 für Kinder im Alter
  und auch die Labordiagnostik eine Herausforde-                  von 5 – 9 Jahren, 5 – 9/100.000 für Kinder im Alter
  rung darstellt, kann die tatsächliche Krankheitslast            von 10 – 14 Jahren und unter 2/100.000 für Erwach-
  nicht sicher eingeschätzt werden.43 Es ist davon aus-           sene.18 Die Seroprävalenz für die JE steigt mit dem
  zugehen, dass nur etwa 10 % der in den JEV-ende-                Alter und liegt zum Beispiel bei den 13- bis 14-Jähri-
  mischen Ländern auftretenden Erkrankungen der                   gen in Indonesien, Vietnam und den Philippinen
  WHO gemeldet werden.1                                           bei > 70 %.32 Diese Altersverteilung beruht vermut-
                                                                  lich auf immunologischen Aspekten, möglicherweise
  In einer Übersichtsarbeit wurden 12 geeignete Stu-              auch auf einer Kreuzprotektivität durch anti-
  dien ausgewertet, die 7 von 10 Inzidenzgruppen in               DENV Antikörper, die einen Einfluss auf die Schwere
  24 JEV-endemischen Ländern repräsentieren (Stu-                 von JEV-Infektionen haben können.39,40 Zu betonen
  dienzeitraum 1985 – 2008).1 Die geschätzten jährli-             ist, dass es sich bei diesen Inzidenzen um die Erkran-
  chen Inzidenzraten zwischen den einzelnen Ende-                 kungshäufigkeit handelt. Der überwiegende Anteil
  mieländern variieren stark, wobei die Spannbreite               von Infektionen mit dem Virus verläuft jedoch asym-
  von 0,003/100.000 Einwohnern in Japan bis zu                    ptomatisch und es findet nur eine Antikörper-Sero-
  25,6/100.000 in Thailand reicht. Ca. 67.900 Fälle               konversion statt. In einer Studie in Nord-Thailand
  traten dabei im Studienzeitraum im Jahresdurch-                 wurde ein Verhältnis von symptomatischer zu asym-
  schnitt auf (Gesamt-Inzidenz 1,8 pro 100.000/Jahr).             ptomatischer Infektion von 1:300 beobachtet.53
  Ungefähr 33.900 (50 %) dieser Fälle traten in Fest-
  landchina auf und ca. 51.000 (75 %) bei Kindern im
  Alter von 0 – 14 Jahren (Inzidenz: 5,4 pro 100.000).            5.2. Epidemiologische Daten zu Reisenden
  Geschätzte 55.000 Fälle (81 %) traten in Gebieten               Während in den Endemiegebieten ca. 75 % der
  auf, in denen Impfprogramme bereits gut etabliert               JE-Fälle bei Kindern ≤ 14 Jahren festgestellt werden 1
  oder in Entwicklung sind, während ca. 12.900 (19 %)             und daher in der frühen Erwachsenenzeit nahezu
  der Fälle in Gebieten festgestellt wurden, in denen mi-         bei allen eine natürliche Immunität besteht, geht
  nimale oder keine Impfprogramme etabliert waren.1               man davon aus, dass diese fehlende Immunisie-
  Dies verdeutlicht, dass die Durchführung der beste-             rung durch frühere Infektion(en) bei erwachsenen
  henden Impfprogramme noch weiter verbessert wer-                Reisenden zu einem erhöhten Risiko im Vergleich
  den muss, um die Krankheitslast in den am stärksten             zur lokalen Bevölkerung gleichen Alters für eine
  betroffenen Ländern wirkungsvoll zu senken.                     symptomatische Erkrankung beiträgt. Unter immu-
                                                                  nologisch JEV-naiven amerikanischen Soldaten in
  In einer Analyse für 14 Länder mit endemischer JE               Korea entwickelte zum Beispiel einer von 25 infi-
  wurde für die Jahre 2007 – 2021 geschätzt, dass                 zierten Erwachsenen eine symptomatische Erkran-
  durch Impfkampagnen und Routineimpfungen die                    kung.54 Außerdem verläuft unabhängig davon, ob
  Anzahl der Erkrankungen um 193.676 Fälle, 43.446                man im Endemiegebiet dauerhaft oder nur kurzzei-
  Tote, 77.470 Fälle mit bleibenden Schäden, 6.622.932            tig exponiert war, die Erkrankung im Alter schwer-
  disability-adjusted life years (DALYS) sinken würde.52          wiegender. Das Durchschnittsalter der Reisenden
                                                                  liegt bei > 50 Jahren.35,36 Die Angaben zum JEV-
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   Referenz/Literaturangabe JEV-Erkrankungsrisiko                                Bemerkungen
   CDC Yellow Book, 2019      24
                                   6 – 11/10.000/Jahr für Langzeitreisende und Aus- Annahme, dass das Risiko dem Risiko von Kindern in
                                   wanderer; sonst < 1/1 Mio. im Durchschnitt       Endemiegebieten entspricht
   Halstead, Plotkin 2018 55       1/50.000 – 1/200.000 pro Woche                Extrapoliert von jährl. Inzidenzraten der päd. Bev. im
                                                                                 Endemiegebiet während Transmissionszeit: 0,1-2/10.000
   Buhl et al., 2009 35            Minimale Ereignisrate pro Reise: ca. 1/400.000 Hochgerechnet von 14-Jahres-Beobachtungsperiode bei
                                   Reisen auch außerhalb der Regenzeit,           schwedischen Reisenden (die Hälfte der Reisenden hatte einen
                                   unabhängig von Art oder Dauer der Reise        Aufenthalt im Endemiegebiet von < 4 Wochen)
   Hatz et al., 2009 56            1,3/Jahr/7,1 Millionen Reisen                 Hochrechnung aus 40 weltweit gemeldeten Fällen zwischen 1972
                                   (bei 17 Mio. europäischen Reisenden)          und 2008 und Daten von Reisenden aus UK und der Schweiz
   Lehtinen et al., 2008 57        1/257.000/Reisen                              Hochrechnung nach Beobachtungszeitraum von 5 Jahren und
                                   (durchschnittlich 1 – 2 Wochen)               Anzahl finnischer Reisender nach Thailand
   CDC Yellow Book, 1993 58        1/5.000/Woche – 1/200.000/Woche               Extrapoliert von jährl. Inzidenzraten der gesamten Bev. im
                                                                                 Endemiegebiet während Transmissionszeit: 10/10.000

  Tab. 1 | Schätzungen des JEV-Erkrankungsrisikos bei Reisenden

  Erkrankungsrisiko für Reisende schwanken in der                            belle 1 genannten Zahlen wahrscheinlich eine Un-
  Literatur beträchtlich und sind untereinander                              terschätzung dar. Umso wichtiger ist es, alle Fakto-
  schwer vergleichbar aufgrund verschiedener Mess-                           ren einer Impfindikation zu berücksichtigen, um
  verfahren (Extrapolation auf der Basis von                                 im Vorfeld diejenigen Reisenden zu identifizieren,
  Inzidenzraten der lokalen Bevölkerung, Hochrech-                           die von einer Impfung profitieren.
  nung nach Anzahl gemeldeter und sicher diagnos-
  tizierter Fälle bei Reisenden in verschiedenen Zeit-                       Faktoren, die einen Einfluss speziell auf das Infek-
  räumen, Erkrankungsfälle pro 10.000/Woche, Er-                             tionsrisiko von Reisenden haben, sind das Ziel, der
  krankungsfälle pro Reise ohne Zeitangabe oder pro                          Zeitpunkt, die Dauer und die Art der Reise, das in-
  Million Reisende, Berechnung für Reisende im                               dividuelle Risikoverhalten (Aufenthalt in Endemie-
  ländlichen Bereich während der JE-Saison; s. Tab. 1).                      gebieten, Exposition durch Aktivitäten im Freien
  Die Gesamtinzidenz für eine symptomatische JE                              oder mangelnder Mückenschutz) und der Serosta-
  für Menschen, die nicht aus Endemiegebieten stam-                          tus in Bezug auf Flaviviren. Generell kann man da-
  men und nach Asien reisen, wurde 1993 von den                              von ausgehen, dass aufgrund der Kumulation der
  US-amerikanischen Centers for Disease Control and                          Expositionszeit Langzeitreisende ein höheres Risiko
  Prevention (US-CDC) auf < 1 pro 1 Million Reisende                         für eine JEV-Infektion haben als Kurzzeitreisende,
  geschätzt. Allerdings muss einschränkend festge-                           das Risiko in der Regenzeit aufgrund erhöhter Vek-
  stellt werden, dass vermutlich Kurzzeitreisende in                         tordichte größer ist, Infektionen dort gehäuft auftre-
  urbane Gegenden mit niedrigerem Infektionsrisiko                           ten, wo Wirt und Vektor vorkommen (auch in peri-
  zum größten Teil des Nenners beigetragen haben.22                          urbanen oder urbanen Gebieten, wenn sie in der
  Es ist davon auszugehen, dass Auswanderer und                              Nähe von Schweinezucht und Reisfeldern liegen),
  Reisende, die sich eine längere Zeit (> 4 Wochen) in                       wenn kein adäquater Mückenschutz erfolgt.35 Aller-
  Gegenden mit andauernder Transmission aufhal-                              dings konnte in einer Fallserie von 21 reiseassoziier-
  ten, vermutlich ein ähnlich hohes Risiko haben wie                         ten JEV-Fällen in den Jahren 1992 – 2008 gezeigt
  die empfängliche pädiatrische Population im Ende-                          werden, dass mehr als die Hälfte der Fälle Kurzzeit-
  miegebiet (6 – 11 Fälle/100.000 Kinder pro Jahr 24                         reisende betraf (d. h. Aufenthalt im Endemiegebiet
  bzw. 0,1 – 2 Fälle/10.000/Jahr 55).                                        < 1 Monat), mehrere Reisende sich außerhalb der
                                                                             Regenzeit infiziert haben und kein Fall durch einen
  Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das                                 Ausbruch bedingt war.35 Von diesen 21 Fällen hatten
  Erkrankungsrisiko für Reisende insgesamt sehr                              13 Reisende einen schwerwiegenden Verlauf (dauer-
  niedrig ist. Da JEV-Infektionen in den meisten Fäl-                        hafte neurologische Folgeschäden oder Tod). Auch
  len asymptomatisch verlaufen und nicht alle Ärzte                          bei einigen in den letzten Jahren beschriebenen Im-
  in Europa differentialdiagnostisch eine JE-Erkran-                         portfällen nach Deutschland handelte es sich um
  kung in Betracht ziehen, stellen die in Text und Ta-
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  zum Teil kürzere touristische Aufenthalte in Ost-             lichkeitsreaktionen (17/10.000 Geimpften).61 Beide
  bzw. Südostasien.59,60                                        Impfstoffe waren zwar über Importapotheken verfüg-
                                                                bar, aber in Deutschland formal nicht zugelassen.
  Es muss betont werden, dass auch innerhalb eines
  Landes aufgrund unterschiedlicher ökologischer Be-            Im März 2009 wurde durch die europäische Arznei-
  dingungen das Risiko für eine JEV-Infektion nicht in          mittelbehörde EMA der erste JEV-Impfstoff in Europa
  allen Gebieten gleich hoch ist. So ist zum Beispiel           zugelassen: Der Impfstoff wurde von der österreichi-
  der Norden Thailands (und hier typischerweise die             schen Intercell AG entwickelt und erhielt daher in
  Täler) weitaus mehr betroffen als der Süden.18 Aus            Studien den firmeninternen Namen IC51. Da dieser
  der Anzahl an gemeldeten Erkrankungsfällen im je-             Name auch in der Literatur gebräuchlich ist, wird er
  weiligen Land kann nicht auf das Risiko für den ein-          hier an einigen Stellen verwendet. Später wurde der
  zelnen Reisenden geschlossen werden, da u. a. nati-           Impfstoff von Novartis Behring unter dem Han-
  onale Impfprogramme in vielen Ländern zur deutli-             delsnamen IXIARO vertrieben. Initial bestand die
  chen Reduktion der Krankheitslast geführt haben,              Zulassung des Impfstoffs nur für Erwachsene. Seit
  das Virus aber weiterhin im Tierreservoir zirkuliert.         2013 ist er auch für Kinder ab einem Alter von 2 Mo-
                                                                naten zugelassen, wobei für Kinder von 2 Monaten
                                                                bis 3 Jahren besondere Dosierungsvorschriften gel-
  6. Impfziel                                                   ten 62 (s. 7.2.1). Seit 2015 wird der Impfstoff durch die
  Ziel einer Impfung gegen das JEV ist die Verhinde-            Firma GlaxoSmithKline (GSK) vertrieben.
  rung von schweren Erkrankungen und Tod durch eine
  JEV-Infektion bei Reisen in Endemiegebieten oder bei          7.2. IXIARO
  beruflicher Exposition im Labor. Die Verhinderung             7.2.1. Zusammensetzung und Applikation
  von milden Erkrankungen zählt zwar nicht zum Impf-            Eine Dosis des inaktivierten Impfstoffs (0,5 ml) ent-
  ziel, ist aber ein zusätzlicher positiver Effekt.             hält 6 µg des JE-Virusstamms SA14-14-2, der zum
                                                                Genotyp III gehört. Im Gegensatz zu den oben ge-
                                                                nannten JEV-Impfstoffen werden die in IXIARO
  7. Impfstoffe gegen Japanische Enzephalitis                   enthaltenen Viren in Verozellen (Affennierenzellen)
  7.1. Übersicht Impfstoffe gegen Japanische                    hergestellt. Aluminiumhydroxid (0,25 mg) ist in
  Enzephalitis                                                  diesem Impfstoff als Adjuvans enthalten. Sonstige
  Neben der Expositionsprophylaxe in Form eines                 Bestandteile sind: Natriumchlorid, Kaliumdihydro-
  konsequenten Mückenschutzes stehen verschiedene               genphosphat, Dinatriumhydrogenphosphat und
  Impfstoffe zum Schutz vor einer JEV-Infektion zur             Wasser für Injektionszwecke.62
  Verfügung. In Deutschland kamen bis 2009 vor-
  nehmlich zwei Totimpfstoffe in der Reisemedizin               Die Grundimmunisierung von Erwachsenen be-
  zur Anwendung, die beide auf Grundlage des                    steht aus zwei Dosen (jeweils 0,5 ml), die im Ab-
  Nakayama Erregerstamms vom Genotyp III herge-                 stand von vier Wochen intramuskulär in den Ober-
  stellt wurden: Der Impfstoff JE-VAX (produziert               arm injiziert werden. Wenn nur noch wenig Zeit bis
  durch BIKEN, Japan und vertrieben durch Sanofi                zur Abreise zur Verfügung steht, kann bei Erwach-
  Pasteur, Lyon, Frankreich) und der Impfstoff Japa-            senen zwischen 18 und 65 Jahren auch auf ein
  nese Encephalitis Vaccine GCC der südkoreani-                 Schnellimmunisierungsschema ausgewichen wer-
  schen Green Cross Corporation (GCC). Beide enthal-            den. Die beiden genannten Dosen werden hierbei
  ten formalininaktivierte Viren, die in Mäusehirnen            in einem (Mindest-)Abstand von 7 Tagen verab-
  gezüchtet und anschließend aufgereinigt wurden.               reicht. Kinder im Alter von 2 Monaten bis 3 Jahren
  Japan beendete jedoch im Mai 2005 das Routine-                erhalten zwei Dosen von je 0,25 ml in den lateralen
  Impfprogramm mit JE-VAX aufgrund eines im zeit-               Oberschenkel, ab dem dritten Lebensjahr entspricht
  lichen Zusammenhang mit der Impfung aufgetre-                 die Impfstoffmenge pro Dosis der von Erwachsenen
  tenen Falls von akuter disseminierter Enzephalomye-           (0,5 ml). Unabhängig vom angewendeten Schema
  litis und eines gehäuften Risikos von Überempfind-            sollte die Grundimmunisierung ca. 1 Woche vor
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  Erreichen des Endemiegebietes abgeschlossen sein,             tifizierten, die Einschlusskriterien erfüllenden Stu-
  um einen optimalen Schutz zu gewährleisten.                   dien, wurden die relevanten Daten extrahiert und in
                                                                tabellarischer Form zusammengefasst. Das Verzer-
  In Ausnahmefällen kann IXIARO bei Patienten mit               rungsrisiko wurde mit Hilfe der Cochrane Risk of Bias
  Thrombozytopenie oder Blutungsstörungen auch sub-             Tools für randomisierte und nicht-randomisierte
  kutan verabreicht werden, da nach intramuskulärer             Studien bewertet.64,65 Aufgrund der ausgeprägten
  Verabreichung vermehrt Blutungen auftreten können.            Heterogenität der eingeschlossenen Studien wurde
  Eine subkutane Verabreichung kann zu einer verrin-            keine Metaanalyse durchgeführt.
  gerten Immunantwort auf den Impfstoff führen.62
                                                                Die systematische Literatursuche führte zur Identi-
  Eine dritte Dosis (erste Auffrischimpfung) sollte bei         fikation von 32 Studien (s. PRISMA-Chart im An-
  einem fortgesetzten Expositionsrisiko im Jahr nach            hang). In 22 Studien wurde die Immunogenität un-
  der Grundimmunisierung gegeben werden (also                   tersucht, in 27 die Sicherheit und Verträglichkeit
  zwischen Monat 12 und 24 nach Abschluss der Erst-             des Impfstoffs. Insgesamt gab es bei den Studien
  vakzination). Entsprechend wird die Verabreichung             zur Immunogenität nur 2 randomisierte klinische
  der zweiten Auffrischimpfung 10 Jahre nach der ers-           Studien (randomised clinical trials, RCT) mit einem
  ten Auffrischimpfung empfohlen.                               niedrigen Verzerrungsrisiko, während bei 18/27
                                                                Studien zur Sicherheit (RCT und Beobachtungsstu-
  Es bestehen folgende Gegenanzeigen:62 Überemp-                dien) ein hohes Verzerrungsrisiko vorlag. Details
  findlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der               können aus den beigefügten Tabellen 3 und 4 erse-
  sonstigen Bestandteile (z. B. Protaminsulfat). Perso-         hen werden. Studien zur Wirksamkeit oder Effekti-
  nen, die nach der ersten Dosis Überempfindlich-               vität des Impfstoffs in Bezug auf die Verhinderung
  keitsreaktionen gezeigt haben, soll keine zweite Do-          einer JE wurden nicht gefunden.
  sis verabreicht werden. Bei Personen mit akuten,
  fieberhaften Infektionen muss die Verabreichung               7.2.2.1. Immunogenität
  verschoben werden.62                                          Im Folgenden werden die Daten zur Immunogenität
                                                                des Impfstoffes IXIARO aus den in unseren Review
  7.2.2. Immunogenität und Sicherheit                           eingeschlossenen Studien dargestellt. Als qualitativ
  Zur Untersuchung der Immunogenität und Sicher-                hochwertiger Surrogatmarker für den Impfschutz
  heit von IXIARO wurde durch die Geschäftsstelle               wurde die Serokonversion nach IXIARO-Gabe ver-
  der STIKO in enger Abstimmung mit der STIKO                   wendet,66,67 die in der Regel 3 – 8 Wochen nach der
  AG Reiseimpfungen ein systematischer Review                   letzten Impfung der Grundimmunisierung bzw. nach
  durchgeführt.63 Hierzu wurde eine systematische               Applikation der Auffrischimpfung im Plaque-Reduk-
  Literatursuche in den Datenbanken Medline, Embase             tions-Neutralisationstest (PRNT) bestimmt wurde.
  und Pubmed durchgeführt (Datum der letzten                    Die PRNT-Antikörperkonzentration wird berechnet,
  Suche: 31.8.2019).                                            indem Serumverdünnungen mit Standardviruskon-
                                                                zentrationen gemischt und die Neutralisation an-
  Entsprechend der PICO (Population, Intervention,              hand der Plaquereduktion bestimmt wird. Ein anti-
  Comparator, Outcome) – Fragen wurden Studien un-              JEV Antikörperwert ≥ 1:10 gilt als protektiv. Wegen
  abhängig vom Design eingeschlossen, welche Grun-              der allgemein niedrigen Inzidenz symptomatischer
  dimmunisierungen oder Auffrischimpfungen mit                  Erkrankungen sind keine Daten aus IXIARO-
  IXIARO (alle Altersgruppen) alleine oder im Ver-              Wirksamkeitsstudien verfügbar, weshalb man auf die
  gleich zu anderen JEV-Impfstoffen untersuchten                Serokonversionsraten nach Impfung mit IXIARO zu-
  bzw. seine Immunogenität oder Verträglichkeit in              rückgreifen muss, um auf die Verhinderung schwe-
  Co-Administration mit anderen reisemedizinisch                rer klinischer Infektionen zu schließen.
  relevanten Impfstoffen verglichen. Einzig individu-
  elle Falluntersuchungen wurden nicht berücksich-              Tabelle 2 im Anhang gibt eine Übersicht über die
  tigt. Relevante Endpunkte waren die Immunogeni-               eingeschlossenen Studien. Die Studien zur Im-
  tät und die Sicherheit des Impfstoffs. Aus den iden-          munogenität sind nicht einheitlich strukturiert, so
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  dass eine Vergleichbarkeit untereinander erschwert              Schutz ausreicht bzw. dass eine ausreichende Tei-
  ist. In einigen Studien wurde die Immunogenität                 limmunität zu einem abgeschwächten Krankheits-
  von IXIARO im Vergleich zu anderen JEV-Impfstof-                verlauf führt und evtl. auftretende subklinische In-
  fen gemessen,68-73 in anderen Studien wurde die Im-             fektionen nicht diagnostiziert und demzufolge nicht
  munogenität von IXIARO bei Co-Administration                    registriert werden.
  mit anderen Impfstoffen (Hepatitis A, Tollwut,
  Meningokokken) verglichen 74-76 und/oder die Im-                Kontrollierte Studien zur Immunogenität und/oder
  munogenität der Auffrischimpfung zu verschiede-                 Sicherheit der Impfung bei Stillenden oder Schwan-
  nen Zeitpunkten nach der Grundimmunisierung                     geren stehen nicht zur Verfügung. Ebenso ist bisher
  bestimmt.68,69,77-80 Die meisten publizierten Studien           nicht untersucht, ob der Impfstoff in die Mutter-
  zu IXIARO wurden unter Einschluss von Teilneh-                  milch gelangt. Präklinische Studien bei schwange-
  mern aus Nichtendemieländern durchgeführt, 68,69,71-            ren Ratten zeigten keinen schädigenden Einfluss
  78,80-91
           einige wenige auch mit Probanden aus Ende-             auf Reproduktion, Geburtsgewicht, Überleben und
  mieländern.70,79,92-94                                          Entwicklung beim Nachwuchs. Allerdings wurde
                                                                  eine unvollständige Ossifikation des Skeletts in Ab-
  Im Kontext unserer Übersichtsarbeit fiel auf, dass 18           hängigkeit von der Anzahl der verabreichten Dosen
  von 20 Studien (90 %), die die Immunogenität des                beobachtet, deren klinische Relation zum Impfstoff
  Impfstoffs untersuchen, für ihre Analyse aus-                   unklar ist.62
  schließlich den JEV-Stamm SA14-14-2 vom Genotyp
  III (GIII) benutzten, der auch in IXIARO enthalten              7.2.2.1.1. Immunogenität bei Erwachsenen
  ist. Dies wirft die Frage auf, ob die hierdurch getrof-         In insgesamt 7 Studien wurde die Immunogenität von
  fenen Aussagen auf alle Fälle von JEV-Infektionen               IXIARO bei Erwachsenen untersucht.68,72,75,76,85,87,91 In
  übertragbar sind, da inzwischen in den meisten en-              den betreffenden Studien wurden entweder verschie-
  demischen Regionen der JEV-Genotyp I (GI) vor-                  dene Dosierungen bzw. Schemata angewandt oder
  herrschend ist.                                                 IXIARO wurde mit einem anderen Impfstoff gegen
                                                                  die JE verglichen. In zwei Studien wurde die Immuno-
  Nur in zwei Studien wurde eine mögliche Kreuzpro-               genität bei Co-Administration mit Hepatitis A bzw.
  tektion von GIII-Impfstoffen gegen GI-Genotypen                 Tollwut untersucht. In den genannten 7 Studien wur-
  untersucht.69,83 Ergebnisse der zweiten Follow-up-Stu-          de letztendlich nur jeweils ein Studienarm als bestver-
  die zeigten bei einer kleinen Anzahl Probanden                  fügbare Evidenz zur Immunogenität ausgewertet, da
  (n = 15), dass 2 Jahre nach Grundimmunisierung                  kein Placebo-Arm inkludiert war (s. Tab. 2, S. 12).
  mit IXIARO eine ca. 73 %-ige Kreuzprotektion ge-
  gen GI besteht.69 Daraus wurde geschlossen, dass                Die Zulassung des Impfstoffs beruht im Wesentli-
  bei fortgesetztem Expositionsrisiko eine Auffri-                chen auf einer Phase-3-Vergleichsstudie (sog.
  schimpfung nicht später als nach 2 Jahren gegeben               non-inferiority Studie) mit 867 Probanden, von de-
  werden sollte. Auch wenn es in mehreren Studien                 nen 430 den neuen JEV-Impfstoff IXIARO (an den
  bereits Bedenken gab, dass die Immunogenität der                Tagen 0 und 28) und 437 den außerhalb Europas li-
  lebendattenuierten GIII-basierten Impfstoffe ge-                zenzierten Impfstoff JE-VAX erhielten (an den Ta-
  genüber GI-Viren vermindert sein könnte,95-97 ist bei           gen 0, 7 und 28).72 Der primäre Endpunkt der Stu-
  der aktuellen Datenlage davon auszugehen, dass ein              die war die Immunogenität, die durch den Nach-
  GIII-basierter Impfstoff wie IXIARO eine gute kurz-             weis von JEV-spezifischen Antikörpern im PRNT
  zeitige Kreuzprotektivität zwischen den Geno-                   nachgewiesen wurde. Die Serokonversionsrate (SCR)
  typen induziert.98-100 Daten zur Langzeitprotektion             zum Tag 56 lag nach der Applikation von IXIARO bei
  sind noch ausstehend, bislang gibt es nur eine einzige          98 % und bei der Vergleichsvakzine bei 95 % (95 %
  (bereits erwähnte) Studie, die die Kreuzprotektivität           Konfidenzintervall (KI) des Unterschiedes:
  bis 2 Jahre nach Grundimmunisierung untersucht.69               -1,33 – 3,43). Der geometrische Mittelwert (GMT) der
                                                                  Antikörperkonzentrationen für JEV-Antikörper un-
  Es ist vorstellbar, dass eine Kreuzreaktivität zwi-             ter Probanden, die IXIARO verabreicht bekamen,
  schen einzelnen Genotypen für einen vollständigen
Epidemiologisches Bulletin               18 | 2020      30. April 2020                                                                14

  lag im Neutralisationstest signifikant höher als bei                   in Mäusehirn gezüchtetem Impfstoff gegen JEV er-
  Probanden mit JE-VAX (244 vs. 102).72                                  halten hatten und 59 seronaiv waren.91 In der Gruppe
                                                                         der bereits früher gegen JEV geimpften Probanden
  In einer früheren randomisierten, open-label Phase-2-                  zeigte sich sowohl an Tag 28 (nach der ersten Dosis)
  Dosisfindungs-Studie 85 waren bei 68 Probanden mit                     als auch an Tag 56 (nach der zweiten Dosis) eine
  verschiedenen Dosierungen folgende Serokonversi-                       Serokonversion zu 100 %. Im Vergleich dazu wiesen
  onsraten 4 Wochen nach der Gabe von 2 Impfstoff-                       46 % (27/59) der seronaiven Probanden nach der
  dosen IXIARO nachgewiesen worden: 2 Dosen mit                          ersten Dosis eine schützende Antikörperkonzentra-
  jeweils 6 µg im Vergleich zu 2 Dosen mit jeweils 12                    tion auf, nach der zweiten Dosis waren es 93 %
  µg führten nach 56 Tagen bei 95 % bzw. 100 % der                       (53/57). Hier konnte auch gezeigt werden, dass eine
  Probanden zur Serokonversion, nach 365 Tagen wa-                       Auffrischimpfung mit dem Verozell-Impfstoff bei
  ren in beiden Vergleichsgruppen in 100 % JEV-spezi-                    vorheriger Impfung mit einem anderen Impfstoff ge-
  fische neutralisierende Antikörper nachweisbar.85                      gen JEV hohe Serokonversionsraten zur Folge hat.91

  Eine weitere randomisierte, kontrollierte Phase-3-                     In einer finnischen Studie mit 4 Armen wurden in
  Studie hatte untersucht, ob eine Einzeldosis mit                       einem Arm 31 seronaiven Erwachsenen 2 Dosen
  doppelter Antigenmenge (12 µg) einen ähnlichen Ef-                     IXIARO verabreicht. Die Bestimmung der Antikör-
  fekt hat wie das Standard-Regime mit 2 Impfstoff-                      perkonzentration 4 – 8 Wochen nach der zweiten
  dosen von jeweils 6 µg.87 Die hochdosierte Einzelap-                   Dosis ergab für den JEV-Stamm SA14-14-2 eine Sero-
  plikation führte innerhalb von 28 Tagen bei 66 %                       konversion bei 97 % (30/31) und für den Nakaya-
  der Probanden (n = 114) zu einer Serokonversion im                     ma-Stamm bei 95 % (29/31).68
  Vergleich zu 40 % nach der 6 µg-Applikation vor der
  zweiten Dosis (n = 113). Nach der Verabreichung der                    In zwei Studien wurde die Immunogenität von
  zweiten Dosis im Standard-Regime am Tag 28 wie-                        IXIARO bei Co-Administration mit Hepatitis-A-Vak-
  sen 97 % (95 % KI: 94,4 – 100,0) der Probanden am                      zine (Havrix 1440) bzw. mit einer Tollwutvakzine
  Tag 35 nach Beginn der Immunisierung eine Sero-                        (Rabipur) untersucht.75,76 Aus diesen Studien wer-
  konversion auf, während in der Gruppe mit einer                        den hier ausschließlich die Daten derjenigen Arme
  hochdosierten Einzelimpfung diese signifikant                          berichtet, in denen IXIARO alleine verabreicht wurde.
  niedriger bei 59 % (95 % KI: 49,7 – 67,8 %) lag.87                     In der Studie mit Co-Administration mit Hepatitis
                                                                         A 75 lag die Serokonversionsraten für IXIARO alleine
  In einer vom Militär durchgeführten Studie war 103                     bei 98,2 % (57/58), in der Studie mit Co-Administ-
  US-Marine-Soldaten IXIARO verabreicht worden,                          ration mit Tollwutimpfstoff die Rate für
  wobei 44 Soldaten bereits vorherige Impfungen mit                      IXIARO alleine bei 100 % (56/56).76

   Studie                             Probanden § (n)       Serokonversionsrate (%)                             GMT
                                                                            (Bestimmung 28 Tage nach 2. Impfung)
   Tauber et al., 2007 72                   361                     352 (98 %)                          244 (Spanne 5 – 19.783)
   Lyons et al., 2007       85
                                            22                      21 (95 %)                         327 (95 % KI: 253.3 – 422.8)
   Schuller et al., 2009 87                 113                    110 (97,3 %)                      218 (95 % KI: 179.81 – 264.41)
   Woolpert et al., 2012 91                 57                      57 (93 %)                            79 (95 % KI: 54 – 114)
   Erra et al., 2012   68
                                            31                 29 (94 % Nakayama),                          120 Nakayama,
                                                               30 (97 % SA14-14-2)                          499 SA14-14-2*
                                                                     (beide 4 – 8 Wochen nach letzter Impfung gemessen)
   Kaltenböck et al., 2009       75
                                            58                     57 (98,2 %)                        192 (95 % KI: 147.9 – 249.8)
   Jelinek et al., 2015 76                  49                      49 (100 %)                      > 300 (Daten nur in Abbildung)

  Tab. 2 | Immunogenität von IXIARO (2 x 6 µg an d 0, 28) bei Erwachsenen aus Nicht-Endemiegebieten ohne Co-Administration
  anderer Impfstoffe
  §verwendet wurden die ‚per protocol populations‘; GMT = Geometric Mean Titre; KI = Konfidenzintervall; *Weder Spanne noch KI
  angegeben
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  Falls bei einer Basisimmunisierung die zweite Do-             Impfung gegen FSME SCR wie bei Kindern oder
  sis vergessen wurde, konnte in einer Studie gezeigt           jüngeren Erwachsenen erreicht.82 Ohne vorherige
  werden, dass auch bei Gabe der zweiten Dosis 23               positive Impfanamnese gegen FSME ist die SCR der
  Monate nach der ersten Dosis eine fast 100 %-ige              älteren Generation nach JE-Impfung vergleichbar
  SCR erreicht werden kann.77                                   mit derjenigen nach Impfungen gegen Hepatitis A
                                                                (Hep A), Hepatitis B (Hep B) oder Influenza.
  7.2.2.1.2. Immunogenität bei Kindern
  Zur Immunogenität bei Kindern aus einem                       7.2.2.1.4. Immunogenität bei Co-Administration mit
  Nicht-Endemiegebiet wurde in der systematischen               anderen Impfstoffen
  Literatursuche nur eine Studie gefunden:84 In dieser          In drei Studien wurde die gleichzeitige Anwendung
  einarmigen Studie wurde bei Probanden von 2 Mo-               von IC51 mit MenACWY-Konjugatimpfstoff, Toll-
  naten – 18 Jahren die Immunogenität zu den beiden             wutimpfstoff und Impfstoff gegen Hep A oder einer
  Zeitpunkten 2 Wochen und 7 Monate nach Ab-                    Kombination davon untersucht.74-76 In einer Studie
  schluss der Grundimmunisierung mit 2 Dosen                    nach gleichzeitiger Anwendung von Tollwutimpf-
  IXIARO untersucht. Bei Kindern > 2 Monaten bis 3              stoff mit oder ohne quadrivalenten Meningitisimpf-
  Jahren wurden im Abstand von 28 d jeweils 0,25 ml             stoff betrug die SCR für JEV 99 % bei gleichzeitiger
  (3 µg), ab 3 Jahren je 0,5 ml (6 µg) pro Dosis verab-         Tollwut- und 98 % bei gleichzeitiger Tollwut- und
  reicht. Die Daten zur Immunogenität zeigten 2 Wo-             quadrivalenter Meningitis-Impfung.74 Die Studie,
  chen nach Grundimmunisierung bei allen 62 Pro-                die nicht nur die gleichzeitige Verabreichung von
  banden (100 %) eine ausreichende Anzahl protekti-             IC51 und Tollwutimpfstoff untersuchte, sondern
  ver Antikörper (PRNT50 Antikörperkonzentration                auch das klassische mit dem fortgeschrittenen
  ≥ 10); nach 7 Monaten bestand diese noch bei 31/34            Impfschema beider Impfstoffe verglich, ergab, dass
  Probanden (91,2 %).                                           28 Tage nach der zweiten Impfdosis für JEV 99 %
                                                                der Standardschemagruppe und 100 % der Gruppe
  Im Vergleich dazu zeigten Studien aus Verbrei-                mit dem beschleunigten Schema PRNT-Antikörper-
  tungsgebieten, dass bei fast allen Kindern 28 Tage            konzentrationen ≥ 10 erreichten.76 Die Studie mit
  nach Abschluss der Grundimmunisierung mit 2                   Co-Administration von IC51 und Hep-A-Impfstoff
  Dosen eine ausreichende Seroprotektion erreicht               ergab eine SCR von 100 % für die Gruppe mit Imp-
  werden konnte (in 2 Studien SCR > 95 %)70, 94.                fung gegen Hep A und IC51 und 98 % für die Gruppe
                                                                mit IC51 und Placebo.75
  7.2.2.1.3. Immunogenität bei Älteren
  Zur Immunogenität bei Älteren gibt es nur eine                7.2.2.1.5. Einfluss von Antikörpern gegen andere
  Studie in einer Bevölkerungsgruppe eines Nicht-En-            Flaviviren auf die Immunogenität
  demiegebietes von 2016.82 In dieser multizentri-              In 6 Publikationen, die auf 5 Studien basierten, wur-
  schen einarmigen Studie erhielten 200 Probanden               de der Einfluss einer vorherigen Impfung gegen
  im Alter von 64 – 83 Jahren 2 Dosen IXIARO im Ab-             TBEV auf die Immunantwort bei JEV-Impfung un-
  stand von 28 Tagen. Die 42 Tage nach der zweiten              tersucht.69,71,73,80,82,89 Eine multizentrische Phase-4-
  Dosis gemessene Serokonversionsrate (SCR) betrug              Studie 82 fand bei Probanden > 65 Jahren eine Sero-
  65 %, der GMT lag bei 37 (95 % KI: 29,2 – 47,8). In           konversionsrate von 61 % (n = 168) ohne vorherige
  dieser Studie wurde eine Subgruppe von 29 Proban-             TBEV-Impfung und von 90 % (n = 29) bei vorheriger
  den analysiert, die in den 5 Jahren vor der JEV-Imp-          TBEV-Impfung (wie bereits unter 7.2.2.1.3. berichtet).
  fung eine Vakzination gegen TBEV erhalten hatten
  (FSME immun oder Encepur als Impfung gegen                    In einer Phase-3-Studie wurde die SCR bei Proban-
  FSME). Das FSME-Virus gehört wie das JE-Virus                 den mit vorbestehenden, Impfstoff-induzierten An-
  ebenfalls zur Familie der Flaviviridae, und anti-FSME         tikörpern gegen TBEV nach Gabe der ersten und
  Antikörper können potenziell die Immunantwort                 der zweiten Dosis IXIARO getrennt untersucht.73
  eines JEV-Impfstoffes beeinflussen. Die Serokon-              Eingeschlossen wurden 81 Probanden mit und 339
  versionsrate der FSME-vorgeimpften Subgruppe lag              Probanden ohne vorbestehende anti-TBEV Antikör-
  bei 90 %. Somit werden nach vorangegangener                   per im Serum. Nach Verabreichung der ersten Dosis
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