Hand gegen Koje - GEW Hamburg

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Hand gegen Koje - GEW Hamburg
Foto: Yannic/Projekt Thor Heyerdahl

                                      ERLEBNISPÄDAGOGIK

                                      Hand gegen Koje
                                      Interview mit unserer frisch gewählten ersten stellvertretenden
                                      Vorsitzenden Yvonne Heimbüchel, einer, die weiß, welche Wirkung
                                      außerschulisches Lernen hat
                                         hlz: Yvonne, ich habe gehört,     selbst versorgen mussten. Wir        ein Verein zum Erhalt und zur
                                      du machst Segeltörns mit Schü-       hatten dann auf dem Ijsselmeer       Förderung der Seemannschaft,
                                      ler_innen. Wie bist du denn auf      eine wunderschöne Zeit.              speziell der Jugendarbeit. Ja,
                                      die Idee gekommen?                                                        ich habe da ganz viele unter-
                                                                             hlz: Ich gehe mal davon aus,       schiedliche Handwerksbereiche
                                        Yvonne: also, ich bin über die     dass du schwimmen konntest,          kennengelernt. Man kommt in
                                      Schule im Grunde genommen            aber sonst? Du hast eben von         die Maschine und hat dann halt
                                      darangekommen, dass ein Kolle-       nautischen Kenntnissen gespro-       einen großen 400 PS-starken
                                      ge mich mal fragte, ob ich eine      chen. Hast du dir jetzt aufgrund     Deutz-Dieselmotor vor sich mit
                                      Segelreise in der Oberstufe als      von Erfahrungen diesbezügli-         viel Schmiere und Lautstärke
                                      Studienfahrt mitmachen wolle?        ches Wissen aneignen können?         und den Gerüchen, die da sind,
                                      Das war dann schon im Rah-                                                oder zur Bootsmannschaft, wo
                                      men einer richtigen Projektwo-         Yvonne: Ja, auf jeden Fall. Ich    man spleißt und diverse Holzar-
                                      che und so vorbereitet, dass wir     bin mittlerweile seit 2012 auf ei-   beiten macht …
                                      eine Einführung ins Nautische        nem Dreimaster unterwegs, und
                                      gekriegt haben. Dazu gehörte         auf diesem Traditionsegelschiff        hlz: Das heißt, in solchem Fall
                                      schon, dass wir auch die Essens-     wird die seemännische Tradition      besteht die Aufgabe darin, die
                                      pläne erstellt haben, weil wir uns   noch richtig gepflegt. Es ist auch   Schüler_innen anzuleiten. Wenn

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sich dann ein Gefühl entwickelt,         war. Man merkt eben, dass es        Erlangen-Nürnberg durchgeführt
dass man das gemeinsam hin-              einfach Notwendigkeiten gibt. In    wird. Der Wintertörn startet von
kriegt, haben alle Beteiligten ein       der Gemeinschaft machen auch        Kiel aus über England, über die
Erfolgserlebnis.                         Notwendigkeiten total viel Spaß.    Kanaren nach Grenada, Pana-
                                                                             ma, Kuba, Bermudas und dann
   Yvonne: Genau. Als ich das                hlz: Und wo ging es hin?        waren es noch die Azoren, dann
erste Mal an Bord der Thor                                                   wieder England und dann Kiel.
(Heyerdahl) kam, war ich auch               Yvonne: Die ersten Törns gin-
„Schülerin“. An Bord ist man             gen in die Dänische Südsee, das       hlz: Wahnsinn! Und wie lange
dann einfach jemand, der im              ist also das Ostsee-Gebiet von      hat das gedauert?
Grunde „Hand gegen Koje“, so             Kiel ausgehend Richtung Däne-
heißt das, fährt. Man wird be-           mark. Kiel ist der Heimathafen        Yvonne: Das sind sechs Mo-
wegt, aber man muss natürlich            der Thor Heyerdahl. Dann wa-        nate, die man unterwegs ist.
selber etwas dafür tun, dass sich        ren wir viel auf tollen dänischen
das Schiff auch bewegt. Da ist           Inseln. Die nächsten weiteren         hlz: Mit wie vielen Schüler_
keine explizite Mannschaft, die          Reisen gingen nach Norwegen,        innen ist man da unterwegs?
einen durch die Meere segelt,            Richtung Larvik. Larvik ist die
sondern man legt selber Hand             Heimatstadt von dem Namens-           Yvonne: An Bord finden 50
mit an in allen Bereichen. Das           geber des Schiffes, Thor Hey-       Personen auf dem 50 m langen
geht, wie gesagt, von der Ma-            erdahl, und 2016/2017 habe ich      Schiff Platz. Das ist eine schö-
schine über die Kombüse, das             dann die große Reise mitmachen      ne Gedankenstütze. Davon sind
ganz alltägliche Reinemachen             dürfen.                             es ca. 32 Schüler_innen, je nach
bis hin zum Segelsetzen und                                                  Stammbesatzung.
Navigieren. Man wird mit ein-                hlz: Was heißt „große Reise“?
gebunden und erlebt wirklich                                                   hlz: Was waren die größten
alles hautnah. Es ist jetzt nicht           Yvonne: Im Winterhalbjahr        Herausforderungen in Hinblick
belegt mit Scheinen oder mit             ist die „Thor Heyerdahl“ der        auf das Segeln, aber auch in
irgendwelchen Zertifikaten, son-         Schulcampus für das Schul-          Hinblick auf die Art des Zusam-
dern ich habe mich – ja – überall        projekt „Klassenzimmer unter        menlebens mit den Schüler_in-
eingearbeitet, wo es mir Spaß            Segeln“ (KUS), das von der          nen?
gemacht hat oder wo ich nötig            Friedrich-Alexander-Universität

                                                                                                                Foto: Henry/Projekt Thor Heyerdahl

Chillen an Bord...

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2021                                                                 47
Hand gegen Koje - GEW Hamburg
Foto: Yannic/Projekt Thor Heyerdahl
... aber auch hier wird gestestet

   Yvonne: Ach, die größten He-     tagessen vorzubereiten… Ja, al-     empfindest du , wie sie das erle-
rausforderungen – man denkt,        lein dieser Geruch, der sich dann   ben?
dass eigentlich diese Enge zu       über Bord verströmt, das ist ein
Problemen führen würde, das ist     magischer      Anziehungspunkt.        Yvonne: Ein schönes Bei-
aber gar nicht so. Alle genießen    Alle sind dann auf einmal ganz      spiel ist, wenn sie merken, dass
es im Grunde genommen und           kribbelig, stecken ihren Kopf       ich auch mal seekrank werde.
finden ihren ganz, ganz eigenen     durch die Bullaugen in die Kom-     Sie sind immer ganz erstaunt,
Platz an Bord. Jeder hat so sein    büse.                               dass der Segelstamm, also die
Eckchen, das man sich eben                                              Erwachsenen, auch seekrank
sucht und man findet dort sei-        hlz: Gab es eine Situation, wo    werden. Das ist für sie immer
nen stillen Moment. Das ist tat-    ihr – man sagt ja wohl – Schwere    undenkbar. Dieses Gemeinsame
sächlich gar nicht das Problem.     See hattet?                         über der Reling ist schon etwas
Manchmal hat man mordsmäßig                                             ganz Besonderes. Auch das för-
Hunger. Essen spielt einfach eine     Yvonne: Ja, Schwere See gibt      dert wieder Gemeinschaft. Es
Riesenrolle. Wie man sagt: „food    es hier und da mal. Dafür ist das   geht einem dann zwar schlecht,
is good for the mood“.              Schiff aber bestens ausgestattet    aber man wird versorgt und es
                                    und die Mannschaft eben auch.       gibt total strahlende Gesichter,
   hlz: Also Essen – das muss       Es werden alle von Anfang an        die sich freuen, dass sie nicht see-
stimmen.                            gut darauf trainiert.               krank werden und die dann Pfef-
                                                                        ferminztee kochen und Zwie-
  Yvonne: Schon wenn die              hlz: Und die Schüler_innen,       back bringen und sich wirklich
„Backschaft“ anfängt, das Mit-      wie erleben die das bzw.: wie       rührend um einander kümmern

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und auch um mich. Das sind                 hlz: Das heißt, wenn ihr in        hlz: Das klingt alles phan-
dann so die schönen Momente              den jeweiligen Häfen ward, seid   tastisch. Warum macht man das
trotz der blöden, die es auch gibt.      ihr an Land gegangen und habt     nicht mit mehr Schüler_innen
Man erlebt einfach alles ganz in-        auch Kontakte mit Jugendlichen    und als Programm, diesmal von
tensiv. Und dann ist sie erst mal        dort gehabt?                      der Bundesregierung aufgelegt,
wieder weg, die Seekrankheit,                                              mit ein paar Milliarden unter-
und man verschwendet keinen                 Yvonne: Ja, genau. Es gab so   stützt – frech, der Betrag, aber
Gedanken mehr daran. Auch den            eine Art Austauschprogramm,       wenn man an das Geld für Com-
Kindern geht es so. Man nimmt            das dann direkt für Sprachun-     puter denkt?
es gelassen, dass sie wiederkom-         terricht genutzt wurde. Es gibt
men könnte, weil man weiß, sie           einen engen Kontakt zu einer         Yvonne: Ja, das wäre natür-
geht auch wieder weg.                    kubanischen Schule. Dort wird     lich sehr, sehr wünschenswert,
                                         der Unterricht mitgemacht. In     wenn es jetzt gerade nach der
  hlz: Und die Kinder selbst,            Panama leben die Kinder in        Pandemie dazu käme, dass ge-
wenn sie Bilanz ziehen, was sa-          Gastfamilien. Auch auf diese      rade solche außerschulischen Er-
gen sie nach diesen sechs Mona-          Weise entstehen Kontakte und      fahrungen mehr und mehr mög-
ten?                                     Anschlussmöglichkeiten.           lich gemacht würden. Es müssen
                                                                           ja gar nicht die großen Reisen
   Yvonne: Viele wollen eigent-
lich gar nicht so richtig von Bord.

                                                                                                              Foto: Projekt Thor Heyerdahl
Die Zeit der Rückreise – es gibt
diesen Wendepunkt irgendwann
– dann wird ganz viel Tagebuch
geschrieben, dann erinnert man
sich noch mal gemeinsam, man
singt immer wieder die gleichen
Lieder, die bestimmte Momente
geprägt haben.
   Ich habe von Schüler_innen
gehört, die nach Hause gekom-
men sind und ihre großen Zim-
mer absurd fanden. Die ihre Ma-
tratze genommen haben, um sich
irgendwo eine kleine Ecke zu
suchen, weil sie eigentlich eher
dieses Kammerdasein, dieses
Reduzierte gewohnt waren und
sich im großen Zimmer alleine,
irgendwie verloren fühlten.
   Und dann die gewonnenen
Freundschaften! Die Kinder
von der großen Reise kommen
aus ganz Deutschland, teilweise
auch aus anderen deutschspra-
chigen Ländern, Österreich und
Schweiz. Da muss sich besucht
werden. Die können nicht vonei-
nander lassen. Das sind Freund-
schaften fürs Leben. Das ist
ganz, ganz toll.
   Es findet ja auch Unterricht an
Bord statt und überführt es direkt
in die Praxis in den jeweiligen
Ländern. Die Sprache, das kul-
turelle Miteinander zu erleben,
auch die kulturelle Andersartig-
keit, das ist einfach großartig!
                                         Anleitung in luftiger Höhe

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2021                                                               49
Hand gegen Koje - GEW Hamburg
Foto: Projekt Thor Heyerdahl

                               Nicht wegen des Ausblicks hier oben

                               sein. Das, was die Kinder da           einfach nur wahrzunehmen und          hlz: „Auch die längste Reise
                               sechs Monate erlebt haben, ist ja      dabei Gemeinschaft einfach          beginnt mit dem ersten Schritt“
                               im Grunde genommen ein Aus-            noch mal neu zu erleben und zu      – welcher sollte das sein?
                               landsschuljahr. Aber auch die          merken, dass man sich aufeinan-
                               kürzeren Reisen machen Sinn.           der verlassen können muss, dass        Yvonne: Es sollten gerade
                                  Ich habe auch schon Tages-          man aufeinander achten muss,        jetzt z.B. Projektwochen in mehr
                               törns mitgemacht, die unheim-          dass keiner von Bord geht... Das    Schulen laufen. Es ist ein Um-
                               lich gewinnbringend waren. Z.B.        ist ganz, ganz wichtig.             denken nötig, um auch organi-
                               mit Kindern, die aus Einrichtun-          Wie gesagt: Es braucht gar       satorisch Freiräume zu schaffen.
                               gen des deutschen Kinderschutz-        nicht die ganz große Reise, son-    Es ist nicht immer nur das Finan-
                               bundes in Schleswig-Holstein           dern es muss jetzt nach der Pan-    zielle, es ist auch gerne mal das
                               kamen. Allein das Klettern im          demie viele Angebote geben, um      Organisatorische: Es muss allen
                               Rick, einmal die Erfahrung,            das soziale, kulturelle Miteinan-   die Zeit hierfür gegeben werden!
                               dass es wackelt, dieses Schiff         der wirklich wieder in den Vor-
                               mit nach vorne zu bringen und          dergrund zu holen, das während        hlz: Also jetzt nach der Pan-
                               gleichzeitig als Spielplatz zu er-     der Pandemie natürlich ganz arg     demie wirklich die Chance nut-
                               leben und handwerkliche Dinge          in den Hintergrund getrieben        zen, auch pädagogisch mal einen
                                             zu erfassen oder         wurde.                              Sprung nach vorne zu wagen?

                                                                                                             Yvonne: Ja und das bedeutet
                                                                           Abenteuer, Lernen,             für mich, die Bildung nicht nur
                                                                      Segeln, fremde Länder.              auf das Digitale zu konzentrie-
                                                                             Erlebe 6 Monate              ren, sondern gleichzeitig auch
                                                                                                          mehr Möglichkeiten zu schaffen,
                                                                          deiner Schulzeit auf            erlebnispädagogische Angebote
                                                                      einem Traditionssegler              zu machen, um gruppendynami-
                                                                                                          sche Prozesse, Selbst- und Sozi-
                                                                     und in fremden Ländern.              alkompetenz in Gang zu setzen.
                                                                                                          Das sind doch die Dinge, die
                                          Infos unter www.kus-projekt.de                                  in der Lehrer_innenfortbildung
                                                                                                          jetzt aufgegriffen werden müss-

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Hand gegen Koje - GEW Hamburg
ten. Auch um den Kolleg_innen

                                                                                                                     Foto: Projekt Thor Heyerdahl
wieder mal ein bisschen den
Blick aus diesem kleinen digi-
talen Kosmos heraus zu weiten.
Ich hoffe, ich kann animieren,
den Blick auch in die Weite
schweifen zu lassen und das
Erlebnis zusammen mit Schü-
ler_innen zu suchen.
   Für mich selber geht es dann
ja auch wieder in diese Abenteu-
er…

  hlz: Nämlich?

   Yvonne: Mich packt das Pro-
jekt „Klassenzimmer unter Se-
geln“ ein zweites Mal: Ich werde
mich wieder mit ca. 32 Schü-
ler_innen, weiteren Lehrkräften
und Segelstamm auf die Thor
begeben.                                 Mitmachen heißt weiterkommen

  hlz: Und diesmal?                      denke, so toll, wie du das Ganze    denke ich, ist in diesem Fall viel-
                                         beschrieben hast, wird das si-      leicht gar nicht so das Problem,
   Yvonne: Es steht pandemiebe-          cherlich den einen oder die an-     weil der Erfolg, der mit einer
dingt noch nicht ganz fest, ob es        dere inspirieren, sich die Sache    solchen Reise erreicht werden
wieder in die Karibik geht. Al-          doch mal durch den Kopf gehen       kann, so immens ist. So habe ich
ternativ sind die Kapverden das          zu lassen und vielleicht mit euch   das auf jeden Fall jetzt wahrge-
Ziel – an der westafrikanischen          bzw. mit dir Kontakt aufzuneh-      nommen. Ich danke dir für das
Küste – und die Etappen dazwi-           men. Du wirst sicherlich viele      Gespräch.
schen. Schauen wir mal!                  Tipps haben und Dinge anstoßen                       JOACHIM GEFFERS
                                         können, die vielleicht auch ein            führte dieses Interview analog
  hlz: Wir sind gespannt! Ich            bisschen Geld kosten, aber Geld,

                                                                                                                     Foto: Kira/Projekt Thor Heyerdahl

Sprung ins Unbekannte

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2021                                                                      51
Hand gegen Koje - GEW Hamburg
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