Journal - Zukunft nach Corona Wie geht es nach der Krise weiter?

Die Seite wird erstellt Martin Adler
 
WEITER LESEN
Journal - Zukunft nach Corona Wie geht es nach der Krise weiter?
Ausgabe 1 / 2021

                               Journal
Themen aus Politik & Wirtschaft sowie News und Aktivitäten des BWA Deutschland

          Herausgegeben vom Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA)

                                          Zukunft nach Corona
                                               Wie geht es nach der Krise weiter?
Journal - Zukunft nach Corona Wie geht es nach der Krise weiter?
Anzeige

Unsere Mitglieder verbindet die Überzeugung, dass Politik und Wirtschaft vom verantwortlichen Engagement jedes Einzelnen
leben. Im Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft stellen sich Führungskräfte aus Wirtschaft, Wissen-
schaft und öffentlichem Leben einer gemeinsamen Verantwortung: Jenseits aller Partikularinteressen treten sie ein für eine
Ökosoziale Marktwirtschaft, die nachhaltigen Wohlstand für alle Menschen schafft und hilft, unsere Welt für kommende Gene-
rationen zu bewahren.

Werden Sie Teil eines Wirtschaftsverbands neuer Art und erschließen Sie sich unser exklusives Unternehmernetzwerk im In- und
Ausland. Bei Empfängen, Seminaren und Delegationsreisen beraten wir Sie mit Entscheidungsträgern aus Politik und Verwal-
tung und knüpfen wertvolle Kontakte. Sie profitieren weiterhin vom langjährigen Know-How unseres Netzwerks in der Außen-
wirtschaft.

Lernen Sie uns kennen: Im Internet unter www.bwa-deutschland.de oder persönlich, bei einem Besuch in unserer Geschäfts-
stelle im Berliner Kranzler Eck.

BWA Bundesgeschäftsstelle
Kranzler Eck Berlin
Kurfürstendamm 22
10719 Berlin
Tel: 030 / 700 11 43 0
Fax: 030 / 700 11 43 20
Email: info@bwa-deutschland.de

       BWA

                                                            |2|
Journal - Zukunft nach Corona Wie geht es nach der Krise weiter?
Inhaltsverzeichnis

                                           Editorial

                                             Begrüßung durch den Präsidenten und Vorstandsvorsitzenden                          4
                                             Thomas Sapper und Michael Schumann

                                           Zukunft nach Corona                                                                  6

                                             „Wir brauchen eine starke, politisch handlungsfähige EU“                           6
                                             Interview mit Dr. Hans-Peter Friedrich, MdB (CSU)

Im Gespräch mit Dr. Hans-Peter Friedrich     „Die Zukunft der Corona-Strategie:            Eine liberale Perspektive“           8
                                             Beitrag von Wolfgang Kubicki, MdB (FDP)

                                             „Unsere Kooperation steht auf einem soliden Fundament“                            10
                                             Interview mit S.E. Wu Ken, Botschafter der Volksrepublik China

                                             „Wir blicken mit Optimismus in die Zukunft“                                       12
                                             Interview mit S.E. Sergej J. Netschajew, Botschafter der Russischen Förderation

                                             „Eine Chance für die Zusammenarbeit“                                              14
                                             Beitrag von Johann Saathoff, MdB (SPD)

                                             „Mitgestalten, statt nur verwalten“                                               16
              Interview mit S.E. Wu Ken      Beitrag von Marcus Held, MdB (SPD)

                                             „Absatzmärkte und Lieferketten globalpolitisch gedacht“                           18
                                             Beitrag von Dr. Stefan Tetzlaff, Humboldt-Universität zu Berlin

                                             „Die USA nach Trump - eine europäische                Vision“                     20
                                             Beitrag von Alexander Kulitz, MdB (FDP)

                                             „Eine besondere Beziehung“                                                        22
                                             Beitrag von Ursula Rutovitz

                                             „Junge Menschen brauchen Perspektiven“                                            24
                                             Beitrag von Stephan Albani, MdB (CDU)
     Russland: Partner für Deutschland?
                                             „Masse statt Klasse“                                                              26
                                             Beitrag von Prof. Dr. Jörn-Axel Meyer, Deutsches Institut für KMU

                                           Transport und Logistik                                                              28

                                             „An der Digitalisierung der Schiene führt kein Weg                  vorbei“       28
                                             Beitrag von Prof. Dr. Sabina Jeschke, Vorstand Deutsche Bahn AG

                                             „Schneller als zu Wasser“                                                         30
                                             Beitrag von Anton Kozlow, Russische Eisenbahnen

                                           Aus dem Verband                                                                     32
            Digitalisierung bei der Bahn
                                           Kooperationen                                                                       42

                                           Kurz notiert / Ansprechpartner / Impressum                                          47

                                                                                                                                    BWA

                                                             |3|
Journal - Zukunft nach Corona Wie geht es nach der Krise weiter?
Editorial

                           Liebe Mitglieder und Freunde des BWA,

                                                Wir müssen jetzt den Mut fassen, in die Zu-      hunderttausende Betriebe werden von der
           Thomas Sapper                        kunft zu blicken und die Fragen zu stellen,      unternehmerischen Landkarte verschwinden.
                                                die uns dahingehend beschäftigen werden.         Damit einhergehend werden Bund, Länder
                                                Was kommt danach? Schon jetzt ist abseh-         und Kommunen durch die resultierenden
                                                bar, dass sich internationale Reisetätigkeiten   Steuerausfälle auf bisher ungekannte Weise
                                                und deren Schwerpunkte verschieben wer-          belastet. Wir müssen auch der Tatsache ins
                                                den. Die klassische Geschäftsreise, wie wir      Auge blicken, dass die Steuer- und Abgaben-
                                                sie bis dato kannten, kommt nicht eins zu        last, wo Deutschland ebenfalls Weltmarkt-
                                                eins wieder wie vor der Krise und auch sonst     führer ist, in diesem Jahr trotz der Bundes-
                                                werden wir noch eine lange Zeit mit erheblich    tagswahl nicht sinken wird.
                                                reduziertem Reiseverkehr leben. Unsere Ar-       In diesen Zeiten der Unsicherheit ist ein
                                                beitswelt und das Arbeitsumfeld an vielen Ar-    starkes und verlässliches Netzwerk, wie der
                                                beitsplätzen werden sich nachhaltig ändern.      BWA es bietet, mehr denn je gefordert. Die
                                                Digitale Prozesse und Abläufe werden eine        beachtliche Resilienz, die unser Verband
                                                neue Selbstverständlichkeit im Arbeitsleben      während der Corona-Krise gezeigt hat, ist
                                                unserer Volkswirtschaft gewinnen, worauf         für uns Motivation und Verpflichtung zu-
                                                wir in der Ausbildung zukünftiger Fach- und      gleich, weiterhin kontinuierlich im Interesse
                                                Führungskräfte dringend orientieren müssen.      unserer Mitglieder zu wirken, um auch in der
                                                Auch die unangenehmen Folgen der Kri-            Zukunft als Partner an Ihrer Seite zu stehen.
                                                se dürfen wir nicht ignorieren. Nach dem         Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche
 Thomas Sapper, seit April 2018 Präsident       Auslaufen der Kurzarbeit werden dem Ar-          Lektüre unseres neuen BWA-Journals und
 des BWA, blickt auf eine lange Karriere in     beitsmarkt mittelfristig Millionen Arbeit-       lade Sie herzlich ein, mit uns in den Austausch
 der deutschen Bauwirtschaft zurück. Als        nehmer zur Verfügung stehen. Die von der         zu treten.
 Vorstandsvorsitzender der DFH Deut-            Bundesregierung beschlossene Aussetzung
 sche Fertighaus Holding AG führte er das       der Insolvenzantragspflicht hat das Problem      Ihr Thomas Sapper
 Unternehmen zur Marktführerschaft im           nur in zeitlicher, nicht aber in qualitativer    Präsident
 deutschen Fertighausbau mit ca. 2.000          Dimension verschoben. Zehntausende bis
 Bauprojekten und 280 Mio. EUR Umsatz
 jährlich. Sapper war Vorstandsmitglied des
 Bundesverbandes Deutscher Fertigbau
 (BDF) und Präsident des Europäischen
 Fertigbauverbandes (EVF). 2012 in den
 BWA Senat berufen, gehört er dem Präsi-
 dium des BWA seit 2013 an.

Im Rückblick auf das Jahr 2020 werden uns
vor allem die Corona-Pandemie und ihre fun-
damentalen Auswirkungen auf Wirtschaft,
Gesellschaft und menschliches Miteinander
im globalen Maßstab in Erinnerung blei-
ben. Allein in Deutschland kämpfen hun-
derttausende Betriebe und damit verbunden
Millionen von Arbeitnehmern infolge der
Maßnahmen zur Krisenbewältigung um ihre
wirtschaftliche Existenz. Vielen ist noch gar
nicht bewusst, welche grundlegenden Verän-
derungen infolge dieser globalen Katastrophe
bevorstehen. Noch befindet sich Deutschland
in einer Form der Schockstarre, die an vielen
Stellen ein unternehmerisches Engagement
hemmt und Begegnungen, die unerlässlich
für den Vertrauens- und Geschäftsaufbau
sind, massiv erschwert.

        BWA

                                                                     |4|
Journal - Zukunft nach Corona Wie geht es nach der Krise weiter?
Editorial

                                       Liebe Leserinnen und Leser,

                                                                                                        Michael Schumann

                                                                                                 Michael Schumann ist Vorstandsvorsit-
Das Jahr 2020 liegt nun hinter uns und hat     zukünftigen Entwicklung zur Sprache, eben-        zender des BWA. 2006 in den BWA-Senat
uns alle in besonderer Weise gefordert. Über   so wie versierte Kenner der transatlantischen     berufen, gehört er dem Vorstand des BWA
die Corona-Pandemie und deren Folgen für       Beziehungen unsere aktuelle Standortbestim-       bereits seit 2013 an. Schumann war mehr
Wirtschaft und Gesellschaft ist hinreichend    mung gegenüber den USA verorten. Natür-           als 15 Jahre lang in den Bereichen Politikbe-
geschrieben worden. Die tatsächlichen mit-     lich kommen auch Experten aus Wirtschaft          ratung, Public Affairs und Public Relations
tel- und langfristigen Auswirkungen werden     und Wissenschaft zu Wort, etwa zur Frage          tätig und hatte leitende Positionen in ver-
noch zu analysieren sein. Mit dem vorliegen-   des Fachkräftemangels oder den Potenzialen        schiedenen Agenturen, Wirtschafts- und
den Journal möchten wir den Blick bewusst      asiatischer Märkte.                               Medienverbänden inne, bevor er 2010 für
nach vorne richten und einige Perspektiven     Wir sind beim BWA der Überzeugung, dass           mehrere Jahre nach China ging, wo er
aufzeigen, von denen wir denken, dass sie      eine schnelle wirtschaftliche Erholung unse-      politische Institutionen, kommunale Ent-
infolge der globalen Entwicklungen an Re-      res Landes jetzt ein entschlossenes Handeln       scheidungsträger und große Unternehmen
levanz gewinnen werden.                        benötigt. In den vergangenen zwei Jahrzehn-       bei ihrer Internationalisierung beriet und
Die Diskussion um die Bedeutung zuver-         ten hat der BWA immer wieder wichtige Im-         nach Deutschland führte. Er setzt sich seit
lässiger Lieferketten hat der politischen      pulse zur Förderung des Wirtschaftsstandor-       vielen Jahren für die deutsch-chinesische
Bedeutung der Außenwirtschaft eine neue        tes Deutschland geleistet.                        Freundschaft ein, und übernahm den Vor-
Dynamik verliehen. Für Deutschland als         Wir engagieren uns kontinuierlich für mehr        standsvorsitz des BWA im April 2018.
exportabhängiger Nation bedarf es hierfür      Sachverstand in der politischen wie wirt-
starker internationaler Partnerschaften.       schaftlichen Debatte im ständigen Austausch
Welche außenwirtschaftliche Orientierung       mit führenden Akteuren aus Politik, Diplo-       Der BWA wird weiter daran arbeiten, seine
sollte Deutschland in den kommenden Jahren     matie, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilge-     internationalen Verbindungen zu festigen
einnehmen? Das Verhältnis zwischen eigenen     sellschaft. Ich hoffe, dass von den Beiträgen,   und auszubauen, um Ihren geschäftlichen
Werten und Prinzipien und neuen wirtschaft-    die wir in diesem Heft versammelt haben,         Erfolg bestmöglich zu unterstützen. Ich wün-
lichen Gestaltungsmächten muss sorgfälig       einige Anregungen ausgehen, wie wir die          sche Ihnen den Mut, mit Optimismus und
abgewogen werden. Im vorliegenden Journal      Zukunft unseres Landes nach der Corona-          neuen Ideen nach vorne zu blicken, und die
diskutieren zwei Vizepräsidenten des Deut-     Pandemie gestalten können. Dabei sind wir        Tatkraft und Kreativität, diese Impulse in
schen Bundestages, Dr. Hans-Peter Friedrich    beim BWA immer offen für neue Sichtweisen,       unternehmerisches und persönliches Wirken
und Wolfgang Kubicki, die gegenwärtigen        und ich möchte Sie an dieser Stelle dazu ein-    schöpferisch einfließen zu lassen.
Entwicklungstendenzen. Der Russland- und       laden, mit uns in den Dialog zu treten und
Osteuropabeauftragte der Bunderegierung,       sich bei uns zu engagieren.
Johann Saathoff, blickt auf die Beziehungen    In einer Zeit, in der persönliche und inter-     Ihr Michael Schumann
zu unseren östlichen Nachbarn. Die Bot-        nationale Begegnungen nur schwer möglich         Vorstandsvorsitzender
schafter Chinas und Russlands bringen in       waren, hat sich unser globales Wirtschafts-
exklusiven Interviews ihre Perspektive der     netzwerk von unschätzbarem Wert erwiesen.

                                                                                                                                                 BWA

                                                                    |5|
Journal - Zukunft nach Corona Wie geht es nach der Krise weiter?
Zukunft nach Corona

                        Interview mit Dr. Hans-Peter Friedrich, MdB
                  Vizepräsident des Deutschen Bundestages und Bundesminister a.D.
                                                    werden, etwa die Folgen, die diese Zeit für     Dr. Hans-Peter Friedrich: Das Debattenkli-
  Dr. Hans-Peter Friedrich, MdB                     Kinder, Jugendliche, ältere Menschen und        ma wird zusehends rauer und unversöhnli-
                                                    Familien hatte. Es drohen schon jetzt gesell-   cher. Schlimmer noch, mit intolerantem Ton
                                                    schaftliche Strukturen wie das Vereinsleben     spricht man teilweise anderen Meinungen die
                                                    wegzubrechen.                                   Legitimität ab. Einen Beitrag zu dieser Ent-
                                                                                                    wicklung leisten sicher die sozialen Medien,
                                                    BWA-Journal: Wie beurteilen Sie als ehema-      in denen sich jeder auch anonym und unter
                                                    liger Bundesinnenminister das Verhältnis von    Außerachtlassung einfachster Anstandsre-
                                                    Infektionsschutz und Bürgerrechten in der ge-   geln äußern kann. Und schließlich können
                                                    genwärtigen Umsetzung der Maßnahmen zur         die einzelnen Internet-Filterblasen, in denen
                                                    Pandemiebekämpfung? Entwickeln wir gerade       man leicht ausschließlich seinesgleichen fin-
                                                    ein neues Verständnis von innerer Sicherheit?   det, die Radikalisierung unterschiedlicher
                                                                                                    Positionen befeuern.
                                                    Dr. Hans-Peter Friedrich: Zum Verständ-
                                                    nis innerer Sicherheit gehört schon immer,      BWA-Journal: Was ist aus Ihrer Sicht not-
                                                    den Schutz von Leben und Gesundheit der         wendig, um demokratische Diskurse zu stärken
                                                    Bürger zu gewährleisten. Daran hat sich         und den politischen Rändern den Nährbo-
                                                    nichts geändert. Vielmehr ging es in den        den für die Besetzung von Themenfeldern zu
                                                    letzten Wochen und Monaten eher darum,          entziehen, deren Lösungen in der Mitte der
                                                    das Verhältnis zwischen Sicherheit, also        Gesellschaft gefunden werden sollten?
 Dr. Hans-Peter Friedrich ist Bundes-               Lebens- und Gesundheitsschutz, und der
 tagsabgeordneter und Vizepräsident des             Gewährung von Freiheitsrechten, wie zum         Dr. Hans-Peter Friedrich: Jede Meinung,
 Deutschen Bundestages. Zuletzt war er              Beispiel der Versammlungsfreiheit, immer        und sei es eine Mindermeinung oder eine
 Bundesminister des Innern und Bundes-              wieder neu auszutarieren. Parallel zum In-      radikale Meinung, muss im Diskurs ernst
 minister für Landwirtschaft. Davor war             fektionsgeschehen bzw. zur Belastung unseres    genommen und behandelt werden. Bestimm-
 Dr. Friedrich stellvertretender Vorsitzender       Gesundheitssystems waren - und sind immer       te Meinungen zu diskreditieren oder tot-
 der CDU/CSU-Fraktion und Vorsitzender              noch - die Maßnahmen zur Unterbrechung          zuschweigen, statt mit ihnen argumentativ
 der CSU-Landesgruppe im Deutschen                  der Infektionsketten immer wieder neu zu        umzugehen, stärkt die radikalen Ränder.
 Bundestag.                                         bewerten und auf ihre Verhältnismäßigkeit
                                                    hin zu überprüfen. Bislang ist uns das gut      BWA-Journal: Welche Maßnahmen sind aus
                                                    gelungen.                                       Ihrer Sicht notwendig, um die führende Stel-
BWA-Journal: Herr Dr. Friedrich, unser                                                              lung des Wirtschaftsstandortes Deutschland
Land und die gesamte Welt wurden durch              BWA-Journal: Was ist Ihre Wahrnehmung           zukünftig zu sichern? Was ist Ihr Ratschlag
die Corona-Krise in eine wirtschaftliche und        des gesellschaftlichen Debattenklimas in den    für Unternehmer unter den gegenwärtigen
gesellschaftliche Krise ungeahnten Ausmaßes         letzten Jahren?                                 Umständen?
geworfen. Wie beurteilen Sie die bisherige
Bewältigung der Pandemie in Deutschland
vom heutigen Zeitpunkt aus rückblickend und
welche Entwicklungen erwarten Sie für das
Jahr 2021?

Dr. Hans-Peter Friedrich: Deutschland
ist bisher im Vergleich zu anderen Ländern
relativ gut durch die Krise gekommen. Das
entschlossene Handeln der Politik hat sicher
dazu beigetragen, aber der eigentliche Grund
liegt darin, dass unsere Wirtschaft eine sehr
solide Substanz hat, die es jetzt weiter zu stär-
ken gilt. Die wirtschaftliche Entwicklung
2021 wird entscheidend davon abhängen,
ob es gelingt, die Akzeptanz der Präventiv-
maßnahmen aufrecht und die Infektions-
zahlen gering zu halten. Es sollten auch die
gesellschaftlichen Effekte nicht unterschätzt

         BWA

                                                                        |6|
Journal - Zukunft nach Corona Wie geht es nach der Krise weiter?
Zukunft nach Corona

Dr. Hans-Peter Friedrich: Zunächst einmal         mus im In- und Ausland entgegenzuwirken.
muss sich der Staat auf das konzentrieren,        Der BWA muss für diese Erfolgsgrundlage
was seine Aufgabe ist, nämlich Rahmenbe-          der deutschen Wirtschaft auch politisch of-
dingungen zu schaffen, die Wirtschaften           fensiv eintreten.
und Investieren ermöglichen. Dazu gehören
Infrastruktur, Bildung und Forschung zu           BWA-Journal: Wie muss sich Deutschland
finanzieren und voranzubringen. Und der           gegenüber den globalen Gestaltungsmächten
Staat muss es unterlassen, den eigenen Unter-     USA, China und Russland sowie innerhalb der
nehmen neue Belastungen finanzieller oder         EU positionieren, um seine Interessen weiter
bürokratischer Art aufzubürden, die sie im        zielgerichtet zu verfolgen? Welche Partner-
internationalen Wettbewerb behindern. Im          schaften gilt es dazu aus Ihrer Sicht in den
Gegenteil: Unternehmen brauchen jetzt für         nächsten Jahren zu intensivieren?
Innovation und Transformation neue finan-
zielle Möglichkeiten und Handlungsspielräu-       Dr. Hans-Peter Friedrich: Wir brauchen
me. Die Unternehmer müssen deshalb ihre           eine gemeinsame, starke und politisch hand-
Anforderungen an den Wirtschaftsstandort          lungsfähige Europäische Union. Die EU
und seine Bedingungen klar und vernehmbar         zusammenzuhalten, ist das wichtigste In-         können. Die größte Herausforderung aber
artikulieren.                                     teresse unseres Landes. Als wirtschaftlich       besteht darin zu verhindern, dass der Wettbe-
                                                  starkes Europa können wir in den interna-        werb der Weltmächte zu einer neuen Spaltung
BWA-Journal: Die Debatte um die Relevanz          tionalen Beziehungen der globalen Mächte         der Welt führt. Deutschland und Europa
der Digitalisierung hat durch diese Krise an      unsere eigene Rolle spielen. Viele Länder        müssen hier eine wichtige Brückenfunktion
neuer Dynamik gewonnen. Was sind Ihre             Zentralasiens, aber auch Südostasiens setzen     übernehmen.
Erwartungen an den Stand der Anwendung            auf Zusammenarbeit mit Deutschland und
digitaler Verfahren in Wirtschaft, Politik und    der Europäischen Union, ihnen müssen wir         BWA-Journal: Was sind Ihre persönlichen
Verwaltung in den kommenden Jahren?               die Hand reichen. Und wir haben eine ge-         Ideen für die Zukunft Deutschlands, die in
                                                  samteuropäische Mitverantwortung für den         der nächsten Wahlperiode umgesetzt werden
Dr. Hans-Peter Friedrich: Die Krise hat           afrikanischen Kontinent. Und schließlich         sollten?
deutlich gemacht, dass die Digitalisierung        geht es darum, mit Russland und vor allem
ein Potenzial hat, das es noch viel stärker zu    China gemeinsam die Stabilität auf dem eu-       Dr. Hans-Peter Friedrich: Erstens müssen
nutzen gilt. Ein Beispiel war die nur punktuell   rasischen Subkontinent zu gewährleisten, die     die Abläufe in Deutschland schneller wer-
funktionierende Umstellung von Schulun-           ein friedliches Miteinander für die Zukunft      den. Nur mit Planungsbeschleunigung und
terricht auf digitale Formate. Es muss jetzt      ermöglicht. Bei all diesen Aufgaben der EU       Entschlackung der öffentlichen Verfahren
darum gehen, die digitale Infrastruktur aus-      kommt Deutschland eine Führungsrolle zu.         wird es möglich sein, die Infrastruktur, auch
zubauen und in den nächsten zwei Jahren                                                            die digitale Infrastruktur, rasch auszubauen.
dafür zu sorgen, dass Behörden, Schulen,          BWA-Journal: Im vergangenen Jahr haben Sie       Zweitens brauchen Unternehmen, um im
Krankenhäuser und Gewerbegebiete mit              mit uns die China-Brücke gegründet und leiten    internationalen Wettbewerb zu bestehen,
Glasfaseranschlüssen ausgestattet werden          seitdem dieses Netzwerk von Entscheidungsträ-    finanzielle Handlungsspielräume. Die Sen-
und wir möglichst zügig das 5G Netz aus-          gern aus Politik und Wirtschaft. Was bewegt      kung der Unternehmenssteuer ist überfällig
bauen. Der Transformationsprozess in allen        Sie in Ihrem Engagement für die Vertiefung der   und neue Belastungen müssen unterbleiben.
Bereichen der Wirtschaft muss zügig voran-        Beziehungen zu China und welche Chancen          Nach der Corona-Krise wäre ein Belas-
getrieben werden, wobei es auch notwendig         und Herausforderungen sehen Sie darin für        tungsmoratorium für die gesamte deutsche
ist, die Sicherheit und Integrität der Netze im   Deutschland in den kommenden Jahren?             Wirtschaft nötig. Drittens muss das Land
Blick zu behalten.                                                                                 der Erfinder und Ingenieure wieder Lust auf
                                                  Dr. Hans-Peter Friedrich: Es überrascht          Unternehmer- und Pioniergeist bekommen.
BWA-Journal: Welche Rolle wird der Außen-         mich immer wieder, gefragt zu werden, wa-        Nur mit Innovation und neuer Technologie
wirtschaft unter den von Ihnen beschriebenen      rum ich die Beziehungen zu China für so          lässt sich Nachhaltigkeit erreichen. Wir brau-
Konstellationen zukommen und was kann der         wichtig halte. Allein ein Blick auf unsere       chen deshalb eine Forschungsförderung, die
BWA leisten, um die deutsche Wirtschaft bei       Wirtschaftsbeziehungen macht deutlich, wie       den Freiraum für neue Ideen eröffnet.
ihrem internationalen Engagement weiter zu        stark die chinesische und die europäische
unterstützen?                                     Wirtschaft inzwischen verflochten sind.          BWA-Journal: Herr Dr. Friedrich, herzlichen
                                                  Betrachtet man die großen politischen He-        Dank für das Gespräch und weiterhin viel
Dr. Hans-Peter Friedrich: Für das Export-         rausforderungen der Zeit, angefangen beim        Erfolg bei Ihrem politischen Wirken.
land Deutschland wird die Außenwirtschaft         Klimaschutz, über den weltweiten digitalen
auch in der Zukunft eine dominierende Rolle       Transformationsprozess bis hin zu neuen
spielen. Es muss jetzt darum gehen, die Be-       Technologien und dem medizinischen Fort-
deutung der arbeitsteiligen Wirtschaft und        schritt, wird erkennbar, dass keine dieser He-
offener Märkte zu unterstreichen und jeder        rausforderungen ohne engste Partnerschaft
Art von industriepolitischem Protektionis-        mit den USA und China bewältigt werden

                                                                                                                                                    BWA

                                                                       |7|
Journal - Zukunft nach Corona Wie geht es nach der Krise weiter?
Zukunft nach Corona

                               Die Zukunft der Corona-Strategie
                                                       Eine liberale Perspektive
                                                    einige Jahre, die noch viele gesellschaftliche     Innerhalb des ersten halben Jahres Ausnah-
     Wolfgang Kubicki, MdB                          Konflikte mit sich bringen werden.                 mezustand, in dem sich die Exekutive von
                                                    Doch der Reihe nach: In den Anfangstagen           Verordnung zu Verordnung hangelte, tru-
                                                    der Pandemie gab es im politischen Berlin          delten deshalb monatlich regelmäßig um die
                                                    keine zwei Meinungen. Die Bilder aus Ber-          zehn Entscheidungen von Ober- und Ver-
                                                    gamo ließen für Deutschland Schlimmes              fassungsgerichten ein. Hierin wurden einige
                                                    erahnen. Waren die Experten um Christian           der beklagten Anti-Corona-Maßnahmen als
                                                    Drosten und Lothar Wieler noch in den ersten       rechts- oder verfassungswidrig befunden.
                                                    Wochen des Jahres 2020 relativ entspannt,          Diese Eilentscheidungen ließen gleichzeitig
                                                    so erlebten wir Ende Februar/Anfang März           ein beunruhigendes und ein beruhigendes
                                                    eine vollständige Umkehrung der Risikoein-         Gefühl entstehen: Beunruhigend, weil sie
                                                    schätzung. Alle Fraktionen des Deutschen           das Ausmaß behördlicher Übergriffigkeiten
                                                    Bundestages stimmten daher im März der             offenlegten. Beruhigend, weil die Judikative
                                                    Änderung des Infektionsschutzgesetzes zu.          letztlich über die rechtsstaatliche Ordnung
                                                    Es galt: Retten, was zu retten ist. Viele Infor-   wachte. Das Grundgesetz gilt dankenswer-
                                                    mationen lagen für diese Entscheidung nicht        terweise auch in der Pandemie.
                                                    vor. Die wenigen Informationen waren aber          Trotzdem haben sich viele politische Entschei-
                                                    allesamt extrem beunruhigend. Es musste also       dungsträger in dem Ausnahmezustand einge-
                                                    schnell gehandelt werden. Das Notwendige tat       richtet. Es ist einfach leichter, unter Hinweis
                                                    der Deutsche Bundestag auch.                       auf die bedrohliche Situation durchzuregie-
 Wolfgang Kubicki gehörte dem Kieler                Noch am 24. März fragte mich ein Journalist,       ren, als sich unangenehmen Nachfragen der
 Landtag von 1992 bis 2017 an. 1992/93              welche Konsequenzen aus dem schnellen poli-        Parlamentarier stellen zu müssen. Dass dies
 und von 1996 bis 2017 war er Vorsit-               tischen Eingreifen zu erwarten sind. Ich sagte:    langfristig zu erheblichen Problemen füh-
 zender der FDP-Fraktion im Schleswig-              „Klar ist, das absolute Herunterfahren unserer     ren kann, war den meisten vielleicht nicht
 Holsteinischen Landtag. Er ist seit 2013           bisherigen Ordnung, die Grundrechtsein-            bewusst. Der parlamentarische Prozess ist
 stellvertretender Bundesvorsitzender der           schränkungen sowie das zwangsweise Schlie-         auch deshalb ein zentrales Element unserer
 Freien Demokraten. Seit 2017 gehört                ßen gesamter Branchen dürfen nur Maßnah-           freiheitlichen Demokratie, weil er eine inte-
 er nach 1990/92 und 2002 wieder dem                men von kurzer und überschaubarer Dauer            grierende und friedensstiftende Wirkung auf
 Bundestag an. Er wurde Ende Oktober                sein. Wir bewegen uns bei all den bisherigen       die Gesellschaft hat. Findet er in entschei-
 2017 zum Vizepräsidenten des Deutschen             Maßnahmen der Bundes- und der Landesre-            denden Fragen nicht mehr statt, kann sich
 Bundestages gewählt. Er ist Rechtsanwalt.          gierungen an der Grenze zur Unverhältnis-          auch der innergesellschaftliche Streit nicht
 Wolfgang Kubicki ist in dritter Ehe mit der        mäßigkeit und damit Verfassungswidrigkeit.         mehr in geregelten Bahnen entladen. Die
 Strafrechtlerin Annette Marberth-Kubicki           Die Bundes- und Landesregierungen müssen           vielfältigen und zahlenmäßig zunehmenden
 verheiratet und hat zwei Kinder.                   deshalb dringend einen zeitlichen Korridor         Anti-Corona-Demonstrationen sind Vorzei-
                                                    benennen, wann diese Beschränkungen auf-           chen einer Konfliktlage, die noch härter wird,
                                                    gehoben werden. Dass dieser Zustand aus            wenn wir die verschiedenen Stimmungen und
Man kann wahrlich nicht sagen, dass das Jahr        verfassungsrechtlichen Gründen nicht mona-         Stimmen nicht mehr angemessen hören und
2020 für uns viele positive Überraschungen          telang aufrechterhalten werden kann, liegt auf     in der offenen Debatte berücksichtigen – oder
bereithielt. Doch die Nachricht von der Ent-        der Hand. Im Zweifel wird der Bundestag die        schlimmer noch: wenn wir berechtigte Ängste
wicklung eines Impfstoffes gegen Covid-19,          Bundesregierung zur Rückkehr zu geordneten         rundheraus als Ausdruck einer Aluhutmen-
der einen Schutz von mindestens 90 Prozent          freiheitlich-demokratischen Verhältnissen          talität abqualifizieren. Nicht alle, die Sorgen
gewährleistet, war eine wirklich gute. Es ist, da   zwingen müssen.“                                   um ihre Zukunft oder um die Zukunft ihrer
waren sich die Experten von Lauterbach über         Im Nachhinein muss ich feststellen: Ich habe       Kinder haben, meinen, dass Bill Gates ihnen
Streeck bis Kekulé und Schmidt-Chanasit             den Willen der Unionsabgeordneten, der ei-         einen Chip implantieren und uns zu fernge-
schnell einig, ein medizinischer Durchbruch.        genen Verantwortung in der Krise gerecht           steuerten Zombies machen will. Es stehen
Die grenzenlose Vorfreude auf die „Zeit da-         werden zu wollen, damals überschätzt. Denn         Millionen Arbeitsplätze auf dem Spiel. Über
nach“, die aussehen soll wie die „Zeit davor“,      der verantwortungsbefreite Umstand des Ex-         die damit verbundenen Ängste darf niemand
auf den unbeschwerten Grillabend mit Freun-         ekutivhandelns kam offensichtlich den Mit-         nonchalant hinweggehen.
den, auf den Kinobesuch oder auf die Fußball-       gliedern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion            Wer nur darauf blickt, was dem unmittelbaren
Europameisterschaft darf jedoch nicht dar-          ganz gut zupass. Sie weigerten sich über einen     Corona-Gesundheitsschutz dient und Lock-
über hinwegtäuschen, dass wir zunächst die          langen Zeitraum, das Heft des Handelns in die      down-Begleiterscheinungen dabei einfach
„Zeit dazwischen“ meistern müssen. Denn             Hand zu nehmen und nahmen den beschrie-            wegschiebt, der ist vor allem eines: einäugig.
bis zur endgültigen Herstel-lung einer Her-         benen, verfassungsrechtlich zweifelhaften Zu-      Im Frühjahr erlebten wir, dass die alleinige
denimmunität vergehen viele Monate, eher            stand in Kauf.                                     Fixierung auf Infiziertenzahlen andere Prob-

         BWA

                                                                          |8|
Journal - Zukunft nach Corona Wie geht es nach der Krise weiter?
Zukunft nach Corona

lemlagen leichter unter den Tisch fallen ließ.   dann für die Immunisierten die Grundrechte         dieses friedensstiftende Element verzichten.
Das änderte sich auch mit dem Herbst-Lock-       eingeschränkt, obwohl von ihnen und für sie        In den vergangenen Monaten haben viele
down nicht. Experten sind sich sicher, wir       keine Gefahr mehr ausgeht? Oder bekommen           Anti-Corona-Maßnahmen fraglich erschei-
werden es noch mit erheblichen psychischen       wir zwei Kategorien von Grundrechten: Für          nen lassen, ob sie auch wirklich den Zweck
Folgewirkungen zu tun haben, die nicht so        Immunisierte „Grundrechte plus“ und für die        zur Eindämmung des Virus erfüllen oder ob
schnell sichtbar sind. Gerade in der dunklen     anderen „Grundrechte light“ – und wie kann         sie nicht eher den Eindruck von energischer
Jahreszeit ist die staatlich angeordnete Redu-   man beide Gruppen voneinander unterschei-          Handlungsstärke vermitteln sollen. Erkennen
zierung von Kontakten für viele Menschen         den? Wer soll als erstes geimpft werden – die      die Menschen in dieser Frage eine zu große
qualvoll und belastend. Und obwohl der Impf-     Alten und Vorerkrankten, wie es die Bundes-        Spreizung, besteht die große Gefahr, dass die
stoff ein sehr schwaches Licht der Hoffnung      regierung möchte, oder eher die Beschäftigen       beschlossenen Einschränkungen als unbot-
ist: Das wird über die lange Übergangszeit       im Gesundheitsdienst, wie es meine Fraktion        mäßige Repression wahrgenommen werden.
wahrscheinlich nicht ausreichen, um die er-      für richtig hält?                                  Wenn also das Lesen eines Buches auf einer
heblichen persönlichen Zumutungen über           Es ist Aufgabe des Deutschen Bundestages,          Parkbank hart bestraft wird, die Hochzeitsfei-
Monate mental auszugleichen.                     sich schon früh mit diesen wahrscheinlichen        er mit illegal mehreren hundert Teilnehmern
Mit der Entwicklung des Impfstoffes ver-         Friktionen und Spannungen zu beschäftigen          aber unbehelligt bleibt, dann mag der Gedan-
schwinden zentrale Fragen nicht, es entstehen    und um die bessere Lösung zu ringen. Es wird       ke hinter diesen Entscheidungen noch so gut
zum Teil sogar neue: Was wird unsere Strate-     nicht die einzig richtige Lösung geben, die alle   sein. Im Ergebnis beschädigen sie mehr, als
gie sein, wenn sich die Infiziertenzahlen wie    Interessen optimal einbindet. Dieser Illusion      dass sie schützen.
ein Jo-Jo auf- und abwärts bewegen? Schließen    hängt niemand nach. Deshalb ist es umso            Die Bundeskanzlerin hat den Deutschen
und öffnen wir die Restaurants, Tattoo-Stu-      notwendiger, dass wir den Kompromissweg            eine entbehrungsreiche Zeit vorhergesagt.
dios und Kneipen immer wieder im Wechsel?        mithilfe der transparenten Diskussion offen        Daran besteht sicher kein Zweifel. Das Ziel,
Greift der Bund dann immer wieder mit zehn       legen. Die Debatte ermöglicht es den Men-          die Überwindung dieser Krise so gut und so
Milliarden ein, um die Unternehmen zu stüt-      schen nachzuvollziehen, welche rechtlichen         schnell zu meistern, eint alle Beteiligten. Über
zen? Und was machen wir, wenn ein Teil der       Hürden, Gruppeninteressen und individuelle         den besseren Weg, wie dieses bewerkstelligt
Bevölkerung bereits geimpft ist, der andere      Problemlagen eine Rolle bei der Entscheidung       werden soll, müssen wir streiten. Jeden Tag.
aber nicht? Dürfen die Geimpften dann ins        spielen. Mit der Parlamentsdebatte steht und
Restaurant gehen oder ohne Maske in der          fällt die Akzeptanz der weiteren Maßnahmen.
Bahn sitzen, die anderen aber nicht? Werden      Es wäre töricht und gefährlich, würden wir auf

                                                                                                                                                       BWA

                                                                       |9|
Journal - Zukunft nach Corona Wie geht es nach der Krise weiter?
Zukunft nach Corona

                                       Interview mit S.E. Wu Ken
              Botschafter der Volksrepublik China in der Bundesrepublik Deutschland
                                                  in China unter Kontrolle zu bringen und das       aufnahme der Arbeit und Produktion sowie
              S.E. Wu Ken                         wirtschaftliche und soziale Leben schrittwei-     der Stabilisierung der Lieferketten zwischen
                                                  se wieder zu normalisieren. Am 15. November       China und Europa gespielt hat.
                                                  hat China mit 14 anderen Ländern im Asien-
                                                  Pazifik-Raum das Abkommen zur regiona-            BWA-Journal: In der Logistik, im Bereich der
                                                  len umfassenden Wirtschaftspartnerschaft          Zuliefererindustrie und vielen weiteren sind
                                                  (Regional Comprehensive Economic Part-            die wirtschaftlichen Verflechtungen mit chine-
                                                  nership, RCEP) unterzeichnet, die etwa ein        sischen Firmen mittlerweile sehr eng. Hingegen
                                                  Drittel der Weltbevölkerung und ein Drittel       gibt es Bereiche wie die Telekommunikations-
                                                  der weltweiten Wirtschaftsleistung umfasst.       infrastruktur und auch das Gesundheitswesen,
                                                  Die Unterzeichnung dieses Abkommens ist           in denen die deutsche Seite einer intensiveren
                                                  ein starkes Signal gegen Unilateralismus und      Zusammenarbeit bisher eher verhalten gegen-
                                                  Protektionismus und ein Signal für die Wah-       übersteht. Welche Schritte unternimmt China,
                                                  rung des multilateralen Systems, und trägt        um diese Vorbehalte abzubauen?
                                                  zur Stärkung des allseitigen Vertrauens in
                                                  das Wirtschaftswachstum bei. Zum Wohle            S.E. Wu Ken: Die chinesisch-deutsche
                                                  und Nutzen aller wird China auch in Zu-           Wirtschafts- und Handelskooperation steht
                                                  kunft die WTO-Reformen unterstützen, die          auf einem soliden Fundament. Deutschen
                                                  Aushandlung eines China-EU-Investitions-          Statistiken zufolge ist China als weiterhin
                                                  abkommens vorantreiben und die trilaterale        größter Handelspartner Deutschlands nun
 Wu Ken ist seit dem 27. März 2019 Bot-           Hilfe fördern.                                    auch zum größten deutschen Exportmarkt
 schafter der VR China in der Bundesrepu-                                                           aufgestiegen. Dies liegt zum einen an den
 blik Deutschland. 1986-90 erste Stationen        BWA-Journal: Im Jahr 2013 hat der chi-            guten Beziehungen und der wirtschaftlichen
 in der Personal- und Osteuropaabteilung          nesische Staatspräsident Xi Jinping mit der       Komplementarität beider Länder, und zum
 des Außenministeriums der VR China.              Belt-and-Road-Initiative (BRI) ein Projekt        anderen an der kontinuierlichen Öffnung
 1990-93 Verwendung an der Botschaft in           zur globalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit      Chinas. In 2020 hat China das neue „Ge-
 Bonn, 1993-98 weitere Stationen in der           ausgerufen. Mit welcher Bilanz blicken Sie auf    setz zu ausländischen Investitionen“ sowie
 Personalabteilung des Außenministeriums,         die bisherigen Entwicklungen zurück und wie       entsprechende ergänzende Vorschriften um-
 die er von 2003-2007 leitete. 2007-2010          schätzen Sie die Bedeutung der „Neuen Sei-        gesetzt, die Negativliste für den Marktzugang
 Botschafter in Österreich und 2010-2013          denstraße“ im Kontext der Corona-Krise ein?       ausländischer Investoren im vierten Jahr in
 Botschafter in der Schweiz. 2013-2016                                                              Folge reduziert, alle ausländischen Investo-
 stellv. Generalsekretär der Provinzregie-        S.E. Wu Ken: In den sieben Jahren seit Be-        ren in China gleich behandelt, und so das
 rung von Guangdong. 2016-2019 Bot-               ginn der Belt-and-Road-Initiative (BRI) hat       Geschäftsumfeld deutlich verbessert. Wir
 schafter in den Niederlanden.                    China bereits 201 Kooperationsvereinbarun-        hoffen, dass Deutschland auch weiterhin eine
                                                  gen mit 138 Ländern und 31 internationalen        aufgeschlossene Haltung und Politik verfol-
                                                  Organisationen unterzeichnet und mehr als         gen und chinesische Unternehmen bei der
BWA-Journal: Exzellenz, die Corona-Pan-           2000 Kooperationsprojekte begonnen. Das           Zusammenarbeit in den Bereichen wie Tele-
demie war das bestimmende Thema im Jahr           Gesamthandelsvolumen zwischen China und           kommunikation, Technologie und Medizin
2020. Die Weltwirtschaft befindet sich der-       den Ländern entlang der Neuen Seidenstra-         gleich, fair und transparent behandeln wird.
zeit in einer historischen Rezession. Wie sieht   ße beläuft sich mittlerweile auf mehr als 7,8
China die Zukunftsperspektiven der globalen       Billionen Dollar. Zehntausende Menschen           BWA-Journal: Angenommen, ein deutsches
Handels- und Wirtschaftsbeziehungen?              haben im Zuge dessen Arbeit gefunden, und         mittelständisches Unternehmen fasst den Ent-
                                                  alle teilnehmenden Länder haben von der           schluss, in China geschäftlich aktiv zu wer-
S.E. Wu Ken: Die weltweite Ausbreitung des        Initiative profitiert. Seit Ausbruch der Epi-     den – sei es durch Erschließung von neuen
neuartigen Coronavirus hat die Weltwirt-          demie hat China mit den Ländern, die an           Absatzmärkten oder einen Standortaufbau.
schaft in eine Rezession gestürzt, und es ist     der Belt-and-Road-Initiative beteiligt sind, in   Welche Schritte können die diplomatischen
noch kein Ende der Pandemie in Sicht. Das         den Bereichen Epidemieprävention und -be-         Vertretungen Chinas in Deutschland leisten,
Ausmaß ihrer Auswirkungen auf die Welt-           kämpfung sowie medizinische Behandlung            solche Vorhaben konkret zu unterstützen?
wirtschaft kann zum jetzigen Zeitpunkt noch       kooperiert und so einen Beitrag zur Gesund-
nicht genau beurteilt werden. Die chinesische     heit der lokalen Bevölkerung geleistet. Ein       S.E. Wu Ken: Wir begrüßen die Investiti-
Regierung hat im Geiste der Verantwortung         weiterer Höhepunkt ist das Wachstum des           onen deutscher Unternehmen in China in
für das Leben und die Gesundheit ihrer Be-        Zugverkehrs zwischen China und Europa,            allen Bereichen. Neben unserer Botschaft
völkerung entschiedene Maßnahmen ergrif-          der eine positive Rolle bei der Prävention        in Berlin bietet China auch in seinen vier
fen. Es ist uns schon gelungen, die Epidemie      und Eindämmung der Epidemie, der Wieder-          Generalkonsulaten in Hamburg, München,

        BWA

                                                                      | 10 |
Zukunft nach Corona

Frankfurt und Düsseldorf Dienstleistungen        eine einseitige und unsachliche Berichterstat-   des 21. Jahrhunderts hoffen wir, dass alle
wie Beglaubigung und Legalisation, Visa-Ab-      tung über China und machen es deutschen          Länder dieser Welt aus der historischen Er-
wicklung und Politikberatung für deutsche        Unternehmen sehr schwer, ein richtiges Ver-      fahrung eine internationale Ordnung auf
Unternehmen an, die sich für eine Geschäfts-     ständnis der Situation in China zu bekom-        der Grundlage der Vereinten Nationen sowie
tätigkeit in China interessieren. Darüber hi-    men. Die Unternehmen können daher keine          eine Weltwirtschaftsordnung unter Führung
naus bieten auch die Chinesische Handels-        richtigen Urteile und Entscheidungen treffen     der WTO unterstützen und auf Risiken und
kammer in Deutschland (CHKD) und die             und verpassen somit gute Gelegenheiten zur       Herausforderungen mit Solidarität und Zu-
China International Investment Promotion         Zusammenarbeit mit China. Es steht von           sammenarbeit, statt mit Konflikten und Kon-
Agency (Germany) als Wirtschaftsverbände         daher zu hoffen, dass der BWA eine noch akti-    frontation reagieren.
eine gute Plattform für Beratungsleistungen      vere Rolle als Brückenbauer spielen wird, um     Als umfassende strategische Partner und
und Business-Matchmaking für deutsche            Akteuren aus der deutschen Wirtschaft und        Wirtschaftsmächte teilen China und
Unternehmen.                                     Politik objektive und genaue Informationen       Deutschland die gleichen Ansichten und
                                                 vermitteln zu können, und das Verständnis        Verantwortungen bei Themen wie Multila-
BWA-Journal: Seit der Gründung im Jahr           zwischen den Unternehmen zu fördern. Das         teralismus, Freihandel und Klimawandel. In
2003 unterstützt der BWA vielfältige Bemü-       jeweils andere Land richtig zu verstehen, ist    der nächsten Phase müssen wir die bilaterale
hungen, die chinesische und deutsche Wirt-       eine essenzielle Voraussetzung für die Ver-      Zusammenarbeit weiter vertiefen, die Zusam-
schaft näher zusammen zu bringen und ge-         tiefung der Zusammenarbeit zwischen den          menarbeit in aufstrebenden und zukunftsori-
schäftliche wie auch persönliche Kontakte zu     Unternehmen beider Länder.                       entierten Bereichen wie Digitalisierung, neue
fördern. Welche Impulse erwarten Sie in den                                                       Energien und Biomedizin weiter verstärken,
nächsten Jahren von Seiten des Verbandes?        BWA-Journal: Abschließend ein Ausblick auf       und die Kommunikation und Koordinati-
                                                 die Zukunft. Welche Hoffnungen verbinden         on von globalen Themen wie internationale
S.E. Wu Ken: Ich weiß es zu schätzen, dass       Sie mit Blick auf das dritte Jahrzehnt des 21.   Organisationen, Klimawandel, trilaterale
der BWA in der Vergangenheit einen wichti-       Jahrhunderts? Und was sollten China und          Zusammenarbeit und die Belt-and-Road-
gen Beitrag zum Austausch und der Zusam-         Deutschland gemeinsam leisten?                   Initiative verstärken, um eine führende Rol-
menarbeit zwischen der chinesischen und                                                           le bei der Förderung der Zusammenarbeit
deutschen Wirtschaft geleistet hat. Ich hoffe,   S.E. Wu Ken: Wie bereits erwähnt, steht          zwischen China und der EU zu spielen und
dass der BWA seine gute Arbeit fortsetzen        die Unterzeichnung des RCEP-Freihan-             der internationalen Zusammenarbeit mehr
wird, um die Verbindungen und die Zu-            delsabkommens sinnbildlich für den fes-          Dynamik zu verleihen.
sammenarbeit zwischen den Unternehmen            ten Glauben der 15 Unterzeichnerstaaten
beider Länder noch pragmatischer, besser         an Multilateralismus und Freihandel und          BWA-Journal: Herr Botschafter, wir danken
und nachhaltiger zu unterstützen. Einige         sendet diesbezüglich ein positives Signal an     Ihnen für das Gespräch.
deutsche Medien betreiben schon seit langem      die Welt. Zu Beginn des dritten Jahrzehnts

                                                                                                                                                  BWA

                                                                     | 11 |
Zukunft nach Corona

                       Interview mit S.E. Sergej J. Netschajew
            Botschafter der Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland
                                                  net. Auf den flächendeckend wellenartigen         am 19. Oktober 2020 unter dem Vorsitz von
      S.E. Sergej J. Netschajew                   Anstieg der Infektionszahlen wird mit konse-      Ministerpräsident Mischustin und mit Teil-
                                                  quenten ausgewogenen Maßnahmen reagiert,          nahme der Spitzenvertreter der führenden
                                                  mit denen die Zahl der Corona-Erkrankten          deutschen Konzerne online stattgefunden
                                                  minimiert wird. Es sind zusätzliche Kranken-      hat. Wir sind fest der Auffassung, dass das
                                                  hauskapazitäten geschaffen worden und das         Potential der bilateralen Wirtschaftskoope-
                                                  vor dem Hintergrund der aktuellen sozialen        ration noch längst nicht ausgereizt ist. Gute,
                                                  und wirtschaftlichen Einschränkungen. Die         gegenseitig vorteilhafte Aussichten erkennen
                                                  Testzahlen sind bei uns mit über 50 Millionen     wir in allen Bereichen. Wir wollen mit aller
                                                  Tests die höchsten.                               Kraft dazu beitragen, dass sie auch genutzt
                                                  Experteneinschätzungen zufolge lässt sich         werden, und unsere langjährigen umfassen-
                                                  der Einbruch des BIP 2020 nicht vermeiden.        den Bemühungen fortsetzen, um Rahmen-
                                                  Jedoch wird er gemäßigt ausfallen und bei ca.     bedingungen für ausländische Investoren
                                                  4-5 Prozent liegen. Der stabilisierende Sicher-   in Russland zu verbessern. Vielversprechend
                                                  heitspuffer ist mit milliardenschweren Gold-      sind in diesem Sinne die Bereiche wie Ener-
                                                  und Devisenreserven gegeben, die sich mit         giewirtschaft, insbesondere erneuerbare Ener-
                                                  580,7 Milliarden US-Dollar beziffern. Hinzu       gien, Digitalisierung, innovative Entwicklun-
                                                  kommen eine niedrige Inflationsrate von 3,7       gen in Wissenschaft und Forschung.
                                                  Prozent, geringe Arbeitslosigkeit. Der Ban-
                                                  kensektor bleibt stabil. Große Hoffnungen         BWA-Journal: Der BWA formuliert seit
 Sergej J. Netschajew ist seit dem 8. März        auf die endgültige Bekämpfung der Corona-         Jahren die Forderung nach der Abschaffung
 2018 Botschafter der Russischen Födera-          Pandemie verbinden wir mit dem weltweit           aller Wirtschaftssanktionen gegenüber der
 tion in der Bundesrepublik Deutschland.          ersten amtlich registrierten russischen Impf-     Russischen Föderation im Interesse seiner
 Nach dem Studium an der Lomonossow-              stoff „Sputnik V“. Auch die Entwicklung           Mitgliedsunternehmen sowie im Interesse des
 Universität trat er 1977 in den diploma-         weiterer Impfstoffe wird demnächst erwartet.      Wirtschaftsstandortes Deutschland. Was kann
 tischen Dienst ein. Wichtige Stationen           Wir sind offen für die Zusammenarbeit mit         die Wirtschaft tun, um dieser Forderung wei-
 waren: 1977-80: Mitarbeiter der Botschaft        allen Interessenten in Deutschland und in         teren Nachdruck zu verleihen?
 der UdSSR in der DDR sowie 1992-96               anderen Ländern.
 und 1999-2001 der Botschaft in der BRD,                                                            S.E. Sergej J. Netschajew: Wir schätzen die
 2001-2003: Generalkonsul der Russischen          BWA-Journal: Die politischen Beziehungen          prinzipielle dauerhafte Position der deutschen
 Föderation in Bonn, 2010-2015: Botschaf-         sind derzeit hoch angespannt. Wie verorten        Wirtschaft, die sich für die Rücknahme der
 ter in Österreich, 2015-2018: Direktor des       Sie die Rolle der Wirtschaft als Brückenbauer     antirussischen Restriktionen ausspricht. Den
 Dritten Europäischen Departements des            und welche konkreten Initiativen stehen der-      rechtswidrigen einseitigen Sanktionen als
 Außenministeriums.                               zeit im Fokus der russischen Bemühungen in        Form der internationalen Druckausübung
                                                  diesem Bereich?                                   stehen wir entschieden ablehnend gegenüber.
                                                                                                    Wir haben nie die Ingangsetzung von Sank-
BWA-Journal: Exzellenz, die Corona-Pan-           S.E. Sergej J. Netschajew: Die deutsch-russi-     tionsspiralen unterstützt. Russland war und
demie hat viele Vorhaben und Anlässe bis auf      schen Beziehungen lassen aktuell tatsächlich      bleibt verantwortungsbewusster internatio-
Weiteres von der Agenda verschoben. Wie ist       zu wünschen übrig. Während einzelne west-         naler Akteur und zuverlässiger Partner für
Russland durch die Zeit gekommen und wo           liche Politiker unter erfundenen Vorwänden        alle. Wir sind überzeugt, dass der internatio-
steht die russische Wirtschaft aktuell?           jedoch das gemeinsam erarbeitete Positive aus     nalen Kooperation die Grundsätze des freien
                                                  den vergangenen Jahren beharrlich abzubau-        und fairen Wettbewerbs zu Grunde liegen
S.E. Sergej J. Netschajew: Bei der COVID-         en versuchen, sind die Wirtschaften beider        müssen, nicht jedoch das Diktat einzelner
19-Pandemie handelt es sich um eine nie da        Länder allen Schwierigkeiten zum Trotz da-        Staaten und Bündnisse, die sich das Recht
gewesene Herausforderung, die die ganze           bei, Traditionen ihrer Vorgängergenerationen      zu eigen machen wollen, ob und wie andere
Welt auf die Festigkeitsprobe stellt. Dank        zu pflegen, Brücken statt Mauern zu bauen,        Staaten miteinander zusammenzuarbeiten
koordinierter, entschlossener und wohl            neue Kooperationsbereiche zu erschließen          haben. Wir machen uns nicht vor, dass die
durchdachter Maßnahmen der föderalen und          und zukunftsweisende Projekte zu realisieren.     Initiatoren dieser Sanktionen bereit sind, die
regionalen Behörden bewältigt mein Land           Das freut uns. In unserem Land sind über 4,5      Forderungen der Wirtschaft zu beherzigen,
diese neue Herausforderung recht erfolg-          Tausend deutsche Firmen aktiv. Sie investie-      die durch die antirussischen Restriktionen
reich. Das wird auch aus den Bewertungen der      ren in großem Stil und bekennen sich zum          hauptsächlich betroffen ist. Dennoch wird
Weltgesundheitsorganisation deutlich. Im          russischen Markt. Überzeugend bestätigt           der gesunde Menschenverstand langfristig
internationalen Vergleich wird in Russland        wurde das auf der Sitzung des Beirats für         und unausweichlich die Oberhand gewinnen,
mit die niedrigste Sterblichkeitsrate verzeich-   ausländische Investitionen in Russland, die       nicht zuletzt auch durch die konsequenten

        BWA

                                                                      | 12 |
Zukunft nach Corona

Bestrebungen der Wirtschaftskreise in den          Umfang beteiligt sich ihr Land bereits an dieser   Als gegenseitig vorteilhaft für den Ausbau der
meisten Bundesländern.                             globalen Initiative der Volksrepublik China        Zusammenarbeit gelten die Bereiche Energie,
                                                   und in welchen Bereichen soll das russische        Kraftwerksbau, Raumfahrt und Landwirt-
BWA-Journal: Die deutsch-russische Energie-        Engagement hierbei verstärkt werden?               schaft. Von Interesse sind Kooperationen auf
partnerschaft ist eine traditionell erfolgreiche                                                      den Gebieten Kultur und Bildung, Tourismus
Verbindung zwischen unseren Ländern. Wie           S.E. Sergej J. Netschajew: Ohne an der             und Sport.
sehen Sie die lang fristige Zukunft der Zu-        „Belt-and-Road-Initiative“, die auch die
sammenarbeit in den russisch-europäischen          „Neue Seidenstraße“ mit einschließt, un-           BWA-Journal: Abschließend ein Ausblick auf
Energiebeziehungen?                                mittelbar beteiligt zu sein, sind wir an der       die Zukunft der Beziehungen: Was wird sich
                                                   Verknüpfung des chinesischen Projekts und          aus Ihrer Sicht in diesem Jahr in den deutsch-
S.E. Sergej J. Netschajew: Russland und            der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU)            russischen Beziehungen verändern und welche
Deutschland sind durch langjährige kon-            interessiert. Wir sind fest überzeugt, dass        Rolle spielen die wirtschaftlichen Verflechtun-
struktive Beziehungen im Energiebereich            mit der Harmonisierung beider Projekte             gen dabei?
verbunden. Dieses Jahr wird der 50. Jahrestag      Grundlage dafür geschaffen werden kann,
der Unterzeichnung des historischen Erd-           Eurasien einen neuen geopolitischen Umriss         S.E. Sergej J. Netschajew: In seinem Gra-
gas-Röhren-Vertrags gefeiert, der ein solides      zu geben. Die Zusammenarbeit auf der Ebene         tulationstelegramm anlässlich des 30. Jah-
Fundament für die beidseitig vorteilhafte          der Integrationsbündnisse wird der regiona-        restages der Deutschen Einheit bekräftigte
Zusammenarbeit legte. Die russischen Ener-         len Kohärenz und der wirtschaftlichen Ent-         der Präsident der Russischen Föderation
gielieferungen bleiben eine Fixgröße der eu-       wicklung im eurasischen Raum neue Anreize          Wladimir Putin, dass unser Land stets bereit
ropäischen Energiesicherheit. Wir blicken          geben. Ein wichtiges Element stellt in dieser      ist, zu aktuellen Fragen der bilateralen und
mit Optimismus in die Zukunft. Der zu er-          Hinsicht das Abkommen über Handel und              internationalen Agenda im Dialog zu bleiben
wartende Anstieg des Energiebedarfs in der         wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen            und zusammenzuarbeiten.
EU setzt im Lichte der rückläufigen Eigen-         der EAWU und China von 2018 dar.                   Wir rechnen damit, dass positive Impulse
förderung voraus, dass die Kooperation durch       Was konkrete Beispiele für die praktische          für eine Intensivierung gemeinsamer Be-
neue Initiativen weitergeführt und ausgebaut       Zusammenarbeit mit der chinesischen „Belt-         mühungen durch Veranstaltungen im Rah-
wird. Die zusätzliche Nachfrage soll durch         and-Road-Initiative“ anbelangt, so sei es an-      men des deutsch-russischen Themenjahres
die Umsetzung des Projekts Nord Stream             gemerkt, dass seit April 2020 die Eisenbahn-       „Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung“
2 gedeckt werden, das fertiggestellt und der       fährverbindung zwischen Kaliningrad und            2020-2022 gegeben werden können. Dieses
europäischen Industrie zugutekommen wird.          Mukran betrieben wird und als Teil dieser          Themenjahr findet unter der Schirmherr-
Umfangreiche Möglichkeiten für eine Erwei-         Initiative fungiert. Diese Verbindung ermög-       schaft der Außenminister Russlands und
terung der Zusammenarbeit eröffnet der Eu-         licht es, die Dauer der Güterbeförderung zwi-      Deutschlands statt. Wir würden uns freuen,
ropean Green Deal. Wir sind bereit, unseren        schen China und Westeuropa erheblich zu            wenn der BWA und seine Mitglieder sich
Beitrag zur Erreichung ehrgeiziger Klimaziele      reduzieren. Der Warentransport, der über           auch in diesem Rahmen einbringen würden.
der EU durch eine enge Kooperation in den          die Schiene aus dem Osten in den Westen
Bereichen der erneuerbaren Energien, Was-          abgewickelt wird, wird ausgebaut. Im ersten        BWA-Journal: Herr Botschafter, wir danken
serstofftechnologien, etc. zu leisten.             Halbjahr 2020 wurden auf dieser Route 461          Ihnen für das Gespräch.
                                                   Tausend 20-Fuß-Container befördert, was
BWA-Journal: Welche Position nimmt Russ-           ein Plus von 41 Prozent im Vergleich zum
land zur „Neuen Seidenstraße“ ein? In welchen      Vorjahr ausmachte.

                                                                                                                                                        BWA

                                                                        | 13 |
Zukunft nach Corona

                        Eine Chance für die Zusammenarbeit
                                        Im Osten gilt es, Potenziale zu nutzen
                                               Der geografische Raum östlich der EU, also
     Johann Saathoff, MdB                      die Länder der ehemaligen Sowjetunion, ste-
                                               hen derzeit wieder verstärkt im Fokus der Öf-
                                               fentlichkeit. Leider geht es dabei vor allem um
                                               Probleme und Konflikte. Dominante Themen
                                               sind die Situation in Belarus, wo Bürgerinnen
                                               und Bürger freie und faire Wahlen fordern
                                               und die Staatsmacht mit Gewalt und Repres-
                                               sion reagiert, der Konflikt zwischen Armenien
                                               und Aserbaidschan um Berg-Karabach, die
                                               innenpolitische Krise nach den Wahlen in
                                               Kirgisistan.
                                               Dabei sind die „eingefrorenen Konflikte“ um
                                               die georgischen Gebiete Abchasien und Süd-
                                               ossetien, die ungelöste Situation des von der
                                               Republik Moldau abtrünnigen Transnistriens         – durchlässiger werden muss. Ein Ergebnis
                                               nicht einmal akut geworden.                        war die KSZE-Schlussakte. Sicherheit und
                                               Dazu kommt die grundsätzliche Debatte um           Zusammenarbeit waren die Schlagworte, die
                                               das Verhältnis zu Russland nach der Vergif-        Frieden in Europa schaffen und bewahren
                                               tung des Oppositionellen Alexej Nawalny, um        sollten.
Johann Saathoff ist seit 2013 direkt ge-       den Prozessauftakt um den Mord im Kleinen          Auch heute bleibt richtig, dass Sicherheit auf
wählter Bundestagsabgeordneter für den         Tiergarten in Berlin und um den Hackeran-          Dauer nicht ohne Zusammenarbeit gewähr-
Wahlkreis Aurich-Emden. Zuvor war er           griff auf den Bundestag. Diese Fälle und die       leistet sein kann – politisch, wirtschaftlich,
seit 2003 Bürgermeister der Gemeinde           Reaktionen der russischen Seite belasten die       gesellschaftlich. Das ist auch der Grundgedan-
Krummhörn. Er ist ordentliches Mitglied        Beziehungen zu Russland. Ganz Europa ist           ke der Europäischen Einigung. Die heutige
im Ausschuss für Wirtschaft und Energie        betroffen, wenn die Friedensordnung in Frage       Ostpolitik steht vor einer zweifachen Aufga-
und stellvertretender wirtschaftspolitischer   gestellt wird, wie sie in der die Pariser Charta   be: die Einheit der Europäischen Union zu
Sprecher sowie energiepolitischer Koordi-      der OSZE festgehalten wurde.                       bewahren, auch gegen Spaltungsversuche von
nator der SPD-Bundestagsfraktion. Seit 26.     Deren Prinzipien gehen auf die Politik Willy       außen, und dafür zu sorgen, dass kein neuer
August 2020 ist Herr Saathoff Koordinator      Brandts und Egon Bahrs zurück. Die Losung          „Eiserner Vorhang“ entsteht.
für die zwischengesellschaftliche Zusam-       „Wandel durch Annäherung“ war, anders als          Angesichts der Konfrontationen und der Kon-
menarbeit mit Russland, Zentralasien und       es manch zeitgenössischer Beobachter meinte,       flikte mag es wieder naiv erscheinen, über
den Ländern der Östlichen Partnerschaft        nicht naiv. Brandt und Bahr haben die Reali-       Kooperation zu reden. Aber inzwischen gibt
im Auswärtigen Amt.                            täten anerkannt und daraus geschlossen, dass       es Tausende Brücken, die uns unabhängig
                                               der Eiserne Vorhang – gerade in Deutschland        von der Politik mit dem „Osten“, auch mit

       BWA

                                                                    | 14 |
Zukunft nach Corona

Russland, verbinden: in Kommunen, Kul-            ruption, mangelnde Rechtssicherheit bremsen      bewegt, findet klimapolitisch ein Umdenken
tur, NGOs und persönliche Freundschaften.         nicht zuletzt wirtschaftliches Wachstum und      statt. Bislang setzt es auf eine klassische Ener-
Wenn in Russland Sowjet-Nostalgie aufblüht,       Investitionen, die nötig sind, damit auch die    giepolitik mit zentraler Erzeugung, großen
darf dies bei uns keine Entsprechung finden,      Bevölkerung von Reformen profitiert. Es          Netzen und langen Leitungen zur Versorgung
indem wir ebenfalls in alte Denkmuster            lohnt sich, nach Gemeinsamkeiten zu suchen,      des riesigen Landes. Heute gibt es ein immen-
verfallen. Unter schwierigen Bedingungen          wenn wir in ganz Europa ähnliche Herausfor-      ses Potenzial für Windenergie und dezentrale
müssen wir die Voraussetzungen bewahren,          derungen haben.                                  Energieversorgung. Das deutsch-russische
dass Vertrauen wachsen oder neu entstehen         Der Klimawandel ist eine solche Herausforde-     Jahr der Wirtschaft und für nachhaltige Ent-
kann. Das gilt auch für die vielen Kontakte       rung. Das Problem ist global, aber Lösungen      wicklung sollten wir deshalb nutzen, um in die
von Unternehmen, die ihr Engagement trotz         für die Energiewende hängen von der Geo-         Zukunft zu denken. Die Pipelines, die heute
vermehrter Schwierigkeiten, etwa Lokalisie-       grafie ab, die uns mit dem postsowjetischen      noch Erdgas transportieren, könnten in drei-
rungsbestimmungen, beibehalten.                   Raum verbindet. Bislang steht diese Verbin-      ßig Jahren etwa mit erneuerbaren Energien
Dass wir keine neuen Spaltungen wollen,           dung in der Energiepolitik für preiswerte,       erzeugten Wasserstoff transportieren.
zeigt die EU in der Östlichen Partnerschaft.      verlässliche Erdgasversorgung. Das wird sich     Zusammenarbeit im Energiebereich ist auf
Darin finden sich Mitglieder der Eurasischen      angesichts der Energiewende ändern. Für un-      vielen Ebenen möglich: in Städtepartnerschaf-
Wirtschaftsgemeinschaft ebenso wie Länder,        sere Zusammenarbeit bedeutet dies aber auch      ten, auf regionaler Ebene, zwischen NGOs
die ein Assoziierungsabkommen mit der EU          neue Möglichkeiten. Zentralasien etwa ist        und Regierungen. Für Innovationen brauchen
geschlossen haben. Wie weit die Staaten sich      eine Region voller ungenutzter Ressourcen        wir Forschung und Unternehmertum. Diese
auf Europa einlassen wollen, mit allen Chan-      für erneuerbare Energien - in einer Region,      Zusammenarbeit ist nicht nur eine Chance,
cen und Herausforderungen, bleibt ihnen           die selbst erheblich vom Klimawandel be-         sondern auch eine Pflicht gegenüber kommen-
überlassen. Belarus zeigt uns gerade, dass eine   troffen sein wird. Gemeinsam mit den fünf        den Generationen, denn sie sichert nicht nur
Bevölkerung, die sich Russland eng verbunden      zentralasiatischen Ländern hat Deutschland       das Klima, sondern auch die Chance auf ein
fühlt, freie und faire Wahlen einfordert. Dies    die Initiative „Green Central Asia“ ins Leben    friedliches Europa ohne Trennlinien.
passt nicht in die Schablonen eines System-       gerufen. Diese gilt es mit konkreten Projekten
konflikts.                                        zu untermauern, und hier bieten sich gerade
Die gesellschaftlichen Probleme sind im ge-       der deutschen Wirtschaft Chancen.
samten post-sowjetischen Raum ähnlich. Kor-       Während Russland sich außenpolitisch wenig

                                                                                                                                                       BWA

                                                                      | 15 |
Sie können auch lesen