Journal of Health Monitoring - Gesundheit von Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen - RKI

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MÄRZ 2022   GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES
AUSGABE
        1    GEMEINSAM GETRAGEN VON RKI UND DESTATIS

             Journal of Health Monitoring

             Gesundheit von Menschen
             mit Behinderungen und Beeinträchtigungen

                                                        1
Journal of Health Monitoring    Inhaltsverzeichnis

                                               Gesundheit von Menschen
                                               mit Behinderungen und Beeinträchtigungen

                                              Editorial Monitoring gesundheitlicher Vielfalt
                                            3	
                                              über die Lebensspanne
                                              Focus Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten
                                            7	
                                              und Unterstützungsbedarfe – Auswertungen
                                              der Studie GEDA 2019/2020-EHIS
                                             Focus Gesundheit von Menschen mit
                                          28	
                                             Beeinträchtigungen und Behinderungen
                                             in Deutschland – Ausgewählte Indikatoren
                                             aus der Studie GEDA 2014/2015-EHIS
                                              Focus Zahnschmerzen, Zahnputzhäufigkeit und
                                           52	
                                              zahnärztliche Kontrolluntersuchungen bei Kindern
                                              und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen

Journal of Health Monitoring 2022 7(1)                                                           2
Journal of Health Monitoring   Monitoring gesundheitlicher Vielfalt über die Lebensspanne                                                    EDITORIAL

Journal of Health Monitoring · 2022 7(1)
DOI 10.25646/9567
                                                      Monitoring gesundheitlicher Vielfalt über die Lebensspanne
Robert Koch-Institut, Berlin
                                                      Unsere Gesundheit: Kein statischer Zustand, sondern viel-       durch die Internationale Klassifikation der Funktionsfähig-
Susanne Wurm
                                                      mehr ein dynamisches Gleichgewicht, das Menschen in             keit, Behinderung und Gesundheit (ICF) ein wichtiges
Universitätsmedizin Greifswald                        allen Lebensphasen erhalten und immer wieder herstellen,        Umdenken ein, indem das dynamische Gleichgewicht stär-
                                                      im stetigen Zusammenspiel mit ihrer Umwelt. Dieses              ker in den Mittelpunkt gerückt wurde. Bereits der verän-
Eingereicht: 16.02.2022                               Grundverständnis von Gesundheit hat seine Wurzeln in            derte Titel dieser Klassifikation setzt ein Zeichen, denn
Akzeptiert: 07.03.2022
Veröffentlicht: 30.03.2022
                                                      der Gründungspräambel der Weltgesundheitsorganisation           Behinderung und Gesundheit schließen einander nicht aus.
                                                      (WHO). Spätestens seit der Ottawa-Charta der WHO (1986)         Vor allem macht die ICF deutlich, dass Gesundheitsschä-
                                                      ist dieses Verständnis von Gesundheit zwar bekannt, aber        digungen nicht zwangsläufig Aktivitäten einschränken und
                                                      vielen nicht unbedingt gegenwärtig, wenn von „Gesund-           soziale Beeinträchtigungen nach sich ziehen, sondern dass
                                                      heit“ die Rede ist. Oftmals trennen wir weiterhin in die bei-   dies entscheidend vom Zusammenspiel von umwelt- und
                                                      den Pole Gesundheit und Krankheit. Besonders mit chro-          personenbezogenen Faktoren abhängt. Wir können also
                                                      nischen Krankheiten und Behinderungen wird schnell ein          etwas tun – sowohl als Betroffene von Gesundheitsschä-
                                                      statischer und damit ein dauerhafter, unveränderlicher          digungen als auch in der Rolle der „Umwelt“. Wie sehr wir
                                                      Zustand in Verbindung gebracht.                                 Menschen in ihrem Bedürfnis nach Selbständigkeit unter-
                                                          Doch die Forschung zeigt, dass auch chronische Erkran-      stützen, sei es zum Beispiel durch private und professio-
                                                      kungen durchaus veränderbar sind. Studien verweisen bei-        nelle Hilfen, durch medizinischen und technologischen
                                                      spielsweise darauf, dass durch Veränderungen im Lebens-         Fortschritt, oder durch Wohnungs- und Städtebau, ist nicht
                                                      stil Bluthochdruck deutlich gesenkt und Typ 2 Diabetes          nur ein wichtiger Hebel, um Gesundheitsschädigungen
                                                      nachhaltig reduziert werden kann [1, 2]; das sind nur zwei      nicht zu Behinderungen und sozialen Handicaps werden
                                                      von vielen Beispielen, die für unsere Lebensqualität und        zu lassen. Es ist auch ein Ausdruck dessen, wie mitmensch-
                                                      unsere Lebenserwartung von großer Bedeutung sind.               lich wir unsere Gesellschaft gestalten.
                                                          Auch unser Blick auf Einschränkungen und Behinderun-            Die drei Focus-Artikel der aktuellen Ausgabe des Jour-
                                                      gen hat sich über die letzten Jahrzehnte verändert. Das von     nal of Health Monitoring von Laura Krause, Franziska Prütz,
                                                      der WHO 1980 etablierte Internationale Klassifikationssys-      Judith Fuchs und ihren Koautorinnen sensibilisieren für
                                                      tem ICIDH beschrieb Krankheiten, Gesundheitsschädigun-          die gesundheitliche Vielfalt über die Lebensspanne, indem
                                                      gen (Impairments), Behinderungen (Disabilities) und             sie Behinderungen und gesundheitliche Beeinträchtigun-
                                                      deren soziale Folgen (Handicaps) in der Form einer Kau-         gen von Kindern und Jugendlichen ebenso wie von jünge-
                                                      salkette, so als wäre dies eine nahezu zwangsläufige            ren und älteren Erwachsenen untersuchen. Alle drei Bei-
                                                      Abfolge. Erst um die Jahrtausendwende leitete die WHO           träge verdeutlichen den hohen Bedarf an Prävention, um

           Journal of Health Monitoring 2022 7(1)                                                                                                                      3
Journal of Health Monitoring    Monitoring gesundheitlicher Vielfalt über die Lebensspanne                                                             EDITORIAL

                                         Folgeerkrankungen und -probleme zu vermeiden. Unab-                 Die WHO hat das laufende Jahrzehnt zur Dekade des
                                         hängig von ihrem Alter haben Menschen mit gesundheit-           gesunden Älterwerdens erklärt und den Regierungen und
                                         lichen Herausforderungen ein höheres Risiko, weitere            Gesellschaften dabei vier Aufgaben mitgegeben: Ältere
                                         gesundheitliche Probleme zu bekommen, wie an den                Menschen müssen Zugang zu einer guten Langzeitpflege
                                         Ergebnissen zur Mundgesundheit von Kindern, depressi-           haben; ältere Menschen sollten Zugang zu allen Formen
                                         ven Symptomen bei Erwachsenen sowie dem Mangel an               gesundheitlicher Versorgung haben, einschließlich Präven-
                                         Unterstützung bei basalen Aktivitäten im Alter beispielhaft     tion und Gesundheitsförderung; die physische und soziale
                                         sichtbar wird. Sie alle haben besondere Risiken, da sie jeden   Umwelt und auch das wirtschaftliche Umfeld sollte
                                         Tag in weit größerem Maß auf ihre psychischen, sozialen,        altersfreundlicher werden; und schließlich sollten negative
                                         finanziellen oder Wissensressourcen zurückgreifen müs-          Altersstereotype, Vorurteile und Diskriminierungen gegen-
                                         sen als Menschen ohne vergleichbare gesundheitliche Her-        über älteren Menschen bekämpft werden. Diese vier Ziele
                                         ausforderungen. Dadurch laufen sie stärker Gefahr, dass         erfordern einen besonderen Blick auf die schnell wach-
                                         ihre Ressourcen erschöpft werden. Das gilt besonders für        sende Gruppe der älteren Menschen. Ersetzen wir bei allen
                                         jene, die ohnehin schon geringere Ressourcen mitbringen.        vier Zielen „ältere“ durch „alle“, wird zugleich deutlich,
                                             In den vergangenen Jahren haben die Studien des RKI-        dass eine Erreichung dieser Ziele der Vielfalt über die
                                         Gesundheitsmonitorings und die Gesundheitsberichterstat-        gesamte Lebensspanne zugutekommt.
                                         tung an Vielfalt gewonnen. Migrationssensible Methoden
                                         der Datenerhebung wurden etabliert (Ausgabe 3/2019 des                                                         Korrespondenzadresse
                                                                                                                                                       Prof. Dr. Susanne Wurm
                                         Journal of Health Monitoring, JoHM). Über die Gesundheit
                                                                                                                                               Universitätsmedizin Greifswald
                                         von Geflüchteten (Ausgabe 1/2021 des JoHM) und von les-           Leitung der Abteilung für Präventionsforschung und Sozialmedizin
                                         bischen, schwulen, bisexuellen sowie trans- und interge-                                            Institut für Community Medicine
                                         schlechtlichen Menschen wurde berichtet (Special Issue                                                       Walther-Rathenau-Str. 48
                                         S1/2020 des JoHM). Die aktuelle Ausgabe liefert eine wich-                                                            17475 Greifswald
                                                                                                                               E-Mail: susanne.wurm@med.uni-greifswald.de
                                         tige, ergänzende Perspektive auf die gesundheitliche Vielfalt
                                         über die Lebensspanne. Diese begonnenen Perspektiven                                                                     Zitierweise
                                         fortzusetzen, ist eine besondere Herausforderung. Wie kann                                                            Wurm S (2022)
                                         für jene Bevölkerungsgruppen ein möglichst repräsentatives              Monitoring gesundheitlicher Vielfalt über die Lebensspanne.
                                         Abbild gewonnen werden, die für Studien schwer zu gewin-                                                     J Health Monit 7(1): 3–6.
                                                                                                                                                          DOI 10.25646/9567
                                         nen sind? Dies gilt besonders für ältere Menschen, die pfle-
                                         gebedürftig in der eigenen Häuslichkeit oder im Pflegeheim
                                         leben. Die COVID-19 Pandemie hat ein Brennglas darauf           Die englische Version des Artikels ist verfügbar unter:
                                         gerichtet, wie schwierig ihre Lebenssituation oftmals ist.      www.rki.de/journalhealthmonitoring-en

Journal of Health Monitoring 2022 7(1)                                                                                                                              4
Journal of Health Monitoring    Monitoring gesundheitlicher Vielfalt über die Lebensspanne             EDITORIAL

                                         Interessenkonflikt
                                         Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

                                         Literatur
                                         1.   Roerecke M, Kaczorowski J, Tobe SW et al. (2017) The effect
                                              of a reduction in alcohol consumption on blood pressure:
                                              a systematic review and meta-analysis. The Lancet Public Health
                                              2(2):e108–e120
                                         2.   Hallberg SJ, Gershuni VM, Hazbun TL et al. (2019) Reversing
                                              Type 2 Diabetes: A Narrative Review of the Evidence. Nutrients
                                              11(4)

Journal of Health Monitoring 2022 7(1)                                                                            5
Journal of Health Monitoring    Monitoring gesundheitlicher Vielfalt über die Lebensspanne       EDITORIAL

                                             Impressum
                                             Journal of Health Monitoring

                                             Herausgeber
                                             Robert Koch-Institut
                                             Nordufer 20
                                             13353 Berlin

                                             Redaktion
                                             Johanna Gutsche, Dr. Birte Hintzpeter, Dr. Franziska Prütz,
                                             Dr. Martina Rabenberg, Dr. Alexander Rommel, Dr. Livia Ryl,
                                             Dr. Anke-Christine Saß, Stefanie Seeling, Dr. Thomas Ziese
                                             Robert Koch-Institut
                                             Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring
                                             Fachgebiet Gesundheitsberichterstattung
                                             General-Pape-Str. 62–66
                                             12101 Berlin
                                             Tel.: 030-18 754-3400
                                             E-Mail: healthmonitoring@rki.de
                                             www.rki.de/journalhealthmonitoring

                                             Satz
                                             Kerstin Möllerke, Alexander Krönke

                                             ISSN 2511-2708

                                             Hinweis
                                             Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise die
                                             Meinung des Robert Koch-Instituts wider.

    Dieses Werk ist lizenziert unter einer
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                     International Lizenz.           Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit

   Journal of Health Monitoring 2022 7(1)                                                                       6
Journal of Health Monitoring   Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten und Unterstützungsbedarfe – Auswertungen der Studie GEDA 2019/2020-EHIS          FOCUS

Journal of Health Monitoring · 2022 7(1)
DOI 10.25646/9569
                                                      Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten und Unterstützungs­
Robert Koch-Institut, Berlin
                                                      bedarfe – Auswertungen der Studie GEDA 2019/2020-EHIS
Judith Fuchs, Beate Gaertner, Franziska Prütz
                                                      Abstract
Robert Koch-Institut, Berlin                          Die Ausübung von Aktivitäten des täglichen Lebens ist ein wichtiger Bestandteil der Funktionsfähigkeit eines Menschen.
Abteilung für Epidemiologie und Gesundheits-
                                                      Falls Einschränkungen vorliegen, ist Unterstützung bei diesen Tätigkeiten erforderlich. Anhand von Daten der Studie GEDA
monitoring
                                                      2019/2020-EHIS wird dargestellt, wie viele der in Privathaushalten lebenden Personen ab 55 Jahren in Deutschland
Eingereicht: 05.01.2022                               Einschränkungen in Alltagsaktivitäten aufweisen. Schwere Einschränkungen in den basalen (grundlegenden) Aktivitäten
Akzeptiert: 04.03.2022                                (z. B. der Nahrungsaufnahme) geben 5,8 % der Frauen und 3,7 % der Männer an. Der Anteil nimmt mit dem Alter zu, von
Veröffentlicht: 30.03.2022
                                                      den ab 80-Jährigen sind 13,4 % der Frauen und 9,0 % der Männer betroffen. Schwere Einschränkungen bei den instrumentellen
                                                      Aktivitäten des täglichen Lebens (z. B. Einkäufe erledigen) sind bei Personen unter 80 Jahren eher selten. Der Anteil bei den
                                                      ab 80-Jährigen liegt bei den Frauen bei 35,9 % und bei den Männern bei 21,0 %. Bei Einschränkungen der basalen Aktivitäten
                                                      erhalten 68,1 % der betroffenen Frauen und 57,5 % der Männer Hilfe und Unterstützung. Frauen berichten zudem häufiger
                                                      über fehlende Unterstützung (48,8 % vs. 43,2 %). Bei den instrumentellen Aktivitäten ist die Lage etwas besser.
                                                      Die Ergebnisse aus der Studie GEDA 2019/2020-EHIS zeigen, in welchen Bereichen des täglichen Lebens ältere und
                                                      hochaltrige Menschen eingeschränkt sind, geben einen Eindruck, wer besonders betroffen ist und wo Unterstützungsleistungen
                                                      nicht ausreichend sind. Sie liefern damit Anhaltspunkte, wo unterstützend angesetzt werden kann, um älteren Menschen
                                                      einen langen Verbleib in der eigenen Häuslichkeit zu ermöglichen.

                                                         AKTIVITÄTEN DES TÄGLICHEN LEBENS · ÄLTERE MENSCHEN · DEUTSCHLAND · GESUNDHEITSMONITORING

                                                      1. Einleitung                                                      die körperliche und kognitive Leistungsfähigkeit abnimmt
                                                                                                                         [2]. Die Erfassung der Einschränkungen in basalen und ins-
                                                      Infolge des demografischen Wandels nimmt der Anteil der            trumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens liefert
                                                      älteren Menschen an der Bevölkerung zu; laut Angaben               Anhaltspunkte, wo besondere Defizite vorhanden sind und
                                                      des Statistischen Bundesamts wird die Zahl von Personen            damit Möglichkeiten, die Gesamtsituation älterer Men-
                                                      im Alter ab 67 Jahren zwischen 2020 und 2035 in Deutsch-           schen zu verbessern [2–4].
                                                      land um 22 % steigen [1]. Dabei altern Menschen sehr unter-            Die Zahl der Personen, die über Einschränkungen in
                                                      schiedlich, allerdings steigt mit zunehmendem Lebensalter          Aktivitäten des täglichen Lebens berichten, nimmt auch in
                                                      die Wahrscheinlichkeit, dass Erkrankungen auftreten und            Deutschland mit dem Alter zu [5]. Diese führen dazu, dass

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Journal of Health Monitoring   Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten und Unterstützungsbedarfe – Auswertungen der Studie GEDA 2019/2020-EHIS          FOCUS

                                                    Personen in der Teilhabe und Autonomie eingeschränkt               mit Aktivitätseinschränkungen zeigen, dass der selbstein-
GEDA 2019/2020­EHIS                                 und auf Unterstützung angewiesen sind. Im Zuge der                 geschätzte Gesundheitszustand Prädiktor für nachfolgende
Fünfte Folgeerhebung der Studie Gesundheit in       demografischen Entwicklung wird die Zahl der Betroffenen           Einschränkungen ist [8].
Deutschland aktuell                                 zukünftig weiter ansteigen.                                            Gesundheitsbedingte Einschränkungen des Alltagsle-
Datenhalter: Robert Koch-Institut
                                                        Unklar ist, wie viele Personen in der aktuell in Deutsch-      bens werden mit dem Global Activity Limitation Indicator
                                                    land lebenden Allgemeinbevölkerung ab 55 Jahren Ein-               (GALI) erfasst, der die Internationale Klassifikation der
Ziele: Bereitstellung zuverlässiger Informationen   schränkungen in Alltagsaktivitäten aufweisen, in welchen           Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) [4]
über den Gesundheitszustand, das Gesundheits-
verhalten und die gesundheitliche Versorgung der    Bereichen sie besonders beeinträchtigt sind und welchem            als konzeptionellen Rahmen verwendet und als globales,
Bevölkerung in Deutschland, mit Möglichkeit zum     Personenkreis Unterstützung in der Ausübung von Alltags­           selbstberichtetes Maß für die Einschränkung der Teilhabe
europäischen Vergleich                              aktivitäten fehlt. Weiterhin von Interesse ist eine Beschrei-      fungiert [9].
Studiendesign: Telefonische Querschnitterhebung     bung des Zusammenhangs mit weiteren Gesundheitsin-                     Seh- und Hörbehinderungen stehen in signifikantem
                                                    dikatoren und soziodemografischen Variablen [6].                   Zusammenhang mit Einschränkungen bei den Aktivitäten
Grundgesamtheit: Deutschsprachige Bevölke-
                                                        Im Rahmen der Studie Gesundheit in Deutschland aktu-           des täglichen Lebens, wobei keine geschlechtsspezifi-
rung ab 15 Jahren in Privathaushalten, die über
Festnetz oder Mobilfunk erreichbar sind             ell (GEDA) werden Einschränkungen bei Tätigkeiten im               schen Unterschiede festgestellt wurden. Die frühzeitige
                                                    Zusammenhang mit der Körperpflege und Haushaltstätig-              Erkennung und wirksame Behandlung von Seh- und Hör-
Stichprobenziehung: Zufallsstichprobe von Fest-
netz- und Mobilfunknummern (Dual-Frame-
                                                    keiten erhoben. Das Ziel des Beitrags ist es, das Vorliegen        behinderungen sind wichtig, um Einschränkungen bei
Verfahren) aus dem Stichprobensystem des            von Einschränkungen in Aktivitäten des täglichen Lebens            den alltäglichen Verrichtungen zu verhindern und die
ADM (Arbeitskreis Deutscher Markt- und              (Infobox) bei Menschen ab 55 Jahren in Deutschland nach            Unabhängigkeit älterer Menschen zu verbessern [10].
Sozialforschungsinstitute e. V.)
                                                    Geschlecht und Altersgruppen zu beschreiben. Zusätzlich            Auch Mobilitätseinschränkungen gehen oft Einschrän-
Stichprobenumfang: 23.001 Teilnehmende              erfolgt eine Charakterisierung eingeschränkter und nicht           kungen der basalen (grundlegenden) und instrumentel-
                                                    eingeschränkter Personen nach krankheitsrelevanten und             len Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL/IADL-Ein-
Datenerhebungszeitraum: April 2019 bis
September 2020                                      soziodemografischen Merkmalen. Auch soll aufgezeigt                schränkungen) voran und können so als Anhaltspunkt für
                                                    werden, ob eingeschränkte Personen ausreichend Unter-              präventive Maßnahmen dienen [11].
GEDA-Erhebungswellen:
„„ GEDA 2009
                                                    stützung erhalten. Dies dient der Identifizierung von Per-             Bei den möglichen soziodemografischen Einflussfak-
„„ GEDA 2010                                        sonen, die deutlich von Einschränkungen betroffen sind,            toren spielt neben dem Alter das Geschlecht für die
„„ GEDA 2012                                        und der Darstellung von Präventionspotenzialen und Ver-            Gesundheit insgesamt und damit auch für das ADL/
„„ GEDA 2014/2015-EHIS
„„ GEDA 2019/2020-EHIS
                                                    sorgungsbedarfen.                                                  IADL-Geschehen eine zentrale Rolle [12]. Niedrige Bildung
                                                        Mit der Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands             und Armut sind Risikofaktoren für ADL- und IADL-Ein-
Mehr Informationen unter                            liegt ein Indikator vor, der die Wahrnehmung der eigenen           schränkungen [13, 14]. Darüber hinaus hat auch die Fami-
www.geda-studie.de
                                                    Gesundheit abbildet und dabei nicht nur die körperliche            lienzusammensetzung einen bedeutsamen Einfluss, wie
                                                    Gesundheit, sondern auch den psychologischen Status und            Ergebnisse aus der irischen Längsschnittstudie zeigen [15].
                                                    die Lebensqualität umfasst [7]. Analysen im Zusammenhang           Aus den USA und aus der SHARE-Studie ist bekannt, dass

          Journal of Health Monitoring 2022 7(1)                                                                                                                        8
Journal of Health Monitoring      Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten und Unterstützungsbedarfe – Auswertungen der Studie GEDA 2019/2020-EHIS         FOCUS

                                                        sich städtische und ländliche Regionen in der Häufigkeit           2.2 Indikatoren
Infobox                                                 von Einschränkungen unterscheiden [16, 17].
Basale und instrumentelle Aktivitäten                                                                                      Einschränkungen bei Aktivitäten des täglichen Lebens
des täglichen Lebens (ADL/IADL)                         2. Methode                                                         Bei der Erfassung der Einschränkungen bei Aktivitäten
Nach der Internationalen Klassifikation der Funk-       2.1 Studiendesign und Stichprobe                                   des täglichen Lebens im Alltag wurde auf international
tionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF)                                                                           etablierte Instrumente des European Health Interview
ist eine Aktivitätsbeeinträchtigung eine Schwierig-
                                                        GEDA ist eine bundesweite Querschnittbefragung der in              Surveys (EHIS) zurückgegriffen [26]. Die Fragen messen
keit oder die Unmöglichkeit, die ein Mensch haben
kann, eine bestimmte Aktivität durchzuführen.           Deutschland lebenden Wohnbevölkerung (Infobox). Die                die Fähigkeit und die erhaltene oder benötigte Hilfe in
Die Erfassung der Einschränkungen von Aktivitä-         GEDA-Studie wird seit 2008 im Auftrag des Bundesminis-             Bezug auf fünf basale Aktivitäten (ADL) in Anlehnung an
ten des täglichen Lebens erfolgt in Forschung und
Praxis häufig mit Hilfe von zwei Instrumenten,
                                                        teriums für Gesundheit vom Robert Koch-Institut (RKI) in           Katz et al. [18] und sieben instrumentelle Aktivitäten
die Einschränkungen in den sogenannten basa-            mehrjährigen Abständen durchgeführt und ist ein Bestand-          (IADL) des täglichen Lebens in Anlehnung an Lawton and
len Aktivitäten (activities of daily living, ADL) und   teil des Gesundheitsmonitorings am RKI [21, 22]. Die fünfte        Brody [20] (Infobox). Die Teilnehmenden wurden jeweils
den instrumentellen Aktivitäten des täglichen
Lebens (instrumental activities of daily living,        Folgeerhebung, GEDA 2019/2020-EHIS, fand zwischen April            gefragt, ob sie normalerweise Schwierigkeiten hätten, die-
IADL) erfassen.                                         2019 und September 2020 mittels computergestützter tele-           se Tätigkeit ohne Hilfe auszuführen. Antwortkategorien
ADL umfassen die grundlegenden Tätigkeiten der          fonischer, vollstrukturierter Interviews statt. Die Erhebung       waren „Keine“, „Einige“, „Große Schwierigkeiten“ und
Erfüllung der Grundbedürfnisse wie zum Beispiel
Essen, Körperhygiene, Aufstehen, Ankleiden oder         basierte auf einer Zufallsstichprobe von Festnetz- und Mobil-     „Es ist mir nicht möglich“. Die IADL enthielten als zusätz-
Toilettenbenutzung. Die am häufigsten verwende-         funknummern (Dual-Frame-Verfahren) [23]. Die Grundge-              liche Antwortkategorie „Nicht zutreffend (habe ich nie
ten Indizes wurden 1963 von Katz et al. [18] und
                                                        samtheit umfasste die in privaten Haushalten lebende Bevöl-        versucht bzw. getan)“. Für die Auswertungen zu vorhan-
1965 von Mahoney und Barthel [19] veröffentlicht.
IADL umfassen weitergehende Aufgaben des täg-           kerung ab 15 Jahren, deren üblicher Aufenthaltsort zum             denen Einschränkungen wurden die Variablen dichotomi-
lichen Lebens, deren Bewältigung komplexer ist.         Zeitpunkt der Datenerhebung in Deutschland liegt. Insge-           siert: „Große Schwierigkeiten/Tätigkeit nicht möglich“
Hierunter werden zum Beispiel Aktivitäten wie
Telefonieren, Einkaufen, Erledigen von Bankge-
                                                        samt haben 23.001 Personen mit verwertbaren Interviews             gegenüber „Keine/einige Schwierigkeiten bzw. nicht
schäften, Haushaltsführung, Einnahme von Medi-          an GEDA 2019/2020-EHIS teilgenommen (12.101 Frauen,                zutreffend“. Auf dieser Basis wurden die Variablen zu den
kamenten und Nutzung von Transportmitteln               10.838 Männer, 62 andere Geschlechtsidentität bzw. keine           jeweiligen ADL- beziehungsweise IADL-Einschränkungen
gefasst. IADL werden mittels eines Scores erfasst,
der auf den Arbeiten von Lawton und Brody aus           Angabe). Die Responserate betrug nach den Standards der            generiert. Personen, die mindestens eine ADL- bezie-
dem Jahr 1969 [20] basiert.                             American Association for Public Opinion Research 21,6 %            hungsweise IADL-Einschränkung angaben, wurden als
                           Fortsetzung nächste Seite    [24]. Eine ausführliche Darstellung der Methodik sowie Ein-        ADL- beziehungsweise IADL-eingeschränkt definiert.
                                                        ordnung der Responserate von GEDA 2019/2020-EHIS fin-                  Bei Personen mit einer ADL- beziehungsweise IADL-Ein-
                                                        det sich an anderer Stelle [25]. Fragen zu Einschränkungen         schränkung wurde der Erhalt von Hilfe mit folgender Frage
                                                        in Alltagsaktivitäten wurden erst ab einem Alter von 55 Jah-       analysiert: „Denken Sie nun an Tätigkeiten im Zusammen-
                                                        ren gestellt, sodass die vorliegende Stichprobe 12.985 Per-        hang mit der Körperpflege und weiteren persönlichen
                                                        sonen umfasst (7.086 Frauen, 5.871 Männer, 28 andere               Bedürfnissen (ADL) beziehungsweise Tätigkeiten im Haus-
                                                        Geschlechtsidentität bzw. keine Angabe).                           halt (IADL), bei denen Sie Schwierigkeiten haben, sie ohne

          Journal of Health Monitoring 2022 7(1)                                                                                                                           9
Journal of Health Monitoring    Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten und Unterstützungsbedarfe – Auswertungen der Studie GEDA 2019/2020-EHIS           FOCUS

                                                     Hilfe auszuführen. Haben Sie normalerweise Hilfe bei              Sie eine chronische Krankheit oder ein lang andauerndes
Infobox (Fortsetzung)                                diesen Tätigkeiten?“ mit den Antwortoptionen „Ja, bei             gesundheitliches Problem? Damit gemeint sind Krank-
                                                     mindestens einer Tätigkeit“ und „Nein“. Die jeweils erhal-        heiten oder gesundheitliche Probleme, die mindestens
In GEDA 2019/2020-EHIS werden ADL über die
Variablen Essen oder Trinken, sich von einem Bett    tene Unterstützung wurde mit „Ja“ beziehungsweise                 6 Monate andauern oder voraussichtlich andauern wer-
oder Stuhl erheben oder sich darauf niederlassen,   „Nein“ kodiert. In einer weiteren Frage wurde bei Perso-           den“. Antwortmöglichkeiten umfassten „Ja“, „Nein“ oder
An- und Ausziehen, Toilettenbenutzung und
Baden oder Duschen (in Anlehnung an Katz et al.
                                                     nen mit Unterstützung erfragt, ob mehr Hilfe benötigt            „Weiß nicht“.
1963) erfasst. IADL werden über die folgenden        wird, bei Personen ohne Unterstützung, ob Hilfe benötigt             Die gesundheitsbedingten Einschränkungen des All-
Tätigkeiten erfasst: Mahlzeiten zubereiten, das      wird. „(Mehr) Unterstützung benötigt“ wurde dann defi-            tagslebens wurden mit dem Global Activity Limitation Indi-
Telefon benutzen, Einkäufe erledigen, Medika-
menteneinnahme organisieren (z. B. Pillendose        niert, wenn nach Selbstangaben mehr Hilfe oder Hilfe              cator (GALI) über Selbstangabe der Befragten erfasst [27].
vorbereiten), leichte Hausarbeit erledigen (z. B.    benötigt wurde.                                                   Die Frage lautete „Sind Sie durch ein gesundheitliches Pro-
Geschirr spülen), gelegentlich schwere Hausarbeit                                                                      blem bei Tätigkeiten des normalen Alltagslebens einge-
erledigen (z. B. Fußböden wischen) und Organi-
sation finanzieller und alltäglicher Verwaltungs-    Kovariablen                                                       schränkt?“ (Antwortkategorien: stark eingeschränkt, mäßig
angelegenheiten (z. B. Rechnungen bezahlen) (in      Mit den drei Fragen des sogenannten Minimum European              eingeschränkt, nicht eingeschränkt). Eingeschränkte Per-
Anlehnung an Lawton und Brody 1969).
                                                     Health Module (MEHM) [27] wird summarisch die Selbst-             sonen wurden zusätzlich gefragt, ob die Einschränkungen
Quelle: Adaptiert nach Gaertner et al. 2019 [5]      einschätzung der allgemeinen Gesundheit, das Vorhan-             „Weniger als 6 Monate“ beziehungsweise „6 Monate und
                                                     densein chronischer Krankheiten und gesundheitsbeding-            länger“ andauerten. Der Zeitraum „Mehr als 6 Monate“
                                                     te Einschränkungen des Alltagslebens erfasst. Das MEHM            wurde auf europäischer Ebene entwickelt, um dem
                                                     ist Bestandteil des Europäischen Surveys zu Einkommen             Umstand einer längerfristigen Einschränkung Rechnung
                                                     und Lebensbedingungen (EU-SILC) und des EHIS und lie-             zu tragen [28]. Für die Analysen wurde dieses Konzept über-
                                                     fert europaweit vergleichbare Angaben zur subjektiven             nommen; Personen, die seit mehr als sechs Monaten ein-
                                                     Wahrnehmung des eigenen Gesundheitszustands.                      geschränkt waren, werden als längerfristig gesundheitlich
                                                         Der selbsteingeschätzte allgemeine Gesundheitszu-             eingeschränkt definiert. Alle anderen Personen gelten als
                                                     stand wird entsprechend einer Empfehlung der Weltge-              nicht längerfristig eingeschränkt.
                                                     sundheitsorganisation (WHO) mit folgender Frage erfasst:             Einschränkungen des Sehvermögens wurden folgender-
                                                    „Wie ist Ihr Gesundheitszustand im Allgemeinen?“. Die              maßen erfasst: „Haben Sie Schwierigkeiten beim Sehen,
                                                     Befragten wurden gebeten, eine von fünf vorgegebenen              selbst wenn Sie Ihre Brille oder Kontaktlinsen tragen? Wür-
                                                     Antwortmöglichkeiten auszuwählen. Für die Auswertung              den Sie sagen… keine, einige, große Schwierigkeiten oder
                                                     wurden diese dichotomisiert, wobei: „Sehr gut“, „Gut“,            es ist mir nicht möglich“. Für die Auswertungen wurden
                                                    „Mittelmäßig“ und „Schlecht“, „Sehr schlecht“ zusam-               diese dichotomisiert: keine schwerwiegenden Schwierig-
                                                     mengefasst wurden [27]. Das Vorliegen einer chronischen           keiten (keine und einige Schwierigkeiten) und schwerwie-
                                                     Krankheit oder eines lang andauernden gesundheitlichen            gende Schwierigkeiten (große Schwierigkeiten oder es ist
                                                     Problems wurde über die folgende Frage erhoben: „Haben            mir nicht möglich).

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Journal of Health Monitoring    Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten und Unterstützungsbedarfe – Auswertungen der Studie GEDA 2019/2020-EHIS             FOCUS

                                              Einschränkungen des Hörvermögens wurden über zwei             Auswertungen nach Geschlecht nicht ausgewiesen. Für die
                                          Fragen erfasst: „Haben Sie Schwierigkeiten, zu hören, was         Analysen wurde das Alter in Jahren in die Altersgruppen 55
                                          in einem Gespräch mit einer anderen Person in einem ruhi-         bis 64, 65 bis 79 und 80 Jahre und älter unterteilt. Für die
                                          gen Raum gesagt wird, selbst wenn Sie ein Hörgerät tra-           Haushaltsgröße wurde eine dichotome Variable erstellt:
                                          gen?“ und „Haben Sie Schwierigkeiten, zu hören, was in            Personen, die angaben, in einem Einpersonenhaushalt zu
                                          einem Gespräch mit einer anderen Person in einem laute-           leben und Personen, die angaben, in einem Mehrperso-
                                          ren Raum gesagt wird, selbst wenn Sie ein Hörgerät tra-           nenhaushalt zu leben, unabhängig vom Haushaltstyp (Paar
                                          gen?“ jeweils mit den Antwortmöglichkeiten: „Würden Sie           mit oder ohne Kinder, alleinerziehend u. a.). Die Bildungs-
                                          sagen… keine, einige, große Schwierigkeiten oder es ist mir       niveaus wurden nach CASMIN-Klassifikation (Comparative
                                          nicht möglich“. Für die Auswertungen wurden diese in einer        Analyses of Social Mobility in Industrial Nations) mithilfe
                                          dichotomen Variable als Schwierigkeiten beim Hören                schulischer und berufsbildender Bildungsabschlüsse einer
                                          zusammenfasst: keine schwerwiegenden Schwierigkeiten              niedrigen, mittleren und hohen Bildungsgruppe zugewie-
                                         (jeweils keine oder einige Schwierigkeiten) und schwerwie-         sen [29]. Beim Einkommen wurde das imputierte Äquiva-
                                          gende Schwierigkeiten (mindestens einmalig große Schwie-          lenzeinkommen (nach Haushaltsgröße und -zusammen-
                                          rigkeiten oder es ist mir nicht möglich).                         setzung gewichtetes Einkommen, fehlende Angaben
                                              Mobilitätseinschränkungen wurden mit den Fragen:              werden geschätzt) verwendet und Personen, denen weni-
                                         „Haben Sie Schwierigkeiten einen halben Kilometer, also            ger als 60 % des Medianeinkommens zur Verfügung stand,
                                          500 Meter auf ebenem Gelände ohne Gehhilfe zu gehen?“             als unterhalb der Armutsgrenze lebend erachtet. Für die
                                          und „Haben Sie Schwierigkeiten eine Treppe mit 12 Stufen          Gemeindegröße wurde die Variable politische Gemeinde-
                                          hinauf- oder hinabzusteigen?“ erhoben. Für die Auswer-            größenklasse (kategorisiert Stand: 13.12.2018) verwendet,
                                          tungen wurden diese in einer dichotomen Variable als              die in vier Kategorien eingeteilt ist: ländlich (< 5.000 Ein-
                                          Mobilitätseinschränkungen zusammengefasst: keine                  wohner), kleinstädtisch (5.000 – < 20.000 Einwohner), mit-
                                          schwerwiegenden Einschränkungen (jeweils keine oder               telstädtisch (20.000 – < 100.000 Einwohner) und großstäd-
                                          einige Schwierigkeiten) und schwerwiegende Einschrän-             tisch (100.000 Einwohner und mehr).
                                          kungen (mindestens einmalig große Schwierigkeiten oder
                                          es ist mir nicht möglich).                                        2.3 Statistische Auswertung
                                              Zur Beschreibung von Geschlechterunterschieden
                                          wurde die Geschlechtsidentität verwendet. Die Befragten           Die Prävalenzen werden insgesamt oder stratifiziert nach
                                          konnten angeben, welchem Geschlecht sie sich zugehörig            Geschlechtsidentität, Alters- und Bildungsgruppen mit
                                          fühlen (Frau, Mann, andere Geschlechtsidentität). Auf-            95 %-Konfidenzintervallen (95 %-KI) dargestellt. Bei den
                                          grund der geringen Fallzahlen werden Personen, die eine           Prävalenzen handelt es sich um Schätzwerte für den
                                          andere oder keine Geschlechtsidentität angaben, in den            Anteil der zu einem Zeitpunkt betroffenen Personen in

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Journal of Health Monitoring    Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten und Unterstützungsbedarfe – Auswertungen der Studie GEDA 2019/2020-EHIS                             FOCUS

                                                 der Zielgruppe. Ihre Präzision kann mithilfe von Konfi-                               Alle Analysen wurden mit Stata 17.0 (Stata Corp., Col-
                                                 denzintervallen beurteilt werden – breite Konfidenzinter-                          lege Station, TX, USA, 2017) durchgeführt. Um die Gewich-
                                                 valle deuten auf eine größere statistische Unsicherheit                            tung angemessen bei der Berechnung von Konfidenzin-
                                                 der Ergebnisse hin.                                                                tervallen und p-Werten zu berücksichtigen, wurden alle
                                                     Um Abweichungen der Stichprobe von der Bevölke-                                Analysen mit den Surveyprozeduren von Stata 17.0 durch-
                                                 rungsstruktur zu korrigieren, wurden die Analysen mit                              geführt. Es wird von einem statistisch signifikanten Unter-
                                                 einem Gewichtungsfaktor durchgeführt. Im Rahmen der                                schied zwischen Gruppen ausgegangen, wenn der ent-
                                                 Datengewichtung erfolgte zunächst eine Designgewichtung                            sprechende p-Wert („Pearson 2 statistic for two-way
  5,8 % der Frauen und 3,7 %                     für die unterschiedlichen Auswahlwahrscheinlichkeiten                              tables”, d. h. Pearsons chi²-Statistik) kleiner als 0,05 ist.
  der Männer ab 55 Jahren sind                   (Mobilfunk und Festnetz). Anschließend erfolgte eine
                                                 Anpassung an die amtlichen Bevölkerungszahlen bezogen                              3. Ergebnisse
  bei mindestens einer basalen
                                                 auf Alter, Geschlecht, Bundesland und Kreistyp (Stand:                             3.1 Einschränkungen bei basalen Aktivitäten
  Aktivität des täglichen                        31.12.2019). Zusätzlich wurde die Stichprobe an die Bil-                               des täglichen Lebens (ADL)
  Lebens (ADL) eingeschränkt,                    dungsverteilung im Mikrozensus 2017 nach der Internati-
  dieser Anteil nimmt mit                        onalen Standardklassifikation für das Bildungswesen                                Einzelne ADL-Einschränkungen wurden von Frauen und
  dem Alter zu.                                  (ISCED-Klassifikation) angepasst [30].                                             Männern insgesamt sehr selten angegeben (0,3 % bis 4,5 %,
                                                                                                                                    Annex Tabelle 1). Bei einzelnen Einschränkungen wurde bei
                                                       Anteil (%)
                                                 45                                                                                 den 80-jährigen und älteren Frauen und Männern im Ver-
                                                 40                                                                                 gleich zu den unter 80-Jährigen signifikant häufiger ange-
                                                                                                                                    geben, Schwierigkeiten beim Baden oder Duschen (11,1 %
                                                 35
                                                                                                                                    bzw. 7,1 %) und beim Erheben oder Niederlassen vom Bett
                                                 30                                                                                 oder Stuhl (4,6 % bzw. 4,4 %) zu haben.
                                                 25                                                                                    Der Anteil an Personen, die mindestens in einer ADL
                                                 20
                                                                                                                                    schwere Einschränkungen aufweisen, ist mit 5,8 % bei
                                                                                                                                    Frauen und 3,7 % bei Männern gering. Es zeigte sich eine
                                                 15
                                                                                                                                    signifikante Zunahme mit dem Alter auf 13,4 % bei Frauen
                                                 10                                                                                 und 9,0 % bei Männern ab 80 Jahren (Abbildung 1).
                                 Abbildung 1
                                                  5
        Prozentualer Anteil an Personen, die
mindestens eine schwere ADL-Einschränkung
        angeben, nach Geschlecht und Alter                   55 – 64                 65 – 79          ≥ 80          Gesamt
                                                                                                             Altersgruppe (Jahre)
                       (gewichtete Analysen)                 Frauen              Männer
              Quelle: GEDA 2019/2020-EHIS             ADL = basale Aktivitäten des täglichen Lebens

        Journal of Health Monitoring 2022 7(1)                                                                                                                                         12
Journal of Health Monitoring    Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten und Unterstützungsbedarfe – Auswertungen der Studie GEDA 2019/2020-EHIS                                    FOCUS

                                                  3.2 Einschränkungen bei instrumentellen Aktivitäten                                         der Frauen, 2,3 % der Männer). Das Telefon zu benutzen
                                                      des täglichen Lebens (IADL)                                                             bereitet nur einer sehr geringen Anzahl der Befragten Prob-
                                                                                                                                              leme, was sich auch durch den Erhebungsmodus (Telefon-
                                                  Insgesamt ist die jüngste Altersgruppe relativ selten von                                   interview) erklären lässt.
                                                  IADL-Einschränkungen betroffen. Bei allen Einschränkungen                                      Ähnlich wie bei den ADL ist der Anteil von Personen,
                                                  gibt es eine Zunahme der Häufigkeit mit steigendem Alter.                                   die mindestens eine schwere IADL-Einschränkung ange-
                                                  Die am häufigsten genannte Einschränkung ist „gelegent-                                     ben, bei den Personen unter 80 Jahren eher gering. Der
                                                  lich schwere Hausarbeit erledigen“. Sie wird insgesamt von                                  Anteil steigt allerdings bei den ab 80-Jährigen deutlich an
                                                  13,9 % der Frauen und 7,9 % der Männer angegeben, wobei                                     und liegt in dieser Altersgruppe bei den Frauen bei 35,9 %
  Als häufigste basale                            Frauen (33,5 %) und Männer (19,6 %) in der Altersgruppe ab                                  und bei den Männern bei 21,0 % (Abbildung 2).
  Alltagseinschränkung werden                     80 Jahren signifikant häufiger davon berichten (Annex Tabel-
  von den Frauen und Männern                      le 2). An zweiter Stelle steht mit einer Prävalenz von 7,6 %                                3.3 Charakterisierung von Personengruppen mit
  ab 80 Jahren mit 11,1 % und                     (Frauen) beziehungsweise 3,9 % (Männer) „Einkäufe erledi-                                       Einschränkungen in basalen und instrumentellen
                                                  gen“, auch hier häufiger bei den Hochaltrigen (Frauen 19,6 %,                                   Alltagsaktivitäten
  7,1 % große Schwierigkeiten
                                                  Männer 9,1 %). An dritter Stelle steht die Organisation finan-
  beim Baden oder Duschen                         zieller und alltäglicher Verwaltungsangelegenheiten (3,1 %                                  Im Folgenden werden die Ergebnisse des Vergleichs von
  angegeben.                                                                                                                                  Personen mit und ohne Einschränkungen in basalen und
                                                        Anteil (%)
                                                  45                                                                                          instrumentellen Alltagsaktivitäten im Hinblick auf die
                                                  40                                                                                          Gesundheitsindikatoren dargestellt. Es zeigt sich, dass bei
                                                                                                                                              beiden Geschlechtern ADL- beziehungsweise IADL-einge-
                                                  35
                                                                                                                                              schränkte Personen signifikant häufiger beim Gesundheits-
                                                  30                                                                                          zustand, bei den gesundheitsbedingten Einschränkungen
                                                  25                                                                                          (Global Activity Limitation Indicator, GALI), dem Vorliegen
                                                                                                                                              von chronischen Krankheiten, dem Seh- und Hörvermögen
                                                  20
                                                                                                                                              und der Mobilität Einschränkungen angegeben werden
                                                  15
                                                                                                                                              (Abbildung 3 und Annex Tabelle 3). Etwa jede zweite Person
                                                  10                                                                                          mit ADL-Einschränkung (49,0 % der Frauen, 55,4 % der Män-
                                 Abbildung 2                                                                                                  ner) gibt einen schlechten oder sehr schlechten Gesund-
                                                   5
         Prozentualer Anteil an Personen, die
                                                                                                                                              heitszustand an, während dies bei den Personen ohne
mindestens eine schwere IADL-Einschränkung
         angeben, nach Geschlecht und Alter                   55 – 64                 65 – 79                   ≥ 80          Gesamt          ADL-Einschränkung etwa jede zehnte Person betrifft (9,2 %
                                                                                                                       Altersgruppe (Jahre)   bzw. 11,1 %). Ähnliche Ergebnisse zeigen sich für IADL-Ein-
                       (gewichtete Analysen)                  Frauen              Männer
              Quelle: GEDA 2019/2020-EHIS              IADL = instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens                                 schränkungen (Abbildung 4 und Annex Tabelle 3). Noch

         Journal of Health Monitoring 2022 7(1)                                                                                                                                                13
Journal of Health Monitoring    Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten und Unterstützungsbedarfe – Auswertungen der Studie GEDA 2019/2020-EHIS                           FOCUS

                                              deutlicher unterscheiden sich in ihren Alltagsaktivitäten                       Seh- beziehungsweise Höreinschränkungen werden in
                                              eingeschränkte Befragte hinsichtlich gesundheitsbedingter                   der Bevölkerung ab 55 Jahren von wenigen Befragten ange-
                                              Einschränkungen (GALI): 63,3 % der Frauen und 63,0 %                        geben, treten aber bei den Personen mit ADL-/IADL-Ein-
                                              der Männer mit ADL- und 50,6 % der Frauen und 58,2 %                        schränkung signifikant häufiger auf (Annex Tabelle 3).
                                              der Männer mit IADL-Einschränkung geben diese an. Bei                       Besonders deutlich ist der Unterschied bei den Mobilitäts-
                                              den Personen ohne ADL- oder IADL-Einschränkungen ist                        einschränkungen: Etwa zwei Drittel der ADL-/IADL-einge-
                                              es nur etwa jede zehnte Person.                                             schränkten Frauen und Männer geben diese an; insbeson-
Nur ein geringer Anteil                          Der überwiegende Anteil der Befragten mit ADL-/IADL-Ein-                 dere Frauen mit ADL-Einschränkung (85,8 %).
der unter 80-Jährigen ist                     schränkungen ist seit mindestens sechs Monaten chronisch                        Bei den soziodemografischen Angaben zeigt sich, dass
von instrumentellen                           krank: 84,8 % der Frauen und 86,3 % der Männer mit ADL-                     ADL- beziehungsweise IADL-eingeschränkte Befragte häu-
                                              und 84,1 % der Frauen und 85,4 % der Männer mit IADL-Ein-                   figer über eine niedrige Bildung und ein geringeres Ein-
Einschränkungen des
                                              schränkungen geben dies an (Abbildung 3, Abbildung 4 und                    kommen verfügen und häufiger in Einpersonenhaushalten
täglichen Lebens (IADL)                       Annex Tabelle 3). Dagegen geben 60 % der Personen ohne                      leben als nichteingeschränkte Personen (Annex Tabelle 4).
betroffen, dagegen von                        ADL-/IADL-Einschränkung an, chronisch krank zu sein.                        Bei den Personen mit ADL-Einschränkung weisen 58,8 %
den ab 80-Jährigen                                   Anteil (%)
                                              100
35,9 % der Frauen und
                                               90
21,0 % der Männer.
                                               80

                                               70

                                               60

                                               50

                                               40

                                               30

                                               20

                                               10
                            Abbildung 3
                  Prozentuale Anteile der
                                                          Schlechter/    Starke Einschränkungen  Seit mind. sechs           Schwerwiegende       Schwerwiegende       Schwerwiegende Mobi-
 Gesundheitsindikatoren nach Geschlecht                 sehr schlechter      durch Krankheit    Monaten chronisch          Sehschwierigkeiten   Hörschwierigkeiten     litätseinschränkungen
                und ADL-Einschränkung                 Gesundheitszustand                               krank                                                         (Laufen, Treppensteigen)
                   (gewichtete Analysen)                Frauen mit ADL                 Frauen ohne ADL   Männer mit ADL       Männer ohne ADL
          Quelle: GEDA 2019/2020-EHIS               ADL = basale Aktivitäten des täglichen Lebens

     Journal of Health Monitoring 2022 7(1)                                                                                                                                       14
Journal of Health Monitoring    Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten und Unterstützungsbedarfe – Auswertungen der Studie GEDA 2019/2020-EHIS                                 FOCUS

                            Abbildung 4              Anteil (%)
                                              100
                  Prozentuale Anteile der
 Gesundheitsindikatoren nach Geschlecht        90
               und IADL-Einschränkung          80
                   (gewichtete Analysen)
                                               70
          Quelle: GEDA 2019/2020-EHIS
                                               60

                                               50

                                               40

                                               30

                                               20

33,5 % der Frauen ab                           10
80 Jahren und 19,6 % der
                                                          Schlechter/    Starke Einschränkungen  Seit mind. sechs                Schwerwiegende        Schwerwiegende       Schwerwiegende Mobi-
gleichaltrigen Männer geben                             sehr schlechter      durch Krankheit    Monaten chronisch               Sehschwierigkeiten    Hörschwierigkeiten     litätseinschränkungen
große Schwierigkeiten an,                             Gesundheitszustand                               krank                                                               (Laufen, Treppensteigen)
                                                        Frauen mit IADL                Frauen ohne IADL      Männer mit IADL       Männer ohne IADL
gelegentlich schwere                                IADL = instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens

Hausarbeit zu erledigen.                      der Frauen und 61,0 % der Männer eine niedrige Bildung                           zeigen sich für die IADL-Einschränkungen. Personen mit
                                              und 4,3 % beziehungsweise 10,6 % eine hohe Bildung auf;                          ADL- oder IADL-Einschränkung leben häufiger alleine als
                                              bei Personen ohne ADL-Einschränkung weisen 43,4 % der                            Personen ohne Einschränkungen: bei den Frauen beträgt
                                              Frauen und 42,1 % der Männer eine niedrige und 10,9 %                            der Anteil fast drei Viertel, bei den Männern sind es jeweils
                                              beziehungsweise 21,1 % eine hohe Bildung auf. Bei den                            um die 60 %, während nur etwa die Hälfte der Frauen und
                                              Personen mit IADL-Einschränkung geben 61,0 % der Frauen                          etwa 40 % der Männer ohne Einschränkungen alleine lebt.
                                              und 52,0 % der Männer eine niedrige Bildung und 5,0 %                            In Bezug auf die Gemeindegrößen (städtisch/ländlich) zei-
                                              beziehungsweise 13,1 % eine hohe Bildung an; bei Perso-                          gen sich keine Unterschiede.
                                              nen ohne IADL-Einschränkung sind dies 41,2 % der Frauen
                                              und 42,1 % der Männer beziehungsweise 11,5 % der Frauen                          3.4 Erhaltene und fehlende Unterstützung in der
                                              und 21,5 % der Männer. Unterhalb der Armutsgrenze leben                              Ausübung von ADL und IADL
                                              30,6 % der Frauen und 29,3 % der Männer mit ADL-Ein-
                                              schränkungen, aber nur 18,7 % der Frauen und 15,4 % der                          Die Mehrheit der Personen mit Einschränkungen in einer
                                              Männer ohne ADL-Einschränkungen. Ähnliche Ergebnisse                             basalen Aktivität des täglichen Lebens (68,1 % der Frauen

     Journal of Health Monitoring 2022 7(1)                                                                                                                                             15
Journal of Health Monitoring    Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten und Unterstützungsbedarfe – Auswertungen der Studie GEDA 2019/2020-EHIS                                       FOCUS

                                      Tabelle 1                                                                      Frauen                                                                      Männer
             Prozentualer Anteil von Personen                                                           Altersgruppe (Jahre)                                                          Altersgruppe (Jahre)
  mit erhaltener und fehlender Unterstützung                          55 – 64            65 – 79           ≥ 80    Gesamt                                55 – 64         65 – 79         ≥ 80    Gesamt
bei vorliegenden ADL­ beziehungsweise IADL­       ADL-Einschränkung                                                                  ADL-Einschränkung
 Einschränkungen nach Geschlecht und Alter          n                      50               104              111             265       n                       30            70             52           152
                        (gewichtete Analysen)      Erhaltene              61,6              56,1            79,0            68,1      Erhaltene              54,3           61,7          54,6           57,5
                                                   Unterst. (%)                                                                       Unterst. (%)
               Quelle: GEDA 2019/2020-EHIS
                                                   (95 %-KI)     (42,4 – 77,8)     (41,3 – 69,9) (64,9 – 88,4) (59,0 – 76,0)          (95 %-KI)     (28,4 – 78,1)   (44,3 – 76,5) (32,2 – 75,3) (44,7 – 69,3)
                                                   (Mehr) Unterst.        53,7              50,2          46,0          48,8          (Mehr) Unterst.        35,0            54,0          35,6          43,2
                                                    benötigt (%)                                                                       benötigt (%)
                                                   (95 %-KI)     (35,2 – 71,2)     (36,4 – 64,2) (32,6 – 60,0) (39,9 – 57,8)          (95 %-KI)     (15,4 – 61,4)   (37,7 – 69,5) (18,3 – 57,8) (31,8 – 55,3)
                                                  IADL-Einschränkung                                                                 IADL-Einschränkung
                                                    n                     160                308            310             778        n                      105           160            147           412
                                                   Erhaltene              79,3              80,9            90,6            85,3      Erhaltene              66,7           74,5          77,5           73,1
                                                   Unterst. (%)                                                                       Unterst. (%)
 Einschränkungen bei                               (95 %-KI)     (68,6 – 87,1)     (72,0 – 87,5) (85,1 – 94,1) (81,1 – 88,8)          (95 %-KI)     (52,4 – 78,4)   (62,3 – 83,8) (66,3 – 85,8) (66,1 – 79,1)
                                                   (Mehr) Unterst.        55,7              48,0          36,0          43,6          (Mehr) Unterst.        48,6            51,9          33,1          44,2
 Alltagsaktivitäten können mit                      benötigt (%)                                                                       benötigt (%)
 dem weiblichen Geschlecht,                        (95 %-KI)     (44,5 – 66,3)     (39,6 – 56,6) (28,2 – 44,5) (38,3 – 49,1)          (95 %-KI)     (35,0 – 62,5)   (30,9 – 63,6) (23,1 – 44,9) (37,1 – 51,6)

 höherem Alter, einer niedrigen                                                                                    Gesamt
                                                                                                        Altersgruppe (Jahre)
 Bildung, einem schlechten                                            55 – 64            65 – 79           ≥ 80    Gesamt
 Gesundheits­zustand sowie                        ADL-Einschränkung                                                                  und 57,5 % der Männer) (Tabelle 1) gibt an, normalerweise
                                                    n                       80               174            163              417     Hilfe bei diesen Tätigkeiten zu erhalten. Frauen erhalten
 krankheits­bedingten                              Erhaltene              54,6              57,6            71,7            63,1
                                                   Unterst. (%)                                                                      im Durchschnitt häufiger Hilfe als Männer. Allerdings
 Einschränkungen in                                                                                                                  schwankt der Anteil der Personen, die (mehr) Hilfe benö-
                                                   (95 %-KI)     (38,3 – 70,0)     (46,3 – 68,1) (58,8 – 81,8) (55,5 – 70,0)
 Verbindung gebracht werden.                       (Mehr) Unterst.        50,3              51,0          42,9          47,4         tigen, je nach Altersgruppe und Geschlecht zwischen 35,0 %
                                                    benötigt (%)
                                                                                                                                     und 53,7 %.
                                                   (95 %-KI)     (34,5 – 66,0)     (40,4 – 61,6) (31,7 – 54,8) (40,2 – 54,7)
                                                  IADL-Einschränkung                                                                    Hinsichtlich der Hilfe und Unterstützung bei IADL-Ein-
                                                    n                      265              468              457          1.190      schränkung zeigt sich, dass der überwiegende Anteil der
                                                   Erhaltene              74,3              78,7            87,1           81,4      Befragten nicht auf sich alleine gestellt ist; bei 85,3 % der
                                                   Unterst. (%)
                                                   (95 %-KI)     (65,7 – 81,3)     (71,8 – 84,3) (82,3 – 90,8) (77,8 – 84,5)
                                                                                                                                     Frauen und 73,1 % der Männer gibt es Personen im Umfeld,
                                                   (Mehr) Unterst.        27,9              28,0          29,2          28,3         die Hilfe leisten. Allerdings fehlt auch hier in Abhängigkeit
                                                    benötigt (%)                                                                     von Geschlecht und Altersgruppe jeder zweiten oder drit-
                                                   (95 %-KI)     (24,0 – 32,3)     (24,7 – 31,5) (25,0 – 33,8) (26,1 – 30,7)         ten Person die Unterstützung, die sie hier benötigen würde
                                                  ADL = basale Aktivitäten des täglichen Lebens, IADL = instrumentelle Aktivitäten
                                                  des täglichen Lebens, KI = Konfidenzintervall, Unterst. = Unterstützung            (Tabelle 1).

        Journal of Health Monitoring 2022 7(1)                                                                                                                                                    16
Journal of Health Monitoring    Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten und Unterstützungsbedarfe – Auswertungen der Studie GEDA 2019/2020-EHIS            FOCUS

                                         4. Diskussion                                                      Faktor [34]. ADL- und IADL-Einschränkungen entstehen im
                                                                                                            Zusammenhang mit (Multi-)Morbidität und IADL geht ADL
                                         Mit den vorliegenden Ergebnissen liegen valide Daten über          voran. Die vorliegenden Ergebnisse konnten deutlich auf-
                                         Einschränkungen in Alltagsaktivitäten bei einer großen             zeigen, dass ADL-Eingeschränkte häufig durch Erkrankun-
                                         Stichprobe älterer Menschen ab 55 Jahren vor, die in               gen beeinträchtigt sind.
                                         Deutschland in privaten Haushalten leben. Die Prävalen-                Seh- und Höreinschränkungen sind in der Bevölkerung
                                         zen von ADL- beziehungsweise IADL-Einschränkungen sind             ab 55 Jahren nicht sehr häufig und werden offenbar recht
                                         in Deutschland insgesamt niedrig. Etwa ein Zehntel der             gut durch Hilfsmittel kompensiert. Diese wurden im Inter-
                                         Befragten weisen IADL-Einschränkungen auf, ein niedrige-           view einbezogen, sodass die benannten Einschränkungen
                                         rer Anteil gibt ADL-Einschränkungen an (5,8 % der Frauen,          gegebenenfalls mit Hilfsmitteln auftreten. Auch hier zeigt
                                         3,7 % der Männer). ADL- und IADL-Einschränkungen kön-              sich, dass ADL- und IADL-eingeschränkte Menschen häu-
                                         nen mit dem weiblichen Geschlecht, einem höheren Alter,            figer betroffen sind, was das Risiko von weiterem Verlust
                                         einer niedrigeren Bildung, einem schlechteren Gesund-              von funktionalen Kapazitäten erhöhen kann [35].
                                         heitszustand, krankheitsbedingten Einschränkungen sowie                Alleinlebende sind häufiger in der Ausübung von Alltags­
                                         Seh-, Hör- und Mobilitätseinschränkungen in Verbindung             tätigkeiten eingeschränkt als Personen in Mehrpersonen-
                                         gebracht werden. Ergebnisse aus der vorherigen GEDA-               haushalten, wie auch andere Studien zeigen [36–38]. Dies
                                         Erhebung aus dem Jahr 2014 [5] zeigen ähn­liche Zusam-             birgt Implikationen für die Politik und die Versorgung in
                                         menhänge für Deutschland und den Staaten der Europäi-              sich. Hier könnten Angebote zur Unterstützung von Allein-
                                         schen Union.                                                       lebenden möglicherweise schwerere Einschränkungen ver-
                                             Es zeigte sich, dass Frauen in allen drei Altersgruppen        meiden, wenn zum Beispiel aufsuchende Hilfen zur Verfü-
                                         häufiger von Einschränkungen betroffen sind als Männer,            gung gestellt werden könnten.
                                         was sich auch in vielen europäischen und außereuropäi-                 Ein Stadt-Land-Unterschied im Hinblick auf die Häufig-
                                         schen Studien findet [31–33]. In einer schwedischen Studie         keit von Einschränkungen, die in einer Studie [39] gezeigt
                                         wird zudem gezeigt, dass Einschränkungen über die                  werden konnte, ist in der vorliegenden Studie nicht zu
                                         Geburtskohorten tendenziell abnehmen. Offen ist dabei              sehen. Die GEDA-Daten zeigen keinen Zusammenhang
                                         allerdings, ob es sich dabei um eine wirkliche Reduktion           zwischen Größe des Wohnorts und den Anteilen von ADL-
                                         handelt oder ob die Einschränkungen erst im späteren               beziehungsweise IADL-Eingeschränkten.
                                         Lebensalter auftreten.                                                 Zudem zeigen sich Zusammenhänge mit der sozialen
                                             ADL- und IADL-Einschränkungen sind in aller Regel in           Lage: Personen mit einer ADL- oder IADL-Einschränkung
                                         bestehenden chronischen Krankheiten begründet und die              sind häufiger armutsgefährdet als Personen ohne eine ADL-
                                         Anzahl der Erkrankungen beziehungsweise das Vorliegen              oder IADL-Einschränkung. Ähnliche Ergebnisse finden sich
                                         von Multimorbidität ist hierbei ein weiterer relevanter            zum Beispiel in einer englischen Längsschnittstudie [40]

Journal of Health Monitoring 2022 7(1)                                                                                                                        17
Journal of Health Monitoring    Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten und Unterstützungsbedarfe – Auswertungen der Studie GEDA 2019/2020-EHIS            FOCUS

                                         mit der Schlussfolgerung, dass Initiativen zur Verbesse-           Lage und zu Funktionseinschränkungen bei Bewohnerin-
                                         rung der sozialen Teilhabe und der sozialen Unterstützung          nen und Bewohnern von Pflegeheimen. Es ist davon aus-
                                         älterer Menschen gefördert werden sollten. Gerade im Hin-          zugehen, dass die Häufigkeiten der Einschränkungen unter
                                         blick auf Unterstützung, die beeinträchtigten und hochalt-         diesen höher sind als bei Personen in Privathaushalten [46].
                                         rigen Menschen häufiger fehlt, scheint hier Nachbesse-             Darüber hinaus wurden vermutlich insbesondere die Anga-
                                         rungsbedarf vorzuliegen [41, 42]. Insgesamt scheint es             ben zu schwerwiegenden Hörbeeinträchtigungen in der
                                         notwendig, Maßnahmen zur Verringerung oder Umkehr                  Allgemeinbevölkerung in GEDA 2019/2020-EHIS unter-
                                         der Einschränkungen der Alltagsaktivitäten bei älteren Men-        schätzt, da diese die Teilnahme an einer telefonischen
                                         schen zur Anwendung zur bringen, indem zum Beispiel                Befragung maßgeblich behindern. Zudem wurde in diesen
                                         auf kommunaler Ebene Bewegungsangebote oder präven-                Fällen und auch bei anderen Faktoren, die die Teilnahme
                                         tive Hausbesuche durchgeführt werden.                              behindern (z. B. Sprechstörungen, kognitive Einschränkun-
                                             Der Hilfe- und Unterstützungsbedarf ist unterschiedlich        gen oder krankheitsbedingte Abwesenheiten), auf die
                                         gut abgedeckt; bei Einschränkungen in den basalen Akti-            Durchführung einer Proxy-Befragung verzichtet, sodass
                                         vitäten erhalten Betroffene seltener als bei Einschränkun-         dies auch zu einer Unterschätzung von ADL- und IADL-Ein-
                                         gen in den instrumentellen Aktivitäten Hilfe und Unterstüt-        schränkungen beigetragen haben könnte. Auch wurde,
                                         zung. Zudem scheinen je nach Altersgruppe und Geschlecht           wenn nur einige Schwierigkeiten in der Ausübung von ADL
                                         etwa einem Drittel bis der Hälfte der Befragten mit Ein-           oder IADL vorlagen, dies als keine Einschränkung in ADL
                                         schränkungen Unterstützung zu fehlen. Dies steht in Ein-           oder IADL definiert. Methodische Studien sollten hier klä-
                                         klang mit Befunden aus anderen Studien [41, 43–45]. Kör-           ren, inwieweit diese Definition in Bezug auf die dahinter-
                                         pernahe Unterstützungsleistungen sind möglicherweise               liegenden Kompetenzdimensionen im Verhältnis zu den
                                         über informell Helfende weniger einfach zu erbringen als           anderen Antwortkategorien vergleichbar sind.
                                         Unterstützung bei verschiedenen Haushaltstätigkeiten [46].             Die Datenerhebung erfolgte im Zeitraum 2019 bis
                                         Dies sollte für künftige Einschätzungen zum Beispiel im            2020 und schließt Zeiten strikter Eindämmungsmaßnah-
                                         Rahmen einer Begutachtung durch die medizinischen                  men während der COVID-19-Pandemie ein. Analysen zu
                                         Dienste der Krankenkassen im Bereich Selbstversorgung              dadurch veränderten Teilnahmebereitschaften stehen aus.
                                         im Hinblick auf die Gewährleistung von Unterstützungs-             Analysen beispielsweise zu Veränderungen im Unterstüt-
                                         leistungen beachtet werden.                                        zungs- beziehungsweise Hilfebedarf in der Bevölkerung
                                             Als Limitation der Studie ist zu beachten, dass es sich        ab 55 Jahren zeigten jedoch keine pandemiebedingten
                                         bei GEDA 2019/2020-EHIS um eine bevölkerungsbezogene               Schwankungen [47]. Schließlich können durch das quer-
                                         Querschnittstudie handelt, basierend auf telefonischen             schnittliche Design keine Aussagen zu den Ursachen, dem
                                         Befragungen in Privathaushalten. Die vorliegenden Daten            Verlauf oder den Folgen von Alltagseinschränkungen
                                         ermöglichen daher keine Aussage zur gesundheitlichen               gemacht werden.

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