Expertise Neue Oberstufe - Arbeitspapier zum Thema "Neue Oberstufe": Eine internationale Perspektive nächster Schulpraxis - Deutsche Schulakademie

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Expertise Neue Oberstufe - Arbeitspapier zum Thema "Neue Oberstufe": Eine internationale Perspektive nächster Schulpraxis - Deutsche Schulakademie
Expertise
                                   Neue Oberstufe

Arbeitspapier zum Thema „Neue Oberstufe“:
Eine internationale Perspektive nächster Schulpraxis
Anne Sliwka, Alexandra Marx, Marie Lois Roth, Lena Kleber
Expertise Neue Oberstufe - Arbeitspapier zum Thema "Neue Oberstufe": Eine internationale Perspektive nächster Schulpraxis - Deutsche Schulakademie
Inhalt

  1   Internationaler Diskurs zum Themenschwerpunkt
      „Oberstufe weiterentwickeln“ ........................................................... 03

  2   Neue Lernkultur der Oberstufe ......................................................... 04

  3   Flexibilisierung der Oberstufe .......................................................... 13

 4    Übergang von der Oberstufe an die Hochschule ................... 20

  5   Fazit ................................................................................................................ 21

      Skill-Portfolio ............................................................................................. 22

      Weiterführende Links ............................................................................ 26

      Quellenverzeichnis .................................................................................. 27
Expertise Neue Oberstufe - Arbeitspapier zum Thema "Neue Oberstufe": Eine internationale Perspektive nächster Schulpraxis - Deutsche Schulakademie
03

1
               Internationaler Diskurs
               zum Themenschwerpunkt „Oberstufe
               weiterentwickeln“

                                                     anhand dieser Schulpraxis Einblicke und Im-
   Die vorliegende Expertise                         pulse in die Ausgestaltungsmöglichkeiten der
                                                     Oberstufe zu geben.
   knüpft an die Themen und De-
   batten der Innovationslabore                      Die Expertise wird zunächst in das Themen-
   und Think-Tanks an.                               feld „Neue Lernkultur“ einführen, wobei der
                                                     Schwerpunkt begründet auf sogenannten Kom-
                                                     petenzen des 21. Jahrhundert liegt. Hier wird
                                                     geklärt, worum es sich bei diesen Kompetenzen
Die Arbeit der letzten Jahre in den Innovations-     handelt und wie diese theoretisch in die Schul-
laboren und Think-Tanks hat gezeigt, dass sich       praxis integriert werden können. Im Anschluss
in der Debatte um eine „neue Oberstufe“ min-         werden entsprechende Beispiele internationa-
destens zwei zentrale Themenstränge heraus-          ler Schulpraxis aufgezeigt. Darauf folgt der The-
kristallisieren: Zum einen eine „Neue Lernkul-       menschwerpunkt Flexibilisierung. In diesem
tur“ und zum anderen eine „Flexibilisierung“         Rahmen wird dargestellt, dass flexible Struk-
der Oberstufe. Die vorliegende Expertise knüpft      turen benötigt werden, um eine „Neue Lernkul-
mit einer internationalen Perspektive an die in-     tur“ zu ermöglichen. Zudem wird gezeigt, dass
nerdeutschen Themen und Debatten der Inno-           und inwiefern flexible Merkmale als Inklusions-
vationslabore und Think-Tanks bezüglich der          mechanismen fungieren. Dabei liegt zugrunde,
Aufgabe einer „neuen Oberstufe“ an.                  dass die Oberstufenzeit die Klassenstufen 10
                                                     bis 13 einschließt. Selbstverständlich steht die
Spätestens seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts      Schulpraxis innerhalb dieser Schuljahre im Mit-
setzen sich internationale Akteur*innen mit den      telpunkt. Für ein möglichst genaues Bild sollen
benannten Themen auseinander, sodass mitt-           jedoch auch die Rahmenbedingungen, wie die
lerweile ein breit ausgebauter internationaler       Qualifikation für die Oberstufe und Hochschule,
Diskurs vorhanden ist. Dieser verfolgt das Ziel,     einbezogen werden.
die Schulpraxis, aktuellen wissenschaftlichen
Erkenntnissen entsprechend, zukunftsorien-
tiert zu gestalten. Es besteht jedoch eine Dis-
krepanz zwischen zeitgerechter Theorie und
Praxis: Eine flächendeckende (inter-)nationale
Gestaltung der Schulpraxis steht weiterhin aus.
Allerdings gibt es sowohl schulübergreifende
Programme als auch vereinzelte Schulen in weit-
entwickelten Bildungssystemen, die die gegen-
wärtigen Überlegungen der Forschung bereits
verwirklicht haben. Ziel des Papiers ist es daher,
04

2              Neue Lernkultur
               der Oberstufe

In diesem Kapitel steht eine für die Oberstu-       balisierung und in seinen Arbeitsformen stark
fe „Neue Lernkultur“ mit dem Fokus auf 21st         wandeln wird. Die Automatisierung wird ins-
Century Skills im Vordergrund. Im ersten Teil       besondere “lower-skill jobs“ (FYA, 2017a, S. 11)
des Kapitels wird zunächst die Relevanz sol-        betreffen, in denen manuelle wie auch kognitive
cher Skills aufgezeigt, um im nächsten Schritt      Routinearbeiten ausgeführt werden. Bedroht
darstellen zu können, welche Fähigkeiten als        werden allerdings auch Arbeitsplätze, die im
Kompetenzen des 21. Jahrhunderts gelten. Zu-        nicht-routinierten manuellen Bereich zu veror-
dem wird ein Einblick in die Gewichtung von         ten sind (FYA, 2017a). Lediglich Tätigkeiten im
Wissen und Kompetenzen, wie sie in der Ober-        nicht-routinierten kognitiven Arbeitsfeld wer-
stufe gestaltet sein könnte, gegeben. Im zwei-      den der Automatisierung weitestgehend nicht
ten Teil des Kapitels wird diese Theorie durch      ausgesetzt sein (FYA, 2017a).
Schulpraxisbeispiele aus Sekundarschulen im
internationalen Raum komplementiert.                Die zunehmende Globalisierung hat mitunter
                                                    eine vermehrte Diversität und Mehrsprachig-
                                                    keit im Arbeitsumfeld sowie eine verstärkte
21st Century Skills                                 Konkurrenz um Arbeitsplätze zur Folge (FYA,
                                                    2017a). Ermöglicht wird dies einerseits durch
Das 21. Jahrhundert ist als Informationszeitalter   eine Zunahme im Bereich “physical mobility of
zu verstehen, welches sich durch eine schnelle      labour“ (FYA, 2017a, S. 13), also die steigende
Globalisierung (Tan, Koh, Chan, Costes-Onishi,      Bereitschaft, für einen Arbeitsplatz physisch
Hung, 2017), rasante Weiterentwicklungen von        mobil zu sein. Dies äußert sich beispielsweise
Technologien (OECD, 2018) und einen zuneh-          darin, dass Personen einen längeren Anfahrts-
menden globalen Wettstreit (Tan et al., 2017)       weg zur Arbeit haben oder sogar in ein anderes
kennzeichnet. Wie genau sich Gesellschaften         Land auf einen anderen Kontinent ziehen. An-
in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wer-         dererseits besteht die Möglichkeit, als “virtual
den, ist lediglich zu erahnen (OECD, 2018). Es      global worker“ (FYA, 2017a, S. 13) tätig sein zu
ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Zu-      können. Dies bedeutet, dass Arbeitsplätze we-
kunft zunehmend komplexer, unberechenbarer          der an einen Bürostandort noch an eine Zeit-
und mehrdeutiger gestalten wird (OECD, 2018).       zone gebunden sind, wodurch sich Arbeitneh-
Klar ist auch, dass Gesellschaften vor große        mer*innen an ihnen beliebigen Orten aufhalten
Herausforderungen in den Bereichen Umwelt,          können. Diese verstärkte Trennung von Zeit
Wirtschaft und Soziales gestellt werden (OECD,      und Raum ist ein charakteristisches Merkmal
2018). Um diesen Herausforderungen begegnen         des Informationszeitalters (OECD, 2018). Ar-
zu können, braucht es Fähigkeiten, die zusam-       beitsformen werden sich dahingehend entwi-
mengefasst als 21st Century Skills verstanden       ckeln, dass Vollzeitarbeit an vielen Stellen des
werden und im Rahmen eines „21st century skill      Arbeitsmarkts nicht mehr die Regel sein wird
movement“ (Trilling, Fadel, 2009, S. xxxiv) in      und es zu einer Zunahme in der Ausübung von
die Schulpraxis eingeflochten werden sollten.       Teilzeitjobs kommt (FYA, 2017a). Eine Person
                                                    hat somit mehrere Jobs und Arbeitgeber*innen
Mit Blick auf den Arbeitsmarkt prognostiziert       gleichzeitig, was unter anderem auf den stei-
die Foundation for Young Australians (FYA)          genden Wunsch, Entrepreneur*in zu sein und
(2017a), dass sich dieser in den kommenden          das eigene Arbeiten zu individualisieren, zu-
zehn bis 15 Jahren durch Automatisierung, Glo-      rückzuführen ist.
05

     Diese drei Entwicklungen in den Bereichen                          nen entsprechend ausgebildet werden, um in
     Globalisierung, Automatisierung und Arbeits-                       der Gesellschaft nicht nur bestehen, sondern
     formen bringen Chancen und Risiken mit sich                        sich in ihr holistisch (weiter-)entwickeln können
     (Kimura, Tatsuno, 2017). Als Risiken können                        (Tan et al., 2017; Trilling, Fadel 2009).
     erhöhte Arbeitslosigkeit, eine Zunahme sozia-
     ler Ungleichheit und verstärkte finanzielle Un-                    Laut der FYA (2017d) können die zu erlernenden
     sicherheit genannt werden (FYA, 2017a). Zu den                     Fähigkeiten in drei Gruppen eingeteilt werden:
     Chancen sind hingegen die größere Barrierefrei-                    Basiskompetenzen, fachliche Fähigkeiten und
     heit, mehr Flexibilität und zugänglichere Märkte                   unternehmerische Fähigkeiten. Die Basiskom-
     zu zählen (FYA, 2017a). Zudem wird zukünftig                       petenzen umfassen grundlegende Fähigkei-
     insgesamt ein gradliniger Lebensweg mit haupt-                     ten, wie Schreib- und Rechenfertigkeiten (FYA,
     sächlich einer Karriere immer seltener vorkom-                     2017d). Fachliche Fähigkeiten sind spezifisch
     men. Viel eher wird davon ausgegangen, dass                        und daher kontextabhängig innerhalb eines Be-
     Schüler*innen von heute mehrere unterschiedli-                     reichs, wie den Natur- oder Geisteswissenschaf-
     che Karrieren einschlagen und viele verschieden                    ten, anwendbar (FYA, 2017d). Im Gegensatz
     Arbeitgeber*innen haben werden (FYA, 2017c).                       dazu handelt es sich bei unternehmerischen Fä-
     Die FYA (2018) hebt in diesem Zusammenhang                         higkeiten um übertragbare, kontextunabhängi-
     die Relevanz von Fähigkeiten hervor, welche den                    ge Fähigkeiten, die bereichsübergreifend ange-
     Menschen ermöglichen, unterschiedliche Jobs                        wendet werden (FYA, 2017d).
     innerhalb eines Job-Clusters zu finden.
                                                                        21st Century Skills sind Teil der letztgenann-
     Richard Riley, ehemaliger US-Bildungsminister                      ten Gruppe und zeichnen sich durch ihre Kon-
     fasst den Bildungsauftrag wie folgt zusammen:                      textunabhängigkeit aus. Obwohl es nicht “die
     „Education should prepare young people for                         eine“ Auflistung von 21st Century Skills gibt,
     jobs that do not yet exist, using technologies that                zeichnen sich im internationalen Diskurs große
     have not yet been invented, to solve problems                      Überschneidungen in der Feststellung der im
     of which we are not yet aware“ (Trilling, Fadel,                   21. Jahrhundert benötigten Fähigkeiten ab. Am
     2009, S. 3). Es liegt nun an der (Aus-)Bildung der                 verbreitetsten sind die 4K(ompetenzen): Krea-
     Schüler*innen, ob sie mit den Fähigkeiten aus-                     tivität, Kommunikation, kritisches Denken und
     gestattet werden, die sie benötigen, um a) den                     Kollaboration. Bernie Trilling und Charles Fadel
     bevorstehenden komplexen Herausausforde-                           (2009) erweitern die 4K und fassen diese in den
     rungen begegnen zu können und b) die Möglich-                      drei Kategorien „Lernen und Innovieren“, „Di-
     keiten der Zukunft nutzen zu können (OECD,                         gitale Kompetenz“ sowie „Leben und Karriere“
     2018). Es ist demnach das Ziel, dass Schüler*in-                   mit jeweiligen Schwerpunkten zusammen (S. 3):

  Lernen und Innovieren                                 Digitale Kompetenz                      Leben und Arbeit

         Kritisches Denken                                   IKT-Kompetenzen                          Flexibilität

           Probleme lösen                                Informationsfertigkeiten                Anpassungsfähigkeit

           Kommunikation                                    Medienfertigkeiten                         Initiative

          Zusammenarbeit                                                                     Verantwortungsbewusstsein

               Kreativität                                                                           Produktivität

               Innovation                                                                        Führungskompetenz

                                                                                                   Sozialkompetenz

                                                                                              Interkulturelle Kompetenz

Abbildung 1
21st Century Skills (in Anlehnung an Trilling, Fadel, 2009, S. xxxii)
06

Es ist durchaus möglich, diesen Basiskatalog an     Learning Balance“ (38) an Schulen. Im gegen-
Fähigkeiten zu erweitern. So fügt die FYA (2015)    wärtigen Zeitalter reicht Wissen allein nicht aus,
beispielsweise Fähigkeiten der Karrierefüh-         sodass sich die Gewichtung zwischen Wissens-
rung, des Ichbewusstseins und Projektmanage-        und Kompetenzvermittlung neu auszurichten
ments hinzu. Durch die OECD (2018) werden zu-       und der Lebenswelt des Informationszeitalters
dem emotionale Fähigkeiten, wie Empathie, und       anzupassen hat.
die Agency einer Person hervorgehoben.
                                                    Kompetenzen trainiert man nicht durch text-
In Abhängigkeit von den (Bildungs-)Akteur*in-       basiertes theoretisches Arbeiten und dem Aus-
nen können solche Kompetenzen unterschied-          wendiglernen von Fakten. Es braucht einen
lich kontextualisiert und in schulische Leitbil-    Unterricht, der unter anderem durch Projekte
der eingeflochten werden. Dass derartige Kom-       gestaltet ist, in denen Schüler*innen anwen-
petenzen in der Schulpraxis Anwendung finden        dungsorientiert und kollaborativ unter der An-
müssen, steht im internationalen Bildungsdis-       wendung und weiteren Ausbildung von Fähig-
kurs fest, da momentan eine “21st century skills    keiten lebensweltliche Frage- und Problemstel-
gap” (Trilling, Fadel, 2009, S. 7) besteht. Dies    lungen bearbeiten können. Diese Vorstellung
bedeutet, dass Lerner*innen derzeitig nicht         bezüglich der Unterrichtsinhalte soll jedoch
hinreichend mit den Kompetenzen ausgestat-          nicht bedeuten, dass mehr Unterricht stattfin-
tet sind, die sie für eine erfolgreiche Zukunfts-   den muss - im Gegenteil. Hier kann sich an dem
gestaltung benötigen. Eine Möglichkeit diese        Motto Singapurs orientiert werden: „Teach Less,
Lücke zu schließen, sehen Trilling und Fadel        Learn More“ (Tan et al., 2017, S. 6).
(2009) in der Etablierung einer „21st Century

                          Wissen                                     Kompetenzen
                  Lehrer*innenzentriert                            Lerner*innenzentriert

                             Inhalt                                       Prozess

                  Fakten und Prinzipien                       Fragestellungen und Probleme

                            Theorie                                        Praxis

                     Wettbewerb(lich)                               Gemeinschaft(lich)

                Summative Beurteilung                              Formative Beurteilung

Abbildung 2
Lernbalance des 21. Jahrhunderts
(in Anlehnung an Trilling, Fadel, 2009, S. 38)
07

Internationale Beispiele nächster                     ration sind zwei Aspekte hervorzuheben: Zum
Schulpraxis                                           einen ist die Zusammenarbeit der Lehrkräfte
                                                      von zentraler Bedeutung, da diese beispiels-
Nachdem die Grundlagen hinsichtlich 21st Cen-         weise das Curriculum erstellen und die Projekte
tury Skills erläutert wurden, werden im Folgen-       planen und realisieren. Zum anderen spielt die
den schulpraktische Beispiele des internationa-       Beziehung zwischen Lehrenden und Lernen-
len Raums aufgezeigt, die sich der 21st Century       den eine besondere Rolle, da die Schüler*innen
Skill-Bewegung bereits angeschlossen haben            als „design partners“ (HTH, 2020a) verstanden
und dabei sind, die Kompetenzlücke zu schlie-         werden. Generell zeichnet sich die Schulpraxis
ßen. Dafür werden Einblicke in dahingehend            vor allem durch komplexe und mehrwöchige
innovative Konzepte von Schulen aus den USA,          Projektphasen aus. Wie genau dies in der Pra-
Australien und Neuseeland gegeben. Zudem              xis umgesetzt wird, wird anhand der folgenden
werden zwei Programme des International Bac-          zwei Beispielen verdeutlicht.
calaureate, mit denen entsprechende Kompe-
tenzen entwickelt werden können dargestellt.          Das erste Beispiel kommt von der High Tech
                                                      High Chula Vista (HTHCV), welche 2007 für ca.
→ High Tech High, USA                                 600 Schüler*innen der Klassenstufen 9–12 ge-
Die High Tech High (HTH) liegt in San Diego,          gründet wurde. Das Team besteht neben den
Kalifornien, und wurde im Jahre 2000 eröffnet.        Lehrkräften aus zusätzlichen Expert*innen,
Seitdem wuchs die High Tech High zu einem             die als akademische Coaches oder Inklusions-
Netzwerk aus unterschiedlichen Schulformen            spezialist*innen tätig sind. Besondere Betonung
mit derzeitig 16 Schulen in freier Trägerschaft       erfährt hier die Ausprägung von Kompetenzen
(charter schools), die mit über 5000 Lernen-          des Deeper Learning, das Lernen zu lernen so-
den von einer diversen Schüler*innenschaft auf        wie die Ausprägung eines akademischen Mind-
vier unterschiedlichen Campus besucht werden          sets (HTH, 2020b). Ein Projekt des 11. Jahrgangs
(High Tech High, 2020a). Allen Schulformen            fand unter dem Titel „Homeless in America: Ex-
liegen vier Prinzipien zugrunde (HTH, 2020a):         ploring Homelessness and the People Who Seek
Gerechtigkeit, Personalisierung, Authentisches        to End it!” (Guererro, k. A.) statt und wurde in-
Lernen und Kollaboration.                             nerhalb von sieben Wochen und in Kooperation
                                                      mit lokalen außerschulischen Partnerinstitu-
                                                      tionen bearbeitet. Neben der Erarbeitung in der
 At High Tech High, we firmly believe in providing    Schule wurden mitunter Expert*innen eingela-
 every student with a progressive, project-based      den, Obdachlosenheime besucht und Freiwilli-
 learning experience. We believe that curiosity and   genarbeit geleistet. Auf Basis dessen wurde als
 inquiry are the causes and effects of learning and   Prüfungsleistung entweder ein Essay oder ein
 that when students are involved in making and        Newsartikel verfasst, welcher/s die Frage „Kön-
 doing as part of their academic learning it makes    nen wir Obdachlosigkeit beenden?“ diskutierte
 content accessible to them. We aim to provide eve-   (Guererro, k. A.). Außerdem wurde ein Interview
 ry student with a personalized learning experience   mit lokalen (unsichtbaren) Held*innen durchge-
 that values their own interests, experiences, and    führt, die sich in diesem Bereich engagieren. Ne-
 background. (HTH, 2020c)                             ben den Interviews wurden auch Portraits und
                                                      Zeichnungen der Held*innen erstellt. Zum Ende
                                                      des Projekts fand eine Ausstellung zur Präsen-
Schüler*innen lernen, forschen und arbeiten           tation der Ergebnisse in der Schule statt. Für die
(inter-)disziplinär in einer möglichst authenti-      Schüler*innen bildete eine schriftliche Reflekti-
schen Umgebung, sodass an gegebener Stelle            on den Abschluss des Projekts (Guererro, k. A.).
auch außerschulische Kooperationspartner*in-
nen einbezogen werden. Bearbeitete Inhalte sol-       Wie auch die High Tech High Chula Vista können
len für Lernende, Lehrende und die Umwelt von         in der High Tech High North County (HTHNC)
Bedeutung sein. Es ist dabei von zentraler Be-        die Klassenstufen 9-12 belegt werden. Hier gibt
deutung, dass Schüler*innen ihr eigenes Lernen        es mitunter ein anderes Fächerangebot, wie bei-
reflektieren können. Hinsichtlich der Koope-          spielsweise das Fach Multimedia (HTH, 2020e).
08

Neben den Fachlehrer*innen beschäftigt die            2003 für Schüler*innen der Klassenstufen 10-12
HTHNC weitere Expert*innen im Team wie Psy-           gegründet wurde (Australian Science and Mat-
cholog*innen, Ausbildungs- und Erziehungs-            hematics School, 2020a). Momentan besuchen
spezialist*innen, sowie Patholinguist*innen           zirka 350 Schüler*innen, darunter auch inter-
(HTH, 2020e). Der ausführliche Projektunter-          nationale Lernende, die Schule (ASMS, 2020a).
richt bildet auch an dieser Schule einen zentra-      Das Kollegium setzt sich aus Lehr - und Assis-
len Bestandteil der Schulpraxis (HTH, 2020d).         tenzkräften zusammen. Die ASMS sieht ihre
Ein Beispielprojekt trägt den Namen „The (Vir-        Aufgabe insbesondere darin, die Ausbildung im
tual) Sky is the Limit“ (Vernon, k. A.), welches im   MINT-Bereich zu reformieren und innovieren.
12. Jahrgang im Fach Mathematik durchgeführt          Bereits im Jahre 2006 erkannte die OECD die
wird. Die Schüler*innen haben bereits Vorkennt-       ASMS als Vorbild für Schulen des 21. Jahrhun-
nisse im Bereich Programmieren gesammelt,             derts an (ASMS, 2020f). Dementsprechend sol-
die sie nun in dem Mathekurs „Computational           len Schüler*innen bis zu ihrem Schulabschluss
Thinking“ anwenden, um ein Programm ihrer             neben Rechen- und Schreibfähigkeiten folgende
Wahl zu schreiben. Die Softwareentwicklung,           Kompetenzen ausgeprägt haben: Fähigkeiten
welche innerhalb der Projektarbeit von den            der Informations- und Kommunikationstechnik
Schüler*innen durchgeführt wird, durchläuft           (IKT), kritisches und kreatives Denken, persön-
insgesamt sieben Stufen, unter anderem die der        liche und soziale Fähigkeiten sowie ethisches
Marktforschung. Auf Basis dieser Ergebnisse           und interkulturelles Verständnis (ASMS, 2020a).
werden ein Konzept und ein Entwicklungsplan
entworfen, innerhalb dessen mitunter über die         Drei Aspekte unterstreicht die ASMS in ihrem
Hausausforderungen während der anstehenden            Konzept besonders (ASMS, 2020a): Erstens ist
Programmentwicklung nachgedacht wird. Nach            es von zentraler Bedeutung, dass die Schüler*in-
der Entwicklung von Prototypen wird das ferti-        nen eine Verbindung zwischen dem Lerngegen-
ge Produkt veröffentlicht. Schüler*innen lernen       stand und der eigenen Lebenswelt herstellen
durch diesen mehrschrittigen Ablauf den Ent-          können. Dabei spielt die Interdisziplinarität
wicklungszyklus von Software, wie er auch in          eine wichtige Rolle, um Lernenden die Möglich-
der Industrie etabliert ist, kennen. Als ein weite-   keit zu geben über fachliche Grenzen hinaus zu
res Lernziel wird das Trainieren von logischem        denken (ASMS, 2020a). Zweitens ist Agency ein
Denken durch die Analyse von Daten, des Er-           zentrales Thema, was bedeutet, dass die Ler-
kennens von Problemen sowie des Findens von           nenden daran beteiligt werden, Entscheidun-
Lösungen formuliert (Vernon, k. A.).                  gen bezüglich ihres eigenen Lernens zu treffen.
                                                      Somit wird das Lernen mit den Schüler*innen
Insgesamt ermöglicht der Projektunterricht der        ausgehandelt sowie personalisiert und nicht
HTH die angestrebte Lernbalance des 21. Jahr-         ausschließlich für sie gestaltet. Das Lernen der
hunderts. Dies ist mitunter darauf zurückzu-          individuellen Schüler*innen, inklusive deren
führen, dass Schüler*innen gemeinschaftlich           Interessen und Lerntempo, wird erfasst, sodass
an Problemstellungen arbeiten. Unabhängig             dies von ihnen genutzt werden kann, um sich
davon, ob die Projekte inter- oder disziplinär        selbst als Lernende zu verstehen, und sowohl
durchgeführt werden, wird Schüler*innen die           selbstgesteuertes als auch selbstreguliertes
Möglichkeit geboten kontextunabhängige 21st           Lernen zu trainieren und praktizieren (ASMS,
Century Skills zu trainieren. Dabei wird der Pro-     2020a). Außerdem sollen sich dahingehend per-
zess des Kompetenzerwerbs durch die Reflexi-          sönliche, herausfordernde Ziele gesetzt werden,
on des eigenen Lernprozesses unterstützt.             die ein Growth-Mindset unterstützen. Drittens
                                                      ist es bedeutend, Zusammenhänge herstellen zu
→ Australian Science and Mathematics                  können, indem Ideen und Wissen miteinander
School, Australien                                    verknüpft und zu komplexeren Konzepten ent-
Die Australian Science and Mathematics School         wickelt werden können (ASMS, 2020a).
(ASMS) liegt im Bundesstaat South Australia in
der Nähe von Adelaide und wurde auf dem Cam-          Das Lernangebot ist den Zielen entsprechend
pus der Flinders Universität erbaut. Es handelt       gestaltet. Als besonders innovativ gilt dabei
sich um eine staatliche Sekundarschule, die           das Kursangebot der Central Studies der Jahr-
09
Abbildung 3
„Central Studies“ der Australian Science and Mathematics School
(ASMS, 2020a, S. 6)

gänge 10 und 11 (ASMS, 2020a). Dies sind in vier                  se, entwickeln die Lernenden ein persönliches
Gruppen eingeteilte interdisziplinär aufgebau-                    Lernprogramm, das sie dabei unterstützen soll,
te Module, die unter langfristiger Zusammen-                      die für ihre Karriere benötigten Fähigkeiten so-
arbeit von Lehrkräften entwickelt und von den                     wie das dafür relevante Wissen zu erlangen und
Schüler*innen entsprechend ihrer individuellen                    anzutrainieren. In der letzten Phase, „Develop“,
Schwerpunkte und Ziele bearbeitet werden. Da-                     sollen die Schüler*innen im Rahmen ihrer zuvor
bei werden im Schulhalbjahr drei dieser Module                    gewählten Karrieren eine Firma, einen Service
belegt (ASMS, 2020a; 2020d).                                      oder ein Produkt entwickeln, welche/r/s für die
                                                                  Zukunft von Bedeutung ist. Innerhalb dieses
Als Beispiel soll ein Einblick in ein Projekt des                 Kurses erlangen Schüler*innen damit Wissen
Bausteins „Dream, Design & Develop“ (ASMS,                        und fachübergreifende Kompetenzen in den
2020b) gegeben werden.                                            Disziplinen Technologie, Englisch, Naturwis-
                                                                  senschaften und Geschichte.

 The Learning Intentions are designed to allow stu-               Zusammenfassend kann auch im Falle der ASMS
 dents to be successful in a wide range of pathways               festgestellt werden, dass sie dem Prinzip der von
 beyond school and successful as 21st century                     Trilling und Fadel (2009) angestrebten Lernba-
 citizens. Students will discover that their passions             lance folgt. Wissen wird mit Kompetenz kom-
 align with a variety of future career options.                   plementiert, indem Schüler*innen beispielswei-
  (ASMS, 2020b)                                                   se kooperativ und problemorientiert arbeiten.
                                                                  Eine Gelingensbedingung dafür ist unter ande-
                                                                  rem das interdisziplinäre Kursangebot, welches
Den Ausgangspunkt dieses Projekts bilden die                      durch die umfassende Kooperation unter Lehr-
Umstände, Entwicklungen, Möglichkeiten und                        kräften ermöglicht wird. Zudem ist die Sicht auf
Herausforderungen des Informationszeitalters,                     Schüler*innen ausschlaggebend, da ihnen auf
welche in diesem Kontext an mögliche zukünf-                      dieser Basis kompetenzfördernd Verantwor-
tige Karrieren der Schüler*innen geknüpft sind.                   tung für ihr eigenes Lernen zugeschrieben wird.
Dem Kursnamen entsprechend, sind die Inhalte                      Die Schule ist zukunftsorientiert ausgerichtet
in einem Dreischritt angeordnet. In der ersten                    und formuliert klar, dass Schüler*innen sich bis
Phase des Projekts, „Dream“, stellen sich die                     zum Abschluss 21st Century Skills angeeignet
Schüler*innen eigene mögliche Karrieren der                       haben sollen.
Zukunft vor. In der folgenden „Design“-Pha-
10

→ Rolleston College, Neuseeland                      der Kurs „Global Voices“ (Rolleston, 2019a, S. 9)
Das Rolleston College befindet sich im gleichna-     angeboten, welcher sich aus Inhalten der Fächer
migen neuseeländischen Ort Rolleston, welcher        Englisch und Sozialwissenschaften zusammen-
in der Nähe von Christchurch liegt. Die Schule       setzt. In diesem Kurs befassen sich die Ler-
befindet sich in einer „private-public-partner-      ner*innen mit Problemen sozialer Ungleichheit,
ship“ (Rolleston, 2020a), wodurch der Bau eines      unterschiedlichen Perspektiven und Werten
fortschrittlichen Schulgebäudes ermöglicht           sowie dem Treffen von politischen Entscheidun-
wurde, was zu dem Selbstverständnis einer mo-        gen auf lokaler, regionaler und globaler Ebene
dernen und zukunftsorientierten Schule bei-          (Rolleston, 2019a). Dabei sollen ausschlagge-
trägt (Rolleston, 2020c). Dies spiegelt sich im      bende und relevante Strukturen, Faktoren und
Leitbild der Schule, dem Rolleston Spirit, sowie     Prozesse kennengelernt werden. Die Motivation
dem Curriculum wider (Rolleston, 2018). So wird      der Lehrkräfte für die Kursgestaltung ist dabei
beispielsweise angestrebt, dass Schüler*innen        wie folgt begründet: „[W]hen youth are given a
umweltbewusst, kreativ, neugierig und kommu-         chance to participate in global solutions their
nikativ sind (Rolleston, 2020e). Zudem sind 21st     potential to make a difference is limitless” (Rol-
Century Skills ein wesentlicher Bestandteil des      leston, 2019a, S. 9). In diesem Rahmen werden
Strategieplans der Schule (Rolleston, 2020c).        unter anderem Kompetenzen zur Analyse und
                                                     Auswertung von Informationen, zum Lösen von
Das Rolleston College bietet drei unterschiedli-     Problemen, sowie zur Kommunikationsfähig-
che Lern-Vehikel an, welche sich entsprechend        keit und Kreativität angestrebt. Der Kurs „Nah-
der Lernziele und Inhalte unterscheiden: „Ako“-,     rungsmittel Produktentwicklung“ (Rolleston,
„Connected“- und „Selected-Learning“ (Rol-           2019b, S. 11), verortet im Bereich Technologie,
leston, 2020b). Während des „Ako-Learning“           ist ein Angebot für Schüler*innen des 12. Jahr-
(Rolleston, 2020b) arbeiten die Schüler*innen        gangs. In diesem Kurs entwickeln die Lernen-
zusammen mit ihrem Lerncoach. Dabei wird der         den auf Basis von Angaben aus selbstgeführten
Lernprozess reflektiert sowie ein allgemeines        Interviews mit ihren Mitschüler*innen, die als
persönliches Lernprogramm als auch eins für          „Geschäftsteilhabende“ auftreten, drei konzep-
die individuelle Lese- und Schreibkompetenz,         tionelle Designs. Anschließend wird auf dieser
erarbeitet. Innerhalb des „Connected Learning“       Grundlage ein Prototyp erstellt. Somit bietet
(Rolleston, 2020b) findet Lernen multidiszipli-      der Kurs neben theoretischen auch praktische
när statt und das Verhältnis von Wissens- und        Elemente, die unter anderem den Einsatz in der
Kompetenzvermittlung ist ausgewogen. Dabei           Küche verlangen. Im Laufe des Kurses sollen
besteht die Möglichkeit in Einzel- oder Grup-        die Schüler*innen somit Neugier entwickeln,
penarbeit zu arbeiten, ein kollaboratives Mitei-     Initiative ergreifen und Fähigkeiten in den Be-
nander wird jedoch angestrebt. Innerhalb des         reichen Probleme lösen, kritisches Denken und
„Selected Learning“ (Rolleston, 2020b) haben         unternehmerische Fähigkeiten trainieren (Rol-
die Lernenden die Möglichkeit von einem va-          leston, 2019b).
riierenden Projektangebot Kurse der Bereiche
Technologie, Geisteswissenschaften, Sprachen         Alles in allem findet auch hier eine Gestaltung
oder Enrichment-Optionen zu wählen. In die-          der Oberstufe im Sinne des 21. Jahrhunderts
sem Rahmen wird auch der Sportunterricht in          statt. Das Kursprogramm sowie die unter-
Kombination mit dem generellen Wohlbefinden          schiedlichen „Lern-Vehikel“ ermöglichen ein
der Schüler*innen verortet (Rolleston, 2020b).       kompetenzorientiertes Lernen, wobei diese
                                                     Kompetenzen aus allen von der FYA (2017d)
Ab Klasse 11 rücken die Lern-Vehikel immer           benannten Fähigkeitsrubriken inklusive fach-
mehr in den Hintergrund, sodass sich der Stun-       übergreifender 21st Century Skills bestehen
denplan der Klassenstufen 12 und 13 verstärkt        und in den Schulalltag eingeflochten werden.
aus Wahl- und Pflichtkursen zusammensetzt            Das Lernangebot bietet Raum für Projekte sowie
(Rolleston, 2020d). Wie 21st Century Skills in die   (inter-)disziplinäres Arbeiten. Schüler*innen
Unterrichtspraxis eingeflochten werden, wird         haben zudem die Möglichkeit ihr Lernen zu per-
anhand von zwei Beispielen aus dem 11. und 12.       sonalisieren, da ihnen durch das Kursangebot
Jahrgang veranschaulicht. Im 11. Jahrgang wird       „Voice and Choice“ eingeräumt wird.
11

→ International Baccalaureate                        sich aus drei Bestandteilen zusammen: Krea-
Das International Baccalaureate (IB) ist ein An-     tivität, sportliche Aktivität und Service. Der
gebot der nicht-gewinnorientierten Internatio-       Aspekt der Kreativität bezieht sich sowohl auf
nal Baccalaureate Organisation (IBO). Weltweit       das künstlerische Ausleben der Schüler*innen
wird das IB an über 5000 Schulen angeboten,          als auch auf Lerngelegenheiten, die kreatives
wobei es sich bei mehr als der Hälfte um staat-      Denken verlangen (IB, 2020f). Der Bestandteil
liche Schulen handelt (International Baccalau-       der sportlichen Aktivität umfasst die körperli-
reate, 2020r). Ziel der IB-Programme ist „to do      che Betätigung, die das Gegenstück zum schuli-
more than other curricula by developing inqui-       schen Arbeiten darstellen soll, wodurch Lernen-
ry, knowledgeable and caring young people who        de für einen gesunden Lebensstil sensibilisiert
are motivated to succeed” (IB, 2020r), was unter     werden. Service bezieht sich auf das Schaffen
anderem die Ausprägung von 21st Century Skills       von Lerngelegenheiten durch Engagement, bei-
beinhalten soll. Für Schüler*innen der Oberstu-      spielsweise in der Region oder Kommune (IB,
fe bietet die IBO zwei Programme an: zum einen       2020f). Diese drei Bestandteile sollen mithilfe
das „Diploma programme“ (DP) und zum ande-           unterschiedlicher selbstgewählter Aktivitäten
ren das „Career-related programme“ (CP).             realisiert werden (IB, 2020e). Innerhalb der Ak-
                                                     tivitäten handeln die Lernenden sowohl in Ein-
Ziel des Diplomprogramms (DP) ist „to provide        zelarbeit als auch im Team, um sich in beiden Be-
students with a balanced education, facilitate       reichen weiterentwickeln zu können (IB, 2020f).
geographic and cultural mobility and to promote      In einem selbstgestalteten abschließenden Pro-
international understanding” (IB 2020m). Zwei        jekt sind die Lernenden gefragt, die CAS-Inhal-
der DP-Programmbestandteile sind „Theory of          te zu demonstrieren (IB, 2020f). Dabei sollen
Knowledge“ (TOK) und „Creativity, activity, ser-     sie Initiative, Ausdauer, Kooperationsfähigkeit
vice“ (CAS) (IB, 2020h). TOK zielt darauf ab, dass   sowie die Fähigkeiten Probleme zu lösen und
Schüler*innen den Ursprung von Informationen         Entscheidungen zu treffen demonstrieren. Das
und eigenem Wissen hinterfragen und reflektie-       CAS-Projekt wird nicht formal benotet, jedoch
ren können (IB, 2020p). Es soll dafür sensibili-     von den Schüler*innen hinsichtlich der Ergeb-
siert werden, dass und wie Wissen interpretiert      nisse und des Lernerfolgs reflektiert (IB, 2020e).
werden kann – dabei ist beispielsweise festzustel-
len, inwieweit man bezüglich gewisser Themen         Im Bereich Kreativität haben zum Beispiel New
befangen oder voreingenommen ist. Schüler*in-        Yorker Schüler*innen ein Theaterstück entwi-
nen diskutieren Fragen wie „Was gilt als Beweis      ckelt und dieses genutzt, um auf Diskriminie-
für X?“ (IB, 2020q) in der Gruppe, wodurch ein       rungsmechanismen innerhalb des US-amerika-
Bewusstsein für die Auseinandersetzung und           nischen Rechtssystems aufmerksam zu machen.
ein Hinterfragen der individuellen Einstellung       Dafür kooperierten die Lehrkräfte für Politik
und Voreingenommenheit entwickelt werden             und Darstellendes Spiel (IB, 2016) und die Ler-
soll. Des Weiteren wird ein Zugang zu interkul-      nenden bedienten sich unterschiedlicher Res-
turellen Themen angestrebt (IB, 2020q). Ins-         sourcen und Arbeitstechniken:
gesamt wird für diesen Programmbestandteil
als Lernziel formuliert, dass sich Lernende ihre
Rolle als Denker*innen bewusst machen und be-             They [the students] adapted transcribed inter-
reit sind, sich mit der Komplexität von Wissen            views and created the play using verbatim sto-
auseinanderzusetzen. Dies geschieht, indem sie            ries, video recordings, and a selection of new-
beispielsweise Stellung zu Aussagen wie „Es gibt          spaper and magazine articles. Some members
keine neutralen Positionen.“ (IB, 2020i) bezie-           of the ensemble met with people who had been
hen können. Zudem sollen sie die Notwendigkeit            previously imprisoned and activists involved in
erkennen, sich in einer immer komplexer und               the effort to stem the issue. (IB, 2016)
unklarer werdenden Welt verantwortungsbe-
wusst zu verhalten (IB, 2020q).
                                                     Ein anderes CAS-Projekt fand zwischen zwei IB
CAS begleitet die Schüler*innen über ihre ge-        Schulen in den USA statt (IB, 2017). Schüler*in-
samten DP-Studien hinweg (IB, 2020f) und setzt       nen aus Goshen, Indiana entwickelten und ge-
12

stalteten Recyclingcontainer für eine von Was-          tuieren die CP-Kernstudien: persönliche und
sermangel betroffene Schule in Michigan und             professionelle Fähigkeiten, Lernen durch Enga-
hatten die Möglichkeit, diese persönlich zu             gement, ein Reflexionsprojekt und Sprachent-
übergeben. Ein Schüler beschreibt seine Erfah-          wicklung. Insgesamt sollen in diesen Bereichen
rung dabei wie folgt:                                   persönliche und professionelle Kompetenzen,
                                                        das Recherchieren von Inhalten, schriftliche
                                                        sowie mündliche Kommunikationsfähigkeiten
 Interacting with and building personal relationships   und Kreativität trainiert, als auch intellektuelle
 with the students helped to humanize what had          Aspekte kennengelernt werden. Dies soll durch
 previously existed to me as a seemingly far-removed    das Finden, Analysieren, kritische Diskutieren
 news headline[.] This realization shifted my outlook   und Beurteilen von (moralischen) Problemen
 from ‘How can I help?’ to ‘How could I possibly not    ermöglicht werden (IB, 2020g).
 help?‘. (IB, 2017)
                                                        Alles in allem bieten die IB-Programme Schü-
                                                        ler*innen der Oberstufe eine Plattform zum
                                                        Trainieren von 21st Century Skills. Falls eine
Das Career-related Programme wurde 2006                 Schule in der Oberstufe den Fokus allein auf die
ins Leben gerufen und wird an 214 Schulen               Wissensvermittlung richtet, und eine IB-Part-
in 23 Ländern angeboten (IB, 2020l). Ziel des           nerschule ist, können Schüler*innen diese An-
Programmes ist, Schüler*innen auf ihre beruf-           gebote nutzen, um eine Learning Balance in ih-
liche Zukunft und die dafür benötigte Ausbil-           rer schulischen Ausbildung zu erreichen. Dabei
dung vorzubereiten und sie darüber hinaus in            ist zu beachten, dass es sich hierbei zwar um ein
ihrem Prozess zur Mündigkeit zu unterstützen            freiwilliges aber kein kostenfreies Angebot han-
(IB, 2020d). Dafür bietet das Programm den              delt. Durch den hohen Anteil an projektorien-
Rahmen „to learn about theories and concepts            tiertem Lernen ergibt sich zudem ein umfassen-
through application and practice while develo-          des Arbeitspensum für Schüler*innen.
ping broad-based skills in authentic and mea-
ningful contexts“ (IB, 2020d). Dabei handelt es
sich unter anderem um 21st Century Skills wie
kritisches Denken, Verantwortungsbewusst-
sein, Zeitmanagement sowie Sozial- und Kom-
munikationsfertigkeiten (IB, 2020g). Dies soll
durch ein dreigliedriges Curriculum (IB, 2020g),
bestehend aus Kursen der angebotenen Fach-
bereiche des Diplomprogramms (IB, 2020h), so-
genannten CP-Kernstudien und karrierebezo-
genen Studien, erreicht werden (IB, 2020h). Vier
miteinander verknüpfte Komponenten konsti-
13

3              Flexibilisierung
               der Oberstufe

Wie in dem vorherigen Kapitel etabliert wur-        that reflect 21st century learning“ (Kariippanon,
de, ist es von zentraler Bedeutung, dass Ler-       Cliff, Parrish, 2020, S. 2). Um eine Schule oder
ner*innen mit den im 21. Jahrhundert benötig-       ein Klassenzimmer des 21. Jahrhunderts zu de-
ten Fähigkeiten ausgestattet werden. Beispie-       signen, müssen die als statisch zu verstehen-
le internationaler Schulpraxis haben gezeigt,       den räumlichen, zeitlichen, inhaltlichen sowie
wie die Einflechtung von 21st Century Skills        gruppierenden Strukturen, die die momentane
in die Schulrealität gelingen kann. In diesem       Schulpraxis charakterisieren, aufgebrochen
Zusammenhang und im Rahmen einer inklusi-           werden (Jacobs, Alcock, 2017).
ven Schulbildung ist eine Flexibilisierung der
Oberstufe notwendig: „We need new learning          Die Bedeutung und das Potential der räumlichen
systems […] to match the needs of the times of      Flexibilisierung ist noch nicht allzu lang be-
today’s learners” (Jacobs, Alcock, 2017, S. 96).    kannt (Kariippanon et al., 2020), doch „[s]chools
Dazu wird in diesem Kapitel ein beispielhafter      across the globe are adopting contempora-
Einblick in mögliche Flexibilisierungsmecha-        ry pedagogical approaches and transforming
nismen gegeben, bevor im zweiten Teil inter-        their physical learning spaces to better meet
nationale Beispiele der Schulpraxis vorge-          the needs of 21st century students” (Kariippa-
stellt werden.                                      non et al., 2020, S. 1). Bei flexiblen Lernräumen
                                                    wird beispielsweise von geschlossenen, durch
                                                    vier Wände getrennte Klassenzimmer Abstand
Flexibilisierungsmöglichkeiten                      genommen. Viel eher liegt der Fokus auf gro-
                                                    ßen, offenen Lernräumen, welche unterschied-
21st Century Skills können nicht oder nur be-       liche Möglichkeiten hinsichtlich variierender
dingt erfolgreich innerhalb traditioneller Schul-   Sitzordnungen und Arbeitsformen zulassen.
strukturen, welche den Bedürfnissen des 19.         Sie kennzeichnen sich durch unterschiedliche
Jahrhunderts entsprechen, vermittelt werden         Sektionen mit korrespondierender Ausstat-
(Jacobs, Alcock, 2017). Im Rahmen solcher           tung hinsichtlich der Möbel und Medien. Inner-
Strukturen kennzeichnet sich ein konventionel-      halb dieser Räume können sich Schüler*innen
les Klassenzimmer beispielsweise durch eine         frei bewegen. Neben Möglichkeiten zur Arbeit
Einteilung in die „teaching zone“ der Lehrkraft     im Plenum und der Einzelarbeit kann vor allem
und den Bereich für die Schüler*innen, die meist    eine Partnerarbeit, die nicht lediglich mit dem/
durch eine Sitzordnung vorgegeben, an einem         der Sitznachbar*in oder Person hinter oder vor
für sie festgelegten Sitzplatz, mit dem Blick zur   einem stattfindet, umgesetzt werden. Auf die-
Tafel sitzen. Die Schultage ähneln sich in Auf-     se Weise werden (komplexe) Gruppenarbei-
bau und Ablauf: Der Schultag beginnt meist zwi-     ten hürdenarm ermöglicht (Kariippanon et al.,
schen 7 Uhr und 8 Uhr, endet zwischen 14 Uhr        2020). All dies kann reibungslos ohne ein Ver-
und 16 Uhr und ist durch 45- oder 90-minütige       rücken von Tischen und Stühlen sowie ohne zu-
Zeitblöcke durchstrukturiert. Dabei ergibt sich     sätzlichen Zeitaufwand innerhalb einer flexib-
folgendes Problem: „Learning becomes mono-          len Lernumgebung schnell organisiert werden.
tonous because of the sheer monotony of the         Je nach Gestaltung des Lernraums, werden den
schedule. We often ask why our students are bo-     Schüler*innen zusätzlich Rückzugsorte zu ei-
red: in many ways their boredom almost seems        nem konzentrierten und kooperativen Arbeiten
planned“ (Jacobs, Alcock, 2017, S.105). Das Ziel    in Ruhe geboten. Interessanterweise begegnen
sollte jedoch sein „[to] engage students in ways    Oberstufenschüler*innen solchen Lernräumen
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verstärkt mit Wertschätzung, sodass solche zeit-    cobs und Marie Alcock (2017) angesprochenen
gemäßen Räumlichkeiten weniger von Vanda-           Monotonie entgegen, sodass die Schüler*innen
lismus betroffen sind (Kariippanon et al., 2020).   über den Tag hinweg möglichst aktiviert blei-
Auch geben flexible Lernräume Schüler*innen         ben. Zudem beansprucht die Vermittlung sowie
das Gefühl, dass Bildung wichtig ist und wecken     der Erwerb von Kompetenzen Zeit. Möchte man
ihr Interesse (Fisher, 2005b). Im Grunde findet     beispielsweise Kompetenzen mittels projekt-
eine Dezentralisierung des Unterrichts statt,       basierten Unterrichts trainieren, kann es sein,
deren Möglichkeiten im Einklang mit pädago-         dass dies innerhalb der beiden Optionen von 45
gischen Vorhaben stehen (Fisher, 2005b): Die        oder 90 Minuten lediglich oberflächlich ermög-
Raumgestaltung ist für unterschiedliche Aktivi-     licht wird. Weitere denkbare Zeitfenster von
täten von unterschiedlichen Aufgabenformaten,       beispielsweise 60, 100 oder 120 Minuten sollten,
die ein bestimmtes Verhalten von Schüler*innen      je nach angestrebtem Lernziel, möglich sein. Da-
verlangen, ausgelegt. Dadurch verschiebt sich       mit einhergehend müssen nicht alle Kurse die-
gleichzeitig der Fokus von der Lehrkraft hin zu     selbe zeitliche Länge haben. Durch die Dynamik
den Schüler*innen, sodass der Unterricht nicht      von Lernsituationen ist auch zu hinterfragen,
mehr vorrangig lehrer*innenzentriert stattfin-      ob alle Kurse für ein Schulhalbjahr oder gar ein
den kann, was wiederum zur Folge hat, dass die      gesamtes Schuljahr belegt werden sollten. Hier
Lerner*innen im Unterrichtsgeschehen stärker        können Kursangebote, die wöchentlich, monat-
aktiviert werden (Kariippanon et al., 2020; Ja-     lich oder alle drei Monaten wechseln, eine päda-
cobs, Alcock, 2017).                                gogisch sinnvolle Alternative darstellen. Inhalte
                                                    können somit, je nach Lerngruppe und Lernziel,
Zeitliche Flexibilisierung kann sich erstens auf    in höherer oder niedrigerer Frequenz wechseln
die frühen Zeiten des Schulbeginns, die gegen       und unterschiedlich ausführlich und differen-
den biologischen Rhythmus von Teenagern             zierend behandelt werden sowie in ihrer Ge-
arbeiten, beziehen. Im Rahmen eines holisti-        wichtung variieren. Die Zeit von Lehrkräften
schen Schüler*innenbildes sollten die Zeiten        soll an dieser Stelle nicht vernachlässigt werden:
des Schulbeginns und -endes kritisch reflek-        „Time for teachers to collaborate and plan rich
tiert werden. Zweitens kann sich dies auf den       learning activities and projects will also be an
Stundenplan beziehen. Innerhalb eines zeit-         essential part of a 21st century school calendar.“
gemäßen Stundenplans sollten die immer glei-        (Trilling, Fadel, 2009, S. 141). Als dritte Möglich-
chen und sich wiederholenden Zeitstrukturen         keit kann man eine Flexibilisierung strukturel-
aufgebrochen werden, sodass die Funktion von        ler zeitlicher Abläufe als Inklusionsmechanis-
Unterricht nicht mehr der Form folgen muss (Ja-     mus verstehen. Die kann den Übergang und die
cobs, Alcock, 2017). Dies wirkt der von Heidi Ja-   Dauer der Oberstufe betreffen.

Abbildung 4
Gestaltungsmöglichkeiten
eines flexiblen Lernraums
(Fisher, 2005b, S. 165)
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Hinsichtlich der Flexibilisierung von Gruppen            Lehr-/Lernformaten (Kariippanon et al., 2020).
kann festgestellt werden, dass traditionelle             Dabei spielt die Einstellung und das Erkennen
Gruppierungen, seien es Schüler- oder Leh-               der Sinnhaftigkeit dahinter (Kariippanon et al.,
rer*innen, weitestgehend aufgelöst werden. Je            2020) sowie die Kompetenz von Lehrkräften,
nach Kurs werden Schüler*innen (langfristig)             die damit verbundenen Chancen zu meistern,
einer Lerngruppe zugeteilt. In einem flexibili-          eine zentrale Rolle. Eine weitere Gelingensbe-
sierten Kontext bewegen sich Schüler*innen in-           dingung ist die gemeinsame Etablierung von
nerhalb eines oder mehrerer Jahrgänge frei. Zu           Flexibilisierungsmechanismen der genannten
gegebenem pädagogischen Anlass erhalten sie              Rubriken hinsichtlich Raum, Zeit, Inhalt und
die Verantwortung und Möglichkeit sich flexibel          Gruppierung, da diese wie Zahnräder ineinan-
mit Mitschüler*innen zusammenzufinden, um                dergreifen.
auf Basis ihrer gemeinsamen Stärken und aus-
zugleichenden Schwächen das Lernziel koope-              Generell können die genannten Flexibilisie-
rativ zu erreichen. Auch weitere innerschulische         rungsmechanismen durch den virtuellen Raum,
Akteur*innen, wie Lehrkräfte oder pädagogi-              welcher eine komplett flexible Variante dar-
sches Personal, können nach anderen als den              stellt, komplementiert werden.
momentanen Parametern gruppiert werden. So
sollten beispielsweise Lehrende nicht darauf
beschränkt sein sich lediglich im Rahmen ihrer           Internationale Beispiele nächster
Fächer zu bewegen:                                       Schulpraxis
                                                         Wie im vorherigen Kapitel aufgezeigt, ist theore-
 Rather than strict identification with subjects, tea-   tisch eine Vielzahl an Flexibilisierungsmaßnah-
 chers may be grouped by interest, and even more         men möglich. Im Folgenden wird dargestellt,
 powerfully, as mentors and coaches supporting           wie diese von Schulen eingesetzt werden, um
 student queries. If curriculum is designed to beco-     zukunftsorientiertes Lernen und die Vermitt-
 me more interdisciplinary and issue-based, then the     lung von 21st Century Skills zu unterstützen. Da
 grip of departmentalism is loosened. Teachers can       ein flexibles Lernumfeld einen idealen Rahmen
 be affiliated with one another by shared work on        zur Fähigkeitsvermittlung darstellt, ist es nicht
 connected themes, issues, topics, and problems,         verwunderlich, dass einige Konzepte von be-
 as well as by a commitment to a subject-area team.      reits bekannten Schulen auch in diesem Kapitel
 (Jacobs, Alcock, 2017, S. 111)                          dargestellt werden.

                                                         → Räumliche Flexibilisierung
Für die Entwicklung und Implementierung sol-             Das Schulgebäude der Australian Science and
cher Strukturen ist es wichtig zu verstehen, dass        Mathematics School wurde explizit für das
es nicht „den einen“ Blueprint gibt, der jeder           Lernen im 21. Jahrhundert gestaltet, sodass
Lerngruppe und jeder Schule gerecht werden               alle Lernräume entsprechende Arbeitsformen
kann (Kariippanon et al., 2020). Jede Schule hat         zulassen und unterstützen (ASMS, 2020f). Es
mit unterschiedlichen Bedingungen und Vor-               existieren keine traditionellen Klassenzimmer.
aussetzungen zu arbeiten. Diese müssen in die            Stattdessen gibt es große Lernräume, die Le-
Konzeption einbezogen werden, sodass es sich             arning Commons, welche offen, großzügig ge-
bei der Entwicklung letztendlich um einen Aus-           schnitten und in unterschiedliche Bereiche mit
handlungsprozess zwischen Vertreter*innen                variierenden Arbeitsstationen oder Computer-
aller Statusgruppen handelt, damit individuelle          arbeitsplätzen eingeteilt sind (ASMS, 2020f).
Schulbedürfnisse berücksichtigt werden kön-              Dadurch gewinnt der Raum an Barrierefreiheit
nen (Kariippanon et al., 2020). Eine flexible Um-        und mehrere Arbeitsformen sind gleichzeitig
gebung bietet zahlreiche Chancen, kann jedoch            reibungslos umsetzbar. Schüler*innen wird
auch Risiken bergen, wenn Lehrkräfte nicht               ermöglicht, je nach Bedürfnis und Aufgaben-
professionell mit dieser umgehen können. Es be-          art, eine Einzel- Partner- oder Gruppenarbeit
steht ganz klar eine Wechselwirkung zwischen             durchzuführen, nach der sie problemlos in das
dem flexibel gestalteten Lernraum und den                Plenum zurückkehren können. Die Schüler*in-
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Abbildung 5
Flexibler Lernraum der Australian Science and Mathematics School
(Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von der ASMS)

nen können sich frei bewegen und die für sie                       grenzenden für sie vorgesehenen Arbeitsräume
passende Funktion des Lernraums nutzen.                            aufhalten.

Zusätzlich zu diesen Gemeinschaftslernräumen                       Auch die Raumplanung des Rolleston College
gibt es weitere kleinere Lernräume, sogenann-                      folgt ähnlich flexiblen Prinzipien (vgl. Rolles-
te Studios, die einen bestimmten Zweck erfül-                      ton, 2020a). Falls eine Schule nicht auf traditio-
len. An der Schule existiert beispielsweise ein                    nelle Klassenzimmer verzichten möchte, kann
Arbeitsraum für die Naturwissenschaften oder                       mittels verschiebbarer Wände ein Kompromiss
weitere (inter-)disziplinäre Fachbereiche, die                     eingegangen werden. So kann einerseits ein tra-
nach speziellem Equipment oder einer gewissen                      ditioneller Lernraum erhalten, doch bei Bedarf
Ausstattung verlangen. Somit werden separate,                      ein modernes Lernstudio geschaffen werden.
geschlossene Räume bewusst eingesetzt, wenn                        Für diese Variante haben sich beispielsweise
die Notwendigkeit dafür besteht. Neben der                         die deutsche Schule in Helsinki, wie auch die
Möglichkeit im Gemeinschaftslernraum tätig zu                      High Tech High Chula Vista entschieden (Pearl-
sein, können sich Lehrkräfte in einem der an-                      man, 2010).
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→ Zeitliche Flexibilisierung                         unabhängige Schulen, deren Konzept nicht eins
An dieser Stelle soll zunächst auf inklusions-       zu eins ins Deutsche übersetzt werden kann,
fördernde Mechanismen zeitlicher Flexibilisie-       jedoch dem Prinzip eines Internats am nächs-
rung eingegangen werden, die den Übergang in         ten kommt. Das Schulkonzept richtet sich an
die Oberstufe betreffen. In Irland, Finnland und     Schüler*innen von 14 bis 18 Jahren und kann als
Dänemark haben Schüler*innen die Möglich-            Scharnierstelle zwischen Mittel- und Oberstufe
keit, vor dem Eintritt in die Oberstufe ein frei-    verstanden werden (The Ministry of Higher Edu-
williges Übergangsjahr zu absolvieren. Wenn          cation and Science, The Ministry for Children,
Lernende aus unterschiedlichen Gründen noch          Education and Gender Equality, The Ministry of
nicht die für die Oberstufe benötigte persönli-      Culture, 2016). Je nach Bedarf kann eine Efters-
che, soziale oder fachliche Reife erlangt haben,     kole ein bis drei Jahre lang besucht werden (Ef-
kann von diesem Angebot Gebrauch gemacht             terskolerne, 2020). Die individuelle Schulgebühr
werden (Department of Education, 2020). In Ir-       kann je nach Schule und ökonomischem Status
land obliegt es jeder einzelnen Schule, ob sie ein   der Eltern variieren (Efterskolerne, 2018). Die
„Transition Year“ anbieten möchte. Somit unter-      Schulen können politisch, religiös oder päda-
scheiden sich auch die einzelnen Programme, da       gogisch ausgerichtet sein (Efterskolerne, 2020).
diese direkt von den Lehrkräften an der Schule,      Unabhängig von der Ausrichtung, wird in den
im Rahmen der vom Ministerium vorgegeben             Schulen neben der Ausbildung viel Wert auf die
Guidelines, gestaltet werden. Schüler*innen soll     persönliche Entwicklung gelegt (Efterskoler-
durch den verstärkten Einsatz von Diagnostik         ne, 2020). Des Weiteren sind Lebensgestaltung,
und formativer Beurteilung die Möglichkeit ge-       Demokratiebildung und Allgemeinbildung die
geben werden, sich entsprechend der formulier-       drei Hauptaspekte jeder Efterskole (Efterskole-
ten Zielvorgaben entwickeln zu können (Depart-       foreningen, 2015). Laut der Vereinigung der Ef-
ment of Education and Science, 1994, S. 4). Eine     terskoler (2015) zeige eine Untersuchung, „that
der Zielvorgaben ist beispielsweise, dass Schü-      young people, who have attended an efterskole,
ler*innen „participate in learning strategies        are better prepared to do well in upper secon-
which are active and experimental and which          dary and higher education” (S. 5). Dies zeigt sich
help them to develop a range of transferable         darin, dass diese Schüler*innen bessere Noten
critical thinking and creative problem-solving       erzielen und bei ihnen die Wahrscheinlichkeit,
skills.” (Department of Education and Science,       die Schule abzubrechen, geringer ist (Eftersko-
1994, S.1).                                          lerne, 2018).

Finnland verfolgt eine ähnliche Strategie. Hier      Einen weiteren Zugang zur Oberstufe zeigt das
kann das freiwillige 10. Schuljahr neben der per-    Vorgehen der ASMS. Interessierte Schüler*in-
sönlichen Weiterentwicklung auch zur Verbes-         nen können sich mittels eines Bewerbungsfor-
serung von Noten genutzt werden (InfoFinland,        mulars bei der Schule bewerben. Darin sollen
2020). Nachdem Schüler*innen ihr Zeugnis aus         Schüler*innen beispielsweise ihre Motivation
der neunjährigen Grundbildung erhalten haben,        schildern, ihre Ziele darlegen und erläutern,
können sie sich anschließend für ein freiwilliges    warum genau diese Schule sie in ihrem Lernen
zehntes Schuljahr bewerben. Je nach Angebots-        unterstützen kann. Ein weiterer Teil der Bewer-
lage kann dieses auch an einer anderen als der       bung wird von den Erziehungsberechtigten aus-
bisher besuchten Schule stattfinden. In Finn-        gefüllt (ASMS 2020c; 2020i). Zur Auswertung
land wird diese Möglichkeit mitunter auch als        der Bewerbung werden von der Schule unter-
„zweite Chance“ verstanden, da Schüler*innen         schiedliche Kriterien, wie die Einschätzung des
ihre Noten entsprechend verbessern können,           Interesses, der Begabung oder des Potenzials
um einen Platz an der von ihnen angestrebten         der Bewerber*innen herangezogen. Ein ent-
Sekundarschule zu erhalten.                          scheidender Faktor ist auch, inwiefern die Be-
                                                     werber*innen mit den innovativen Lehr- und
In Dänemark können Schüler*innen, dem finni-         Lernkonzepten der Schule umgehen könnten.
schen Prinzip ähnlich, das freiwillige 10. Schul-    Vorherige Schulnoten sind demnach nicht der
jahr an einer Folkeskole oder aber an einer pri-     ausschlaggebende Faktor.
vaten Efterskole verbringen. Efterskoler sind
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