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Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M. (Cambridge) Ludwig-Maximilians-Universität München Industrie 4.0, Big Data und das Recht des Geistigen Eigentums GRUR Berlin Juli 2017
Überblick I. Ausgangspunkt: Die Pläne der Kommission für die Europäische Datenökonomie II. Die Rolle des Schutzrechts sui generis nach der Datenbank- Richtlinie 96/9/EG - §§ 87a ff. UrhG III. Geheimnisschutz de lege lata und big data (Überblick) IV. Die anstehende Umsetzung der Trade Secrets Directive V. Fazit Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 31.3.2017 2
Überblick I. Ausgangspunkt: Die Pläne der Kommission für die Europäische Datenökonomie Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 31.3.2017 3
Ausgangspunkt: Nutzungsszenarien • Industrie 4.0 und Massendatenverarbeitung (Big data) • Internet der Dinge • Datengestützte Wirtschaft und Wissenschaft (auch Geodaten) • Cloud-Dienste etc. • Wertschöpfungskette bei Big Data Sachverhalten • Internet der Dinge: Datensammlung „im Vorbeigehen“ Rohdaten • Analyse und Veredelung • Ggf. Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 31.3.2017 4
Ausgangspunkt: Nutzungsszenarien • Typischerweise: multipolare Strukturen (Netzwerke oder „Datenbiotope“) • Vielzahl von kommerziellen Beteiligten mit je • Eigenem Input • Eigenen (potentiellen) Nutzungsinteressen • Eigenen Märkten für (abgeleitete) Produkte oder Dienstleistungen • Datenerhebung typischerweise beim Nutzer • De facto Beherrschung der Daten durch einzelne Anbieter Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 31.3.2017 5
Ausgangspunkt: Nutzungsszenarien • Fallszenarien • Technische Nutzungsdaten (maintenance&repair) • Secondary uses dieser Daten, z.B. • Emissionsdaten etc. • Sonstige technische Daten • Allgemeine Nutzungsdaten • Secondary uses dieser Daten • Für abgeleitete Dienstleistungen (zB. Autoversicherung) • Gegebenenfalls aufgrund Zusammenführung der Datenbestände • Industrielle Datenplattformen – Multipolare „Datenbiotope“ • Rechtl. Rahmenbedingungen für Zurverfügungstellung und Nutzung der Daten Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 31.3.2017 6
Ausgangspunkt: Interessenanalyse • Verfügungsrechte an Daten (Dateneigentum) • „Naturrechtliche“ Argumente • Marktbezogene Anreiz- und funktionale Steuerungsargumente • Zugangsrechte an Daten • Problem der de facto Kontrolle • Vertragsrechtliche Schutzinstrumente • Sonderregeln für öffentliche Behörden? • Portabilität & „Sharing“ Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 31.3.2017 7
Ausgangspunkt: Pläne der Kommission • Mitteilung „Aufbau einer europäischen Datenwirtschaft“ v. 10.1.2017, COM (2017) 9 final • Commission Staff Working Document on the free flow of data and emerging issues of the European data economy v. 10.1.2017, SWD (2017) 2 final • Stakeholder Dialogue on Building a European data economy • Vgl. zuletzt auch Mitteilung über die Halbzeitüberprüfung der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt – Ein vernetzter digitaler Binnenmarkt für alle v. 10.5.2017, COM(2017) 228 final • Und das zugehörige Commission Staff Working Doc. SWD(2017) 155 final Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 31.3.2017 8
Ökonomische Analyse • Datenmärkte vs. Märkte für abgeleitete Dienstleistungen • Bisher kein Marktversagen im Bereich dynamischen Wettbewerbs erkennbar (i.e. keine Anreizprobleme, kein „Belohnungsproblem“) • Probleme im Bereich der Transaktionskosten • Best practices • Dispositives Vertragsrecht • Teilweise zwingendes Vertragsrecht bei Informationsungleichgewichten etc. • Fragmentierung der Märkte: Standardisierung und Portabilität • Probleme im Bereich des Zugangs • De facto Kontrolle und vertragsrechtliche Instrumente – insges. Schutzrechtsüberschneidung • Lock-in, leveraging vs. Wettbewerbsfreiheit • Informationsprobleme – Identifikation der Rechteinhaber, Datenqualität • Transaktionskosten (s. oben) • Probleme im Bereich der Datenqualität Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 31.3.2017 9
Überblick II. Die Rolle des Schutzrechts sui generis nach der Datenbank- Richtlinie 96/9/EG - §§ 87a ff. UrhG Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 31.3.2017 10
Schutz nach §§ 87a ff. UrhG • Wertschöpfungskette in Big Data Sachverhalten • Datensammlung • Installation der Messinfrastruktur durch Anbieter • Eigentliche Datenentstehung durch Aktivität/Betrieb beim Nutzer • Analyse und Veredelung • Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen • Sonderprobleme in multipolaren „Datenbiotopen“ • Informationsprobleme Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 31.3.2017 11
Schutz nach §§ 87a ff. UrhG • Welche dieser Phasen lässt sich durch §§ 87a ff. UrhG erfassen? • Wie weit reichen die Verwertungsrechte nach § 87b UrhG? • Wer ist Datenbankhersteller i.S.d. §87a Abs. 2 UrhG? • Sind die üblichen Schranken einschlägig? • Was sollte man vertraglich regeln? Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 31.3.2017 12
Anwendungsbereich §§ 87a ff. UrhG • Sammlung • Weit = jede (minimal) strukturierte Datenzusammenstellung auch von „Rohdaten“ erfüllt. • Werke, Daten oder andere Elemente • Weit unproblematisch (+). • Unabhängigkeit der Elemente Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 31.3.2017 13
Unabhängigkeit der Elemente • Eigentliches Abgrenzungskriterium zu einheitlichen Gestaltungen – Beispiel: Multimedia-Anwendungen, Computerspiele • EuGH aber: äußerst weites Verständnis – EuGH GRUR 2005, 254 – Fixtures Marketing: Element ist unabhängig, wenn es nach seiner Herauslösung aus der betreffenden Sammlung einen selbständigen Informationswert besitzt – EuGH GRUR 2015, 1187 – TK 50: • Topografische Landkarte in ihrer analogen Darstellungsform ist eine Datenbank • Selbständiger Informationswert kann sich aus dem Nutzwert spezifisch entnommener Datenkombinationen ergeben – Vgl. Leistner, GRUR 2014, 528; GRUR 2016, 42.
Schutzvoraussetzung: Wesentliche Investition • Schutzschwelle: bisher eher niedrig – BGH: GRUR 2011, 724 – Zweite Zahnarztmeinung • keine ganz unbedeutenden Investitionen (substanzielles Gewicht ist nicht vorauszusetzen) • Praxishinweis: dennoch ist hier dringend zu entsprechender Dokumentation zu raten • Welche Investitionen kommen in Betracht? – EuGH GRUR 2005, 244 – BHB/Hill: Investitionen in die Beschaffung, Überprüfung und Darstellung der Mittel • Nicht: Investitionen in die Datenerzeugung („creation of data“) • Entscheidende Frage: Wie ist Aufwand für Messungen, Datenerfassung etc. hier einzuordnen?
Wesentlichkeit der Investition • Entscheidende Frage: Wie ist Aufwand für Messungen, Datenerfassung etc. hier einzuordnen? – Streitig: m.E. ist Messung/Erfassung unabhängig vorhandener Daten Beschaffung. • Herrschende Meinung zuerst eher ablehnend • Andererseits mE eindeutig: BGH GRUR 2005, 857, 858 f. – HIT BILANZ; vgl. auch BGH GRUR 2011, 724 – Zweite Zahnarztmeinung II Erfassung von Daten durch zu diesem Zweck aufwendig entwickelte Geräte (+); Entwicklung von Software, um Eingaben der Nutzer zu erfassen, Prüfung dieser Eingaben (+) • Praxishinweis: – Messung in der Natur vorhandener Daten etc. (+) – Vgl. auch Leistner, GRUR 2014, 528, 530.
Wesentlichkeit der Investition • Welche Investitionen kommen in Betracht? • „spin off“-Problem – Früher viel diskutiert: in BHB v Hill verworfen – Relevanz der Investition, wenn für einen anderen Hauptzweck erbracht – Daten fallen nur als „spin off“ an • Heute mE eindeutig: wenn Beschaffung, Überprüfung, Darstellung von Daten (+) – Relevanz für „Grenzfall“: Echtzeiterfassung von Nutzungsdaten bei Maschinenbetrieb – Weiterer „Grenzfall“: Meta-Daten durch komplexe Auswahl und Anordnung – Praxishinweis: Dokumentation des Beschaffungsaufwands
Wesentlichkeit der Investition • Bottom line für Rechtspolitik und Praxis • Anwendungsbereich und Relevanz des Schutzrechts für big data-Sachverhalte – Weit größer als angenommen, insbesondere da – Weiter Anwendungsbereich – Messung von Daten beim Nutzer grundsätzlich erfasst • Keine abschließende Rechtsprechung – keine Rechtssicherheit für Grenzfälle
Verwertungsrechte • Datenbank-Richtlinie: „Entnahme“ und „Weiterverwendung“ • § 87b UrhG: Vervielfältigung, Verbreitung, öffentliche Wiedergabe • Wesentlicher Teil oder wiederholte und systematische Vervielfältigung unwesentlicher Teile, sofern – normaler Auswertung der Datenbank zuwiderlaufend oder – berechtigte Interessen des Datenbankherstellers unzumutbar beeinträchtigt
Verwertungsrechte • EuGH MMR 2008, 807 – Directmedia Publishing ./. Uni Freiburg – Weiter Entnahmebegriff auch indirekte Entnahmen – Auch bei „veredelnder“ Entnahme lediglich der aufwendig kompilierten Auswahl der Originaldatenbank, die nur nach eigenen kritischen Entscheidungen zum Großteil übernommen • Praxishinweis: Dennoch hier möglicherweise Beweisprobleme Fehleinträge u.Ä. Indizien als Dokumentation – Andererseits: EuGH BHB ./. Hill rein informatorische Konsultation veröffentlichter Datenbanken ist frei
Verwertungsrechte • EuGH GRUR 2014, 166: Innoweb ./. Wegener – Nutzung der Gesamtheit oder eines wesentlichen Teils der Originaldatenbank im Falle einer – Meta-Suchmaschine für Gebrauchtwagenbörsen • Suchformular mit wesentlich gleichen Optionen wie Originaldatenbank • Übersetzung in „Echtzeit“ in Originalsuchmaschine und Durchsuchung des gesamten Datenbestandes • Dubletten zusammengeführt – Weitgehender Schutz gegen screen-scrapingH • Gewisses Spannungsverhältnis zu: – Freiheit von Frame-Links (BGH: Paperboy; EuGH: Svensson, EuGH: BestWater) – Zurückhaltender BGH-Rechtsprechung zum Screen-Scraping • BGH GRUR 2011, 1018 – Automobil-Onlinebörse (Datenbankrecht und UWG: betreffend Privatnutzer) • BGH GRUR 2014, 785 – Flugvermittlung im Internet (nur UWG)
Schranken • Enge Sondervorschrift in § 87c UrhG • ZB: keine digitale Privatkopie von Datenbanken • Hauptproblem: keine Schranke für „amtliche“ Datenbanken – Deutsches Recht: • BGH GRUR 2007, 500 – Sächsischer Ausschreibungsdienst § 5 UrhG analog • Europaweit nicht gesichert, a.A. zB der OGH.
Wer ist Datenbankhersteller? § 87a II: Wer die Investition vorgenommen hat • ErwägGrd 41 Db-RL: Person, die die Initiative ergreift und das Investitionsrisiko trägt. • Nicht: – Lohnarbeiter, Dienstleister, „Nebenbei“-Sammler ohne eigene wesentliche Investition • Internet der Dinge, Big Data – Der „Einzelsammler“ wird idR keine wesentliche Investition erbringen. – Der Organisator des Systems, der die Daten erfasst, prüft und weiter be- und verarbeitet, kann Datenbankhersteller sein (Wesentlichkeitsschwelle niedrig); vgl. BGH HIT BILANZ, Zweite Zahnarztmeinung II. – Bei weiterer Verarbeitung der Daten ggf. mehrere Datenbankherstellerrechte (und ggf. auch Urheberrecht) nebeneinander – Wie in Netzwerken? – Wie wenn Nutzer bewusst und mit gewissem Eigenaufwand an der Sammlung beteiligt? • Sicherlich häufig: – BGB-Gesellschaft i.S.d. § 705 ff. BGB – Mindestens Bruchteilsgemeinschaft § 741 BGB – Erhebliche Rechtsunsicherheit – Transaktionskosten –
Folge für die Praxis: Notwendigkeit vertraglicher Regelungen • Wem stehen etwa entstehende Datenbankherstellerrechte zu? – Frei regelbar, da investitionsschutzbezogenes Leistungsschutzrecht ohne persönlichkeitsrechtliche Komponente. – Praxishinweis: • Ggf. vorsorglich regeln, vgl. BGH GRUR 2012, 910 – Delcantos Hits. • (Wechselseitige) Einräumung der für die weitere Verwendung benötigten Nutzungsrechte
Folgen für die Praxis: Notwendigkeit vertraglicher Regelungen • (Wechselseitige) Einräumung der für die weitere Verwendung benötigten Nutzungsrechte – Einfache oder ausschließliche Rechte • Praxishinweis: Achtung – in richtlinienkonformer Auslegung auch Umgestaltungsrecht regeln – Räumliche, zeitliche, inhaltliche Grenzen – Gegebenenfalls Regelungen betreffend Datenbanksoftware, Know-how etc. • Mindestrechte des berechtigten Datenbanknutzers (§ 87e UrhG) – Im Vergleich zu § 69d UrhG geringe Bedeutung. – Insbes.: bisher keine Online-Erschöpfung.
Folgen für Big Data – Reformbedarf • Kein „Mangel“ an Schutzrechten • De facto Beherrschung gegebenenfalls durch sui generis Schutz nach §§ 87a ff. UrhG abgesichert • Problem hier eher: Schutzrechts-overlap, insbes. mit UWG • Problem: multiple Inhaberschaft – Transaktionskosten • Keine vertragsrechtlichen Vorschriften oder Rahmenbedingungen • Keine bereichsspezifische Lösung für Portabilitätsprobleme • Zugangsproblematik eher verschärft • Insbesondere: Begrenzung auf „wesentliche Teile“ hilft nicht für die typischen big data – Nutzungsszenarien Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 31.3.2017 26
Folgen für Big Data – Reformbedarf • Kein Bedarf nach neuen Ausschließlichkeitsrechten: „Dateneigentum, nein danke!“ (Hugenholtz) • Bereichsspezifischer Reformbedarf • Konkretere Regeln über die Inhaberschaft? • Dispositive Rahmenbedingungen für Verträge? • Best practices • (Bereichsspezifische) Zwangslizenzen (s. den ursprünglichen KOM- Entwurf zur Datenbankrichtlinie von 1995) • Bereichsspezifische Zugangsrechte • Portabilitätsproblem: Vorbild Datenschutzgrundverordnung? • Schranken mit InfoSoc-Richtlinie dynamisch abgleichen • Überschneidung mit UWG-Schutzinstrumenten regeln Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 31.3.2017 27
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Bestandsaufnahme und Bewertung Geheimnisschutz de lege lata Ausgangspunkt • Bislang: in Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede • Verabschiedung EU Trade-Secret-Directive 2016 Angleichung zr. Regelungen Verstreute Sondervor- • Bisherige Rechtslage in Dtl. Unübersichtliches Bild: schriften Geheimnisschutz Strafrechtlicher Schutz Zivilrecht Geheimnis- Betriebs- Unbefugte Vorlagen- (Arbeits)- Autonome verrat spionage Verwertung freibeuterei vertragliche zivilrechtl. §17 I § 17 II Nr. § 17 II Nr. § 18 UWG RF/AGL RF/AGL UWG 1 UWG 2 UWG Akzessorische Rechtsfolgen §§ 4 Nr. §§ 3 I, §§ 823 I, §§ 3a, 3 I, 8ff. § 823 II 3c, 8ff. 8ff. UWG 826, 812 I UWG BGB UWG Alt. 2, 687 II BGB Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 5.5.2017 29
Bestandsaufnahme und Bewertung Geheimnisschutz de lege lata • Begrenzte Anwendbarkeit der bestehenden Regelungen auf Daten und Informationssammlungen • Kein Schutz, wenn ungeordnete Einzeldaten oder Daten (in DB) offenkundig viele Einzeldaten und kommerzielle DB i.d.R. aber öffentlich zugänglich offenkundig • Allerdings richtigerweise für die wesentlichen Fälle unschädlich: • Innerhalb Betriebssphäre: Kenntnis der Betriebsangehörigen oder zur Vertraulichkeit verpflichteter Dritte • Außerhalb Betriebssphäre: Zusammenstellung von Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen kann i.d.S. als nicht offenkundig qualifiziert werden, wenn konkrete Zusammenstellung (Kontext, Metadaten, Strukturierung) • Maschinendaten wie Messergebnisse regelmäßig erfasst • Schutz bestimmter vertraulicher Informationen • Probleme: Schutzvoraussetzungen/erhebliche Fragmentierung der Rechtsgrundlagen, Zuordnung des Rechts, dogmatische Basis von Know how-Lizenzen, Informationsprobleme, Zugang Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 5.5.2017 30
EU Trade-Secret-Directive • Richtlinie (EU) 2016/943 – Trade Secret Directive • In Kraft getreten: 5. Juli 2016 Umsetzung durch Mitgliedstaaten bis 9. Juni 2018 • Ziele: • Harmonisierung der nationalen Gesetze, da bislang unionsweit unterschiedliches Schutzniveau (vgl. im einzelnen Erwägungsgründe 6 und 7) Fragmentierung des Binnenmarkts (vgl. Erwägungsgründe 8 bis 10) • Abschreckung vor rechtswidrigem Erwerb, rechtswidriger Nutzung und Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen, ohne Grundrechte und Grundfreiheiten zu untergraben • Grundkonzeption: • Anlehnung an allgemeinen Rahmen des Art. 39 TRIPS • Mindestharmonisierung, aber: Konsistenzgebot, insbesondere beim Schutzgegenstand • Keine Schaffung absoluter subjektiver Rechte, sondern nur Abwehrrechte ggü. unbefugten Zugriffen, Eingriffen und Verwertungen (im Interesse von Innovation und Wettbewerbsförderung (Erwägungsgrund 16)) • Aber: Annäherung der Rechtsfolgen an Durchsetzungs-Richtlinie von 2004 • Nicht aber: vertragsrechtliche Vorschriften für Kooperationen oder Netzwerke • Sondervorschriften für Geheimnisschutz im Prozess Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 5.5.2017 31
EU Trade-Secret-Directive Überblick • Art. 1: Gegenstand und Anwendungsbereich • Art. 2: Definitionen – insbes. Schutzgegenstand • Informationen • Geheim • Kommerzieller Wert, weil geheim • Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen • Nicht mehr: Unternehmensbezug • Art. 3: rechtmäßiger Erwerb • Unabhängige Entdeckungen; reverse engineering • Art. 4: rechtswidrige Handlungen • Art. 5: Ausnahmen • Art. 9: Geheimnisschutz im Verfahren • Art. 6-15: Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe (lex specialis) • wirksam, abschreckend, vhm., Art. 6, 7 • Vorläufige Maßnahmen, Art. 10, 11 • Unterlassungsanordnungen, Art. 12, 13 • Schadensersatz, Art. 14 Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 5.5.2017 32
EU Trade-Secret-Directive Schutzgegenstand • Völkerrechtlicher Rahmen : Art. 39 TRIPS: MGS verpflichtet zu Schutz nicht offenbarter Informationen gegen unlautere Veröffentlichung und Verwertung • Art. 2: Definition Geschäftsgeheimnis • Geschäftsgeheimnis = Informationen, die kumulativ folgende Kriterien erfüllen: • a) sie sind in dem Sinne geheim, dass sie weder in ihrer Gesamtheit noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne weiteres zugänglich sind • b) sie sind von kommerziellem Wert, weil sie geheim sind • c) sie sind Gegenstand von Umständen entsprechenden angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch die Person, die die rechtmäßige Kontrolle über die Informationen besitzt • Nicht mehr: Unternehmensbezug als Voraussetzung Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 5.5.2017 33
EU Trade-Secret-Directive Schutzgegenstand und big data • geheime Information • Problem 1: lediglich semantische Informationen oder auch tatsächlich reine Datenhaufen (Rohmaterial) • Problem 2: fällt darunter auch faktische Exklusivität an Daten? • Problem 3: öffentlich zugängliche Messdaten etc. • i.d.R, öffentlich zugänglich Erfassung steht jedem offen keine absolut „geheimen“ Daten generiert • Aber: frei zugängliche Informationen können in ihrer Gesamtheit und/oder in ihrer kontextuellen Zusammenstellung geheim sein • Bsp: Informationen über Kunden zwar öffentlich zugänglich Kundenkartei in Gesamtheit oder in Teilen kann dennoch als geheim zu qualifizieren sein Einzeldatum (-), aber Kombination von Daten (oder m.E. auch der Datenhaufen) • Folgeproblem: Datenanalysetechnik etc. lässt sich faktisch geheimhalten, aber: dies schafft Informationsprobleme bzgl. Qualität/Herkunft kontextualis. Datensätze • Erneute Messungen bleiben jdf. zulässig, da RL keine ausschließliche Befugnis an der Information vermittelt • Aber: faktische Probleme kumulierter Messung Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 5.5.2017 34
EU Trade-Secret-Directive Schutzgegenstand und big data • von kommerziellem Wert, weil geheim • Öffentlich zugängliche Informationen an sich kein kommerzieller Wert, aber Kombination dieser Daten (Kontext, Metadaten) u.U. Wettbewerbsvorteil kann kommerzieller Wert zukommen • Problematisch: Unter welcher Voraussetzung hat ein (Einzel-)Datum kommerziellen Wert? Unter welcher Voraussetzung hat ein Datenhaufen kommerziellen Wert? Einzeldaten oder Rohdaten erhalten Wert i.d.R. erst aus Datenmenge und Kontextinformationen (insb. Metadaten) • Oder genügt der potentielle kommerzielle Wert für mögliche künftige Wertschöpfung für einen indirekten kommerziellen Wert der Informationen? • Erwägungsgrund 14, Telos • Auch: keine Mindestschwelle • Tendenziell (+) • Zweifelhaft möglicherweise für Einzeldaten; aber: ist das ein Problem? • Praktisches Problem: Lässt sich bei komplexeren Datensätzen (die mglw. In Kooperationen kontextualisiert) der Streitgegenstand hinreichend klar abgrenzen? (Aplin) Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 5.5.2017 35
EU Trade-Secret-Directive Schutzgegenstand und big data • angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen • Insb: Wird neue RL eigenständige, sehr konkrete Darlegungs- und Beweislast des Schutz suchenden Klägers nach sich ziehen? • Jdf. Maßnahmen erforderlich, die dazu beitragen, Informationen tatsächlich innerhalb eines eng begrenzten Personenkreises geheim zu halten • Problematisch für die in der Zukunft entscheidenden vernetzten Kooperations- oder Wertschöpfungsmodelle; auch: Austausch von Geschäftsgeheimnissen über Cloud- Lösungen Daten bei Dritten gespeichert etc. • Die Anforderungen sollten hier nicht überspannt werden; Gefahr andernfalls auch: erhebliche Transaktionskosten aufgrund notwendiger Dokumentation und regelrechter diesbezüglicher Compliance • Praxishinweis: hier ist möglicherweise bei wertvollem Know how der rechtliche Schutz durch Dokumentation entsprechender Geheimhaltungsmaßnahmen abzusichern! Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 5.5.2017 36
EU Trade-Secret-Directive Schutzsubjekt und big data • Art. 2 Abs. 2: „Rechtsinhaber“ jede natürliche Person, die die rechtmäßige Kontrolle über ein Geschäftsgeheimnis besitzt • „Besitzähnliche“, faktisch umrissene Rechtsposition • Wie konkretisiert sich dies in typischen big data-Sachverhalten? • Forschungskooperationen, Netzwerke • Miturheber, Miterfinder • Angestellte • Einfache oder ausschließliche Lizenznehmer • Öffentliche juristische Personen • Maschinengenerierte Daten • Auch: keinerlei Ansätze eines vertragsrechtlichen Rahmens • Praxistipp: Erheblicher Bedarf an Anpassung entsprechender know how- Lizenzen sowie Regelungen über die Inhaberschaft Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 5.5.2017 37
EU Trade-Secret-Directive Schutzwirkung • Art. 3: Begrenzung des Schutzgegenstands – Rechtmäßige(r) Erwerb, Nutzung, Offenlegung • Einzeltatbestände (uA reverse engineering) Datensatz als „Produkt oder Gegenstand“, Beobachtung, Untersuchung, Rückbau oder Testen? • Generalklausel: jede andere Vorgehensweise, die unter den gegebenen Umständen mit seriöser Geschäftspraxis vereinbar • Art. 4: Rechtswidriger Erwerb, rechtswidrige Nutzung, rechtswidrige Offenlegung • Einzeltatbestände • Generalklausel: unter den jeweiligen Umständen mit einer seriösen Geschäftspraxis nicht vereinbar • Auch: unmittelbare oder mittelbare Erwerber bei Wissen oder vorwerfbarem Nichtwissen (wiederum gewisse „Verdinglichung“) • Auch: rechtsverletzende Produkte = Konzeption, Merkmale, Funktionsweise, Herstellungsprozess oder Marketing in erheblichem Umfang auf rwi. genutzten Geschäftsgeheimnissen basiert • Art. 5: Ausnahmen • Einzeltatbestände (u.A. whistleblowing) „passen“ nicht auf big data Sacherhalte (Informationsfreiheit?) • Generalklausel: zum Schutz eines durch das Unionsrecht oder das nationale Recht anerkannten legitimen Interesses Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 5.5.2017 38
EU Trade-Secret-Directive Schutzwirkung • Kernbereich der verhaltensbezogenen „Verletzungstatbestände“ ist spiegelbildlich von Generalklauseln definiert und begrenzt • Keine bereichsspezifische Regelung für big data (insbes. Schranken) • ABER: bereichsspezifische Konkretisierung des Kriteriums „seriöser Geschäftspraktiken“ • IM ÜBRIGEN: Charta-Grundrechte als Einfallstor für übergeordnete Wertungen • Wesentlich: wettbewerbsorientiertes Verständnis dieses Begriffs, dass (nach dem Vorbild kartellrechtlicher Methodik) Marktwirkungen mit einbezieht (vgl. ErwGrd. 16 der Richtlinie zum Telos) Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 5.5.2017 39
EU Trade-Secret-Directive Zwischenfazit • Vor Hintergrund der zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe – Erhebliche Konkretisierungsspielräume • Umsetzung ./. Rechtsanwendung durch die mitgliedstaatlichen Gerichte EuGH • Transparenzproblem Zugangsproblem • Rechtssicherheit, Zuordnung der Rechte und Übertragung • Könnten Korrespondenzstellen in Mitgliedstaaten (Art. 17) hier eine Rolle spielen? • Regelbeispiele? • Fallgruppen mitgliedstaatlicher Rechtsprechung? • Unverbindliche/verbindliche Feststellung, ob Voraussetzungen eines Geschäftsgeheimnisses erfüllt (Elemente einer Art Register beim EUIPO) • Mittelfristig: vertragsrechtliche Regelungen oder best practices • Ebenfalls mögliche Aufgabe für Korrespondenzstellen und EUIPO Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 5.5.2017 40
EU Trade-Secret-Directive Zwischenfazit & Umsetzung • Grundsätzliche Frage bei Umsetzung in nationales Recht: neues „Geheimnisschutz-Gesetz“ oder Integration in UWG? Neues bereichsspezifisches Gesetz! • Spezifischer Regelungsbedarf bei big data? • Gesetzesbegründung im Rahmen der Schutzvoraussetzung • Gesetzesbegründung im Rahmen des Schutzumfangs (bezüglich Konkretisierung der Generalklauseln und Schranken) • Ergänzende Regelungen zu Inhaberschaft und Verträgen? • Verbleibende Probleme: Regelungen für Kooperationen und Netzwerke, Transparenz, Zugang Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 5.5.2017 41
Fazit • Kein Mangel an Schutzinstrumentarien • De facto Kontrolle über Daten und Nutzungsverträge • Datenbankschutz sui generis • Sonstige Immaterialgüterrechte • Trade Secret Protection • Problem eher: Überschneidung zahlreicher unterschiedlicher faktischer und rechtlicher Schutzinstrumente Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 5.5.2017 42
Fazit • Möglicherweise Zugangsprobleme • Transaktionskosten best practices, ggf. dispositives Vertragsrecht • Bereichsspezifische Zugangsrechte (Zwangslizenzen) und Portabilität (Kostenfrage) • Datenqualität • Verhältnis zu wettbewerbspolitischen Zielsetzungen (Kartellrecht) • Verhältnis zu Grundrechten • Gesetzgeberische Geduld statt legislatorischer Schnellschüsse Prof. Dr. Matthias Leistner, LL.M., 5.5.2017 43
Vielen Dank für Ihre geduldige Aufmerksamkeit ! sekretariat.leistner@jura.uni-muenchen.de
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