HIVreport.de 01 2018 - HIV.Report

 
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01
2018      HIVreport.de

       PrEP für Frauen
 3     Teil I: Zulassung und Wirkung
       Indikation, Einnahme, Schwangerschaft,
       Neben- und Wechselwirkungen,
       PrEP-Pipeline
15     Teil II: Zielgruppe und Bedarfe
       Wem bieten wir die PrEP an?
       Wo bieten wir sie an?
HIVreport.de 01 2018 - HIV.Report
PrEP für Frauen
Liebe Leser_innen,                                   Inhalt
„Die PrEP wirkt – zumindest bei Männern,             PrEP I: Zulassung + Wirkung .......................3
die Sex mit Männern haben.“, hieß es im
                                                     Indikation für Frauen ..................................3
HIV-Report im April 2015. [1] Mit dieser
Ausgabe rückt die PrEP für Frauen in den             Einnahmeschema........................................4
Mittelpunkt. Nicht zuletzt wegen dieses              Wo wirkt die PrEP? .....................................5
„Schmunzelns im Raum“: „Wenn das
                                                     Wie stoppen? ..............................................6
Thema PrEP für Frauen auf Veranstaltun-
gen zur Sprache kommt, meine ich, auf                PrEP in der Schwangerschaft ......................8
den Gesichtern vieler schwuler Männer                Wechselwirkungen .....................................9
ein gewisses Lächeln zu sehen“, berichtet
                                                     Nebenwirkungen ........................................9
Beate Jagla von der Geschäftsstelle der Ar-
beitsgemeinschaft AIDS-Prävention NRW.               Transgender*Frauen und PrEP .................11
Anscheinend wird die PrEP nicht unbe-                Die PrEP-Pipeline ......................................12
dingt als relevant für Frauen wahrgenom-
men. Deutlich wird der Wunsch nach einer
ernsthaften Auseinandersetzung. Beate                PrEP II: Zielgruppe + Bedarfe bei Frauen ..15
Jagla: „Die PrEP ist nicht nur eine Frage der        Wem bieten wir die PrEP an? ...................16
Risikovermeidung, sondern ermöglicht –
                                                     Wo bieten wir die PrEP an? ...................... 20
bezogen auf HIV – auch angstfreien Sex
ohne Kondom.“ Dieses Wissen Frauen zu-               Ausblick .....................................................23
gänglich zu machen, damit sie „ihr Risiko            Quellen...................................................... 24
einschätzen, die Vor- und Nachteile der
                                                     Impressum ................................................24
vorhandenen Präventionsmöglichkeiten
abwägen und sich für eine passende Risi-
kominimierungsstrategie         entscheiden“
können, wird zukünftig Aufgabe der Aids-
hilfe sein.
Wir berichten in diesem HIV-Report über
die aktuelle Studienlage und stellen auch
die Fragen, die es in Zukunft noch zu be-
antworten gilt: Gibt es eine bestimmbare
„Zielgruppe PrEP für Frauen“? Wie ist der
Bedarf? Wo erreicht man die Frauen bzw.
wo bewirbt man die PrEP?

Mit freundlichen Grüßen
Katja Schraml, Armin Schafberger

                                 PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
HIVreport.de 01 2018 - HIV.Report
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I PrEP: Zulassung + Wirkung
                                                                                PrEP bei Drogengebrauch
Indikation für Frauen                                                         Für i.v.-Drogengebrauchende wurde
                                                                               in der Bangkok-Studie ein Schutzef-
Seit 22. Juni 2018 ist die deutsch-österrei-
                                                                                 fekt von knapp 50% ermittelt [4].
chische PrEP-Leitlinie [2] veröffentlicht.
                                                                             Die PrEP zur HIV-Prävention bei intra-
Diese Leitlinie gibt Ärztinnen und Ärzten
                                                                              venösem Drogengebrauch ist jedoch
Empfehlungen für die Betreuung von Kli-
                                                                               nicht in der Zulassung eingeschlos-
ent_innen mit einer PrEP.                                                     sen [5,6,7]. Grund: die Bangkok-Stu-
Die PrEP soll laut Leitlinie „als prophylakti-                                 die wurde vom Hersteller nicht bei
sche Maßnahme Menschen mit substanzi-                                           der Europäischen Zulassungsbe-
ellem HIV-Infektionsrisiko angeboten wer-                                       hörde eingereicht. Die Verschrei-
                                                                               bung der PrEP bei Drogengebrauch
den“. Ärzt_innen sollen somit nicht warten,
                                                                                     erfolgt somit „off-label“.
bis jemand nach der PrEP fragt, sondern
                                                                              Die DAIG-Leitlinie [2] empfiehlt die
sind gefordert, sie aktiv anzubieten.
                                                                              PrEP unabhängig von der Zulassung.
Das „substanzielle Risiko“ wird epidemio-                                     Die Empfehlung geht über den intra-
logisch oder individuell definiert:                                              venösen Drogengebrauch sogar
                                                                                 noch hinaus und schließt mit der
Epidemiologisches Risiko: Gruppen, in                                            Formulierung „Injektion“ auch in-
denen sich mindestens 3 von hundert Per-                                      tramuskulären Drogengebrauch z.B.
sonen pro Jahr infizieren, haben laut WHO                                       im Rahmen von Chemsex mit ein.
[3] eine Indikation für die PrEP. In Deutsch-
land gilt das nicht für Frauen generell, son-
dern nur für die Gruppe von Frauen mit ei-                              Sicher Absichern: HIV-negativ testen
nem HIV-positiven Partner, der nicht oder                               Eine HIV-Infektion sollte ausgeschlossen
noch nicht ausreichend antiretroviral the-                              werden, bevor man mit der PrEP beginnt.
rapiert ist [2].                                                        Denn bei Einnahme der PrEP bei (uner-
Individuelles Risiko: Zudem kann auf in-                                kannter) HIV-Infektion könnten Resisten-
dividueller Ebene ein substanzielles Risiko                             zen entstehen. Daher sollten HIV-Tests der
bestehen [2]:                                                           4. Generation2 (Antigen-Antikörper-Tests)
                                                                        eingesetzt und auf Symptome der akuten
            bei Sex ohne Kondom mit Partnern,                          HIV-Infektion geachtet werden. Nach 4
             bei denen eine undiagnostizierte                           Wochen soll der HIV-Test wiederholt wer-
             HIV-Infektion wahrscheinlich ist –                         den [2].
             dies schließt Sexarbeiterinnen1 mit
             in der Regel kondomlosem Verkehr                           Keine Zeit vergeuden
             mit ein
                                                                        Zwischen negativem Test und PrEP-Start
            wenn Drogen ohne Gebrauch steri-
                                                                        sollten nur wenige Tage liegen (max. 14),
             ler Injektionsmaterialien konsu-
                                                                        denn in der Zwischenzeit könnte sich die
             miert werden (s. Kasten).
                                                                        Klientin mit HIV infizierten

1
    Siehe dazu unten: Wem bieten wir die PrEP an?

                                                    PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
HIVreport.de 01 2018 - HIV.Report
4

                                                                          Auch nach der Leitlinie der DAIG muss
               Laboruntersuchungen vor                                    man für den sicheren Schutz bei Vaginal-
                    dem PrEP-Start                                        verkehr 7 Tage vorher mit der PrEP begin-
          HIV-Test (Blutentnahme)                                        nen. Für den Schutz bei Analverkehr rei-
          Hepatitis-B-Test (Blutentnahme)                                chen wie bei den Männern 2 Tage.
          Syphilis-Test (Blutentnahme)
                                                                                             Start der PrEP
          Gonokokken/Chlamydien (im Rachen,
                                                                                      Vaginalverkehr: 7 Tage vorher
           anal und genital Abstriche bzw. Urin)
                                                                                      Analverkehr: 2 Tage vorher
          Kreatinin-Clearance zum Ausschluss
           einer Nierenfunktions-Störung
                                                                          Diese unterschiedlichen Empfehlungen
                                                                          gehen darauf zurück, dass Tenofovir (TDF)
    Einnahmeschema                                                        sehr schnell in die Zellen des Darmes ge-
                                                                          langt und dort tagelang in hoher Konzent-
    Tägliche PrEP: Für Vaginalverkehr wird
                                                                          ration verbleibt. Es wird also schnell ein ef-
    ausschließlich die tägliche PrEP empfoh-
                                                                          fektiver Wirkstoffspiegel erreicht.
    len.
    PrEP bei Bedarf: Die Wirkung der PrEP bei
    Bedarf wurde nur in Studien mit Männern,
    die Sex mit Männern haben (MSM) geprüft
    und ist somit nur für Analverkehr belegt
    [9].
    Für Frauen käme die PrEP bei Bedarf also
    nur in Betracht, wenn sie ausschließlich
    Analverkehr und keinen Vaginalverkehr
    praktizierten. Die PrEP bei Bedarf wird da-
    her hier nicht weiter erläutert.

    Ab wann ist man geschützt?                                            Abb. 1: Konzentration von Tenofovir (TFV) in seiner
    „Der Zeitraum bis zum Eintreten des                                   aktiven Form als Tenofovir-diphosphat (TFV-dp) in
                                                                          der Darmschleimhaut (blau) und dem weiblichen
    Schutzes nach Beginn der Anwendung der
                                                                          Genitaltrakt (rosa) nach einer Einmalgabe der PrEP.
    Kombination aus Emtricitabin und Tenofo-                              Die TFV-Konzentration ist im Darm mehr als 100-
    vir ist unbekannt“ [5,6,7] steht in den                               fach höher als in den Geweben des weiblichen Ge-
    Fachinformationen des Medikaments.                                    nitales. Tenofovir bleibt zudem über einige Tage in
                                                                          hoher Konzentration in den Zellen des Darmes. Gra-
    Dort findet man also vergebens einen Hin-
                                                                          fik nach A. Kashuba [8]
    weis darauf, nach wie vielen Tagen der
    PrEP-Einnahme man geschützt ist.
    Bei aufnehmendem Vaginalverkehr wird
    seit der IAS-Konferenz in Paris (2017) emp-
    fohlen, eher 7 Tage3 vorher mit täglich ei-
    ner Tablette zu beginnen.

    3
        Allerdings gibt es sehr unterschiedliche Berechnungen und Emp-     mit der PrEP zu beginnen. Die in der DAIG-Leitlinie empfohlenen
        fehlungen. Die Pharmakologin Angela Kashuba [8] errechnet,         7 Tage sind somit nicht in Stein gemeißelt – die Empfehlung kann
        dass der effektive Wirkstoffspiegel für den Analverkehr bereits    sich in den nächsten Jahren noch ändern.
        nach zwei und für den Vaginalverkehr nach drei Tagen erreicht
        wäre. Andere Experten raten, bei Vaginalverkehr 21 Tage vorher

                                                      PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
HIVreport.de 01 2018 - HIV.Report
5

Anders ist die Situation in den Geweben                                 Bei Einnahme mit Nahrung wird das Medi-
des weiblichen Genitales. Tenofovir ist                                 kament besser resorbiert und es werden
dort in deutlich geringerer Konzentration                               höhere Wirkstoffwerte im Blut („Serum-
zu messen. Daher will man mit einer 7-tä-                               spiegel”) gemessen. Daher die Empfeh-
gigen Einnahme vor dem ersten Sex si-                                   lung, das Medikament mit Nahrung einzu-
cherstellen, dass sich eine schützende                                  nehmen.
Konzentration aufbauen kann.
                                                                        Was tun bei Erbrechen?
Bei Emtricitabin (FTC) ist es zwar anders:
FTC ist im den Zellen des weiblichen Geni-                              Bei Erbrechen innerhalb einer Stunde
tales höher konzentriert. Als wichtigere                                nach Einnahme der PrEP sollte nochmal
Substanz in der PrEP mit der Kombi Teno-                                eine Tablette eingenommen werden. Bei
fovir/Emtricitabin gilt allerdings Tenofovir.                           Erbrechen >1 Stunde nach Einnahme der
                                                                        PrEP: keine zweite Dosis einnehmen!

                                                                        Frauen: keine Dosis vergessen!
                                                                        In der iPrEX-Studie war bei MSM die HIV-
                                                                        Infektionsrate um 90% reduziert, wenn sie
                                                                        zwei Tabletten TDF/FTC pro Woche ein-
                                                                        nahmen4. Um den gleichen Schutzeffekt
                                                                        zu erzielen, mussten Frauen in der PART-
                                                                        NERS-PrEP-Studie 7 Tabletten pro Woche
                                                                        einnehmen [8]. Für Frauen scheint
                                                                        TDF/FTC also noch nicht die optimale PrEP
                                                                        zu sein. Sie erreichen zwar auch einen ho-
                                                                        hen Schutzeffekt, allerdings sollten sie
Abb. 2: Konzentration von Emtricitabin (FTC) in sei-                    keine Dosis vergessen.
ner aktiven Form als Emtricitabin-Triphosphat (FTC-
tp) in der Darmschleimhaut (blau) und dem weibli-
                                                                        Wo wirkt die PrEP?
chen Genitaltrakt (rosa) nach einer Einmalgabe. FTC
ist im weiblichen Genitaltrakt höher konzentriert                       Die PrEP mit TDF/FTC wirkt in den bereits
(>50-fach) als im Darm. Aber schon nach zwei bis
                                                                        von HIV infizierten Zellen und verhindert
drei Tagen ist das Medikament (nach Einmalgabe)
kaum mehr nachweisbar. Grafik nach A. Kashuba [8]                       die Transkription von Virus-RNA5 in Virus-
                                                                        DNA6 – das ist die Voraussetzung für den
Mit Nahrung einnehmen                                                   Einbau der Virus-Erbsubstanz in die der
                                                                        menschlichen Zelle (Abb. 3). Die PrEP sollte
Tenofovir/Emtricitabin wird rasch resor-
                                                                        daher schon in der Zelle sein, bevor HIV
biert. Auf nüchternen Magen wird der ma-
                                                                        andockt. Zudem muss die PrEP nach dem
ximale Wert im Blut nach 0,5–3 Stunden
                                                                        Sex noch eine Weile in der Zelle sein, damit
erreicht. Bei Einnahme mit Nahrung verzö-
                                                                        HIV nicht noch nach Tagen mit der Repli-
gert sich die Resorption um eine Dreivier-
                                                                        kation beginnen kann. Daher ist der Zeit-
telstunde [5,6,7].
                                                                        punkt des Stopps der PrEP bedeutsam.

4                                                                       6
    Ab einer Wochendosis von 4 Tabletten hatte sich in der iPrEX-Stu-       DNA=Desoyribonukleinsäure. So liegt die Erbsubstanz in der
    die (tägliche PrEP) kein MSM mit HIV infiziert. [9]                     menschlichen Zelle vor.
5
    RNA=Ribonukleinsäure. So liegt die Erbsubstanz im HIV-Virus vor.

                                                    PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
HIVreport.de 01 2018 - HIV.Report
Abb. 3. Die PrEP mit TDF/FTC wirkt in der Zelle und        Zudem wird –je nach Alter und Risikofak-
blockiert einen zentralen Schritt der Virusreplika-        toren (Diabetes, Bluthochdruck, …) die
tion, die Transkription von Virus-RNA in DNA
                                                           Niere kontrolliert.
(Schritt 2). Die nächste Generation der PrEP (Mo-
natsspritze mit dem Integraseinhibitor Cabotegra-
vir) setzt später an: bei der Integration der Virus-
DNA in die DNA der menschlichen Zelle (Schritt 3).
                                                                     Laboruntersuchungen
                                                                       während der PrEP
Regelmäßige Untersuchungen                                    HIV-Test (alle 3 Monate)
Mit regelmäßigen HIV-Tests soll verhin-                       Syphilis-Test (alle 3 Monate)
dert werden, dass die PrEP längere Zeit                       Gonokokken/Chlamydien (alle 3–6
eingenommen wird, obwohl man sich                              Monate)
schon mit HIV infiziert hat (z.B. bei „Ver-                   Kreatinin-Clearance (alle 6-12 Mo-
gessen der Einnahme). Es könnte dann zu                        nate bei Alter 40 Jahren bzw. bei Ri-
                                                               sikofaktoren                         für
denn PrEP alleine reicht als HIV-Therapie
                                                               Nierenerkrankungen)
nicht aus.
                                                              Hepatitis-C-Test (alle 6-12 Monate)
Die PrEP schützt nicht vor anderen STI,
daher sollten noch andere Untersuchun-
gen auf STI durchgeführt werden.

                                       PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
HIVreport.de 01 2018 - HIV.Report
7

Die Laboruntersuchungen unterscheiden
sich nicht zwischen Männern und Frauen,
obwohl einzelne STI bei den Geschlech-
tern unterschiedlich häufig auftreten (Sy-
philis und Hepatitis C sind bei Frauen sel-
tener).

Wie stoppen?
Zur Frage, wie lange man die PrEP nach
dem letzten Sex noch einnehmen muss,
gibt es keine harten Daten. Die Leitlinien-
gruppe der DAIG konnte daher zu dieser
Frage keine Empfehlung geben.
Allerdings weiß man von der „PrEP bei Be-
                                                       Abb 4: Errechnete Resteffektivität der PrEP in der
darf“, dass noch zwei Tage nach dem Anal-
                                                       Darmschleimhaut nach dem Stopp nach Ipergay-
verkehr die PrEP eingenommen werden                    Schema (zwei Tabletten nach dem letzten Sex). Gra-
muss. In den Zellen des Darmes bleibt die              fik nach A. Kashuba [8]
PrEP aber noch länger wirksam (Abb. 4).
Aber wie ist das bei Vaginalverkehr? In den
Zellen des weiblichen Genitales lässt die
Konzentration und damit die errechnete
Wirkung der PrEP-Medikamente rasch
nach (Abb. 5).

            Ende der PrEP
    Vaginalverkehr: 7–28 Tage nachher
    Analverkehr: 2 Tage nachher

Für Frauen bzw. nach Vaginalverkehr gilt
daher, dass die PrEP nach dem letzten Sex              Abb 5: Errechnete Resteffektivität der PrEP in der
noch einige Tage weiter eingenommen                    Schleimhaut von Scheide und Gebärmutterhals
werden sollte. Die Empfehlungen von Ex-                nach dem Stopp nach Ipergay-Schema (2 Tabletten
                                                       nach dem letzten Sex). Grafik nach A. Kashuba [8]
perten gehen hier weit auseinander (in
den Leitlinien äußert man sich nicht dazu):
7 Tage bis 28 Tage nach dem letzten Vagi-              Von bisherigen PrEP-Projekten weiß man,
nalverkehr sollte die PrEP weitergeführt               dass PrEP-User_innen bei Adhärenzprob-
werden.                                                lemen vor allem die letzten Tabletten ver-
                                                       gessen. Auf die Bedeutung der letzten
                                                       Tabletten sollte in der PrEP-Beratung hin-
                                                       gewiesen werden!

                                   PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
HIVreport.de 01 2018 - HIV.Report
8

                                                                 In der Spätschwangerschaft beträgt das
    PrEP in der Schwangerschaft
                                                                 HIV-Infektionsrisiko fast das Dreifache –
    Normalerweise vermeidet man es, Medi-                        verglichen mit der Zeit vor der Schwanger-
    kamente während der Schwangerschaft                          schaft. Und in der Zeit nach der Geburt so-
    einzunehmen. Sollte eine Frau, die die                       gar das Vierfache [11]. Die PrEP sollte also
    PrEP nimmt und schwanger wird, die PrEP                      zum Schutz der Schwangeren eher weiter-
    also absetzen? Wenn die Frau weiterhin                       gegeben werden. Zumal eine HIV-Infektion
    ein HIV-Risiko hat, wäre das keine gute                      in der Schwangerschaft oder der Stillzeit
    Idee.                                                        aufgrund der hohen Viruslast in der
                                                                 akuten HIV-Infektion eine fast sichere In-
    Hohes HIV-Risiko in der Schwanger-                           fektion des Kindes bedeuten würde.
    schaft!
                                                                 Die Einnahme von Tenofovirdisop-
    Schwangere haben in und nach der                             roxil/Emtricitabin während der Schwan-
    Schwangerschaft ein höheres Risiko pro                       gerschaft gilt bezüglich Toxizität für das
    Sexualakt, sich mit HIV zu infizieren. Man                   Kind als sicher. Tausende von HIV-positi-
    vermutet, dass infolge der Hormonum-                         ven Frauen haben in der Schwangerschaft
    stellung die Schleimhaut empfänglicher                       TDF/FTC eingenommen, ohne dass es zu
    für HIV wird.                                                einer vermehrten Fehlbildungsrate bei
                                                                 Kindern gekommen wäre.

                                 HIV-Infektionsrisiko per 1000 Sexualkontakte

     Nicht-Schwangere                                          1,00

     Frühschwangerschaft             Woche 0–13                2,19                   (x2)

     Spätschwangerschaft             Woche 14–Geburt           2,97                   (x3)

     Nach der Geburt                 Geburt–6 Monate           4,18                   (x4)

    Tab 1: HIV-Infektionsrisiko in der Schwangerschaft (nach Thomson)

                                                                 möchten oder könnten, sollten besser un-
    PrEP und Empfängnisverhütung                                 ter dem Schutz der PrEP schwanger wer-
    In der Informationsbroschüre für Perso-                      den, als (in der Schwangerschaft) eine HIV-
    nen mit TDF/FTC zur PrEP, die von den                        Infektion zu riskieren.
    Herstellerfirmen mit dem Bundesamt für                       Laut Fachinformation [5,6,7] und Abfrage
    Arzneimittel und Medizinprodukte ver-                        der Wechselwirkungs-Datenbank der Uni-
    fasst wird, heißt es: „Frauen im gebärfähi-                  versität Liverpool7 gibt es keinen Anhalt
    gen Alter müssen während der Behand-                         für Wechselwirkungen von TDF/FTC mit
    lung mit Truvada® unbedingt eine                             der hormonellen Kontrazeption. Aller-
    wirksame        Empfängnisverhütungsme-                      dings ist die Datenlage dünn und die Ent-
    thode anwenden.“ [17]                                        warnung basiert meist auf pharmakologi-
    Aus unserer Sicht ist es anders: Frauen mit                  schen      Überlegungen     (verschiedene
    einem HIV-Risiko, die schwanger werden                       Abbauwege im Körper).

    7 www.hiv-druginteractions.org

                                             PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
HIVreport.de 01 2018 - HIV.Report
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Blutkonzentrationen in der Schwan-
                                                      Wechselwirkungen
gerschaft
                                                      Mit TDF/FTC gibt es so gut wie keine Wech-
In der Schwangerschaft ist alles anders.
                                                      selwirkungen mit anderen Medikamenten
Das gilt auch für die Konzentration von
                                                      und Drogen. [5,6,7]
Medikamenten im Blutserum. Das ist nicht
weiter verwunderlich, denn das Körpervo-              Das heißt die Einnahme von Medikamen-
lumen nimmt zu, die Dosierung der Tablet-             ten wie der Antibabypille, der Hormoner-
ten bleibt die Gleiche. Daher ist es sinnvoll,        satztherapie in/nach den Wechseljahren,
zu untersuchen, wie stark der Effekt bei              Schmerzmitteln, Opiaten, Antidepressiva
der PrEP ist.                                         und anderen Medikamenten beeinträch-
                                                      tigt nicht die Wirkung der PrEP – und die
Bei Tenofovir ist die Konzentration im Blut-
                                                      PrEP beeinträchtigt nicht die Wirkung die-
serum während der Schwangerschaft um
                                                      ser Medikamente.
58% niedriger als bei nicht-schwangeren
Frauen [12]. Es ist aber unklar, ob das ne-           Vorsicht ist aber gegeben bei Medikamen-
gative Auswirkungen auf die Wirkung der               ten, die „auf die Niere gehen“ (s. unten, Ne-
PrEP hat – denn man weiß nicht, wie hoch              benwirkungen). Der nierenschädigende
die Blutserum-Konzentrationen für einen               Effekt kann sich dann verstärken.
wirkungsvollen Schutz eigentlich sein                 Nebenwirkungen
müssen. Aus der Behandlung von HIV-po-
sitiven Schwangeren, deren ART-Kombina-               TDF/FTC gehört zu den gut verträglichen
tion TDF/FTC enthält, sind keine besonde-             HIV-Medikamenten. Da beide Substanzen
ren Probleme durch die veränderten                    schon seit vielen Jahren in der HIV-Thera-
Konzentrationen bekannt.                              pie ihren Platz haben, kennt man die Ne-

                            Wie kontrolliert man die Niere?

  Die Kreatinin-Clearance gibt Auskunft dar-
  über, wie gut die Niere das im Muskelabbau
  entstehende Kreatinin aus dem Blut in den
  Urin filtrieren kann. Eigentlich müsste man
  dazu das Kreatinin im Blut und im Urin sowie
  die Urinmenge pro 24 Stunden bestimmen.
  Aber das ist unpraktisch. Also behilft man
  sich mit einer Formel. Meist wird dazu die        Abb. 7: Formel zur Errechnung der Creatinin-Clearance.
                                                    Das Geschlecht geht mit in die Rechnung ein und sollte
  Cockcroft-Gault-Formel genommen (Abb. 7).         –wie auch Alter und Gewicht- dem Labor bekannt sein.
 Denn die Messung nur des Kreatininwerts im Serum wäre zu ungenau – damit könnte man
 einen Nierenschaden erst spät entdecken. Mit der Cockcroft-Gault-Formel hingegen kann man
 schon leichtere Nierenschäden erkennen. Meist errechnet das Labor bereits die Kreatinin-
 Clearance. In die Formel gehen neben dem Kreatinin-Wert im Serum auch Alter, Geschlecht und
 Gewicht ein. Wenn das Labor diese Parameter nicht hat, wird das Ergebnis ungenauer. Denn
 Frauen haben im Vergleich zu Männern bei gleichem Kreatinin-Wert im Blut nur 81% der Krea-
 tinin-Clearance von Männern (die ja meist mehr Muskelmasse und damit auch mehr Krea-
 tininabbau haben).

                                  PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
HIVreport.de 01 2018 - HIV.Report
10

     benwirkungen gut und erlebt voraussicht-                v.a. die Niere. Die Fachinformation
     lich keine Überraschungen mehr.                         schreibt daher vierteljährliche Nierenkon-
                                                             trollen vor – bei entsprechenden Vorer-
     Häufige Nebenwirkungen wie Kopf-
                                                             krankungen und höherem Alter sind ggf.
     schmerzen oder Schwindelgefühl können
                                                             auch häufigere Kontrollen sinnvoll.
     sich 2–4 Wochen nach Einnahme der PrEP
     bessern – der Körper „gewöhnt“ sich an                  Tenofovir führt zu einer Senkung der Nie-
     die Medikamente.                                        ren-Filtrationsleistung. Bei jungen und nie-
                                                             rengesunden Personen spielt diese leichte
     Nierenkontrollen nicht vergessen!                       Reduktion der Nierenleistung keine Rolle.
     Seltene, aber schwere und daher ernst zu
     nehmende Nebenwirkungen betreffen
      Nebenwirkungs-             Emtricitabin (FTC)                                 Tenofovir (TDF)
      häufigkeit

      Sehr häufig           Kopfschmerzen, Durchfall, Übelkeit,         Schwindelgefühl, Durchfall, Erbrechen,
                                                                        Übelkeit, Hautausschlag, Kraftlosigkeit,
      bei >10 %
                                                                        erniedrigte Phosphatwerte im Blut

                            Allergische Reaktion, Verringerung der      Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Völ-
                            weißen Blutkörperchen, Erhöhung des         legefühl, Blähungen, erhöhte Leber-
      Häufig
                            Blutzuckers und der Triglyceride (Blut-     werte (Transaminasen)
      bei 1–10 %            fette), Schlaflosigkeit, abnorme
                            Träume, Schwindelgefühl, Verdauungs-
                            störungen, Erbrechen, erhöhte Werte
                            für Bauchspeicheldrüsen-Enzyme, er-
                            höhte Leberwerte (AST, ALT, Bilirubin),
                            Hautausschlag, Juckreiz, verstärkte
                            Hautpigmentierung, erhöhte Kreatin-
                            kinase-Werte (Enzym aus dem Muskel),
                            Schmerzen, Kraftlosigkeit

      Gelegentlich          Blutarmut,                                  Erniedrigte Kaliumwerte im Blut,
                                                                        Bauchspeicheldrüsenentzündung, Mus-
      bei 0,1–1 %           Schwellung der Haut (Angioödem)
                                                                        kelschwäche, Auflösung von Muskelge-
                                                                        webe, erhöhte Kreatinkinase-Werte,
                                                                        Nierenerkrankung

      Selten                                                            Laktatazidose (Übersäuerung), Leber-
                                                                        entzündung, Fettleber, Schwellung der
      bei 0,01–0,1 %
                                                                        Haut (Angioödem), Nierenversagen,
                                                                        Nierenentzündung, Nierenschaden
                                                                        (tubuläre Nekrose), „Wasserharn-
                                                                        ruhr“ d.h. hoher Flüssigkeitsverlust
                                                                        über den Harn

     Tab 2: Nebenwirkungen von FTC und TDF nach Fachinformation [6,7,8]. Häufige NW sind lästig, aber unge-
     fährlich. Seltene NW betreffen v.a. die Niere

                                         PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
11

Vorsicht ist geboten bei Vorliegen anderer                             Ausgangsüberlegungen der Forschung:
Faktoren, die die Nierenleistung beeinflus-                            Die Östrogen-Konzentrationen bei Trans-
sen bzw. die Niere schädigen, z.B. Zucker-                             gender-Frauen sind 2–9 mal höher als die
krankheit (Diabetes mellitus), Schmerzmit-                             von cis-Frauen vor der Menopause. Östro-
telkonsum (z.B. Ibuprofen), Einnahme                                   gene führen auf der Zelloberfläche zu
anderer potenziell nierenschädigender                                  mehr Nukleotidasen. Diese Enzyme könn-
Medikamente (z.B. einige Antibiotika),                                 ten sowohl die Konzentration des Tenofo-
Bluthochdruck und höheres Alter (ab 50                                 vir-Nukleotids verringern, als auch die
Jahren).                                                               Konzentration des Gegenspielers von Te-
                                                                       nofovir, des Desoxy-Adenosintriphos-
                                                                       phats8 (dATP) in der Zelle steigern. Das
                                                                       wiederum würde die Wirkung von Tenofo-
                                                                       vir (dem Hauptbestandteil der PrEP) in der
                                                                       Zelle senken.
                                                                       Aber ist das auch so? Dazu wurden vier cis-
                                                                       Frauen, vier Transgender*Frauen und
                                                                       zwei Männer untersucht. Alle waren HIV-
Abb. 6: Krankheiten und Faktoren, die eine Nieren-                     positiv und nahmen TDF/FTC als Teil ihrer
schädigung hervorrufen können. Bei Kombination                         HIV-Therapie (ART) ein. Die Schleimhaut
solcher Faktoren mit der PrEP sind engmaschigere                       des Enddarms wurde punktiert und das
Kontrollen erforderlich.                                               Verhältnis der Nukleotide (von Tenofovir-
                                                                       Diphosphat (TFVdp) zu seinem natürlichen
                                                                       Konkurrenten dATP) bestimmt.
Transgender*Frauen und PrEP
Transgender*Frauen waren in den PrEP-
Studien bislang kaum repräsentiert. Ent-
sprechend wenig weiß man darüber, wie
die PrEP mit TDF/FTC wirkt.
Eigentlich sind zwischen PrEP (TDF/FTC)
und Östrogenen keine Wechselwirkungen
bekannt. Aber die höher dosierte Ein-
nahme von Östrogen könnte, so eine Be-
fürchtung, die PrEP-Wirkung beeinflussen.                              Abb. 7: Das Verhältnis von TFV/ATP in der Zelle ist
                                                                       bei Transgender*Frauen (TGW, grün) deutlich gerin-
Die North-Carolina-Studie                                              ger als bei Cis-Männern (CGM, blau) und Cis-Frauen
                                                                       (CGW, rot). Trotzdem hat die ART in diesen Zellen
Mackenzie Cottrell [13] von der Universität                            funktioniert und die Virusproduktion unterdrückt.
North Carolina untersuchte mögliche
Wechselwirkungen zwischen Hormonen                                     Das Ergebnis: Das Verhältnis der Nukleo-
und PrEP.                                                              tide war bei cis-Frauen und -Männern im
                                                                       Vergleich zu Transgender*Frauen 10-fach
                                                                       höher.

8
    Desoxy-Adenosintriphosphats (dATP) dient in der Zelle im We-
    sentlichen als Baustein für die Nukleinsäuren (Erbsubstanz), als
    auch dem Energiehaushalt der Zelle.

                                                   PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
12

     Was heißt das? Höhere Östrogenkonzent-              vant sein. Aber ein Effekt der Hormonthe-
     rationen bedeuten ein niedrigeres Verhält-          rapie ist nachweisbar: auch hier bedarf es
     nis der Nukleotide (TFVdp/dATP). Insofern           weiterer Forschung.
     hat sich die Arbeitshypothese der For-
     scher bestätigt. Höher dosierte Östrogene
     scheinen einen Einfluss auf Tenofovir in            Die PrEP-Pipeline
     der Zelle und seinen Nukleotid-Gegenspie-           Welche Alternativen zur PrEP mit TDF/FTC
     ler zu haben.                                       wird es in den nächsten Jahren geben [15]?
     Allerdings schauten die Forscher eben-
     falls, ob sich die HIV-Konzentrationen in           Intravaginaler Ring
     den Zellen der HIV-positiven Patient_innen          Der intravaginale Ring mit dem NNRTI
     auch unterschieden – dies war nicht der             Dapivirin erreichte in den ersten Studien
     Fall. Die ART scheint also – Konzentratio-          lediglich einen Schutzeffekt um 30% [15],
     nen hin oder her – in den Zellen gleich gut         in den darauffolgenden Open-label-Stu-
     zu wirken.                                          dien namens HOPE und DREAM (ohne Pla-
     Und wie ist das mit der PrEP? Wirkt sie bei         cebo, die Frauen wussten nun, dass der
     Transgender*Frauen schlechter? Man                  Ring wirkt) 54%. Der Zulassungsantrag
     kann aus dieser Studie keine voreiligen             wurde im Sommer 2017 bei der Europäi-
     Schlüsse ziehen. Aber sie zeigt: es sind            schen Zulassungsbehörde (EMA) einge-
     noch Fragen offen und weitere Forschung             reicht. Der Ring soll allerdings nicht in Eu-
     sollte dringend folgen.                             ropa auf den Markt, sondern ist für
                                                         Subsahara Afrika vorgesehen. Afrikani-
     Die iFact-Studie                                    sche Länder (zuerst Kenia, Malawi, Ru-
                                                         anda, Tansania, Uganda und Simbabwe)
     In der iFact-Studie [14] wurde vom thailän-
                                                         sollen den Zulassungsprozess der EMA
     dischen Roten Kreuz ebenfalls untersucht,
                                                         dann übernehmen. Dieser Vorgang spart
     ob es direkt Wechselwirkungen von Hor-
                                                         Ressourcen bei den Behörden der einzel-
     monen mit der PrEP geben könnte.
                                                         nen Länder.
     20 Transgenderfrauen ohne Orchiektomie
     (Entfernung der Hoden) erhielten eine fe-           Cabotegravir: die 2-Monatsspritze
     minisierende Hormontherapie mit Östro-              Der Integraseinhibitor Cabotegravir wird
     genen und einem Medikament, das die                 als langwirksame PrEP erprobt und alle
     Testosteronwirkung blockiert. Die Proban-           acht Wochen intramuskulär (in beide Ge-
     dinnen nahmen zusätzlich die PrEP ein.              säßmuskeln) injiziert.
     Über 15 Wochen wurden zu verschiede-
     nen Zeitpunkten die Tenofovir- und Östro-           Die Studie HPTN°084 soll 3.200 Frauen in
     gen-Konzentrationen im Blut gemessen.               20 Studienzentren in Botswana, Kenia,
                                                         Südafrika, Uganda und Simbabwe ein-
     Ergebnis: Unter dem Einfluss der Hormon-            schließen, sie startete Anfang November
     therapie sank der Wirkspiegel von Tenofo-           2017 und wird bis ca. 2022 dauern. Nach
     vir um 13%. Der Östrogenspiegel wurde               Abschluss der Cabotegravir-PrEP-Phase
     durch Tenofovir hingegen nicht beein-               müssen die Probandinnen noch ein Jahr
     flusst.                                             eine orale PrEP einnehmen, denn das in-
     Was folgt daraus: Die Relevanz ist unklar –         tramuskulär verabreichte Cabotegravir
     denn eine Senkung von 13% dürfte irrrele-           lässt sich so lange noch im Blut nachwei-
                                                         sen. Und damit es bei einer etwaigen HIV-

                                     PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
13

Infektion nicht gleich zu einer Cabotegra-
vir-Resistenz kommt, muss man durch
                                                                 Cabotegravir-PrEP für Trans-
eine andere PrEP eine HIV-Infektion sicher
                                                                       gender Frauen
vermeiden.
                                                                 Die Parallelstudie HPTN 083 wird mit
In HPTN°084 wird zusätzlich untersucht:                          4.500 MSM und Transfrauen (TGW) in
                                                                 den USA, Argentinien, Brasilien, Peru,
         ob es Wechselwirkungen mit Hor-
                                                                   Thailand, Vietnam, und Südafrika
          monen gibt, die zur Kontrazeption
                                                                 durchgeführt. Der Anteil der TGW soll
          eingesetzt werden
                                                                  – das ist das Ziel – mindestens 10%
         wie hoch die Cabotegravir-Blutse-
                                                                  bzw. 450 Personen betragen [16].
          rum-Spiegel in der Schwanger-
                                                                 Wenn das gelänge, gäbe es erstmals
          schaft sind,
                                                                  in einer PrEP-Studie harte Daten zu
         ob Cabotegravir negative Auswir-
                                                                  Transgender-Personen. Die Studie
          kungen auf den Fötus hat,
                                                                 wird voraussichtlich Ende 2021 abge-
         wie konzentriert Cabotegravir in
                                                                            schlossen sein.
          der Muttermilch vorkommt.
Intramuskuläre verabreichte Kontrazep-
tiva sind in Südafrika zur Schwanger-
schaftsverhütung gebräuchlich, man er-
wartet also eine hohe Akzeptanz.
        Studie         Design                             Wo?                       Wer?         Ende
 Cabotegravir       Phase 1 (Startphase)                                    3.200             Mai
 HPTN°083           5 Wochen orale PrEP        Botswana, Kenya, Süd-
                                               afrika, Uganda, Sim-         Cis-Frauen        2022
 Phase IIb / III    Phase 2                    babwe
                    intramuskulär alle 8 Wo-
 Cabotegravir       chen vs. TDF/FTC                                        4.500             September
 HPTN°083                                      Argentinien, Braslien,
                                               Peru, Südafrika, Tha-        MSM und Trans-    2021
                    Phase 3 (Ausleitung)
 Phase IIb / III                                                            gender*Frauen
                                               land, USA, Vietnam
                    48 Wo mit TDF/FTC oral

 TAF/FTC                                                                    5.400             September
 Discover           TAF/FTC (Descovy) vs.      Deutschland (500), USA,
                    TDF/FTC (Truvada) für      Europa, ....                 MSM und Trans-    2020
 Phase III                                                                  gender*Frauen
                    mind. 96 Wochen
                                                                            en

Tab 3: Effektivitäts-Studien zur PrEP mit Cabotegravir und TAF

                                                          (Truvada® bzw. Generika) bereits weitge-
TAF/FTC
                                                          hend abgelöst. TAF senkt die Kreatinin-
In der Discover-Studie wird erprobt, ob                   Clearance weniger stark als TDF – ob es
sich das aus dem „alten“ Tenofovirdisop-                  auch zu weniger Nierenschäden kommt,
roxil (TDF) weiter entwickelte Tenofovi-                  ist bislang noch nicht belegt.
ralafenamid (TAF) besser zur PrEP eignet.
In der HIV-Therapie hat das neue TAF (mit
FTC, als Descovy®) das „alte“ TDF/TFC

                                      PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
14

     TAF/FTC wird in der Discover-Studie an                       HPTN°081/HVTN°703 schließt in
     5.400 MSM und Transgender Frauen er-                          Ländern des südlichen Afrika 1.900
     probt. Die Studie wird Ende 2020 abge-                        Frauen ein.
     schlossen sein.                                              HPTN°085/HVTN°704 schließt in
                                                                   Nord- und Südamerika 2.700 MSM
     Die Lücke in der Forschung: Für Cis-Frauen
                                                                   und Transgender-Personen, die
     gibt es schon zur Wirkung der TDF/FTC-
                                                                   Sex mit Männern haben, ein.
     PrEP weniger klare Daten – im Vergleich zu
     Männern. Dafür gibt es eher viele Unsi-              Die Zukunft der AMP liegt wahrscheinlich
     cherheiten – wie sich z.B. das Medikament            in der Kombination von 3–5 verschiede-
     in den Schleimhäuten des weiblichen Ge-              nen Antikörpern, denn gegen einen Anti-
     nitales verteilt. Zur Wirksamkeit von                körper kann HIV leichter resistent werden
     TAF/FTC bei Cis-Frauen wird es gar keine             – das ist eine Parallele zur medikamentö-
     Daten geben. Discover ist derzeit die ein-           sen ART.
     zige Phase-3-Studie zur PrEP mit TAF.
                                                          Lokale PrEP mit Tenofovir-Gel
     Implantate
                                                          Der Versuch, Frauen durch ein Tenofovir-
     In Zukunft – aber das wird noch Jahre dau-           haltiges Vaginalgel (1%) vor HIV zu schüt-
     ern – könnten Stäbchen mit einem PrEP-               zen, ist bislang gescheitert (VOICE-Studie,
     Medikament unter die Haut implantiert                s. HIVreport PrEP 2015 [1]). Allerdings war
     werden. Dort könnten sie dann über meh-              der Erfolg nicht einheitlich schlecht. Bei
     rere Monate bis zu wenigen Jahren ein                Frauen ohne Entzündung der Vagina
     PrEP-Medikament abgeben. Dazu eignen                 konnte ein Schutzeffekt von bis zu 75% er-
     sich Medikamente, von denen man nur                  reicht werden, bei Frauen mit Bakterieller
     eine kleine Menge benötigt, z.B. TAF (Teno-          Vaginose bzw. Entzündungszeichen war
     foviralafenamid) oder Cabotegravir. Sol-             kein Schutz vorhanden.
     che Stäbchen sind bereits aus der Schwan-
                                                          Zwei Erklärungen gibt es dafür: zum einen
     gerschaftsverhütung bekannt.
                                                          können Bakterien, die bei der Bakteriellen
                                                          Vaginose vorkommen (Gardnerella vagi-
     Antikörper
                                                          nalis) das Tenofovir zu einer unwirksamen
     AMP = Antibody Mediated Prevention (An-              Substanz umwandeln. Zum anderen gibt
     tikörper-vermittelte Prävention) ist die Ab-         es in den Zellen der entzündeten Schleim-
     kürzung für die neueste Form der PrEP.               haut mehr Desoxy-Adenosintriphosphat
     Alle acht Wochen erhält man in den Stu-              (dATP). Das Nukleotid dATP soll durch Te-
     dien eine intravenöse Antikörper-Infusion            nofovir ja „verdrängt“ werden, damit sich
     über 30–60 Minuten Dauer. Thematisch ist             statt dATP Tenofovir in die Nukleinsäure
     diese Form der PrEP nahe an der Impf-                des Virus einbaut. Mehr dATP in der Zelle
     stoffforschung – denn wenn es gelingen               bedeutet: Tenofovir wirkt schlechter [15].
     würde, durch AMP vor HIV zu schützen,
                                                          Die Forschung zur lokalen PrEP hat also ei-
     könnte man versuchen, durch einen Impf-
                                                          nen Rückschlag erlitten. Aber es geht wei-
     stoff den Körper dazu zu bringen, genau
                                                          ter: neue Substanzen müssen von Anfang
     diese Form der Antikörper selbst zu pro-
                                                          an darauf getestet werden, ob sie auch bei
     duzieren. AMP kann man also als Vorstufe
                                                          entzündeter Schleimhaut noch wirken
     zur Impfung betrachten.
                                                          können.
     Zwei Studien mit dem Antikörper VRC01
     laufen derzeit (bis ca. Ende 2021):
                                      PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
15

                                                                          eine Zwangslage zu kommen. Dann kann
II PrEP: Zielgruppe und Bedarfe bei
                                                                          es leicht sein, dass Frauen aufgrund ihrer
Frauen                                                                    ‚doppelten Verantwortung‘ in doppelte
                                                                          Präventionsaktivitäten investieren müs-
Machen wir einen thematischen Sprung.
                                                                          sen. Für viele zweifelsohne ein Rückschritt
Im zweiten Teil dieses HIVreports wollen
                                                                          gegenüber der kondomgestützten Verhü-
wir uns mit der Frage auseinandersetzen,
                                                                          tung. Zum anderen setzen sich Frauen
für welche Frauen in Deutschland die PrEP
                                                                          stärker mit möglichen Nebenwirkungen
relevant bzw. interessant sein könnte.
                                                                          der Medikamente auseinander, sind zum
                                                                          Teil auch stärker betroffen. Kurz: Man
                                                                          müsse bei Frauen einfach anders aufklä-
                                                                          ren: Was wie wirkt und was anders wirkt
                                                                          als bei den schwulen Männern.“ [18]

                                                                          Zielgruppenbestimmung als Grat-
                                                                          wanderung
                                                                          Nicht zuletzt scheint man bei dem Thema
                                                                          eine Gratwanderung zu unternehmen, bei
                                                                          der man je nach Vermutung in eine „Zu-
                                                                          mutungsfalle“ gerät und Gefahr läuft, die
                                                                          Frau an sich oder das Gegenüber im kon-
                                                                          kreten Beratungsfall zu stigmatisieren.
                                                                          Bekannt ist die Situation z.B. aus dem Arzt-
Abb. 8: Öffentlichkeitskampagne Washington D.C.                           Patienten-Gespräch, wenn es darum geht,
für PrEP für Frauen: prepforher.com. Wie könnte
                                                                          einen HIV-Test anzubieten. Die Schwierig-
Werbung in Deutschland aussehen?
                                                                          keit, im Praxiskontext angemessen über
Dass die PrEP, wie eingangs erwähnt, hier-                                Sexualität zu kommunizieren,9 erschwert
zulande vor allem ein Thema der schwulen                                  die (rechtzeitige) HIV-Diagnostik10.
Community ist, stellt uns bei Zielgruppen-
bestimmung und Bedarfsanalyse für                                         Während man beim HIV-Test eine sexuelle
Frauen vor gewisse Herausforderungen.                                     Risikosituation an sich abklärt, ist bei der
                                                                          PrEP per definitionem ein regelmäßig er-
„Bei Frauen ist vieles einfach anders“, so                                höhtes Risiko anzunehmen. Gehört das
die DAH-Frauenreferentin Marianne Rade-                                   Gegenüber zur Gruppe der MSM, hat man
macher. „Zum Beispiel ist die Schutzmoti-                                 den kommunikativen Zugang über die er-
vation einerseits altruistischer und ande-                                höhte Prävalenz: Derjenige, den man zu
rerseits aus biologischen Gründen                                         seiner Sexualität befragt, gehört in die-
komplexer. Zum einen gibt sie den Frauen                                  selbe Zielgruppe wie diejenigen, mit de-
die Selbstbestimmung über ihren Schutz,                                   nen er Sex hat.
ganz ähnlich wie beim Femidom. Aller-
dings erhöht sie das Risiko für Frauen, in
nicht gleichberechtigten Beziehungen in

9
    „Taking a sexual history is recommended for all adult and adoles-
                                                                          10
                                                                                „Am spätesten erfolgt die Diagnose bei denjenigen, bei denen
    cent patients as part of ongoing primary care, but the sexual his-         offenbar die Kommunikation zwischen Patient und Arzt am
    tory is often deferred because of urgent care issues, provider dis-        schwierigsten ist, bei Patienten, bei denen auch keine Angaben
    comfort, or anticipated patient discomfort.” CDC Guidelines [19]           zum Übertragungsrisiko erhoben werden (konnten);“. RKI. [20]

                                                     PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
16

     Bei Frauen (bzw. allg. den Personen, die                               Jahre alt, kommen zu 42% aus Deutsch-
     nicht zu einer Gruppe mit hoher HIV-Prä-                               land und haben sich zu 82% auf heterose-
     valenz gehören) beginnt man, nicht das ei-                             xuellem Weg infiziert.
     gene (Sexual-)Verhalten zu befragen, son-
     dern das der Partner_innen – als ob die
     Verantwortung für ein potentielles Risiko
     allein beim/bei der (eventuell HIV-positi-
     ven) Partner_in läge.
                                                                            Abb. 10. HIV-Neuinfektionen in Deutschland 2016.
     Andererseits: Was und wie genau sollen                                 Quelle: RKI [20]
     die Aidshilfe-Berater_innen das Verhalten                              Auf der Suche nach der Zielgruppe PrEP-
     der Ratsuchenden hinterfragen? Z.B. ge-                                Frauen können uns diese Zahlen Rahmen-
     plante Auslandsaufenthalte, Anzahl der                                 bedingungen liefern. Welche zusätzlichen
     Sexualpartner, Bezahlung für Sex? Anhand                               Kriterien braucht man? Wie sehen die bis-
     welcher Kriterien lässt sich eine Zielgruppe                           herigen Empfehlungen genau aus?
     bestimmen, ohne die Frau oder ihre Part-
     ner_innen zu stigmatisieren? Oder ist es                               Was sagen die verschiedenen Leitli-
     vielleicht letztendlich nur eine Frage des                             nien zur PrEP bei Frauen?
     Tons bzw. der Art, wie selbstverständlich
                                                                            WHO: Die WHO [3]
     wir über Sexualität und STI bzw. Risiko(-si-
                                                                            empfiehlt die „Teno-
     tuationen) sprechen?
                                                                            fovir-haltige“    PrEP
                                                                            für Personen mit ei-
                                                                            nem „substanziellen
     Wem bieten wir die PrEP an?
                                                                            HIV-Risiko“, d.h. für
     Was sagen die HIV-Infektionszah-                                       Personengruppen
     len?                                                                   mit einer HIV-Inzidenz von über 3%. Dies
                                                                            trifft laut Guidelines auf bestimmte Grup-
     Eine erste Annäherung ans Zielgruppen-                                 pen von MSM, Transgender*Frauen in
     thema soll über die aktuellen HIV-Infekti-                             vielen Settings und heterosexuelle Männer
     onszahlen (2016) erfolgen, veröffentlicht                              und Frauen mit Part_nerinnen mit nichtdiag-
     vom Robert-Koch-Institut:                                              nostizierten oder unbehandelten HIV-Infekti-
                                                                            onen zu.
                                                                            Der Fokus bei Frauen auf die Partner_in-
                                                                            nen findet sich schon hier, allerdings wer-
                                                                            den eigenes Verhalten und Eigenschaften
                                                                            der Sexparter_innen (bezogen auf das In-
     Abb. 9. Gesamtzahl der Menschen, die 2016 mit HIV                      fektionsrisiko) gleichgestellt: das individu-
     in Deutschland lebten. Quelle: RKI [20]                                elle Risiko variiere innerhalb dieser Grup-
     Zusammenfassend lässt sich feststellen:                                pen abhängig von individuellem Verhalten
     Frauen mit HIV sind zum Zeitpunkt der Di-                              und der Charakteristik der Sexualpart-
     agnose größtenteils zwischen 20 und 39                                 ner_innen.11

     11 „Individual risk varies within groups at substantial risk depend-
      ing on individual behaviour and the characteristics of sexual part-
      ners.“ [3]

                                                        PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
17

EACS: Die European
Aids Clinical Society
[21] empfiehlt die HIV-
PrEP für Erwachsene,
die ein hohes Risiko
für eine HIV-Infektion
                                                                  Abb. 11. Fragen Risikoverhalten, US-Guidelines [19]
haben und die nicht
konsequent        Kon-                                            Zusätzlich wird bei allen sexuell aktiven
dome verwenden.                                                   Patient_innen empfohlen, ein Augenmerk
Für MSM und Trans-                                                auf STIs, Schwangerschaften (als Hinweis
gender-Personen sprechen sie eine ein-                            auf Sex ohne Kondom), Alkoholmissbrauch
deutige Empfehlung aus. Hingegen Zu er-                           („alcohol abuse“) und Drogengebrauch
wägen sei die PrEP bei heterosexuellen                            (auch, um Harm Reduction anbieten zu
Frauen und Männern, die nicht konsequent                          können) sowie auf den epidemiologischen
Kondome verwenden und multiple Sexual-                            Kontext zu legen.“13
partner haben, bei denen wahrscheinlich ist,                      Dazu werden die PrEP-Indikationen (Box
dass einige von ihnen HIV-infiziert und nicht                     B, Recommended Indications for PrEP Use,
unter Therapie sind.                                              Abb.     12)     beschrieben        [19]:
Zwar ist die Indikation bei „erwägen“ weni-
ger dringlich als bei „empfehlen“; und die
Voraussetzungen werden umfangreicher;
das eigene Schutz- und Sexualverhalten
sticht hier jedoch relativ deutlich heraus.

US-Guidelines: Für eine PrEP-Indikation
unterscheiden die US-PrEP-Guidelines [19]
drei Gruppen: MSM, heterosexuell Aktive
und Drogengebrauchende.12
Es gibt einen kurzen Fragenkatalog (Box
A), mit denen Patient_innen zu ihrem Risi-
koverhalten („Risk Behavior Assessments“,
Abb. 11) der letzten sechs Monate befragt                         Abb. 12. PrEP Indikationen, US-Guidelines [19]
werden können.
                                                                  Eine PrEP ist indiziert bei einer erwachse-
Hier werden Geschlecht und Anzahl der Sex-                        nen, HIV-negativen Person, die in den letz-
Partner_innen, Anzahl der Sexualkontakte                          ten 6 Monaten Sex mit einer_einem Part-
ohne Kondom und Fragen nach Kontakten                             ner_in des gegenteiligen Geschlechts hatte,
mit HIV-Positiven gestellt.                                       nicht in einer monogamen Beziehung mit ei-
                                                                  ner_einem zuletzt HIV-negativ-getesteten
                                                                  Partner_in lebt UND mindestens EINES fol-
                                                                  gender zusätzlicher Kriterien erfüllt: 1. Es

12
  Wir beschränken uns für die Darstellung hier aus Kapazitäts-
                                                                  13
                                                                       „The risk of HIV acquisition is determined by both the frequency
 gründen auf die Gruppe der Heterosexuellen.                           of specific sexual practices (e.g., unprotected anal intercourse)
                                                                       and the likelihood that a sex partner has HIV infection.” [22]

                                              PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
18

     handelt sich um einen bisexuellen Mann; 2.                               - sexuell aktive Personen innerhalb Gebie-
     Die Person benutzt unregelmäßig Kondome                                         ten/Netzwerken mit hoher Prävalenz, wo-
     beim Sex mit einer Person, die aufgrund von                                     bei hier mindestens ein weiterer Faktor
     IVD oder Bisexualität ein erhöhtes HIV-Ri-                                      zutreffen soll: unregelmäßiger/kein Kon-
     siko hat; Oder 3. Die Person ist aktuell in                                     domgebrauch, STI, Sex im Austausch ge-
     einer Beziehung mit einem_einer HIV-positi-                                     gen Zuwendungen wie Geld, Nahrung etc.,
     ven Partner_in. 4. Eine (bakterielle) STI in                                    illegaler Drogengebrauch oder Alkoholis-
     den letzten 6 Monaten.                                                          mus, Haft, Partner mit unbekanntem HIV-
     Was auf den ersten Blick nicht auffällt, ha-                                    1 Status, auf den wiederum einer der ge-
     ben vor kurzem zwei Wissenschaftlerin-                                          nannten           Punkte         zutrifft.
     nen in den USA in einem Kommentar kriti-
     siert: Für Frauen bedeutet diese
     Empfehlung, dass sie (ausschließlich14) auf
     Charakteristika oder Verhalten der männ-
     lichen Sexualpartner basieren. [22] Diese
     Herangehensweise bewerten die Au-
     tor_innen als unrealistisch, da sie die Mög-
     lichkeit für Frauen, für ihren eigenen HIV-
     Schutz zu sorgen, reduziere. Sie schlagen
     daher eine Änderung vor, die weibliches
     Verhalten und Charakteristika berücksich-
     tigt, unter Hinweis darauf, dass hier noch
                                                                              Abb. 13: Wichtige Sicherheitsinformationen zur
     mehr Forschung gefragt ist.15                                            PrEP, Februar 2018, BfArM. [23]

     Was sagen die Handreichungen zur                                         Im Vergleich mit der US-Leitlinie fallen die
     Versorgung?                                                              Zusatzpunkte Sex gegen Entgelt, Gefängnis-
                                                                              aufenthalt und Alkoholismus auf, während
     In den von Gilead für die Zulassung erar-                                das Thema Bisexualität keine Rolle spielt.
     beiteten Sicherheitshinweisen für Verord-
     ner [23] finden sich Kriterien für Personen                              Auch diese Empfehlung differenziert nicht
     mit hohem Risiko für eine HIV-1-Infektion,                               nach Geschlechtern. Trans*personen, auf
     also Faktoren, anhand derer Ärzte_Ärztin-                                die in den aktualisierten US-Guidelines
     nen potentielle Zielgruppen auch für die                                 von 2017 eingegangen wird,16 werden hier
     PrEP identifizieren können. Zwei Gruppen                                 nicht explizit genannt. Und obwohl hier
     zeichnen sie auf:                                                        der Fokus auf die Rolle der eigenen sexu-
                                                                              ellen Aktivität gelegt ist, gibt auch hier wie-
     - Personen mit HIV-positiven Partner_innen                               derum der epidemiologische Kontext den
           ohne ART                                                           Rahmen, durch den v.a. die Gruppe der
                                                                              MSM in Deutschland identifizierbar sind.

     14
          Die Autor_innen verweisen in ihren Literaturangaben auf die Gui-    16
                                                                                   „Although the effectiveness of PrEP for transgender women has
          delines aus 2014, in denen der vierte Punkt (STI) noch nicht ent-        not yet been definitively proven in trials, and trials have not been
          halten war. Die Aussage „ausschließlich“ („solely“) wird damit           conducted among transgender men, PrEP has been shown to re-
          nicht zu halten sein. Die Forderung bleibt dennoch bestehen,             duce the risk for HIV acquisition during anal sex and penile-vagi-
          denn auch eine STI muss erst einmal diagnostiziert und Tests             nal sex. Therefore, its use may be considered in all persons at risk
          müssen angeboten und durchgeführt werden.                                of acquiring HIV sexually. US Guidelines [22].
     15
           Die Autor_innen verweisen für Annäherung an PrEP-Inzidenzen
          für Frauen u.a. auf den NHBS (The National HIV Behavioral Sur-
          veillance), der z.B. hohe HIV-Prävalenzen in besonders armen,
          strukturschwachen Gegenden verzeichnet. [22]

                                                          PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
19

Was sagen die Deutsch-Österreichi-                                PrEP in der Sexarbeit?
schen Leitlinien?
                                                                  Die Formulierung der Deutsch-Österrei-
DAIG+ÖAG: Die neuen Leitlinien orientie-                          chischen Leitlinie, „bei Sex ohne Kondom
ren sich in ihrem Zugang an der WHO: „Die                         mit Partnern, bei denen eine undiagnosti-
orale HIV Prä-Expositionsprophylaxe soll                          zierte HIV-Infektion wahrscheinlich ist“
als prophylaktische Maßnahme Men-                                 schließt Sexarbeiterinnen mit in der Regel
schen mit substanziellem HIV-Infekti-                             kondomlosem Verkehr mit ein. Sexarbei-
onsrisiko angeboten werden“ [2], wobei                            terinnen als Gruppe haben in Deutschland
„substanziell“ auch hier sich auf die HIV-In-                     kein „substanzielles“ HIV-Risiko. Die ein-
zidenz von mehr als 3 pro 100 Personen-                           zelne Sexarbeiterin jedoch kann – je nach
jahren bezieht. Dazu gehören serodis-                             Situation – ein hohes Risiko haben.
kordante Konstellationen mit einer/m
                                                                  Eine allgemeine Empfehlung einer PrEP
virämischen HIV-positiven Partner/in OHNE
                                                                  für Sexarbeiterinnen in Deutschland und
ART, einer nicht suppressiven ART oder in der
                                                                  Österreich in Anlehnung an die WHO-Emp-
Anfangsphase einer ART (also einer HIV-
                                                                  fehlungen wurde von der Konsensuskon-
RNA, die nicht schon 6 Monate bei mindes-
                                                                  ferenz zur Leitlinie mehrheitlich auf Grund
tens
20

     Bei den anschaffenden Frauen ist es an-              formationen zur PrEP zugänglich zu ma-
     dersherum: sie müssen das alltägliche STI-           chen, damit sie abschätzen können, ob
     Risiko senken, um langfristig arbeitsfähig           diese Form der Prävention für sie Sinn
     zu bleiben. Und da senken Kondome das                macht. Für die Begleitung der Frauen ist
     Risiko. Mal abgesehen von dem seelischen             ein interdisziplinäres Setting wünschens-
     Schutz, wenn man einen Kunden nicht zu               wert, in das Haus- und Frauenärzte
     dicht an sich ranlassen möchte. Das Kon-             ebenso eingebunden sind wie frauenspe-
     dom ist hier in mehrfacher Hinsicht ganz             zifische Beratungsstellen.“
     anders emotional besetzt als bei den
                                                          Mit wem sprechen Frauen über ihre Sexu-
     Schwulen.
                                                          alität? Wo kann man über HIV- und STI-
     Wo bieten wir die PrEP an?                           Prävention ins Gespräch kommen? Wo
                                                          kann man für die PrEP werben?
     Bei einem Workshop zur PrEP bei Frauen
     beim Treffen der LAG Frauen XXelle in                Beim XXelle-Workshop zur PrEP tauchten
     Düsseldorf im April 2018 standen die auf-            folgende Orte/Kooperationspartner auf,
     geworfenen Fragen nach Zielgruppe und                die unterschiedlich bewertet wurden:
     Erreichbarkeit im Mittelpunkt der Diskus-                    Checkpoint Aidshilfe
     sion. Einen herzlichen Dank an dieser                        Gynäkologie
     Stelle an die Teilnehmerinnen: wir konn-                     Familien-/Schwangerschaftsbera-
     ten viele Anregungen und Ideen für den                        tung
     HIVreport mitnehmen.                                         Beratung in Gesundheitsämtern
     Bislang gibt es noch wenig konkrete Anfra-                   Hebammen
     gen nach einer PrEP von Frauen oder Fa-                      Apotheken
     milien. Wen spreche ich im Beratungsge-              Aus Kapazitätsgründen beschränken wir
     spräch darauf an und wen nicht? Welche               uns hier auf die ersten beiden.
     Signale wollen wir senden? Legen wir den
     Fokus auf die Information, damit die                 Gynäkologische Praxis
     Frauen eigenständig entscheiden können,
                                                          „Die Mehrheit der HIV-Diagnosen bei
     ob es eine Präventionsstrategie für sie ist
                                                          Frauen wird im Rahmen des routinemäßi-
     und ggf. im Gespräch Rat suchen können?
                                                          gen Schwangerenscreenings gestellt“, so
     Vielleicht konzentriert man sich auf die
                                                          das RKI 2017 [20]. Ist die Gynäkologie der
     Punkte Kooperationspartner und Bewer-
                                                          richtige Rahmen, um über HIV- und STI-
     bung, um auf die PrEP aufmerksam zu ma-
                                                          Prävention ins Gespräch zu kommen?
     chen?
                                                          Können hier Informationen zur PrEP an
     Dr. med. Annette Haberl, Leiterin des Be-            die Frau gebracht werden?
     reichs HIV und Frauen am HIVCENTER,
                                                          Annette Haberl fordert dies in ihrem Fazit
     Med. Klinik II Universitätsklinikum Frank-
                                                          zur Praxis: „Informationen zur PrEP sollten
     furt a. M. legt hierauf den Fokus: PrEP, ver-
                                                          sexuell aktiven Frauen zugänglich ge-
     standen als ein Baustein der HIV-Präven-
                                                          macht werden, z. B. im Rahmen der gynä-
     tion,     erfordere       eine     möglichst
                                                          kologischen Vorsorge.“ [24] Und: „Gesprä-
     individualisierte Prophylaxe. [24]
                                                          che zu sexueller Gesundheit und
     „Es ist allerdings schwierig, die typische           möglichen Schutzmaßnahmen gehören
     PrEP-Nutzerin abzubilden. Vielmehr geht              als niedrigschwelliges Angebot in die tägli-
     es jetzt darum, sexuell aktiven Frauen In-           che ärztliche Praxis.“

                                      PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
21

Die Teilnehmer_innen des XXelle Work-                      wieder, dass die Ärzt_innen Scham erle-
shops sahen Gynäkolog_innen als Koope-                     ben, einer verheirateten Frau einen STI-
rationspartner_innen, aber nicht als Kom-                  Test oder Analscreening anzubieten, auch
munikationspartner_innen in Sachen                         wenn es medizinisch sinnvoll wäre. Oder
Sexualität. Auch wenn hier über Schwan-                    es fällt ihnen schwer, nicht-wertend zu
gerschaftsverhütung oder –abbruch ge-                      bleiben, wenn eine Frau oder deren Mann
sprochen werde, über sexuelle Praktiken                    sexuelle Außenbeziehungen hat“, sagt
und Intimitäten komme man wohl nur in                      Steffen Taubert.
Ausnahmefällen ins Gespräch, wenn
                                                           Mit noch größerer Zurückhaltung begeg-
der_die Arzt/Ärztin einen Schwerpunkt Se-
                                                           nen die Gynäkolg_innen auf den DAH-Se-
xualpädagogik habe.
                                                           minaren bisher dem Thema PrEP. „Die
                                                           meisten meinen, das käme für ihre Patien-
                                                           tinnen nicht in Frage. Sie bieten es dann
                                                           erst gar nicht an“, sagt Steffen Taubert. Auf
                                                           einer Veranstaltung in Berlin, gab es un-
                                                           längst jedoch auch eine Überraschung.
                                                           „Zwei Teilnehmende berichteten, dass sie
                                                           auch Patientinnen haben, die in Swinger-
                                                           Clubs gehen. Das wann dann der Aufhä-
                                                           nger über PrEP, aber auch über Moral zu
                                                           sprechen. Denn nicht alle Seminarteilneh-
                                                           mende fanden es gut, ein solches Sexual-
Abb. 14. Schulungsangebot für Ärzte und Ärztinnen:
                                                           verhalten auch noch mit einer PrEP zu un-
Let’s talk about sex. www.hiv-sti-fortbildung.de/
                                                           terstützen“, so Steffen Taubert.
                                                           Das Thema „Moral“ sehen auch die Teil-
Tatsächlich stehen für Gynäkolg_innen Ge-                  nehmenden der XXelle Veranstaltung als
spräche über Sexualität oder sexuelle                      größten „Hemmschuh“ für eine offene
Identität nicht auf der Tagesordnung.                      Kommunikation. Um sich über „Risikokon-
Das Fortbildungs-Projekt „Let’s talk about                 takte“ informieren zu können, braucht es
sex“, das die Deutsche AIDS-Hilfe in Ko-                   ein niedrigschwelliges Umfeld, das nicht
operation mit Ärzteverbänden und BZgA                      wertet und urteilt. Hier braucht es eine
mit Unterstützung der PKV durchführt,                      gute Reflektion der eigenen Haltung, um
bietet u.a. auch Kommunikationstrainings                   dem Gegenüber wertfrei entgegentreten
für Gynäkolog_innen an. „Es gibt ein gro-                  zu können, was nicht zuletzt in den ange-
ßes Interesse in dieser Facharztgruppe,                    sprochenen Schulungen auch über Rollen-
mehr darüber zu lernen, wie man Sexuali-                   spiele geübt werden kann.
tät anspricht“, sagt Steffen Taubert, Pro-                 Eine gute Aussicht bieten hier die Fachge-
jektleiter des Ärztefortbildungsprojektes                  sellschaften für Gynäkologie, die allmäh-
der DAH. „Dabei sind in der Regel nicht                    lich anfangen, das Defizit zu erkennen. Der
mangelnde Kommunikationskompeten-                          erste Kongress für Sexualmedizin in der
zen das Problem, sondern normative Hal-                    Frauenheilkunde fand 2017 statt. Zudem
tungen, zum Beispiel zu Treue oder For-                    gibt es großen Zulauf für eine relativ neue,
men sexuellen Erlebens. In Rollenspielen                   bereits ausgebuchte Basisausbildung für
mit Gynäkolog_innen erleben wir immer                      Sexualmedizin der FBA.

                                       PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
22

     Checkpoints                                                             davon 11,2% heterosexuell, 1,2% bisexu-
                                                                             ell, 0,15% lesbisch.
     Sind die Checkpoints der Aidshilfen ein ge-
     eigneter Ort, um die PrEP anbieten zu kön-                              Die Frauen
     nen? Was wissen wir über die Frauen, die
                                                                                          kommen zu 65,7% aus dem Inland
     unsere Testangebote nutzen? Welche Da-
                                                                                           (11,8%      Migrationshintergrund,
     ten haben wir zu den Testergebnissen,
                                                                                           22,5% Ausland).21
     Verhalten und Charakteristika?
                                                                                          leben zu 48,1% in einer Partner-
     Seit Januar 2015 erheben einige der bun-                                              schaft/Beziehung (47,7% Single,
     desweiten Checkpoints verschiedene Da-                                                4,2% andere).
     ten zu Herkunft, Testverhalten, Risikositu-                                          sind zu 83% 12 Jahre oder länger
     ationen ihrer User_innen. Als erstes                                                  zur Schule gegangen (14,4% 10-11
     bundesweites Projekt können diese Daten                                               Jahre, 2,6% bis zu 9 Jahre).
     verknüpft werden mit den jeweiligen Test-                                            sind zu 96,5% krankenversichert
     ergebnissen. Der Kooperationspartner Ro-                                              (1,4% nein, 0,6% weiß nicht, 1,5%
     bert Koch Institut (RKI) validiert die Ergeb-                                         keine Antwort).
     nisse der einzelnen Teststellen und fügt
                                                                             Es kommen also vorwiegend gebildete
     sie zusammen.
                                                                             Frauen in die Checkpoints, die zu zwei Drit-
                                                                             teln aus dem Inland stammen.
                                                                             4.401 HIV-Screenings wurden bei Frauen
                                                                             durchgeführt, davon waren 18 reaktiv/po-
                                                                             sitiv (= 0,41%).22 Gematcht wurden diese
                                                                             Daten noch nicht; das RKI ist derzeit mit
                                                                             der Umstellung auf eine webbasierte Da-
                                                                             tenerhebung beschäftigt (Stand Juli 2018).
                                                                             Zukünftig wird es jedoch möglich sein, sich
                                                                             die positiven Testergebnisse noch einmal
     Abb. 16. Informationen auf aidshilfe.de zur PrEP.                       genauer anzusehen in Bezug auf Charak-
     So konnte das RKI auf den Münchner Aids-                                teristika.
     tagen in Berlin 2018 die Daten von 19 Test-                             Auch neue Daten werden ab 2018 erho-
     stellen im Zeitraum Januar 2015–Dezem-                                  ben und sollen dann zur Verfügung ste-
     ber 2017 vorstellen. [27]. Über diesen                                  hen, z.B. zur PrEP (Einnahme und Wunsch)
     Zeitraum liegen die Ergebnisse von                                      oder zu Sex und Entgelt.
     34.69919 Beratungen (nicht Personen) vor,
                                                                             Auf jeden Fall lässt sich im standardisier-
     wobei nicht bei allen Bögen alle Fragen be-
                                                                             ten Testsetting im Checkpoint über das
     antwortet wurden.
                                                                             Thema PrEP nicht nur informieren, son-
     Zusammenfassend lässt sich feststellen:                                 dern auch im individuellen Fall dazu bera-
     12,35 %20 aller Befragungen sind Frauen,                                ten, ob es für die Zukunft eine sinnvolle
                                                                             Präventionsmethode sein kann.

     19
           Von 4.265 Ergebnissen liegen nur Befunde über den Test vor,
                                                                             21
                                                                                  Eltern nicht zugewandert, geb. in Deutschland. Migrationshinter-
          keine Antworten aus den Fragebögen.                                     grund: Eltern zugewandert, geb. in D. Ausland: Eltern zugewan-
                                                                                  dert, geb. im Ausland.
     20
          Bei 2,5% der Befragungen gibt es keine Angabe zur sexuellen Ori-
          entierung/zum Geschlecht.
                                                                             22
                                                                                   Im Vergleich: der Anteil reaktiver/positiver HIV-Testergebnisse
                                                                                  MSM liegt bei 1,53%, bei heterosexuellen Männern bei 0,38% und
                                                                                  bei den Anderen bei 1,59%.

                                                         PrEP bei Frauen (HIVreport 2018/1)
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