FAKTENCHECK SO LEBEN WIR - FÜR DIE VIELEN, NICHT DIE WENIGEN - Otto Bauer ...

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FAKTENCHECK SO LEBEN WIR - FÜR DIE VIELEN, NICHT DIE WENIGEN - Otto Bauer ...
FAKTENCHECK
 SO LEBEN WIR
FÜR DIE VIELEN, NICHT DIE WENIGEN

                               www.jbi.or.at
FAKTENCHECK
SO LEBEN WIR
IMPRESSUM
1. Auflage, November 2020
Medieninhaber: Marie Jahoda – Otto Bauer Institut,
Landstraße 36, 4020 Linz, Telefon: ( 05) 7726 1131
ZVR-Nr.: 465027902
Redaktion: Georg Hubmann, Johannes Rendl, Nora Waldhör
Grafik: contentschmiede
Hersteller: Gutenberg-Werbering Ges. m.b.H, 4020 Linz
Bestellung unter: office@jbi.or.at
Die Broschüre und die Grafiken stehen auf unserer Webseite unter www.jbi.or.at zur Verfügung
VORWORT                                                                     „Die Welt wird
                                                                            unübersichtlicher.
Das Marie Jahoda – Otto Bauer Institut arbeitet an der Schnittstelle zwi-   Diese Broschüre
schen wissenschaftlicher Forschung und politischer Praxis. Denn um die
                                                                            zeigt zentrale
Zukunft gestalten zu können ist es notwendig, sich mit der Gegenwart und
                                                                            Daten und Fakten
den notwendigen Voraussetzung für ein gelungenes Zusammenleben aus-
einander zu setzen. Das gilt im Großen genauso wie im Kleinen. Unsere
                                                                            für mehr Klarheit
aktuelle Analyse unter dem Titel „Faktencheck - So leben wir“ zeigt dazu    in schwierigen
die wichtigsten Kennzahlen, Daten und Fakten in den Bereichen Ungleich-     Zeiten.“
heit, Sozialstaat, Arbeit, Bildung und Umwelt. Die Grundlage für diese
Broschüre bilden verschiedene Studien von Universitäten, der Arbei-
terkammer und zivilgesellschaftlichen Organisationen, Daten aus dem
Arbeitsmarktservice, dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger
oder der Statistik Austria.

Hinter all diesen Zahlen, Daten und Fakten stecken konkrete Lebensge-
schichten. Die Geschichten von Menschen, die ihre Wünsche und Träume
von einem erfüllten Leben umsetzen möchten. Das ist gerade in der Co-
rona-Pandemie mit allen gesundheitlichen Risiken und den dramatischen
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen nicht einfach. Die Situa-
tion zeigt, wie wichtig ein gut ausgebauter Sozialstaat ist. Aber es braucht Dr. Georg Hubmann
eine Stärkung der öffentlichen Systeme und der sozialen Absicherung, Marie Jahoda – Otto Bauer Institut
damit in der Krise die Ungleichheit nicht weiter zunimmt. Wenn über
400.000 Menschen ohne Beschäftigung dastehen, wenn der Anteil der Kinderbetreuungs-
möglichkeiten mit ausreichenden Öffnungszeiten viel zu langsam steigt und der Zugang
zur Bildung immer noch stark von dem Bildungsstand der Eltern abhängt, dann ist klar: Es
gibt noch viel zu tun auf dem Weg zu einer gerechten Gesellschaft.

Kluge Politik bedeutet, diese Fakten ernst zu nehmen und daraus die richtigen Ableitungen
zu treffen, damit unsere Lebensumstände und unsere Gesellschaft freier, gleicher, gerech-
ter und solidarischer werden können. Diesen Prozess der Verbindung von wissenschaft-
licher Analyse und Umsetzung in der Politik unterstützen wir mit unserer Arbeit und den
vorliegenden Daten. Für weitere Rückfragen und Analysen stehen wir gerne zur Verfügung.
INHALT

UNGLEICHHEIT
 Vermögensverteilung        6
 Erbschaftssteuer           7
 ManagerInnengehälter       8
 Armutsgefährdung           9
 Demokratie                 10

SOZIALSTAAT
 Gemeinwohl                 11
 Pensionen                  12
 Jugendarbeitslosigkeit     13
 Jugend ohne Zukunft        14
 Gesundheit und Pflege      15
 Ein-Personen-Unternehmen   16
 Löhne und Mieten           17
 Wohnungsmarkt              18
 Gewalt an Frauen           19
BESCHÄFTIGUNG
 Beschäftigungslosigkeit         20
 Arbeitszeitverkürzung           21
 Systemrelevante Berufe          22
 Arbeit und Gesundheit           23
 Prekäre Arbeit                  24
 Gleichbehandlung                25

BILDUNG
 Kinderbetreuung                 26
 Gerechte Bildung                27
 Bildungschancen                 28
 Soziale Lage der Studierenden   29

UMWELT
 Wirtschaft und Industrie        30
 Flächenversiegelung             31
 Mobilität                       32
 Freier Seezugang                33
Vermögensverteilung
           UNGLEICHHEIT

                          Gleichheit ist Glück
                          Der größte Profiteur einer gerechten Verteilung           die Vermögenden über eine Vermögens- und Erb-
                          ist die Gesellschaft selbst. Soziale Spannungen,          schaftsbesteuerung zum Wohl unserer Gesell-
                          Lebenserwartung, Gesundheit, Bildungschan-                schaft mehr beitragen und wir so einen Pfad zu
                          cen, Geburtenrate, Verbrechensrate und viele              mehr Gleichheit einschlagen.
                          andere Faktoren stehen in einem direkten Zu-
                          sammenhang zur Verteilung von Vermögen. Es                Zum Weiterlesen:
                          gilt: Je gleicher die Einkommen und Vermögen              Fessler, P./Lindner, P./Schürz, M. (2019): Eurosys-
                          verteilt sind, desto glücklicher ist unsere Gesell-       tem Household Finance and Consumption Survey
                          schaft. Leider ist das in Österreich nicht der Fall.      2017. First results for Austria, Österreichische
                          Das reichste 1 % besitzt rund 40 % des Nettover-          Nationalbank, unter:
                          mögens, die ärmsten 50 % gerade einmal 2,5 %.             http://bit.do/vermoegensverteilung01

                          Keine breite Mittelschicht bei Vermögen                   AK Wien/Marie Jahoda - Otto Bauer Institut (2020):
                          In Österreich gibt es keine Mittelschicht bei der         Vermögensverteilung. Für die Vielen, nicht die
                          Vermögensverteilung. Die üblichen Vermögensge-            Wenigen, unter:
                          genstände sind in der unteren Hälfte das Auto oder        http://bit.do/vermoegensverteilung02
                          ein Sparbuch. In der oberen Mitte ist es das Eigen-
                          heim. Erst unter den reichsten 20 % sind Wert-
                          papiere ein Faktor und in den Top 5 % Immobilien,
                                                                                      LINKTIPP:
                          Zinshäuser und Unternehmensbeteiligungen.
                                                                                      Alle Zahlen und Daten zu Verteilungsfragen in Österreich
                          Die Corona-Krise hat viele Menschen an den Rand
                                                                                      gibt es auf einen Blick unter: verteilung.at
                          ihrer Existenz gebracht. Es wird also Zeit, dass

                          WER HAT WELCHEN ANTEIL AM VERMÖGEN?

                                   Ärmste 50%        Reichsten 11-50%      Reichste 6-10%           Reichste 2-5%             Reichstes 1%
                                  besitzen 2,5%       besitzen 31,75%      besitzen 9,5%            besitzen 15,7%           besitzen 40,5%
                                                                                                                                                 Quelle: Ferschli et al., 2017

6   |   Faktencheck
WER ERBT WIEVIEL?

                                                                                                                                            UNGLEICHHEIT
                       Untere 90 %                    Top 10 %                                Top 1 %
                    erben ∅ 120.000 €             erben ∅ 830.000 €                     erben ∅ 3.373.000 €

                                                                                                                       Quelle: HFCS, 2014
Erbschaftssteuer

Erben ist keine Leistung
Erbschaften sind in Österreich sehr ungleich verteilt.      Die Mehrheit ist für eine Erbschaftssteuer
Wer wieviel erbt hängt davon ab, in welche Familie          Erbschaften sind ein zentraler Grund für die unglei-
man hineingeboren wird und das macht einen großen           che Verteilung von Vermögen in Österreich und soll-
Unterschied in den Lebenschancen der Menschen.              ten daher besteuert werden. Das sehen auch mehr
In den unteren 90 % der Bevölkerung erbt nur jeder          als die Hälfte der ÖsterreicherInnen so. Entgegen al-
dritte Haushalt. Durchschnittlich geht es dabei um          ler Mythen ist die Besteuerung von Erbschaften eine
120.000 Euro, meist in Form einer Immobilie, eines          populäre Forderung: 72 % sind dafür!
Fahrzeuges oder Geld. Je reicher ein Haushalt ist,
desto höher ist die Chance auf ein Erbe und desto grö-
ßer ist es natürlich auch. Die oberen 10 % der Bevöl-          WUSSTEST DU SCHON?
kerung erben mit einer Wahrscheinlichkeit von 71 %.            Erbschaften gewinnen in den nächsten Jahrzehn-
Die Erbschaft beläuft sich dann im Durchschnitt auf            ten an Bedeutung. 2020 werden 12-15 Milliarden Euro
830.000 Euro. Das Top 1% erbt im Durchschnitt über-            vererbt, 2030 schon 17-20 Milliarden und 2040 etwa 23
haupt 3,4 Millionen Euro. Aufgrund der schlechten              Milliarden Euro. Dadurch steigt das finanzielle Potential
Datenlage bei der Erfassung des Vermögens reicher              einer Erbschaftssteuer enorm. Dieses Geld wird bei der
Haushalte, muss man aber davon ausgehen, dass in               Bekämpfung des Pflegenotstands und der Arbeitslosig-
Wahrheit wesentlich höhere Werte vererbt werden.               keit dringend benötigt.

                                                                                                                                            Faktencheck | 7
ManagerInnengehälter
           UNGLEICHHEIT

                          Ist das verdient?

                                                                                                                                Quelle: Wieser, 2020
                                   1 : 24                                1 : 43                                  1 : 57

                                     2003                                  2015                                   2019

                          VERHÄLTNIS VON LÖHNEN UND MANAGER/INNENGEHÄLTERN

                          Eine im April 2020 von der AK Wien durchgeführ-         tungspolitik von Aufsichtsräten braucht es einen
                          te Analyse der im Austrian Traded Index (ATX)           „Angemessenheitsfaktor” von ArbeiterInnen-
                          gelisteten Unternehmen zeigte, dass ein durch-          und ManagerInnengehältern, um ein weiteres
                          schnittliches Managementgehalt im Jahr 2019             Auseinanderdriften zu verhindern. Außerdem
                          bei 1,9 Millionen Euro lag. Das ist 57-mal mehr als     ist zentral, dass sich das Management Ziele im
                          ein mittleres Einkommen in Österreich und der           Interesse der MitarbeiterInnen steckt und da-
                          zweithöchste Wert seit der ersten Erhebung im           bei die Belegschaft einbindet: Wie zum Beispiel
                          Jahr 2003. Der Trend der letzten Jahre bestätigt        die Sicherung der Arbeitsplätze, die Gestaltung
                          sich: Vorstandsvergütungen haben sich in den            der Arbeitsbedingungen oder Gesundheits- und
                          großen börsennotierten Unternehmen immer                Sicherheitsfragen im Betrieb. Große Unterneh-
                          mehr vom übrigen Lohn- und Gehaltsgefüge abge-          men, die während der Corona-Krise staatliche
                          koppelt. Ein Beispiel: In der voestalpine verdienen     Zuwendungen bekommen haben, müssen in je-
                          ManagerInnen das 41-fache ihrer Beschäftigten.          dem Fall die Ausschüttung von Boni pausieren
                                                                                  und in den Erhalt von Arbeitsplätzen im Betrieb
                          Die SpitzenverdienerInnen                               investieren.
                          Die Spitzenreiter im Gehaltsranking sind Rai-
                          ner Seele (OMV) mit 7,2 Millionen, Wilhelm              Zum Weiterlesen:
                          Hörmanseder (Mayr-Melnhof) mit 5,2 Millionen            AK Wien/Marie Jahoda - Otto Bauer Institut (2020):
                          und Anas Abuzaakouk (BAWAG) mit 4,9 Mil-                Einkommensverteilung. Für die Vielen, nicht die
                          lionen Euro Jahresgehalt. Angesichts der Höhe           Wenigen, unter:
                          von Managementbezügen und der wachsen-                  http://bit.do/managerinnengehaelter01
                          den gesellschaftlichen Ungleichheit muss über
                          eine Wiedereinführung einer Vermögenssteuer             Wieser, C. (2020): Vorstandsvergütung in den ATX
                          nachgedacht werden. Nur so kann der immense             Unternehmen. Gehälter-Ranking und Vergütungs-
                          Reichtum an der Spitze der Einkommenspyra-              politik nach AktRÄG 2019, AK Wien, unter:
                          mide gerecht umverteilt werden. Für die Vergü-          http://bit.do/managerinnengehaelter02

8   |   Faktencheck
Armutsgefährdung

                                                                                                                                                                                 UNGLEICHHEIT
Es trifft 1,5 Millionen Menschen
Die Armutsgefährdungsschwelle liegt 2020 in Ös-                 liche Offensive von Nöten, um Armut effektiv zu
terreich bei 1.286 Euro monatlich für Ein-Perso-                bekämpfen. Die Anhebung der Nettoersatzrate
nen-Haushalte. Bei einem Erwachsenen mit einem                  beim Arbeitslosengeld auf 70 % und die Erhöhung
Kind sind es 1.671 Euro und für zwei Erwachsene                 der Notstandshilfe, sowie Investitionspakete zur
mit zwei Kindern 2.700 Euro. In Österreich sind                 möglichst raschen Senkung der Arbeitslosigkeit
rund 1,5 Millionen Menschen oder 17 % der Gesamt-               bieten sich in der Krise als effektive Mittel gegen
bevölkerung armuts- oder ausgrenzungsgefähr-                    die Armutsbedrohung an. Dazu gehören auch
det. In Oberösterreich trifft es 156.000 Menschen               eine Jobgarantie und der Ausbau des sozialen
oder 11 % der Bevölkerung. 303.000 Kinder und Ju-               Wohnbaus.
gendliche leben in armutsgefährdeten Haushalten
und das in einem der zwanzig reichsten Länder der
                                                                 WUSSTEST DU SCHON?
Welt. Nach dem Corona-Lockdown und dem star-
                                                                 15 % der armutsbetroffenen Kinder und Jugendlichen le-
ken Anstieg der Arbeitslosigkeit ist damit zu rech-
                                                                 ben in überbelegten Wohnungen, 10 % in schimmeligen
nen, dass diese Zahlen erneut steigen werden.
                                                                 und 18 % in lauten Wohnsituationen. Im Durchschnitt
                                                                 haben sie nur 14 qm² Platz zum Leben, Spielen und Ler-
Gesamtstaatliche Offensive
                                                                 nen. Das erschwert den sozialen Aufstieg durch Bildung
In einer derartigen Situation ist eine gesamtstaat-              erheblich.

 WO LIEGT DIE ARMUTSSCHWELLE? WER IST BETROFFEN?

   1 ERWACHSENE/R                1 ERWACHSENE/R                   2 ERWACHSENE                  2 ERWACHSENE
                                     + 1 KIND                                                     + 2 KINDER
                                                                                                                               Quelle: Armutskonferenz/Statistik Austria, 2020
                    BETROFFENE
                      321.000

                                                                                  BETROFFENE
                                                                                    261.000

                                                                                                                  BETROFFENE
                                                                                                                    16.000
                                                   BETROFFENE
                                                     116.000

   Armutsschwelle                 Armutsschwelle                 Armutsschwelle                  Armutsschwelle
       1.286 €                        1.671 €                        1.929 €                         2.700 €

                                                                                                                                                                                 Faktencheck | 9
Demokratie
           UNGLEICHHEIT

                          Wer beteiligt sich?
                          „MIT MEINER STIMME BEI DER NATIONALRATSWAHL KANN ICH DIE

                                                                                                                                                                           Quelle: SORA, 2019
                           ZUKUNFT ÖSTERREICHS MITBESTIMMEN.“

                                55 %                            42 %           29 %                            70 %            19 %                           81 %

                            nicht      wenig             sehr    ziemlich   nicht wenig                 sehr     ziemlich   nicht wenig                sehr          ziemlich

                                            ökonomisch                               ökonomisch                                      ökonomisch
                                         schwächstes Drittel                        mittleres Drittel                              stärkstes Drittel

                          Ökonomische Ungleichheit schafft nicht nur                              In der oberen Dienstklasse geben 70 % an sich für
                          unterschiedliche Lebensbedingungen, sondern                             Politik zu interessieren, bei den ArbeiterInnen mit
                          sie beeinflusst auch die Beteiligung am demo-                           formal niedriger Qualifikation sind es 50 % und nur
                          kratischen Prozess. Nur 42 % des ökonomisch                             30 % bei den Arbeitslosen. Die Politik hat ein Glaub-
                          schwächsten Drittels der ÖsterreicherInnen glau-                        würdigkeitsproblem, sie scheint die Interessen der
                          ben, dass sie mit ihrer Stimme bei Wahlen etwas                         ArbeiterInnen und der ökonomisch Benachteilig-
                          verändern können. Hingegen sind 81 % aus dem                            ten nicht ordentlich zu vertreten, sondern nur die
                          reichsten Drittel der ÖsterreicherInnen davon                           Interessen der besser Gestellten. Das ist eine Seite
                          überzeugt, dass ihre Stimme etwas zählt. Dem-                           der laufend sinkenden Wahlbeteiligungen.
                          entsprechend geht nur die Hälfte des ökonomisch
                          schwächsten Drittels wählen, während es 80 %                            Auf der anderen Seite stehen 1,4 Millionen Men-
                          des reichsten Drittels tun.                                             schen, die nicht wählen dürfen, obwohl sie ihren
                                                                                                  Lebensmittelpunkt in Österreich haben oder gar
                          Politikverdruss in der arbeitenden Bevölkerung                          hier geboren sind, da sie z.B. eine andere Staats-
                          Nach einer Arbeiterkammererhebung beteiligten                           bürgerschaft haben. Damit sich wirklich alle
                          sich hauptsächlich die Beamten und Angestellten in                      Menschen, die in Österreich leben, am demokra-
                          leitenden und mittleren Positionen an der National-                     tischen Prozess beteiligen können, braucht es
                          ratswahl 2017. Deutlich weniger manuell Arbeiten-                       eine Änderung des Wahlrechts: Jeder Mensch mit
                          de gingen zur Wahl und überhaupt nur die Hälfte                         Lebensmittelpunkt in Österreich soll nach drei
                          aller Arbeitslosen. Das Interesse an Politik im All-                    Jahren das aktive und das passive Wahlrecht aus-
                          gemeinen ist ein Spiegelbild der Wahlbeteiligung.                       üben können.

10   |   Faktencheck
Gemeinwohl

                                                                                                                                                                              SOZIALSTAAT
Alle leisten einen Beitrag
Ob Straße, Schiene, Krankenhaus oder Schule:                kommensanteil, der für diese Steuern aufgewendet
Wir alle leisten mit unseren Steuern und Abga-              wird. Haushalte mit niedrigen Einkommen müssen
ben einen Beitrag zum Gemeinwohl. Die Lohn-                 einen größeren Anteil für Konsumausgaben verwen-
steuer liefert mit etwa 28 Milliarden Euro einen            den (z.B.: Lebensmittel, Miete, Handyrechnungen)
großen Teil der öffentlichen Einnahmen. Sie ist in          und bezahlen dafür Mehrwertsteuer. Haushalte am
Österreich progressiv gestaltet: Sie steigt mit dem         oberen Ende der Einkommensverteilung sparen hin-
Anwachsen des Einkommens an. Verdient man                   gegen einen beträchtlichen Anteil ihres Einkommens
1 Million Euro, so wird der höchste Steuersatz von          und zahlen dafür keine Mehrwertsteuer.
55 % schlagend. Die Einkommenssteuer für Selbst-
ständige bringt in etwa 5 Milliarden Euro. Neben            Entlastung der Einkommen aus Arbeit
den Steuereinnahmen machen die Sozialversiche-              Klar ist, dass wir alle in den Sozialstaat einzahlen
rungsbeiträge der DienstnehmerInnen 30 Milliar-             und ihn damit finanzieren. Jedoch sind Einkom-
den bei den öffentlichen Einnahmen aus. Diese sind          men aus Arbeit wesentlich höher steuerlich belastet
prozentual für alle gleich, außer bei der Deckelung         als Kapitaleinkommen. Letztere generieren nur 2,3
der Höchstbeitragsgrundlage für sehr hohe Einkom-           Milliarden Euro und sind mit 25 % auf Zinseinkom-
men und der Befreiung von geringen Einkommen.               men und 27,5 % auf Dividenden recht niedrig be-
Der größte Teil der Steuereinnahmen kommt jedoch            steuert. Es wird also Zeit für Gerechtigkeit zu sor-
aus der Mehrwertsteuer (29 Milliarden Euro). Kon-           gen, die Arbeitseinkommen zu entlasten und von
sumsteuern, wie die Mehrwertsteuer, wirken regres-          den Kapitaleinkommen einen gerechten Beitrag zu
siv: je höher das Einkommen, desto niedriger der Ein-       verlangen.

WER TRÄGT WIEVIEL ZUM GEMEINWOHL BEI?                                                   Jedes Symbol = 1 % Steuern und Abgaben vom Einkommen.
                                              Steuer auf Konsum         Sozialversicherung        Einkommenssteuer        Kapitalertragssteuer   Quelle: Humer/Moser, 2016

              Steuern und Abgaben des             Steuern und Abgaben des                                   Steuern und Abgaben des
              unteren Drittels: 33,7 %.          mittleren Drittels: 37,5 %.                                oberen Drittels: 40,5 %.

                                                                                                                                                                             Faktencheck | 11
Pensionen
           SOZIALSTAAT

                         Das System funktioniert –
                         aber nur für Männer!
                         Immer wieder kommt das heimische Pensionssys-                                               terreich 1.196 Euro pro Monat. Die Mindestpension
                         tem unter Druck: Seit der Einführung des Umla-                                              liegt für Einzelpersonen bei 966 Euro monatlich.
                         geverfahrens versuchen neoliberale Parteien und                                             76 % zuerkannter Alterspensionen liegen über die-
                         Gruppen gegen die Interessen der Allgemeinheit                                              sem Richtwert. Während 89 % der Männer auf 40
                         die private Pensionsvorsorge durchzusetzen. Dem                                             Versicherungsjahre kommen, sind es lediglich 41 %
                         österreichischen Pensionssystem wird im Inland                                              der Frauen. Männer erhalten im Durchschnitt 42 %
                         der Kollaps nachgesagt, während es im Ausland                                               mehr Pension als Frauen. In Oberösterreich sind es
                         gelobt wird. Allen Unkenrufen zum Trotz bleibt                                              sogar 47%, das ist die zweitgrößte Kluft zwischen
                         festzuhalten: Unser Pensionssystem ist stabil und                                           Männer- und Frauenpensionen nach Vorarlberg.
                         sicher. Damit das System weiterhin so gut funk-                                             Es besteht also dringender Handlungsbedarf.
                         tionieren kann, gilt es genügend Menschen in den                                            Um den Pensionsunterschied zwischen Män-
                         Arbeitsprozess zu integrieren und für gute Löh-                                             nern und Frauen auszugleichen, braucht es unter
                         ne zu sorgen. Deshalb sind Forderungen wie eine                                             anderem eine Ausweitung der Anrechnung von
                         Jobgarantie und gute Löhne so wesentlich, weil sie                                          Karenzzeiten und den flächendeckenden Aus-
                         neben dem laufenden Einkommen, auch das Aus-                                                bau der Kinderbetreuung, sowie die allgemeine
                         kommen der derzeitigen PensionistInnen sichern,                                             Aufwertung von Zeiten der Kinderbetreuung und
                         sowie später einmal die eigene Rente. Gerade in der                                         Pflege für die Pension. Ziel muss für alle Pensio-
                         Corona-Krise hat es sich als Vorteil herausgestellt,                                        nen weiterhin bleiben, die Kaufkraft der Pensio-
                         dass 90 % der Pensionsleistungen in Österreich                                              nistInnen zu stärken, um Altersarmut vorzubeu-
                         nicht an die dramatisch gesunkenen Börsenkurse                                              gen und auch der jüngeren Generation ein gutes
                         angebunden waren, wie es bei privaten Pensions-                                             System zu übergeben.
                         versicherungen der Fall ist.
                                                                                                                     Zum Weiterlesen:
                         Oberösterreich bei Frauenpensionen Vorletzter                                               Wöss, J. (2020): Sozialstaat – Stabilitätsanker in der
                         Die durchschnittliche Alterspension beträgt in Ös-                                          Krise, unter: http://bit.do/pensionen

                         BRUTTOPENSIONEN VON FRAUEN UND MÄNNERN IM VERGLEICH                                                               Quelle: MA 23 - Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien, 2020

                                           2254 €
                                                               2032 €                                                                     2051 €
                                                                                 1901 €            1938 €                                                      1989 €                                  1968 €
                                                                                                                      1899 €                                                       1855 €
                         Männer

                                                                                                                                                                                              1327 €
                                                                                                                                 1173 €               1147 €              1102 €
                                                      1073 €            1053 €            1090 €            1072 €
                                   999 €
                          Frauen

                                   Vorarlberg       Oberösterreich          Tirol         Burgenland        Steiermark         Niederösterreich        Salzburg             Kärnten               Wien

12   |   Faktencheck
Jugendarbeitslosigkeit

                                                                                                                                    SOZIALSTAAT
Unsere Zukunft sichern
JUGENDARBEITSLOSIGKEIT STEIGT RASCH

             SEPTEMBER 2019                                                             SEPTEMBER 2020

               62.853                         + 10,6 %                                    69.503

                                                                                                             Quelle: BMAFJ, 2020
Rutscht die Wirtschaft in die Krise steigen die Ar-   selben Zeitpunkt 4.330, das ist ein Plus von 20 %.
beitslosenzahlen und weniger neue Arbeitskräfte       Eine verlorene Generation droht, deshalb braucht
werden eingestellt. Jobchancen für Schulabsol-        es ein Jugendrettungspaket. Die überbetrieb-
ventInnen gehen genauso zurück wie das Lehr-          lichen Ausbildungsangebote müssen ausgebaut
stellenangebot. Außerdem sind junge Menschen          und eine Jobgarantie für junge Menschen einge-
eher von Kündigungen betroffen als ältere: Denn in    führt werden. Für SchulabsolventInnen, die in
die älteren Arbeitskräfte haben die Unternehmen       der aktuellen Krise keine Arbeit finden können,
schon mehr Geld und Zeit investiert. Auch rechtlich   gilt es zusätzliche Ausbildungsprogramme zu
drückt sich dieses Missverhältnis in kürzerer Kün-    entwickeln. Eine Job- und Ausbildungsgarantie
digungsfrist und schwächerem Kündigungsschutz         für alle unter 25 Jahren ist das wirksamste Mittel
bei weniger langer Betriebszugehörigkeit aus.         um eine verlorene Generation zu verhindern und
                                                      jungen Menschen auch in der Corona-Krise Zu-
Eine verlorene Generation droht                       kunftsperspektiven zu geben.
Nach dem ersten Corona-Lockdown ist der Anstieg
der Jugendarbeitslosigkeit umso dramatischer.
Im September 2020 waren österreichweit 69.503           WUSSTEST DU SCHON?
junge Menschen entweder arbeitslos oder in Schu-        Eine Arbeitslosigkeitsdauer von sechs Monaten bei
lungen. 8.406 davon waren auf Lehrstellensuche.         22-jährigen führt zu einem um 8 % geringeren Stun-
Das ist ein Plus von 10,6 % gegenüber dem Vorjahr.      denlohn im Alter von 23 Jahren. Mit 26 Jahren liegt der
Im selben Zeitraum waren in Oberösterreich 5.201        Lohnunterschied immer noch bei 5 % und mit 30 bis 31
Personen unter 25 arbeitslos, 2019 waren es zum         Jahren bei 2 bis 3 %.

                                                                                                                                   Faktencheck | 13
WIEVIELE NEET-JUGENDLICHE GIBT ES IN ÖSTERREICH?
           SOZIALSTAAT

                                                                                          Szenarien: NEET-Quote nach BIP-Entwicklung
                           12 %
                           11 %
                           10 %
                            9%
                            8%

                                                                                                                                                                                      Quelle: Bacher, Tamesberger/Eurostat, 2020
                            7%
                            6%
                            5%

                                                                                                                                     Szenario 2: BIP -7,5 %

                                                                                                                                                              Szenario 3: BIP -10 %
                                                                                                              Szenario 1: BIP -5 %
                            4%
                            3%
                            2%
                            1%

                                  2012     2013     2014     2015      2016      2017    2018      2019       2020

                         Jugend ohne Zukunft

                         Ausbildung schafft
                         Perspektiven
                         Junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, die sich       Jobgarantie für Jugendliche
                         weder in Beschäftigung, Ausbildung oder Schulung         Unternimmt man nichts wird die NEET-Quote
                         befinden, werden als „NEET“ (Not in Employment,          durch die angespannte Situation am Arbeits-
                         Education or Training) bezeichnet. Die NEET-Quote        markt weiter steigen. Sinnvolle Maßnahmen
                         lag 2019 in Österreich bei 7,1 %, das sind 65.200 Be-    zur Vermeidung eines wachsenden NEET-Teils
                         troffene. Bis 2009 ist die NEET-Quote leicht zurück-     unter Jugendlichen sind Jugendcoachings und
                         gegangen, seitdem hat sie sich auf hohem Niveau          eine Ausbildungspflicht bis 18, sowie eine Aus-
                         verfestigt. In Oberösterreich zeichnete sich 2019        bildungsgarantie bis 25 Jahre. So geben wir vielen
                         eine positive Entwicklung ab: die NEET-Quote sank        jungen Menschen eine gute Zukunftsperspektive
                         auf 5,3 %. Durch die generell steigende Arbeitslosig-    und verhindern eine verlorene Generation.
                         keit in der Corona-Krise und die fehlende Unter-
                         stützung für Junge wird die NEET-Quote wieder
                         ansteigen. Statistisch am häufigsten betroffen sind      Zum Weiterlesen:
                         ältere Jugendliche, Jugendliche in Städten und Ju-       Bacher, J. (2020): NEET-Jugendliche in Österreich:
                         gendliche mit Migrationshintergrund. Die Gründe          Problemausmaß, volkswirtschaftliche Kosten und
                         sind meist früher Schulabgang oder Erkrankungen,         Handlungsempfehlungen, unter:
                         bei Frauen oft auch Betreuungspflichten.                 http://bit.do/neet-jugendliche

14   |   Faktencheck
Gesundheit und Pflege

                                                                                                                                                        SOZIALSTAAT
Weg mit dem Sparstift!
Unser Gesundheitswesen ist seit Jahrzehnten                 nals im Pflege- und Krankenhausbereich klagt über
unter Druck. In Österreich wurden seit 1994 15 %            verschiedene körperliche und psychische Beschwer-
der Akutbetten eingespart. In Oberösterreich wa-            den. Viele kommen aus Pflichtbewusstsein gegen-
ren es sogar 20 %. Das hat sich mit dem Ausbruch            über den KollegInnen auch krank zur Arbeit, damit
des Coronavirus als großer Fehler herausgestellt.           diese den Ausfall nicht kompensieren müssen. Das
Große Teile der Gesundheitsinfrastruktur dürfen             schlägt sich auf die Zufriedenheit am Arbeitsplatz
daher nicht gewinnorientiert organisiert werden,            nieder: Ein Großteil der Beschäftigten geht davon
sondern müssen einer Bedarfsorientierung folgen.            aus, dass sie ihren Beruf nicht bis zur Pension aus-
Mehr Effizienz kann hingegen im besseren Zusam-             üben können. Eine Aufstockung der personellen
menspiel von niedergelassenen ÄrztInnen und Spi-            Kapazitäten ist dringend notwendig, dafür müssen
tälern erzielt werden, anstatt blind den Sparstift          aber auch die Löhne angehoben und die Arbeitsbe-
anzusetzen. Zur Entlastung der Spitäler braucht es          dingungen attraktiver gestaltet werden. Außerdem
den Ausbau von Tageskliniken und Primärversor-              sollten alle Menschen, die in der Corona-Krise ihre
gungszentren, die sich an den jeweiligen Bedürf-            Gesundheit in systemrelevanten Jobs riskiert ha-
nissen in der Region orientieren.                           ben, eine Bonuszahlung von mindestens 1.000 Euro
                                                            erhalten, wie es in Frankreich der Fall ist.
Krank in der Pflege
Eine weitere Baustelle ist die Pflege und das allge-        Zum Weiterlesen:
meine medizinische Personal. Oberösterreich hat             AK OÖ (2018): Arbeitsbedingungen in der mobi-
zwar die höchste Betreuungsquote in Alten- und              len und stationären Langzeitpflege in Oberöster-
Pflegeheimen, aber mehr als die Hälfte des Perso-           reich, unter: http://bit.do/gesundheitsberufe

„IN MEINEM DERZEITIGEN BERUF HALTE ICH NICHT BIS ZUR PENSION DURCH.“

                                                     ALLE BERUFE 45 %

  PFLEGEBERUFE
                                                     60 %
                                                                                                             Quelle: AK OÖ, Arbeitsklimaindex 2020/1

   ALTENPFLEGE                                       74 %

                                                                                                                                                       Faktencheck | 15
Ein-Personen-Unternehmen
           SOZIALSTAAT

                         Den Selbstbehalt
                         endlich abschaffen
                         WELCHE ARBEIT MACHEN EIN-PERSONEN-UNTERNEHMEN?

                                        Personenberatung & -betreuung (z.B. Pflege,
                            Ernäherungsberatung, Personenberatung, Sportberatung)
                                                           Unternehmensberatung,
                                             Buchhaltung & Informationstechnologie
                                                            Persönlicher Dienstleister
                                            (z.B. Tierbetreuung, Astrologie, Energetik)
                                                    Werbung & Marktkommunikation

                                               Fusßpflege, Kosmetik & MasseurInnen

                                                                         Direktvertrieb
                                     Gewerbliche Dienstleister (z.B. Sicherheitskräfte,
                                                   ÜbersetzerInnen, Berufsdetektive)

                                               Versand-, Internet- und allgem. Handel

                                                                                                                                                                Quelle: WKO, 2020
                                                            Freizeit- und Sportbetrieb

                                                                         Gastronomie

                                                                                          10.000   20.000    30.000     40.000    50.000    60.000     70.000

                         In Österreich sind 315.900 oder rund 60 % der Betrie-                      ben dem krankheitsbedingtem Verdienstausfall zu-
                         be sogenannte Ein-Personen-Unternehmen (EPU).                              sätzlich kompensieren müssen. Corona hat uns ge-
                         Ihre Zahl nimmt seit Jahren stetig zu. Die größte                          zeigt, dass die Gesundheit eines der höchsten Güter
                         EPU-Gruppe ist die Personenberatung und -betreu-                           ist. Es muss daher allen Menschen gleichermaßen
                         ung, der Frauenanteil liegt hier bei 93 %. Allgemein                       möglich sein, eine Behandlung in Anspruch zu neh-
                         sind mehr als die Hälfte der Ein-Personen-Unter-                           men, die durch unser solidarisches Versicherungs-
                         nehmen in Österreich weiblich. In Oberösterreich                           system abgedeckt ist und keine zusätzlichen Kosten
                         gibt es 48.661 Ein-Personen-Unternehmen, der                               für die Betroffenen verursacht. Krankheit darf kei-
                         dritthöchste Wert nach Wien und Niederösterreich.                          ne Kostenfrage sein, deswegen ist der Selbstbehalt
                                                                                                    in der Sozialversicherung für Solo-Selbstständige
                         Kranksein darf keine Frage des Geldes sein                                 und kleine UnternehmerInnen abzuschaffen.
                         Die Corona-Pandemie ist für die EPUs aus doppel-
                         tem Grund existenzbedrohend. Zum einen konnten                                WUSSTEST DU SCHON?
                         diese während des Lockdowns ihren Tätigkeiten                                 Laut dem Einkommensbericht der Statistik Austria von
                         nicht nachgehen, andererseits ist Kranksein für                               2018 liegt das Medianeinkommen der selbstständigen Be-
                         Selbstständige aufgrund des 20 %-igen Selbstbe-                               schäftigten bei jährlich 11.617 Euro. Das entspricht einem
                         haltes bei Artzbesuchen auch noch teuer. Für viele                            monatlichen Einkommen von 968 Euro und liegt somit
                         EPUs ist das eine hohe finanzielle Hürde, die sie ne-                         unter der Armutsgefährdungsschwelle.

16   |   Faktencheck
Löhne und Mieten

                                                                                                                                                                             SOZIALSTAAT
Wohnen muss leistbar bleiben
In Österreich leben knapp 42 % der Bevölkerung zur         langt wurde, als gesetzlich zulässig gewesen wäre.
Miete, 43 % davon in privaten Mietwohnungen. Zwi-          In Oberösterreich waren 2019 etwa 38.200 Mietver-
schen 2005 und 2019 sind die Durchschnittsmieten           träge befristet und im Durchschnitt um 79,5 % teu-
für Wohnungen inklusive Betriebskosten um 183              rer als unbefristete Mietverträge.
Euro oder 52 % gestiegen. Der Verbraucherpreis-
index zeigte zwischen 2007 und 2019 ein Plus von           Befristete Mietverträge abschaffen
40 % bei Mietpreisen. Die Löhne ziehen mit dieser          Befristete Mietverträge müssen also abgeschafft
Preisentwicklung aber nicht mit: Das Medianein-            werden, damit Preismanipulationen und Wucher
kommen der unselbständigen Erwerbstätigen ver-             aufhören. Um Wohnungspreise auf einem leistbaren
zeichnet nur ein Plus von 19 %. Wohnen wird also           Niveau zu halten, braucht es auch eine mutige Wohn-
immer mehr zur finanziellen Belastung.                     raum- und Flächenwidmungspolitik. Ein Ausbau
                                                           des Angebots an sozialem Wohnbau auf Gemeinde-,
70 % aller neu abgeschlossenen Mietverträge für            Landes- und Bundesebene ist notwendig. Auch der
private Mietwohnungen sind zeitlich befristet. Das         Leerstand von Wohnungen, der das Angebot ver-
bringt eine enorme Unsicherheit für MieterInnen            knappt und damit die Preise in die Höhe treibt, muss
mit sich. Die meisten wissen nicht, ob ihr Mietver-        meldepflichtig sein. Eine Abgabe auf Wohnungen,
hältnis nach der Befristung weiterlaufen wird oder         deren Leerstand nicht gerechtfertigt werden kann,
ob sie ohne Wohnung dastehen. Weil MieterInnen             muss zur Pflicht werden.
darum fürchten müssen, dass ihr Vertrag nicht ver-
längert wird, werden kaum Mietzinsüberprüfungen            Zum Weiterlesen:
angestoßen. Eine Studie der Arbeiterkammer zu be-          Fröhlich, A./Rendl, J. (2020): Höchste Zeit für eine so-
fristeten Mietverträgen hat gezeigt, dass für Altbau-      ziale Wohnoffensive, unter:
wohnungen in Wien dadurch fast 100 % mehr ver-             http://bit.do/wohnbauoffensive

DIE NETTOLÖHNE KÖNNEN MIT DER MIETPREISENTWICKLUNG NICHT MITHALTEN                  Mietpreissteigerung in %
                                                                                    Steigerung Bruttomedianeinkommen in %

45 %

40 %

35 %

30 %
                                                                                                                      Quelle: Statistik Austria, 2018/Eigene Berechnungen

25 %

20 %

 15 %

 10 %

 5%

 0%
          2008     2009    2010     2011     2012       2013     2014     2015     2016        2017        2018

                                                                                                                                                                            Faktencheck | 17
Wohnungsmarkt
           SOZIALSTAAT

                         In Oberösterreich
                         steigen die Mieten
                         Wohnen wird für viele Menschen zu einer zuneh-           ten 10 Jahren um 113 Euro, am privaten Woh-
                         menden finanziellen Belastung. Haushalte in priva-       nungsmarkt um 127 Euro. Linz liegt mit seinen
                         ten Mietverhältnissen gaben 2019 im Durchschnitt         Mietpreisen unter dem Durchschnittsniveau des
                         27 % ihres Einkommens für die Miete aus, bei ar-         Landes. Insgesamt sind über die Hälfte der Woh-
                         mutsgefährdeten Haushalten waren es sogar 37 %.          nungen in Linz in Privatbesitz, jedoch ist knapp
                         In Städten liegt der Schnitt noch höher: 40 % des        ein Viertel im Eigentum von gemeinnützigen
                         Einkommens wurde für die Miete aufgebraucht.             Bauträgern. Mit dem derzeitigen Bauoffensiven
                                                                                  für Wohnungen wird das Angebot an die demo-
                         Teurer privater Wohnungsmarkt                            graphische Entwicklung angepasst und einer Ver-
                         Mit 45 % wohnt der Großteil der Oberösterrei-            knappung von Wohnraum vorgebeugt. Allerdings
                         cherInnen im Hauseigentum, wesentlich weniger            braucht ganz Oberösterreich dringend ein erwei-
                         (8%) im Wohnungseigentum. Genossenschafts-               tertes Angebot an sozialem Wohnungsbau und
                         wohnungen machen mit 21 % den größten Teil der           eine mutige Flächenwidmungspolitik.
                         Mietwohnungen in Oberösterreich aus. 12 % leben
                         in privaten Mietwohnungen. Die Durchschnitts-
                         miete liegt hier bei 506 Euro inklusive Betriebs-        WUSSTEST DU SCHON?
                         kosten. In einer Genossenschaftswohnung be-              In Oberösterreich gibt es gerade einmal 3 % Gemein-
                         zahlt man 30 Euro weniger als der Durchschnitt,          dewohnungen. Dort bezahlt man durchschnittlich 393
                         in einer Privatwohnung 65 Euro mehr. Die Miete           Euro Miete, das sind 113 Euro weniger als die Durch-
                         in Genossenschaftswohnungen stieg in den letz-           schnittsmiete in Oberösterreich.

                         WIE ENTWICKELN SICH DIE DURCHSCHNITTSMIETEN IN OBERÖSTERREICH?                    Privatwohnung
                                                                                                           Genossenschaftswohnung

                           30 %
                                                                                                                                           Quelle: Statistik Austria, 2020/Eigene Berechnungen

                           25 %

                           20 %

                            15 %

                            10 %

                            5%

                            0%
                                   2009   2010    2011    2012     2013    2014       2015     2016      2017        2018           2019

18   |   Faktencheck
Gewalt an Frauen

                                                                                                                                    SOZIALSTAAT
Verdoppelung der
Frauenmorde in nur 5 Jahren
Die Zahl der Frauenmorde stieg in den letzten            Beratung und Informationen für Frauen,
Jahren erschreckend stark an. In vielen Fällen           die von Gewalt betroffen sind, gibt es bei der
gehen diese Taten von den Ehemännern oder Ex-            Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555
Partnern aus. Parallel dazu sparte die schwarz-
blaue Regierung massiv bei Frauenhäusern und           FRAUENMORDE IN ÖSTERREICH
Gewaltschutzorganisationen ein. Dazu kommt,
dass die Sicherheitskonzepte für Frauenhäuser                  5     10    15    20    25    30    35    40
immer mehr aufgeweicht werden. Bis zum Novem-
ber 2020 ereigneten sich bereits 20 Morde und 22
Mordversuche bzw. schwere Gewalt gegen Frauen.         2014
Im Jahr 2019 wurden 39 Frauen ermordet. Jede
fünfte Frau ist im Laufe ihres Lebens körperlicher
und sexueller Gewalt ausgesetzt. Jede dritte Frau      2015

erfährt ab ihrem 15. Lebensjahr sexuelle Beläs-
tigung, jede 7. Frau ist von Stalking betroffen. Im
                                                       2016
Jahr 2018 suchten 18.526 von häuslicher Gewalt
Betroffene Gewaltschutzzentren und Interventi-
onsstellen auf. Die Dunkelziffer ist aber wesentlich
                                                       2017
höher, da nicht alle Gewalttaten angezeigt werden.

Platzmangel in Frauenhäusern                           2018
Für Oberösterreich hat der Landesrechnungs-
hof vorgerechnet, dass es 2019 148 Plätze in
                                                                                                              Quelle: AOEF, 2020

Frauenhäusern gebraucht hätte, aber nur 41 ver-        2019
fügbar waren. Bis 2026 sind 18 zusätzliche Plät-
ze geplant, das ist aber viel zu wenig. Mit 58 %
ist Platzmangel der häufigste Grund, warum
schutzsuchende Frauen in Frauenhäusern nicht
aufgenommen werden können. Es braucht daher
schnellstmöglich eine Initiative zum Aus- und            WUSSTEST DU SCHON?
Neubau von Gewaltschutzeinrichtungen. Im                 Gewalt von Männern gegen Frauen kommt in allen so-
März 2020, während der ersten Hochphase der              zialen Schichten, Nationen, Familienverhältnissen und
Corona-Pandemie, hatten österreichische Frau-            Berufsgruppen vor. Gewalt an Frauen ist ein gesamtge-
enhäuser Alarm geschlagen, dass das Limit ihrer          sellschaftliches Problem. Die Ursachen dafür wurzeln
Kapazitäten erreicht sei. Häusliche Gewalt traf          tief, beispielsweise in der Abwertung von Frauen, be-
nicht nur Frauen, sondern auch Kinder.                   leidigender Sprache und patriarchalen Rollenbildern.

                                                                                                                                   Faktencheck | 19
BESCHÄFTIGUNG

                           Beschäftigungslosigkeit

                           Ein Recht auf Arbeit
                           Arbeit bringt finanzielle Unabhängigkeit, aber sie     lich wie bei der Aktion 20.000). Die öffentliche Hand
                           trägt auch wesentlich zur sozialen Teilhabe und        schafft für Gruppen mit Vermittlungsschwierigkei-
                           dem menschlichen Wohlbefinden bei. Im Septem-          ten (v.a. BerufseinsteigerInnen, Langzeitbeschäf-
                           ber 2020 waren in Oberösterreich jedoch 48.392         tigungslose und ältere Arbeitslose) eine Beschäfti-
                           Menschen (+22 % zum Vorjahr) arbeitslos oder           gungsmöglichkeit. Arbeitslose können sich so ein
                           in Schulungen. Es muss also schnellstmöglich           Netzwerk aufbauen und bestehende Qualifikatio-
                           gehandelt werden. Beschäftigungslosigkeit ver-         nen ausbauen oder neue erlernen. Die Gesellschaft
                           schlechtert den Gesundheitszustand und die Le-         profitiert wiederum von sinnvollen Produkten und
                           benszufriedenheit. Zu existentiellen Sorgen und        Dienstleistungen. Neben den vielen psychosozialen
                           möglicher Armutsgefährdung kommt, aufgrund             und materiellen Vorteilen für Arbeitslose hat eine
                           von gesellschaftlicher Stigmatisierung, auch psy-      Jobgarantie auch gesamtwirtschaftlich gesehen
                           chischer Druck, so schnell wie möglich wieder eine     Vorteile: Sie wirkt gegen die Krise am Arbeitsmarkt
                           Arbeit zu finden. Für viele Menschen funktioniert      und stabilisiert die Konsumnachfrage.
                           das aber nicht. Österreichweit waren im Septem-
                           ber 2020 120.516 Personen Lanzeitbeschäftigungs-       Zum Weiterlesen:
                           los. In Oberösterreich waren 5.946 Personen seit       Tamesberger, D./Theurl, S. (2019):
                           einem Jahr oder länger auf Arbeitssuche, das ist ein   Mit einer Jobgarantie die Knappheit an
                           Plus von 62% gegenüber dem Vorjahr.                    Arbeitsplätzen bekämpfen, unter:
                                                                                  http://bit.do/beschaeftigungslosigkeit01
                           Psychosoziale und ökonomische Vorteile
                           Eine Jobgarantie ist eine so einfache wie elegante     Picek, O. (2020): Eine Jobgarantie für Österreichs
                           Lösung für Arbeitslosigkeit: Es werden öffentliche     Langzeitarbeitslose, unter:
                           und gemeinnützige Arbeitsplätze finanziert (ähn-       http://bit.do/beschaeftigungslosigkeit02

                           WIEVIELE LANGZEITBESCHÄFTIGUNGSLOSE GIBT ES IN ÖSTERREICH?

                                   SEPTEMBER 2019                                                                    SEPTEMBER 2020
                                       94.210                                                                        120.516
                                                                           +28 %
                                                                                                                                      Quelle: AMS, 2020

20   |   Faktencheck
BESCHÄFTIGUNG
Arbeitszeitverkürzung

Weniger Arbeit, mehr Leben
Seit 1950 ist die Arbeitszeit nur leicht gesunken –
obwohl wir siebenmal so produktiv sind.                         5 €/h     1950                                                          48 h

                                         15 €/h                           1975                                             40 h

                    25 €/h                                                1995                                                    41 h

 35 €/h                                                                   2015                                                      43 h

                                                                                                                                               Quelle: ÖNB, WKO
                                      PRODUKTIVITÄT                                                   ARBEITSZEIT
                                   Wieviel wir pro Stunde leisten.                    Anzahl der Stunden, die wir pro Woche arbeiten.

Durch das Krisen-Instrument „Kurzarbeit“ wurde                          Die Reduktion der Arbeitszeit auf 30 Stunden bei
die Debatte um eine generelle Verkürzung der Ar-                        vollem Lohnausgleich hat auch die Suche nach ge-
beitszeit wieder laut. Seit 1950 hat sich die Produkti-                 eigneten Fachkräften erleichtert. Das Unternehmen
vität der Arbeit versiebenfacht. Gleichzeitig sank die                  verzeichnet neben höherer Zufriedenheit der Arbeit-
durchschnittliche Arbeitszeit seit 1950 nur bis in die                  nehmerInnen auch wirtschaftliche Erfolge.
1970er Jahre. Danach stieg sie wieder leicht an. Die
ÖsterreicherInnen arbeiten im Schnitt 43 Stunden in                     Arbeit umverteilen
der Woche, das ist das zweithöchste Wochenstunden-                      Eine generelle Arbeitszeitverkürzung trägt zur
volumen in der EU. Nur in Griechenland wird mehr                        Linderung der aktuell grassierenden Arbeitslosig-
gearbeitet. Von der ArbeitgeberInnenseite wird Ar-                      keit bei und hilft bei der Neuverteilung von Arbeit.
beitszeitverkürzung aber oft als standortschädlich                      Nicht nur für Menschen in Vollzeitarbeit hat eine
abgelehnt. Dabei zeigt die voestalpine in Linz wie es                   Verkürzung der Arbeitszeit Vorteile, auch für Men-
geht: Dort arbeiten 1.000 Beschäftigte seit der Stahl-                  schen in Teilzeitarbeit bringt es eine effektive Lohn-
krise 2008 in einem Fünfschicht-Modell nur 34 Stun-                     erhöhung. All diese Aspekte tragen zur Zufrieden-
den. Diese Umstellung brachte 55 freie Tage mehr im                     heit und Produktivität der ArbeitnehmerInnen bei,
Jahr und trug wesentlich zur Zufriedenheit der Mit-                     was sich wiederum, wie wir am Beispiel eMagnetix
arbeiterInnen und zur Verbesserung des Betriebs-                        sehen können, positiv auf die Geschäftseinnahmen
klimas bei. Anfangs hatte dies 3,58 % Lohneinbußen                      der Unternehmen auswirkt.
vom Bruttolohn zur Folge. Die ersten zwei Jahre
wurde die Hälfte des Verdienstentgangs vom Arbeits-                     WUSSTEST DU SCHON?
marktservice ersetzt, dann sprang der Konzern ein,                      Laut einer Umfrage von karriere.at befürwortet jede/r
bis der Kollektivvertrag wieder den ursprünglichen                      zweite ArbeiternehmerIn eine 30-Stunden Woche, nur je-
Wert erreicht hatte. Das neue Modell schuf zusätzlich                   de/r fünfte ist für die Beibehaltung der 40-Stunden Woche.
neue Arbeitsplätze. Ähnlich bei dem Online-Marke-                       Überraschend: 60 % der befragten ArbeitgeberInnen sind
ting Unternehmen eMagnetix aus Bad Leonfelden:                          für eine 30-Stunden Woche.

                                                                                                                                                                  Faktencheck | 21
BESCHÄFTIGUNG

                           WIE VIEL VERDIENEN MENSCHEN IN SYSTEMERHALTENDEN BERUFEN?

                                 1.836 €                                                          Mediannettoeinkommen 1.680 €
                                                         1.610 €
                                                                                 1.518 €
                                                                                                               1.258 €
                                                                                                                                     1.107 €

                                                                                                                                                   Quelle: SORA, 2020
                              BERUFSFAHRER/       KINDERGARTENPÄDAGOGIN/      ALTENPFLEGE UND                KASSIERERIN/        REINIGUNGSKRAFT
                               LIEFERDIENST          KINDERBETREUUNG       BEHINDERTENBETREUUNG            REGALBETREUERIN

                           Systemrelevante Berufe

                           Bessere Löhne statt Applaus
                           Die Corona-Krise hat Frauen besonders getroffen:           Im Handel sind es 7 %. Zu Arbeitsverhältnissen mit
                           Sie machen 85 % aller Beschäftigten aus, die durch         einem geringen Stundenausmaß kommt zusätzlich
                           den ersten Corona-Lockdown ihre Arbeit verloren            noch ein sehr geringer Stundenlohn. Eine Reini-
                           haben. Im September 2020 suchten österreichweit            gungskraft erhielt 2020 1.107 Euro netto für Voll-
                           162.445 Frauen nach Arbeit. Und das obwohl in den          zeitarbeit, eine KassiererIn oder RegalbetreuerIn im
                           systemrelevanten Berufen, die das Land am Laufen           Einzelhandel bekommt im Durchschnitt 1.258 Euro.
                           gehalten haben, mehr Frauen als Männer arbeiten.           Jobs, die sich während und nach dem Lockdown als
                           KassiererInnen und RegalbetreuerInnen sind zu              systemrelevant erwiesen haben, müssen deutlich
                           über drei Viertel weiblich, dasselbe gilt für Reini-       besser entlohnt bzw. generell neu bewertet werden.
                           gungskräfte oder medizinisches Assistenzperso-             Hier geht es nicht nur um Wertschätzung für diese
                           nal. Auch Behinderten- und AltenpflegerInnen sind          wichtigen Tätigkeiten, sondern auch darum, dass
                           meist Frauen. KindergartenpädagogInnen sind zu             prekäre Arbeit und ihre Entlohnung auf die gesam-
                           88 % weiblich und LehrerInnen zu 58 %. Nur in der          te Lohnentwicklung drückt. Altersarmut beson-
                           öffentlichen Sicherheit, bei den BerufsfahrerInnen         ders bei Frauen kann so verhindert werden.
                           und Lieferdiensten sind 85-91 % Männer.

                           Systemrelevante NiedrigverdienerInnen                      Zum Weiterlesen:
                           Der Anteil an Menschen mit Migrationshinter-               Schönherr, D./Zandonella, M. (2020): Arbeitsbe-
                           grund liegt in der Reinigungsbranche bei 56 % und          dingungen und Berufsprestige von Beschäftigten
                           bei 22 % unter den Kassa- und Verkaufskräften. 14 %        in systemrelevanten Berufen in Österreich, unter:
                           der Reinigungskräfte sind geringfügig angestellt.          http://bit.do/systemrelevant

22   |   Faktencheck
BESCHÄFTIGUNG
Arbeit und Gesundheit

Gesundheit ist das höchste Gut
Die Zahl der Arbeitsunfälle ist in den vergangenen           das Coronavirus machen. Gleichzeitig waren es
Jahrzehnten deutlich zurückgegangen, 2018 gab                diese ArbeitnehmerInnen, die kaum ins Home-Of-
es 110.000 Unfälle und 148 Tote. Dennoch gibt es             fice wechseln konnten. Ein Drittel fühlte sich nicht
noch genügend Branchen und Berufe, in denen                  ausreichend vor einer Ansteckung geschützt. 31 %
unter widrigen und gefährlichen Bedingungen ge-              mussten zur Arbeit gehen, obwohl sie sich vor ei-
arbeitet werden muss. 2020 fühlten sich Beschäf-             ner Ansteckung fürchteten. Weitere 31 % mussten
tigte, besonders in Handwerksberufen oder am                 Überstunden machen und 25 % wollten sich frei-
Bau sowie in den Fabriken, durch Unfall- und Ver-            nehmen, aber durften nicht. Arbeitsbedingungen,
letzungsgefahr belastet. Aber auch Beschäftigte              die krank machen, sind nicht akzeptabel. Die Frei-
im Handel und PflegerInnen klagen über Gefähr-               stellung der “Risikogruppen” sollte auch für Men-
dungen im Beruf. In all diesen Branchen müssen               schen gelten, die Kinder oder Angehörige haben,
Beschäftigte häufig Überstunden leisten, an den              die besonders durch das Coronavirus bedroht
Wochenenden oder in der Nacht arbeiten. Mehr                 sind. Zusätzlich müssen Überstunden durch län-
als die Hälfte klagt über Zeitdruck und fast zwei            gere Ruhephasen ausgeglichen werden. Eine all-
Drittel über schlechte Gesundheitsbedingungen.               gemeine Arbeitszeitverkürzung mit Personalaus-
Vier von zehn Befragten halten es für unwahr-                gleich verringert nicht nur das Arbeitsvolumen,
scheinlich, im derzeitigen Beruf bis zur Pension             sondern reduziert auch Unfälle am Arbeitsplatz
durchzuhalten.                                               durch Unachtsamkeit oder Zeitdruck.

Neue Gefahr durch Corona
Beschäftigte in gefährlichen Berufsbranchen zie-                WUSSTEST DU SCHON?
hen sich häufiger chronische Vorerkrankungen                    Regelmäßig 10 statt 8 Stunden arbeiten, erhöht das Unfall-
der Atemwege zu oder leiden an Bluthochdruck.                   risiko um 80 %. Und das nicht nur bei der Arbeit selbst, son-
Alles Krankheiten, die sie zur Risikogruppe für                 dern besonders für PendlerInnen auch auf dem Arbeitsweg.

WIE WAR DIE SITUATION GEFÄHRLICHER BERUFE IN DER CORONA-KRISE                                        Gefährliche Berufe
                                                                                                     Andere

   30 %

   25 %
                                                                                                                          Quelle: AKOÖ, Arbeitsklimaindex 2/2020

   20 %

   15 %

   10 %

   5%

   0%
               „Ich wollte freinehmen,     „Ich musste Überstunden machen.“        „Ich musste zur Arbeit gehen, obwohl
                  durfte aber nicht.“                                             ich eine Ansteckung befürchtet habe.“

                                                                                                                                                                   Faktencheck | 23
BESCHÄFTIGUNG

                           Prekäre Arbeit

                           Instabile Beschäftigung
                           drückt die Löhne
                           WIE INSTABILE BESCHÄFTIGUNG ZU EINKOMMENSVERLUSTEN FÜHRT

                                                                                      3,42 %
                                                           2,82 %                              2,78 %              2,8 %                      2,46 % 2,27 % 2,37 % 2,86 % 2,43 %
                           Zweijahres-   1,73 %   2,01 %            1,86 %   1,72 %                     2,24 %              1,93 %                                                       1,71 %
                           betrachtung                                                                                               0,85 %

                                                                                      0,83 %   1,27 %              0,24 %                                       0,36 % 0,61 %   0,47 %

                             Gesamt-

                                                                                                                                                                                                   Quelle: HFCS, 2014
                           betrachtung   -0,89 % -0,31 % -0,04 % -0,87 % -0,74 %                        -0,51 %                               -0,29 % -0,44 %                            -0,21 %
                                                                                                                            -1,46 % -1,90 %

                                          2001    2002     2003     2004     2005     2006     2007     2008       2009      2010     2011     2012    2013     2014    2015    2016      2017

                           In den letzten Jahrzehnten kam es zu einer ver-                                        gewachsen. Die Realeinkommen aller Erwerbs-
                           stärkten Trennung des Arbeitsmarkts in sichere                                         tätigen, also inklusive der instabil Beschäftigten,
                           gut bezahlte und unsichere meist schlecht be-                                          sind in den meisten Jahren gesunken, geringe
                           zahlte Jobs. Der Anteil der ArbeitnehmerInnen in                                       Zuwächse gab es nur in einzelnen Jahren. Das
                           zeitlich befristeten Arbeitsverhältnissen ist seit                                     liegt daran, dass instabil Beschäftigte von der
                           der Jahrtausendwende gewachsen. Im Gegenzug                                            kollektivvertraglichen Lohnsteigerung oft ausge-
                           sank die Zahl der Beschäftigten in Vollzeitarbeits-                                    schlossen bleiben. Es braucht also arbeitsmarkt-
                           verhältnissen zwischen 2000 und 2017 um 13 %                                           politische Maßnahmen zur Förderung stabiler
                           auf 71 %. Rund ein Drittel der unselbständig Be-                                       Beschäftigung sowie verstärkte Kontrollen und
                           schäftigten ist nicht mehr im gesamten Kalen-                                          Strafen bei Sozialdumping.
                           derjahr angestellt. Gerade im Tourismus und in
                           der Baubranche sind solch instabile Beschäfti-
                           gungsverhältnisse zur Normalität geworden.
                                                                                                                   WUSSTEST DU SCHON?
                           Stabile Beschäftigung ausweiten                                                         Wirtschaftskrisen führen zu instabilen Beschäftigungsver-
                           Dies drückt auch auf die Lohnentwicklung in                                             hältnissen. Nach der Finanzkrise 2009 wurden 60.000 Voll-
                           Österreich. Die Realeinkommen der durchgän-                                             zeitstellen abgebaut. 2013 war der Anstieg der Teilzeitstellen
                           gig Beschäftigten sind von 2000 bis 2017 jährlich                                       doppelt so hoch wie bei Vollzeitstellen.

24   |   Faktencheck
BESCHÄFTIGUNG
Gleichbehandlung

Gleicher Lohn für
gleiche Arbeit
In Österreich sind es immer noch die Frauen, die den     machen, um die Lohnschere zwischen Männern und
Großteil der unbezahlten Kinderbetreuungs- und           Frauen endlich zu schließen.
Pflegearbeit leisten. Das zwingt viele Frauen zur
Reduktion ihrer Arbeitszeit. Fehlende Ganztagsbe-        Zum Weiterlesen:
treuung in Schulen und Kindergärten, sowie ver-          Hehenberger, A./Muckenhuber, M. (2020):
altete Rollenzuschreibungen tun dazu ihr Übriges.        Corona-Herbst & Kinder: Frauen nicht wieder
Frauen sind überdurchschnittlich oft in Branchen         alleine lassen, Policy Brief 16/2020, unter:
tätig, die gar keine Vollzeitarbeitsplätze anbieten      http://bit.do/gleichbehandlung01
oder hohe Teilzeitquoten haben. Auch deshalb hat
Österreich mit 48 % die zweithöchste Teilzeitquote       Redaktion Kontrast (2019): So hat es das kleine
in der Europäischen Union. Die dadurch entstehen-        Island geschafft, dass Frauen und Männer gleich
den Einkommensunterschiede verfestigen sich über         viel verdienen, unter:
die Zeit. Im Durchschnitt verliert eine Frau, die die    http://bit.do/gleichbehandlung02
Kinderbetreuung übernimmt, bis zu 4.440 Euro im
Jahr. Das führt auch zu niedrigen Pensionen und Al-
tersarmut.                                                 LINKTIPP:
Ungleiche Bezahlung ist aber nicht alleine durch           Alle Zahlen zur Gleichstellung auf einen Blick unter:
Teilzeitmodelle zu erklären. In Oberösterreich ver-        ronja-verdient-mehr.at
dienen Frauen in Vollzeitstellen 2020 im Jahr durch-
schnittlich 12.500 Euro weniger als Männer, die so-
                                                         WIEVIEL WENIGER VERDIENEN FRAUEN ALS MÄNNER?
mit bereits nach 279 Tagen so viel verdient haben, wie
Frauen im ganzen Jahr. Oberösterreich liegt damit
wesentlich über dem österreichischen Durchschnitt
                                                                                  Vorarlberg 27 %
bei ungleichen Gehältern. Österreichweit verdienen
Frauen 10.273 Euro weniger als Männer.                                         Oberösterreich 23,8 %

                                                                                  Salzburg 22,2 %
Isländisches Modell als Vorbild
                                                                                    Tirol 22,1 %
Seit Jänner 2019 gilt in Island ein Gesetz, das Unter-
nehmen verbietet Frauen und Männer für gleiche                                   Steiermark 20,7 %
Arbeit ungleich zu bezahlen. Unternehmen sind                                 Niederösterreich 19,9 %
hierbei in der Bringschuld und müssen faire Bezah-
                                                                                                                   Quelle: AK OÖ, Frauenmonitor, 2020

                                                                                Österreich 19,3 %
lung dokumentieren, sonst drohen Sanktionen. Die
in Island verpflichtenden Einkommensberichte ent-                                Burgenland 19 %
halten auch einen Maßnahmenplan, wie strukturel-                                   Kärnten 19 %
le und finanzielle Unterschiede ausgeglichen wer-
                                                                                    Wien 13,7 %
den. Dieses Modell muss auch in Österreich Schule

                                                                                                                                                        Faktencheck | 25
Kinderbetreuung

                       Familie und Beruf müssen
           BILDUNG

                       vereinbar sein
                       Kinderbetreuung und Job unter einen Hut zu bekom-                                            en. Traditionelle Rollenbilder sind in Österreich
                       men stellt für viele Familien ein immer größeres Pro-                                        nach wie vor fest verankert: Väter bleiben nach
                       blem dar. 38 % aller erwerbstätigen Mütter und 37 %                                          der Geburt von Kindern eher ohne Unterbrechung
                       aller Väter geben an, Schwierigkeiten bei der Verein-                                        und Reduktion der Erwerbsarbeit im Beruf. Rund
                       barkeit von Beruf und Kinderbetreuungspflichten zu                                           38 % der Frauen geben die Kinderbetreuung als
                       haben. Vollzeittaugliche Kinderbetreuung mit Öff-                                            Hauptgrund für ein Teilzeitarbeitsverhältnis an,
                       nungszeiten von mindestens 45 Stunden, sowie tägli-                                          bei den Männern hingegen sind es nur 5 %.
                       chen Öffnungszeiten von 9,5 Stunden an mindestens                                            Ein Ausbau der vollzeittauglichen Kinderbe-
                       vier Tagen finden sich selten außerhalb Wiens. Auch                                          treuung ist also mehr als notwendig und muss
                       maximale Schließzeiten von fünf Wochen im Jahr                                               schnellstmöglich auf Gemeinde- und Landes-
                       gibt es kaum. Oberösterreich hat mit 4,1 % die nied-                                         ebene angegangen werden, auch im Sinne der
                       rigste Dichte an vollzeittauglicher Kinderbetreuung                                          Bildungsgerechtigkeit. Ebenso braucht es einen
                       für unter Dreijährige und liegt mit 23,6 % am dritt-                                         Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungs-
                       letzten Platz bei der Ganztagsbetreuung von Drei-                                            platz ab dem zweiten Lebensjahr.
                       bis Sechsjährigen.
                                                                                                                      WUSSTEST DU SCHON?
                       Frauen verringern eher die Arbeitszeit als Männer                                              In Dänemark waren im Jahr 2019 rund 66 % aller Kinder
                       Die fehlenden Einrichtungen zur Betreuung von                                                  unter drei Jahren in einer öffentlichen Betreuungsein-
                       Kindern wirken sich wiederum auf die Arbeits-                                                  richtung. In Österreich hingegen waren es nur knapp
                       verhältnisse aus, insbesondere auf die der Frau-                                               23 % aller Kinder.

                       WELCHES BUNDESLAND HAT DIE BESTE KINDERBETREUUNG?                                                                                            VIF konforme Plätze für unter 3 Jährige
                                                                                                                                                                    VIF konforme Plätze für 3-6 Jährige

                           100
                                                                                                                                                                                              88 %
                           90
                           80
                           70
                           60
                           50
                                                                            40,6 %
                                                                                                                                                                                                         Quelle: AK OÖ, Frauenmonitor, 2018

                                                                                                                                                                              40,7 % 40,7 %
                           40
                                                                                                           32,9 %
                                                                                                                           29,7 %
                           30             23,6 %                                                                                         26,5 %            26,5 %
                                                           19,4 %                            19,3 %
                           20                                                                                       13 %            14,5 %        15,1 %             15,7 %
                                                   5,4 %            6,7 %            7,3 %            8%
                            10    4,1 %
                            0
                                 Oberösterreich Burgenland Steiermark Niederösterreich Salzburg                       Tirol         Vorarlberg     Kärnten           Österreich          Wien

26   |   Faktencheck
Gerechte Bildung

Mehr Chancen durch

                                                                                                                                                                            BILDUNG
Ganztagsschulen
Viele berufstätige Eltern wünschen sich ein be-       verbessern: am besten mit einem rechtlichen An-
darfsgerechtes schulisches Angebot für ihre Kin-      spruch auf den gebührenfreien Besuch einer Ganz-
der, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu       tagsschule und einer zusätzlichen Ausschüttung
können. Dennoch hält Oberösterreich an veralte-       von Landesmitteln, um die räumlichen und perso-
ten Formen der Halbtagsschule fest, obwohl inter-     nellen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.
national Ganztagsschulen längst zur Normalität
geworden sind. Für individualisierten Unterricht      Zum Weiterlesen:
und kindgerechte Lernformen mit individuellem,        AK OÖ (2019): Kinderbetreuung von A bis Z.
selbstständigem, kreativem und fächerübergrei-        Krabbelstube, Kindergarten, Hort und Ganztags-
fendem Lernen fehlt in der Halbtagsschule die Zeit.   schule, unter: http://bit.do/gerechte-bildung
In Ganztagsschulen hingegen wird die Vorausset-
zung für ein anderes Lernen geschaffen. Ganztags-
schulen arbeiten mit ganzheitlichen Konzepten, die
das Vor- und Nachmittagslernen mit Freizeitphasen
                                                      WIE GUT IST DIE KINDERBETREUUNG VON VOLKSSCHÜLERINNEN
verbinden. Das verbessert die Bildungschancen al-     IN OBERÖSTERREICHS GEMEINDEN?
ler Kinder und sorgt für mehr Bildungsgerechtig-
keit unabhängig von der Bildung der Eltern.

Gratis Ganztagsschule für alle
Der Kinderbetreuungsatlas der Arbeiterkammer
Oberösterreich zeigt, dass 35 % aller Volksschulen
nur die Hälfte der Kriterien der Ganztagsbetreu-
ung erfüllen. Darunter fallen Öffnungs-
zeiten von Montag bis Donnerstag mit
                                                                                                                              Quelle: AK OÖ, Kinderbetreuungsatlas, 2019

mindestens 4 Stunden am Nachmit-
tag, Angebot eines Mittagessens von
Montag bis Donnerstag, maximal vier
Wochen Schließzeit im Sommer und fünf Wochen
im Arbeitsjahr. Oberösterreich hinkt hier trotz
Anstiegs des Nachmittagsbetreuungsangebots an-
deren Bundesländern nach. Lediglich 1 % der 6- bis
14-jährigen besuchen eine „echte“ Ganztagsschu-
le, und oft gibt es diese Angebote nur für einzelne                      Gemeinden, die alle vier Kriterien erfüllen.
                                                                         Gemeinden, die drei der vier Kriterien erfüllen.
Schulklassen. Hier braucht es nachhaltigen politi-                       Gemeinden, die zwei der vier Kriterien erfüllen.
schen Willen, um die Vereinbarkeit von Beruf und                         Gemeinden, die eines der vier Kriterien erfüllen.
                                                                         Gemeinden, die kein einziges der geforderten vier Kriterien erfüllen.
Familie und die Bildungschancen aller Kinder zu                          keine Datenweitergabe erfolg

                                                                                                                                                                           Faktencheck | 27
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