Jahrbuch der EEB Niedersachsen 2020 - Herausforderungen annehmen - Neues entdecken - Bewährtes bewahren

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Jahrbuch der EEB Niedersachsen 2020 - Herausforderungen annehmen - Neues entdecken - Bewährtes bewahren
Jahrbuch der
                                                                   EEB Niedersachsen
                                                                   2020
                                                                   Herausforderungen annehmen – Neues
                                                                   entdecken – Bewährtes bewahren

                             Jahrbuch der EEB Niedersachsen 2020
Evangelische
ErwachsenenBildung
Niedersachsen
Landesgeschäftsstelle

Odeonstraße 12
30159 Hannover

T 0511 1241-413
eeb.niedersachsen@evlka.de
www.eeb-niedersachsen.de
Jahrbuch der EEB Niedersachsen 2020 - Herausforderungen annehmen - Neues entdecken - Bewährtes bewahren
Titelfoto: Ulrike Koertge
Jahrbuch der EEB Niedersachsen 2020 - Herausforderungen annehmen - Neues entdecken - Bewährtes bewahren
Vorwort                                                                      3

                      Erwachsenenbildung setzt Akzente
                      Autorinnen: Ulrike Koertge, Susanne Sander

                      Liebe Leserinnen und Leser!

                      2020 ist ein Jubiläumsjahr für Erwachsenenbildung in
                      Niedersachsen: Am 13. Januar 1970 wurde das Niedersäch-
                      sische Erwachsenenbildungsgesetz im Landtag verabschie-
                      det. Es war das erste Erwachsenenbildungsgesetz in
                      Deutschland und setzte bildungspolitische Akzente, die für
                      andere Bundesländer zum Vorbild wurden. So wurde der
                      Anspruch auf ein lebenslanges Lernen als Ausdruck der
                      freien Entfaltung der Persönlichkeit festgeschrieben. „Das
                      Gesetz sichert seit 50 Jahren allen Erwachsenen in Nieder-
                      sachsen vielfältige sowie qualitativ hochwertige Bildungs-
                      angebote“, betonte Prof. Dr. Gerhard Wegner, Vorsitzender             Susanne Sander ist Pasto-        Ulrike Koertge ist Theo-
                      des „Niedersächsischen Bundes für freie Erwachsenenbil-               rin und arbeitet als päda-       login. Sie ist Leiterin und
                                                                                            gogische Mitarbeiterin in        Geschäfts­f ührerin der EEB
                      dung“, dem auch die Evangelische Erwachsenenbildung                   der Landesgeschäfts­stelle       Niedersachsen.
                      Niedersachsen angehört, anlässlich des Jubiläums.                     der EEB. Dort ist sie u.a. für
                          Selbstverständlich sollten 50 Jahre politisch, gesell-            theologische und spirituelle
                                                                                            Themen zuständig.
                      schaftlich und kirchlich fest verankerte Erwachsenenbil-
                      dung gebührend gefeiert werden – doch unversehens kam         Wir freuen uns sehr, Ihnen trotz der widrigen Umstände
                      COVID-19 dazwischen. Es gab keine Gelegenheit, freudig        unser aktuelles Jahrbuch vorlegen zu können. In seinem 1.
                      auf das Erreichte zu blicken und die Fülle zu feiern, der     Kapitel möchten wir das zweite große Jubiläum dieses
                      Lockdown brachte die Bildungsarbeit wie so vieles andere      Jahres würdigen: 75 Jahre Frieden in Europa. Wir tun dies
                      auch in große Schwierigkeiten. Wahrhaftig ein Segen, dass     mit theologischen Impulsen und konkreten Beispielen für
                      finanzielle Notpakete auf unterschiedlichen Ebenen ge-        friedensfördernde Bildungsarbeit. Im 2. Kapitel „Bildungs-
                      schnürt wurden. In Niedersachsen wurde die üblicherwei-       arbeit“ bildet das Jahrbuch anschaulich ab, welche Schwer-
                      se leistungsbezogene Finanzhilfe an die Einrichtungen der     punkte die evangelische Bildungsarbeit in Niedersachsen
                      Erwachsenenbildung auf der Grundlage des Vorjahres            vor allem in diesem Jahr gesetzt hat und welche neuen
                      ausgezahlt. Zugleich wurde beschlossen, das Jahr 2020 bei     Initiativen und Angebote entstanden sind. Im 3. Kapitel ist
                      zukünftigen Leistungsermittlungen auszuklammern. Ein          die Bildungsarbeit dokumentiert, die in den EEB Regionen
                      Corona-Sonderfonds zur Abwendung von nachweislichen           und Kirchenkreisen 2019 durchgeführt wurde. Und im
                      wirtschaftlichen Notlagen und existenzbedrohenden Liqui-      abschließenden 4. Kapitel finden Sie wie üblich Nachrich-
                      ditätsengpässen wurde eingerichtet.                           ten und Personalia.
                          Von kirchlicher Seite wurde dem gesundheitlichen              Unser Dank gilt allen, die die Evangelische Erwachse-
                      Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter höchste Pri-      nenbildung Niedersachsen besonders angesichts der gro-
                      orität eingeräumt, Häuser wurden für den Publikumsver-        ßen Herausforderungen gefördert, unterstützt und beglei-
                      kehr geschlossen und Homeoffice angeordnet. Persönliche       tet haben. Wir freuen uns auf die weitere gute Zusammen-
                      Begegnungen fanden zeitweise nur noch in Ausnahmefäl-         arbeit und auf vielfältige Bildungschancen auch in Zukunft!
                      len statt; stattdessen erwuchsen neue digitale Kompeten-
Fotos: Jens Schulze

                      zen und Möglichkeiten. Dank dieser Maßnahmen sind wir         Ihre
                      als EEB Niedersachsen bisher gut durch die Krise gesteuert.
                      Und wir hoffen, dass dies auch weiterhin gelingen wird.       Ulrike Koertge und Susanne Sander

                                                                            Jahrbuch 2020
Jahrbuch der EEB Niedersachsen 2020 - Herausforderungen annehmen - Neues entdecken - Bewährtes bewahren
4

               Inhalt

                Vorwort
                   Seite 3
        Erwachsenenbildung setzt Akzente
    Autorinnen: Susanne Sander, Ulrike Koertge

        75 Jahre Frieden                                                         Bildungsarbeit
          Verpflichten
                                                                                             Seite 26
                   Seite 8                                                         Digitales Bildungskonzept
              Und Friede auf Erden                                                 für die EEB Niedersachsen
             Autorin: Ulrike Koertge                                       Autorinnen: Ulrike Koertge, Susanne Sander

                  Seite 12                                                                   Seite 28
     Die Initiative „Kirche für Demokratie –                                            Pflegeausbildung digital
           gegen Rechtsextremismus“                                                        Autor: Michael Rilke
               Autor: Lutz Krügener

                                                                                             Seite 30
                  Seite 16                                                         Des Märchens neue Kleider
               Frieden ermöglichen                                                   Autorin: Kerstin Bothe
             Autor: Frieder Marahrens

                                                                                             Seite 32
                  Seite 20                                                             Digitale Premiere:
       Transkulturelles und interreligiöses                                        Webseminare für Leitungen
             Lernhaus der Frauen                                                    von Eltern-Kind-Gruppen
         Autorin: Dr. Vivien Neugebauer                                              Autorin: Kerstin Bothe
                                                                                                                        Foto: Jens Schulze

                                        Evangelische ErwachsenenBildung Niedersachsen
Jahrbuch der EEB Niedersachsen 2020 - Herausforderungen annehmen - Neues entdecken - Bewährtes bewahren
Inhalt                                              5

                                                 Seite 35
                                                Spiritual Care –
                                        eine eigene Haltung entwickeln
                                             Autorin: Andrea Hesse

                                                 Seite 38                                  Dokumentation
                                        Wie Menschen Krisen bewältigen
                                            Autorin: Angela Biegler
                                                                                                    Seite 50
                                                                                            Örtliche Bildungsarbeit 2019
                                                Seite 40                                         Autor: Peter Blanke
                                                Bildungsurlaub
                                          Autorinnen: Jutta Salzmann
                                            und Katharina Redent
                                                                                            Nachrichten &
                                                 Seite 43                                    Personalia
                                             Nur wer sich ändert,
                                                bleibt sich treu                                    Seite 62
                                         Autorin: Anna-Maria Muschik                         Abschiede und Neu­anfänge
                                                                                               Autorin: Ulrike Koertge

                                                 Seite 47
                                               Arbeitshilfen der                                    Seite 63
                                              EEB Niedersachsen                          Mit Evangelischer Bildung gestalten,
                                              Autor: Peter Blanke                              bewegen, voranbringen
                                                                                                Autorin: Angela Biegler

                                                                                                    Seite 67
                                                                                            Anschriften, Mitarbeiterinnen
                                                                                                  und Mitarbeiter

                                                                                                    Seite 70
                                                                                                     Impressum
Fotos: Reinhard Kurth, Jutta Salzmann

                                                                         Jahrbuch 2020
Jahrbuch der EEB Niedersachsen 2020 - Herausforderungen annehmen - Neues entdecken - Bewährtes bewahren
6

    Evangelische ErwachsenenBildung Niedersachsen
Jahrbuch der EEB Niedersachsen 2020 - Herausforderungen annehmen - Neues entdecken - Bewährtes bewahren
75 Jahre Frieden
Verpflichten

Seite 8
Und Friede auf Erden
Autorin: Ulrike Koertge

Seite 12
Die Initiative „Kirche für Demokratie –
gegen Rechtsextremismus“
Autor: Lutz Krügener

Seite 16
Frieden ermöglichen
Autor: Frieder Marahrens

Seite 20
Transkulturelles und interreligiöses Lernhaus der Frauen
Autorin: Dr. Vivien Neugebauer
Jahrbuch der EEB Niedersachsen 2020 - Herausforderungen annehmen - Neues entdecken - Bewährtes bewahren
8                                             75 Jahre Frieden Verpflichten

                                  Und Friede
                                  auf Erden
                                  Gerechtigkeit und Friede
                                  gehen Hand in Hand

                                  Autorin: Ulrike Koertge

„E        hre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden …“
          – das Trostwort, gerichtet an die Hirten und gül-
tig für alle Menschen, markiert den Auftakt der Geschich-
                                                              Politik, in den Medien und in öffentlichen Debatten wird
                                                              Friede oft heraufbeschworen. Andererseits ist der Begriff
                                                              des Friedens alles andere als geklärt. Verstehen wir alle
te der Menschwerdung Gottes, wie sie bei Lukas beschrie-      dasselbe, wenn wir vom „Frieden“ sprechen?
ben ist.
     Friede wird seit jeher herbeigesehnt: im Privaten in-    Die strukturelle Dimension des Friedens
nerhalb der Familie und im Freundeskreis genauso wie
im großen Kontext der Weltpolitik. Friede ist „Sehnsuchts-    Früher wurde Friede meist negativ als die Abwesenheit von
und Suchbegriff“, der aus seinem „unerfüllten Über-           Krieg oder physischer Gewalt definiert. Darauf, dass diese
schuss“ seine utopische Sprengkraft bezieht.1 In vollem       Definition zu kurz greift, machte in den späten 1960er
Sinne nie erreichbar, ist Friede doch so etwas wie eine uns   Jahren der norwegische Friedensforscher Johan Galtung
zutiefst innewohnende Vision. Frieden zu schaffen oder        aufmerksam. Ihm ist es zu verdanken, dass der traditionel-
zumindest im Rahmen des uns Verfügbaren dazu beizu-           le Friedensbegriff die notwendige Weitung erfuhr, indem
tragen, dieser Wunsch beflügelt uns. Es ist uns bewusst,      er die strukturelle Dimension mit einbezog: Gewalt defi-
                                                                                                                           Illustration: istock/estherpoon

dass Kriege und Gewalt von Menschen herbeigeführt und         niert er als „die Ursache für den Unterschied zwischen dem
damit umkehrbar sind. Gesellschaftliche Gewaltverhält-        Potentiellen und dem Aktuellen, zwischen dem, was hätte
nisse haben sich geschichtlich entwickelt; Krieg, Unfrie-     sein können, und dem, was ist. Sie liegt dann vor, wenn
den, strukturelle und kulturelle Gewalt sind von Men-         Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle soma-
schen gemacht und daher historisch veränderbar. In der        tische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre

                                     Evangelische ErwachsenenBildung Niedersachsen
Jahrbuch der EEB Niedersachsen 2020 - Herausforderungen annehmen - Neues entdecken - Bewährtes bewahren
75 Jahre Frieden Verpflichten                                             9

potentielle Verwirklichung“2. Um Frieden handhabbar zu
machen, plädiert Galtung für einen erweiterten Gewaltbe-
griff, der neben der personalen auch die strukturelle Gewalt
einbezieht: Ist ein Akteur vorhanden, der, beispielsweise
mit seiner Faust oder mit verletzenden Worten, direkte
Gewalt ausübt, handelt es sich um personale Gewalt. Han-
delt es sich im Gegensatz dazu um in der Sozialstruktur
                                                                           Rollenklischees reprodu-
verankerte Gewalt, wird von struktureller Gewalt gespro-                   zieren das Bild von der
chen, beispielsweise, wenn Personen aufgrund ihres Ge-
schlechts, ihrer Ethnie oder ihres sozialen Status gesell-
                                                                           „friedfertigen Frau“ und
schaftliche Teilhabe verwehrt bleibt. Personale Gewalt ist                 dem „kriegerischen Mann“.
unmittelbar sicht- und erfahrbar. Hingegen ist strukturel-
le Gewalt häufig nicht direkt erkennbar, sondern in das
System eingewoben und äußert sich in ungleichen Macht-
verhältnissen und Lebenschancen. Zweifellos ist es ein
großer Unterschied, ob Kinder zur Schule gehen und Gele-
genheit erhalten, ihre Potenziale auszuformen, oder ob sie
aufgrund von Armut genötigt sind, von klein auf zum Le-         en rücken, wenn überhaupt, als Opfer in den Blick. Rol-
bensunterhalt der Familie beizutragen. Und zweifellos ist       lenklischees reproduzieren das Bild von der „friedfertigen
es kein Zufall, dass im aktuellen Diskurs um Black-Lives-       Frau“ und dem „kriegerischen Mann“. Frauen als Mittäte-
Matter insbesondere auch das koloniale Erbe der westli-         rinnen, Profiteurinnen, gar als Subjekte von Gewalt schei-
chen Welt erneut kritisch in den Fokus gerät, wie auch der      nen nicht vorzukommen. Ihr Aktionsradius scheint sich
Beitrag der westlich geprägten Theologie, die im theologi-      auf „erleiden und erdulden“ zu beschränken. Auch die
schen Diskurs lange Zeit die Vorherrschaft ausübte und          Erkenntnis, dass Frauen in der Lage sind, sich aktiv in
einen wesentlichen Anteil hatte an der Zementierung von         Friedensprozesse einzubringen, ist ein Verdienst der femi-
Diskriminierung und Rassismus.3                                 nistischen Kritik am herkömmlichen Friedensdiskurs und
     Die Ausdifferenzierung des Gewaltbegriffs hat unmittel-    gewinnt seit einigen Jahren mehr und mehr an Einfluss.
bare Folgen für das Friedensverständnis: Friede wird nicht          Wegweisend dafür ist die Einsicht von Simone de Beau-
nur definiert als Abwesenheit von personaler Gewalt, son-       voir, dass Männer die Norm, während Frauen das Andersar-
dern zugleich als Abwesenheit von struktureller Gewalt.         tige seien oder das „zweite Geschlecht“, wie es der Titel
Abwesenheit von personaler Gewalt kann in Beziehungen           ihrer 1949 erschienenen Monographie impliziert.4 Tatsäch-
und Systemen zumindest annähernd erreicht werden. Ein           lich ist es notwendig, die den Geschlechterverhältnissen
solch „neutraler“ Zustand ist jedoch noch keinesfalls mit       innewohnenden Machtverhältnisse zu thematisieren. Dazu
Frieden zu identifizieren, allenfalls mit Waffenstillstand.     zählen nicht nur die rein physische Gewalt gegen Frauen,
Hingegen lässt sich eine Situation als umso „friedlicher“       sondern beispielsweise auch die perpetuierte Diskriminie-
beschreiben, je weniger strukturelle Gewalt vorhanden ist.      rung von Frauen als schlecht(er) bezahlte Arbeitskräfte oder
Bewusst wird hier von einem Prozess, von einer Annähe-          die mangelhafte Anerkennung der Reproduktionsarbeit5,
rung an einen möglichst friedvollen Zustand gesprochen:         die auch heute noch vorwiegend geschlechtsspezifisch und
Friede an sich verbleibt im Unverfügbaren. Eschatologische      meist von Frauen ausgeführt wird.
Züge klingen an, impliziert dies doch ein Hinbewegen auf            Eine wesentliche Kritik des Feminismus der 1960er und
eine gute und gerechte Ordnung hin, in der Machtverhält-        70er Jahre bezieht sich auf die strikte Trennung von öffent-
nisse egalitär gestaltet sind und alle Beteiligten das poten-   licher und privater Sphäre. Eine Trennung, die zur Folge
tiell Mögliche erreicht haben. Die Nähe zum biblischen          hatte, dass häusliche Gewalt gegen Frauen nicht wahrge-
Schalom liegt auf der Hand oder, um es in den Worten von        nommen, geschweige denn strafrechtlich verfolgt wurde,
Psalm 85 zu sagen: „Gerechtigkeit und Frieden küssen sich“      da sie im nicht sichtbaren, von der Öffentlichkeit abge-
(Ps. 85,11).                                                    schirmten Raum stattfand. Erst in jüngster Zeit und maß-
                                                                geblich beeinflusst durch entsprechende Kampagnen
Friedensdiskurs und Genderperspektive                           wurden hier Anpassungen seitens des Gesetzgebers vorge-
                                                                nommen.6 Darauf, dass der Bereich des Privaten insbeson-
Ein Manko am gängigen Friedensdiskurs liegt in dessen           dere auch im Fall von Konflikten und Kriegen immer einzu-
androzentrischer Ausrichtung: Krieg und Frieden scheint         beziehen ist, wird heute zu Recht aufmerksam gemacht.7
eine von Männern dominierte Angelegenheit zu sein; Frau-        Sollen sich die Prozessmuster des Friedens jedoch zugunsten

                                                       Jahrbuch 2020
Jahrbuch der EEB Niedersachsen 2020 - Herausforderungen annehmen - Neues entdecken - Bewährtes bewahren
10                                            75 Jahre Frieden Verpflichten

                                                              Ulrike Koertge ist Theo-
                                                              login. Sie ist Leiterin und
                                                              Geschäfts­f ührerin der EEB
                                                              Niedersachsen.

aller Menschen abbilden, muss die Geschlechterperspekti-      Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit
ve systematisch in die Konfliktursachenforschung und die      und des Friedens
Entwicklung von Friedensstrategien miteinbezogen werden.
    Einen wichtigen Meilenstein markiert die Beschlussfas-    In der Kundgebung „Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit
sung der UN Resolution 1325 aus dem Jahr 2000, in welcher     und des Friedens“ erklärte die 12. Synode der Evangeli-
alle Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert werden, die Gender-   schen Kirche in Deutschland am 13.11.2019 in Dresden:
perspektive in alle Friedenssicherungseinsätze zu integrie-   „Die Erfahrung zeigt, dass Menschen, Gemeinschaften und
ren, die Rechte von Frauen zu schützen und Frauen gleich-     Staaten in der Lage sind, Probleme und Konflikte in allen
berechtigt in Konfliktschlichtung, Friedensverhandlungen      Bereichen gesellschaftlichen und politischen Lebens auf
und den Wiederaufbau mit einzubeziehen. Der UN-Sicher-        konstruktive und gewaltfreie Weise zu bearbeiten. Es gibt
heitsrat vertritt damit die Auffassung, dass die verantwort-  erprobte Konzepte und Instrumente dafür, Wege aus Gewalt
liche Partizipation von Frauen in Konfliktlösungsprozessen    und Schuld zu finden, einander vor Gewalt zu schützen und
in erheblichem Maße zur Wahrung und Förderung des             Versöhnungsprozesse zu gestalten – in Friedenszeiten wie
Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beiträgt.8    in Krisen- und Kriegssituationen. Auf dem Weg der Gerech-
    Heute rühmen sich neben Schweden auch Kanada,             tigkeit und des Friedens hören wir Gottes Ruf in die Gewalt-
Frankreich, Mexiko und Spanien feministische Außenpoli-       freiheit. […] Vom Gerechten Frieden her zu denken heißt
tik zu gestalten.9 Grundle-                                                                    den Grundsatz zu befol-
gend dabei ist der Blick                                                                       gen: „Wenn du den Frie-
nicht nur auf den Nachbar-                                                                     den willst, bereite den
staat oder die weltpoliti-                                                                     Frieden vor.“11
sche Lage, sondern glei-
                                   Krieg,    Unfrieden,       struktu­    r elle                   Dieser Tradition ist
chermaßen auf das Indivi-          und kulturelle Gewalt sind                                  die EEB Niedersachsen
duum: Was brauchen die                                                                         verpflichtet. Bewusst sind
einzelnen Menschen vor
                                   von Menschen gemacht.                                       wir als Gesamteinrich-
Ort, um sicher und friedlich                                                                   tung deshalb Mitglied in
leben zu können? Drei Prin-                                                                    der Initiative „Kirche für
zipien sind dabei von                                                                          Demokratie – gegen
grundsätzlicher Bedeutung: Frauen wie auch Minderheiten       Rechtsextremismus“. Einer der Schwerpunkte unserer Ar-
erhalten die gleichen Rechte wie alle anderen auch. Explizit  beit waren und sind Ideen und Projekte, die Friedensbil-
zählen dazu auch reproduktive Rechte, die u.a. dazu führen,   dung und Teilhabe zum Ziel haben. Davon stellen wir Ihnen
dass weibliche Genitalverstümmelung verboten wird. Frau-      in unserem diesjährigen Jahrbuch die „Ausbildung in Me-
en müssen in der Politik präsent sein: nicht nur in der In-   diation auf der Grundlage der Gewaltfreien Kommunikati-
                                                                                                                             Foto: Jens Schulze

nen-, sondern auch in der Außenpolitik. Als Ziel ist schließ- on“ (Artikel 4), das „Transkulturelle und interreligiöse
lich eine gerechte Verteilung der Ressourcen formuliert10,    Lernhaus der Frauen“ (Artikel 5) sowie das Qualifizierungs-
was erneut deutlich macht: Es gibt keinen Frieden ohne        angebot für Frauen: „Kompetent in Zeiten ständiger Verän-
Gerechtigkeit.                                                derung“ (Artikel 13) vor.

                                     Evangelische ErwachsenenBildung Niedersachsen
Standpunkt                                                                              11

                      Lassen sich gerne einladen: von der EEB ausgebildete Referentinnen und Referenten für Friedensbildung

                                                                                           1 Vgl. Artikel „Frieden“ von Dorothee Wilhelm in Wörterbuch der
                          PROJEKTE UND VERANSTALTUNGS­                                                 Feministischen Theologie, hrsg. von Elisabeth Gössmann u.a.,
                          FORMATE MIT DEM ZIEL DER                                                     Gütersloh 2002, S. 187.
                                                                                           2
                                                                                              Johan Galtung, Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und
                          FRIEDENSBILDUNG UND TEILHABE                                         Konflikt­forschung, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 9.
                                                                                           3
                                                                                                Vgl. dazu den Artikel „Erbsünde Rassismus“ von Dominik Gautier
                          •	Mutig im Konflikt – Brücken bauen in einer                          in Publik-Forum Nr. 12, 2020, S. 28ff in Aufnahme der Gedanken
                                                                                                 des schwarzen Theologen James H. Cone: „Eine Theologie, die über
                             polarisierten Gesellschaft, Seminar für                             Gott spricht, aber kein Wort über rassistische Gewalt verliert, ist
                             ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitar-                           keine christliche Theologie, sondern der verlängerte Arm des
                             beiter, zurzeit Kurse in der EEB Braunschweig                       Rassismus. Schweigen unterstützt die Gewalt.“
                                                                                           4
                                                                                                      Ihre damals provokante These lautete, weibliche Unterlegenheit
                             und EEB Ostfriesland                                                      sei nicht naturgemäß, sondern gesellschaftlichen Ursprungs.
                          •	Ausbildung in Mediation auf der Grundlage                                 Berühmt geworden ist ihre Aussage: „Man wird nicht als Frau
                             der Gewaltfreien Kommunikation, zurzeit in                                geboren, man wird dazu gemacht.“
                                                                                           5
                                                                                                 Gemeint sind damit die Versorgung/Erziehung von Kindern, die
                             der EEB Osnabrück angeboten                                          Versorgung und Pflege von hilfsbedürftigen und älteren Personen
                          •	Fortbildung zum Referenten/zur Referentin                            und alle privaten und beruflichen Tätigkeiten, die dem Bereich der
                             für Friedensbildung: Kontakt zu den 2019                             Sorge-Arbeit zuzuordnen sind. Oft vollziehen sie sich im privaten
                                                                                                  Bereich, werden häufig nur unzureichend wertgeschätzt und, wenn
                             ausgebildeten Referentinnen und Referenten                           überhaupt, schlecht(er) bezahlt.
                             über:                                                         6
                                                                                                   Am 10.11.2016 trat das neue Sexualstrafrecht in Kraft. Durch die
                             www.Friedensbildung-Niedersachsen.de                                   Verankerung des Grundsatzes „Nein heißt Nein“ stellt die Reform
                                                                                                    eine erhebliche Verbesserung des Schutzes der sexuellen
                          •	Kompetent in Zeiten ständiger Veränderung                              Selbstbestimmung dar.
                             – Qualifizierungsangebot für Frauen, regel-                   7
                                                                                               Dass die systematische Vergewaltigung von Frauen und deren
                             mäßige Kurse in der EEB Osterholz-Scharm-                          Versklavung durch das männliche Militär als Kriegswaffe
                                                                                                systematisch-strategisch missbraucht wird, wurde insbesondere
                             beck/Rotenburg/Verden                                              im Zuge des Jugoslawien-Krieges öffentlich und ist in jüngster Zeit
                          •	Fachtage zum Themenbereich Kriegskinder                            mit der systematischen Versklavung von Jesidinnen durch den
                             und Kriegsenkel, nächste Fachtage am                               sogenannten IS in den Jahren 2014ff erneut in das Blickfeld
                                                                                                geraten.
                             29.10.2020 (Web-Seminar: Transgenerationa-                    8
                                                                                                    Bereits 1981 wurde mittels CEDAW (Convention on the Elimination
                             les Erbe? – Kontaktabbruch in Kriegsen-                                 of All Forms of Discrimination Against Women) ein vergleichbares
                             kel-Familien) und am 15.4.2021 (Spurensuche.                            Anliegen verabschiedet, welches als Ziel die Beseitigung jeder
                                                                                                     Form von Diskriminierung der Frau formuliert.
                             Kriegsenkel und ihre Lebensprägungen),                        9
                                                                                                     Vgl. dazu und im Folgenden den Artikel „Menschen statt Grenzen“
                             Informationen über die EEB Hannover/                                     von Viola Rüdele in Publik-Forum Nr. 5, 2020, S. 13ff. Siehe auch
                             Niedersachsen Mitte                                                      centreforfeministforeignpolicy.org
                                                                                          10
                                                                                                  Die Perspektive des Gender Budgeting soll bewirken, dass Projekte
                          •	Transkulturelles und interreligiöses Lern-                            nur dann gefördert werden, wenn die Antragsteller eine
                             haus der Frauen, im Zeitraum von 2020 – 2024
Foto: Stefan Heinze

                                                                                                   Genderanalyse ihrer Vorhaben gemacht haben und nachweisen
                             sind fünf Lernhäuser an unterschiedlichen                             können, dass das Projekt keine negativen Auswirkungen auf
                                                                                                   Geschlechtergerechtigkeit hat.
                             Standorten in Niedersachsen geplant                          11
                                                                                             Siehe: www.ekd.de/kundgebung-ekd-synode-frieden-2019-51648.
                                                                                              htm

                                                                                 Jahrbuch 2020
12                                          75 Jahre Frieden Verpflichten

Die Initiative „Kirche
für Demokratie –
gegen Rechtsextremismus“
Ein konkreter Schritt auf dem Weg des
gerechten Friedens

Autor: Lutz Krügener

„B        lack Lives Matter“ „Man lässt keinen Menschen
          ertrinken. Punkt.“ „Zusammen gegen Antisemi-
tismus“ – Diese drei aktuellen Bewegungen bzw. Haltungen
                                                            Millionen und in Deutschland zehntausende Menschen auf
                                                            die Straße gehen. Sie demonstrieren für die gleiche Würde
                                                            aller Menschen und gegen Rassismus, in welcher Form er
seien hier schlagwortartig und stellvertretend für andere   auch immer auftritt, ob als sogenannter Alltagsrassismus
genannt. Sie stemmen sich gegen Rassismus, Gleichgültig-    oder als offener bzw. struktureller Rassismus. Der Druck
keit und Menschenverachtung und haben in 2019 und           der Demonstrationen und anderer Proteste ist so stark, dass
                                                                                                                          Foto: Gunnar Schulz-Achelis

2020 aus schockierenden Gründen eine starke Protestwel-     auf allen gesellschaftlichen Ebenen nun über Rassismus,
le auslösen können. Der schon lange vorhandene Rassis-      Antisemitismus und weltweite Solidarität diskutiert wird.
mus und Antisemitismus ist durch brutale Anschläge für      Wie immer werden aber am Ende die Konsequenzen zählen,
alle sichtbar geworden, hier bei uns in Deutschland und     die Taten und Gesetze, die daraus hervorgehen und Wirk-
anderswo in der Welt. Es ist ermutigend, dass weltweit      lichkeit werden.

                                    Evangelische ErwachsenenBildung Niedersachsen
75 Jahre Frieden Verpflichten                                           13

                         Prävention durch Bildungsarbeit

                         Aus Sicht der „Initiative Kirche für Demokratie – gegen                          Es muss noch intensiver
                         Rechtsextremismus“ (IKDR) in der Ev.-luth. Landeskirche
                         Hannovers muss noch intensiver in die Prävention inves-
                                                                                                          in die Prävention
                         tiert werden. Die Bildungsarbeit muss auf allen Ebenen                           investiert werden.
                         gefördert werden. Dafür sollten verlässliche und tragfähi-
                         ge Strukturen aufgebaut werden. Es sollten Antirassis-
                         mus-Trainings auch in den kirchlichen Einrichtungen
                         durchgeführt werden. Für diese Ausrichtung unserer Kir-
                         che steht die IKDR seit ihrer Gründung vor 10 Jahren. Die
                         EEB Niedersachsen könnte diese Ausrichtung des IKDR
                         verstärkt aufgreifen und als eine Einrichtung der konföde-
                         rierten Kirchen in Niedersachsen für die evangelische
                         Kirche die entsprechenden verlässlichen Strukturen auf-
                         bauen.
                             Rassismus, Antisemitismus, Menschenverachtung und             wirken. Wichtig ist dabei nicht nur der Protest gegen jeg-
                         Gewalt oder einfach nur Gleichgültigkeit demgegenüber             liche Form von Rechtsextremismus. Gerade als Kirche ist
                         sind nicht neu. Die deutsche Geschichte zeigt auf grauen-         es wichtig, sensibel zu sein für sogenannte rechtspopulis-
                         volle Weise, dass hier die Ursachen für exzessive Gewalt          tische Tendenzen in der „Mitte der Gesellschaft“. Eine
                         bis zum Völkermord liegen. Gegen dieses Gedankengut und           Abgrenzung von „ganz rechts“ ist einfach und für jeden
                         noch mehr gegen rechtsextremistische Taten wenden sich            Christen und jede Christin klar. Aber wo wird eine Grenze
                         auch kirchliche Gruppen seit langem. Sie bringen sich             gezogen, wenn in unserer Kirche und in der Gesellschaft
                         aktiv in die Proteste der Zivilgesellschaft ein. Sie versu-       vereinfachende, antidemokratische und pauschalisierende
                         chen, in Bündnissen und Protesten für Menschenwürde,              Positionen bezogen werden? Wann gibt es eine berechtigte
                         Demokratie, Solidarität, Empathie und für ein friedliches         Meinung in einem Diskurs und wann gilt es zu vertreten:
                         und gleichberechtigtes Miteinander aller Menschen zu              „Rassismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“?
Foto: Wilfried Manneke

                         Gottesdienst im Zusammenhang mit einer Demonstration in Eschede im Juni 2018

                                                                                  Jahrbuch 2020
14                                             75 Jahre Frieden Verpflichten

                                                               rig, aber wichtig, mit dieser Bildungsarbeit schon in diesem
                                                               Alter, besser noch früher, anzusetzen. In dieser Zeit ent-
                                                               stehen und verfestigen sich Weltbilder und Einstellungen,
                                                               die später nur noch schwer zu verändern sind. Die Arbeits-
                                                               hilfe wird Ende des Jahres kostenlos zu beziehen sein. Auch
                                                               bei Konflikten vor Ort berät die IKDR und vermittelt Kon-
                                                               takte. Dabei arbeitet sie zusammen mit kirchlichen Akteu-
                                                               ren, zivilgesellschaftlichen Organisationen und öffentli-
                                                               chen Einrichtungen.
                                                                    Vorsitzender ist Pastor i. R. Wilfried Manneke. Er hat
      Lutz Krügener ist Pastor                                 die IKDR 2010 mitgegründet und ist 2018 bundesweit be-
      und war in seiner Eigen-                                 kannt geworden durch die Verleihung des „Paul-Spie-
      schaft als Referent für Frie-
      densarbeit bis Juli 2020                                 gel-Preises für Zivilcourage“ vom Zentralrat der Juden in
      Geschäftsführer der Initiative                           Deutschland. Seine Erfahrungen aus über 20 Jahren Arbeit
      „Kirche für Demokratie – ge-                             gegen „Rechts“ hat er in dem Buch „Guter Hirte – Braune
      gen Rechtsextremismus“ in
      der Ev.-luth. Landeskirche                               Wölfe“1 festgehalten. Seine Stellvertreterin ist Superinten-
      Hannovers.                                               dentin Antje Marklein. Geleitet wird die IKDR von einem
                                                               12-köpfigen Sprecher- bzw. Sprecherinnenrat und den zwei
                                                               Geschäftsführern, Lutz Krügener (bis Juli 2020) und Jürgen
                                                               Schnare. Einmal im Jahr findet eine Vollversammlung mit
                                                               einem öffentlichen Hauptvortrag statt. Im Jahr 2019 stand
                                                               „Antisemitismus heute – Erfahrungen und Anfragen an die
                                                               Evangelische Kirche“ im Zentrum der gut besuchten Ver-
                                                               anstaltung.
                                                                    Die IKDR hat über 160 Mitglieder als Einzelpersonen
IKDR – 10 Jahre aktiv für Demokratie,                          oder Organisationen. Es ist sehr erfreulich, dass 2019 auch
Menschenwürde und Solidarität                                  die EEB Niedersachsen Mitglied geworden ist. Dies hat den
                                                               Anstoß gegeben, dass im nächsten Jahr eine Ausweitung
Um diese Auseinandersetzung in der Kirche zu fördern,          der IKDR auf alle Kirchen in Niedersachsen angestrebt
haben sich verschiedene Einzelpersonen und Initiativen         wird.
in der „Initiative Kirche für Demokratie – gegen Rechtsex-
tremismus“ (IKDR) in der Ev.-luth. Landeskirche Hanno-
vers zusammengeschlossen. Die 2010 gegründete Initiati-
ve bildet ein offenes Netzwerk von Gruppen und Initiativen,
die in Niedersachsen aktiv sind. Als Motto hat sich die
Initiative den Slogan gesucht: „Unser Kreuz hat keine Ha-
ken.“ Sie verbindet Einzelpersonen, Organisationen, Kir-
                                                                                Die EEB Niedersachsen
chengemeinden und -kreise sowie Initiativen aus Kirche                          könnte diese Ausrich-
und Gesellschaft.
    Die IKDR tritt mit ihrer Arbeit rechtsextremen, rassis-
                                                                                tung des IKDR verstärkt
tischen, antisemitischen und menschenfeindlichen Hal-                           aufgreifen und … für
tungen und Handlungen innerhalb und außerhalb der
Kirche entgegen. Sie unterstützt demokratische Beteili-
                                                                                die evangelische
gung und Bildung für ein Leben in einer offenen Gesell-                         Kirche entsprechende
schaft und für die Anerkennung der uneingeschränkten
Würde eines jeden Menschen. Dies geschieht durch Unter-
                                                                                Strukturen aufbauen.
stützung von Aktionen und Bereitstellung von Material zur
Information, Bildung und Öffentlichkeitsarbeit. Ein
Schwerpunkt liegt auf der Bildungs- und Präventionsar-
                                                                                                                              Foto: Wiebke Barth

beit. Aktuell werden z.B. Materialien zu „Verschwörungs-
theorien“ erarbeitet mit konkreten Unterrichtsentwürfen
und Methoden für Jugendliche ab 13 Jahren. Es ist schwie-

                                       Evangelische ErwachsenenBildung Niedersachsen
75 Jahre Frieden Verpflichten                                        15

                         Bunt statt braun, Demonstration
                         in Eschede im Juni 2018

                                                                                                      Informationen und die Möglichkeit Mitglied zu
                                                                                                      werden finden Sie auf: www.ikdr-hannover.de
                                                                                                      oder schreiben Sie an:
                                                                                                      ikdr@kirchliche-dienste.de
                                                                                                      oder rufen Sie an unter: 0511 1241 512

                                                                                                      Die Homepage bietet Tipps und Antworten, z.B.
                         Unterstützung erwünscht — als neues Mitglied
                                                                                                      auf häufig gestellte Fragen wie:
                         Zeichen setzen
                                                                                                      • Was tun, wenn ...
                                                                                                      • Warum die evangelische Kirche sich gegen
                         Durch eine aktive oder passive Mitgliedschaft kann die
                                                                                                         Rechtsextremismus engagieren muss
                         Arbeit der Initiative unterstützt werden. Je mehr Mitglieder,
                                                                                                      • Zehn Thesen von Christen gegen Rechts­
                         desto deutlicher wird das Engagement der Kirche für einen
                                                                                                         extremismus
                         freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat.
                                                                                                      • Was können Kirchengemeinden gegen Rechts-
                         Als Mitglied setzt man ein klares Zeichen gegen politischen
                                                                                                         extremismus tun? Streiten mit Neo-Nazis?
                         Extremismus und gegen menschenverachtende, ausgren-
                         zende, rassistische, juden- oder islamfeindliche Äußerun-
                                                                                                      Über die Geschäftsstelle können verschiedene
                         gen von Parteien, Organisationen oder Einzelpersonen.
                                                                                                      Materialien versandt oder verliehen werden.
                         Mitglied in der IKDR kann man werden als Einzelperson,
                                                                                                      Hier ein kleiner Auszug:
                         als Kirchengemeinde oder Kirchenkreis, als Organisation,
                                                                                                      • Arbeitshilfe „Wir müssen mal nach dem/n
                         Initiative oder Arbeitskreis. Vorausgesetzt wird, sich zu den
                                                                                                         Rechten sehen“
                         Grundlagen der IKDR zu bekennen und mit einem selbst
                                                                                                      • Karte „10 Thesen gegen Rechtsextremismus“
                         festzulegenden jährlichen Beitrag (5,00 – 50,00 Euro) das
                                                                                                      • Banner „Unser Kreuz hat keine Haken“ für
                         Anliegen der IKDR zu unterstützen.
Foto: Wilfried Manneke

                                                                                                         Kirchturm oder Demo
                                                                                                      • Predigthilfe und Ideen für Ansprachen und
                                               1 Wilfried Manneke, Guter Hirte – Braune Wölfe“,         u.v.m.
                                                  bene!, München 2019

                                                                                           Jahrbuch 2020
16                                 75 Jahre Frieden Verpflichten

Frieden                                           „M         ediation kann einen wichtigen Beitrag zum ge-
                                                             sellschaftlichen und politischen Frieden leis-
                                                   ten.“ Dieser Auffassung sind Cornelia Timm und Kurt

ermöglichen                                        Südmersen vom Orca-Institut für Konfliktmanagement und
                                                   Training. Sie leiten berufsbegleitende Ausbildungen in
                                                   Mediation, die in den EEB-Regionen Braunschweig, Olden-
                                                   burg und Osnabrück durchgeführt werden. Mehr als tau-
Mit Mediation                                      send Menschen im norddeutschen Raum sind seit 1999
                                                   durch sie zu Mediatorinnen und Mediatoren qualifiziert
Konflikte bearbeiten                               worden.
                                                       Grundlage bildet dabei die Gewaltfreie Kommunikati-
                                                   on, die Cornelia Timm und Kurt Südmersen bei deren
Autor: Frieder Marahrens
                                                   Entwickler Marshall B. Rosenberg gelernt haben. Schmun-
                                                   zelnd erinnern sie sich auch an Zeiten, als „Mediation“
                                                   noch mit „Meditation“ verwechselt werden konnte. Aus-
                                                   druck findet dieses Missverständnis beispielsweise im
                                                   EEB-Jahrbuch 2011/12, wo im letzten Moment in einer
                                                   Überschrift Mediation zu Meditation „korrigiert“ worden
                                                   war. Ein beigefügtes Blatt klärte über den Fehler auf. In-
                                                                                                                Foto: privat

                                                   zwischen ist der einst ungewohnte Begriff allgemein ver-
                                                   traut.

                           Evangelische ErwachsenenBildung Niedersachsen
75 Jahre Frieden Verpflichten                                           17

                                                                              Die von der EEB Niedersachsen angebotenen Ausbildungen
                                                                              entsprechen den Standards des Bundesverbandes für Me-
                                                                              diation und schließen mit einem Zertifikat ab. Die Ausbil-
                                                                              dung richtet sich an Menschen, die
                                                                              •	in sozialen, pädagogischen, beratenden, juristischen
                                                                                  Berufsfeldern arbeiten,
                                                                              •	als Multiplikatorin oder Multiplikator in der Kinder-,
                                                                                  Jugend- und Erwachsenenarbeit tätig sind,
                                                                              •	in Institutionen, Organisationen und Firmen mit Kon-
                                                                                  flikten zu tun haben,
                         Frieder Marahrens ist Pas-                           •	sich in der Teamleitung und Personalführung oder in
                         tor und war von 2012 bis                                 der Betriebsratsarbeit engagieren,
                         August 2020 als pädagogi-
                         scher Mitarbeiter und                                •	im Bereich „Mediation“ arbeiten wollen.
                         Geschäftsführer der EEB                              In der Ausbildung wird das Konzept der klientenzentrierten
                         Osnabrück tätig.                                     und systemorientierten Mediation vermittelt, das der Kon-
                                                                              fliktvermittlung sowohl in beruflichen Arbeitsfeldern als
                                                                              auch in persönlichen bzw. sozialen Lebensbezügen dient.
                                                                              Grundlage für die Haltung und die Sprache der Mediatorin-
                                                                              nen und Mediatoren ist die „Gewaltfreie Kommunikation“.
                                                                                  Neben der Vermittlung theoretischer Grundlagen ste-
                                                                              hen die Arbeit am eigenen Konfliktverhalten und die Ent-
                                                                              faltung einer wertschätzenden Haltung im Mittelpunkt.
                                                                              Daraus ergibt sich eine prozessorientierte Kursgestaltung,
                                                                              die die Stärkung der Konfliktfähigkeit und die Erweiterung
                                                                              der persönlichen Potentiale der Teilnehmenden beinhaltet.

                                                                              Auf die Haltung kommt es an

                                                                              Wichtig ist Cornelia Timm und Kurt Südmersen die Aneig-
                                                                              nung dieser wertschätzenden Haltung und nicht allein das
                                                                              Erlernen einer Vier-Schritt-Methode. Der persönliche inne-
               Ausbildung in Mediation                                        re Frieden ist dabei die Voraussetzung für den äußeren
                                                                              Frieden in Staat, Gesellschaft, Beruf und privatem Leben.
               Mediation ist eine Methode zur Konfliktbearbeitung. Sie        Er ist nicht darauf ausgerichtet, eine Schuldige bzw. einen
               eröffnet Konfliktparteien neue Handlungsoptionen. Mit          Schuldigen in einem Konflikt zu finden. Vielmehr kann die
               Unterstützung von Mediatorinnen und Mediatoren können          neu eingeübte Haltung des Nicht-Beurteilens den Frieden
               beide Seiten Möglichkeiten entdecken, um zu einer einver-
               nehmlichen und für alle vorteilhaften Lösung zu kommen,
               selbstverantwortlich und gemeinsam. Sogar in scheinbar
               aussichtslos verfahrenen Streitigkeiten kann dies gelin-
               gen. Mediation dient der Stärkung der Konfliktkompetenz
               der Betroffenen. Sie behalten die Verantwortung für die
               Lösung ihres Konfliktes und werden durch die Mediation
                                                                                         Der persönliche innere
               unterstützt, ihre Interessen so zu vertreten, dass anderen                Frieden ist die Voraussetzung
               dadurch kein Schaden zugefügt wird. Mediatorinnen und
               Mediatoren schaffen als „allparteiliche Dritte“ Vorausset-
                                                                                         für den äußeren Frieden in
               zungen und Rahmenbedingungen, damit Konfliktparteien                      Staat, Gesellschaft, Beruf
               ihre Konflikte bearbeiten und in einen konstruktiven
               Prozess der Auseinandersetzung treten können. Die Kon-
                                                                                         und privatem Leben.
               fliktparteien erlangen die Fähigkeit, den Konflikt eigenver-
Foto: privat

               antwortlich, einvernehmlich und zum beiderseitigen Vor-
               teil zu regeln.

                                                                     Jahrbuch 2020
18

                                                                  ermöglichen. Symbolisiert wird dieses gegensätzliche Ver-
                                                                  halten in den beiden Tieren Giraffe und Wolf. Am erfolg-
                                                                  reichsten ist das eigene Vorbild, wie Albert Schweitzer
                                                                  meint: „Das gute Beispiel ist nicht nur eine Möglichkeit,
                                                                  andere Menschen zu beeinflussen. Es ist die einzige.“ Die
                                                                  Orientierung des Handelns am Begriff Frieden macht nach
                                                                  Auffassung von Timm und Südmersen deutlich, dass es
                                                                  sich um eine immerwährende Herausforderung handelt:
                                                                  „Es gibt keinen Zustand, der, einmal erreicht, dann auch
                                                                  zu halten ist.“

Üben der vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation mit Hilfe   Tätigkeiten in Myanmar und Ost-Timor
einer Dolmetscherin.                                              als Erfahrungsschatz

                                                                  Diese Erfahrung machten Cornelia Timm und Kurt Südmer-
                                                                  sen selbst bei ihrem Engagement 2004 bis 2009 in Myan-
                                                                  mar. Dort trainierten sie einflussreiche Menschen, um den
                                                                  damaligen Weg des südostasiatischen Landes von der
                                                                  Diktatur zur Demokratie mit voranzutreiben. Partnerinnen
                                                                  und Partner vor Ort waren baptistische und katholische
                                                                  Organisationen wie die Shalom-Foundation und die Cari-
                                                                  tas. Ein weiteres Ziel des vom Auswärtigen Amt in Berlin
                                                                  geförderten Projektes war, die unterschiedlichen ethni-
                                                                  schen Gruppen, die im ehemaligen Birma seit dem Ende
                                                                  der Kolonialisierung verfeindet waren, in einen friedlichen
Cornelia Timm und Kurt Südmersen, Trainer der EEB-Mediations-     Kontakt zu bringen und Vorurteile abzubauen. Kurt Süd-
ausbildung, mit dem Organisationsteam in Myanmar.                 mersen sieht heute zwar kritisch auf den Weg Myanmars

     AUSBILDUNG IN MEDIATION AUF DER GRUND­                       Abschluss
     LAGE DER GEWALTFREIEN KOMMUNIKATION                          Die Ausbildung schließt mit einem Zertifikat ab.
     NACH MARSHALL B. ROSENBERG                                   Die Ausbildung entspricht in Art, Umfang und
     Berufsbegleitende 200 Stunden-Ausbildung                     Struktur den Standards, wie sie vom „Bundesver-
     nach den Standards des Bundesverbandes für                   band Mediation e.V.“ entwickelt wurden. Das Zerti-
     Mediation                                                    fikat wird ausgestellt von der EEB Niedersachsen,
                                                                  dem Bildungswerk ver.di in Niedersachsen e.V. und
     In der Geschäftsstelle Osnabrück für 2021 bis 2022           dem Orca-Institut für Konfliktmanagement und
     in Planung (Beginn: 23.4.2021) in Kooperation mit            Training.
     dem Bildungswerk ver.di und dem ORCA-Institut für
     Konfliktmanagement und Training                              Inhalte und Module der Mediationsausbildung
                                                                  Die 200 Std.-Ausbildung besteht aus neun Modu-
     Teilnahmevoraussetzungen:                                    len: sieben Wochenenden (Fr./Sa.) incl. Kolloquium
     Einlassen auf das Lernen in und mit einer Gruppe,            und zwei Bildungsurlaubswochen (Mo. – Fr.). Zwi-
     Bereitschaft zur Anwendung der Mediation in                  schen den einzelnen Modulen besteht die Möglich-
     beruflichen, gesellschaftlichen oder privaten                keit, in selbst gewählten Intervisionsgruppen
     Lebensbezügen, Bereitschaft zur Auseinanderset-              miteinander zu üben und das Gelernte zu vertiefen.
     zung mit dem eigenen Konfliktverhalten in Grup-
     penprozessen, Übungen und Rollenspielen.                     Weitere Informationen und Veranstaltungsorte
                                                                                                                                Fotos: privat

                                                                  finden Sie unter www.eeb-niedersachsen.de

                                         Evangelische ErwachsenenBildung Niedersachsen
75 Jahre Frieden Verpflichten                                      19

               unter der Regentschaft der Friedensnobelpreisträgerin
               Aung San Suu Kyi, meint aber: „Es gibt nach wie vor dort
               unglaublich viele Menschen, die Gutes wollen.“ Trotz des
               Schicksals des Volkes der Rohingyars, das inzwischen auch
               in der Weltpolitik zur Kenntnis genommen wird, lässt ihn
               das für den Frieden doch hoffen.
                   Im Jahr 2009 bildeten Cornelia Timm und Kurt Süd-
               mersen schließlich in zwei Abschnitten Menschen in Ti-                    „Das gute Beispiel ist
               mor-Leste in Mediation und Gewaltfreier Kommunikation
               aus. Seit dem Bürgerkrieg und dem damit verbundenen
                                                                                         nicht nur eine Möglichkeit,
               Genozid hatte sich die deutsche Gesellschaft für internati-               andere Menschen zu
               onale Zusammenarbeit (GiZ) u.a. zur Aufgabe gemacht,
               zivile Strukturen in dem völlig zerstörten Land wiederauf-
                                                                                         beeinflussen. Es ist die
               zubauen. Der damalige Präsident, José Ramos-Horta, hatte                  einzige.“ Albert Schweitzer
               Jahre zuvor den Friedensnobelpreis für seine Bemühungen
               um eine friedliche Lösung im Osttimor-Konflikt erhalten.
               Für Timm und Südmersen war es eine große Herausforde-
               rung, die im Land herrschenden Strukturen der Konfliktlö-
               sung, die stark mit Korruption verknüpft waren, mit Vor-
               stellungen von Konfliktbearbeitung wie der Mediation in
               Verbindung zu bringen. Auch auf diese Erfahrung weisen
               sie gerne in ihren EEB-Seminaren hin.
                   Die buchstäbliche Nähe von „Mediation“ und „Medita-
               tion“ findet übrigens ihren lebendigen Ausdruck in Kurt
               Südmersen. Als Zen-Lehrer sucht er seinen inneren Frieden
               in Übungen, die es ihm, wie er meint, ermöglichen, auch sich
               selbst in Offenheit und mit Wertschätzung zu begegnen.

                                                                                                         Gruppenarbeit
                                                                                                         zu den Gefühls­
                                                                                                         wörtern – in
                                                                                                         Myanmar ist ihre
                                                                                                         Verwendung
                                                                                                         eher unüblich.
Foto: privat

                                                                     Jahrbuch 2020
20                                             75 Jahre Frieden Verpflichten

Transkulturelles und interreligiöses
Lernhaus der Frauen
Ein landesweites Projekt der EEB Niedersachsen in Kooperation mit dem
Frauenwerk im Haus kirchlicher Dienste

Autorin: Dr. Vivien Neugebauer

„W          enn du den Frieden willst, bereite den Frieden
            vor.“ ruft die 12. Synode der Evangelischen Kir-
che in Deutschland aus.1
                                                                          TRANSKULTURALITÄT UND
                                                                          INTERKULTURALITÄT
    Die deutsche Gesellschaft hat sich in den letzten Jahr-
zehnten durch Globalisierung, Migration und Fluchtbewe-                   Mit einer vermehrten Bewusstheit über
gungen immer mehr zu einer Einwanderungsgesellschaft                      das Ausmaß der Globalisierung soll der
entwickelt. Sie ist dadurch auch kulturell und religiös                   Transkulturalitätsbegriff ausdrücken,
vielfältiger geworden. Hierin liegt ein großer Reichtum und               dass Kulturen vernetzt sind und ver-
zugleich eine große Herausforderung. Denn der Umgang                      mischt werden. Viel verbreiteter ist
mit Vielfalt und Unterschieden ist nicht selbstverständlich               jedoch (noch) der Begriff der „Interkultu-
und fällt nicht jedem Menschen leicht. Aufgrund von Un-                   ralität“, der für „zwischen verschiedenen
wissenheit und Ängsten kann es sogar zu Abwehr und                        Kulturen“ steht. Damit ist die Vorstellung
Vorurteilen kommen. Dies spiegelt sich in den teilweise                   verbunden, dass unterschiedliche Kultu-
kontrovers geführten Debatten der letzten Jahrzehnte zum                  ren sich begegnen, austauschen und
Thema „Deutschland – ein Einwanderungsland!“ bis heu-                     trotz ihrer Unterschiede gegenseitig
te wider. Zwar sind Fortbildungen zur Förderung von inter-                beeinflussen. In der interkulturellen
kulturellen Kompetenzen und die Ausrichtung auf Diver-                    Begegnung kann das Eigene und das
sität gerade in verwaltenden Institutionen und in                         Fremde erfahren werden. Dies impliziert
Unternehmen inzwischen vermehrt selbstverständlich                        auch, dass wir es mit zwei feststehenden,
geworden. Gleichzeitig sind gegenwärtig ein rauerer Um-                   klar umrissenen Kulturen zu tun hätten,
gangston wie auch rassistische und antisemitische Äuße-                   die als geradezu geschlossene Systeme
rungen wahrnehmbar. Wie können wir Frieden erhalten                       zu verstehen wären. Ein Blick in unsere
oder gar schaffen, wenn die Idee von einem „Wir“ und ei-                  Kulturgeschichte genauso wie in unsere
nem „Anderen“ weiter fortbesteht?                                         Gegenwart zeigt, dass dies eine unzutref-
    Diesem dualen Denken steht das Konzept der Transkul-                  fende Vorstellung ist. Seit jeher haben
turalität gegenüber. Es ist der Ausgangspunkt und zentra-                 sich Kulturen in jeglicher Hinsicht gegen-
ler Grundgedanke des transkulturellen und interreligiösen                 seitig beeinflusst – sei es zur Entwicklung
Lernhauses der Frauen, das die EEB Niedersachsen in den                   von Staatsmodellen, von Sprachen oder
nächsten Jahren landesweit umsetzen will. Das Lernhaus                    in den verschiedenen Wissenschaften.
macht erfahrbar, dass wir Menschen angesichts unserer                     Kulturen sind eben nicht klar zu umrei-
religiösen und kulturellen Prägungen recht verschieden                    ßen, da sie keinesfalls statisch sind oder
sind und gleichzeitig sind wir uns auch recht ähnlich.                    wie geschlossene Einheiten funktionie-
    Zugleich existieren im Alltag vielfältige und durchaus                ren. Darum sind sie auch nicht voneinan-
auch gegensätzliche Bedürfnisse, die auf religiös-kulturel-               der abzugrenzen. Stattdessen sind sie
le Haltungen zurückgeführt werden. Diese können wiede-                    fließend und dynamisch. Dies entspricht
rum zu Konflikten führen, die es zu klären und zu organi-                 der Idee der Transkulturalität.
sieren gilt – sei es für den Sportunterricht, für das

                                     Evangelische ErwachsenenBildung Niedersachsen
Standpunkt                                                          21

                                        Kantinenessen oder für öffentliche Trauerfeiern. Es müs-     sowie interreligiöse Tole-
                                        sen konkrete Antworten dafür gefunden werden, inwiefern      ranz einsetzen, um so einen
                                        und wie weit Menschen in ihren unterschiedlichen Prägun-     Beitrag für ein friedliches
                                        gen und Einstellungen berücksichtigt werden können,          und solidarisches Zusam-
                                        sodass das Miteinander aller Beteiligten funktioniert.       menleben zu leisten.
                                        Vielerorts wurden in solchen Fällen gute Lösungen gefun-          Das Lernhaus-Projekt
                                        den, die Vorbildcharakter haben. Nichtsdestotrotz sind       richtet sich an Frauen mit
                                        Verfahrensweisen, die nach ein und demselben Schema          und ohne Migrationsge-
                                        funktionieren, nicht zielführend. Stattdessen sind Kompe-    schichte. Diese Frauen im
                                        tenzen gefragt, um fortwährend und individuell angemes-      Lernhaus zusammenzu-
                                        sene Lösungen in konkreten Situationen zu finden.            bringen entspricht ganz der        Dr. Vivien Neugebauer ist
                                                                                                     Idee, dass Integration keine       pädagogische Mitarbeiterin
                                                                                                                                        in der Landesgeschäftsstel-
                                        Das Lernhaus der Frauen: kulturell und                       Einbahnstraße ist und alle         le der EEB Niedersachsen.
                                        religiös vielfältig, Begegnungen auf Augenhöhe,              angeht. Da Frauen grund-           Seit 2019/2020 leitet sie das
                                        eigenverantwortetes Lernen                                   sätzlich privat und beruf-         Projekt „Transkulturelles
                                                                                                                                        und interreligiöses Lern-
                                                                                                     lich an vielen Schnittstel-        haus der Frauen“.
                                        Im transkulturellen und interreligiösen Lernhaus der         len tätig sind, stellen sie
                                        Frauen erarbeiten sich die Teilnehmerinnen im Laufe eines    Schlüsselfiguren für ein
                                        Jahres Qualifikationen, um in konfliktträchtigen Situatio-   gelingendes Miteinander
                                        nen vermitteln und Brücken zwischen unterschiedlich          dar. Darüber hinaus haben
Fotos: Jens Schulze, Patrick Slesiona

                                        geprägten Menschen bauen zu können. An einem Lern-           sie einen wesentlichen An-
                                        haus-Kurs können 15 bis 20 Frauen teilnehmen, die sich       teil an der Integration ihrer
                                        monatlich treffen und am Ende, nach erfolgreicher Teil-      Familien und ihres sozialen
                                        nahme das Zertifikat „Kulturmittlerin“ erhalten. Das Ziel    Umfelds. Insofern leisten sie einen wichtigen Beitrag zum
                                        dieser Qualifizierung ist es, dass die Kulturmittlerinnen    gesellschaftlichen Zusammenhalt und können somit Par-
                                        sich innerhalb ihrer beruflichen und persönlichen Kontex-    allelgesellschaften entgegenwirken. Das Projekt will sie in
                                        te für einen Dialog auf Augenhöhe und transkulturelle        dieser Funktion gezielt stärken und fördern.

                                                                                             Jahrbuch 2020
22                                             75 Jahre Frieden Verpflichten

                                                                                   Frauen leisten einen
                                                                                   wichtigen Beitrag
                                                                                   zum gesellschaftlichen
                                                                                   Zusammenhalt ...
                                                                                   darin sollen sie gezielt
                                                                                   gestärkt und gefördert
                                                                                   werden.

Ein weiteres wichtiges Merkmal eines Lernhaus-Kurses ist
die möglichst heterogene Zusammensetzung. Dahinter                 ZEITRAUM DES GESAMTPROJEKTES:
steht die Überzeugung, dass Vielfalt eine wertvolle Res-           2020 – 2024
source ist und immer ein Mehr an Entwicklungsmöglich-              DAUER DES JEWEILIGEN LERNHAUSES:
keiten und Handlungsoptionen bietet. So zielt das Lern-            1 JAHR MIT CA. 12 TREFFEN
haus darauf ab, dass Frauen mit unterschiedlichen
religiösen, nicht-religiösen und weltanschaulichen Prä-            Ziel:
gungen, Frauen unterschiedlichen Alters und Frauen mit             Frauen qualifizieren sich zu Kulturmittlerinnen:
unterschiedlichen familiären und beruflichen Hintergrün-           Sie fördern die Dialogfähigkeit und transkultu-
den daran teilnehmen. Das einende Merkmal der Teilneh-             relle sowie interreligiöse Toleranz innerhalb
merinnen ist ihr Interesse, das Miteinander in einer religi-       der Gesellschaft und tragen zu einem friedli-
ös wie kulturell vielfältigen Gesellschaft mitzugestalten.         chen und solidarischen Zusammenleben auf
    Eine wichtige Erfahrung vorangegangener Lernhäuser             Augenhöhe bei.
ist: Die persönliche Begegnung zeigt, dass die erlernten           Zielgruppe:
Kategorien, mit deren Hilfe wir uns die Welt in ein über-          Frauen mit und ohne Migrationsgeschichte
schaubares Ordnungssystem übersetzen, an der Realität              sowie verschiedener Religionen, Weltanschau-
scheitern. Wie wir zusammenleben wollen, macht sich                ungen und beruflicher Kontexte jeden Alters,
fortan nicht mehr an den Religionen oder den Kulturen              die sich für ein gesellschaftliches Miteinander
fest, sondern will zwischen Individuen ausgehandelt wer-           engagieren wollen
den. Dies entspricht auch unserer transkulturellen Lebens-         Gruppengröße: 15 bis 20 Teilnehmerinnen
wirklichkeit, in der wir uns immer weniger auf tradierte           Inhalte:
Kommunikationsmuster verlassen können, um uns in ihr               •	Wissen über Wertevorstellungen und Regeln
zurechtzufinden. Neue Kommunikationsmuster können                     unterschiedlicher Kulturen und Religionen
auch nicht von einer Gruppe entwickelt und für alle geltend        •	Kommunikationstechniken mit praktischen
gemacht werden. Stattdessen müssen sie aus der real exis-             Übungen
tierenden heterogenen Gruppe heraus entwickelt werden,             •	das Entwickeln einer Dialoghaltung, die
wo sie angewendet werden sollen, um für diese Lebensre-               Empathie und Respekt für andere einschließt
alitäten angemessen zu sein.                                       •	das Erarbeiten von Handlungsstrategien zur
                                                                                                                      Foto: Jens Schulze

    Die Ausgestaltung eines jeden Lernhauses wird von                 Lösung von transkulturellen und interreligiö-
zwei Säulen getragen: als Erstes braucht es das Handwerks-            sen Konflikten
zeug, um sich selbst kennenzulernen und einander auf

                                     Evangelische ErwachsenenBildung Niedersachsen
75 Jahre Frieden Verpflichten                                                      23

                                                                                                     umsetzen. Die Umsetzung wird durch eine multireligiöse
                                                                                                     und -kulturelle Steuerungsgruppe begleitet, die über die
                                                                                                     Standorte in Niedersachsen berät und entscheidet. Das
                                                                                                     erste Lernhaus wird in Hannover implementiert und die
                                                                                                     weiteren werden an EEB Geschäftsstellen in ganz Nieder-
                                                                                                     sachsen angebunden sein. Eine Chance stellen dabei die
                                                                                                     ländlichen Räume Niedersachsens dar, die stärker auf das
                                                                                                     Miteinander und die Mitgestaltung der Akteurinnen ange-
                                                                                                     wiesen sind. Für die Gemeinschaft ist es hier besonders
                                                                                                     wichtig, sich gegenseitig mitzunehmen.
                                                                                                         Egal ob im ländlichen oder städtischen Raum, die be-
                                                                                                     stehende kulturelle und religiöse Vielfalt ist eine berei-
                                                                                                     chernde Chance, die es zu ergreifen gilt. Entscheidend für
                                                                                                     unser Zusammenleben ist, sich vorurteilsfrei zu begegnen,
                                                                                                     Gemeinsamkeiten und Unterschiede wahrzunehmen und
                                                                                                     sich miteinander auf den Weg zu machen. Dafür braucht
                                                                                                     es zum einen entsprechende Orte und zum anderen auch
                                                                                                     Kompetenzen, um diese Begegnungen erfolgreich zu ge-
                                                                                                     stalten. Das transkulturelle und interreligiöse Lernhaus
                                                                                                     der Frauen bietet beides und wir freuen uns, es in den
                                                                                                     nächsten Jahren in Niedersachsen umzusetzen.
                                     Augenhöhe zu begegnen. Dies geschieht mit Hilfe von
                                     Biographiearbeit, Gewaltfreier Kommunikation nach Mar-          Prominente Unterstützung
                                     shall B. Rosenberg und der Dialogmethode nach Martina
                                     und Johannes F. Hartkemeyer. Es ist das Ziel, dass die          Das transkulturelle und in-
                                     Teilnehmerinnen im Laufe des Kurses eine eigene Dialog-         terreligiöse Lernhaus der
                                     haltung entwickeln, die Empathie und Respekt für andere         Frauen steht unter der
                                     einschließt.                                                    Schirmherrschaft der Lan-
                                         Die zweite Säule besteht darin, dass die Frauen die Tref-   desbeauftragten für Migra-
                                     fen inhaltlich und organisatorisch aktiv mitgestalten. Über     tion und Teilhabe, Doris
                                     die thematischen Schwerpunkte, z.B. Wertvorstellungen           Schröder-Köpf. Als Förderer
                                     unterschiedlicher Religionen und Kulturen, hinaus gibt es       haben bereits die Hanns-Lil-
                                     kein festgeschriebenes Curriculum. Auf diese Weise kom-         je-Stiftung, die Klosterkam-
                                     men die Lebenssituationen wie auch die Interessen und           mer Hannover, die Dr. Buh-
                                     Bedarfe der Teilnehmerinnen zum Tragen. Da auch diese           mann-Stiftung für interreligiöse Verständigung und das
                                     vielfältig sein dürften, üben die Teilnehmerinnen das erlern-   LEADER-Regionalmanagement Göttinger Land ihre Förde-
                                     te Handwerkszeug direkt in der Aushandlung dessen ein.          rung zugesagt. Darüber hinaus unterstützen die Ev.-luth.
                                                                                                     Landeskirche in Braunschweig, die Ev.-luth. Landeskirche
                                     Das Lernhaus der Frauen in Niedersachen                         Hannovers, die Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg und die Ev.-
                                                                                                     Luth. Landeskirche Schaumburg-Lippe das Projekt aus
                                     Die Idee zum transkulturellen und interreligiösen Lern-         Kollekten- und Sachmitteln.
                                     haus der Frauen wurde 2005 als ein bundesweites Modell-
                                     projekt des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
                                                                                                                         1 Siehe: www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/Lesebuch-
                                     Frauen und Jugendliche (BMFSFJ) konzipiert und in meh-                                 Synode-2019.pdf
                                     reren Städten – Berlin, Frankfurt am Main und Köln – bis                            2
                                                                                                                           Vgl. Genenger-Stricker, Marianne; Hasenjürgen,
                                     2008 umgesetzt. Aktuell werden an den Standorten Ham-                                  Brigitte; Schmidt-Koddenberg, Angelika (Hrsg.):
Fotos: privat, Doris Schröder-Köpf

                                                                                                                            Transkulturelles und interreligiöses Lernhaus
                                     burg (Frauenwerk der Nordkirche), Münster (Haus der Fa-                                der Frauen: Ein Projekt macht Schule. Opladen,
                                     milie) und Ulm (VHS – Frauenakademie) Lernhäuser ver-                                  2009.
                                     anstaltet.
                                         Von 2020 bis 2024 will die EEB Niedersachsen in Ko-
                                     operation mit dem Frauenwerk im Haus kirchlicher Diens-
                                     te das Lernhaus an fünf Standorten in Niedersachsen

                                                                                            Jahrbuch 2020
24

     Evangelische ErwachsenenBildung Niedersachsen
Bildungsarbeit

Seite 26                       Seite 38
Digitales Bildungskonzept      Wie Menschen Krisen
für die EEB Niedersachsen      bewältigen
Autorinnen: Ulrike Koertge,    Autorin: Angela Biegler
Susanne Sander

                               Seite 40
Seite 28                       Bildungsurlaub
Pflegeausbildung digital       Autorinnen: Jutta Salzmann,
Autor: Michael Rilke           Katharina Redent

Seite 30                       Seite 43
Des Märchens neue Kleider      Nur wer sich ändert,
Autorin: Kerstin Bothe         bleibt sich treu
                               Autorin: Anna-Maria Muschik

Seite 32
Digitale Premiere:             Seite 47
Webseminare für Leitungen      Arbeitshilfen der
von Eltern-Kind-Gruppen        EEB Niedersachsen
Autorin: Kerstin Bothe         Autor: Peter Blanke

Seite 35
Spiritual Care – eine eigene
Haltung entwickeln
Autorin: Andrea Hesse
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