Kinder, Haushalt, Pflege - wer kümmert sich? - Ein Dossier zur gesellschaftlichen Dimension einer privaten Frage - BMFSFJ

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Kinder, Haushalt, Pflege - wer kümmert sich? - Ein Dossier zur gesellschaftlichen Dimension einer privaten Frage - BMFSFJ
Kinder, Haushalt, Pflege –
wer kümmert sich?
Ein Dossier zur gesellschaftlichen Dimension einer privaten Frage
Kinder, Haushalt, Pflege –
wer kümmert sich?
Ein Dossier zur gesellschaftlichen Dimension einer privaten Frage


          Das Projekt wurde gefördert aus dem REC-Programme 2014–2020 der Europäischen Union
          (Grant Agreement Nr. 820208).

          Die dargestellten Ergebnisse stellen lediglich die Ansicht der Autorinnen und Autoren dar.
          Die Europäische Kommission ist nicht für den Inhalt und den Gebrauch dessen verantwortlich.

      4


Inhalt

Einleitung                                                                                         6

1    Status quo                                                                                    7
     Der Gender Care Gap – was sich dahinter verbirgt und welche Folgen er hat                     8
     Frauen leisten mehr unbezahlte Sorgearbeit – warum das ein gesellschaftliches Problem ist     8
     Gleichstellung lässt sich messen: Gender Pay Gap, Gender Pension Gap, Gender Care Gap –
     und wie sie zusammenhängen                                                                    9

2    Ursachen                                                                                     21
     Zwischen Wunsch und Wirklichkeit: wie sich eine traditionelle Aufgabenteilung
     im Lebensverlauf manifestiert                                                                22
     Historische Unterschiede in Deutschland – und welchen Einfluss sie immer noch haben          22
     Das Zuverdienst-Modell: nicht gewollt, aber praktiziert – die Knotenpunkte
     Familiengründung, Wiedereinstieg und Pflege                                                  27
     Die „Traditionalisierungsfalle“: warum die traditionelle Verteilung unbezahlter Sorgearbeit
     später nur schwer wieder geändert werden kann                                                37

3    Lösungen                                                                                     42
     So können wir eine gerechtere Aufgabenteilung erreichen – Maßnahmen und Ansätze              43
     Den Gender Care Gap überwinden – welche Hebel wir in Bewegung setzen müssen                  43
     Eine partnerschaftliche Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit für Frauen und Männer
     gleichermaßen attraktiv machen – welche Maßnahmen dabei helfen können                        50

Fazit und Ausblick                                                                                58

Informationen zum Forschungsbericht                                                               60

Literaturverzeichnis                                                                              61

                                                                                                    5
Einleitung

Einleitung
Gleichstellung ist möglich – wenn die unbezahlte     Diese Ungleichverteilung ist auch ein gesellschaft-
Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern gerecht       liches Problem. Frauen gehen aufgrund der
verteilt ist.                                        Übernahmen von Sorgearbeit seltener einer
                                                     Erwerbsarbeit nach, die sie bis ins Alter finanziell
                                                     absichern wird. Männer sind weniger an der
Wenn es um Sorgearbeit geht, also Kinderbetreu-      Sorgearbeit beteiligt, ohne die gesellschaftliches
ung, Pflege, Kochen und Putzen, dann scheinen        Leben und wirtschaftliches Wachstum gar nicht
immer noch zuerst die Frauen „zuständig“ zu sein.    möglich wären.
Zumindest verwenden sie täglich deutlich mehr
Zeit für unbezahlte Tätigkeiten im Haushalt und      Warum entwickeln sich die Lebensläufe auseinan-
in der Familie. Wer hängt die Wäsche auf? Diese      der? Warum werden Menschen zu „Sorgeperso-
Frage wird selten überhaupt gestellt, und wenn       nen“ oder zu „Erwerbspersonen“? Welche Fakto-
doch, dann lautet die Antwort meistens: die Frau!    ren beeinflussen die Verteilung der unbezahlten
Das gilt auch für das Kochen, das Abholen der Kin-   Sorgearbeit? Und wie lässt sich die Sorge- und
der von der Kita oder die Unterstützung älterer      Erwerbsarbeit gerechter aufteilen? Dieses Dossier
Angehöriger.                                         findet Antworten auf diese Fragen. Es fasst die
                                                     Ergebnisse eines Forschungsberichtes zusammen
Die Menschen entscheiden selbst, wie sie ihren       (Gärtner et al., 2020).
Alltag organisieren. Diese Entscheidungen werden
aber durch ihr Umfeld beeinflusst. Im Ergebnis       Erwerbs- und Sorgearbeit gleich zu verteilen ist
dieses Wechselspiels aus privater Entscheidung       Voraussetzung dafür, Ungleichheiten in der Ge-
und gesellschaftlichem Umfeld beobachten wir,        sellschaft abzubauen, um allen Menschen – unab-
wie unterschiedlich sich Lebensläufe von Frauen      hängig vom Geschlecht – ein selbstbestimmtes
und Männern entwickeln: Männer sind häufiger,        Leben zu ermöglichen.
länger und durchgängiger erwerbstätig. Frauen
hingegen wenden im Durchschnitt täglich
52,4 Prozent – umgerechnet 87 Minuten – mehr
Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer.
Das ist der sogenannte Gender Care Gap.

6
1
Status quo
1 Status quo

Der Gender Care Gap – was sich dahinter verbirgt
und welche Folgen er hat

Frauen leisten mehr unbezahlte                       wie sie es gerne wollen. Die Aufteilung ist auch
Sorgearbeit – warum das ein gesell-                  beeinflusst von den gesetzlichen, betrieblichen
                                                     und infrastrukturellen Rahmenbedingungen
schaftliches Problem ist                             sowie von gesellschaftlichen Wertvorstellungen.

In Deutschland verdienen Frauen durchschnittlich
weniger und haben niedrigere eigenständige           Das Ergebnis
Rentenansprüche als Männer. Auch die unbezahlte
Sorgearbeit ist ungleich zwischen Frauen und         • Frauen übernehmen mehr unbezahlte Sorge­
Männern verteilt: Frauen wenden dafür täglich          arbeit: Frauen gehen seltener einer Erwerbs-
wesentlich mehr Zeit auf als Männer.                   arbeit nach, die sie bis ins Alter finanziell
                                                       absichern wird und ihnen auch eine eigenstän-
                                                       dige Existenzsicherung garantieren kann.
Sobald Menschen für ein Kind oder die Pflege von
Angehörigen verantwortlich sind, wird eine wich-     • Männer übernehmen mehr Erwerbsarbeit:
tige Weiche gestellt. Denn jetzt nimmt die unbe-       Der Druck, finanziell für die Familie zu sorgen,
zahlte Sorgearbeit im Haushalt zu, für die Kinder-     lastet überwiegend auf ihnen. Somit bleibt
betreuung, für Kochen, Putzen oder Pflege – und        Männern weniger Zeit, um Sorgeverantwor-
Paare oder Individuen verteilen Erwerbs- und           tung zu übernehmen.
Sorgearbeit neu. Die Sorgearbeit wird zum einen
innerhalb der Familie neu verteilt und zum           Eine partnerschaftliche Teilung der Sorgearbeit
anderen wird für einen Teil der anfallenden Sorge-   kann deshalb ein Schlüssel für die gleichberech-
arbeit Unterstützung in Anspruch genommen.           tigte Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt sein.
Wie die Frauen und Männer Erwerbs- und Sorge-
arbeit aufteilen, hängt aber nicht nur davon ab,

8
1 Status quo

Gleichstellung lässt sich messen:                    Woran liegt das?
Gender Pay Gap, Gender Pension                       • Frauen sind seltener in Führungspositionen
                                                       und arbeiten häufiger in schlechter bezahlten
Gap, Gender Care Gap – und wie sie                     Branchen und Berufen als Männer. Dies wird
zusammenhängen                                         auch als horizontale und vertikale Segregation
                                                       des Arbeitsmarktes bezeichnet. Das verstärkt
Die Ungleichheit von Frauen und Männern im             die Tendenz, Sorge- und Erwerbsarbeit ge-
Erwerbsleben, bei der eigenständigen Existenz­         schlechterstereotyp aufzuteilen.
sicherung und bei der Verteilung unbezahlter
Sorgearbeit kann man mit Kennzahlen beschreiben.     • Frauen unterbrechen oder reduzieren öfter ihre
Einige dieser Zahlen weisen die Lücke (englisch:       Erwerbstätigkeit, unter anderem für Phasen,
Gap) bei Verdienst, Rente und Zeitverteilung           • in denen sie kleine Kinder betreuen oder
zwischen Männern und Frauen aus. Das verbirgt             Pflegebedürftige pflegen,
sich jeweils hinter Gender Pay Gap, Gender Pension     • in denen sie wegen Kinderbetreuung oder
Gap und Gender Care Gap.                                  Pflege in Teilzeit arbeiten.

                                                     • Die Prozesse der Lohnfindung und die Entgelt-
INDIKATOR Gender Pay Gap                               strukturen bergen Diskriminierungsgefahren.

Wie viel weniger als Männer verdienen Frauen
im Durchschnitt prozentual?
Das zeigt der Gender Pay Gap – die Entgeltlücke
zwischen Frauen und Männern. 2019 betrug der
Unterschied in den Bruttostundenlöhnen in
Deutschland 20 Prozent. Frauen verdienten pro
Stunde vor Abzug der Steuern im Durchschnitt
17,72 Euro und Männer 22,16 Euro (Destatis, 2020).

                                                                                                        9
1 Status quo

Gender Pay Gap (Entgeltlücke)

                                                           22,16 €    Frauen: immer häufiger erwerbstätig –
                                                                      aber oft in Teilzeit oder prekär
            17,72 €             4,44 € = 20 %
                                                                      Immer mehr Frauen sind erwerbstägig: 2018
                                                                      waren es 72,1 Prozent – die Erwerbstätigenquo-
                                                                      te der Frauen liegt nur fünf Prozentpunkte unter
                                                                      der der Männer (Destatis, 2019a). Das sogenann-
   Frauen

                                                  Männer
                                                                      te Erwerbsvolumen von Frauen ist aber gleich
                                                                      geblieben: Es sind also mehr Frauen in Teilzeit
                                                                      erwerbstätig beziehungsweise die Anzahl der
                                                                      bezahlten Stunden verteilt sich auf mehr Frauen.
                                                                      2018 arbeiteten fast 48 Prozent der sozialver-
Im Jahr 2019 verdienten Frauen im Durchschnitt 4,44 Euro pro Stunde   sicherungspflichtig beschäftigten Frauen in
weniger als Männer. Der Gender Pay Gap betrug damit 20 Prozent.       Teilzeit, während es bei den Männern nur
                                                                      knapp elf Prozent waren (BA Statistik, 2019b).

Welche Unterschiede gibt es in Deutschland                            Teilzeiterwerbstätigkeit hat dabei einen doppel-
und Europa?                                                           ten Effekt auf das Einkommen: Zum einen
Der Gender Pay Gap lag 2019 in Deutschland                            verdienen Teilzeiterwerbstätige im Durchschnitt
insgesamt bei 20 Prozent; in Westdeutschland bei                      weniger als Vollzeiterwerbstätige. Und zum
21 Prozent und in Ostdeutschland bei sieben                           anderen verdienen Teilzeiterwerbstätige monat-
Prozent (Destatis, 2020). Damit liegt Deutschland                     lich weniger, da sie weniger Stunden arbeiten.
im europäischen Vergleich auf dem vorletzten
Platz (Eurostat, 2019).                                               Zudem überwiegt in prekären Beschäftigungs-
                                                                      verhältnissen der Frauenanteil. 2019 waren
                                                                      2,85 Millionen Frauen und 1,80 Millionen
                                                                      Männer ausschließlich geringfügig beschäftigt
                                                                      (BA Statistik, 2020). 64 Prozent aller weiblichen
                                                                      Beschäftigten im Alter von 25 bis 55 Jahren
                                                                      verdienen außerdem zu wenig, um ihre Existenz
                                                                      langfristig zu sichern, bei den Männern sind es
                                                                      31 Prozent (Pimminger, 2015).

10
1 Status quo

INDIKATOR Gender Pension Gap                          Da alle diese Faktoren zusammenwirken und sich
                                                      über die gesamte Erwerbsbiografie kumulieren, ist
Wie unterscheiden sich die eigenen Ansprüche          der Gender Pension Gap deutlich größer als der
auf Leistungen zur Alterssicherung zwischen           Gender Pay Gap.
­Frauen und Männern?
 Der Gender Pension Gap zeigt die Rentenlücke
 auf. 2015 bezogen Frauen in Deutschland 53 Pro-      Gender Pension Gap (Rentenlücke)
 zent weniger Rente als Männer (BMAS, 2016).
 Betrachtet werden dabei nur die eigenständigen                                                               1.732 €
 Ansprüche. Abgeleitete Ansprüche, wie Hinter-
 bliebenenrenten, bleiben außen vor. Der Gender
                                                                                     918 € = 53 %
 Pension Gap beschreibt daher nicht in erster Linie
 Altersarmut von Frauen, sondern Unterschiede in                814 €
 der eigenständigen Alterssicherung – als Indikator
 für Verwirklichungschancen im Alter.

Woran liegt das?
• Frauen haben eine niedrigere Erwerbsquote           2015 bezogen Frauen in Deutschland 53 Prozent weniger Rente als Männer
  (vor allem in Westdeutschland) und eine             (BMAS, 2016).

  niedrigere Zahl an Erwerbsjahren.

• Frauen arbeiten in geringerem Umfang,               Welche Unterschiede gibt es in Deutschland
  das heißt häufiger in Teilzeitbeschäftigung         und Europa?
  (vor allem in Westdeutschland).                     2015 erhielten Frauen in Westdeutschland
                                                      58 Prozent weniger Rente als Männer, in Ost-
• Frauen haben weniger kontinuierliche                deutschland 28 Prozent (Wagner et al., 2017). Die
  ­Erwerbsverläufe – vor allem, weil sie ihre         geschlechtsbezogene Rentenlücke in der gesetz-
   Erwerbsarbeit häufiger und länger für die          lichen Rentenversicherung belief sich 2014 in
   Familie unterbrechen.                              Westdeutschland auf 42 Prozent und in Ost-
                                                      deutschland auf 23 Prozent (Grabka et al., 2017).
• Frauen verdienen weniger als Männer und sind        In skandinavischen und osteuropäischen Ländern
  häufiger in nicht sozialversicherungspflichtigen    (beispielsweise Estland, Dänemark, Tschechien,
  Minijobs beschäftigt.                               Ungarn) sind die Rentenlücken vergleichsweise

                                                                                                                          11
1 Status quo

gering. Am höchsten fallen sie in Luxemburg,             Die Verteilung unbezahlter Sorgearbeit zwischen
Spanien und Portugal aus. Ostdeutschland belegt          den Geschlechtern und über Haushalte hinweg
in dieser vergleichenden Analyse mit 20,1 Pro-           beschreibt der Gender Care Gap. Der Indikator für
zent europaweit Rang 5, Westdeutschland                  die Sorgearbeitslücke wurde im Auftrag der
mit 48,8 Prozent Rang 15 (Hammerschmid/                  Sachverständigenkommission für den Zweiten
Rowold, 2019).                                           Gleichstellungsbericht der Bundesregierung
                                                         entwickelt.

INDIKATOR Gender Care Gap                                Der Gender Care Gap – das sagt er konkret aus
                                                         Auf Basis der Zeitverwendungserhebungen des
Wer mehr Sorgearbeit leistet, hat weniger Zeit           Statistischen Bundesamtes 2012/2013 wurde der
für Erwerbsarbeit                                        Gender Care Gap in Deutschland erstmals berech-
Der Gender Pay und der Gender Pension Gap                net. Er erfasst, wie viel Prozent mehr Zeit Frauen
weisen die Unterschiede zwischen den Geschlech-          täglich für unbezahlte Sorgearbeit verwenden als
tern beim Einkommen und bei der auf Erwerbs-             Männer.
arbeit basierenden Alterssicherung aus. Unbezahl-
te Sorgearbeit spielt dabei auch eine Rolle: Denn
wie viel Zeit Individuen täglich für unbezahlte
Sorgearbeit aufwenden, bedingt die Zeit, die sie
für Lebensbereiche wie die Erwerbsarbeit haben.

Frauen

Frauen erledigen in der Regel die täglichen, wenig flexiblen
Tätigkeiten, wie zum Beispiel Putzen, Kochen und Waschen,
die sich im Allgemeinen nicht zeitlich verschieben lassen
und schwieriger mit den Erfordernissen des Arbeitsplatzes
in Einklang zu bringen sind.

12
1 Status quo

Der Gender Care Gap beinhaltet folgende Tätig­         Haushaltskonstellationen verrichten Frauen
keiten (jeweils einschließlich der Wegezeiten):        täglich mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer.

• Haushaltsführung (einschließlich Reparatur-
  arbeiten, Gartenpflege, Sorge für Tiere),            Gender Care Gap (Sorgearbeitslücke)

• Pflege und Betreuung von Kindern und                           4:13 h
  Erwachsenen sowie

• ehrenamtliches Engagement und informelle
                                                                                  87 min = 52,4 %
  Hilfen für andere Haushalte.                                                                                    2:46 h

52,4 Prozent betrug der Gender Care Gap 2012/13.
Das heißt, dass Frauen mit 4:13 Stunden 52,4 Pro-
zent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf-
bringen als Männer mit 2:46 Stunden. Täglich sind
das 87 Minuten (Klünder, 2017).

Das belegt: In Deutschland besteht eine ge-
schlechtsbezogene Arbeitsteilung. Quer durch alle      Frauen bringen mit 4:13 Stunden 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte
Bildungs-, Berufs- und Altersgruppen sowie             Sorgearbeit auf als Männer mit 2:46 Stunden (Klünder, 2017).

Männer

Männer übernehmen nicht nur weniger unbezahlte Sorgearbeit
als Frauen, sie erledigen in der Regel auch eher gelegentlich
anfallende, auf das Wochenende verschiebbare Aufgaben (zum
Beispiel Reparaturen im Haus und am Auto), die leichter mit
ihren Arbeitszeiten zu vereinbaren sind.

                                                                                                                               13
1 Status quo

Unbezahlte Sorgearbeit

                                                    UNBEZAHLTE SORGEARBEIT

                      Direkte Sorgearbeit                                 Mental                     Unterstützende Sorgearbeit
                                                                           Load

                                                                                                          Hausarbeit in der Küche,
                                                                                                         Zubereitung von Mahlzeiten

                                                                                                   Instandhaltung von Haus und Wohnung

                                                                                                   Herstellen, Ausbessern etc. von Textilien

                                                                                                   Gartenarbeit, Pflanzen- und Tierpflege
                   Kinderbetreuung im Haushalt
                                                                                                    Bauen und handwerkliche Tätigkeiten
                  Unterstützung, Pflege und/oder
                   Betreuung von erwachsenen                                                                        Einkaufen
                      Haushaltsmitgliedern
                                                                                                     Behördengänge, Inanspruchnahme
                                                                                                         von Dienstleistungs- oder
                                                                                                        Verwaltungseinrichtungen

                                                                                                      Andere Aktivitäten im Bereich
                                                                                                Haushaltsführung und Betreuung der Familie

                                                                                                         Ehrenamtliches Engagement

                                                                                                     Unterstützung für andere Haushalte

Direkte Sorgearbeit bezieht andere Personen mit ein und meint beispielsweise Kinderbetreuung sowie die Unterstützung und Pflege von erwachsenen Haushalts-
mitgliedern. Mit unterstützender Sorgearbeit sind alle Tätigkeiten im Haushalt oder Ehrenamt gemeint. Besonders ausgeprägt ist der Unterschied bei der direkten
Sorgearbeit: Frauen leisten mehr als doppelt so viel direkte Sorgearbeit wie Männer – der Gender Care Gap beträgt hier 108,3 Prozent (versus 47,4 Prozent für
unterstützende Sorgearbeit) (Klünder, 2017).

14
1 Status quo

Welche Unterschiede gibt es in Deutschland                            Auch in anderen europäischen Ländern gibt es
und Europa?                                                           Zeitverwendungserhebungen (zum Beispiel in
Zwischen Ost- und Westdeutschland gibt es                             Frankreich oder Großbritannien). Für einen
beim Gender Care Gap deutliche Unterschiede                           europäischen Vergleich sind vor allem die national
(36,9 Prozent versus 57,4 Prozent). Ostdeutsche                       unterschiedlichen Erhebungszeitpunkte proble-
Frauen verbringen zehn Minuten pro Tag weniger                        matisch, da diese zum Teil mehrere Jahre ausein-
mit Sorge­arbeit als westdeutsche, ostdeutsche                        anderliegen und damit nur schwer verglichen
Männer verbringen 17 Minuten pro Tag mehr                             werden können. Die Europäische Union hat sich
mit Sorge­arbeit als westdeutsche.                                    bereits seit den 1990er-Jahren zum Ziel gesetzt,
                                                                      die nationalen Zeitverwendungserhebungen auf
                                                                      europäischer Ebene zu harmonisieren.
Gender Care Gap in Deutschland differenziert
nach Ost und West                                                     Gender Care Gap – abhängig von Lebensphase,
                                                                      Kindern und Einkommen
5:00 h
                                                                      Lebensphase
                                                                      Der höchste Gender Care Gap mit 110,6 Prozent
                 36,9                      57,4              52,4     zeigt sich im Alter von 34 Jahren und damit in
4:00 h
                                                                      der sogenannten „Rushhour des Lebens“ (Panova
                                                                      et al., 2017). In dieser Phase bündeln sich zentrale
3:00 h
                                                                      Entscheidungen zu Beruf, Partnerschaft und
                                                                      Kindern. Diese wirken sich auch langfristig auf
                                                                      die Arbeitsteilung des Paares aus.
2:00 h

1:00 h
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0:00 h
              Ost                      West          Deutschland
                                                       gesamt

     Frauen                Männer             Care Gap (in Prozent)

                                                                                                                         15
1 Status quo

Kinder im Haushalt                                        • Frauen übernehmen bei einem zusätzlichen
• Frauen in West- und Ostdeutschland verrichten             Kind im Haushalt einen größeren Anteil der
   deutlich mehr Sorgearbeit als Männer, wenn               Sorgearbeit (Klünder, 2017).
   Kinder im Haushalt leben.

• Mütter leisten in Paarhaushalten mit Kindern            Lebensmodelle
  täglich zweieinhalb Stunden mehr Sorgearbeit            • Beim Ernährer-Modell (Vater vollzeitbeschäf-
  als Väter, sodass der Gender Care Gap 83,3 Pro-           tigt, Mutter nicht erwerbstätig) ist die traditio-
  zent beträgt. Im Vergleich liegt der Gender Care          nelle Arbeitsteilung mit einem Gender Care
  Gap in Paarhaushalten ohne Kinder bei                     Gap von 154 Prozent besonders ausgeprägt.
  35,7 Prozent (Klünder, 2017).

Gender Care Gap nach Haushaltstyp

6:00 h
                                                                            83,3
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                                                                                                       76,5
                                                 35,7
4:00 h
                        41,2

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2:00 h

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                 3:53

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                                          4:11

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                                                                    5:30

                                                                              3:00

                                                                                               4:46

0:00 h                                                                                                  2:42
          Einpersonenhaushalte       Paare ohne Kinder            Paare mit Kindern           Alleinerziehende

                                 Frauen          Männer         Care Gap (in Prozent)

16
1 Status quo

• Beim Zuverdienst-Modell (Vater in Vollzeit,                  Nettoeinkommen
  Mutter in Teilzeit beschäftigt) liegt der Gender             • Mit steigendem Haushaltseinkommen wenden
  Care Gap bei 78,8 Prozent.                                     Männer weniger Zeit für Sorgearbeit auf.

• Beim Doppelverdienst-Modell (beide Eltern                    • Frauen in Haushalten mit höherem Nettoein-
  vollzeitbeschäftigt) fällt der Gender Care Gap                 kommen verbringen durchschnittlich weniger
  mit 41,3 Prozent deutlich geringer aus. Aber                   Zeit mit Sorgearbeit als Frauen in Haushalten
  auch in diesem Modell tragen Mütter die                        mit niedrigerem Einkommen.
  Hauptverantwortung für die Sorgearbeit
  (Klünder, 2017).

Gender Care Gap nach Haushaltseinkommen

7:00 h                                                        7:00 h

6:00 h                                                        6:00 h

5:00 h                                                        5:00 h

4:00 h                                                        4:00 h

3:00 h                                                        3:00 h

2:00 h                                                        2:00 h

1:00 h                                                        1:00 h
         5:47

                6:01

                       5:49

                                  5:21

                                           4:54

                                                   4:28

                                                                        3:31

                                                                                3:31

                                                                                       3:25

                                                                                               3:19

                                                                                                       3:04

                                                                                                               2:41
0:00 h                                                        0:00 h
         60 %   60–    75–       100–     125–     150 %                60 %    60–    75–     100–    125–    150 %
                75 %   100 %     125 %    150 %                                 75 %   100 %   125 %   150 %

                                      Prozent des Median-Nettoäquivalenzeinkommens

                              Care Frau                                                   Care Mann

                                                                                                                      17
1 Status quo

Erwerbsumfang                                        Größe des Wohnorts
• In Paarhaushalten mit Kind(ern), in denen die      • Frauen in ländlichen Kreisen verbringen
  Mutter in Vollzeit erwerbstätig ist, beträgt der     34 Minuten mehr Zeit mit Sorgearbeit als
  Gender Care Gap 35,7 Prozent (Klünder, 2017).        Frauen in Großstädten.

• Der zeitliche Umfang der unbezahlten Sorge­        • Am größten fällt der Gender Care Gap in dünn
  arbeit bei Männern ist fast unabhängig davon,        besiedelten ländlichen Regionen aus. Dort
  ob die Partnerin oder der Partner vollzeiter-        leisten Frauen rund 58,8 Prozent mehr Sorge­
  werbstätig ist oder nicht: Männer, deren Part-       arbeit als Männer, während der Gap in kreis-
  nerin vollzeitbeschäftigt ist, bringen etwa ge-      freien Großstädten nur 43,8 Prozent beträgt.
  nauso viel Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf       Das liegt zum einen an der Verfügbarkeit von
  wie Männer, bei denen die Partnerin in Teilzeit      Infrastruktur wie Kinderbetreuungseinrich­
  arbeitet.                                            tungen. Zum anderen erhöhen die Wegezeiten
                                                       (insbesondere das Pendeln vom Wohnort zum
• Im Unterschied dazu wenden Frauen mit                Arbeitsplatz) in ländlichen Regionen den Zeit-
  Partnerin/Partner in Vollzeit 27 Minuten pro         aufwand für Erwerbsarbeit (Calahorrano et al.,
  Tag mehr für unbezahlte Sorgearbeit auf als          2019).
  Frauen mit Partnerin/Partner in Teilzeit
  (Calahorrano et al., 2019).

18
1 Status quo

Gender Care Gap nach Siedlungsstruktur

5:00 h

                                                  55,4                      54,3                   58,8
4:00 h
                      43,8

3:00 h

2:00 h

1:00 h
             3:53

                       2:42

                                           4:18

                                                   2:46

                                                                    4:27

                                                                              2:53

                                                                                           4:22

                                                                                                     2:45
0:00 h
          Kreisfreie Großstädte        Städtische Kreise        Ländliche Kreise mit      Dünn besiedelte
                                                                Verdichtungsansätzen      ländliche Kreise

                                  Frauen          Männer        Care Gap (in Prozent)

Wie sich die Gender Gaps gegenseitig beeinflussen          • Ökonomische Analysen zeigen, dass der eigene
                                                             Anteil am Haushaltseinkommen Einfluss
Gender Care Gap – Gender Pay Gap                             darauf hat, ob man die Erwerbsarbeitszeit
Beeinflusst der Gender Care Gap den Gender Pay               reduziert, um unbezahlte Sorgearbeit zu
Gap oder ist es andersherum? Oder beeinflussen               übernehmen oder nicht (Boll, 2017).
sich beide gegenseitig? Die Zusammenhänge sind
vielfältig:                                                Wenn sich der Gender Pay Gap, und damit auch
                                                           der relative Beitrag zum Haushaltseinkommen,
• Insgesamt wenden Frauen und Männer ähnlich               reduziert, reduziert sich auch der Gender Care
  viel Zeit für Arbeit auf. Nur arbeiten Männer zu         Gap. Maßnahmen, die den Gender Pay Gap verrin-
  einem deutlich größeren Anteil bezahlt und               gern, können dementsprechend auch den Gender
  Frauen zu einem deutlich größeren Anteil                 Care Gap reduzieren (Calahorrano et al., 2019).
  unbezahlt.

                                                                                                             19
1 Status quo

Der Einfluss des Gender Pay Gaps auf den Gender      Gender Care Gap – Arbeitszeit
Care Gap hat das Fraunhofer-Institut für Ange-       Die größten Effekte auf den Gender Care Gap
wandte Informationstechnik (kurz: FIT) unter-        hätten Veränderungen der Arbeitszeiten:
sucht. Das FIT hat analysiert, was passiert, wenn
der Gender Pay Gap geringer wäre. Hier sind zwar     • Wenn Frauen und Männer ihre Wochen­
Effekte zu finden, sie fallen aber gering aus:         arbeitszeiten angleichen, würde sich der
                                                       Gender Care Gap deutlich reduzieren. Statis-
• Eine zehnprozentige Erhöhung der Brutto­             tisch verringert sich der Gender Care Gap um
  stundenlöhne aller Frauen würde den Gender           22 Prozent bei einer 35-Stunden-Woche für
  Care Gap aller erwerbstätigen Personen um            Frauen und Männer und um 14,3 Prozent
  etwa 2,2 Prozent verringern.                         bei einer 30-Stunden-Woche.

• Frauen leisten weniger Sorgearbeit, wenn sie       • Würde sich der Anteil der erwerbstätigen Väter
  • höhere Bruttostundenlöhne,                         in Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen auf
  • ein höheres Haushaltseinkommen und                 20 Prozent erhöhen, verringert das den Gender
  • in Paarbeziehungen ein höheres relatives           Care Gap bei den Eltern um 9,2 Prozent.
     Einkommen haben.
                                                     • Es gibt auch einen deutlichen statistischen
Gender Care Gap – Gender Pension Gap                   Zusammenhang zwischen Elterngeld und
Der Gender Pension Gap ist eine Bilanz des Er-         Gender Care Gap: Wenn sich der Anteil der
werbslebens. Wenn sich die Erwerbstätigkeit von        Väter, die Elterngeld beziehen, auf 50 Prozent
Frauen und Männern angleicht, wird dies sowohl         erhöht, verringert das den Gender Care Gap
den Gender Pay Gap als auch den Gender Pension         bei den Eltern um 13,6 Prozent.
Gap reduzieren. Konkret meint das: Wenn Frauen
weniger Erwerbsunterbrechungen haben (und            Die Verteilung unbezahlter Sorgearbeit zwischen
Männer gegebenenfalls mehr), Frauen eher in          Frauen und Männern wird maßgeblich von der
Vollzeit als in Teilzeit arbeiten (und Männer ihre   Zeit für die Erwerbsarbeit beeinflusst und weniger
Erwerbsarbeitszeit gegebenenfalls reduzieren)        vom Geld für die verrichtete Erwerbsarbeit. Die
und Frauen durch ihre Erwerbsarbeit mehr ver-        Reduktion des Gender Care Gaps bei der Anpas-
dienen, wird dies sowohl den Gender Pay Gap          sung der Arbeitszeiten ist deutlich größer als bei
reduzieren als auch den Gender Pension Gap. Und      der Angleichung der Einkommen.
diese Veränderungen würden wiederum auch
den Gender Care Gap (etwas) reduzieren.

20
2
Ursachen
2 Ursachen

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit:
wie sich eine traditionelle Aufgabenteilung
im Lebensverlauf manifestiert
Jeder Mensch leistet unbezahlte Sorgearbeit –           Das war auch gesetzlich so festgelegt: Frauen
für sich und für andere, als Single oder im Paar,       durften in der BRD nur dann erwerbstätig sein,
mit Kind(ern) oder ohne. Wie Sorgearbeit in unserer     wenn dies mit ihren „Pflichten“ in Ehe und
Gesellschaft zwischen Frauen und Männern verteilt       Familie vereinbar war. 1958 wurden die Ehe­
ist, hat viele Ursachen. Das sind sie und so entsteht   partner zwar rechtlich gleichgestellt, es galt
eine Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern.         gesetzlich jedoch nach wie vor das Familien­
                                                        ernährer-Modell.

Historische Unterschiede in                             Eine Reihe von rechtlichen Regelungen und
Deutschland – und welchen                               sozialpolitischen Leistungen verstärkte die Nach-
                                                        teile des Familienernährer-Modells für die Frauen.
Einfluss sie immer noch haben                           Teilweise sind diese auch weiterhin gültig, wie
                                                        beispielsweise das Ehegattensplitting und die
                                                        beitragsfreie Mitversicherung für Eheleute in
HISTORIE Bundesrepublik Deutschland: vom                der Gesetzlichen Krankenversicherung.
Familien­ernährer-Modell zum Zuverdienst-Modell

Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) richtete
sich seit den 1950er-Jahren am sogenannten
Familienernährer-Modell aus: Der Familien­
ernährer verdient alleine das gesamte Einkommen
für seine Familie. Er ist mit einer Hausfrau ver­
heiratet, die gegenüber dem Mann nicht gleich­
berechtigt ist und die unbezahlte Sorge­arbeit im
Haushalt übernimmt. In dieser Rolle bekommt
sie Schutz durch den Staat.

22
2 Ursachen

                                                              Im Scheidungsrecht wurde das Zerrüttungsprin-
                                                              zip mit dem Versorgungsausgleich eingeführt,
 Das Familienernährer-Modell aus gleich­                      um geschiedene nicht erwerbstätige Frauen und
 stellungspolitischer Sicht                                   Mütter sozial abzusichern. Staatliche Unterstüt-
 • Diese Konstellation weist die unbezahlte                   zung in Form einer ausgebauten Pflegeinfrastruk-
    Sorgearbeit Frauen zu und erschwert es                    tur und sozialpolitischer Leistungen bei der Pflege
    ihnen, eine berufliche Karriere zu verfolgen;             von Angehörigen fehlten bis weit in die 1980er-­
    sie geraten in finanzielle Abhängigkeit.                  Jahre weitestgehend. Pflege von Angehörigen war
 • Da ein Großteil der Sorgearbeit in der Familie             vorrangig eine Aufgabe der Familie. Sie wurde
    geleistet wird, bleibt die öffentliche Infra-             unbezahlt von den Familienangehörigen, mehr-
    struktur unterentwickelt.                                 heitlich von Frauen, übernommen.
 • Von den meist männlichen sogenannten
    Familienernährern wird hingegen verlangt,
    Zeit und Energie ausschließlich in den Beruf
    fließen zu lassen.                                          Das Zuverdienst-Modell aus gleich­
                                                                stellungspolitischer Sicht
 Quelle: Sachverständigenkommission für den Zweiten Gleich­     • Das Zuverdienst-Modell ist lediglich eine
 stellungsbericht                                                  Variation des Familienernährer-Modells.
                                                                   So ändert sich für den meist männlichen
                                                                   Familienernährer wenig, ihm bleibt weiterhin
                                                                   wenig Zeit für die Familie.
Anfang der 1960er-Jahre stieg der Bedarf an                     • Die meist weibliche Zuverdienerin muss
Arbeitskräften. Es kam zum gesellschaftlichen                      hingegen Teilzeiterwerbsarbeit und familiäre
Wandel hin zum Zuverdienst-Modell: In dieser                       Sorgearbeit vereinbaren. Außerdem kann sie
Konstellation blieb der Mann Familienernährer.                     durch ihre Teilzeitarbeit ihre Existenz kaum
Die Frauen verdienten durch eine zumeist in                        eigenständig sichern und sich nur wenig
Teilzeit ausgeübte Erwerbstätigkeit zum Familien-                  beruflich entwickeln.
einkommen hinzu. Mit der Reform des Ehe- und                    • Im Zuverdienst-Modell bleibt die gleich­
Familienrechts 1977 wurden Frauen von der                          stellungspolitische Schieflage erhalten: Wer
Pflicht zur Führung des Haushalts entbunden.                       mehr unbezahlte Sorgearbeit übernimmt und
Sie erhielten ein uneingeschränktes Recht auf                      weniger bezahlt arbeitet, ist ökonomisch
Erwerbstätigkeit und durften eigenständig                          abhängiger und kann für die eigene Alters-
Arbeitsverträge abschließen und kündigen.                          sicherung weniger vorsorgen.

                                                                                                                  23
2 Ursachen

 HISTORIE Deutsche Demokratische Republik:            So gab es Einschränkungen für Väter, familien-
Frauen leisteten im Haushalt mehr – trotz Doppel­     politische Leistungen in Anspruch zu nehmen.
verdienst-Modell                                      Das Doppelverdienst-Modell blieb in seiner tat-
                                                      sächlichen Ausgestaltung gleichstellungspolitisch
Die Deutsche Demokratische Republik (DDR)             inkonsistent. Die staatliche Durchsetzung der
orientierte sich am Doppelverdienst-Modell mit        Gleichstellung der Frauen beschränkte sich letzt-
zwei vollzeiterwerbstätigen Erwachsenen. Das          endlich auf den Arbeitsmarkt. Sie führte nicht zur
Modell setzt auf die durchgängige volle Erwerbs-      parallelen Gleichstellung der Frauen bei der Ver-
tätigkeit der Mutter.                                 teilung der unbezahlten Sorgearbeit im Haushalt.

In der Verfassung der DDR war von Beginn an           1985 übernahmen Frauen zwei Drittel der unbe-
das Gleichberechtigungsprinzip in der Ehe festge-     zahlten Sorgearbeit, Männer ein Drittel. Damit
schrieben: Die Eheleute waren verpflichtet, die       blieb auch in der DDR, wenn auch im Vergleich
unbezahlte Sorgearbeit so aufzuteilen, dass die       zur BRD eine abgeschwächte, traditionelle ge-
Frau ihre berufliche Tätigkeit mit der Mutterschaft   schlechtsbezogene Arbeitsteilung im Haushalt
vereinbaren kann. Sie waren sich gegenseitig zum      erhalten.
Unterhalt verpflichtet. Nach der Scheidung hatte,
im Gegensatz zur BRD, jede Person eigenverant-
wortlich für sich selbst zu sorgen.                    HISTORIE Wiedervereintes Deutschland
                                                      (ab 1990): Das Zuverdienst-Modell gewann
Das Doppelverdienst-Modell ermöglichte der            an ­Bedeutung
Staat vor allem durch eine ausgebaute Kinderbe-
treuungs- und Pflegeinfrastruktur – bereits für       Nach der Wiedervereinigung 1990 kam es in der
mehrere Wochen alte Kinder. Pflegebedürftige          ehemaligen DDR zu grundlegenden strukturellen
Menschen wurden im Regelfall in staatlich sub-        Veränderungen: Der Anteil berufstätiger Frauen
ventionierten Heimen untergebracht. Eine Reihe        sank deutlich. Durch den Anstieg der Erwerbs­
familienpolitischer Leistungen beinhalteten           losigkeit, befristete Arbeitsverträge und den Rück-
Anreize für Mütter, ihre Erwerbstätigkeit wieder-     gang der Vollbeschäftigung änderten sich die
aufzunehmen.                                          Rahmenbedingungen drastisch. Es kam zu einem
                                                      Geburtenrückgang und einem Rückbau der
Trotzdem forderte der Staat von den Frauen eine       Kinderbetreuungsinfrastruktur. Das Zuverdienst-­
höhere Verantwortung für alle Familienbelange.        Modell gewann auch in Ostdeutschland an
                                                      Bedeutung.

24
2 Ursachen

Da das institutionelle Gefüge der Bundesrepublik      Ein kurzer Überblick über die aktuellen Rahmen-
auf die Gebiete der ehemaligen DDR übertragen         bedingungen in Deutschland:
wurde, bestanden in ganz Deutschland die gesetz-
lichen Regelungen, die auf dem Familienernährer-­     Betreuung und Erziehung von Kindern
Modell basieren, und damit verknüpften Normen         • Mutterschutz: Regelungen zum Gesundheits-
weiter.                                                 schutz, Kündigungsschutz und zu beziehbaren
                                                        Leistungen
Einen Paradigmenwechsel brachte die Ergänzung
des Artikels 3 Absatz 2 des Grundgesetzes 1994,       • Elternzeit (seit 2007): Kündigungsschutz,
in dem der Staat zu einer tatsächlichen Geschlech-      rechtlicher Anspruch auf Teilzeitarbeit
tergleichstellung aktiv beauftragt wurde. In der
Folge wurden zahlreiche gesetzliche Regelungen        • Elterngeld (seit 2007): individualisierte Leis-
und Normen reformiert, zum Beispiel das Unter-          tung, die fehlendes Einkommen ersetzt, wenn
haltsrecht.                                             Eltern ihre Erwerbsarbeit unterbrechen oder
                                                        reduzieren

Aktuelle rechtliche Rahmenbedingungen                 • ElterngeldPlus (seit Januar 2015): ermöglicht
für ­Sorgeverantwortung tragende Menschen –             in Teilzeit arbeitenden Eltern, Elterngeld zu
eine Übersicht                                          beziehen, ebenfalls einkommensabhängig

Der Staat gestaltet die Rahmenbedingungen für         • Krankengeld: Krankengeld für den pflegenden,
die Betreuung und Erziehung von Kindern und             erwerbstätigen Elternteil
die Pflege von Angehörigen mit verschiedenen
Regelungen. Sie alle wirken sich auf die Verteilung   • Unterhaltsrecht: Unterhaltszahlungen für
unbezahlter Sorgearbeit aus – und wurden vor            Geschiedene nach einer Reform nur noch bis
dem Hintergrund gesellschaftlicher Wandlungs-           das jüngste Kind drei Jahre alt ist
prozesse immer wieder neu ausgerichtet.
                                                      • Rentenpunkte: Ein Elternteil erhält unter
                                                        bestimmten Voraussetzungen Rentenpunkte
                                                        in der gesetzlichen Rentenversicherung, diese
                                                        werden zuerst automatisch der Mutter zuge-
                                                        ordnet.

                                                                                                        25
2 Ursachen

• Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz            • Familienpflegezeitgesetz (Novellierung 2015):
  für Ein- bis Dreijährige (seit 2013), verbunden       Möglichkeit für Erwerbstätige, die Arbeitszeit
  mit einem massiven Ausbau der Infrastruktur,          für einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten auf
  Stand: 2019: fast 790.000 Plätze für Kinder unter     bis zu 15 Stunden pro Woche zu reduzieren, um
  drei Jahren (Betreuungsquote Ostdeutschland:          einen nahen Angehörigen zu pflegen
  51,5 Prozent versus Westdeutschland:
  29,4 P
       ­ rozent)                                      • Rentenpunkte in der gesetzlichen Rentenver-
                                                        sicherung: Unter bestimmten Voraussetzungen
• Sicherstellung der Betreuung von Grund-               erhalten pflegende Angehörige Rentenpunkte
  schulkindern: 41 Prozent der Kinder besuchten         in der gesetzlichen Rentenversicherung.
  im Jahr 2017 ein Ganztagsbetreuungsangebot
  (mehr als 35 Stunden pro Woche) und weitere         • Flächendeckende ambulante und stationäre
  47 Prozent ein erweitertes Halbtagsangebot            Angebote: kein Rechtsanspruch; oft werden
  (mehr als 25 bis 35 Stunden pro Woche).               Angehörige zum Beispiel wegen hoher Kosten
                                                        stationärer Pflege zu Hause gepflegt. Das
Pflege von Angehörigen                                  schränkt vor allem niedrig qualifizierte Frauen
Das Pflegesystem in (West-)Deutschland baut seit        ein, sich beruflich zu entwickeln und ihre
Jahrzehnten strukturell darauf auf, dass vorrangig      Existenzsicherung eigenständig zu sichern.
Angehörige Pflegetätigkeiten übernehmen.
                                                      • Personalbedarf für die Kranken- und Alten-
• Pflegegeld: wird gezahlt, wenn Angehörige             pflege: hoher Personalbedarf beziehungsweise
  die Pflege übernehmen. Mit dem Pflegegeld             Fachkräftemangel; mit der Konzertierten
  können Pflegebedürftige Angehörigen eine              Aktion Pflege hat die Bundesregierung bereits
  finanzielle Anerkennung für ihre Leistung zu-         begonnen, nachzusteuern.
  kommen lassen. Für pflegende Angehörige
  leitet sich jedoch kein eigenständiger Anspruch     • Haushaltsnahe Dienstleistungen: unter
  aus dieser Leistung ab.                               bestimmten Voraussetzungen Steuererleich­
                                                        terung für Haushalte, die Tätigkeiten der
• Pflegezeitgesetz (2008): Freistellungsoptionen        unbezahlten Sorgearbeit an Personen bezie-
  für erwerbstätige, nahe Angehörige, die unbe-         hungsweise Dienstleistungsunternehmen
  zahlt für einen pflegebedürftigen Menschen            externalisieren
  Sorgeverantwortung übernehmen

26
2 Ursachen

Das Zuverdienst-Modell:                                  Nur ein kleiner Teil der Elternpaare mit mindes-
nicht gewollt, aber praktiziert –                        tens einem Kind verteilt die Aufgaben tatsächlich
                                                         egalitär. Dabei wünschen sich heute die meisten
die Knotenpunkte Familiengründung,                       Männer eine Partnerschaft, in der beide erwerbs-
Wiedereinstieg und Pflege                                tätig sind und sich beide etwa gleichviel um
                                                         Haushalt und Kinder kümmern (2007: 33 Prozent
Nur wenige Elternpaare verteilen die Aufgaben            aller Männer ab 18 Jahren; 2015: 42 Prozent, nach
tatsächlich egalitär – obwohl sie sich das wünschen.     Wippermann, 2017). Während vollzeitarbeitende
Wieso praktizieren sie dennoch eine traditionelle        Eltern – sowohl Mütter als auch Väter – gerne
Aufteilung? Welche Faktoren beeinflussen neben           weniger arbeiten würden, möchten teilzeiterwerbs-
den institutionellen Rahmenbedingungen ihre              tätige und nicht erwerbstätige Eltern gerne mehr
Entscheidungen?                                          arbeiten.

                                                         Studien zeigen: Das Zuverdienst-Modell ist für
Arbeitsteilung in Familien, insbesondere bei der         viele nicht ideal und nicht gewollt, aber ein
Haus- und Sorgearbeit, wird oft nicht explizit           Modell, das wegen der ökonomischen Anreize
verhandelt. Sie entsteht vielfach durch gelebte          praktiziert wird – eigentlich nur vorübergehend.
Praxis und Routinen, die auch auf impliziten             Vor allem bei jungen Männern wandeln sich die
Geschlechterrollen beruhen. Auf diese greifen            Einstellungen. Der Wunsch, mit der Vaterschaft
Individuen gerade dann zurück, wenn sie sich             seine Arbeit zu reduzieren oder zu unterbrechen,
vor oder in einer Umbruchphase befinden.                 um der Rolle als Vater auch im Alltag gerecht zu
                                                         werden, ist vor allem in gehobenen Bildungs-
So wird väterliche Vollzeiterwerbstätigkeit kaum         schichten und Milieus hoch.
infrage gestellt. Paare ziehen eine egalitäre Arbeits-
teilung seltener in Betracht, da diese als aufwen­       Wieso schlagen sich diese egalitären Einstellun-
diger erachtet wird, und Einkommensverluste              gen nicht im tatsächlichen Verhalten nieder?
befürchtet werden. Die Vorteile der egalitären           An welchen Knotenpunkten manifestiert sich
Arbeitsteilung (langfristige Flexibilisierung,           die Verteilung von Erwerbs- und unbezahlter
gleiche Verwirklichungschancen im Beruf und              Sorgearbeit? In welchen Lebensphasen werden
Zeit für die Familie für beide Elternteile) sehen        Entscheidungen getroffen, die später nicht
Paare häufig nicht oder schätzen sie geringer ein        mehr einfach geändert und angepasst werden
als den damit verbundenen Aufwand.                       können?

                                                                                                            27
2 Ursachen

 KNOTENPUNKT Familiengründung: Nach der              Paare im Doppelverdienst-Modell
­Geburt eines Kindes leben Paare ­traditioneller

Bevor ein Kind im Haushalt lebt, sind – das zeigen
viele empirische Studien – Erwerbs- und Haus-
arbeit relativ egalitär verteilt.                                                              71 %
• Mit Geburt des ersten Kindes kommt es zu                 Vor Geburt
  einer sogenannten „Retraditionalisierung“:            des ersten Kindes

  Die Mütter unterbrechen die eigene Erwerbs-
  arbeit im Zuge der Elternzeit (oder länger)
  und werden in dieser Zeit für die unbezahlte
  Sorgearbeit zuständig. Die Väter hingegen
  bleiben überwiegend kontinuierlich erwerbs-                                                    15 %
  tätig und verantworten das Familienein­
  kommen.

                                                          Nach Geburt
• Im Anschluss an den Mutterschutz nehmen
                                                        des ersten Kindes
  die allermeisten Mütter Elternzeit und bezie-
  hen Elterngeld. Sie sind nun mit dem Kind
  zu Hause.                                          Vor der Geburt des ersten Kindes leben mehr als zwei Drittel der Paare
                                                     (71 Prozent) ein Doppelverdienst-Modell, nach der Geburt des Kindes nur
                                                     noch etwa 15 Prozent.
• Während Paare über die Verteilung der Eltern-
  zeit und der Elterngeldmonate vor der Geburt
  sprechen, sprechen die meisten Paare nicht
  über die Verteilung der Hausarbeit. Im Laufe       Meist ist die Geburt von Kindern deshalb ein
  der Elternzeit übernimmt dann häufig die           Knotenpunkt, an dem sich die Berufsbiografien
  Person die Hausarbeit, die zu Hause ist. Da        der beiden Personen im Paar unterschiedlich
  Mütter im Durchschnitt deutlich länger             entwickeln.
  Elternzeit nehmen, sind dies in den meisten
  Fällen auch die Mütter.

28
2 Ursachen

• Obwohl mehr als zwei Drittel der Paare             Teilzeitquoten von Frauen und Männern 2019
  (71 ­Prozent) vor der Geburt des ersten Kindes
  ein Doppelverdienst-Modell leben, tun dies                                                 11 %
  nach der Geburt des Kindes nur noch etwa
  15 Prozent.

• 55 Prozent der Mütter arbeiten mit reduziertem
  Erwerbsumfang, 17 Prozent hören ganz auf zu
  arbeiten.                                                                                             48 %

• Nur in vier Prozent der Familien arbeiten die
  Väter nach der Elternzeit des ersten Kindes mit                            Frauen               Männer
  einem Umfang von 25 bis 34 Wochenstunden
  in Teilzeit.                                       2019 arbeiteten fast 48 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftig-
                                                     ten Frauen in Teilzeit, während es bei den Männern nur knapp elf Prozent
                                                     waren (BA Statistik, 2019b).
Auch eine weitere Repräsentativbefragung von
Vätern (Wippermann, 2017) kommt zu dem
Ergebnis:
                                                     Ostdeutschland: Doppelte Erwerbsarbeit
• Für Väter ist die Vollzeiterwerbstätigkeit die     ist selbstverständlicher
  soziale Norm.                                      Obwohl das Doppelverdienst-Modell nach der
                                                     Wiedervereinigung unter Druck geriet, dominiert
• Einerseits wünschen sie sich mehr Zeit für ihr     es in Ostdeutschland nach wie vor.
  Kind und ihre Familie; andererseits arbeiten sie
  nach der Familiengründung sogar mehr.              • In Ostdeutschland arbeiten in 27 Prozent der
                                                       Paarfamilien mit minderjährigen Kindern beide
• Die Mehrheit der Männer betrachtet eine Teil-        Elternteile mehr als 36 Wochenstunden, in
  zeitbeschäftigung zwar theoretisch als möglich,      Westdeutschland dagegen nur in neun Prozent
  jedoch finanziell auch als riskant sowie als         der Familien (BMWi, 2019). Doppelte Erwerbs-
  karriereschädigend. Männer erleben ihre Voll-        tätigkeit ist im Osten Deutschlands nach wie
  zeiterwerbstätigkeit als ökonomisch-rationale        vor etwas Selbstverständliches, Gewohntes und
  Wahl und zugleich als Ausweis normalen               Normales.
  Mannseins.

                                                                                                                               29
2 Ursachen

• Die Erwerbstätigenquote von Müttern ist in          Mütter sind nach wie vor für die Kinderbetreuung
  Ostdeutschland nach wie vor deutlich höher          zuständig
  als in Westdeutschland, insbesondere bei            • Auch nach der Elterngeldreform 2007, mit der
  Müttern mit kleinen Kindern: 2017 waren in            die Politik die Beteiligung von Vätern gestärkt
  Westdeutschland 57 Prozent der Mütter mit             hat, sind nach wie vor Mütter für die Kleinkind-
  jüngstem Kind zwischen zwei und drei Jahren           betreuung zuständig.
  erwerbstätig, in Ostdeutschland dagegen
  72 Prozent (BMWi, 2019).                            • Für Mütter hat sich aber – unabhängig von
                                                        ihrem Einkommen beziehungsweise dem
• Ostdeutsche Mütter mit kleinen Kindern                Haushaltseinkommen – etabliert, die Berufs­
  arbeiten zudem überwiegend in Vollzeit oder           tätigkeit zwölf Monate lang zu unterbrechen.
  in vollzeitnaher Teilzeit, während westdeutsche
  Mütter überwiegend in Teilzeit mit wenigen          • Mütter in Ostdeutschland nehmen kürzere
  Stunden arbeiten: Während 2017 im Osten               Elternzeiten als Mütter in Westdeutschland.
  49 Prozent der Mütter mit minderjährigen
  Kindern in Teilzeit tätig waren, lag der Anteil      Mehr Väter nehmen Elternzeit, jedoch mit
  im Westen bei 74 Prozent (Destatis, 2018b).         ­kürzerer Bezugsdauer
                                                       • Auch bei den Vätern ist ein Wandel erkennbar:
Aber das Zuverdienst-Modell spielt in Ostdeutsch-        Mehr Männer nehmen Elternzeit in Anspruch.
land zunehmend eine Rolle. Im Zeitraum von               2007 waren nur 3,5 Prozent aller Erziehungs-
1996 bis 2013 ging der Anteil erwerbstätiger             geldbeziehenden männlich. Ein Jahr nach der
Elternpaare in Ostdeutschland, in denen beide            Elterngeldreform stieg die Väterbeteiligung auf
Elternteile in Vollzeit arbeiteten, um rund 26 Pro-      über 15 Prozent. Seitdem kam es zu einem
zentpunkte zurück. Im Vergleich dazu stieg der           kontinuierlichen Anstieg bis auf 35,7 Prozent
Anteil erwerbstätiger Elternpaare in Ostdeutsch-         (Basiselterngeld) im Jahr 2015, knapp 37 Prozent
land, in denen der Vater in Vollzeit und die Mutter      im Jahr 2016 (Unterhofer et al., 2017/Samtleben
in Teilzeit tätig war, um 22 Prozentpunkte.              et al., 2019) auf 41 Prozent (Destatis: Statistik
                                                         zum Elterngeld, 2020).

30
2 Ursachen

• Entscheidend ist jedoch die Länge der Eltern-       • Die Zahl der Väter, die Elterngeld beziehen,
  zeit: Die durchschnittlich geplante Eltern-           steigt von Jahr zu Jahr an: Im Jahr 2015 waren es
  geld-Bezugsdauer von Vätern ist mit 3,8 Mona-         326.000 Väter (21 Prozent), 365.000 (22 Prozent)
  ten deutlich geringer als die von Müttern mit         im Jahr 2016 und 406.000 (23 Prozent) im Jahr
  14,2 Monaten. Außerdem nehmen knapp                   2017. Im Jahr 2018 haben 433.000 Väter Eltern-
  80 Prozent der Väter nur jene zwei Monate des         geld bezogen.
  Basiselterngeldes in Anspruch, die sonst ver­
  fallen würden (Destatis, 2019c).                    • Die durchschnittlich geplante Elterngeld-­
                                                        Bezugsdauer von Vätern lag mit 3,8 Monaten
In der Praxis etabliert: Mütter nehmen                  weiterhin deutlich unter der Bezugsdauer
zwölf ­Monate Elternzeit, Väter zwei                    von Müttern (im Schnitt 14,2 Monate). Das
• Frauen beziehen nicht nur häufiger, sondern           ab Juli 2015 neu geschaffene ElterngeldPlus
   auch deutlich länger Elterngeld. Daran hat auch      nehmen inzwischen 13 Prozent der Elterngeld
   die Einführung des ElterngeldPlus kaum etwas         beziehenden Väter in Anspruch (im Vergleich:
   geändert.                                            30 Prozent der Mütter).

• Zwar nutzen mehr Mütter und auch Väter die          • Auch wenn das Elterngeld so angelegt ist,
  Möglichkeit, die Elternzeit mit einer Teilzeiter-     dass sich die Eltern die Monate des Elterngeld-
  werbstätigkeit zu kombinieren – insgesamt ist         bezuges frei aufteilen können und die Partner-
  dadurch jedoch der Anteil von Vätern in               monate als Mindestregelung angelegt sind, hat
  Elternzeit nicht gestiegen.                           sich in der Praxis etabliert, dass Väter meistens
                                                        zwei Monate Elternzeit nehmen.
• Die Elterngeldreform hat die Dauer der Eltern-
  zeit nur wenig beeinflusst: Lag 2015 der Anteil
  der Väter, die bis zu zwei Monate Elternzeit
  nahmen, noch bei etwa 77 Prozent, hat er sich
  zugunsten des Anteils mit längerer Elternzeit
  bis 2018 auf rund 72 Prozent verringert (Samt-
  leben et al., 2017).

                                                                                                       31
2 Ursachen

Bezug von Basiselterngeld und ElterngeldPlus nach Geschlecht

50

                                                                                                                              38,8           40,4
40                                                                                                              36,9
                                                                                                  34,8
                                                                                   32,6
                                                                     30,0
30                                                    28,0
                                        25,9
                         24,0
           21,2
20

10

  0
            2008          2009           2010          2011           2012          2013          2014           2015          2016           2017
                                                                Angaben in Prozent
Die Väterbeteiligung bezeichnet den prozentualen Anteil der Kinder, für die (mindestens) ein männlicher Leistungsbezieher Elterngeld bezogen hat, an allen
im betrachteten Zeitraum geborenen Kindern (Destatis, 2020).

Eine Frage des Geldes? Für welches Arrangement                                      in Höhe von 1.800 Euro. Anderseits kann das
sich Paare entscheiden                                                              höhere Einkommen eine kurze oder gar keine
Geld innerhalb der Paarbeziehung wird individu-                                     Elternzeit begründen, weil die Paare das höchste
ell bewertet. Paare in einer ähnlichen finanziellen                                 Gesamteinkommen erzielen wollen oder müssen.
Situation begründen höchst unterschiedliche                                         In Haushalten mit geringem Einkommen sind
Elternzeitarrangements als ökonomisch sinnvoll.                                     die Höhe des Einkommens und die Höhe mögli-
Zum Beispiel gilt das höhere Einkommen einer                                        cher Ersatz­leistungen besonders relevant. Etwa
Partnerin oder eines Partners einerseits als Be-                                    die Hälfte der Mütter und Väter ist der Meinung,
gründung für eine Elternzeit mit einer höheren                                      dass der Elternteil weiter berufstätig sein sollte,
oder sogar maxi­malen sozialstaatlichen Leistung                                    der mehr verdient.

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2 Ursachen

                                                     Der berufliche Wiedereinstieg nach der Familien-
                                                     phase gilt damit ebenfalls als eine „Traditionali­
 Die eintretende „Elternschaft“ ist nach wie vor     sierungsfalle“ in der Partnerschaft. Verschiedene
 der Zeitpunkt, bei dem die Verteilung der unbe-     wohlfahrtsstaatliche Leistungen legitimieren –
 zahlten Sorgearbeit traditioneller wird. Die Ver-   ­gemeinsam mit Geschlechterrollenzuschreibun-
 teilung hängt in einem großen Maß ab von             gen – mehrjährige Auszeiten. Einen vollständigen
                                                      Wiedereinstieg nehmen Frauen oft als nicht
 • sozialen Normen, wie zum Beispiel „Babys           lohnenswert wahr. Diese drei Faktoren wirken
   und Kleinkinder sollten zu Hause von der           hier in einem Zusammenspiel:
   Mutter aufgezogen werden“,
 • Stereotypen, wie zum Beispiel „Mütter             • Eine fehlende, teilweise teure Kinderbetreu-
   können sich besser um Babys nach der                ung: Die Kosten für die öffentliche Kinder­
   Geburt kümmern“,                                    betreuung sind für Haushalte mit niedrigem
 • traditionellen Rollenzuschreibungen, wie            Einkommen trotz staatlicher Zuschüsse oft zu
   zum Beispiel „Frauen sind für die unbezahlte        hoch, private Kinderbetreuungsangebote sind
   Sorgearbeit zuständig, Männer für das               nur für Haushalte mit höherem Einkommen
   Einkommen der Familie“.                             bezahlbar.

 Nachdem die finanziell durch den Staat unter-       • Die Leistungen des Sozial- und Steuersystems
 stützte Elternzeit zu Ende ist, wirken jedoch         in Form des Ehegattensplittings und der Aus-
 weiterhin die sozialen Normen stark, sodass           gleich über die Lohnsteuerklassen konfrontie-
 Väter in Vollzeit arbeiten und Mütter maximal         ren Frauen beim beruflichen Wiedereinstieg
 in Teilzeit.                                          mit einer hohen Abgabelast und erschweren die
                                                       Rückkehr in gleichberechtigte Modelle.

                                                     • Die beitragsfreie Mitversicherung für Ehe­
KNOTENPUNKT Wiedereinstieg:                            leute in der gesetzlichen Krankenversicherung
eine „Traditionalisierungsfalle“?                      kann dazu führen, dass eine geringfügige
                                                       Beschäftigung lukrativer ist als eine sozial­
Viele Mütter arbeiten – nachdem sie für die Kin-       versicherungspflichtige Anstellung.
derbetreuung ihre Erwerbstätigkeit unterbrochen
hatten – nur mit reduzierten Stunden weiter.

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2 Ursachen

Vielfach bewerten Paare ganz subjektiv, ob sich      als Mütter ohne Homeoffice; während Väter,
der Wiedereinstieg der Frau „rechnet“. Die mütter-   unabhängig davon, ob sie im Homeoffice arbeiten
liche Erwerbstätigkeit wird dabei materiell und      oder nicht, 13 Stunden für die Betreuung der
symbolisch abgewertet und zuweilen sogar als         Kinder verwenden (Lott, 2019).
individuelles Armutsrisiko eingestuft, zum
Beispiel durch den Wegfall der Familienmit­          Die traditioneller werdende Arbeitsteilung –
versicherung oder entstehende Kosten für die         eine Einbahnstraße
außerhäusliche Betreuung. Es liegt auch an           Mit dem (teilweise zwangsläufig reduzierten)
geschlechtsbezogenen Zuschreibungen der              Wiedereinstieg der Mutter verfestigt sich die
Verantwortlichkeit für Sorgearbeit, dass Paare       einseitige Zuständigkeit des Vaters als Familien­
die Kosten für Kinderbetreuung gegen den             ernährer. Der Mann treibt seine Karriere und
zusätzlichen Verdienst der Mutter aufrechnen         berufliche Entwicklung in Vollzeit voran, wohin-
und die Erwerbstätigkeit der Mutter begründet        gegen die Mutter ihre berufliche Entwicklung
werden muss.                                         hintenanstellt und oft mit Arbeitslosigkeit oder
                                                     Dequalifizierung konfrontiert ist.
Bei Alleinerziehenden stellt sich eher die Frage,
wie und in welchem Umfang sie erwerbstätig sein      Werden diese traditionellen Arrangements einmal
können. Bei den Müttern minderjähriger Kinder        gelebt, stabilisiert sich diese Lebensweise und wird
unterscheidet sich die Erwerbstätigkeit zwar kaum    im Verlauf der Beziehung mehrheitlich nicht mehr
zwischen Alleinerziehenden (70,1 Prozent) und        ausgeglichen beziehungsweise revidiert. Das zeigt
Müttern in Partnerschaften (67,7 Prozent). Allein-   sich unter anderem daran, dass
erziehende Mütter arbeiten jedoch deutlich
häufiger in Vollzeit (42 Prozent) als Mütter in      • die meisten Elternpaare nach der Geburt weite-
Partnerschaften (29 Prozent) (Destatis, 2018c).        rer Kinder die gleiche Erwerbskonstellation
                                                       ausüben, die sie beim ersten Kind gewählt
Eine Möglichkeit, trotz Sorgeverantwortung mehr        haben (89 Prozent der Väter und 66 Prozent
zu arbeiten, ist das Homeoffice. Allerdings kann       der Mütter von zwei oder mehr Kindern).
sich im Homeoffice die ungleiche Verteilung von
Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen den Ge-            • bis zum 30. Lebensjahr 58 Prozent der Frauen
schlechtern verfestigen. So investieren Mütter im      vollzeitberufstätig sind, danach sind es weniger
Homeoffice mit insgesamt 21 Stunden fast drei          als 50 Prozent (lfD, 2015).
Stunden pro Woche mehr in die Kinderbetreuung

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2 Ursachen

• Frauen unbezahlte Sorgearbeit deutlich stärker
  erhöhen als Männer, wenn ein Kind im Haus-
  halt lebt, und bei einem weiteren Kind den             Häusliche Pflege – Zahlen und Fakten
  größeren Anteil der Sorgearbeit übernehmen             Ungefähr drei Viertel aller Pflegebedürftigen
  (Calahorrano et al., 2019).                            (2,59 Millionen Menschen) wurden 2017 zu
                                                         Hause versorgt, davon 1,76 Millionen in der
Studien zeigen: Schon wenn Väter mehr als zwei           Regel allein durch Angehörige (Destatis, 2018a).
Monate Elternzeit nehmen, wirkt sich das positiv         Im Durchschnitt sind die pflegenden Angehöri-
auf die Arbeitszeiten und den weiteren Berufsweg         gen 55 bis 64 Jahre alt, die Mehrheit von ihnen
der Partnerin nach dem Wiedereinstieg aus, da            ist verheiratet. Zwei Drittel der Hauptpflege­
diese früher wieder einsteigen kann. Der Effekt          personen (1,65 Millionen) sind weiblich (Roth-
ist sogar noch stärker, wenn der Vater nach den          gang/Müller, 2018). Gegenüber Männern
Elternmonaten seine Arbeitszeit leicht reduziert.        verrichten Frauen (Ehefrauen, Töchter, Schwie-
Das verstärkt sein Engagement in der Familie             ger- oder Enkeltöchter) mehr als doppelt so
und erleichtert es der Partnerin, sich auf ihr           häufig unbezahlte Pflegetätigkeiten in der
berufliches Fortkommen zu konzentrieren – was            Familie. Überwiegend Frauen leisten nach wie
wiederum die Chance vergrößert, dass Paare               vor private häusliche Pflege.
Erwerbs- und Sorgearbeit egalitärer aufteilen.

KNOTENPUNKT Pflege von Angehörigen:                    Verschiedene Quer- und Längsschnittstudien
Häusliche Pflege ist weiblich                          belegen:

Wer Kinder betreut, kann erwarten, dass sich der       • Menschen, die häusliche Pflege übernehmen,
Sorgeaufwand im Laufe der Zeit reduziert. Denn           sind seltener berufstätig.
es gibt eine festgelegte Reihenfolge von Institutio-
nen, die unterstützen (Kita, Kindergarten, Ganz-       • Häusliche Pflege realisieren sie häufig in
tagsschule et cetera). Wenn ein Pflegefall in der        Kombination mit einer Erwerbstätigkeit
Familie eintritt, ist das anders: Dieser kommt oft       in Teilzeit.
sehr plötzlich und es ist ungewiss, wie die Pflege-
bedürftigkeit verlaufen wird.

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