In der Vielfalt liegt die Kraft - profil.bayern

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TOPTHEMA

In der Vielfalt liegt die Kraft
Ländliche Genossenschaften sind ein fester Bestandteil der bayerischen Agrar- und
Ernährungswirtschaft. Ihre Fähigkeit, regionale Verankerung und Mitgliedernähe
mit innovativen Geschäftsmodellen zu verbinden, hat sich in guten wie in schlechten
Zeiten bewährt – und die Zeichen stehen auch für die Zukunft gut.

Autor: Florian Christner, Redaktion „Profil“
Foto: picture alliance/dpa/Armin Weigel

Das Wichtigste in Kürze

         Ländliche Genossenschaften spielen eine wichtige Rolle für die Lebensmittelproduktion in

Profil – Das bayerische Genossenschaftsblatt – Ausgabe 04 2021
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Bayern. Die genossenschaftliche Durchdringung der Wertschöpfungskette ist sehr hoch.

         Die ländlichen Genossenschaften investieren in ihre Betriebe, um ihren Mitgliedern und
       Kunden auch in Zukunft einen zeitgemäßen Mehrwert bieten zu können.

         Die Winzergemeinschaft Franken eG (GWF) hat 16 Millionen Euro in eine zentrale
       Kelterstation an ihrem Hauptstandort in Kitzingen-Repperndorf investiert.

         Die Winzer Sommerach eG treibt den nachhaltigen Weinbau voran.

         Die Futtertrocknung Altusried eG betreibt ihren Trocknungsofen mit heimischen
       Holzhackschnitzeln.

         Die Raiffeisen Waren GmbH Oberbayern Südost vertreibt in ihren Fachmärkten hochwertige,
       regionale Lebensmittel.

         Die Bio-regionale Genossenschaft Oberpfalz (BIregO) investierte 6,8 Millionen Euro in ein
       ökologisches Aufbereitungs- und Lagerzentrum für Bio-Druschfrüchte.

Wie wichtig sind ländliche Genossenschaften für die Landwirtschaft und die
Lebensmittelproduktion in Bayern? „Sehr wichtig“, sagt Professor Reiner Doluschitz.
Der Agrarökonom und Leiter der Forschungsstelle für Genossenschaftswesen an der
Universität Hohenheim macht das exemplarisch an zwei Punkten fest:

       1. Wer einen Landwirt finden will, der in keiner Genossenschaft Mitglied ist, muss sehr lange
       suchen. „Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass die meisten Landwirte Mitglied
       mehrerer Genossenschaften sind. Sie bringen ihre Feldfrüchte zur Trocknungsgenossenschaft,
       beziehen ihre Produktionsmittel vom Raiffeisen-Warenhandel und die Milch ihrer Kühe wird
       von der Molkereigenossenschaft verarbeitet“, gibt Doluschitz ein Beispiel.

       2. Der genossenschaftliche Anteil an der Wertschöpfungskette vom Acker bis auf den Teller
       hängt zwar stark von der Produktgruppe ab. „Allgemein ist die genossenschaftliche
       Durchdringung in der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion aber traditionsreich und
       sehr hoch“, sagt Doluschitz. Bei der Milchverarbeitung und dem Getreidehandel sind
       genossenschaftliche Unternehmen besonders stark vertreten. Und auch die fränkischen Winzer
       sind in einem hohen Maße genossenschaftlich organisiert.

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Aktiv in unterschiedlichsten Bereichen

Wie vielfältig die ländlichen Genossenschaften in Bayern aufgestellt sind, zeigt sich
auch an den unterschiedlichen Sparten, in denen sie aktiv sind. 451 Mitglieder, die
im ländlichen Genossenschaftswesen aktiv sind, zählte der Genossenschaftsverband
Bayern (GVB) Ende 2020 in seinen Reihen:

         47 Bezugs- und Absatzgenossenschaften (Raiffeisen-Handel und sonstige ländliche
       Handelsgenossenschaften)

         43 Volksbanken und Raiffeisenbanken mit Warengeschäft

         8 Molkereigenossenschaften

         92 Milchgenossenschaften (Verarbeitung, Lieferung und sonstige)

         14 Sennereigenossenschaften

         5 Vieh- und Fleischgenossenschaften

         7 Zuchtgenossenschaften

         23 Obst-, Gemüse und Gartenbaugenossenschaften

         6 Winzergenossenschaften (davon 4 mit eigener Kellerei)

         24 Trocknungsgenossenschaften

         43 Wassergenossenschaften

         47 Weidegenossenschaften

         16 Forstgenossenschaften

         8 Maschinengenossenschaften

         68 sonstige ländliche Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften.

Die Bedeutung der ländlichen Genossenschaften für Landwirtschaft und

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Lebensmittelproduktion hat sich über viele Jahrzehnte hinweg entwickelt und bis
jetzt erhalten. „In Bayern sind die landwirtschaftlichen Betriebe auch heute noch
vergleichsweise kleinteilig strukturiert. Umso wichtiger sind Genossenschaften als
Intermediäre zwischen den einzelnen Mitgliedern und den Märkten. Sie bündeln den
Einkauf von Produktionsmitteln und den Absatz der landwirtschaftlichen Produkte.
Dadurch stärken sie die Marktposition der Mitglieder“, sagt Doluschitz.

Gleichwohl stehen die Genossenschaften genauso wie die Landwirtschaft insgesamt
vor Herausforderungen. An erster Stelle nennt Doluschitz den Strukturwandel im
ländlichen Raum, der seit Dekaden ungebrochen ist. Viele kleine Höfe geben auf,
dafür werden die verbleibenden Betriebe immer größer und professioneller. Dadurch
verändern sich nicht nur die gehandelten Mengen, sondern auch die Erwartungen
der Mitglieder an ihre Genossenschaft. „Einen Lkw mit Düngemitteln frei Hof zu
liefern, das kann jeder private Landhändler auch. In diesem Umfeld müssen sich die
Genossenschaften behaupten, zum Beispiel durch die Kombination von
Warenaustausch und kompetenten Beratungsleistungen.“

Unterschiedliche Herausforderungen

Viele weitere Herausforderungen der ländlichen Genossenschaften sind eng mit
globalen Megatrends verknüpft. Beispielhaft nennt Doluschitz

         den Klimawandel mit seinen immer häufiger auftretenden Wetterextremen wie Dürren oder
       Überschwemmungen, so hatte etwa Nordbayern in den vergangenen Jahren mit extremer
       Trockenheit zu kämpfen;

         den zunehmenden Kampf um Flächen und Ressourcen, der eine möglichst hohe
       Ressourceneffizienz bedingt;

         die fortschreitende Globalisierung sowie als Antwort darauf die Regionalisierung;

         das enorme Tempo bei der Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft, auch in der
       Landwirtschaft;

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der Trend zu nachhaltigen Wirtschaftsformen;

         Landflucht auf der einen und Verstädterung auf der anderen Seite;

         die immer älter werdende Bevölkerung;

         veränderte Lebens- und Ernährungsgewohnheiten, dazu zählt auch der Trend zu Bio-
       Lebensmitteln;

         sowie nicht zuletzt die Corona-Pandemie.

Die ländlichen Genossenschaften sind von diesen Herausforderungen ganz
unterschiedlich betroffen, entsprechend unterscheiden sich auch die Antworten der
einzelnen Unternehmen. Vereint sind sie jedoch alle in dem Bestreben, die
Herausforderungen bestmöglich zu meistern und nicht den Kopf in den Sand zu
stecken. Sie investieren in ihre Betriebe, um ihren Mitgliedern und Kunden auch in
Zukunft einen zeitgemäßen Mehrwert bieten zu können.

Feuertaufe bestanden: Der Testbetrieb der neuen Kelterstation der Winzergemeinschaft Franken
(GWF) in Kitzingen-Repperndorf verlief äußerst erfolgreich. Foto: GWF

Die Winzergemeinschaft Franken eG (GWF) zum Beispiel hat an ihrem
Hauptstandort in Kitzingen-Repperndorf 16 Millionen Euro in eine zentrale
Kelterstation investiert. „Im vergangenen Herbst haben wir die neue Kelterstation
auf Herz und Nieren getestet und bereits die Lese von 500 Hektar Anbaufläche dort

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gekeltert. Der Testbetrieb verlief so erfolgreich, dass wir dieses Jahr dort die
gesamte Lese unserer Winzer erfassen und alle elf bisherigen, dezentralen
Kelterstationen abschalten“, berichtet Andreas Oehm, Vorstandsvorsitzender der
GWF. Insgesamt verarbeitet die GWF die Lese von 1.250 Hektar Weinbergen. Ein
Pumpen der Maische ist nicht mehr nötig, weil bei der Verarbeitung die Schwerkraft
ausgenutzt wird. „Dieses Verfahren und die kurzen Wege der Trauben in den Keller
bringen unseren Weinen einen weiteren Qualitätssprung“, sagt Oehm. Bisher sei die
GWF gut durch die Krise gekommen. Steigende Umsätze im
Lebensmitteleinzelhandel und im Onlineshop der GWF hätten die Umsatzausfälle in
den Vinotheken weitgehend kompensiert.

Jedes Jahr ein Stückchen nachhaltiger

Die Winzer Sommerach eG hat die Corona-Pandemie dagegen härter erwischt.
„Corona hat unsere Vertriebswege komplett durcheinander gewirbelt. Ein
Sommeracher Silvaner ist ein Klassiker auf vielen Weinkarten der bundesdeutschen
Gastronomie. Die Schließung der Restaurants und auch die Einschränkungen im
Weinfacheinzelhandel treffen uns hart. Ebenso fehlen uns in Sommerach die
Tagesgäste, die gerne in unserer Vinothek ihre Weinvorräte aufgefüllt haben“, klagt
Frank Dietrich, Geschäftsführer der Winzer Sommerach eG. Doch die
Genossenschaft hat das Beste aus der Situation gemacht. „Da unsere Kunden im
Moment nicht bei uns vorbeikommen können, bieten wir den Weinfreunden
attraktive Versandkonditionen.“ So soll der Umsatzausfall zumindest zum Teil
kompensiert werden.

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Lebendige Lebensräume in den Weinbergen: Die Winzer Sommerach eG bezuschusst Winzer, die
zwischen den Reben Blumenwiesen ansäen. Foto: Winzer Sommerach eG

Im Weinberg geht die Arbeit trotz Corona weiter. Und da tut sich bei der Winzer
Sommerach eG einiges. „Wir haben uns vorgenommen, jedes Jahr ein Stückchen
nachhaltiger zu wirtschaften“, sagt Dietrich. Ein großer Meilenstein sei 2019 die
Zertifizierung mit dem Siegel „fair’n green“ für nachhaltigen Weinbau gewesen.
2018 hat die Genossenschaft die Behandlung der Weinreben mit dem Totalherbizid
Glyphosat verboten. Alle mechanisierbaren Flächen werden ohne jegliche Herbizide
bewirtschaftet, Insektizide und mineralischer Stickstoff werden soweit wie möglich
vermieden.

„Unsere Genossenschaft bezuschusst vielfältige und blühende Begrünungen, um
lebendige Lebensräume in den Weinbergen zu schaffen“, berichtet Dietrich. Um
Klima und Umwelt zu schonen, verwendet die Genossenschaft nachhaltig erzeugte
Verpackungsmaterialien und leichtere Glasflaschen, um Transportgewicht zu sparen.
Davon haben letztendlich alle etwas, findet Dietrich: „Das Engagement unserer
kleinstrukturierten Winzerfamilien, die größtenteils Weinbau im Nebenerwerb
betreiben, erhält das soziale Leben in unseren Winzerdörfern, bewahrt die
Kulturlandschaft durch nachhaltige Nutzung und belässt die Wertschöpfung in der
eigenen Region.“

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CO2-neutrale Futtertrocknung in Altusried

Nachhaltigkeit ist auch bei der Futtertrocknung Altusried eG ein großes Thema: Die
Genossenschaft betreibt ihren Trocknungsofen bereits seit 2001 mit heimischen
Holzhackschnitzeln statt mit Erdgas. 1,3 Millionen D-Mark investierte die
Genossenschaft damals. „Ich bin von dem Brennstoff nach wie vor überzeugt. Wir
produzieren CO2-neutral und die Hackschnitzel kommen in einem Umkreis von 100
Kilometern direkt aus dem Wald“, sagt Geschäftsführer Norbert Schweikart. Auf
diese Weise bleibe die Wertschöpfung in der Region. Das nachhaltige Engagement
der Futtertrocknung Altusried gefällt auch den Mitgliedern. „Bei uns liefern viele
überzeugte Biolandwirte ihr Grünfutter zum Trocknen an. Die tun sich natürlich
leichter mit einer Trocknung, die mit nachwachsenden Rohstoffen heizt“, berichtet
Schweikart. Auch bei der Bevölkerung kommt das sehr gut an. „Seit wir auf
Hackschnitzel umgestellt haben, erfahren wir eine ganz andere Akzeptanz.“

Abgesehen davon seien die Grascobs der Futtertrocknung sehr eiweißreich und
bestens dazu geeignet, Soja zu ersetzen. „Jedes Kilogramm hochwertiges
Eiweißfuttermittel, das wir regional produzieren, brauchen wir nicht aus Übersee
importieren. Das schont die Umwelt und das Klima, denn überall dort, wo heute in
Übersee Soja angebaut wird, war früher Regenwald. Das ist ein wahnsinniges Plus
für heimische Futtermittel“, sagt Schweikart. Die Zahlen geben ihm recht. „In den
vergangenen zehn Jahren haben wir unseren Umsatz um 50 Prozent auf zuletzt 3,4
Millionen Euro gesteigert“, berichtet der Geschäftsführer.

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Hochwertiges Eiweißfutter aus der Region: Die Futtertrocknung Altusried eG im Video.

Regionale Wirtschaftskreisläufe fördern

Heimische Futtermittel? Dafür ist auch Roland Petzke zu haben. Regionale
Wirtschaftskreisläufe sind für den Geschäftsführer der Raiffeisen Waren GmbH
Oberbayern Südost ein wichtiger Faktor, um sich vom Wettbewerb abzuheben. „Der
Landwirt kauft bei uns Saatgut und Düngemittel, um sein Getreide anzubauen. Wir
nehmen ihm dann einen Teil seiner Ernte ab, trocknen und reinigen das Getreide
und vermarkten es dann weiter an regionale Mühlen. Die stellen daraus Mehl, Müsli
oder andere Spezialitäten her. Oder wir packen das Getreide in 25-Kilo-Säcke ab und
verkaufen es als regionales Tierfutter für Geflügel und Kleintiere. Mehr Regionalität
geht eigentlich nicht“, sagt Petzke.

Geht doch. Im Frühjahr 2020 ließ Petzke im Raiffeisenmarkt in Siegsdorf eine eigene
Verkaufsfläche für hochwertige regionale Lebensmittel freiräumen. Dort gibt es
seitdem Suppen von Diemer aus Traunstein, „Federvieh und Feines“ aus Langmoos,
frisches Obst und Gemüse vom Gemüsebau Steiner aus Kirchweidach oder Nudeln
vom Langenspacher Hof aus Grabenstätt, alles fein säuberlich präsentiert in
Regalen, die sich vom restlichen Raiffeisenmarkt abheben.

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Lebensmittel aus der Region: Fachmarktleiter Bernhard Attenberger sortiert im Fachmarkt Siegsdorf
der Raiffeisen Waren GmbH Oberbayern Südost frisches Gemüse. Foto: Raiffeisen Waren GmbH
Oberbayern Südost

Bei den Kunden kommt das gut an. „In Siegsdorf haben wir unseren Umsatz im
Lebensmittelbereich nahezu verdoppelt“, berichtet Petzke. Inzwischen ist auch der
Markt in Petting umgebaut, der Markt in Fridolfing soll folgen. Die Hersteller der
regionalen Lebensmittel spricht Petzke ganz direkt an, ob sie ihre Waren nicht auch
im Raiffeisenmarkt verkaufen wollen. „Häufig werden wir auf Wochenmärkten oder
bei Direktvermarktern fündig“, berichtet Petzke. Die Lieferanten schätzen das
Angebot sehr. „Für sie ist der Verkauf in unseren Märkten ein zusätzliches
Standbein neben ihrem eigenen Hofladen oder den Wochenmärkten. Wir können
ihnen eine ganz andere Reichweite und Kundenfrequenz bieten. Allein bei unserem
Markt mit Tankstelle in Petting sind es rund 40.000 Kunden pro Jahr. So stützen wir
auch die heimische Wirtschaft“, sagt Petzke.

Vom Vertrieb regionaler Lebensmittel profitieren aber nicht nur die Kunden und
Produzenten, sondern auch die Raiffeisen Waren GmbH Oberbayern Südost selbst.
Petzke verfolgt ein einfaches Kalkül. „Durch den neuen Lebensmittelbereich locken
wir neue Kunden an, die in unseren Märkten jetzt auch ihren täglichen Bedarf
decken können. Wir hoffen, dass sie dann nicht nur Tomaten kaufen, sondern auch
gleich noch Blumenerde oder Heimtiernahrung.“ Das stärke die Raiffeisenmärkte
und letztendlich das gesamte Unternehmen, denn im landwirtschaftlichen
Warenhandel und auch bei Brennstoffen sind die Preise sehr volatil. „Unsere
Raiffeisenmärkte tragen neun Prozent zum Gesamtumsatz bei, aber 30 Prozent zum
Ertrag. Indem wir die Märkte stärken, bringen wir Stabilität in das gesamte
Unternehmen, denn die Marktumsätze sind planbar“, erklärt Petzke.

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Mitglieder als „kritische Freunde“

Eine wesentliche Stärke der ländlichen Genossenschaften sind für Professor
Doluschitz von der Universität Hohenheim die langjährige Zugehörigkeit der
Mitglieder und die drei genossenschaftlichen Prinzipien Selbsthilfe,
Selbstverantwortung und Selbstverwaltung. „Das sind stabile Leitplanken, damit
sich Genossenschaften in einem dynamischen Umfeld erfolgreich weiterentwickeln
können“, sagt Doluschitz. Die Mitglieder seien eine wertvolle Ressource, die
Genossenschaften für gute Ideen und den Aufbau von Know-how noch stärker nutzen
könnten. Mitglieder sollten „kritische Freunde“ der Genossenschaft sein, die Impulse
und Feedback geben. Zur Partizipation böten sich zum Beispiel Beiräte an. „Das
macht die Mitgliedschaft nochmal attraktiver, erhöht die Transparenz und hilft
dabei, dass die Mitglieder notwendige Strategiewechsel akzeptieren oder sogar
positiv begleiten“, sagt Doluschitz. Genossenschaften seien wie keine andere
Rechtsform mitgliedergetragene Unternehmen. „Das bietet nach wie vor enormes
Potenzial“, betont der Professor.

Eine Genossenschaft für Bio-Landwirte

Dieses Potenzial haben auch 64 Bio-Landwirte und Verarbeiter von Bioprodukten aus
der Oberpfalz erkannt. Sie gründeten 2016 in Velburg-Lengenfeld die Bio-regionale
Genossenschaft Oberpfalz (BIregO). Während die herkömmliche Landwirtschaft
entlang der Produktionskette auf eine ausgedehnte Infrastruktur mit kurzen Wegen
zugreifen kann, haben Biolandwirte in diesem Bereich häufig noch mit strukturellen
Defiziten zu kämpfen. Für die meisten Biobetriebe ist die professionelle Aufbereitung
und Lagerung von Druschfrüchten eine große Herausforderung. Nur vereinzelt
können sie ihre Erzeugnisse am eigenen Hof aufbereiten und einlagern. Zentrale
Dienstleister, die diese Arbeit im Biobereich übernehmen, gibt es deutschlandweit
nur sehr wenige.

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„Biolandwirte müssen teilweise sehr weit fahren, um ihre Ernte zu vermarkten oder
auch nur einzulagern“, sagt Markus Schenk, Vorstandsvorsitzender der BIregO und
selbst Biolandwirt. Als der Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz 2014 zur
Ökomodellregion ernannt wurde, war das auch der Anstoß für die Biobauern, nach
neuen Vermarktungswegen zu suchen. Im Arbeitskreis Druschfrüchte reifte
schließlich die Idee, ein ökologisches Aufbereitungs- und Lagerzentrum zu errichten.
Bei der Suche nach einer geeigneten Rechtsform stießen die Mitglieder des
Arbeitskreises auf die Genossenschaft.

100 Prozent Bio: Das neue Lagerhaus der Bio-regionalen Genossenschaft Oberpfalz (BIregO) in
Harenzhofen. Zur Ernte 2021 werden alle Anlagen bereit sein. Foto: BIregO

„Wir wollten die gesamte Wertschöpfungskette von der landwirtschaftlichen
Urproduktion bis zum fertigen Produkt abbilden. Das geht am besten in einer
Genossenschaft, weil Erzeuger und Verarbeiter die gleichen Mitspracherechte
haben“, sagt Schenk. Nach der Gründung machte sich die Genossenschaft auf die
Suche nach einem geeigneten Standort für ihr ökologisches Aufbereitungs- und
Lagerzentrum. Fündig wurde sie in Harenzhofen. Mittlerweile steht das Lagerhaus.
„Momentan arbeiten wir im Probebetrieb, bis zur Ernte 2021 werden alle Anlagen
bereit sein“, kündigt Schenk an. Insgesamt investierte die Genossenschaft 6,8

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Millionen Euro.

Die Genossenschaft sieht sich laut Schenk als Dienstleister, der für Bioerzeuger und
Bioverarbeiter ökologisch erzeugte Druschfrüchte wie Getreide und Mais trocknet,
reinigt und lagert. Im Biolandbau ist das komplizierter als bei traditionellen
Betrieben, da die verschiedenen Bioverbände verschiedene Vorgaben machen. „Wir
arbeiten mit Bioland, Demeter, Naturland und Biokreis zusammen, die jeweils eigene
Lager erfordern. Dann brauchen wir Zellen für Roggen, Hafer, Dinkel, Weizen,
Emmer, Mais, Braugerste und Futterweizen. Dazu noch Lager für Umstellungsware
von Betrieben, die gerade auf Bio umstellen. Insgesamt wird unser ökologisches
Aufbereitungs- und Lagerzentrum über 52 Einzelzellen mit einer Kapazität zwischen
25 und 100 Tonnen verfügen sowie über vier Außensilos mit je 500 Tonnen
Kapazität. Alles in allem kommen wir auf eine Lagerkapazität von 6.800 Tonnen“,
zählt Schenk auf.

Erzeuger und Verarbeiter unter einem Dach

Durch leistungsfähige, auf die Bedürfnisse des Biolandbaus ausgerichtete
Reinigungs- und Trocknungsanlagen soll für Erzeuger wie Vermarkter eine
gleichbleibende Qualität der Druschfrüchte gewährleistet werden. „Alles passiert
unter einem Dach, weil sowohl Erzeuger als auch Verarbeiter Mitglied der
Genossenschaft sind. So minimieren wir Transportwege und sorgen für Transparenz.
Außerdem gewährleisten wir für alle Seiten faire Bedingungen und Preise“, erläutert
Schenk.

Das Konzept überzeugt immer mehr Biolandwirte und Verarbeiter. „Wir haben mit
64 Gründungsmitgliedern angefangen, jetzt sind wir bei 180 Mitgliedern und jede
Woche werden es mehr“, berichtet Schenk. Auch das für seine Biobiere bekannte
Neumarkter Lammsbräu hat Anteile gezeichnet und bei der Genossenschaft
Lagerfläche gemietet. Die Biobraugerste kommt von der Erzeugergemeinschaft

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Neumarkter Lammsbräu, die ebenfalls Mitglied ist. „Für die Landwirte ist das eine
echte Erleichterung, denn sie müssen ihre Braugerste nur noch am Lagerhaus
anliefern, um alles Weitere wie Aufbereitung, Lagerung und Abrechnung kümmern
wir uns“, sagt Schenk.

Farbausleser für mehr Mitgliedernutzen

Je nach Bedarf will die BIregO ihr Dienstleistungsangebot erweitern. Mit
modernsten Dinkelentspelzern, sogenannten Farbauslesern oder Abpackmaschinen
soll die Qualität der Produkte und die Wertschöpfung für die Mitglieder weiter
gesteigert werden. „Mit Farbauslesern kann man zum Beispiel rote und braune
Linsen nach Farben trennen. Jede Linse läuft über eine Fotozelle und wird dann mit
Druckluft einzeln in den richtigen Behälter geschossen“, erklärt Schenk. Solche
Produkte lassen sich dann auch direkt an den Endverbraucher vermarkten. „So
schaffen wir Mitgliedernutzen und stärken die regionalen Wirtschaftskreisläufe“,
sagt Schenk.

Für Professor Doluschitz zeigt dies, wie ländliche Genossenschaften ihre
traditionellen Stärken – regionale Verankerung und Mitgliedernähe – mit innovativen
Konzepten verbinden. Sich immer wieder neu zu erfinden, ohne sich von den eigenen
Wurzeln zu entfernen, damit seien die Unternehmen meistens gut gefahren, auch in
Krisen: „Genossenschaften haben vielfach bewiesen, dass sie auch in schlechten
Zeiten ein stabiler Anker der regionalen Wirtschaft sind, die ländlichen
Unternehmen sind dafür genauso wie die Volksbanken und Raiffeisenbanken im
Finanzsektor ein gutes Beispiel.“

WEITERFÜHRENDE LINKS

         Die Webseite der Winzergemeinschaft Franken (GWF)

         Die Webseite der Winzer Sommerach eG

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Die Webseite der Futtertrocknung Altusried eG

         Die Webseite der Raiffeisen Waren GmbH Oberbayern Südost

         Die Webseite der Bio-regionalen Genossenschaft Oberpfalz

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