Infrastrukturgesellschaft Verkehr - Ge- staltungs- und Privatisierungsoptionen - BMVI

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Infrastrukturgesellschaft Verkehr – Ge-
staltungs- und Privatisierungsoptionen
Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister
für Verkehr und digitale Infrastruktur

Prof. Dr. Alexander Eisenkopf, Friedrichshafen
Prof. Dr.-Ing. Hartmut Fricke, Dresden
Prof. Dr.-Ing. Markus Friedrich, Stuttgart
Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike, Dresden
Prof. Dr. Hans-Dietrich Haasis, Bremen
Prof. Dr. Günter Knieps (Vorsitzender), Freiburg
Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Knorr, Speyer
Prof. Dr. Kay Mitusch, Karlsruhe
Prof. Dr. Stefan Oeter, Hamburg
Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Josef Radermacher, Ulm
Prof. Dr. Gernot Sieg, Münster
Prof. Dr.-Ing. Jürgen Siegmann, Berlin
Prof. Dr. Bernhard Schlag, Dresden
Prof. Dr. Wolfgang Stölzle, St. Gallen
Prof. Dr.-Ing. Dirk Vallée, Aachen
Prof. Dr.-Ing. Peter Vortisch, Karlsruhe
Prof. Dr. rer. nat. Hermann Winner, Darmstadt

                                                   06. Dezember 2016
INFRASTRUKTURGESELLSCHAFT VERKEHR – GESTALTUNGS- UND PRIVATISIERUNGSOPTIONEN

 Infrastrukturgesellschaft Verkehr – Ge-
 staltungs- und Privatisierungsoptionen

                             Kurzstellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats
                     beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur
        Erschienen in: Wirtschaftsdienst, 97. Jahrgang, 2017, Heft 4, S. 261 - 265

                                      2
INFRASTRUKTURGESELLSCHAFT VERKEHR – GESTALTUNGS- UND PRIVATISIERUNGSOPTIONEN

      Inhaltsverzeichnis

1           Sachverhalt                                                            4
2           Grundsätzliche Bewertung                                               6
3           Governance und Rechtsform der Infrastrukturgesellschaft                8
4           Abgrenzung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern                      10
5           Eigentümerstruktur und Privatisierung                                  13
Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats                                          15

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INFRASTRUKTURGESELLSCHAFT VERKEHR – GESTALTUNGS- UND PRIVATISIERUNGSOPTIONEN

        1     Sachverhalt

                                              Landesverkehrsministern auf der Basis
Der Bericht der sogenannten Fratscher-
                                              der Vorschläge der Kommission „Bau
Kommission vom April 2015 hat in
                                              und Unterhaltung des Verkehrsnetzes“
Deutschland zu einer intensiven Dis-
                                              vom 23. Februar 2016 (Bodewig II-
kussion über die Vor- und Nachteile
                                              Kommission) abgelehnt wurden. Sie
sowie die Rahmenbedingungen der
Einführung einer Bundesfernstraßenge-         schlugen stattdessen die Weiterent-
                                              wicklung der bestehenden Auftrags-
sellschaft geführt. Die Expertenkom-
                                              verwaltung sowie eine Optimierung der
mission „Stärkung von Investitionen in
                                              Finanzierungsprozesse auf Bundesebe-
Deutschland“ hatte in ihrem Gutachten
                                              ne vor.
für den Bundeswirtschaftsminister eine
Infrastrukturgesellschaft   vorgeschla-       Mittlerweile haben sich Bund und Län-
gen, die Planung, Bau, Betrieb und Fi-        der im Zuge der Verhandlungen über
nanzierung von Bundesfernstraßen aus          die Zukunft des Finanzausgleichs auf
einer Hand gewährleisten soll. Außer-         die Einrichtung einer Bundesfernstra-
dem wurde – zumindest im Mehrheits-           ßengesellschaft geeinigt (Infrastruktur-
votum des Gutachtens – eine stärkere          gesellschaft Verkehr). Es liegt bereits
Beteiligung privater Investoren an der        ein Referentenentwurf für eine Grund-
Verkehrsinfrastruktur gefordert. Eine         gesetzänderung vor, der den Beschluss
ähnliche Lösung nur für das hochrangi-        der Regierungschefinnen und Regie-
ge Autobahnnetz, auf die auch das             rungschefs von Bund und Ländern vom
Gutachten der Fratscher-Kommission            14. Oktober 2016 zur Neuregelung des
eingeht, gibt es in Österreich mit der        bundesstaatlichen Finanzausgleichssys-
ASFINAG; diese wurde in den Fachdis-          tems ab dem Jahr 2020 umsetzt. Kern-
kussionen auch immer wieder als Refe-         elemente der Neufassung des Art. 90
renzpunkt einer möglichen Lösung für          GG nach dem Stand vom 24.11. 2016
Deutschland angeführt.                        sind:
Im Dezember 2015 hat das Bundesver-                 Der Bund bleibt Eigentümer der
kehrsministerium erste Eckpunkte ei-                 Bundesautobahnen und sonsti-
ner solchen Bundesautobahngesell-                    gen Bundesstraßen des Fern-
schaft präsentiert, die aber von den

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       verkehrs. Das Eigentum ist un-           Aufsichts- und Planfeststellungsbehör-
       veräußerlich.                            de etabliert werden.
      Die Verwaltung der Bundesau-
       tobahnen und autobahnähnli-
       chen Bundesstraßen außerhalb
       geschlossener Ortslagen mit
       unmittelbarer Anbindung an
       Bundesautobahnen wird in
       Bundesverwaltung geführt. Der
       Bund kann sich zur Erledigung
       seiner Aufgaben einer Gesell-
       schaft privaten Rechts bedie-
       nen. Diese Gesellschaft steht im
       unveräußerlichen Eigentum des
       Bundes.
      Es bleibt bei einer Verwaltung
       der sonstigen Bundesstraßen
       durch die Länder, wobei der
       Bund auf Antrag eines Landes
       sonstige Bundesstraßen des
       Fernverkehrs, soweit sie im Ge-
       biet dieses Landes liegen, in
       Bundesverwaltung übernehmen
       kann.
Darüber hinaus liegt ein Entwurf für die
Verabschiedung eines Gesetzes zur
Errichtung einer Infrastrukturgesell-
schaft Verkehr vor, der die Rahmenbe-
dingungen dieser Gesellschaft präzi-
siert. Sie soll als Gesellschaft privaten
Rechts (zunächst als GmbH) gegründet
werden, wobei die Gesellschaftsanteile
im Eigentum des Bundes stehen. Die
Gesellschaft soll spätestens zum 1. Ja-
nuar 2021 ihre Arbeit aufnehmen; nach
drei Jahren ist eine Evaluation der
Rechtsform vorgesehen. Weiterhin soll
auch ein Fernstraßen-Bundesamt als

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INFRASTRUKTURGESELLSCHAFT VERKEHR – GESTALTUNGS- UND PRIVATISIERUNGSOPTIONEN

          2      Grundsätzliche Bewertung

Der Beirat begrüßt ausdrücklich die                   In Hinblick auf die konkrete Ausgestal-
institutionelle Neuordnung im Bereich                 tung und das Aufgabenspektrum sowie
der       Bundesfernstraßenverwaltung                 die Eigentümerstruktur einer solchen
durch die Gründung einer Infrastruk-                  Infrastrukturgesellschaft     verbleiben
turgesellschaft Verkehr, die in Zukunft               allerdings zahlreiche offene Fragen.
für Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung,                 Nachfolgend problematisiert der Beirat
Finanzierung und die vermögensmäßi-                   einige aus seiner Sicht zentrale Aspekte
ge Verwaltung von Bundesautobahnen                    und nimmt insbesondere Stellung zur
und autobahnähnlichen Bundesstraßen                   Thematik einer möglichen Privatisie-
zuständig sein wird, auch wenn damit                  rung der Gesellschaft. Diskutiert wer-
erhebliche Überleitungskosten und                     den die Governance und Rechtsform
Umsetzungsprobleme verbunden sind.                    der Gesellschaft, die Abgrenzung der
Mit dieser Grundsatzentscheidung für                  Aufgaben zwischen Bund und Ländern
eine institutionelle Reform gibt es eine              sowie die Organisationsstruktur und
wichtige Weichenstellung für mehr                     die Frage des Eigentums an einer sol-
Effizienz bei der Bereitstellung von                  chen Gesellschaft. 2
Bundesfernstraßen, welche geeignet                    Ergänzend weist der Wissenschaftliche
erscheint, den zahlreichen und kriti-                 Beirat auf die nach wie vor ungelösten
schen Mängeln des bisher praktizierten                Probleme bei der Finanzierung von
Systems der Auftragsverwaltung abzu-                  Verkehrsinfrastrukturen der Länder
helfen. Als systemimmanente Schwä-                    und Gemeinden hin. Ähnlich wie die
chen werden insbesondere die Intrans-                 Daehre- und die Bodewig-Kommission
parenz, Fehlanreize aufgrund der In-                  hat der Beirat in einem Gutachten aus
formationsasymmetrien zwischen den
Beteiligten und die Zersplitterung der                fernstraßen. Gutachten des Wissenschaftlichen
                                                      Beirats für Verkehr beim Bundesminister für
Zuständigkeiten genannt. Der Beirat                   Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, in: Zeit-
hat die Probleme der Auftragsverwal-                  schrift für Verkehrswissenschaft, 77. Jg. (2006),
tung bereits in einem Gutachten aus                   Heft 2, S. 81-104.
                                                      2
                                                        Der Beirat kann im Rahmen dieser Kurzstel-
dem Jahre 2006 ausführlich themati-                   lungnahme nicht auf alle relevanten Probleme
siert. 1                                              der Etablierung einer Infrastrukturgesellschaft
                                                      eingehen. Er adressiert z.B. in dieser Kurzstel-
                                                      lungnahme nicht das wichtige Thema der Per-
1
 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat: Neuorganisati-       sonalüberleitung und der zukünftigen Personal-
on der Zuständigkeiten im Bereich der Bundes-         strukturen einer solchen Gesellschaft.

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INFRASTRUKTURGESELLSCHAFT VERKEHR – GESTALTUNGS- UND PRIVATISIERUNGSOPTIONEN

dem Jahr 2013 für die Einführung von
Fondsgesellschaften plädiert, die in
ihrem Gefüge die Trennungen zwischen
den föderativen Ebenen überwinden
und damit auch die Finanzierungsprob-
leme der Länder und Gemeinden lösen
könnten.3 Neben zusätzlichen Finanzie-
rungsmöglichkeiten wie Ausweitung
der Nutzer-, Nutznießer-, Steuer- und
Kreditfinanzierung wurden in der Stel-
lungnahme des Wissenschaftliche Bei-
rats insbesondere auch Gedanken zur
organisatorischen Struktur (inkl. Leis-
tungs- und Finanzierungsvereinbarun-
gen und Infrastrukturzustandsberich-
ten), zur quantitativen Bemessung der
verschiedenen zusätzlichen Finanzie-
rungsquellen und zur Effizienzsicherung
durch die Etablierung von Benchmark-
verfahren entwickelt.

3
   Wissenschaftlicher Beirat: Verkehrsfinanzie-
rungsreform – Integration des kommunalen
Verkehrs, Stellungnahme des Wissenschaftli-
chen Beirates beim Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, in: Zeit-
schrift für Verkehrswissenschaft, 84. Jg. (2013),
S. 138 – 194.

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INFRASTRUKTURGESELLSCHAFT VERKEHR – GESTALTUNGS- UND PRIVATISIERUNGSOPTIONEN

         3     Governance und Rechtsform der Infrastruk-
               turgesellschaft

                                                 sondere eine entscheidungsorientierte
Laut § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Errich-
                                                 Kostenrechnung und Kostensteuerung
tung einer Infrastrukturgesellschaft
                                                 im Sinne effizienter Kosten ermöglicht.
Verkehr soll die Infrastrukturgesell-
                                                 Dies beinhaltet die Ermittlung und Be-
schaft als Gesellschaft mit begrenzter
                                                 reinigung der relevanten Mengenge-
Haftung (GmbH) errichtet werden. Der
                                                 rüste und die Berücksichtigung des an-
Beirat begrüßt diese Regelung, da aus
                                                 fallenden Werteverzehrs durch öko-
seiner Sicht die Vorteile einer privat-
                                                 nomisch relevante Abschreibungen und
rechtlichen Rechtsform hinsichtlich
                                                 marktmäßige Kapitalkosten.
Handlungsfähigkeit, Effektivität und
ökonomischer Effizienz deren mögliche            Investitions- und Unterhaltsstrategien
Nachteile überwiegen.                            können auf Basis aussagekräftiger be-
                                                 triebswirtschaftlicher    Rechenwerke
Im Falle der Infrastrukturgesellschaft ist
                                                 geplant werden, die in entsprechende
insbesondere darauf hinzuweisen, dass
                                                 Business-Pläne münden. Bauliche In-
die Steuerung des Unternehmens über
                                                 standsetzung, Sanierung und Erneue-
das Rechnungswesen nach kaufmänni-
                                                 rung dürften in einem privatrechtlichen
schen Prinzipien erfolgt sollte, wie es in
Unternehmen mit privatrechtlicher                verfassten Unternehmen zum best-
                                                 möglichen Zeitpunkt umgesetzt wer-
Rechtsform üblich ist. Angesichts der
                                                 den, um die Substanz des Netzes zu
umfangreichen wirtschaftlichen Werte,
                                                 erhalten, Kosten im Sinne einer Life-
über die eine solche Gesellschaft in
                                                 Cycle-Cost-Betrachtung gesamthaft zu
Gestalt des im Bundesfernstraßennetz
                                                 minimieren und den Straßennutzern
gebundenen Anlagevermögens dispo-
                                                 maximale Verfügbarkeit und Verkehrs-
niert, bieten ein an kaufmännischen
                                                 sicherheit zu gewährleisten. Dagegen
Prinzipien orientiertes Rechnungswe-
                                                 bleibt beim Neubau auch eine privat-
sen, das an wirtschaftlichen Größen
                                                 rechtlich organisierte Infrastrukturge-
ausgerichtete Zielsystem und die Effi-
                                                 sellschaft an den Primat der politischen
zienzkriterien widerspiegelnden Ent-
                                                 Steuerung durch den Bundesverkehrs-
scheidungsstrukturen eines Unterneh-
mens in privatrechtlicher Rechtsform             wegeplan bzw. die Fernstraßenausbau-
                                                 gesetze gebunden.
klare Vorteile. Im Rahmen einer sol-
chen Governance-Struktur wird insbe-

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INFRASTRUKTURGESELLSCHAFT VERKEHR – GESTALTUNGS- UND PRIVATISIERUNGSOPTIONEN

In diesem Kontext ist auch darauf hin-        mer und des Managements, gleichge-
zuwirken, dass die Infrastrukturgesell-       richtet sind und dass es nicht zu oppor-
schaft ein Monitoring des Straßenzu-          tunistischem Verhalten seitens des
stands durchführt und dem Parlament           Managements kommt, wie man es zum
regelmäßig einen Straßenzustandsbe-           Beispiel beim formell privatisierten
richt vorlegt. Für diesen können Me-          Bundesunternehmen Deutsche Bahn
thoden der Zustandserfassung und Be-          beobachten kann, das in der Rechts-
wertung (ZEB) genutzt werden; er sollte       form der Aktiengesellschaft geführt
als Grundlage für ein Pavement-               wird. Die Aktiengesellschaft stellt keine
Management-System (PMS) sowie ein             wünschenswerte Rechtsformalternati-
Benchmarking von Zustand und Ver-             ve für die zu gründende Infrastruktur-
fügbarkeit dienen.                            gesellschaft dar. Daher sollte die Rege-
                                              lung zur Evaluation der Rechtsform
Der Beirat weist darauf hin, dass die
                                              gemäß § 2 Abs. 3 des Errichtungsgeset-
gewählte Rechtsform der GmbH dau-
                                              zes gestrichen werden, um keinen Weg
erhaft beibehalten werden sollte. Diese
                                              zu einem einfachen Wechsel der
stellt am besten sicher, dass die Inte-
                                              Rechtsform zu eröffnen.
ressen der Akteure, also der Eigentü-

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INFRASTRUKTURGESELLSCHAFT VERKEHR – GESTALTUNGS- UND PRIVATISIERUNGSOPTIONEN

        4     Abgrenzung der Aufgaben zwischen Bund und
              Ländern

                                                schlagenen Lösung wird dies nicht
Im Zuge der Reform übernimmt der
                                                zwangsläufig erreicht, denn im Extrem-
Bund die alleinige Verantwortung für
                                                fall müsste das System der Auftrags-
Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung und
                                                verwaltung nur für ein einziges Bundes-
Finanzierung der Bundesautobahnen
                                                land aufrechterhalten werden. Zwar
und autobahnähnlichen Bundesstra-
                                                bestehen zu Recht Bedenken hinsicht-
ßen, welche eine herausgehobene Be-
                                                lich der Schaffung einer „Mammutbe-
deutung für den Fernverkehr haben.
                                                hörde“ für das gesamte Fernstraßen-
Die Länder dagegen verwalten weiter-
                                                netz, doch können dafür langfristig
hin die sonstigen Bundesstraßen des
                                                durchaus anreizkompatible Organisati-
Fernverkehrs im Auftrag des Bundes,
                                                onsstrukturen geschaffen werden. Da-
wobei der Bund auf Antrag eines Lan-
                                                bei müsste die Verkehrspolitik auf eine
des auch sonstige Bundesstraßen des
                                                stärker dezentrale Struktur der Infra-
Fernverkehrs, soweit sie im Gebiet die-
                                                strukturgesellschaft und eine Neuzu-
ses Landes liegen, in Bundesverwaltung
                                                ordnung des Fernstraßennetzes setzen.
nehmen kann.
                                                So ist zu erwarten, dass eine effiziente
Unabhängig von den zu erwartenden
gravierenden Überleitungs- und Anpas-           Organisation und Führung einer voll-
                                                kommen zentralisierten Infrastruktur-
sungsproblemen, die mit der ad hoc-
                                                gesellschaft kaum zu gewährleisten ist.
Übernahme des gesamten Fernstra-
                                                Auch in der Privatwirtschaft wird die
ßennetzes entstehen würden, spricht
                                                Effizienz und Effektivität zentral geführ-
aus ökonomischer Sicht vieles für eine
                                                ter Großunternehmen häufig in Frage
zentrale Verantwortung der Infrastruk-
                                                gestellt. Dort bietet die Dezentralisie-
turgesellschaft für das gesamte Netz
                                                rung wirtschaftlicher Aktivitäten und
der Bundesfernstraßen. Langfristig soll-
                                                der Managementverantwortung einen
te ein Nebeneinander von zwei Syste-
                                                Ansatzpunkt für die Steigerung von
men vermieden werden, die nicht aus-
                                                Flexibilität, Effizienz und Marktorientie-
reichend synchronisiert sind und Rei-
                                                rung von Unternehmen.
bungsverluste bzw. Ineffizienzen auf-
grund von Doppelstrukturen erzeugen             Vor diesem Hintergrund kann in einer
sowie eine integrierte Netzbetrachtung          stärker dezentralen Organisationsstruk-
erschweren. Mit der nunmehr vorge-              tur einer Infrastrukturgesellschaft ein

                                           10
INFRASTRUKTURGESELLSCHAFT VERKEHR – GESTALTUNGS- UND PRIVATISIERUNGSOPTIONEN

sinnvoller Gestaltungsansatz gesehen            triebsdienstes im engeren Sinne (z.B.
werden. Dies gilt umso mehr, als gera-          Winterdienst, Grünschnitt) oder der
de in einem ähnlichen Aufgabenbereich           (leichten) Instandhaltung auf eine zent-
bei der Wasser- und Schifffahrtsverwal-         rale Bundesgesellschaft übertragen
tung die Umsetzung eines Zentralisie-           werden sollten. Aus ökonomischer
rungsansatzes im Wesentlichen ge-               Sicht sprechen gute Argumente dafür,
scheitert ist.                                  solche explizit dezentral zu erbringen-
                                                den Aufgaben auch dezentral zu orga-
Der Beirat begrüßt daher die Regelung
                                                nisieren und die bisherigen Strukturen
von § 4 des Errichtungsgesetzes, dass
                                                der Straßenbauverwaltung dahinge-
bedarfsgerecht regionale Tochterge-
                                                hend zu belassen bzw. zu optimieren.
sellschaften eingerichtet werden sol-
                                                Das Wissen um die spezifischen Vo-
len. Ein plausibles Konzept für die zu-
                                                raussetzungen und Einsatzbedingungen
künftige Bereitstellung von Bundes-
                                                vor Ort und die Vorteile kurzer Ent-
fernstraßen sollte auf das Zusammen-
                                                scheidungswege und schneller Ein-
wirken einer zentral koordinierenden
                                                satzmöglichkeiten sollten genutzt wer-
und verbindliche Rahmenbedingungen
                                                den. Außerdem werden im Bereich des
setzenden Infrastrukturgesellschaft mit
                                                Betriebes und der Instandhaltung Ver-
regionalen Niederlassungen auf Lan-
                                                bundvorteile bezüglich der verschiede-
desebene als teilweise selbständigen
                                                nen Straßenkategorien realisiert. Dies
und eigenverantwortlichen Projektträ-
                                                gilt generell, aber insbesondere auch in
gern abstellen. Hier könnten organisa-
                                                einem Szenario, in dem der Verantwor-
torisch auch die bestehenden Auftrags-
                                                tungsbereich der Infrastrukturgesell-
verwaltungen der Länder integriert
                                                schaft des Bundes nur die Autobahnen
werden.
                                                beinhaltet. Für die Zusammenarbeit
In Hinblick auf das Problem der Zentra-         der Infrastrukturgesellschaft mit den
lisierung bzw. Dezentralisierung von            regional für den Betrieb zuständigen
Aufgaben stellt sich auch die Frage,            Verwaltungseinheiten der Länder sind
welche der von der Infrastrukturgesell-         daher standardisierte vertragliche Re-
schaft zu erbringenden Aufgaben konk-           gelwerke vorzubereiten.
ret wo zu leisten sind. Genannt werden
                                                Ein weiterer wesentlicher Aspekt der
im Errichtungsgesetz explizit die Funk-
                                                Aufgabenzuordnung ist die Frage des
tionen Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung
                                                Netzzuschnitts. Wie bereits ausgeführt
und Finanzierung. Während aus Sicht
                                                wurde, spricht aus ökonomischer Sicht
des Beirates einerseits die Zentralisie-
                                                vieles für eine Verantwortung der Inf-
rung des Finanzmanagements bei der
                                                rastrukturgesellschaft des Bundes für
Infrastrukturgesellschaft des Bundes
                                                das gesamte Netz der Bundesfernstra-
absolut wünschenswert ist, stellt sich
                                                ßen. Um dies umsetzbar zu machen,
z.B. die Frage, ob Aufgaben des Be-
                                                sollte daher im Zuge einer Neustruktu-
triebs und der Erhaltung, d.h. des Be-

                                           11
INFRASTRUKTURGESELLSCHAFT VERKEHR – GESTALTUNGS- UND PRIVATISIERUNGSOPTIONEN

rierung der funktionalen Zuordnung              von einer Infrastrukturgesellschaft des
des Straßennetzes das Netz der Bunde-           Bundes zu verantwortende Netz erheb-
sautobahnen auf das großräumige na-             lich schlanker geschnitten sein. Der
tionale und grenzüberschreitende Stra-          Beirat empfiehlt – wie bereits in sei-
ßennetz begrenzt werden. Auch das               nem Gutachten aus dem Jahre 2006 –
Netz der Bundesstraßen ist anhand der           trotz der zu erwartenden erheblichen
erfüllten Verkehrsfunktionen kritisch zu        politischen Widerstände diese Aufgabe
überprüfen und ggfls. in Teilen ab- oder        umgehend anzugehen.
ggfls. aufzustufen. Damit könnte das

                                           12
INFRASTRUKTURGESELLSCHAFT VERKEHR – GESTALTUNGS- UND PRIVATISIERUNGSOPTIONEN

        5     Eigentümerstruktur und Privatisierung

                                              vate Anteilseigner zu Lasten Dritter,
Bereits das Gutachten der Fratscher-
                                              also des öffentlichen Eigentümers und
Kommission empfiehlt eine stärkere
                                              der Nutzer, verbünden. Die grundsätz-
Beteiligung privater Investoren an der
                                              lich positiv zu bewertende Idee einer
Verkehrsinfrastruktur. Es besteht al-
                                              Infrastrukturgesellschaft sollte auch
lerdings nach Einschätzung des Beira-
                                              nicht dadurch diskreditiert werden,
tes kein objektiver Bedarf an ergän-
                                              dass der Eindruck entsteht, die Höhe
zender privater Finanzierung der Inf-
                                              der Nutzergebühren sei von den Ren-
rastrukturgesellschaft über Eigenkapi-
                                              diteerwartungen privater Investoren
tal bzw. Eigenkapitalsurrogate, da
                                              bestimmt.
hierdurch lediglich höhere Renditeer-
wartungen privater Anleger zu befrie-         Unabhängig davon sollte eine Infra-
digen sind, ohne dass dem zusätzliche         strukturgesellschaft zur Optimierung
relevante ökonomische Effizienzvor-           ihrer Leistungserstellungs- und Finan-
teile gegenüberstehen. Die erforderli-        zierungsprozesse aber die Möglichkeit
chen Finanzierungsmittel für das              haben, privates Fremdkapital aufzu-
hochrangige Straßennetz sollten aus-          nehmen. Dies wird allerdings deutlich
schließlich über eine Nutzerfinanzie-         verteuert, wenn der Bund keine
rung generiert werden, wobei Ent-             Staatsgarantie für die Verbindlichkei-
scheidungen über Struktur und Höhe            ten der Infrastrukturgesellschaft gibt.
der Benutzungsabgaben außerhalb               Der Beirat empfiehlt daher eine Ga-
der Kompetenz der Gesellschaft lie-           rantie des Bundes für die Verbindlich-
gen müssen.                                   keiten der Infrastrukturgesellschaft,
                                              was in den derzeit vorliegenden Refe-
Bei einer Kapitalbeteiligung Privater
                                              rentenentwürfen nicht vorgesehen
dürfte es nach Einschätzung des Bei-
                                              ist.
rates regelmäßig zu Konflikten zwi-
schen den Interessen privater Kapital-        Wenn der politische Wille, für den
anleger und dem öffentlichen Auftrag          Bereich der Bundesfernstraßen das
der Infrastrukturgesellschaft kommen.         ausschließliche öffentliche Eigentum
Analysen aus der Perspektive der              sicherzustellen, in Einklang steht mit
Prinzipal-Agenten-Theorie legen nahe,         ökonomischen Überlegungen, die
dass es insbesondere dazu kommen              nahelegen, dass eine materielle Priva-
kann, dass sich Management und pri-           tisierung der hochrangigen Stra-

                                         13
INFRASTRUKTURGESELLSCHAFT VERKEHR – GESTALTUNGS- UND PRIVATISIERUNGSOPTIONEN

ßeninfrastruktur keine Effizienzvortei-          wird ja gerade dieses Thema mit dem
le bringt, sollten die gesetzlichen Fest-        Konstrukt der Infrastrukturgesell-
schreibungen sicherstellen, dass es              schaft umfassend adressiert. Sinn und
auch nicht „durch die Hintertür“ zu              Zweck einer ÖPP wäre dann primär
einer materiellen Privatisierung oder            die Attrahierung privaten Kapitals.
Teilprivatisierung des Bundesfern-
                                                 Die Gesamtwirtschaftlichkeit vom ÖPP
straßennetzes kommen kann.
                                                 wird jedoch aufgrund der höheren
Grundsätzlich bestimmt die vorgese-              Finanzierungskosten Privater bereits
hene Regelung von Art. 90 Abs. 1 GG,             bei streckenbezogenen Lösungen häu-
dass der Bund (alleiniger) Eigentümer            fig in Frage gestellt. Umso mehr be-
der Bundesautobahnen und sonstigen               stehen Bedenken bezüglich ÖPP-
Bundesstraßen des Fernverkehrs ist               Vorhaben, die sich auf Teilnetze be-
und das Eigentum unveräußerlich                  ziehen und damit z.B. den Autobahn-
bleibt. In der aktuellen politischen             konzessionsgesellschaften in Frank-
Diskussion wurde bereits eine (Teil-             reich ähnlich wären, wo erhebliche
)Privatisierung der Infrastrukturgesell-         Fehlentwicklungen zu beobachten
schaft erwogen und wieder verwor-                sind (insbesondere überhöhte Gebüh-
fen. Der Beirat begrüßt vor diesem               ren und Gewinne der Autobahngesell-
Hintergrund die verfassungsrechtliche            schaften).
Privatisierungsschranke der Infra-
                                                 Derartige Vorhaben wären aber im
strukturgesellschaft im Entwurf zu Art.
                                                 Rahmen der aktuell diskutierten ge-
90 Abs. 2 GG.
                                                 setzlichen Regelungen umsetzbar; es
Darüber hinaus würden es aber die                erscheint durchaus möglich, dass sie
derzeit vorgesehenen Regelungen des              zu einem späteren Zeitpunkt dann
Errichtungsgesetzes erlauben, priva-             auch politisch realisiert werden. Der
tes Kapital für Projekte der Gesell-             Beirat spricht sich daher mit Nach-
schaft einzubinden, wenn die Wirt-               druck dafür aus, das Verbot solcher
schaftlichkeit gegeben ist. Dadurch              ÖPP-Lösungen (Teilnetz-ÖPP) auch
soll laut Gesetzesbegründung die                 grundgesetzlich zu verankern. Auch
Möglichkeit geschaffen werden, dass              die materielle Privatisierung von
sich Private an Netzausbau und Netz-             Tochtergesellschaften der Infrastruk-
erhalt beteiligen. Aus Sicht des Beira-          turgesellschaft sollte grundsätzlich
tes sollte der Einsatz von projektbezo-          ausgeschlossen werden.
genen ÖPP-Lösungen kritisch geprüft
werden. Wenn die Idee einer solchen
Öffentlich-Privaten-Partnerschaft die
Lösung des Infrastrukturbereitstel-
lungsproblems aus einer Hand im Sin-
ne einer Lebenszyklusbetrachtung ist,

                                            14
Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats
     beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur

Prof. Dr. Alexander Eisenkopf                     Friedrichshafen

Prof. Dr.-Ing. Hartmut Fricke                     Dresden

Prof. Dr.-Ing. Markus Friedrich                   Stuttgart

Prof. Dr. –Ing. Regine Gerike                     Dresden

Prof. Dr. Hans-Dietrich Haasis                    Bremen

Prof. Dr. Günter Knieps (Vorsitzender)            Freiburg

Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Knorr                  Speyer

Prof. Dr. Kay Mitusch                             Karlsruhe

Prof. Dr. Stefan Oeter                            Hamburg

Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Josef Radermacher        Ulm

Prof. Dr. Gernot Sieg                             Münster

Prof. Dr.-Ing. Jürgen Siegmann                    Berlin

Prof. Dr. Bernhard Schlag                         Dresden

Prof. Dr. Wolfgang Stölzle                        St. Gallen

Prof. Dr.-Ing. Dirk Vallée                        Aachen

Prof. Dr.-Ing. Peter Vortisch                     Karlsruhe

Prof. Dr. rer. nat. Hermann Winner                Darmstadt

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