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Festivals und regionale Entwicklung? Der Mehrwert von Kultur- und Musikfestivals für die Entwicklung des ländlichen Raums am Beispiel des Acoustic Lakeside Festivals in Kärnten Bachelorarbeit von Jasmin Zdovc
Technische Universität Wien Bachelorarbeit Festivals und regionale Entwicklung ? Der Mehrwert von Kultur- und Musikfestivals für die Entwicklung des ländlichen Raums am Beispiel des Acoustic Lakeside Festivals in Kärnten Rahmen Seminar zur Bachelorarbeit - Erfolgsstory Raumplanung SoSe2020 am Institut für Raumplanung im Forschungsbereich Regionalplanung und Regionalentwicklung der Fakultät für Architektur und Raumplanung Verfasserin Jasmin Zdovc 11701321 | 033 240 Hauptbetreuerin Univ.Prof.in Dipl.-Ing.in Sybilla Zech E280 - Forschungsbereich Regionalplanung und Regionalentwicklung weitere Betreuer*innen Univ.Ass. Dipl.-Ing.in Dr.techn. Petra Hirschler in E280 - Forschungsbereich Regionalplanung und Regionalentwicklung Univ.Ass. Dr.techn. Dipl.-Ing. Hartmut Dumke E280 - Forschungsbereich Regionalplanung und Regionalentwicklung Special Thanks to: Verein Acoustic Lakeside, Raphael Pleschounig und Peter Plaimer Wien, am 27.Juli 2020
Abstract Zeitgenössische kulturelle Initiativen wie Kultur- und Musikfestivals bieten neben dem vielseitigen Angebot auch Plattformen bzw. „Möglichkeitsräume“, um die Vernetzung und den Austausch unterschiedlicher Akteur*innen in einer Region zu bewirken. Vor allem in ländlichen Gebieten, abseits der Landeshauptstädte, hat die Arbeit von Kultur- initiativen viele positive Effekte für die Region und trägt zu einer nachhaltigen, langfristigen und kulturellen Regio- nalentwicklung bei. Vor dem Hintergrund steigender Abwanderungstendenzen junger Menschen aus ländlich geprägten Regionen wird die Attraktivierung und Stärkung des ländlichen Raums ein immer präsenteres Raumplanungsthema. Eine wichtige Rolle hierbei spielen kulturelle Entfaltungs- und Entwicklungsräume, die frische Impulse, gemeinschaftliches Schaf- fen und Selbstverwirklichung ermöglichen. Für junge Menschen sind deshalb genau diese Angebote und Räume der kulturellen Betätigung notwendig, um Perspektiven vor Ort zu entwickeln. Ein Kultur- oder Musikfestival wird für gewöhnlich nicht aus der formellen Raumplanung heraus initiiert und konzi- piert, dennoch kann es aber wesentlich zur Raumentwicklung beitragen und vor allem auf die regionale Dynamik einwirken. Der Erfolg und der Nutzen einer derartigen kulturellen Initiative ist für eine Gemeinde nicht primär über eine Umwegrentabilität abzulesen bzw. in Zahlen messbar, sondern besteht vielmehr aus langfristigen qualitativen und atmosphärischen Auswirkungen auf die gesamte Region. In meiner Arbeit möchte ich ebendiese positiven Effek- te eines Festivals aufzeigen. Das Acoustic Lakeside Festival in Südkärnten wird zu diesem Zweck als Fallbeispiel heran- gezogen. Es handelt sich um ein privat initiiertes, ehrenamtlich organisiertes Kultur- und Musikfestival in der ländlich geprägten Gemeinde Sittersdorf im Bezirk Völkermarkt. Aus einem Mix von Literaturrecherche, Interviews und Befragungen werden Rückschlüsse gezogen, Prozesse reflek- tiert und in Kontext gestellt. Darauf aufbauend lassen sich Handlungsempfehlungen und Orientierungshilfen für die Akteur*innen der räumlichen Entwicklung formulieren. Ziel ist es, die positiven Effekte einer solchen Veranstaltung auf die Entwicklung des ländlichen Raums in Zukunft noch besser nutzen zu können und Orientierungshilfen für zukünftige Prozesse aufzuzeigen. Den Begriff der Regionalentwicklung gilt es weiterzudenken und so ein breiteres Verständnis von Raumplanung zu generieren.
Inhalt Überlegungen, Forschungsfragen und Vorgehensweise 9 1.1 Ausgangslage 9 1.3 Erkenntnisinteresse und Ziele 11 1.4 Methodik und Vorgehensweise 12 Theoretische Einbettung 15 2.1 Raumverständnisse 15 2.2 Soziokulturelle Ziele der Raumplanung 15 2.4 Freie Kulturinitiativen in Kärnten 19 Das Acoustic Lakeside Festival 23 3.1 Räumlicher Kontext 23 3.2 Entstehungsgeschichte und Hintergrund 26 3.3 Der Austragungsstandort 30 3.4 Die Akteursstruktur 33 3.5 Bedeutung der Vereinsarbeit 40 Abkürzungs- und Siglenverzeichnis Resümee und Schlussfolgerungen 47 4.1 Der Mehrwert eines Kultur- und Musikfestivals für die Entwicklung km = Kilometer des ländlichen Raums 47 u.a. = unter anderem 4.2 Handlungsempfehlungen für die Akteur*innen der räumlichen udG. = und der Gleichen Entwicklung 50 z.B. = zum Beispiel 4.3 Reflexion und Ausblick 54 bzw. = beziehungsweise vgl. = vergleiche Verzeichnisse 57 etc. = et cetera et al. = und andere 5.1 Quellen 57 S. = Seite 5.2 Abbildungen 59 Der Genderstern * Das Symbol * inkludiert bei personenbezogenen Formulierungen neben dem männlichen und weiblichen Geschlecht auch Personen, die sich nicht in das heteronormale Geschlechtssystem einordnen lassen, wollen oder können. 7
Überlegungen, Forschungsfragen und Vorgehensweise 1.1 Ausgangslage Neben einem vielseitigen Angebot bieten zeitgenössische kulturelle Initiativen wie Kultur- und Musikfestivals auch Plattformen bzw. „Möglichkeitsräume“, um die Vernetzung und den Austausch unterschiedlicher Akteur*innen in einer Region zu ermöglichen. Vor allem in ländlichen Gebie- ten, abseits der Landeshauptstädte, hat die Arbeit von Kulturinitiativen viele positive Effekte für Regionen. Je nach Konzeption und Auslegung einer solcher Veranstaltung sowie den Zielen der Initiator*innen kann ein Festival maßgebliche Auswirkungen auf die Dynamik, Aktivierung und Entwicklung des ländlichen Raums haben – etwa durch das Spannen regionaler Netzwerke oder die kommunale Imagebildung, wodurch sich die Bürger*innen stärker mit ihrem Umfeld identifizieren. Die positiven Effekte von Festivals am Land und ihre langfristigen Auswirkungen auf den Raum 1 werden oftmals (noch) verkannt. Ortsentwicklung wird häufig nur als Entwicklung der baulichen und wirtschaftlichen Strukturen innerhalb einer Verwaltungseinheit gesehen, nicht aber als Entwicklung der Gesellschaft und der soziokulturellen Gegebenheiten in einem Gebiet. Der Erfolg und der Nutzen eines Kultur- und Musikfestivals ist für die Gemeinde nicht primär über eine Umwegrentabilität abzulesen beziehungsweise in Zahlen messbar, sondern besteht vielmehr aus langfristigen qualitati- ven Auswirkungen auf die gesamte Region. Eine objektive Bewertung ist deshalb meist nicht einfach und eine Überzeugung der politischen Entscheidungsträger*innen von der Chance, die solche Kultur- initiativen für den Ort und die Region mit sich bringen, oft schwierig (vgl. Riedelsberger 2017: 8-9). Die Abwanderung junger Menschen und die Überalterung der Gesellschaft ist eine unbestrittene Problematik vieler ländlich geprägter Gemeinden. Die aktuellen Bevölkerungsprognosen der Statis- tik Austria sind eindeutig: Österreich wächst, nur Kärnten nicht. Als einziges Bundesland verliert es Einwohner*innen. 2016 verließen 10.548 Personen Kärnten und zogen in ein anderes Bundesland. Die Mehrheit der Menschen, die wegziehen (rund 60%), ist jung und gebildet (vgl. Statistik Austria 2019a, eigene Berechnungen). Es wird vom sogenannten „Brain Drain“ gesprochen: Die Abwande- rung der überdurchschnittlich gebildeten Teile einer Bevölkerung. Zeitgenössische kulturelle Initiati- ven können auf mehreren Ebenen dazu beitragen, den ländlichen Raum weiterzuentwickeln und ihn auf diese Weise für junge Menschen attraktiver zu gestalten. 8 Festivals und regionale Entwicklung? 9
In der vorliegenden Bachelorarbeit soll deshalb der räumliche und soziokulturelle Mehrwert von Kultur- und Musikfestivals in ländlichen Gebieten untersucht und aufgezeigt werden. Der Fokus liegt 1.3 Erkenntnisinteresse und Ziele hierbei auf ehrenamtlich organisierten Festivals, mit der Fragestellung, in wieweit diese vernetzte Ziel dieser Arbeit ist es, am Beispiel des Acoustic Lakeside Festivals darzustellen, welche Rolle zeitge- und aktive Regionen entstehen lassen können und zur Entwicklung des ländlichen Raums beitragen. nössische, regionale Kulturarbeit abseits „traditioneller“ Vereine spielt und wie diese zur Entwicklung Anhand von einem Fallbeispiel – dem privat initiierten Acoustic Lakeside Festival in Kärnten – wird des ländlichen Raumes beitragen kann. Es gilt abzuschätzen, inwiefern solche Veranstaltungen in versucht, die Handlungsansätze sowie deren Impuls für die Orts- und Regionalentwicklung sichtbar Zukunft als Chance und Experimentierraum zur Förderung des Austausches regionaler Akteur*innen zu machen und zu reflektieren. genutzt werden können und dazu beitragen können, Werte wie Gemeinschaftlichkeit, Identität und Zusammenhalt in der regionalen Bevölkerung zu stärken. Aus der Beantwortung der Forschungsfragen soll Wissen, aber vor allem Verständnis für ähnliche 1.2 Hypothese und Forschungsfragen Prozesse in anderen ländlichen Regionen generiert werden. Aufgrund der Einzigartigkeit eines jeden Ausgehend von der Hypothese, dass der ländliche Raum durch Kulturinitiativen gestärkt und weiter- Festivals können keine allgemein gültigen Aussagen getroffen werden, allerdings können gewisse entwickelt wird, sowie den regionalen Zusammenhalt und das regionale Identitätsgefühl kräftigt, Handlungsempfehlungen, Hilfestellungen und Argumente aus der Aufarbeitung des Fallbeispieles wurden folgende Forschungsfragen formuliert: abgeleitet und formuliert werden. So wird den Akteur*innen der räumlichen Entwicklung ein Über- blick gegeben und neue Sichtweisen auf die Thematik aufgezeigt. → Welchen Mehrwert bringen Kultur- und Musikfestivals für die Entwicklung des ländlichen Ein weiteres Ziel meiner Arbeit ist die Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung für „gesellschaftli- Raums? In wieweit können diese vernetzte und aktive Regionen entstehen lassen? che Partizipation und Nachhaltigkeit jenseits von unmittelbar messbarem Profit“ (KUPF 2014: 1). Um eine nachhaltige kulturelle Entwicklung in ländlichen Gebieten zu ermöglichen, ist es notwendig, in → Welche Handlungsempfehlungen lassen sich für die Akteur*innen der räumlichen Entwick- der Politik und der Gesellschaft ein breiteres Verständnis von Raumplanung sowie Gemeinde- und lung formulieren? Regionalentwicklung zu erzeugen. Es ist essenziell Kultur und ihre Standorte in örtlichen sowie regionalen Entwicklungsstrategien mitzudenken, zu integrieren sowie Auswirkungen und Synergien Darauf aufbauend wurden folgende Fragestellungen am Fallbeispiel Acoustic Lakeside untersucht: zwischen den unterschiedlichen Planungsfeldern zu berücksichtigen. Die formulierten Handlungsempfehlungen sollen als Diskussionsimpuls für zukünftige Entwick- → Was war der Auslöser für die Initiierung des Festivals? Was will das Veranstaltungsteam durch lungen dienen, denn ich bin überzeugt, dass ein Entstehen, Erhalten und Weiterführen von die Veranstaltung in der Region erreichen? Kulturinitiativen mit regionalem Mehrwert nur durch einen konstruktiven Dialog zwischen allen Beteiligten - Organisator*innen, politischen Entscheidungsträger*innen und weiteren regionalen → Wie sieht das Netzwerk regionaler Akteur*innen aus, welches durch das Musikfestival entstan- Akteur*innen - möglich ist. den ist? Welche Bedeutung wird diesem Netzwerk in Bezug auf die regionale Entwicklung zugeschrieben? „Gute Konzepte und Ideen anzustoßen, innovative Impulse zu setzen, laufende Initiativen zu unterstützen → Welchen Stellenwert nimmt die Vereinsarbeit und die Möglichkeit zur aktiven Mitarbeit für und zu vernetzen sowie eine Schnittstelle für zukunftsfähige Entwicklungsprozesse zu bilden [...]. Wir brau- lokale und weggezogene Vereinsmitglieder ein? Was bedeutet das für die regionale Identität und chen einen offenen Dialog auf Augenhöhe, eine gelebte Verantwortungsgemeinschaft mit den Menschen im den regionalen Zusammenhalt? Land und eine ehrliche Kommunikation.“ (Wallner 2020) 10 Festivals und regionale Entwicklung? 11
1.4 Methodik und Vorgehensweise Ausgangslage meiner Arbeit ist die eigene Beteiligung an der Organisation und Durchführung eines Musikfestivals in Südkärnten. Mit der Raumplanung im Hinterkopf stelle ich mir die Frage nach den Auswirkungen derartiger Veranstaltungen auf den Austragungsstandort, die Region, die hier leben- den Menschen und ihre Entwicklung. Um die formulierten Forschungsfragen bestmöglich zu beantworten, wird ein Methoden-Set aus sozialwissenschaftlichen qualitativen und quantitativen Methoden sowie Methoden zur räumlichen Analyse angewendet: Zu Beginn werden unterschiedliche Verständnisse von Raum und die soziokul- turellen Ziele der Raumplanung aufgezeigt. Es folgt die theoretische Einbettung von freier Kultur- arbeit und der regionalen Entwicklung mithilfe von recherchierter Fachliteratur sowie ein Überblick der aktuellen Situation unabhängiger Kulturschaffender in Kärnten. Im nächsten Kapitel folgt eine Beschreibung der Gemeinde Sittersdorf und des Acoustic Lakeside Festivals, seine Entstehungsge- schichte sowie eine Charakterisierung und grafische Verortung des Austragungsstandortes. Als Ausgangspunkt der empirischen Auseinandersetzung mit der Thematik dient ein leitfaden- gestütztes Interview mit dem Initiator des Festivals, Raphael Pleschounig. Ein weiteres Experten- Interview mit dem LEADER- und Regionalmanager Peter Plaimer bringt zusätzliche Sichtweisen auf alternative Kulturarbeit im ländlichen Raum und dessen Mehrwert für die Regionalentwicklung ein. Das Netzwerk regionaler Akteur*innen, welches durch das Musikfestival in Kärnten entstanden ist, wird anhand mir vom Verein Acoustic Lakeside zur Verfügung gestellter Vereinsdaten in GIS aufbe- reitet und grafisch abgebildet. Durch den Vergleich mehrerer Jahre wird untersucht, ob sich die Anzahl der Vereinsmitglieder und der regionalen Kooperationspartner*innen räumlich verdichtet und ausgedehnt hat. Um den Stellenwert und die Effekte der Vereinsarbeit und der Möglichkeit zur aktiven Mitarbeit zu untersuchen, wurde eine Online-Umfrage über die Plattform SurveyMonkey an die rund 400 freiwilligen Helfer*innen des Festivals gesendet. Die Ergebnisse aus dem theoretischen und dem empirischen Teil werden in einem abschließenden Kapitel zusammengetragen und daraus Handlungsempfehlungen für die Akteur*innen der räum- lichen Entwicklung abgeleitet. 12 Festivals und regionale Entwicklung? 13
Theoretische Einbettung Dieses Kapitel bildet die theoretische Grundlage für das Aufzeigen des räumlichen und soziokultu- rellen Mehrwerts von Kultur- und Musikfestivals im ländlichen Raum. Der Erfolg bzw. die positiven Effekte von Festivals im ländlichen Raum sind großteils nicht quantitativ messbar. Es handelt sich vielmehr um langfristige, qualitative und atmosphärische Auswirkungen auf den Austragungsstand- ort, die Region und die ansässige Bevölkerung. Aus diesem Grund ist es zu Beginn wichtig, ein breite- res Verständnis von Raum und räumlicher Entwicklung zu generieren. Raum ist mehr als die bauliche und materielle Struktur eines Ortes. 2.1 Raumverständnisse Die wissenschaftliche Fachliteratur weist eine Vielzahl von unterschiedlichen Raumbegriffen auf. Die gängigsten sind derzeit die des physischen, relationalen und sozialen Raums. Je nach Planungs- absicht oder Forschungsinteresse kann sich ein*e Raumplaner*in unterschiedliche Raumbegriffe nutzbar machen, sie kombinieren und sie um eigene Theorien und Ansichten erweitern. 2 In der Stadt- und Raumsoziologie arbeiten die meisten Autor*innen heute nicht mehr mit der Annahme, dass Raum nur der materielle Hintergrund bzw. der erdgebundene Untergrund sozialer Prozesse sei. Der (physische) Naturraum ist und bleibt zwar die Grundlage sozialer Prozesse und ist Quelle und Rohstoff. Vielmehr aber wird der Raum selbst als Produkt sozialer Konstitution begriffen. Einerseits wird er durch die Gesellschaft strukturiert und laufend verändert. Andererseits wirkt er selbst auch gesellschaftsstrukturierend (vgl. Löw et al. 2007: 51). Neben dem Begriff der „Zeit“, welcher die Organisation des Nacheinanders meint, beschreibt der Begriff des „Raums“ die Organisationsform des Nebeneinanders. Räume werden dem zu Folge durch die Relation zwischen gleichzeitigen Platzierungen (auch im Sinne von Gebautem, Gewachsenem, etc.) definiert. „Nicht das Objekt ist Raum, sondern Raum spannt sich zwischen Objekten auf“ (Löw et 1 al. 2007: 51). Diese Objekte können entweder primär1 materielle (z.B. Tische, Stühle oder Häuser) „primär“ deutet darauf hin, dass soziale Güter oder primär symbolische Güter (z.B. Lieder, Werte oder Vorschriften) sein. Da erst die miteinander niemals nur materiell oder symbolisch sind, verknüpften sozialen Güter und Menschen zum Raum werden, spricht man von einem relationalen sondern je nach Situa- tion eine Komponente Raumbegriff (vgl. Löw 2001: 153-156). Die deutsche Soziologin Martina Löw bringt in diesem Zusam- stärker ausgeprägt ist menhang das Beispiel einer Diskothek, die zu unterschiedlichen Räumen wird, abhängig davon, ob tanzende Menschen anwesend sind oder ob es sich um eine leere Halle handelt (vgl. Löw 2001: 155). 14 Festivals und regionale Entwicklung? 15
Der französische Soziologe und Sozialphilosoph Pierre Bourdieu beschäftigte sich mit der engen beschränken. Eine kulturelle Benachteiligung ländlicher Räume hat gravierende negative Konse- Verknüpfung von Struktur und Handeln. Er geht von der Grundannahme aus, dass Strukturen erst quenzen fürs Land, denn je stärker sich kulturelles sowie geistiges Kapital in den Städten konzent- durch die handelnden Menschen geschaffen werden und diese sie auch aufrechterhalten und weiter- riert, desto mehr junge, gut gebildete und kreative Menschen wandern aus ländlichen Regionen ab. entwickeln. Die Existenz von Strukturen sei also keinesfalls vom Menschen unabhängig. Sozialer Dem Land fehlt in weiterer Folge genau dieses kreative Potenzial für seine kulturelle und wirtschaft- Raum ist für Bourdieu eine relationale (An)Ordnung von Personen oder Personengruppen in ständi- liche Weiterentwicklung. Kunst und Kreativität sind demzufolge erfolgsentscheidend für regionale ger Bewegung. Sozialer Raum sei demnach ein Raum der Beziehungen. Die Personengruppen unter- Identität, Arbeit, Wertschöpfung und Attraktivität für Zuzug (vgl. Pröll 2007: 125). scheiden sich aufgrund unterschiedlicher Verfügungsmöglichkeiten über ökonomisches, soziales Im Masterplan für den ländlichen Raum listet das Bundesministerium für Land- Und Forstwirtschaft, und kulturelles Kapital (vgl. Bourdieu 1991). Umwelt und Wasserwirtschaft Ziele für eine gezielte Förderung von kulturellem Kapital am Land auf: Auch die Theorie von Christopher Dell erscheint für ein breiteres Raumverständnis hilfreich. → kulturelle Chancengleichheit für den ländlichen Raum schaffen Dieser interpretiert Raum - ähnliche wie Henri Lefebvre - als Produkt von handelnden Personen. Er → Kreativität und Kultur am Land strukturell stärken beschreibt einen „performativen Raum“ als alternatives bzw. erweiterndes Konzept für die Orts- und 1 Performanz kann → Plattformen für regionales Kulturschaffen etablieren hierbei grob als Raumentwicklung. In seinem Artikel „Die Performanz1 des Raumes“ definiert er Raum als Wechsel- „Handlung“ über- → regionale Kulturstrategien entwickeln und umsetzen wirkung aus Gebautem, Improvisation und handelndem Subjekt (vgl. Dell 2007: 136-137). Diese setzt werden → Kreativität von Kindern gezielt fördern (Pröll 2007: 125) Annahme bedeutet, dass Raum immer eine Improvisation, ein Handeln von Akteur*innen benötigt, um als solcher wahrgenommen zu werden. Demnach ist der Stadt- und Ortsraum immer „in einen Des Weiteren wird im Bericht das Ehrenamt als unverzichtbarer Beitrag für das Zusammenleben prozessualen Kontext eingebettet, der nicht als Objekt, als abgeschlossenes Produkt interpretiert hervorgehoben. Landeshauptmann-Stellvertreter von Tirol, Josef Geisler, beschreibt das freiwillige werden kann, sondern als performative Praktik verstanden werden muss“ (Dell 2007: 136). Engagement als Grundlage für eine funktionierende Sozialinfrastruktur sowie die Erhaltung der Lebensqualität am Land. In diesem Sinne stellen nutzungsoffene (Frei)Flächen einen Möglichkeitsraum dar. Einen Raum, der Entfaltungsmöglichkeit in einer - meist stark - nutzungsdominierten Raumverteilung bietet. „Die Vereine sind das Rückgrat einer lebendigen Bürgergesellschaft, die hinschaut und nicht wegschaut, um Herausforderungen zu bewältigen.“ (Geisler 2007: 77) 2.2 Soziokulturelle Ziele der Raumplanung Das - in Österreich stark ausgeprägte - Ehrenamt und die lebendige Vereinsleben sollen deshalb auch in Zukunft gestärkt werden und Unternehmen, öffentliche Verwaltung, Schulen und Hoch- Die Bedeutung von Kultur in der Raumplanung und -entwicklung ist unumstritten. Im Folgenden schulen freiwilliges Engagement ermöglichen und wertschätzen. Ein genannter Maßnahmenvor- werden die soziokulturellen Ziele der Raumplanung aus den verschiedenen räumlichen Ebenen und schlag ist die kostenfreie Bereitstellung von gemeindeeigenen Anlagen für Vereine (vgl. Geisler einigen wichtigen Planungsinstrumenten zusammengetragen. Im Kärntner Raumordnungsgesetz 2007: 78). Ein weiterer Vorschlag ist der Aufbau regionaler „Ehrenamtsbörsen“. Diese sollen zur ist der Begriff der Raumplanung wie folgt definiert: besseren Vernetzung der Vereine beitragen. Terminkoordinierung, Zusammenführung von freiwil- ligen Helfer*innen, Nutzung der örtlichen Raum- und Infrastruktur sind hierbei genannte Stichwör- „Raumordnung ist die vorausschauende planmäßige Gestaltung des Gesamtraumes und der Teilräume des ter (vgl. Geisler 2007: 79). Landes zur Gewährleistung der bestmöglichen Nutzung und Sicherung des Lebensraumes im Interesse des Gemeinwohles unter Bedachtnahme auf die natürlichen und historisch gewachsenen Gegebenheiten, die Die freie Kulturinitiative des Acoustic Lakeside Festivals verbindet zeitgenössische Kunst und Kultur ökologischen Erfordernisse, die abschätzbaren wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der im ländlichen Raum mit dem ehrenamtlichen Engagement der Menschen aus der Region. Im Kultur- Bevölkerung sowie die freie Entfaltung des einzelnen in der Gemeinschaft.“ (Art. 1 Abs 1 K-ROG) verein beteiligen sich rund 400 Menschen freiwillig und unentgeltlich an der Organisation und der Durchführung des jährlich stattfindenden Festivals. Außerdem wird dem Festivalgelände, dem Kultur und Kreativität sind Schlüsselfaktoren für eine individuelle, gesellschaftliche und wirt- Seeareal in der Gemeinde Sittersdorf, durch die Nutzung und Bespielung der - unterm Jahr großteils schaftliche Entwicklung am Land. Das Kulturgut ist deshalb auch unverzichtbar für Regionen und brachliegenden - Flächen eine neue, temporäre Bedeutung verliehen. Beide Aspekte sind ganz im ihre Zukunft. Kulturelle Angebote dürfen sich deshalb keinesfalls nur auf urbane Ballungsräume Sinne einer nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raums. 16 Festivals und regionale Entwicklung? 17
2.3 Freie Kulturarbeit und regionale Entwicklung entsteht und von der Bevölkerung getragen wird, verstanden werden. Deren „Kräfte [strahlen] in die Gesellschaft hinein[...] und [führen] zu nachhaltigem Wandel“ (Zembylas und Lang 2009, zit. nach „Die kreativen Potenziale unserer Regionen sind gerade im modernen Informationszeitalter erfolgsent- KUPF OÖ 2014: 1). Darauf aufbauend listet die Kulturplattform OÖ sechs wesentliche Aspekte auf, die scheidend: Wissen lässt sich von überall abrufen, Kreativität hingegen nicht. Sie muss sich vor Ort entwickeln Kulturinitiativen in ländlichen Gebieten zur regionalen Entwicklung beitragen: können.“ (Pröll 2017: 125) → Kultur als lokales Bindemittel zwischen den Menschen: Kulturarbeit bietet die Möglichkeit zur Vor dem Hintergrund der Globalisierung gilt das Feld der Kulturarbeit und der Kreativität zuneh- aktiven Mitarbeit und Teilhabe an der Gemeinschaft und trägt so zu einem gut funktionierenden mend als „zivilgesellschaftliches Labor für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft“ (KUPF OÖ Gemeinwesen bei. Außerdem stimmt sie mit den „Bottom-Up“-Ansprüchen einer partizipativen 2014: 1). Es bietet Raum zum Experimentieren für gemeinschaftlich verwendete Ressourcen, inter- Regionalentwicklung (siehe Agenda21 etc.) überein. disziplinäre Projekte oder einen spielerischen Zugang zu einem guten und nachhaltigen Leben vor → Kulturarbeit stärkt die lokale, zwischenmenschliche Kommunikation und das Miteinander Ort. Kulturplattformen und Interessensgemeinschaften setzen sich für ein Kulturverständnis ein, das verschiedener Bevölkerungsgruppen. Sie begünstigt somit das Gefühl für wechselseitige Verant- einen „Möglichkeitsraum“ im Sinne der regionalen kulturellen Vielfalt aufspannt (vgl. Unesco 2007). wortung und Zusammengehörigkeit. Dieses beinhaltet auch das Bewusstmachen des Mehrwerts gesellschaftlicher Partizipation abseits von unmittelbar messbaren Erträgen. Ökonomische Wertschöpfung oder Rentabilität von Kultur- → Kulturarbeit besetzt Räume, setzt diese instand und pflegt sie. Dies können Leerstände, arbeit ist keinesfalls fundamental, aber nicht ausgeschlossen (vgl. KUPF OÖ 2014: 1). schlecht genutzte öffentliche Plätze oder normalerweise nicht bewusst wahrgenommene Orte sein. Die Intention ist ein möglichst offener Zugang für viele Menschen sowie ein öffentlicher Die Definition der freien Kulturarbeit umfasst all jene Personen, die in regionale und urbane künst- Gestaltungsprozess. lerische oder kulturelle Prozesse eingebunden sind und zeitgenössische Kunst und Kultur vermitteln und ermöglichen. Kulturarbeit meint also nicht nur künstlerisch Tätige wie Musiker*innen, Schau- → Regionale Kulturarbeit schafft eine dezentrale kulturelle Nahversorgung, vor allem dort, wo spieler*innen oder Autor*innen, sondern alle, die für die Umsetzung einer Kulturveranstaltung nötig ursprüngliche soziale Knotenpunkte wegbrechen und kommerzielle oder touristische Veranstal- sind. Dazu zählen u.a. Kurator*innen, Regisseur*innen aber auch organisatorische und administrati- tungen nicht rentabel sind. ve Kräfte sowie Selbstständige in der Technik, Grafik und Öffentlichkeitsarbeit (vgl. IG KiKK: 32). → Physische Räume und Kulturhäuser mit zeitgenössischer Nutzung und Experimentiermöglich- In der Regel sind Kulturinitiativen als gemeinnütziger Verein organisiert. Diese arbeiten selbst- keiten sind wesentliche Anker- und Bezugspunkte für junge Menschen in den Regionen. Die bestimmt und kontinuierlich im Bereich der zeitgenössischen Kulturvermittlung und -produktion. Bedeutung solcher „Inseln der Urbanität“ nimmt vor dem Hintergrund der ländlichen Abwande- Anders als etablierte Kulturinitiativen ist die freie Kulturarbeit unabhängig von Gebietskörperschaf- rungstendenzen stark zu. Sie bieten die Chance einer nachhaltigen Attraktivierung der Region ten, Parteien, Kammern und Religionsgemeinschaften. Ein weiteres Kernkriterium ist der partizipa- für junge Menschen. tive und emanzipatorische Ansatz: die flexible Arbeitsstruktur ist demokratiepolitisch und von einer → Kulturarbeit schafft kreativen Boden, der sich als besonders fruchtbar und innovativ erweist - flachen Hierarchie gekennzeichnet und auf aktive Teilnahme der Akteur*innen ausgelegt. Speziell in auch für politische und wirtschaftliche Entwicklungen (vgl. KUPF OÖ 2014: 1-2). Kärnten - vor dem Hintergrund der Minderheit der Kärntner Slowen*innen - liefern viele Kulturinitia- tiven zudem einen wichtigen Beitrag zur Zweisprachigkeit und zum interkulturellen Dialog (vgl. IG KiKK: 9). Durch das Mitwirken der ansässigen Bevölkerung sind freie Kulturinitiativen meist regional 2.4 Freie Kulturinitiativen in Kärnten gut verankert und wirken gesellschaftsverändernd. Das Land Kärnten weist eine vielfältige und lebendige Szene freier Kulturinitiativen auf. Deren Freie Kulturinitiativen zählen in der Regel zu den „kleineren Playern“ (IG KiKK: 10) im Kunst-und Bedeutung liegt zum einen in ihrer Funktion als Akteurinnen und Impulsgeberinnen des zeitgenös- Kulturbereich, wodurch ihr Output, aber auch ihre Bedürfnisse und Ansprüche von der breiten sischen Kulturschaffens. Zum anderen verleiten sie zu Reflexion und Diskurs im gesellschaftlichen Öffentlichkeit oft übersehen werden. Und das obwohl die Arbeit von Kulturinitiativen und Kultur- Zusammenleben. Eine im Frühjahr 2020 veröffentlichte Erhebung der Interessensgemeinschaft der schaffenden vor allem in der Entwicklung ländlich geprägter Regionen maßgebliche gesellschaft- Kulturinitiativen in Kärnten/Koroška (kurz IG KiKK) gibt einen Überblick über die IST-Situation der liche Auswirkungen hat. Kulturarbeit kann als Entwicklungsprozess, welcher durch Beteiligung 18 Festivals und regionale Entwicklung? 19
unabhängigen Kärntner Kulturlandschaft. Die Auswertung bietet sowohl Einblick in die Arbeitsbe- Überall dort, wo eine Kulturinitiative die benötigte Infrastruktur zur Verfügung hat, potenziert sich dingungen als auch in die Leistungen der freien Kulturszene. Von 115 Initiativen, die von der IG KiKK die Kulturarbeit und es ergeben sich Synergien für neue Ideen, Initiativen und Wirtschaftsunterneh- kontaktiert wurden, nahmen 80 Kulturinitiativen an der Befragung teil. mungen. So wirken Kulturinitiativen identitätsstiftend für eine ganze Region. Wo diese Infrastruktur und nutzbare Räume über mehrere Jahre sichergestellt sind, kann eine kontinuierliche Entwicklung Die Ergebnisse zeigen, dass die freien Kulturinitiativen mit über 4.750 Veranstaltungen, welche von stattfinden (vgl. IG KiKK: 68). über 350.000 Personen besucht wurden, ein unübersehbarer Faktor in der Kärntner Kulturlandschaft sind. An der Befragung haben 80 Initiativen teilgenommen, wovon 54% ihren Sitz in Klagenfurt Die Bedeutung von freien Kulturinitiativen für die regionale Entwicklung beschreibt Regional- und oder Villach haben. Das Verhältnis zwischen urbaner und ländlicher freier Kulturarbeit ist also recht LEADER-Manager Peter Plaimer im Gespräch eindrücklich anhand eines Beispiels aus der Region: ausgewogen. Betrachtet man indes die regionale Streuung der kontaktierten Kulturinitiativen (siehe „Wenn man sich anschaut, was über Kulturinitiativen alles möglich ist und welche Befruchtung dadurch in Abb. 2.1), fällt die räumliche Konzentration in den zweisprachigen Gemeinden in Unterkärnten wie einer Region passieren kann, brauch‘ ich gar nicht weit weg zu gehen, sondern bleib‘ in der Region und schau beispielsweise Bleiburg, Eisenkappel oder Feistritz im Rosental auf (vgl. IG KiKK). Richtung Bleiburg. Sie haben sich als ein Kulturhotspot in Kärnten etabliert. Und das sehr konsequent. Sie haben eine gelebte Gesellschaft, die von der Kultur getragen wird. Das hat es zu einem sehr runden Bild Salzburg Steiermarkt gemacht. Sie schafft unglaubliche regionale Identität. Und das kann Kultur schaffen, wenn sie von einer kritischen Masse, von Meinungsbildnern getragen wird.“ (Plaimer, Interview, 27.05.2020) Die Förderung und Vermittlung zeitgenössischer Kunst und Kultur trägt demzufolge zu einer entsprechenden Standortbestimmung und Bewußtseinsbildung bei. Der Ausbau einer regionalen, überregionalen und internationalen Vernetzung von Kulturinitiativen sowie die Beteiligung am Osttirol kulturpolitischen Diskurs fördert die Sensibilisierung, geistige Öffnung und die Toleranz der Gesell- schaft (vgl. Unikum). ITALIEN SLOWENIEN Abb. 2.1: Regionale Streuung der Kulturinitiativen in Kärnten Eines der erhobenen Problemfelder stellt die Raumsituation der Kulturschaffenden dar. Oft werden private (Wohn)Räume als Büro oder Lager genutzt und es fehlen Werkstätten, Probe- und Gruppen- räume. Über 40% der Kulturinitiativen geben einen Bedarf an Veranstaltungsräumen an. So werden immer wieder - auch aus konzeptionellen Gründen - interessante temporäre Spielstätten wie der öffentliche Raum oder Leerstände genutzt. Nachhaltigkeit, Sichtbarkeit, Publikumsreichweite und Identitätsstiftung von Kulturinitiativen stehen allerdings in direktem Zusammenhang mit einer konkreten Verortung (vgl. IG KiKK 2019: 36). „Freie Kulturarbeit in Kärnten/Koroška braucht ‚RAUM‘!“ (IG KiKK 2019: 38) 20 Festivals und regionale Entwicklung? 21
Das Acoustic Lakeside Festival Das Acoustic Lakeside ist ein gemeinnützig organisiertes Kultur- und Musikfestival, welches seit 2006 jährlich im Juli in der ländlich geprägten Gemeinde Sittersdorf in Kärnten stattfindet. 3.1 Räumlicher Kontext Um den räumlichen Kontext des Fallbeispiels aufzuzeigen, erfolgt in diesem Kapitel eine Beschrei- bung der Region, in welcher das Musikfestival stattfindet sowie ihrer Besonderheiten und soziokul- turellen Gegebenheiten. Steiermarkt Salzburg St. Veit Wolfsberg 3 Spittal Osttirol Feldkirchen Villach Land Klagenfurt Völkermarkt Hermagor Villach Klagenfurt ITALIEN Land LEADER-Region SLOWENIEN Unterkärnten Abb. 3.1: Die Lage im Raum Gemeinde Sittersdorf Aus Sicht der Raumgliederungssystematik liegt die Gemeinde Sittersdorf in der LEADER-Region Regionalkooperation Unterkärnten. Diese wird durch die politischen Bezirke Wolfsberg und Völker- markt sowie durch den südlichen Abschnitt des politischen Bezirkes Klagenfurt-Land und zwei Gemeinden des politischen Bezirkes Villach-Land gebildet. Die Region erstreckt sich über eine Gesamtfläche von 2.375km² und bietet rund 126.000 Menschen einen Lebensraum (vgl. Plaimer, Reiner und Schönherr 2018: 1-2). Zur LEADER-Region haben sich drei Teilregionen zusammenge- schlossen, darunter der Verein Regionalentwicklung Südkärnten. Dieser stimmt mit den administra- tiven Grenzen des Bezirks Völkermarkt überein (in der Abb. 3.1. weiß strichliert dargestellt). 22 Festivals und regionale Entwicklung? 23
Die Region grenzt direkt an ähnlich geprägte Lebensräume in Slowenien. Daraus leitet sich die Basis- strategie ab, die Region als attraktiven Lebens- und Wirtschaftsraum im Schnittpunkt dreier Kulturen zu positionieren und aufzuwerten. Dies soll durch einen verstärkten Aufbau von sektorenübergrei- Völkermarkt fenden, innerregionalen sowie grenzüberschreitenden Kooperationen erreicht werden (vgl. Plaimer et al. 2018) Die aktuelle Lokale Entwicklungsstrategie der LAG Regionalkooperation Unterkärnten 2014 – 2020 läuft unter dem Titel Die Region der Generationen. Vor dem Hintergrund der steigenden Abwanderung junger Leute und der Überalterung der Bevölkerung setzt das Regionalmanagement Klagenfurt auf die Aufwertung der Lebensqualität von Jung und Alt sowie einem partizipativem Miteinander Kühnsdorf in der Region. Im südlichen Teil der Region ist die Minderheit der Kärntner Slowen*innen ansässig, wodurch das Gebiet zweisprachig und kulturell sehr vielfältig ist. Neben slowenischen Theatergrup- Klopeiner See Eberndorf pen gibt es eine Vielzahl an traditionellen Vereinen, Brauchtumsgruppen, Chören, freien Kulturini- tiativen udG (siehe Kapitel 2.4). Bleiburg Die Tourismusregion Klopeinersee-Südkärnten gilt als die südlichste Urlaubsregion Österreichs. Insgesamt sieben Seen befinden sich in diesem Gebiet. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts stieg der Drau Fremdenverkehr rund um den Klopeiner See, einem der wärmsten Badeseen Österreichs. Ab dieser Zeit erlebte die Region einen konstanten wirtschaftlichen Aufschwung (vgl. Tourismusregion Klopei- Sittersdorf nersee-Südkärnten). Das Österreichische Institut für Raumplanung (ÖIR) führte im Jahr 2007 die Ferlach Gemeinde St. Kanzian am Klopeinersee als viert wichtigste Sommer-Tourismusgemeinde an - nach Wien, Salzburg und Mittelberg (vgl. ÖIR 2008: 14). Der Tourismus prägte die regionale Wirtschafts- struktur und -entwicklung und gilt auch heute noch als wichtige Erwerbsquelle für die Bevölkerung. Allerdings verzeichnete die Region Südkärnten ein leichtes Nächtigungsminus in den meisten Gemeinden. In den letzten Jahrzehnten wurde wenig in Renovierung und Modernisierung der Beher- Eisenkappel SLOWENIEN 5 km N bergungsbetriebe investiert, wodurch die Attraktivität der Urlaubsregion gesunken ist. Abb. 3.2: Regionaler Kontext Umso wichtiger für die Region ist es, ein Angebot an zeitgenössischer Kultur und „jungen“ Veranstal- tungen zu bieten, wodurch das Image, das viele Menschen von Kärnten haben, wieder aufgebrochen werden kann. Junge Menschen werden durch kulturelle Initiativen wie bspw. den Verein Acoustic Die Gemeinde Sittersdorf liegt im Bezirk Völkermarkt südlich der Drau, nur 11 km Luftlinie entfernt Lakeside wieder auf die Region und ihre naturräumlichen sowie touristischen Qualitäten aufmerk- von der slowenischen Grenze. Mit Stand 1. Jänner 2018 zählte sie 2.011 Einwohner*innen. Das durch- sam. Auf diese Weise werden neue Besuchergruppen für Kärnten angesprochen. Das Musikfestival schnittliche Bevölkerungswachstum der letzten zehn Jahr beträgt -0,57% (vgl. Statistik Austria kombiniert die ländliche Idylle mit einem zeitgenössischem musikalischen Angebot, welches für 2019b, eigene Berechnungen). Die Gemeindefläche misst 44,95 km², davon sind rund 65% Wälder gewöhnlich nur in urbanen Großstädten zu finden ist. Dadurch entsteht in den Köpfen der Menschen sowie 28,5% landwirtschaftliche Nutzflächen (vgl. Statistik Austria 2019c). Aufgrund der Nähe zu das Bild einer aufgeschlossenen und modernen Region. den umliegenden Tourismusgemeinden St. Kanzian am Klopeiner See und Eberndorf besitzt der Tourismus in der Gemeinde Sittersdorf eine eher untergeordnete Rolle. Im Jahr 2018 wurden 5.334 „Das ist das, was das Salz in der Suppe ist in einer Region. Das macht so etwas lebenswert...oder lebenswer- Übernachtungen verzeichnet, weniger als die Hälfte als noch im Jahr 2009 (vgl. Statistik Austria 2018, ter. Spannender!“ (Plaimer, Interview, 27.05.2020) eigene Berechnungen). Die Gemeinde zählt 18 Vereine - darunter auch der Verein Acoustic Lakeside Vor allem bei den Jungen bleibt und wächst die Verbundenheit zur Region durch Kultur- und Musik- (vgl. Gemeindehomepage Sittersdorf: Unsere Vereine). veranstaltungen im ländlichen Raum anhaltend. 24 Festivals und regionale Entwicklung? 25
3.2 Entstehungsgeschichte und Hintergrund In den ersten Jahren wurde das Festival von den Mitgliedern der Band organisiert, aber mit den steigen- den Besucher*innenzahlen wurde auch der Organisationsaufwand und somit die Anzahl der ehrenamt- ... zum Festival am See Die Entstehung des Acoustic Lakeside Festivals kann als typischer Bottom-Up-Prozess angesehen lichen Helfer*innen in der Organisation und der Abwicklung der Veranstaltung immer größer. Um diese werden. Die Veranstaltung ist aus dem Bedürfnis der Jugend entstanden, auch im ländlichen Raum - Entwicklung zu bündeln wurde 2010 der gemeinnützige Verein Acoustic Lakeside gegründet. Dieser abseits der Landeshauptstädte - nicht nur mit traditioneller, sondern auch mit zeitgenössischer Kultur besteht aus knapp 400 Ehrenamtlichen. Viele davon leben in der Region bzw. sind hier aufgewachsen versorgt zu werden. (siehe Kapitel 3.4). Mit ungefähr 60 Besucher*innen fand das erste Acoustic Lakeside im August 2006 als akustisches Mittlerweile hat sich das Acoustic Lakeside Festival als eines der bekanntesten „kleinen“ Festivals in Konzert am Sonnegger See in Sittersorf statt. Organisiert wurde es von einer Gruppe Jugendlicher aus Österreich etabliert. Jährlich kommen rund 4.000 Besucher*innen aus ganz Österreich und den Nach- der Region, die gemeinsam in der im Jahr davor gegründeten sechsköpfigen Indie-Pop-Band Sauer barländern an den Sonnegger See und werden 3 Tage lang mit regionaler, nationaler und internationaler Vom Konzert unter spielten (vgl. Kowal 2011). Aus Unzufriedenheit über das Angebot kultureller Veranstaltungen abseits Musik, literarischen Lesungen, morgendlichem Yoga und 2018 erstmals sogar mit einer ornithologischen Freunden.... traditioneller Volksfeste und Mangel an Möglichkeiten, als Band in ihren Heimatgemeinden aufzutre- Vogelexkursion versorgt. Ein starker Fokus liegt mittlerweile auch auf Familien mit Kindern, denn - wie ten, entwickelte die Freundesgruppe den Wunsch, „was anderes zu machen, als es halt sonst so am Land die Veranstaltung selbst - wird auch das „Stammpublikum“ älter. gibt“ (Pleschounig, Interview, 26.05.2020). Im ersten Jahr teilte sich Sauer die Bühne mit zwei weiteren Finanziert wird das Festival zum größten Teil durch die Einnahmen des Ticketverkaufs. Weitere Einkünf- befreundeten Bands aus der Region. Schon bereits im Folgejahr spielten unter anderem die Musiker te bringen Gastronomie, Sponsoring sowie Merchandising. Auf diese Weise finanziert sich der Kultur- Oliver Welter und Herwig Fuzzman Zamernik von der Klagenfurter Band Naked Lunch am Sonnegger verein selbst und macht mittlerweile sogar wirtschaftlichen Gewinn. Weiter wachsen soll das Festival See. Die Idee, regionalen Künstler*innen eine Bühne zu bieten, die sie sich mit internationalen Bands allerdings nicht: das erwirtschaftete Geld soll so eingesetzt werden, dass es dem Vereinszweck dient - es teilen, kam in der kärntnerischen Kulturszene sehr gut an und erfuhr reges Interesse. soll Kultur gefördert werden. Dies kann durch die Weiterentwicklung der Veranstaltungsstätte erfolgen oder durch Investition des Geldes in Bildungseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen, um den Musikunterricht aufzuwerten (vgl. Zechner und Grössing 2019). Abb. 3.3: Veranstaltungsplakat 2006 Abb. 3.4: Festivalbühne 2007 Abb. 3.5: Festivalgelände Abb. 3.6: Campfire-Bühne 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 26 Festivals und regionale Entwicklung? 27
Im Juli 2019 fand - das erste mal seit 13 Jahren - kein Festival am See statt. Die „Schaffenspause“ wollte Eines der Hauptziele des Vereins ist es, die Region zu gestalten und weiterzuentwickeln. Viele der das Organisationsteam nutzen, um das Festival gemeinsam mit den Grundstückseigentümern und der beteiligten Personen wollen an der Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensraums teilhaben, möch- Festivalabsage Die Ziele für Juli 2019 Gemeinde Sittersdorf langfristig auf sichere Beine zu stellen. Bei dem raschen Wachstum der Veranstal- ten aber nicht an die Orte ziehen, wo es die größte Entwicklung gibt - nämlich in die Städte. Die des Vereins tung sei auf die Weiterentwicklung des Austragungsstandortes vergessen worden. Das Festival hat über Menschen haben das Bedürfnis „Sachen weiterzubringen und nicht stehen zu bleiben, Sachen zu die Jahre eine Größe erreicht, bei der es notwendig erscheint, dass die Gemeinde über das Schaffen der hinterfragen und Neues zu kreieren. Weil die Zeit darf einfach nie stehen bleiben, wir leben zwar am Rahmenbedingungen hinaus mehr eingebunden ist.. Es bedarf einer gemeinsamen Strategie. Außer- Land, aber möchten uns natürlich trotzdem weiterentwickeln“ (Pleschounig, Interview, 26.05.2020). dem fehle auch das Verständnis, was das Festival für die regionale Entwicklung bedeutet (vgl. Zechner Das aktive Mitwirken im Verein Acoustic Lakeside gibt den Menschen in der Region die Möglichkeit und Grössing 2019). Durch die einjährige Festival-Pause konnte das Bewusstsein wachsen, dass solche sich einzubringen, ihr Umfeld und somit auch sich selbst weiterzuentwickeln. Am Land kann ein Kulturinitiativen, die etwas Neues ausprobieren und deshalb „anders“ sind, einen wertvollen Beitrag Kulturverein als Anlaufstelle fungieren, um Projekte umzusetzen und sich auf diese Weise ein Stück zur Entwicklung des ländlichen Raumes leisten. Das muss auch von den zuständigen Gremien und der selbst zu verwirklichen. Das Veranstaltungsteam kann sich kulturpolitische Kompetenzen aneignen, Politik (an)erkannt werden. Wenn die notwendige breite Unterstützung fehlt, sind derart organisierte was nur durch Praxiserfahrung und das Ausprobieren verschiedener Optionen möglich ist. Auch der Veranstaltungen oftmals nur von kurzer Dauer. Aufbau wichtiger sozialer Netzwerke wäre ohne eine Plattform, wie sie eine freie Kulturinitiative Statt des Festivals organisierte der Kulturverein im Sommer 2019 das Fest unter Freunden, ein „Wander- schafft, nicht möglich. Durch die Arbeit im Rahmen des Festivals entsteht in der Region ein Pool an konzert“ zu bekannten, versteckten, romantischen, rohen, urbanen Plätzen im nahegelegenen Bleiburg. erfahrenen Leuten (langjährig Aktive im Kulturverein), die über Fachwissen verfügen, die gewis- Der Höhepunkt der Veranstaltung fand in der „Alten Meierei“ - einem ehemaligen Wirtschaftsgebäude - se Verfahrensabläufe sowie die örtlichen, personellen und politischen Gegebenheiten der Region statt. Durch die Veranstaltungen wurde eine alternative Nutzung des sanierungsbedürftigen Hofes kennen. Diese Personen können wiederum die jüngere Generation, die sich kulturell oder anderwei- aufgezeigt und ein atmosphärisch aufgeladener, urbaner - wenn auch nur temporärer - Raum geschaf- tig engagieren will, miteinbinden, fördern und unterstützen. Die größte Schwierigkeit besteht darin, fen. Dies zeigt Perspektiven auf und dient als Diskussionsimpuls für weitere Entwicklungen. dass die Organisation durch Amateur*innen erfolgt. Diese engagieren sich neben ihrem „norma- len“ Beruf ehrenamtlich in der Freizeit für den Verein. Das Überwinden von persönlichen Grenzen, In diesem Jahr, 2020, hätte das Festival wieder wie gewohnt am Sonnegger See stattfinden sollen, aller- Lösungsfindungen für unerwartete Probleme und das Treffen von Entscheidungen stellen hierbei die dings in einer etwas kleineren Form. Das Ticketkontingent wurde auf 2.500 Stück reduziert. Aufgrund größten Herausforderungen dar. Das Veranstaltungsteam trägt die Verantwortung für das Wohl der der Covid19-Pandemie und den damit einhergehenden Vorschriften der Bundesregierung wurde die rund 4.000 Gäste. Veranstaltung jedoch abgesagt. Ob es im Sommer 2021 wieder ein Acoustic Lakeside am See geben wird oder ob der Verein ein neues Projekt konzipieren und organisieren wird, ist noch offen. Die Kulturinitiative sorgt nicht nur für kulturelle Diversität in der Region, sondern möchte durch ihr Handeln auch das Bild, das viele vom Leben am Land haben, durchbrechen. Freie Kulturinitiativen bieten den Menschen experimentellen Raum für‘s Querdenken, für Diskussionen und können neben Feuerwehr, Landjugend, Blasmusik oder Schützenverein eine Anlaufstelle für junge Menschen im Die Vision ländlichen Raum sein. Der gemeinnützige Verein möchte in Zukunft für mehr als das Festival stehen: für Progressivität, Schaffensdrang und Modernität im ländlichen Raum und somit für eine nachhal- tige, langfristige Regionalentwicklung. Die Veranstalter*innen sehen sich als Verein verpflichtet, die Region und das Leben am Land weiterzuentwickeln und herauszufordern (vgl. Pleschounig, Inter- view, 26.05.2020). Abb. 3.7: Wanderkonzert in Bleiburg 2019 Abb. 3.8: Konzert in der „Alten Meierei“ in Bleiburg 2019 28 Festivals und regionale Entwicklung? 29
3.3 Der Austragungsstandort als „Grünland - Pflanzenschaugarten“ gewidmet sind (vgl. KAGIS 2020). Um das Grundstück weiter- hin für gemeinnützige Zwecke nutzen zu können, müsste es neu gewidmet werden. Die temporäre Die räumlichen Potenziale des Austragungsstandortes beeinflussen den Handlungsspielraum, aber Nutzung der Flächen als Festivalgelände verträgt sich nicht mit den gesetzlichen Bestimmungen vor allem die Atmosphäre von Veranstaltungen wie Kultur- und Musikfestivals, enorm. Durch die der Flächenwidmung. Für die Durchführung der Veranstaltung bekommt der Verein zwar jährlich temporäre Nutzung physischer Räume z.B. als Bühne oder Campingplatz können brach liegende alle benötigten Bescheinigungen der zuständigen Behörden, rechtlich gesehen bewegt sich der Flächen vorübergehend neu definiert und mit einer Bedeutung aufgeladen werden. Es entstehen Verein aber in einer Grauzone. Für das Wochenende werden teilweise lediglich mündliche Freigaben atmosphärische, temporäre Räume. Die Rahmenbedingungen dafür ergeben sich aus der räumli- ausgesprochen. chen und planungsrechtlichen Situation. Um als Kulturinitiative während der Festivaltage rechtlich besser abgesichert zu sein und das Das Gelände, auf dem des Acoustic Lakeside Festivals stattfindet, liegt unmittelbar am Sonnegger See Seeareal langfristig als Veranstaltungsstandort für die Region zu sichern, ist eine entsprechende in der Gemeinde Sittersdorf. Der Badesee wurde 1966 künstlich angelegt und misst eine Fläche von Umwidmung des Stellplatzes südlich des Sees notwendig. Denkbar wäre eine Grünlandwidmung mit 1,7 Hektar. Das Seeareal, auf dem sich ein gemeindeeigenes Strandbad mit der Widmung „Grünland - der Beifügung „Campingplatz“ oder „Vergnügungs- und Veranstaltungsstätte“. Bad“ befindet, ist im Besitz der Gemeinde. Die angrenzenden Wiesenflächen, welche während der Festivaltage als Campingplatz genutzt werden, gehören der katholischen Kirche, sind aber von der Gemeinde gepachtet. Bis 2013 war auf dem Areal ein Blumenpark beheimatet, weshalb die Flächen Liegewiese Festivalareal Sonnegger See temporäre Campingflächen Seegastronomie Abb. 3.10: Flächenwidmung des Seeareals Im Örtlichen Entwicklungskonzept vom 21.12.2018 wird das Seeareal als Eignungsstandort für Sport- und Freizeiteinrichtungen ausgewiesen. Ein formuliertes Ziel ist unter anderem die Profilfindung im Zusammenhang mit dem Tourismus. Das Gelände soll zum einen durch Angebote für Kinder- und Jugendgruppen (z.B. Jugendcamp, Pfadfinder, Kinderdorfcamp), zum anderen durch die Schaffung einer öffentlich zugänglichen Parkanlage für die örtliche Bevölkerung in Wert gesetzt werden. Durch langfristige Pachtverträge mit der katholischen Kirche sollen die Nutzungsabsichten der Gemeinde Abb. 3.9: Das Festivalgelände aus der Vogelperspektive gesichert werden (vgl. Kaufmann 2018). 30 Festivals und regionale Entwicklung? 31
Eine weitere Hürde ist die Ausstattung des Standortes mit technischer Infrastruktur. Zur Zeit ist der Kulturverein Acoustic Lakeside noch der einzige, der das Gelände am See für eine Veranstaltung 3.4 Die Akteursstruktur nutzt. Deshalb wird das Festivalgelände beziehungsweise die notwendige Infrastruktur jedes Jahr Privat organisierte Kultur- oder Musikfestivals sind hochgradig von den Netzwerken der Organi- von Grund auf neu aufgebaut. Tausende Meter Stromkabel müssen verlegt und zwei Wochen später sator*innen abhängig. Um zu gewährleisten, dass sich die Veranstaltung nicht in einer Fremddar- wieder ausgegraben werden. Für ehrenamtliche Mitglieder eines gemeinnützigen Vereins, die unent- stellung verliert, sondern die Identität des Ortes und der Region widerspiegelt, ist die Einbindung geltlich arbeiten und grundsätzlich für Entwicklung sorgen möchten, ist das natürlich entsprechend der lokalen und regionalen Akteur*innen unumgänglich. Durch die Kooperation mit der lokalen demotivierend. Kulturszene sowie weitere Institutionen wie der Landjugend oder örtlichen Landwirt*innen kann die regionale Identität in ihrer Vielfalt widergespiegelt werden. Wie bereits im Kapitel 3.2 kurz angeschnitten, waren die unklaren Pacht- und Nutzungsabsichten des Areals einer der Gründe für das Ausfallen der Veranstaltung im Juli 2019. Aber wie hätte das Die Gruppe der Akteur*innen umfasst sämtliche handelnde Personen, die Teil des Festivals sind. Ihre verhindert werden können? Und was hätte die Raumplanung dazu beitragen können? Wenn eine Funktionen sind vielschichtig und reichen von der Initiierung des Musikfestivals zur Bereitstellung Initiative wie der Verein Acoustic Lakeside über Jahre hinweg besteht und maßgeblich zur regionalen einer räumlichen Ressource über den Auf- und Abbau bis zur Teilnahme als Künstler*in an einem der Entwicklung beiträgt, ist eine zukunftsorientierte Zusammenarbeit mit der kommunalen oder sogar Programmpunkte: Initiator*innen und Organisator*innen, politische Entscheidungsträger*innen der regionalen Planungsebene unumgänglich. Die Gemeinde oder das Regionalmanagement kann und Grundstückseigentümer*innen, ehrenamtliche Vereinsmitglieder und freiwillige Helfer*innen, hierbei die Funktion übernehmen, derartige Impulse aus der Bevölkerung wahrzunehmen und zu (regionale) Kooperationspartner*innen, Künstler*innen, Anrainer*innen, Besucher*innen udG. Ein unterstützen. Damit sind primär nicht monetäre Förderungen, sondern ein gemeinsames Verständ- Entstehen, Erhalten und Weiterentwickeln von Kulturinitiativen mit positiven Effekten für die Region nis des Projekts, Wertschätzung und die Wahrnehmung des Mehrwerts gemeint. Eine gute Zusam- ist nur durch einen konstruktiven Dialog zwischen allen Beteiligten möglich. menarbeit mit der Gemeinde ist dann möglich, wenn alle handelnden Akteur*innen eine ähnliche Das Bilden von Netzwerken kann durchaus als wichtigster Entwicklungsparameter für eine Stadt Haltung vertreten und Unterstützer*innen unter der politischen Entscheidungsträger*innenschaft bzw. einen Ort gesehen werden. Es ist die Grundlage für das Entstehen innovativer Ideen oder inter- zu finden sind, wie etwa im Gemeinderat. Ziehen alle Akteur*innen am selben Strang, können Kräfte disziplinärer Projekte. Vereinsmitglieder, die aktiv und intensiv an der Organisation von Projekten gebündelt werden. Dies kann bei Veranstaltungen wie dem Acoustic Lakeside erprobt werden. Darauf des Vereins beteiligt sind, kommen mit einer Menge Leuten in Kontakt - auf politischer, wirtschaft- aufbauend können die Erfahrungen und Kompetenzen während des Jahres für eine langfristige licher und sozialer Ebene - und auf einmal öffnen sich Türen. Weiterführende Projektideen entstehen Entwicklungsplanung genutzt werden. oder es findet sich jemand, mit dem man sein Projekt umsetzen kann. Ein Verein kann aufgrund Die Weiterentwicklung der Veranstaltungsstätte über die Grenzen des Vereins hinweg gäbe anderen seines begrenzten Budgets meist keine neuen Arbeitsplätze in der Region schaffen, aber die Kulturinitiativen aus der Region ebenfalls die Möglichkeit, Konzerte udG. zu organisieren und auf Mitgliedschaft in einem Kulturverein und die aktive Kulturarbeit kann dennoch ein Ausgangspunkt diese Weise für mehr kulturelle Diversität im ländlichen Raum zu sorgen. Ein solcher Standort muss sein, sich zu vernetzen, selbstständig zu werden oder in einem Unternehmen in der Region einen aber auch betreut und Veranstaltungen koordiniert werden. Eine derartige Strategieentwicklung ist Arbeitsplatz zu finden. In den Augen des Festivalinitiators Raphael Pleschounig ist das Netzwerk der Aufgabe des Grundstückseigentümers des Seeareals, nämlich der Gemeinde Sittersdorf. Dies ist auch Akteur*innen mehr als lediglich eine Liste der Vereinsmitglieder: im Örtlichen Entwicklungskonzept bereits formuliert. „Du kannst einmal quer durch die Region fahren und in jeder Ortschaft stehenbleiben, und du weißt, da ist einer, der hat ähnliche Interessen wie ich und mit dem kann ich über gewisse Dinge reden. Das find‘ ich sehr wichtig für‘s Leben am Land.“ (Pleschounig, Interview, 26.05.2020) Die Menschen haben einen Ort in der Region - auch wenn dieser nicht dauerhaft räumlich gebunden ist,- wo sie wissen, dass es andere Menschen mit einer ähnlichen Lebenseinstellung gibt. Viele davon haben aufgrund ihres Studiums auch einen urbanen Hintergrund, schätzen aber trotzdem die länd- liche Heimat und wollen hier gewisse Interessen weiterverfolgen und aktiv am Entwicklungsprozess ihrer Region teilhaben. 32 Festivals und regionale Entwicklung? 33
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