Greifswalder Beiträge zur Hochschullehre - Hochschullehre im digitalen Zeitalter

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Greifswalder Beiträge zur Hochschullehre - Hochschullehre im digitalen Zeitalter
Greifswalder Beiträge zur Hochschullehre

                                                    Oktober 2020
                                                    Ausgabe 11
            Hochschullehre im digitalen Zeitalter

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Greifswalder Beiträge zur Hochschullehre - Hochschullehre im digitalen Zeitalter
Dieses Vorhaben wird aus Mitteln des Bundesministeriums
                             für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen
                             01PL17039 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt
                             dieser Veröffentlichung liegt beim Autor.

IMPRESSUM
Herausgeberin
Die Rektorin der Universität Greifswald

Redaktion
BMBF-Projekt interStudies_2 (Qualitätspakt Lehre)
Domstraße 58a in 17489 Greifswald
Erscheinungsweise jährlich
Erscheinungstermin Oktober 2020

Editorial & reviewer board
Prof. Dr. Konstanze Marx (Universität Greifswald)
Dr. Jana Kiesendahl (Universität Greifswald)
Swantje Borukhovich-Weis (Universität Duisburg)
Pauline Glawe (Universität Greifswald)
Jörg Hafer (Universität Potsdam)
Dr. Grzegorz Lisek (Universität Greifswald)
Dr. Martha Kuhnhenn (Universität Greifswald)
Dr. Michael Schöner (Universität Greifswald)
Ulrike Gochermann (Universität Greifswald)
Kristina Lisek (Universität Greifswald)

Layout & Gestaltung GRAF fisch
Cover Anja Richter
Druck Kiebu Druck, Greifswald

ISBN 978-3-86006-480-1

www.uni-greifswald.de/gbzh
Greifswalder Beiträge zur Hochschullehre - Hochschullehre im digitalen Zeitalter
Greifswalder Beiträge zur Hochschullehre
            Hochschullehre im digitalen Zeitalter
Greifswalder Beiträge zur Hochschullehre - Hochschullehre im digitalen Zeitalter
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INHALT
VORWORT ............................................................................................................................................................................... 7

GUTE PRAXIS
Das eTutor*innen-Programm als strategischer Baustein für digitale Hochschullehre
Dr. Jana Kiesendahl .............................................................................................................................................................. 9

Digitale Quellenarbeit – Das Projekt „Pommern und die Welt“
Hielke van Nieuwenhuize .................................................................................................................................................. 21

Implementierung und Evaluation von Simulationspatientenunterricht kombiniert
mit Lehrvideo im Querschnittsbereich Prävention und Gesundheitsförderung
Christina Raus ....................................................................................................................................................................... 31

ÜBER DEN RYCK GESCHAUT
Digitale Gestaltungsmöglichkeiten der Deutschdidaktik:
Ein Praxisbericht des Projektseminars „Social Media im Deutschunterricht“
Sarah Stumpf ........................................................................................................................................................................ 39

ELLI 2 – Mixed Reality-unterstütztes Stimmtraining für Lehrende
Kathrin Hohlbaum, Dr. Esther Borowski und Prof. Dr. Ingrid Isenhardt ............................................................... 53

Analytische Kurzfilme schneiden als Form digital gestützter Lehre und Forschung
Nora-Elisabeth Peters & Prof. Dr. Christopher Wallbaum ....................................................................................... 61

Personalisierbare Aufgaben und anonymer Peer Review
in den Grundlagen der Elektrotechnik
Mathias Magdowski ........................................................................................................................................................... 75

SERVICESEITEN .................................................................................................................................................................. 87

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS .......................................................................................................................................... 90

GREIFSWALDER BEITRÄGE ZUR HOCHSCHULLEHRE ............................................................................................. 91

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Greifswalder Beiträge zur Hochschullehre - Hochschullehre im digitalen Zeitalter
VORWORT
GREIFSWALDER BEITRÄGE ZUR HOCHSCHULLEHRE
Als wir 2019 die Jahrestagung des Projekts interStudies_2 unter dem Titel „UPtoDATE: Hochschullehre
im digitalen Zeitalter“ veranstalteten, konnten wir nicht im Geringsten ahnen, welche Wellen das Thema
digitale Lehre ein Jahr später schlagen würde.
Die Thematik als solche ist bereits seit einigen Jahren im Hochschulkontext präsent. Während sich man-
che eher punktuell an die Werkzeuge und Formen der digitalen Lehre herantasteten, verankerten andere
sie frühzeitig fest in ihre Entwicklungsstrategie. Im Jahr 2020 haben sich die Hochschulen aufgrund der
COVID19-Pandemie so intensiv wie nie zuvor mit der Digitalisierung auseinandersetzen müssen – inner-
halb kürzester Zeit wurde jede Menge geleistet. Und das Thema wird uns alle noch weiterhin beschäf-
tigen: Die rasante Entwicklung der Technik, Heterogenität der Lernenden und Profilanforderungen des
künftigen Berufslebens werden digitale Hochschullehre – ob als Äquivalent der Präsenzformate oder ihre
Ergänzung – kontinuierlich prägen.

In dieser Ausgabe der „Greifswalder Beiträge zur Hochschullehre“ freuen wir uns, eine Auswahl vor
allem praxisorientierter Beispiele präsentieren zu können. Dr. Jana Kiesendahl zeigt am Beispiel des
Greifswalder eTutor*innen-Programms, wie dieses in die Digitalisierungsstrategie der Hochschullehre
integriert werden kann. Im Mittelpunkt steht das Ziel, didaktische Kompetenzen bei Lehrenden und Stu-
dierenden bedarfsorientiert und gezielt zu erweitern. Durch die Wissensvermittlung und Bereitstellung
der Infrastruktur können digitale Lehrangebote nachhaltig in die Entwicklungsstrategie von Hochschulen
implementiert werden.
Hielke van Nieuwenhuize präsentiert die ersten Ergebnisse des Projekts „Pommern und die Welt“. Das
gleichnamige Hauptseminar am Historischen Institut der Universität Greifswald wurde konzipiert, um die
Kompetenzen der Studierenden bei der Quellenarbeit zu fördern. Dabei geht es insbesondere um Digita-
lisierung der noch analogen Quellen und deren mediengestützte, kritische Betrachtung.
Zur Unterstützung der Praxisphasen im Medizinstudium werden häufiger Simulationen eingesetzt. Chris-
tina Raus konzipierte und evaluierte einen solchen Simulationspatientenunterricht mit interaktiven Kom-
ponenten an der Universitätsmedizin Greifswald. Im Fokus der Lehrveranstaltung stand die Beratungs-
kompetenz der angehenden Mediziner*innen im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention.
Das Projekt „[D-3] Deutsch Didaktik Digital“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entwi-
ckelt, erprobt und evaluiert verschiedene Lehr-Lern-Szenarien. Sarah Stumpf nimmt hierfür als Beispiel
das Projektseminar „Social Media im Deutschunterricht“, in dem sowohl die Auseinandersetzung mit
digitalen Kompetenzen als auch deren Theorie-Praxis-Transfer im Schulalltag gefördert wird.
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Kathrin Hohlbaum und die beiden Koautorinnen stellen ein digital unterstütztes Stimmtraining für Lehren-
de an der RWTH Aachen vor. In Anlehnung an den erfahrungsbasierten Lernzyklus ermöglicht das MR-
Voice Lab eine realitätsnahe visuelle und akustische Simulation einer Seminar- oder Hörsaalumgebung,
um Lehrende auf den Einsatz ihrer Stimme zu sensibilisieren und diesen zu optimieren.

Dass Videos in der Lehre nicht nur für Rezeptionszwecke, sondern auch zur Reflexion in der Hochschul-
lehre eingesetzt werden können, zeigen Prof. Christopher Wallbaum und Nora-Elisabeth Peters anhand
analytischer Kurzfilme. Diese Methode stammt von der Hochschule für Musik und Theater Leipzig und
kann über den Musikunterricht hinaus auch in der Lehrer*innenbildung und Forschung Anwendung finden.

Mathias Magdowski hat an der Universität Magdeburg ein Konzept personalisierter Aufgaben mit an-
schließendem Peer-Review-Verfahren durch Kommiliton*innen konzipiert und erprobt. Das Ziel der Me-
thode ist ein zeitnahes, individuelles Feedback an Lernende zu frisch erworbenem Wissen. Dabei müssen
sich vor allem Studierende anhand von Musterlösungen gegenseitig bewerten. Die Übermittlung von
personalisierten Aufgaben, Lösungen und vom Feedback laufen in dieser Lehrveranstaltung völlig auto-
matisiert online ab.

Wir hoffen, dass diese Ausgabe Ihnen wieder Impulse für Ihre Lehre gibt und Sie zur Erprobung neuer
Formate motiviert. Nach elf Ausgaben, die im Rahmen des Greifswalder QPL-Projektes interStudies in
den Jahren 2013–2020 entstanden sind, möchten wir uns an dieser Stelle bei allen herzlich bedanken,
die als Autor*innen, Reviewer*innen und Leser*innen mitgewirkt haben.

Greifswald, im September 2020
Kristina Lisek und Prof. Dr. Steffen Fleßa
im Namen des Redaktionsteams

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GUTE PRAXIS
Foto: Universität Greifswald, Till Junker
Greifswalder Beiträge zur Hochschullehre - Hochschullehre im digitalen Zeitalter
DAS E-TUTOR*INNEN-PROGRAMM ALS STRATEGISCHER BAUSTEIN
FÜR DIGITALE HOCHSCHULLEHRE

                                                                                                                     Das eTutor*innen-Programm als strategischer Baustein für digitale Hochschullehre
DR. JANA KIESENDAHL (UNIVERSITÄT GREIFSWALD)

ABSTRACT
Die Digitalisierung in den Hochschulen verändert die Strukturen der Lehr- und Lernorganisation grundle-
gend. Neue didaktische Möglichkeiten der Wissensvermittlung gehen einher mit innovativen technischen
Werkzeugen (vgl. Hochschulforum Digitalisierung 2015, 9). Lehrende scheuen oftmals aber noch den Einsatz
digitaler Tools, zum einen, weil sie sich den technischen Herausforderungen nicht gewachsen sehen, zum
anderen, weil sie den zeitlichen Aufwand nicht leisten können, den die Konzeption von digitalen Lehr-
Lernformaten zweifelsohne mit sich bringt. Programme zur Ausbildung von eTutor*innen unterstützen hier
die Lehrenden maßgeblich, indem ihnen gut ausgebildete studentische Hilfskräfte an die Seite gestellt
werden, die einen Großteil der technischen und organisatorischen Aufgaben übernehmen. Dieser Beitrag
beschreibt detailliert Struktur und Ablauf des eTutor*innen-Programms der Universität Greifswald, angefan-
gen von der Rekrutierung und Finanzierung von eTutor*innen bis hin zu konkreten Schulungsbestandteilen
und didaktischen Formaten. Zudem wird der Einsatz solcher Programme als strategischer Baustein inner-
halb von Hochschulentwicklungskonzepten in den Blick genommen.

EINLEITUNG
Die Digitalisierung im Bildungssektor ist eine der      die mediendidaktische Ausbildung bei den Lehrperso-
großen Herausforderungen unserer Zeit. Viele Hoch-      nen oft nicht vorhanden ist oder Ängste bzgl. der tech-
schulen nutzen digitale Lehr-Lern-Formate für eine      nischen Bedienung von Hard- und Software bestehen.
verstärkte Ergänzung und Erweiterung klassischer        Es werden Weiterbildungsangebote in digitaler Lehre
Präsenzlehre und zunehmend werden digitale Me-          benötigt, da sich Lehrkonzepte der Präsenzlehre nicht
dien bei der Planung und Administration von Lernan-     1:1 auf Online-Lehre übertragen lassen. „Die digitale

                                                                                                                  GUTE PRAXIS
geboten ganz selbstverständlich integriert. Dennoch     Kompetenz der Lehrenden stellt in allen Bildungssek-
ist auch Zurückhaltung und Skepsis hinsichtlich des     toren die größte Herausforderung für die umfassende
Mehrwerts von digitaler Lehre spürbar. Wiederholt       Digitalisierung des Lernens dar.“ (Sammet/Wolf 2019,
wird festgestellt oder gar beklagt, dass der Zeitauf-   16) Dieser Herausforderung kann mit einem eTutor*in-
wand deutlich höher als für Präsenzformate ist, weil    nen-Programm begegnet werden, wie es von einigen
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Greifswalder Beiträge zur Hochschullehre - Hochschullehre im digitalen Zeitalter
Universitäten1 im Land bereits praktiziert wird. Struk- sche Aus- und Weiterbildung zu implementieren und
 turell und inhaltlich sind diese Programme durchaus sie damit als strategische Maßnahme von Digitalisie-
 verschieden angelegt, aber die Ausbildung von Perso- rungskonzepten an Hochschulen stark zu machen.
 nen für den Support in digitaler Lehre haben sie als
 Zweck gemeinsam.
                                                         2       DAS E-TUTOR*INNEN-PROGRAMM
 Das in diesem Artikel beschriebene eTutor*innen-                DER UNIVERSITÄT GREIFSWALD
 Programm ist Teil der Digitalisierungsstrategie der
 Universität Greifswald, wonach Lehrende und Stu- 2.1            AUSWAHL DER E-TUTOR*INNEN
 dierende mit didaktischen Kompetenzen in der digita-            UND PROGRAMMSTRUKTUR
 len Wissensvermittlung ausgestattet werden sollen. Das eTutor*innen-Programm ist eine Initiative
 eTutor*innen sind studentische Hilfskräfte, die mit des Bereichs „Digitalisierung in der Hochschul-
 einer mediendidaktischen Schulung dazu befähigt lehre“ und der „Hochschuldidaktik“ der Universität
 werden, Lehrende in der Konzeption, Beratung und Greifswald. Für ein Semester stehen die Hilfs-
 Pflege digitaler Lehr-Lernformate zu unterstützen. Die kräfte jeweils einer Lehrperson mit 15h/Monat zur
 Lehrperson erhält durch die enge Zusammenarbeit Verfügung. Idealerweise studieren die eTutor*in-
 mit dem*der eTutor*in Unterstützung bei der Umset- nen im gleichen Fach, in dem die Lehrperson tätig
 zung der digitalen Lehrformate und bekommt zugleich ist, um die digitalen Lernangebote auch fachlich
 einen guten Einblick in die Bedarfe der Studierenden. begleiten zu können.
„E-Tutoren nehmen in virtuellen Lernumgebungen
 einen großen Stellenwert für den Lernerfolg ein, da Zu den Aufgaben der eTutor*innen gehören neben
 sie das Lerngeschehen koordinieren, organisieren und dem technischen Support für Lehrende und Stu-
 für die inhaltliche, soziale und technische Unterstüt- dierende und der Beratung bei der Auswahl und
 zung der Lernenden verantwortlich sind“ (Gretsch/ Gestaltung von digitalen Lehr-Lernformaten vor
 Hense/Mandl 2010, 143). Damit sind eTutor*innen allem die Erstellung digitaler Inhalte, wobei die
 eine Schnittstelle zwischen Lehrenden und Studieren- didaktische Konzeption in der Verantwortung der
 den, weil sie für die jeweilige Lehrveranstaltung einen Lehrperson bleibt. eTutor*innen können hier al-
 technischen und ggf. didaktischen Support für Lehren- lenfalls Anregungen aus den mediendidaktischen
 de UND Studierende bieten.                              Schulungsinhalten geben. Sie sollten mit den
                                                         Merkmalen und Funktionalitäten der digitalen
 Dieser Beitrag verfolgt zwei Ziele: In einem ersten Tools vertraut sein und die technische Infrastruktur
Teil wird das Programm eingehend beschrieben, um des Lernmanagementsystems souverän beherr-
 einen Einblick in die strukturelle und inhaltliche Ver- schen. Zudem unterstützen sie die Lernprozesse
 ankerung zu gewähren und bestenfalls Anregungen auf motivationaler und sozialer Ebene, indem sie
 für die Implementierung ähnlicher Programme an an- durch geeignete Aufgabenstellungen und adäqua-
 deren Hochschulen zu liefern. Der zweite Teil dient te Kommunikation die Lernbereitschaft aufrecht-
 der Plausibilisierung und Ermunterung gleichermaßen, erhalten (vgl. Gretsch/Hense/Mandl 2010, 144).
 eTutor*innen-Programme fest in die hochschuldidakti- Auch die Koordination von Gruppenarbeiten gehört
Motive für ein Ehrenamt – Ein Service-Learning-Projekt der Greifswalder Kommunikationswissen-
zum Aufgabenfeld von eTutor*innen, indem sie z. B.                   Bereich digitale Lehre besonderes Gewicht beige-
die Einteilung in Gruppen vornehmen, Lernmateria-                    messen. Zudem wird eine gerechte Verteilung der

                                                                                                                          schaft mit dem Deutschen Roten Kreuz Kreisverband Ostvorpommern Greifswald e.V.
                                                                                                                                            Das eTutor*innen-Programm als strategischer Baustein für digitale Hochschullehre
lien bereitstellen oder Lern- und Gruppenprozesse                    Plätze in den verschiedenen Fakultäten angestrebt.
strukturieren (vgl. ebd., 145).                                      Im ersten Durchlauf (Februar–Juli 2020) haben wir
                                                                     zwölf eTutor*innen ausgebildet. Im zweiten Durch-
Die Rekrutierung der eTutor*innen erfolgt über                       lauf (September 2020–Februar 2021) können wir
eine Ausschreibung drei Monate vor dem Start der                     16 eTutor*innen schulen und betreuen.
Schulungsphase. Lehrende aller Fakultäten können                     Für die Finanzierung des eTutor*innen-Programms
sich mit ihrem Lehrkonzept bewerben und eine*n                       müssen Gelder für die Bezahlung der eTutor*innen,

                        1                             2                        3
                   Schulungsphase                     Praxisphase            Reflexionsphase
                   (5 Wochen, Blended-                (15 Wochen,            (Abschluss des
                   Learning-Format)                   Vorlesungszeit)        Programms mit Zertifikat)

Abbildung 1: Struktureller Aufbau des Programms (eigene Abbildung)

eTutor*in vorschlagen. Die Sichtung der Anträge                      Softwarelizenzen für den Videoschnitt sowie für
nimmt eine Auswahlkommission – bestehend aus                         externe Referent*innen bereitgestellt werden. Die
Akteur*innen der Hochschuldidaktik, der digitalen                    Kursleitung unterliegt der Verantwortung des Be-
Hochschullehre sowie der Studierendenschaft –                        reichs „Digitalisierung in der Hochschullehre“, so

                                                                                                                          GUTE PRAXIS
vor und bewertet diese hinsichtlich verschiedener                    dass hier keine zusätzlichen Personalkosten not-
Kriterien. Bei den Kriterien wird dem Innovations-                   wendig sind. Die eTutor*innen werden nach dem
grad des Lehrkonzepts, dem Zuschnitt auf das                         gültigen Stundensatz für studentische Hilfskräfte
Schulungsprogramm, der Nachhaltigkeit sowie                          bezahlt. An der Universität Greifswald konnten
dem Erfahrungshintergrund der Lehrperson im                          für das eTutor*innen-Programm Gelder aus dem
                                                                                                                                         11
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Hochschulpakt eingeworben werden. Darüber hi-           2.2.1 DIDAKTISCHE KONZEPTION
naus können – je nach Platzkapazität – Institute        Das Schulungsprogramm findet im Blended-Lear-
selbst finanzierte studentische Hilfskräfte in das      ning-Format statt, d. h. Präsenzsituationen und On-
Programm entsenden. Alternativ ist denkbar, dass        line-Lernumgebungen werden didaktisch produktiv
die Rektorate/Präsidien der Hochschulen Gelder          miteinander verbunden und bauen aufeinander
bereitstellen oder Mittel, die der Verbesserung         auf.3 Gestartet wird mit einer Präsenzveranstal-
von Studium und Lehre dienen (z. B. Wohnsitzprä-        tung von vier Stunden, die zugleich den Auftakt für
mie2), einwerben.                                       Modul I „Digitales Lehren und Lernen in der Hoch-
                                                        schule“ bildet. Der Präsenztag dient darüber hinaus
Die Programmstruktur setzt sich aus drei verschie-      dazu, dass sich die eTutor*innen untereinander
denen Arbeitsphasen zusammen, die jedoch nicht          kennenlernen, da die Arbeit in Gruppen während
streng chronologisch aufeinander folgen, sondern        der Online-Lernphasen ein zentraler didaktischer
mitunter zeitgleich ablaufen. Zunächst wird in          Baustein des Programms ist. Die Verbindlichkeit
einer Schulungsphase die theoretische Ausbildung        und Beteiligung innerhalb von Online-Gruppen-
der eTutor*innen durchgeführt. Daran schließt sich      arbeiten ist erfahrungsgemäß höher, wenn sich
die Praxisphase an, in der sie eine konkrete Lehr-      die Teilnehmer*innen bereits kennen und nicht in
person während der Vorlesungszeit unterstützen.         einer anonymen Gruppe aktiv werden müssen.
Parallel zu beiden Phasen und als Abschluss des         Dies wiederum erhöht den Lernerfolg (vgl. Weßels
Programms erfolgt die Reflexionsphase, in der so-       2020, 6). Zudem wird der in der Online-Lehre als
wohl die Schulungsinhalte als auch die Erfahrun-        nachteilig empfundenen fehlenden persönlichen
gen der praktischen Arbeit fortwährend von den          Nähe entgegengewirkt und die Grundlage für eine
eTutor*innen evaluiert werden.                         „vertrauensvolle Wohlfühlatmosphäre mit sozialer
                                                        Geborgenheit“ (ebd., 4) gelegt. An die Präsenzver-
Zum Ende des Semesters werden die Lehrenden             anstaltungen schließen sich jeweils eine Online-
ebenfalls in den Evaluationsprozess einbezogen,         phase mit Übungen und einer Teamdiskussion an.4
um die Wirksamkeit der Maßnahme einzuschät-             Die Onlinephasen werden über das Learning Ma-
zen und davon ausgehend Modifizierungen für             nagement System Moodle gestaltet. Dort werden
den nächsten Durchgang ableiten zu können. Mit          sowohl Inhalte für das Selbststudium bereitgestellt
erfolgreichem Abschluss des Programms erhalten          (Lernquiz, zusätzliche Literatur etc.) als auch Lern-
die eTutor*innen ein Zertifikat, das detailliert die    aufgaben, die im Team zu bearbeiten sind. Für die
erworbenen Kompetenzen ausweist.                        Durchführung der Online-Seminare nutzen wir das
                                                        virtuelle Klassenzimmer BigBlueButton, das bei uns
2.2      SCHULUNGSPHASE                                 in Moodle implementiert ist und vielfältige Interak-
 In diesem Abschnitt wird das Schulungsprogramm         tionstools wie Chat, Whiteboard, Breakout-Rooms
und damit die erste Phase des eTutor*innen-Pro-         zur Verfügung stellt.
gramms detailliert vorgestellt. Neben der didak-
tischen Konzeption werden die einzelnen Schu-
lungsinhalte eingehend beschrieben.
Motive für ein Ehrenamt – Ein Service-Learning-Projekt der Greifswalder Kommunikationswissen-
Die Online-Lernphasen des Schulungsprogramms                    Fachrichtungen kommen, wird der Transfer auf ver-
sind als problemorientierte Lernumgebung kon-                   schiedene Kontexte ermöglicht. Die eTutor*innen

                                                                                                                      schaft mit dem Deutschen Roten Kreuz Kreisverband Ostvorpommern Greifswald e.V.
                                                                                                                      Das eTutor*innen-Programm als strategischer Baustein für digitale Hochschullehre
zipiert und vereinen sowohl selbstgesteuerte als                lernen so verschiedene (fachkulturspezifische) Be-
auch kooperative Lernphasen. Im Zentrum stehen                  trachtungsweisen kennen (ebd., 167). Ihnen steht
dabei die Wiederholung der Lerninhalte aus den                  ein Gruppenforum zur Verfügung, in dem sie ihre Er-
Präsenzphasen und deren Anwendung auf authen-                   gebnisse diskutieren und Erfahrungen austauschen.
tische Fallbeispiele aus der hochschulischen Lehr-              Die Moderation der Forenarbeit wird modulweise

        Digitales Lehren           Einführung               Online-         Lehrvideos        Grundlagen
          und Lernen               in Moodle               Seminare           selbst          des Urheber-
       an der Hochschule                                  Dos & Dont‘s       erstellen           rechts

            MODUL I                 MODUL II               MODUL III        MODUL IV           MODUL V

Abbildung 2: Module des Schulungsprogramms (eigene Abbildung)

praxis. Die Fallbeispiele sind zumeist kooperativ in            rotierend von einem Gruppenmitglied übernom-
virtuellen Kleingruppen über asynchrone Kommuni-                men. Die Studierenden handeln selbstständig aus,
kationsforen zu lösen,5 denn „[k]ooperatives Lernen             wer in welchem Modul die Moderation und damit
und Problemlösen in Lerngruppen ist für die Bear-               verbundene Aufgaben, wie z. B. an die Abgabe

                                                                                                                            PRAXIS
beitung komplexer Probleme und für die Vertiefung               der Ergebnisse erinnern oder Diskussionsimpulse

                                                                                                                       GUTEPRAXIS
von Wissen zentral“ (Gretsch/Hense/Mandl 2010,                  geben, übernimmt. Die Arbeitsergebnisse werden
147). In jeder Kleingruppe arbeiten drei bis vier               anschließend in einem gruppenübergreifenden Er-
Studierende aus verschiedenen Fächern gemein-                   gebnisforum bereitgestellt und von der Kursleitung

                                                                                                                      GUTE
sam während der gesamten Schulungsphase zu-                     evaluiert, indem ein ausführliches Feedback zur
sammen. Da die Teilnehmenden aus verschiedenen                  inhaltlichen Lösung gegeben wird. Das Forum im
                                                                                                                                    13
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Lernmanagementsystem soll als Lernraum für kol-         sinnvolle Verknüpfung beider Lehrformen disku-
laboratives Arbeiten etabliert werden. Daher wird       tiert. Gängige digitale Lehr-Lerninstrumente wer-
immer mindestens eine Aufgabe im Forum gelöst.          den hinsichtlich ihrer didaktischen Einsatzszenari-
Da die Moderation nicht von der Kursleitung über-       en thematisiert, ausprobiert und reflektiert. Zudem
nommen, sondern gruppenintern organisiert wird,         werden im Rahmen dieses Moduls auch konkrete
steuern die Teilnehmenden die Aufgabenbearbei-          Aufgaben und Einsatzbereiche von eTutor*innen
tung selbstständig und entlasten damit die Kurslei-     besprochen, um die studentischen Hilfskräfte mit
tung. Idealerweise wird dieses Kurskonzept für die      ihrer neuen Rolle und den damit verbundenen Auf-
konkreten Lehrveranstaltungen der eTutor*innen          gaben vertraut zu machen.
übernommen. Jedes Modul schließt mit einer Eva-
luation ab, die getrennt für die Präsenz- und Online-   In der Online-Lernphase wird im programmbeglei-
phase konzipiert wird.                                  tenden Moodle-Kurs ein Onlineskript mit ergän-
                                                        zenden Lehrinhalten bereitgestellt. Zudem entwi-
Die Betreuung der Teilnehmenden wird in vielfäl-        ckeln die eTutor*innen für zwei der vorgestellten
tiger Weise gewährleistet. Zum einen erhalten sie       Tools ein Einsatzszenario für die Lehrveranstaltung
nach jeder Aufgabenbearbeitung ein ausführliches        ihrer Lehrkraft, bei der sie angestellt sind, und re-
Feedback über ihre eingereichten Ergebnisse. Zum        flektieren deren Einsatz gegenüber analogen Me-
anderen steht im Moodle-Kurs eine Fragenbörse           thoden. Die einzelnen Konzepte und Tools werden
zur Verfügung, in der auftretende Fragen gestellt       im Gruppenforum vorgestellt und im Peer-to-peer-
und sowohl von der Kursleitung als auch von den         Verfahren diskutiert.
Peers beantwortet werden können. Fragen, die per
E-Mail die Kursleitung erreichen, werden regelmä- Modul II: „Einführung in Moodle“
ßig in die Fragenbörse übertragen.                Dieses Modul führt in das Lernmanagementsys-
                                                  tem Moodle in seiner technischen Bedienung und
2.2.2 SCHULUNGSINHALTE                            dem didaktisch sinnvollen Einsatz ein. Es wird ein
Das Schulungsprogramm umfasst insgesamt fünf breites Spektrum an Aktivitäten, die selbstgesteu-
Module, die inhaltlich weitgehend abgeschlossen ertes, eigenständiges und kollaboratives Arbeiten
sind und – ausgenommen der Module I und II – ermöglichen, vorgestellt und aktiv ausprobiert.
auch in anderer Reihenfolge angeboten werden Dazu gibt es für die eTutor*innen einen eigenen
können. Im Folgenden werden die Module inhalt- Moodle-Kurs („Spielwiese“), in dem alle Teilneh-
lich skizziert und reflektiert.                   menden Dozentenrechte haben, um die Aktivitäten
                                                  während des gesamten Schulungszeitraums selbst
Modul I: „Digitales Lehren und                    anzulegen und zu testen. In der Online-Lernpha-
Lernen in der Hochschule“                         se legt jedes Gruppenmitglied mindestens zwei
Die Studierenden lernen die besonderen Modali- Moodle-Aktivitäten auf der „Spielwiese“ an und
täten von Online-Lehre kennen. Dabei werden die formuliert didaktische Überlegungen zum Einsatz
Vor- und Nachteile von Hochschullehre in Präsenz- des Tools im Gruppenforum. Die angelegten Akti-
situationen und als E-Learning-Angebot und die vitäten werden jeweils von den anderen Gruppen-
mitgliedern getestet und im Gruppenforum evalu-      eTutor*innen lernen verschiedene Formate und
iert. Die Aufgabe dient dem aktiven Anwenden der     Einsatzszenarien von Lehrvideos kennen, zudem

                                                                                                              Das eTutor*innen-Programm als strategischer Baustein für digitale Hochschullehre
im Workshop gezeigten Tools und dem Identifizie-     erfahren sie wichtige Kriterien für gute Lehrvideos
ren von Problemen/Schwierigkeiten.                   und Möglichkeiten der didaktischen Gestaltung.
                                                     Die Teilnehmenden können den Ablauf der Konzep-
Modul III: „Online-Seminare – Dos & Don’ts“          tion und Produktion von Lehrvideos nachvollziehen
Als synchrones Format der Online-Lehre lernen        und kennen die notwendigen Arbeitsschritte. Sie
die eTutor*innen die Konzeption und Durchführung     werden darin geschult, wie sie – als einfachste
von Online-Seminaren mittels eines Videokonfe-       Form der Lehrvideoerstellung – ein Video mit Pow-
renzsystems/virtuellen Klassenzimmers kennen.6       erpoint produzieren und anspruchsvollere Videos
Neben Vorteilen, Herausforderungen, didaktischen     mit der Software Camtasia erstellen.
Einsatzmöglichkeiten und Interaktionsformen für
die Studierendenaktivierung stehen die Rolle der     Im Anschluss an den Präsenzworkshop haben die
Lehrperson und die Aufgaben von eTutor*innen im      eTutor*innen in ihrer Online-Lernphase ca. vier
Vordergrund. Das virtuelle Klassenzimmer wird in     Wochen Zeit, um ein eigenes Lehrvideo zu produ-
seiner technischen Bedienung vorgestellt und zu-     zieren. Die Länge, das Thema und das Format des
nächst aus Teilnehmendenperspektive ausprobiert.     Lehrvideos können sie frei wählen. Zu dem Video
Im zweiten Modulteil wechseln die eTutor*innen       ist ein didaktischer Steckbrief zu entwerfen, der
in die Rolle der Lehrperson und konzipieren selbst   das Thema, die Zielgruppe, die Lernziele sowie den
eine kurze Sequenz eines Online-Seminars, in         Einsatzkontext umreißt. Zu den Lehrvideos gibt die
dem sie ein bis zwei interaktive Komponenten         Workshopleitung ein individuelles Feedback, das
mit einbauen. Im Gruppenforum wird gemeinsam         per Mail kommuniziert wird. Das Modul schließt
reflektiert, welche Überlegungen und ggf. Her-       mit einem Online-Seminar für alle Teilnehmenden
ausforderungen mit der Erarbeitung des Konzepts      ab, in dem Best-Practice-Beispiele der Lehrvideos
einhergingen. Den Abschluss des Moduls bildet        vorgestellt und Verbesserungspotentiale aufge-
ein Online-Seminar, in dem die eTutor*innen ihre     zeigt werden.
Sequenzen selbstständig durchführen und von der
Kursleitung sowie den anderen Teilnehmenden          Modul V: „Grundlagen des Urheberrechts“
Feedback erhalten.                                   Bei der Erstellung von digitalen Lernmodulen be-
                                                     stehen weitläufig große Unsicherheiten hinsicht-
Modul IV: „Lehrvideos erstellen“                     lich des Urheberrechts, weshalb dieses Modul
Die Erstellung von Lehrvideos gewinnt insbesonde-    einen wesentlichen Baustein des Schulungspro-
re in Blended Learning Lehrszenarien zunehmend       gramms ausmacht. Die eTutor*innen erwerben

                                                                                                           GUTE PRAXIS
an Relevanz, weil sie eine asynchrone Wissens-       praxisorientiertes Grundwissen zu Urheberrecht
vermittlung und selbstgesteuertes Lernen ermög-      und Nutzungs- und Verwertungsrechten, insbe-
lichen. Neben technischen Voraussetzungen und        sondere für die Verwendung und Erstellung von
Umsetzungen geht es in diesem Modul um didak-        digitalen Lernmedien und -materialien in Bildungs-
tische Überlegungen zur Drehbuchgestaltung. Die      einrichtungen. Sie lernen urheber- und persönlich-
                                                                                                              15
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keitsrechtliche Aspekte hinsichtlich Fotos, Videos               person. Die Kursleitung hat hier die Rolle, bei Fragen
und Personenabbildungen, v. a. das Recht am eige-                und Problemen nötige Hilfestellungen zu leisten.
nen Bild/Wort, kennen. Die Online-Lernphase ist
in diesem Modul dem fachlichen Input vorgelagert                 2.4       REFLEXIONSPHASE
und besteht in der Aufgabe, konkrete Fragen im                   Wie zu Beginn des Artikels bereits angeklungen
gruppenübergreifenden Forum zu stellen. Diese                    ist, verläuft die Reflexionsphase quer zur Schu-
Fragen werden im Workshop aufgegriffen und                       lungs- und Praxisphase und ist als fortlaufender
vom Referenten beantwortet. Prinzipiell ist hier                 Prozess zu begreifen. Sie soll Aufschluss über die
aber auch möglich, die Fallbeispiele in einer nach-              Qualität und Wirkung des Programms liefern, in-
gelagerten Online-Lernphase im Gruppenforum                      dem mit quantitativen und qualitativen Methoden
zu diskutieren und ein abschließendes Feedback                   erfasst wird, wie z. B. die inhaltliche Gestaltung,
durch den Referenten einzuholen.                                 Nützlichkeit, Klarheit der Instruktionen, Akzeptanz
                                                                 der Gruppenarbeiten etc. wahrgenommen wird.
2.3       PRAXISPHASE                                            Die eTutor*innen werden dazu angehalten, sowohl
Die Praxisphase beginnt mit der Vorlesungszeit und               den fachlichen Input zu reflektieren und zu evaluie-
folgt unmittelbar auf den Schulungszyklus, kann aber             ren als auch Erkenntnisse aus der Praxisphase zu
– je nach individueller Absprache mit der Lehrperson             formulieren und mit den anderen eTutor*innen zu
– auch schon eher beginnen. In Abhängigkeit vom                  teilen. Als Reflexionsinstrumente dienen Online-
 eingereichten Lehrkonzept erstellen die eTutor*in-              Umfragen als auch die Gruppenforen, in denen ein
 nen digitale Lehr-Lernformate und stehen bspw. als              diskursiver Austausch erfolgen kann. Mit Abschluss
Support und Moderator*in in synchronen Online-Se-                der Praxisphase wird in zwei Live-Online-Semina-
 minaren zur Verfügung. Während in der Schulungs-                ren (alternativ als Präsenzsitzung) mit jeweils 6-7
 phase die Kursleitung des eTutor*innen-Programms                Teilnehmenden das eTutor*innen-Programm aus-
 primäre Ansprechpartnerin ist, wechselt die Ver-                gewertet und Modifizierungsvorschläge diskutiert.
 antwortlichkeit während der Praxisphase zur Lehr-               Zudem evaluieren abschließend auch die geförder-
                                                                 ten Lehrpersonen das Programm und geben Rück-
                                                                 meldungen zum Mehrwert von eTutor*innen in der
                Ausstattung        Lerninhalte
                                                                 Durchführung von digitaler Lehre.
   INFRASTRUKTUR                     DIDAKTISCHE
                                       REFORM                    Nachdem in diesem ersten Teil des Beitrags das
   Dienstleistungen                          Lernmethoden        Programm im Detail erläutert wurde, folgt nun die
   Personal                                       Produktion     Einbettung in den größeren Kontext, nämlich inwie-
                                                                 fern eTutor*innen-Programme Teil von Digitalisie-
    ENTWICKLUNG                           MEDIEN                 rungsstrategien an Hochschulen sein können und
               Organisation        Distribution                  vielleicht auch sollten.

  Abbildung 3: Strategiebereiche mediendidaktischer Innovation
  (Kerres 2018, 503)
3         DAS STRATEGISCHE POTENTIAL                          und bedingen sich wechselseitig. So setzt bspw.
          VON E-TUTOR*INNEN-PROGRAMMEN                        eine didaktische Reform auch Veränderungen in

                                                                                                                        Das eTutor*innen-Programm als strategischer Baustein für digitale Hochschullehre
Der digitale Wandel prägt unsere Zeit wie kaum ein            der Personal- und Infrastruktur voraus. „Im Rah-
anderes Thema: Schlagworte wie „digitale Revo-                men einer strategischen Ausrichtung ist es wichtig,
lution“, „digitales Zeitalter“, „Lernen 4.0“ stehen           mehrere Ebenen durch Maßnahmen anzusprechen.“
sinnbildlich für das Ausmaß der Veränderung. Nicht            (Kerres 2018, 504) Die Besonderheit des eTutor*in-
zuletzt die Schließung der Hochschulen während                nen-Programms als Strategiemaßnahme besteht in
der Corona-Pandemie im Sommersemester 2020                    der großen Reichweite, dass alle vier Bereiche mit
zwang die Bildungsinstitutionen zu einer raschen              nur einer Maßnahme abgedeckt werden.
Umstellung auf digitale Lehrformate.                          Ein eTutor*innen-Programm dient maßgeblich der
                                                              Personalentwicklung und ist eine Weiterbildungs-
Wollen Hochschulen digitale Lehre langfristig und             maßnahme der Universität für ihr Lehrpersonal und
professionell fördern und verstetigen, sind eTu-              die Studierenden. Zudem sind eTutor*innen zusätzli-
tor*innen-Programme ein probater Baustein in-                 ches Personal, um die erhöhten Bedarfe abzufedern.
nerhalb von Digitalisierungsstrategien. Die in der            Eins der hauptsächlichen Hemmnisse von Lehrenden,
Abbildung 3 dargestellten Innovationsfelder für               digitale Lehrformate zu konzipieren, sind nämlich
Hochschulstrategien mit Schwerpunkt Lehre sind                neben fehlendem technischen Know-How vor allem
nach Kerres (vgl. 2018, 503) aufeinander bezogen              der Mangel an Zeit. Digitale Lehrformate zu planen

    Lehrende                                                                    eTutor*innen
                            Es war eine so gute
                       Entscheidung, am eTutor*in-                              Das Programm
                     Programm teilzunehmen. Selbst-                      war wirklich gut. Wichtige
                     denkende, ideenreiche und hilfs-                   Inhalte, gute Strukturierung,
                      bereite Menschen an meiner                       die Betreuung war persönlich,
                       Seite zu wissen, macht mein                      die Dozierenden sympatisch,
                             Leben gerade viel                         die Durchführung flexibel, auf
                                 einfacher.                               Unvorhergesehenes habt
                                                                              ihr super reagiert.

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                                                                                                                     GUTE PRAXIS
          Seminar waren wirklich toll, kreative                        Mir hat das eTutor*innen-Programm sehr
                  Podcasts, Videos etc.                               viel Freude bereitet und ich habe viel Neues
          Vielen Dank für das tolle Programm!                             und vor allem Nützliches dazu gelernt.

Abbildung 4: Auswahl der Rückmeldungen von Lehrenden und eTutor*innen (eigene Darstellung)

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und herzustellen, ist zunächst recht zeitintensiv.     Das eTutor*innen-Programm ist eine Maßnahme in
Ein*e eTutor*in ist da eine hervorragende Möglich-     der Personal- und Organisationsentwicklung, die
keit, um Lehrende in ihrer digitalen Lehrpraxis zu     dieses Ziel zu erreichen vermag. Die Rückmeldun-
unterstützen. Die im Ausbildungsprogramm erwor-        gen der eTutor*innen und Lehrpersonen innerhalb
benen Lerninhalte und Lehrmethoden werden in die       der Reflexionsphase zeigen den persönlichen und
Lehrkonzepte integriert und können so langfristig zu   institutionellen Mehrwert des Programms deutlich.
einer didaktischen Reform führen. Zudem werden         Die Lehrenden fühlen sich spürbar entlastet, sind
Software-Lizenzen für die Erstellung von Lehrvideos    dankbar für die kurzen Wege im technischen Sup-
bereitgestellt und damit auch für eine Verbesserung    port und profitieren vom Wissenszuwachs ihres*ih-
der technischen Infrastruktur gesorgt.                 rer eTutor*in durch den fortwährenden Austausch
                                                       zwischen Lehrperson und eTutor*in.7 Mitunter ha-
Da eine der Hauptaufgaben der eTutor*innen die         ben die eTutor*innen nach dem Train-the-Trainer-
Produktion und Distribution von E-Learning-Materia-    Prinzip für ganze Fachbereiche kurze Schulungen
lien ist (und die Hilfskraft idealerweise auch schon   durchgeführt oder didaktische Handreichungen er-
in die mediendidaktische Konzeption mit einbezogen     stellt, so dass ihr Wissen nicht nur einer einzigen
wird), wird auch dieser vierte strategische Bereich    Lehrperson zugutekam, sondern ganze Institute da-
durch das Programm abgedeckt.                          von profitieren konnten. Die Studierenden erleben
                                                       umgekehrt viel Wertschätzung von den Lehrenden
                                                       und einen enormen Wissenszuwachs im digitalen
4         FAZIT                                        Lehren und Lernen, was insbesondere für die Lehr-
Will die Hochschule/Universität E-Learning lang-       amtsstudierenden in ihrer späteren Berufspraxis
fristig und erfolgreich nutzen und eine innovative     von Vorteil ist. Daher gilt es, Weiterbildungsmodel-
Lehr-Lernkultur etablieren, muss sie nicht nur die     le dieser Art an den Beginn von Digitalisierungsbe-
technische Infrastruktur bereitstellen, sondern die    strebungen im Bildungssektor zu setzen und damit
Lehrenden gezielt darin unterstützen, sich in digi-    die wichtigsten Akteursgruppen von Hochschulen
taler Didaktik und dem Funktionsspektrum digitaler     und Universitäten nachhaltig zu unterstützen, näm-
Tools weiterzubilden, denn die Lehrpersonen sind       lich die Lehrenden und die Studierenden.
der Erfolgsfaktor für die Einführung und Etablie-
rung digitaler Lehrformate (vgl. Kerres 2018, 499).
LITERATUR

                                                                                                                                                Das eTutor*innen-Programm als strategischer Baustein für digitale Hochschullehre
Gretsch, S., Hense, J., Mandl, H. (2010): Evaluation eines Schulungsprogramms zur Ausbildung von E-Tutoren. In: H. O. Mayer/W. C. Kriz
(Hrsg.): Evaluation von eLernprozessen. Theorie und Praxis. München, S. 143–169.

 Hochschulforum Digitalisierung (2015). Diskussionspapier- 20 Thesen zur Digitalisierung der Hochschulbildung. Arbeitspapier Nr. 14.

Kerres, M. (2018): Mediendidaktik. Konzeption und Entwicklung digitaler Lernangebote. Berlin/Boston.

Niedermeier, S., Schätz, R., Mandl, H. (2015): Ausbildung von E-Tutoren zur Betreuung von Studierenden – ein Beitrag aus der Praxis zur
Lehre mit digitalen Medien. In: Nistor, N., Schirlitz, S. (Hrsg.): Digitale Medien und Interdisziplinarität. S. 239–249.

Sammet, J., Wolf, J. (2019): Vom Trainer zum agilen Lernbegleiter. So funktioniert Lehren und Lernen in digitalen Zeiten.

Weßels, D. (2020): Lessons Learned: Mit 12 Fragen zu mehr Online-Glück in der Hochschullehre. In: https://hochschulforumdigitalisierung.
de/de/blog/lessons-learned-online-hochschullehre

 ANMERKUNGEN
1 Exemplarisch seien genannt die Bauhaus-Universität Weimar, die Universität Bayreuth oder die Universität Paderborn.

 2 In Mecklenburg-Vorpommern erhalten die Hochschulen des Landes einen Zuschuss für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit,
„wenn – bezogen auf das 1. Studienfach jeweils über 50% der Neuimmatrikulierten mit Hauptwohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern ge-
 meldet sind“ (https://www.uni-greifswald.de/storages/uni-greifswald/1_Universitaet/1.2_Organisation/1.2.6_Verwaltung/Dezernat_2/
 Referat_2.4_Controlling_und_Statistik/Wohnsitzpraemie/UEberarbeiteter_Durchfuehrungserlass_zur_Wohnsitzpraemie_2019.pdf ).

 3 Die didaktische Konzeption lehnt sich an das erfolgreich evaluierte Kurskonzept der Virtuellen Hochschule Bayern (VHB) an (vgl. Nieder-
 meier/Schätz/Mandl 2015, 242ff.), wurde aber an die speziellen Bedarfe der Universität Greifswald angepasst. Zudem werden nicht wie
 an der VHB Lehrende/Kursleiter*innen geschult, sondern Studierende, was automatisch eine Modifizierung des Schulungsprogramms mit
 sich bringt.

 4 Die Schulungsphase innerhalb des ersten Durchgangs des eTutor*innen-Programms fand von Februar–April 2020 statt. Aufgrund der
 coronabedingten Einstellung des Präsenzbetriebs an unserer Hochschule musste das Modul V „Urheberrecht“ als Online-Seminar durch-
 geführt werden. Für den zweiten Durchgang des Programms (September–Oktober 2020) werden auch Modul II „Moodle und didaktische
 Einsatzszenarien“ und Modul III „Online-Seminare – Dos & Don’ts“ im Onlineformat durchgeführt, so dass nur zwei von fünf Modulen
 Präsenzanteile haben werden. Dies ist zum einen der unklaren Situation bzgl. pandemiebedingter Maßnahmen geschuldet und zum anderen
 haben die eTutor*innen in der Abschlussevaluation geäußert, dass die Schulung stärker online durchgeführt werden soll, um mehr Routine
 in den Systemen zu entwickeln, mit denen sie später auch arbeiten sollen.

 5 Eine Ausnahme bilden die Module III und IV, in denen die Studierenden in der Lernphase selbstständig ein Lehrvideo erstellen bzw. ein

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 Online-Seminar konzipieren und durchführen sollen.

 6 Im ersten Durchgang arbeiteten wir mit Adobe Connect. Mittlerweile ist unsere Hochschule auf BigBlueButton umgestiegen, so dass im
 zweiten Durchgang mit diesem System gearbeitet wird.

7 Die Rückmeldungen stammen aus der Abschlussevaluation des ersten Programmdurchlaufs und können bei Bedarf bei der Autorin an-
gefragt werden.

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Foto: Universität Greifswald, Julia Schmetzer
DIGITALE QUELLENARBEIT – DAS PROJEKT „POMMERN UND DIE WELT“

HIELKE VAN NIEUWENHUIZE
(UNIVERSITÄT GREIFSWALD, HISTORISCHES INSTITUT)

ABSTRACT
In diesem Aufsatz wird das im Sommersemester 2019 organisierte Hauptseminar „Pommern und die Welt“ vorge-
stellt. Diese Lehrveranstaltung sollte Geschichtsstudierenden mit digitalen Mitteln die Fähigkeiten, Originalquel-

                                                                                                                        Digitale Quellenarbeit – Das Projekt „Pommern und die Welt“
len zu transkribieren sowie diese quellenkritisch und historisch zu interpretieren, anlernen. Das Seminar führte
schließlich zur Verwendung des digitalen Programms Transkribus, das nicht nur in Greifswald, sondern in jedem
Historischen Institut, eine effiziente Betreuung von Quellenarbeiten ermöglichen könnte. Nach einer Darstellung
der positiven und negativen Seiten der Digitalisierung größerer Quellenbestände für die Lehre, werden die Lehr-
veranstaltung sowie ihre Ziele, Stärken und Schwächen kommentiert. Der Artikel wird mit einer Beschreibung der
durchgeführten Verbesserungen im Nachfolgeprojekt und einem Ausblick abgeschlossen.

EINLEITUNG                                                ist jetzt nicht nur möglich, viel größere Zeiträume
Seit einigen Jahren steht meinen Studierenden für         zu erforschen, sondern auch bei einer Suche ver-
die Erforschung der frühmodernen wirtschaftlichen         schiedene Daten oder Kategorien miteinander zu
Geschichte des Ostseeraums eine Datenbank, die            kombinieren, sodass Zusammenhänge deutlich wer-
Sound Toll Registers online, zur Verfügung. In den        den, die mit dem bloßen Auge wahrscheinlich nie
Registern des Öresundzolls (1499–1857) wurden die         wahrgenommen werden würden. Es ist nicht ver-
Schiffe und ihre Ladungen, die durch den Öresund          wunderlich, dass mehrere Studierende anhand der
und in die Ostsee hinein oder hinaus segelten, fest-      Datenbank ihre Abschlussarbeit geschrieben haben.
gehalten. Für die von 2009 bis 2017 geschaffene           Obwohl es nicht empirisch zu beweisen ist, fällt aber
Datenbank sind aus jedem einzelnen Eintrag der            immer mehr auf, dass die Benutzung dieses Daten-
Originalquelle bestimmte Informationen (Datum,            bestandes nicht immer gut funktioniert. Mehrmals
Name und Wohnort des Schiffsführers, Abfahrtha-           führte die von meinen Studierenden durchgeführte
fen, Zielhafen, Umfang und Art der Ladung sowie           Erforschung der Sound Toll Registers online dazu,
der bezahlte Zollbetrag) zusammengetragen. Die            dass sowohl die Originalquelle als auch die Daten-
Datenbank ist aber eine Interpretation der ursprüng-      bank nicht quellenkritisch oder historisch eingeord-

                                                                                                                     GUTE PRAXIS
lichen Quelle, da zusätzliche Informationen, die die      net wurden. Die Abschlussarbeiten bestanden aus
dänischen Zollbeamten ihren Einträgen hinzufügten,        detaillierten Analysen der gefundenen Daten, nur
nicht in die Datenbank aufgenommen worden sind            fehlte meist die Kernarbeit eines Historikers, näm-
(Veluwenkamp, 2011, S. 1–2). Für Studierende bie-         lich die historische Erklärung der eigenen Befunde.
tet dieser digitale Datenbestand große Vorteile. Es       Der schwedische Pädagoge Thomas Nygren wies in
                                                                                                                       21
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einem Aufsatz aus dem Jahr 2014 interessante Zu-       minars behoben wurden und ein Modell entwickelt
sammenhänge zwischen der Arbeit von Geschichts-        wurde, das auch für die Lehre an anderen Hoch-
studierenden mit digitalen Quellenbeständen und        schulen nützlich sein kann.
ihrem versagenden historischen Gespür auf. Als
Experiment ließ er seine Studierende sowohl eine       VORTEILE UND NACHTEILE DER
Hausarbeit anhand analoger als auch anhand digita-     DIGITALISIERUNG VON ORIGINALQUELLEN
ler Quellen schreiben. Das Ergebnis war, dass seine    Jedes Jahr werden Millionen von Quellen digitali-
Studierenden, wenn sie z. B. eine digitale Daten-      siert. Bei den digitalen Quellen handelt es sich oft
bank für ihre Analysen benutzten, weniger geneigt      um Reproduktionen von Originalquellen in Form
waren, ihre Quelle quellenkritisch zu hinterfragen     einer PDF-Datei. Es kann auch vorkommen, dass
oder zusätzliche Literatur heranzuziehen, um die       ein bestimmtes Programm gebraucht wird, um
gefundenen Daten in ihrem historischen Kontext         die digitalen Reproduktionen auf der Internetseite
betrachten zu können (Nygren, 2014, S. 100–101).       eines Archivs zu lesen. Solche digitalen Dateien
Nygrens Analyse der Arbeitsweise seiner Studie-        können eine ganz unterschiedliche Qualität haben.
renden muss für jede Lehrkraft an einem Histori-       In schwedischen Archiven wurden bei den ersten
schen Institut eine Warnung sein: „quantity and        digitalisierten Beständen nicht die Originaldoku-
evidence rather than close reading and historical      mente, sondern die Mikrofilme gescannt, sodass
empathy seem to compose a data-driven effect in        die Dateien auch heute noch schwierig zu lesen
students‘ historical knowledge construction when       sind. Bei neueren Digitalisierungsprojekten sind die
they use digital archives“ (Nygren, 2014, S. 102).     Standards deutlich höher. Neben der digitalen Re-
Bereits Andrew Prescott befürchtete, dass Daten in     produktion einzelner Quellen werden Datenbanken
digitalen Quellenbeständen von ihrem historischen      angefertigt, die es ermöglichen, eine vollständige
Kontext befreit werden könnten, um eine autonome       Sammlung von zum Beispiel Zeitungen nach be-
Existenz zu führen (Prescott, 2013).                   stimmten Kriterien zu durchsuchen. Da die Meta-
                                                       daten, die den Quellen beigefügt wurden, um solche
In diesem Aufsatz werde ich zuerst darstellen, wie     schnellen Recherchen zu ermöglichen, nicht immer
die Digitalisierung historischer Handschriften für     gleich vollständig oder zuverlässig sind, kann es bei
die Lehre und die Quellenarbeit der Studierenden       der Durchsuchbarkeit von Datenbeständen große
sowohl positive als auch negative Konsequenzen         Unterschiede geben (Hammar, 2015, S. 101–102).
hatte. Auf diese Darstellung folgt eine Introduktion   Für Historiker*innen hat die Digitalisierung größerer
des Seminars „Pommern und die Welt“, in dem mit        Quellenbestände natürlich viele Vorteile. Es werden
digitalen Mitteln versucht wurde, den negativen Ef-    viel Zeit und finanzielle Ressourcen gespart, da es
fekten der Digitalisierung analoger Bestände entge-    nicht länger nötig ist, zu Archiven zu reisen und vor
genzuwirken. Nach einer Stärken-Schwächen-Ana-         Ort manuell Originalquellen zu durchsuchen. Auch
lyse dieser Lehrveranstaltung werde ich erläutern,     ist es dank der Digitalisierung von Quellen heutzuta-
wie im zweiten Versuch, dem momentan laufenden         ge für Historiker*innen möglich, um in für sie auf den
Nachfolgeseminar „Niederdeutsche Städtetage im         ersten Blick irrelevanten Archivbeständen wichtige
17. Jahrhundert“, die Schwächen des ersteren Se-       Informationen zu ihrem Forschungsthema zu finden.
Wären diese Bestände nicht digitalisiert, hätten sie   kritisch einordnen und durchsuchen zu können.
es nie in Erwägung gezogen, diese vor Ort zu durch-    Studierende müssen zum Beispiel lernen, wie sie
suchen (Kelly, 2013, S. 56–57). Auch die Möglich-      die Suchbegriffe identifizieren können, die für ihre
keit der Dateibetrachter, Details zu vergrößern und    Recherchen notwendig sind. T. Mills Kelly verdeut-
zu markieren, Bestände herunterzuladen oder sogar      licht die Bedeutung dieser Fähigkeit anhand eines
zu reproduzieren, und den Dateien eigene Kommen-       Beispiels amerikanischer Studierenden, die sich mit
tare und Anmerkungen hinzuzufügen, erleichtert         frühmodernen politischen Debatten in den spani-
die eigene Quellenarbeit erheblich (Fickers 2014, S.   schen überseeischen Gebieten und China auseinan-
25–26; Hammar 2015, S. 102).                           dersetzen. Bevor es überhaupt möglich ist, eine di-

                                                                                                                  Digitale Quellenarbeit – Das Projekt „Pommern und die Welt“
                                                       gitale Sammlung von spanischen oder chinesischen
Die größten Vorteile bieten aber die Datenbanken       Dokumenten erfolgreich zu durchsuchen, müssen
und insbesondere das Textmining. Dabei handelt         diese Studierende nicht nur die Parameter der politi-
es sich nicht nur um eine einfache Suche nach be-      schen Debatten in den spanischen und chinesischen
stimmten Personen, Ereignissen oder Begriffen. Für     Imperien verstehen, sondern auch lernen, wie diese
das Auge unsichtbare Muster und Strukturen kön-        Parameter in den Quellen versprachlicht wurden
nen aus einer Sammlung von unbegrenzten digita-        (Kelly, 2013, S. 74).
lisierten Texten entnommen werden. So kann man
mit einer einfachen Suchanfrage unter anderem          Genauso wichtig wie eine digitale Quellenkritik
herausfinden, wann und in welchen Zusammen-            bleiben auch die historischen Hilfswissenschaften
hängen ein bestimmtes Thema besprochen wurde           (zum Beispiel Paläografie, Numismatik, Heraldik
oder welche Meinungen, Wertorientierungen und          und Siegelkunde). Dieses Fach, das Studierenden
Einstellungen mit diesem Thema verknüpft waren         zur Kompetenz verhilft, historische Handschriften
(König, 2016). Das Kombinieren von Namen, Ereig-       lesen und kritisch einordnen zu können, wird immer
nissen und Begriffen mit Informationen zu Meinun-      unregelmäßiger an vielen deutschen Universitäten
gen und Einstellungen kann zum Beispiel helfen, die    angeboten. Es gibt deshalb die paradoxe Situation,
Struktur, Intensität und Empfindungen historischer     dass immer mehr Quellen digital vorhanden sind,
Debatten zu rekonstruieren. Genauso vielverspre-       aber immer weniger Studierende diese lesen (tran-
chend ist die Verbindung quantitativer Befunde aus     skribieren) können. Auch die jährlich angebotenen
historischen Texten mit statistischen Daten der So-    und sehr gefragten Sommerschulen, in denen die
zial- und Wirtschaftsgeschichte (Van Eijnatten, Pie-   dafür benötigten Fähigkeiten gelehrt werden, kön-
ters und Berheul, 2013, S. 73–74).                     nen dieses Problem nicht lösen (Schlotheuber und
                                                       Bösch, 2015).
Die Verfügbarkeit von so vielen digitalen Quellen

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und Datenbanken stellt die Lehre vor neue Heraus-      Obwohl immer mehr Quellen digital für die Studie-
forderungen. Vor allem wird es immer wichtiger,        rende verfügbar sind, handelt es sich aber um einen
den Studierende beizubringen, wie sie den Über-        Bruchteil der weltweit in Archiven bewahrten Be-
fluss an Quellen meistern können. Sie brauchen die     stände. Es ist deshalb relevant, sich die Beschränkt-
richtigen Werkzeuge, um digitale Datenbestände         heit dieser digital zugänglichen Bestände zu reali-
                                                                                                                  23
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sieren, da Studierende (und Forscher*innen) sich        Die größte Gefahr bleibt jedoch, dass Studieren-
meist nur noch auf Quellen fokussieren, die digital     de anhand digitaler Datenbanken große Analysen
vorhanden sind (Zaagsma, 2013, S. 19–23). Quellen,      durchführen, wobei sie die „statistische Relevanz
die nicht digitalisiert wurden, gelten sogar immer      der Ergebnisse solcher Analysen“ mit „historischer
mehr als „versteckte Materialien“. Dies bedeutet        Relevanz“ gleichsetzen (Fickers, 2014, S. 337). Die
nicht nur, dass digitalen Quellen ein höherer Stel-     historische Signifikanz einer Analyse kann nur an-
lenwert als analogen Quellen zugewiesen wird. Es        hand einer Forschungsfrage und einer auf Quellen-
kann letztendlich dazu führen, dass für eine Hausar-    kritik basierten Beweisführung bestimmt werden.
beit lediglich die digital vorhandenen Quellen heran-   Dies bedeutet, dass Studierende ihre statistischen
gezogen werden, was nur zu einer Schwächung der         Befunde historisch einordnen und erklären müssen.
eigenen historischen Analyse führen kann. Zaags-        In einem berühmten Artikel in der New York Times
ma ist sogar der Meinung, dass es eine Zeit geben       aus dem Jahr 2012 warnte Stanley Fish bereits
wird, in der Lehrende ihren Studierenden über die       vor Forschenden aus dem Bereich der Digital Hu-
Existenz nicht-digitaler Quellen in Archiven aufklä-    manities, die ohne argumentierte Forschungsfrage
ren müssen (Zaagsma, 2015).                             Analysen durchführen: „proceed randomly or on a
                                                        whim, and see what turns up“ (Fish, 2012). Genau
Noch ein Grund für die Bedeutung der Archivauf-         wie Fickers deutet auch Fish darauf hin, dass die
enthalte ist die unter Studierenden steigende           Signifikanz eines Ergebnisses nicht mit der Fre-
Unbekanntheit mit dem „Geruch“ der ursprüng-            quenz der Befunde in einer Datenbank bewiesen
lichen Dokumente. Nicht nur der Text einer Quel-        werden kann. Die historische Relevanz dieser Be-
le, sondern auch die Materialität des Dokuments         funde muss aus dem historischen Kontext heraus
beinhaltet Informationen für Historiker*innen. Es       begründet werden. Das Lesen von digitalen Daten-
handelt sich hier zum Beispiel um die Struktur und      beständen durch einen Computer muss deshalb
chemische Zusammensetzung der Tinte, Wasser-            immer mit dem genauen Lesen eines Textes durch
zeichen, Einbindungsmethoden, Abnutzungsspuren          Historiker*in selbst kombiniert werden, um „dekon-
oder das Gewicht der Quelle. Falls Studierende zu-      textualisierte Analysen“ zuvorzukommen (Zaagsma,
künftiger Generationen überhaupt nicht mehr in die      2013, S. 24–25).
Archive gehen und keine Erfahrungen mit Original-
handschriften hinzugewinnen, bleiben ihnen solche       MIT DIGITALEN QUELLEN HISTORISCHE
wichtigen Kenntnisse vorenthalten. Genauso droht        KOMPETENZEN ERLERNEN
die Gefahr, dass Kenntnisse über die Entstehung,        Das oben dargestellte Dilemma, dass einerseits
Ordnung und Überlieferung archivalischer Quellen        den Studierenden große Quellensammlungen digi-
verschwinden. Ein*e Student*in, die/der nur digita-     tal zur Verfügung stehen, aber ihnen andererseits
le Ressourcen verwendet, wird kein Gespür für den       die lokalen und regionalen Archive und ihre ana-
Kontext der Überlieferung eines Dokuments ent-          logen Beständen fast komplett unbekannt sind,
wickeln, da die Struktur und der Inhalt des ganzen      führte 2019 zum Seminar „Pommern und die Welt“.
Archivbestandes, wozu seine Quellen gehören, für        Das Seminar sollte die Studierenden mit nicht-di-
jene verborgen bleiben (Jeurgens, 2013, S. 40–41).      gitalisierten Beständen („versteckte Materialien“)
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