MENSCHENRECHTE, FLÜCHTLINGE UND UNHCR - KOPIERVORLAGEN ZUR UNTERRICHTSEINHEIT FÜR 15- BIS 18-JÄHRIGE: DAS RECHT AUF ASYL

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MENSCHENRECHTE, FLÜCHTLINGE UND UNHCR

         KOPIERVORLAGEN ZUR

         UNTERRICHTSEINHEIT
        FÜR 15- BIS 18-JÄHRIGE:
         DAS RECHT AUF ASYL

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Schüler/innen-Arbeitsblatt:
                           Das Recht auf Asyl

Stellt euch vor, ihr wärt Mitarbeiter/innen von UNHCR. Die folgenden Personen
kommen zu euch und bitten um den Schutz des Amtes. Ihr müsst entscheiden, ob
sie Flüchtlinge sind oder nicht. Eure Entscheidung wird dafür maßgeblich sein, ob
ihnen Asyl gewährt wird oder sie in ihr Herkunftsland zurückkehren müssen. Be-
gründet eure Entscheidung mit Bezug auf Artikel 1, Absatz A und F, des Abkom-
mens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951. Berücksichtigt auch Artikel
14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (siehe unten).

1. Herr H.

Herr H., ein Bauer ohne feste politische Überzeugungen, gehört zu einer ethnischen
Minderheit in Magnolia. Viele Mitglieder dieser Volksgruppe wollen ihren eigenen un-
abhängigen Staat. Um dies zu erreichen, bekämpfen Angehörige der Minderheit die
Regierung mit Waffengewalt. Herr H. wurde aufgrund seiner ethnischen Herkunft
von einigen seiner Nachbarn, die zur Mehrheit gehörten, bedroht. Die örtliche Polizei
stellte sich blind. Darüber hinaus wurde Herr H. auch von extremistischen Mitglie-
dern seiner eigenen Volksgruppe bedroht, die ihm vorwarfen, ihr Anliegen nicht zu
unterstützen. Schließlich erhielt Herr H. einen Reisepass und verließ sein Her-
kunftsland. Er hat jetzt in Ruritania Asyl beantragt.

2. Frau Q.

In den letzten zwei Jahren herrschte in Zania ein Militärregime. Das Parlament des
Landes wurde aufgelöst, und alle Gesetze werden auf dem Verordnungswege erlas-
sen. Im Rahmen eines ehrgeizigen Plans, allen arbeitsfähigen Männern einen Ar-
beitsplatz zu geben, hat die Regierung angeordnet, dass Frauen nicht mehr arbeiten
gehen dürfen und im Haus bleiben müssen. Frauen, die sich dieser Anordnung wi-
dersetzen, werden streng bestraft. Frau Q., eine Ärztin, musste ihren Beruf aufge-
ben. Mit Hilfe einer Missionarin erhielt sie einen falschen Reisepass und konnte aus
dem Land fliehen. Sie hat jetzt in Ruritania Asyl beantragt.

3. Herr C.

Herr C. hat als Soldat in Magnolia 20 Kriegsgefangene hingerichtet. Er gibt an, nur
die Befehle seines vorgesetzten Offiziers befolgt zu haben. Er sagt, er hätte Angst
gehabt, bestraft zu werden, wenn er die Befehle nicht befolgt hätte. Eine Befehls-
verweigerung kann mit Degradierung und sogar Arrest bestraft werden. Jetzt ist er
voller Reue. Er befürchtet, zu einer langen Haftstrafe verurteilt zu werden, wenn er
nach Magnolia zurückkehrt. Er hat Magnolia unerlaubt verlassen und hat jetzt in Ru-
ritania Asyl beantragt.

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4. Herr R.

Als Mitglied einer Oppositionsgruppe in seinem Herkunftsland hat Herr R. an seiner
Arbeitsstätte heimlich Flugblätter verteilt. Darin wurde zu einem Volksaufstand ge-
gen das Regime aufgerufen. Er wurde entdeckt, verhaftet und zu fünf Jahren Ge-
fängnis verurteilt. Im Gefängnis wurde er wiederholt von Mitarbeitern der Regierung
gefoltert. Nach zwei Jahren konnte er entkommen. Bei seinem Ausbruch verletzte er
jedoch einen Gefängniswärter, der bei diesem Vorfall eine bleibende Lähmung da-
vontrug. Nach einer langen und komplizierten Flucht konnte Herr R. sein Herkunfts-
land verlassen und in Ruritania Asyl beantragen.

5. Frau F.

Frau F. hat die Staatsangehörigkeit von Magnolia. Sie ist vor drei Monaten ernsthaft
erkrankt. Ihr Arzt ist überzeugt, dass sie nur noch ein paar Monate zu leben hat. Ihre
einzige Hoffnung ist ein neues, aber sehr teures Medikament. Leider ist Frau F. arm.
Zudem hat die Regierung von Magnolia die kostenlosen Leistungen im Gesund-
heitswesen gestrichen. Alle Bürger müssen jetzt die Kosten für ihre medizinische
Versorgung vollständig selbst tragen. Frau F. wird sich die Behandlung, die sie zum
Überleben benötigt, nie leisten können. Im benachbarten Ruritania wird das Ge-
sundheitswesen jedoch nach wie vor von der Regierung subventioniert. Wenn Frau
F. die Einreise nach Ruritania gestattet wird, braucht sie ihre Behandlung nicht zu
bezahlen. Unterstützt von einer Freundin reist Frau F. an die Grenze von Ruritania
und beantragt die Anerkennung als Flüchtling. Sie behauptet, dass sie nicht überle-
ben wird, wenn sie in Magnolia bleibt.

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Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlingen von
         1951 („Genfer Flüchtlingskonvention“)
Artikel 1: Definition des Begriffs “Flüchtling”

   A. (2) eine Person, die “... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen
      ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten
      sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb
      des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz
      dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürch-
      tungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge
      solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren ge-
      wöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder we-
      gen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.”

   F.   Die Bestimmungen dieses Abkommens finden keine Anwendung auf Perso-
        nen, in Bezug auf die aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerecht-
        fertigt ist,
                 (a) dass sie ein Verbrechen gegen den Frieden, ein
                      Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit
                      im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen haben, die
                      ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser
                      Verbrechen zu treffen;
                 (b) dass sie ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des
                      Aufnahmelandes begangen haben, bevor sie dort als Flüchtling
                      aufgenommen wurden;
                  (c) dass sie sich Handlungen zuschulden kommen ließen, die den
                      Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.

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Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Artikel 14

1.      Jedermann hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu
        suchen und zu genießen.

2.      Dieses Recht kann im Falle einer Verfolgung, die sich tatsächlich auf
        nichtpolitische Straftaten oder auf Handlungen gründet, die gegen die Ziele
        und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen, nicht in Anspruch ge-
        nommen werden.

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Kurzfassung)
Die Generalversammlung verkündet diese Allgemeine Erklärung der Menschen-
rechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal,
damit jeder Einzelne und alle Organe der Gesellschaft sich diese Erklärung stets
vergegenwärtigen und sich bemühen, durch Unterricht und Erziehung die Achtung
dieser Rechte und Freiheiten zu fördern.

Artikel 1      Recht auf Gleichheit

Artikel 2      Freiheit von Diskriminierung

Artikel 3      Recht auf Leben, Freiheit und persönliche Sicherheit

Artikel 4      Freiheit von Sklaverei

Artikel 5      Freiheit von Folter und erniedrigender Behandlung

Artikel 6      Recht auf Anerkennung als rechtsfähige Person

Artikel 7      Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz

Artikel 8      Recht auf Rechtsbehelf bei einem zuständigen Gericht

Artikel 9      Freiheit von willkürlicher Festnahme und Inhaftierung sowie von
               Ausweisung

Artikel 10     Recht auf öffentliche Gerichtsverhandlung in billiger Weise

Artikel 11     Recht auf die Unschuldsvermutung bis zum Beweis der Schuld

Artikel 12     Freiheit von Eingriffen in Privatleben, Familie, Wohnung und
               Schriftverkehr

Artikel 13     Recht auf Verlassen jedes Landes und Rückkehr in das eigene Land

Artikel 14     Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen

Artikel 15     Recht auf eine Staatsangehörigkeit und Wechsel derselben

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Artikel 16   Recht auf Ehe und Familiengründung

Artikel 17   Recht auf Eigentum

Artikel 18   Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit

Artikel 19   Recht auf freie Meinung und freie Meinungsäußerung sowie darauf,
             Informationen zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben

Artikel 20   Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Artikel 21   Recht auf Teilnahme an der Gestaltung der öffentlichen
             Angelegenheiten und freien Wahlen

Artikel 22   Recht auf soziale Sicherheit

Artikel 23   Recht auf Arbeit und Beitritt zu Gewerkschaften

Artikel 24   Recht auf Arbeitspausen und Freizeit

Artikel 25   Recht auf einen angemessenen Lebensstandard

Artikel 26   Recht auf Bildung

Artikel 27   Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben der Gemeinschaft

Artikel 28   Recht auf eine soziale Ordnung, in der die Menschenrechte
             verwirklicht werden können

Artikel 29   Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und
             volle Entfaltung der Persönlichkeit möglich ist

Artikel 30   Freiheit von Tätigkeiten oder Handlungen des Staates oder einer
             Person mit dem Ziel der Abschaffung dieser Rechte

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ZUFLUCHT AUF EINER INSEL IM MITTELMEER
aus: Flüchtlinge - Juni 1997

Meine Frau war mit Leib und Seele Krankenschwester. Sie liebte ihren Beruf über
alles. Als wir heirateten, wollte sie weiter arbeiten gehen. Was mich betrifft, so hatte
ich keine Einwände. Wenn ich meinen Laden führe und sie im Krankenhaus arbeitet,
so sagte ich mir damals immer, dann ist ihre Zufriedenheit auch meine Zufriedenheit.

Eines Tages hatte meine Frau die wunderbare Nachricht für mich, dass sie schwan-
ger war. Algerien war in Aufruhr, doch in unserem Glück fühlten wir uns weit davon
entfernt. Alles ging reibungslos weiter. Und dann brach ganz plötzlich alles zusam-
men.

In dem Krankenhaus, in dem meine Frau damals arbeitete, wurde sie eines Tages
von zwei Männern angesprochen, die sie nie zuvor gesehen hatte. Die Männer woll-
ten, dass sie sofort mit ihnen an einen geheimen Ort ging, um Verwundete zu be-
handeln. Meine Frau war verwirrt. Verschreckt. Hatte fürchterliche Angst. Sie bat die
Männer um Verständnis für ihre Lage. Diese beharrten jedoch auf ihrer Forderung.
Als sie jedoch sahen, dass meine Frau sich ihrem Ansinnen, sie zu begleiten, immer
noch widersetzte, ließen sie ab und verließen das Krankenhaus.

Meine Frau informierte mich telefonisch über den Zwischenfall. An diesem Abend
verschwand sie auf ihrem Weg nach Hause. Man erzählte mir später, sie sei entführt
worden.

Stunden vergingen. Nichts geschah. Ich betete und betete. Vier schrecklich lange
Tage habe ich nichts von meiner Frau oder über sie gehört. Dann teilte mir die Poli-
zei mit, sie hätten meine Frau mit durchschnittener Kehle tot aufgefunden.

Wenige Tage später erhielt ich einen Drohbrief in meinem Laden mit der Aufforde-
rung, eine große Geldsumme zu zahlen. Dann wurde mein Laden niedergebrannt.
Mir wurde klar, dass auch ich in Gefahr war.

Ich liebe Algerien. Ich liebe mein Volk. Ich hatte nie daran gedacht, meine Heimat zu
verlassen. Nachdem ich aber meine Familie und meinen Besitz verloren hatte, er-
kannte ich, dass ich mich selbst in Sicherheit bringen musste.

Ich wusste praktisch nichts über Malta. Da ich aber in Gefahr war, beschloss ich,
mein Glück zu versuchen, als ich erfuhr, dass ich auf diese Insel im Mittelmeer ge-
hen könnte.

Nach meiner Ankunft in Malta wandte ich mich an die Kommission für Auswanderer,
einer Nichtregierungsorganisation, die auch die UNHCR-Vertretung in Malta ist. Ich
beantragte, als Flüchtling anerkannt zu werden. Mein Antrag wurde an UNHCR wei-
tergeleitet. Innerhalb weniger Tage war mir klar, dass das kleine Malta ein sehr
großzügiges Land ist. Die für humanitäre Aufgaben der Kommission für Auswande-
rer zuständigen Mitarbeiter gewährten mir jegliche Unterstützung und Hilfe, die ich
brauchte. Sie waren immer bereit, Asylsuchenden und Flüchtlingen zuzuhören, Ver-
ständnis zu zeigen und zu helfen, so gut sie konnten. Ich begann, ein schwaches
Licht am Ende des Tunnels zu sehen.

Als ich die Nachricht erhielt, dass UNHCR mir die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt
hatte, war ich glücklich. Der Schutz von UNHCR in Verbindung mit einer gewissen

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Unterstützung ist von unschätzbarem Wert. Dieser Schutz beruhigte mich im Hin-
blick auf meinen Wunsch, die Erlaubnis für einen befristeten Aufenthalt in Malta zu
erhalten.

Nach Erhalt der Antwort von UNHCR versuchte ich, mit meinem Vater (meine Mutter
war vor zehn Jahren gestorben) und meinen beiden Brüdern Kontakt aufzunehmen,
um ihnen davon zu berichten. Mich traf jedoch der nächste Schock. Ich konnte mei-
nen Vater und meine Brüder nicht finden. Bis heute weiß ich nicht, was mit ihnen
passiert ist, wo sie sein könnten. Wir hatten den Kontakt verloren.

Malta ist nicht in der Lage, Flüchtlingen eine Ansiedlung auf Dauer anzubieten. Es ist
nicht schwer für Flüchtlinge und Asylsuchende, die nach Malta kommen, dies zu ver-
stehen. Der maltesische Staat gewährt Flüchtlingen freie medizinische Versorgung
und eine kostenlose Schulbildung für die Kinder. Flüchtlinge können jedoch keine
Arbeitserlaubnis in Malta erhalten, obgleich viele Flüchtlinge es schaffen, "unter der
Hand" - wie die Malteser es nennen - Jobs zu finden.

Wie dem auch sei - in Malta habe ich gefunden, was ich in der schwersten Zeit mei-
nes Lebens am meisten gebraucht habe: Liebe, Solidarität und Unterstützung.

Ein algerischer Flüchtling in Malta

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WILLKOMMEN IM NIEMANDSLAND
aus: Flüchtlinge - September 1997

Ba, ein junger Mann aus Côte d'Ivoire, der an der Universität der Hauptstadt Abidjan
Jura studiert hatte, traf Ende August 1994 auf dem Londoner Flughafen Heathrow
ein. Sein Flugzeug war zuvor in Paris kurz zwischengelandet. Unmittelbar nach sei-
ner Ankunft beantragte er bei den britischen Behörden Asyl. Ba gab an, wegen Mit-
gliedschaft in einer Oppositionspartei, der Ivorianischen Volksfront, und im Studen-
tenbund von Côte d'Ivoire wiederholt von der Polizei schikaniert worden zu sein. Die
britische Flughafenpolizei hielt ihn in der Transitzone fest und schob ihn später nach
Frankreich als sicheres Drittland ab.

Auf dem Flughafen Roissy in Frankreich wurde er festgenommen und dort ebenfalls
in die Transitzone gebracht. Am 15. Oktober wurde er nach London zurückgeschickt.
Beim Verlassen des Flugzeugs wurde er in Gewahrsam genommen. Erst am 6. No-
vember gelangte er wieder in Freiheit. Nach einer Anhörung durch einen Einwande-
rungsbeamten erhielt er eine Aufenthaltsgenehmigung für sechs Monate und konnte
endlich britischen Boden betreten.

Die Erfahrungen einer Frau aus Zaire und eines Tamilen aus Sri Lanka zeigen, dass
nicht alle Asylsuchende so viel Glück haben. Beide waren Asylsuchende, für die sich
die französische Nationale Vereinigung für die Verteidigung von Ausländern an den
Grenzen (ANAFE) einsetzte.

Muana arbeitete als Krankenschwester am Mama-Yemo-Krankenhaus in Kinshasa.
Am 9. November 1994 traf sie mit einem planmäßigen Air-France-Flug in Paris ein.
Trotz eines nach Angaben von ANAFE nicht zu beanstandenden Einreisevisums
hielt die Polizei sie für verdächtig und führte sie in einen Warteraum. Nach mehreren
erfolglosen Versuchen gelang es ihr am 11. November, bei der französischen
Grenzpolizei (Police de l'air et des frontières - PAF) ihren Asylantrag zu stellen.
ANAFE zufolge erläuterte Muana ausführlich, dass ihre Eltern seit langem militante
Gegner des Regimes in Zaire waren. Sie selbst ist ebenfalls in die Opposition ge-
gangen.

Nach Darstellung von ANAFE entschied die Direktion für Grundrechte und Rechts-
angelegenheiten (Direction des libertés publique et des affaires judiciaires - DPLA)
des französischen Innenministeriums am 16. November, Muanas Antrag sei "offen-
sichtlich unbegründet". In der Begründung hieß es: "Die Antragstellerin stellte ihren
Antrag erst zwei Tage nach ihrer Ankunft in der Wartezone, und zwar auf Veranlas-
sung eines zairischen Landsmanns. "

Am 21. November wurde Muana anhand- und Fußgelenken gefesselt und in Beglei-
tung von drei Polizisten aufgefordert, ein Flugzeug nach Kinshasa zu besteigen. Sie
weigerte sich jedoch. Nach Angaben von ANAFE schlug ihr ein Polizeibeamter ins
Gesicht. Unter Protesten der Besatzung und der Passagiere führte die Polizeieskorte
Muana und andere Abschiebeflüchtlinge wieder die Gangway hinunter und brachte
sie zurück in die Transitzone des Flughafens. Zwei Tage ließ man sie unbehelligt.
Am 23. November wurde Muana letztendlich nach Kamerun abgeschoben - ein
Land, das sie auf dem Weg nach Frankreich weder passiert noch betreten hatte. In
ihrem Ausweisungsbeschluss hieß es eindeutig, sie sollte zurück nach Zaire ge-
bracht werden. ANAFE zufolge ist über das Schicksal Muanas nach ihrer Auswei-
sung bis heute nichts bekannt geworden.

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Das Vorgehen der französischen Behörden wirft Fragen auf. Ein ANAFE Mitarbeiter:
"Entschloss sich das Innenministerium, Muana nach Kamerun abzuschieben, weil es
nach Zaire nur einen Flug pro Woche gibt und eine erneute Weigerung, das Flug-
zeug zu betreten, angesichts des Ablaufs der gesetzlich vorgeschriebenen 20-Tage
Frist bedeutet hätte, sie einreisen zu lassen? Konnten die Behörden sicher sein,
dass sie in Kamerun wohl wollend aufgenommen würde?

Manchmal enden Abschiebungen als ausgesprochene Tragödien.

A.K., ein srilankischer Tamile, verließ nach Berichten von ANAFE Mitte Juli 1991
Colombo. Nach Aufenthalten in Dubai und Italien traf er schließlich am 9. August auf
dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle ein. Da er kein Einreisevisum besaß, wur-
de er sofort in die Wartezone geführt. Es gelang ihm jedoch, einen Asylantrag zu
stellen.

A.K. erhielt von der DLPAJ eine schnelle Antwort. Sie kam per Telex:

Sein Antrag wurde abgelehnt. Am 17. August versuchten Polizisten vergeblich, ihn in
einem Flugzeug nach Colombo unterzubringen. Angesichts der außergewöhnlichen
Erregung des Passagiers weigerte sich der Flugkapitän, mit A.K. an Bord zu starten.
A.K. wurde daraufhin wieder in die Transitzone zurückgebracht. Eine Woche später
versuchte man nach Angaben von ANAFE mit radikaleren Methoden, ihn an Bord
eines Flugzeugs nach Colombo zu schaffen. Er wurde geknebelt, und seine Hände
wurden hinter seinem Rücken gefesselt. Wie eine polizeiliche Ermittlung später er-
gab, erlitt A.K. daraufhin einen Herzanfall und fiel in ein Koma. Der Traum des Ta-
milen von einem neuen Leben in Frankreich endete in einem Krankenhaus im Pari-
ser Vorort Aulnay-sous-Bois, wo er kurz nach seiner Einlieferung starb.

Asylsuchende mit dem Ziel Europa sehen sich immer größeren Hindernissen gegen-
übergestellt. Da sich ständig immer wieder neue Hürden aufbauen, verlieren sie
rasch alle Illusionen. Häufig kommen sie nicht weiter als bis zur Transitzone, ehe sie
wieder abgeschoben werden. Selbst den Glücklichen, d.h. jenen, die über die Tran-
sitzone hinauskommen, steht ein langes Verfahren und ein schwieriger Gang durch
die Behörden bevor.

Häufig beginnen die Schwierigkeiten bereits, wenn die Asylsuchenden aus einem
Flugzeug steigen, in einem Hafen ein Schiff verlassen oder auf einem Fernvehr-
kehrsbahnhof eintreffen. Viele Asylsuchende werden von Flughafen zu Flughafen
weitergereicht. Von dem jeweiligen Land sehen sie oft nicht mehr als die Transitzo-
ne. Sie bleiben dort manchmal wesentlich länger als gesetzlich zulässig eingesperrt
und werden schließlich in ihr Herkunftsland zurückgeflogen. Gelegentlich verbringen
sie sogar mehrere Jahre im Niemandsland der Transitzone - wie im Fall des irani-
schen Asylsuchenden, der auf dem Pariser Flughafengelände Roissy hauste und
über den in den Medien ausführlich berichtet wurde.

In einem Land heißt sie Transitzone, in dem anderen Wartezone. Sie erstreckt sich
gewöhnlich von der Landebahn bis zum ersten Kontrollpunkt der Grenzpolizei. Sie
kann mehrere Bereiche umfassen, in denen Asylsuchende - manchmal wie in einem
Hotel - untergebracht werden können. Obwohl in diesem Artikel nur über einige we-
nige Flughäfen berichtet wird, verfügt fast jedes Land über Transitzonen. Die Art des
Empfangs, die Asylsuchenden dort zuteil wird, kann von Land zu Land sehr ver-
schieden sein.

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Mitte Juni 1995 untersuchte die Genfer Koordinationsgruppe das Recht auf Asyl
(CGDA) die ihrer Ansicht nach drakonischen Maßnahmen gegen Asylsuchende auf
dem Genfer Flughafen Cointrin. Nach CGDA-Angaben wurden Asylsuchende aus
Genf abgeschoben, bevor das Bundesamt für Flüchtlinge über ihren Antrag ent-
scheiden konnte. Dies stellt eine Verletzung schweizerischen Rechts dar. In anderen
Fällen, behauptet die CGDA, seien Asylsuchende vor Ablauf der gesetzlich vorge-
schriebenen maximalen Aufenthaltsdauer in der Transitzone aus Genf abgeschoben
worden. Kürzlich soll nach Darstellung der CGDA ein zairischer Staatsangehöriger
drei Wochen lang auf dem Flughafen auf eine behördliche Entscheidung gewartet
haben, die nie eintraf.

Die CGDA weist darauf hin, dass die meisten Asylsuchenden bei ihrer Ankunft in
Genf nur wenig über die Verfahren wissen und selten die Namen der Organisationen
kennen, an die sie sich um Hilfe wenden können. "Dies begünstigt willkürliche Ent-
scheidungen", sagt ein CGDA Mitarbeiter. Er weist zudem darauf hin, dass die Or-
ganisation beim Schweizer Bundesrat eine Petition eingereicht hat, mit der sie Ver-
besserungen bewirken möchte.

In Spanien wurden im Juni im Beisein von Vertretern der Regierung und von UNHCR
neue Transiteinrichtungen auf dem Madrider internationalen Flughafen Barajas offi-
ziell eingeweiht. Künftig werden dort Asylsuchende, die auf die Einreisegenehmigung
oder ihre Abschiebung warten, von anderen Ausländern, denen die Einreise verwei-
gert wurde, getrennt verwahrt. Die neue Transitzone kann 22 Personen aufnehmen.
Sie verfügt über einen Aufenthaltsraum und einen getrennten Raum für Kinder. Nur
wenige Tage nach der Einweihung erwiesen sich die Einrichtungen bereits als zu
klein, als 39 türkische Asylsuchende zusammen eintrafen.

Ganz anders stellt sich die Situation in Belgien und Frankreich dar, wichtigen Ziel-
ländern von Asylsuchenden. In Brüssel hat das belgische Innenministerium mehrere
Zentren eingerichtet. Das bekannteste ist das Transitzentrum 127 auf dem interna-
tionalen Flughafen Zaventem. Dort können bis zu 100 Asylsuchende untergebracht
werden, die Belgien auf dem Luft- oder Landweg erreichen und kein Einreisevisum
besitzen. Auch jene, deren Anträge als "offensichtlich unbegründet" beurteilt wurden,
quartiert man dort ein. Theoretisch dürfen Asylsuchende nicht länger als zwei Mo-
nate bleiben. In dieser kurzen Frist müssen sie allerdings ihr Berufungsrecht wahr-
nehmen. Einige Menschenrechtsorganisationen vertreten den Standpunkt, die Zeit
sei zu kurz, um alle Berufungsinstanzen ausschöpfen zu können.

Wer im Transitzentrum 127 interniert ist, darf einen Rechtsbeistand hinzuziehen, an-
dere Besucher dürfen sie jedoch nicht empfangen. Sie können weder Telefonge-
spräche führen noch annehmen. Sollte ihr Asylantrag scheitern, wird das Zentrum zu
einer regelrechten Haftanstalt, die sie erst wieder verlassen können, wenn sie aus
Belgien abgeschoben werden.

Im Transitzentrum 127 Bis, ebenfalls in Belgien, können weitere 100 Personen un-
tergebracht werden. Dort nehmen die Behörden abgelehnte Asylbewerber in Ge-
wahrsam, die illegal weiterhin in Belgien geblieben sind und aufgegriffen wurden.
Kürzlich wurden drei weitere Zentren für illegale Ausländer in Brügge, Huy und
Merksplas eröffnet. Der Aufenthalt in diesen Zentren ist grundsätzlich auf weniger
als zwei Monate beschränkt.

Diejenigen, die ihre erste Befragung erfolgreich abschließen, werden in das "Petit
Chateau" verlegt, einem Transitzentrum in der Innenstadt von Brüssel. Von hier aus
werden sie auf eines der zwölf in ganz Belgien verstreuten Zentren des Roten Kreu-

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zes verteilt. Das "Petit Chateau" kann bis zu 500 Personen aufnehmen, die Rot-
Kreuz-Zentren insgesamt 1.800 Personen.

Nach Angaben von Amnesty International gab es in Frankreich im Mai 1995 insge-
samt 78 Transitzonen. Sie befanden sich überwiegend auf Flughäfen und in Seehä-
fen, aber auch auf Bahnhöfen mit internationalen Zugverbindungen. Drei Gruppen
von Ausländern können in diesen Zonen festgehalten werden:

- Ausländer, die kein Visum besitzen, bei denen die Rückreise nicht garantiert ist
oder die nicht über ausreichende Mittel verfügen,

- Ausländer, die nach Einschätzung der französischen Grenzpolizei (PAF) eine Be-
drohung der nationalen Sicherheit darstellen, einschließlich Personen, die zuvor aus
Frankreich ausgewiesen wurden oder gegen die eine Ausweisungsverordnung ver-
hängt wurde, sowie

- Personen, die in der Datenbank der Europäischen Union geführt werden, weil sie
die nationale Sicherheit gefährden sowie die internationalen Beziehungen eines Un-
terzeichnerstaates des Schengener Übereinkommens.

In Frankreich können Asylsuchende so lange in einer Transitzone in Gewahrsam
genommen werden, bis ihr Antrag als berechtigt oder offensichtlich unbegründet be-
urteilt wurde. Die Grenzpolizei legt die Akte an und überstellt sie dem Innenministeri-
um. Zu einem späteren Zeitpunkt wird der Antragsteller durch einen Beamten der
Abteilung für Asylanträge an Grenzkontrollstellen (DAF) des Außenministeriums be-
fragt und beurteilt.

Das Außenministerium gibt dann eine Empfehlung, die zur endgültigen Entschei-
dung an das Innenministerium weitergeleitet wird. Erfolgreiche Antragsteller können
daraufhin die Transitzone verlassen und französischen Boden betreten. Sie erhalten
einen Passierschein, der ihnen erlaubt, die erforderlichen Schritte einzuleiten, derer
es bedarf, bevor ihnen die Rechtsstellung von Flüchtlingen zuerkannt werden kann.

Fällt die Entscheidung negativ aus, bleibt der abgelehnte Antragsteller bis zu seiner
Abschiebung in der Transitzone. Der Zeitraum sollte 20 Tage nicht überschreiten.
Antragsteller sollten über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt werden; bei Bedarf
sollte ein Dolmetscher hinzugezogen werden. Die Asylbewerber können mit ihren
Rechtsanwälten und beliebigen anderen Personen in Kontakt treten und dürfen
Frankreich jederzeit verlassen.

Ein Erlass vom 2. Mai 1995 gewährt UNHCR-Mitarbeitern und anderen Vertretern
humanitärer Organisationen Zutritt zu französischen Transitzonen. Der UNHCR-
Vertreter sowie von ihm ermächtigte Mitarbeiter erhalten persönliche Genehmigun-
gen zum Betreten der Zonen, die nach einem Jahr vom Innenministerium nach er-
folgter Rücksprache mit dem Außenministerium verlängert werden müssen. Der
UNHCR-Vertreter kann Beratungen mit den Leitern der für die Grenzkontrollen zu-
ständigen Behörden einberufen und in Transitzonen internierte Personen besuchen.
Die Gespräche können unter Ausschluss Dritter stattfinden. Der Erlass bestätigt,
dass UNHCR und das Innenministerium gemeinsam darüber entscheiden, wie oft
solche Besuche stattfinden sollen. UNHCR soll seine Aufgaben in Bezug auf Flücht-
linge "wirksam" wahrnehmen können.

Organisationen wie France Terre d'Asile, die französische Rechtsanwältevereini-
gung, die Liga für Menschenrechte und Amnesty International werden einge-

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schränktere Rechte gewährt. Besuchsgenehmigungen werden nur fünf Mitarbeitern
pro Organisation ausgestellt. Jeder Mitarbeiter kann die Wartezonen nur einmal in
drei Wochen besuchen. Die Mitarbeiter können individuelle Gespräche führen, je-
doch nur im Beisein eines Beamten der Grenzpolizei. Pro Tag kann nur ein Mitar-
beiter einer Organisation die Wartezonen betreten.

Ein Sprecher von ANAFE meint, durch die Begrenzung auf fünf besuchsberechtigte
Mitarbeiter pro Organisation würden sie gezwungen, "wie Handelsvertreter kreuz und
quer durch Frankreich zu reisen, um Hunderte von Transitzonen zu besuchen".

ANAFE sieht in der Beschränkung eine Benachteiligung für Organisationen mit ge-
ringen Mitteln und weniger Personal. Der Erlass widerspreche dem Geist der Geset-
ze und der ihm vorausgegangenen Debatten im Parlament, in denen eine echte Prä-
senz von humanitären Organisationen in den Transitzonen empfohlen wurde.

Ein Mitarbeiter von Amnesty International fügt hinzu, der Erlass räume nur jenen das
Recht auf ein Gespräch mit einem UNHCR-Mitarbeiter ein, die ein Asylgesuch ge-
stellt haben. "Aber Ausländer tun sich manchmal schwer mit der Formulierung ihres
Asylantrages. Andere versuchen vielleicht, eine andere Rechtsstellung zu erhalten.
Sie alle würden von einem Gespräch mit UNHCR profitieren."

Francis Kpatindé

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UGANDA HEISST FLÜCHTLINGE WILLKOMMEN
aus: Flüchtlinge - Juni 1997

In vielen Teilen der Welt sind Asylsuchende nicht gern gesehen. Uganda hingegen
hält nicht nur seine positive Einstellung zur Asylgewährung aufrecht, sondern hilft
den Flüchtlingen darüber hinaus ein neues Leben zu beginnen, und unterstützt sie
beim Bau von Häusern und Farmen in neuen Siedlungsgebieten. Zu den unmittelba-
ren Nutznießern zählen 230.000 Flüchtlinge aus dem anhaltenden Bürgerkrieg im
Sudan - Menschen wie Moses Taban und Lilian Juwaa.

Tabans Familie ist gerade von einem nahe gelegenen Durchgangslager in die
Flüchtlingssiedlung Maaji im Norden Ugandas umgezogen. Sie erhielt eine Lebens-
mittelration für einen Monat, Plastikplanen, Haushaltsgegenstände und ein Stück
Land, um ein Haus darauf zu errichten und heimische Feldfrüchte anzubauen. Der
17 Jahre alte Teenager sitzt vor der neuen Hütte seiner Mutter auf einer kleinen An-
höhe und schaut über braunes Buschland zum nahe gelegenen Nil, als er seine Ge-
schichte erzählt:

Der Krieg in Tabans Heimat begann 1987. Während dieser frühen Jahre kamen Sol-
daten immer wieder in sein Dorf und begannen, die Menschen ohne Grund zu schla-
gen. "Wir wissen nicht, warum. Wenn sie Nahrungsmittel brauchten, gaben wir sie
ihnen", erinnert er sich. Drei Jahre später beschloss seine Familie, ihr Heimatgebiet
Kajo Keji zu verlassen und einen anstrengenden Marsch auf sich zu nehmen, der
mehrere Jahre dauern sollte, bis sie in Uganda ankamen.

Wie die meisten sudanesischen Flüchtlinge "kamen wir zu Fuß in Uganda an - mein
Vater und meine Mutter, vier Brüder und eine Schwester", sagt Taban. "Wir durch-
querten einen dichten Wald und erreichten die Stadt Moyo. Aber dort gab es nichts
für uns. UNHCR gab uns Kleidung, und wir blieben einen Monat."

Einmal kehrten Familienmitglieder in den Sudan zurück, um Nahrungsmittel und ei-
nige vorher zurückgelassene Sachen zu holen, bevor sie ein Durchgangslager in Oliji
bezogen. "Wir erhielten Decken, Kochgeschirr und Lebensmittel", erinnert sich
Taban. "Es gab eine von Ärzte ohne Grenzen (MSF) geleitete Krankenstation, Brun-
nen und Häuser zum Wohnen. Wir fühlten uns sicher dort". Sie blieben bis Februar;
dann wurden sie erneut verlegt, und zwar in ihre derzeitige Heimat in Maaji.

Jede Familie erhielt ein Stück Land von 0,3 Hektar. Wir sind seit fast einem Monat
hier. Meine Brüder und ich haben für unsere Mutter ein Haus gebaut", sagt Taban.
Wir haben noch keine Latrine gegraben, weil wir auf den Hygiene-Experten warten,
der uns sagen soll, wohin wir sie bauen sollen. Von AICF (Action Internationale
Contre la Faim) erhalten wir Lebensmittel, bis wir unsere Ernten eingebracht haben.
Ich gehe auch zur Schule. Ich weiß nicht, ob wir jemals in den Sudan zurückkehren
werden, deshalb müssen wir versuchen, unser Leben hier zu meistern."

Juwaa, eine 28 Jahre alte allein stehende Mutter von fünf Kindern, stammt ebenfalls
aus Kajo Keji. Sie verließ den Sudan 1993, nachdem ihr Dorf zum Schlachtfeld im
Krieg zwischen Regierungstruppen und der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee
(Sudanese Peoples Liberation Army - SPLA) wurde:

"Eines Tages waren Schüsse in meinem Dorf zu hören. Mein Mann und ich liefen
weg, weil die SPLA das Dorfoberhaupt verhaftete und andere Männer zwang, sich
ihnen "anzuschließen. Sie nahmen uns auch unser Eigentum weg, und wir hörten,

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dass sie die Frauen vergewaltigt hatten. Als die Soldaten der Regierungstruppen
kamen, nahmen sie uns unsere Besitztümer weg. Als ich all diese Geschichten hör-
te, hatte ich Angst, dass mir das Gleiche passieren könnte."

"Wir brauchten zwei Tage bis nach Uganda. Wir schlugen uns durch das dichte Un-
terholz, wobei wir unsere kleinen Kinder auf dem Rücken trugen", erinnert sich Lilian.
Nach einigen kurzen Zwischenstationen kam die Familie in das Durchgangslager
Ogujebe, doch sie musste dem Krieg und den Kämpfen einen hohen Tribut zollen.
"Mein Mann starb kurz nach der Ankunft in Ogujebe", sagt sie. Damals war ich mit
einem fünften Kind im ersten Monat schwanger. Ich erlitt eine Fehlgeburt.

Schließlich zog sie nach Maaji. "Hier habe ich Land für den Anbau von Feldfrüchten
erhalten. Wir warten jetzt auf die Regenperiode, um Mais und Gemüse anzubauen.
Auch gehen meine Kinder zur Schule."

Im Moment sind Lilian und Taban zufrieden. Sie sind dankbar, dass die Ugander so
gastfreundlich und hilfsbereit waren und ihnen das gegeben haben, was sie am drin-
gendsten benötigten - Sicherheit und ein kleines Stück Land, um Landwirtschaft zu
betreiben. Trotz der ihnen erwiesenen Freundlichkeit wollen sie später in den Sudan
zurückkehren. Das derzeit gute Leben ist für sie lediglich eine Vorbereitung auf eine
mögliche Heimkehr.

Wendy Rappeport

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EIN RICHTUNGSWECHSEL IN TANSANIA
aus: Flüchtlinge - März 1998

Jahrzehntelang hat das ostafrikanische Land großzügig Flüchtlinge aus ganz Afrika
aufgenommen. Aber die Krise im ostafrikanischen Seenhochland zwang die Regie-
rung in Dar es Salaam, ihre Asylpolitik zu überdenken.

Unbekannte Bewaffnete griffen im Jahre 1995 ein Flüchtlingslager in Nordburundi
an. 50.000 verängstigte ruandische Flüchtlinge und Burunder flohen ins benachbarte
Tansania, um dort Zuflucht und Sicherheit zu suchen. Was dann geschah, hatte es
noch nie gegeben. Anstatt sie - wie unzählige Male zuvor - willkommen zu heißen,
entsandte Dar es Salaam Truppen, schloss seine Grenze und bedeutete den Flücht-
lingen, sie seien unerwünscht. Das Land hatte bereits mehr als eine halbe Million
Flüchtlinge aufgenommen, und die Regierung meinte, das wäre genug. Tansania
verweigerte sich als Aufnahmeland.

Dieses Vorgehen rief weltweit Bestürzung hervor. Tansania ist wahrscheinlich eines
der ärmsten Länder der Welt, aber bis zu diesem Vorfall an der Grenze hatte es sich
einen herausragenden Ruf für seine Großzügigkeit gegenüber Schutzsuchenden
erworben. Der damalige Präsident Julius Nyerere erhielt von UNHCR im Jahr 1983
die Nansen-Medaille für Tansanias beispielhaftes Verhalten. Bei dem Festakt bot er
jedem Flüchtling, dem der dauerhafte Aufenthalt außerhalb seines Herkunftslandes
drohe, die tansanische Staatsangehörigkeit und großzügige Behandlung bei der
Vergabe von Land an. Tausende nahmen das Angebot an.

Die tansanische Asylpolitik wurde stark von innen- und außenpolitischen Faktoren
beeinflusst. Dazu zählten die Unterstützung des Landes für die Befreiungsbewegun-
gen im südlichen Afrika, der Gedanke der kontinentalen Solidarität sowie die natio-
nalen Grundsätze von Ujamaa (in der Arusha-Deklaration 1967 formuliertes neue
Staatsprinzip eines Basis-Sozialismus) und wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Wäh-
rend also die Flüchtlinge aus Burundi und Ruanda aus rein humanitären Gründen
aufgenommen wurden, wurden Personen, die während der Befreiungskriege zur
Flucht gezwungen wurden, als Akt der Solidarität mit den Unterdrückten willkommen
geheißen.

GROSSZÜGIGKEIT UND FRUSTRATION

Nach dem Ende der Befreiungskriege im südlichen Afrika und des Bürgerkriegs in
Mosambik kehrten die Flüchtlinge aus dieser Region in ihre Herkunftsländer zurück.
Die Großzügigkeit Tansanias war belohnt worden. Jedoch blieb eine Lösung für die
Ruander und Burunder außer Sichtweite, und immer mehr Flüchtlinge kamen. Tan-
sania wurde dieser scheinbar endlosen Krise überdrüssig.

In den ersten Jahren hatte Ujamaa die traditionelle afrikanische Großzügigkeit ge-
genüber Flüchtlingen noch verstärkt. Tansania bot den Vertriebenen nicht nur eine
sichere Zuflucht, sondern auch eine würdige Existenz. In seinem Buch Future Pre-
served schrieb der UNHCR Mitarbeiter Yefime Zarjevski: "Die Überzeugung, der
größte Reichtum eines Landes seien seine Bewohner, führte dazu, dass Flüchtlinge
aufgenommen wurden und man entschlossen war, sich für sie ebenso zu engagie-
ren wie für eigenen Staatsangehörigen." Der Höhepunkt dieser Politik wurde mit der
Überreichung der Nansen-Medaille in Nyerere erreicht.

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Dies änderte sich in den Neunziger Jahren. Ujamaa und das Einparteiensystem
wurden durch ein Mehrparteiensystem, die Marktwirtschaft und eine freiere Presse
abgelöst. Führende Politiker und Oppositionsgruppen aller Richtungen kritisierten die
tansanische Flüchtlingspolitik der "offenen Grenzen" immer heftiger. Die Bodenprei-
se stiegen.

1994 strömten schätzungsweise 500.000 Ruander auf der Flucht vor dem Völker-
mord über die Grenze. In Tansania gab es heftige Reaktionen. Unter die Flüchtlinge
hatten sich auch ehemalige Soldaten, Mörder und andere Personen gemischt, die
verdächtigt wurden, Straftaten begangen zu haben. In den Flüchtlingslagern und ih-
rer Umgebung nahmen Recht und Ordnung drastisch ab. Die einheimische Bevölke-
rung war den Flüchtlingen gegenüber im Verhältnis 1:3 in der Minderzahl und beob-
achtete mit wachsendem Unmut die Schäden an großen Flächen Wald und Acker-
land sowie die Verschmutzung der Flüsse.

Die Ankunft der Ruander und die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verände-
rungen führten zu einem Wandel in der Asylpolitik. Die Schließung der Grenze im
Jahre 1995 war das offenkundigste Anzeichen hierfür.

Der stellvertretende tansanische Innenminister E. Mwambulukutu beschrieb letztes
Jahr in einer Rede den neuen Ansatz: "Für Asylländer wie Tansania ist die Aufnah-
me von Flüchtlingen zu einer zunehmend großen und schmerzlichen Belastung ge-
worden. Flüchtlinge zu schützen und zu unterstützen, hat neue Gefahren für die na-
tionale Sicherheit heraufbeschworen, die Spannungen zwischen Staaten verschärft
und große Umweltschäden nach sich gezogen."

Er wies darauf hin, dass es über die Flüchtlingsproblematik zu Spannungen zwi-
schen Tansania und Burundi gekommen war und fügte hinzu: "Dar Es Salaam wird
nicht dulden, dass - wie in Ost-Zaire - durch die Anwesenheit von Flüchtlingen die
Sicherheit der gesamten Region erschüttert wird." Mwambulukutu zufolge beunru-
higte die tansanische Bevölkerung die Anwesenheit so vieler Flüchtlinge in ihrem
Land. Er fügte hinzu: "Aufgebrachte Bürger könnten den Flüchtlingen gegenüber ei-
ne feindliche Gesinnung einnehmen und sich vielleicht sogar deren Integration ge-
waltsam widersetzen."

Solche politischen Verlautbarungen sind ein untrügliches Zeichen für den aufkei-
menden Widerstand gegen die Rolle eines Aufnahmelandes. 'Tansania hat aber
dennoch wiederholt betont, es werde seine humanitären Verpflichtungen weiterhin
erfüllen. Derzeit befinden sich etwa 330.000 Flüchtlinge in dem Land, mehr als in
jedem anderen ostafrikanischen Land.

Es sollte nicht sein, dass Staaten, weil ihnen die Mittel für die Asylgewährung und für
die Beseitigung der durch die Aufnahme von Flüchtlingen verursachten Schäden
fehlen, ihrer Verantwortung nicht mehr nachkommen können. Die internationale
Gemeinschaft muss Staaten bei der Bekämpfung der Fluchtursachen stärker unter-
stützen - und sei es durch Hilfe bei der Lösung innenpolitischer Konflikte.

Im Fall eines Massenexodus sollte die Mobilisierung von Ressourcen für betroffene
Gebiete und die einheimische Bevölkerung durch UNHCR von Anfang an wesentli-
cher Teil aller Hilfsprogramme sein. In Tansania belief sich diese Unterstützung auf
sieben Millionen US-Dollar. Zudem hat UNHCR zur Ausweitung humanitärer Pro-
gramme auf bilateralen Wege aufgefordert.

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Wir müssen demonstrieren, dass humanitäre Prinzipien mit legitimen staatlichen In-
teressen vereinbar sind. Dies ist nicht nur eine Frage der Mobilisierung von Res-
sourcen für Flüchtlingsprogramme. Es sollten regelmäßige Beratungen zwischen
Regierungen und humanitären Organisationen stattfinden.

Der Demokratisierungsprozess in Ländern wie Tansania sollte eine Chance bieten,
alle Menschenrechte einschließlich des Asylrechts institutionell zu verankern. Es
sollte jedoch auch nicht vergessen werden, dass die Erklärung Minister Mwambulu-
kutus und die darin zum Ausdruck gekommenen Bedenken praktisch wortgleich von
jedem Entwicklungsland, das Flüchtlinge aufgenommen hat, hätten vorgetragen
werden können. Es war ein Schuss vor den Bug der internationalen Gemeinschaft
und ein Signal, dass die Regeln sich geändert haben und es keine einfachen Optio-
nen mehr gibt.

Augustine Mahiga

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EIN OGONI IN AMERIKA
aus: Flüchtlinge - Juni 1997

Fegalo Mitee, einer der Führer der Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes,
floh nach der Hinrichtung des nigerianischen Schriftstellers und Aktivisten Ken Saro-
Wiwa und acht anderer Ogoni im November 1995 aus Nigeria. Er und seine Familie
leben nun in Alexandria im amerikanischen Bundesstaat Virginia.

Vor einem Jahr sind wir hierher gekommen. Damals kannte ich hier niemanden -
keinen Nigerianer, keinen Schwarzen, keinen Weißen. Es war sehr schwierig. Wir
haben unterschiedliche Lebensarten, unterschiedliche Erwartungen, unterschiedliche
Einstellungen. Es ist interessant. ich dachte, das Leben sei hier sehr gefährlich, aber
was man im Fernsehen sieht, hat mit der Wirklichkeit nichts gemein. ich dachte, die
Leute seien unfreundlich, aber ich habe festgestellt, jeder ist bereit zu helfen. Viele
Menschen in dieser Gegend, in der wir leben, sind Einwanderer. Sie hatten die glei-
chen Probleme. Meine Familie und ich haben die erste Phase des Einlebens hinter
uns; jetzt können wir damit beginnen, hier heimisch zu werden.

Wenn man eine Behörde und eine Gruppe von Menschen geleitet hat und plötzlich
praktisch niemand mehr ist, ist das seelisch nur schwer zu verkraften. Wenn man
alles in seinem Leben verliert, sogar seine persönlichen Unterlagen, hat das gewalti-
ge Auswirkungen.

Die Mitarbeiter der Lutherischen Sozialdienste brachten mich in ein Hotel. Sie mein-
ten, ich sollte eine Arbeit annehmen, Toiletten reinigen oder etwas ähnliches. Damit
wurde ich nicht fertig. Ich habe einen Universitätsabschluss in Digitaler Kommunika-
tionstechnik und dachte, ein Industrieland wie dieses könne Leute wie mich brau-
chen, aber ohne den Nachweis meines beruflichen Werdegangs wollte mich nie-
mand nehmen. In diesem Bereich braucht man außerdem einen Sicherheitsnach-
weis, und wenn man kein Staatsbürger der USA ist, bekommt man keine Arbeit.

Psychologisch war ich überhaupt nicht darauf vorbereitet, aber ich musste es tun,
weil ich Kinder habe - ein Mädchen im Säuglingsalter und einen neunjährigen Jun-
gen. Glücklicherweise habe ich eine Menge Selbstvertrauen. Ich hatte die Möglich-
keit, einen Job in einem Kaufhaus namens Radio Shack zu bekommen. Das bringt
fünf Dollar Grundlohn pro Stunde ein, aber ich lerne hinzu. In den nächsten Monaten
werde ich so weit sein, einen weiteren Sprung nach vorn zu machen. Ich werde se-
hen, was ich noch so machen kann.

In Nigeria gründete ich eine Umweltbewegung, die sehr schnell bekannt wurde. Am
Anfang beachtete uns die Regierung gar nicht. Sie glaubten, diese winzige Gruppe
könne nichts ausrichten. Doch als wir Erfolg hatten, nahm die Regierung Anstoß und
versuchte die Bewegung zu stoppen.

1993 begann die Regierung, Menschen zu verhaften. Als sie zu mir kamen, konnte
ich aus dem Fenster im oberen Stock springen und in den Busch rennen. Mein Bru-
der schaffte es nicht und wurde festgenommen. Auf meinem Weg in ein nahe gele-
genes Dorf sah ich die Morde. Es waren Ogoni und auch andere Leute von der Uni-
versität, die vor den Augen anderer Menschen vergewaltigt und ermordet wurden. Es
war schlimmer, als ich es mir je hätte vorstellen können. Ich kann nicht viel darüber
sprechen. Ich blieb ein ganzes Jahr im Untergrund.

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Zu dem Zeitpunkt, als sie Ken ermordeten, war ich immer noch im Untergrund. Ich
glaubte, ich sei immer noch ein Vorbild für unser Volk und ich sollte bleiben, nicht
weglaufen. Sie wollten uns zum Schweigen bringen, weil das, was wir sagten, richtig
war. Wir wollten der Welt zeigen, dass wir wirklich keine Gewalt einsetzen wollen,
und dachten, die Welt würde uns zustimmen und beschützen, weil dies die erste
gewaltfreie Bewegung in Afrika ist, die für die Umwelt kämpft. Als Ken dann ermor-
det wurde und sie wieder nach uns zu suchen begannen, beschlossen wir alle zu
fliehen. So nahm ich meine Frau und meine Kinder und sagte ihnen, wir müssten zur
nächsten Grenze gehen und es wäre besser für uns, im Ausland zu leben als hier zu
sterben.

Ich bat meinen Bruder, unseren Besitz zu verkaufen und uns etwas Geld zu geben.
Wir verkleideten uns. Es war sehr schwierig, die Grenze nach Benin zu überqueren.
Wir schlüpften hindurch, dann liefen wir ein Stück, und später benutzten wir ein
Fahrzeug. Wir baten einen Taxifahrer, uns an einer westlichen Botschaft abzuset-
zen. Die Botschaftsangestellten sagten uns, wir müssten den Botschaftsbereich
verlassen. Also gingen wir zu der Vorderseite der Botschaft, breiteten unsere Sa-
chen aus und setzten uns dorthin.

Wir versuchten, mit dem Botschafter zu sprechen. Jemand kam heraus und sagte
uns, wir sollten zu UNHCR gehen, was wir dann auch taten. Es war gegen Ende der
Woche, ich glaube Freitag, und sie wollten gerade schließen. Sie erklärten uns, dass
wir nicht um diese Zeit kommen sollten. Ich sagte ihnen, wir hätten zwei kleine Kin-
der, und dann kamen sie und kümmerten sich um uns. Wir schliefen auf dem Flur
von UNHCR. Sie waren sehr hilfsbereit. Meine jüngste Tochter war etwa fünf Monate
alt. Sie war sehr krank. Wir glaubten nicht, dass sie überleben würde. Wir gingen zu
verschiedenen Botschaften, erklärten unsere Situation und wurden schließlich von
den Vereinigten Staaten akzeptiert.

UNHCR hat gute Arbeit geleistet. Das einzige, was zusätzlich getan werden sollte,
ist die weitere Betreuung der Personen, die von einem Drittland aufgenommen wur-
den. Nachfragen, wie es ihnen nach drei Monaten geht, wie man sich um sie küm-
mert. Informationen sind das wichtigste im Leben. Und daran fehlte es uns. Deshalb
brauchten wir sehr lange, um sesshaft zu werden. Aber wir sind glücklich. Wir be-
kommen Kontakt zu vielen Leuten - beispielsweise hat uns jemand diesen Tisch ge-
schenkt, wir nahmen diese Stühle vom Sperrmüll, und jemand gab uns das Telefon.

Viele Menschen haben keine Vorstellung, was ein Flüchtling psychologisch und kör-
perlich durchmacht. Man verliert seinen gesamten Besitz einschließlich seiner Zeug-
nisse, seiner Erwartungen und sogar die Menschen, die man liebt. Menschen, die
einem sehr nahe sind, werden von einer Kugel getötet, aber man selbst überlebt.
Wenn man eine schreckliche Erfahrung gemacht hat, kann das einen für den Rest
des Lebens verfolgen.

Aufgezeichnet von Eve Weisberg

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DER IRAN - EIN LAND DER WIDERSRPÜCHE
aus: Flüchtlinge - Oktober 1997

Der Iran hat angesichts der andauernden Instabilität in Afghanistan und der mögli-
chen Auswirkungen auf die gesamte Region seine Haltung geändert.

Das Land wirkt geheimnisvoll und düster, weltabgewandt und für Fremde unzugäng-
lich. Es hat aber auch Millionen von Flüchtlingen aufgenommen.

Die Islamische Republik Iran war schon immer ein Land der Widersprüche, doch erst
unlängst bemerkte ein leitender Mitarbeiter einer britischen Hilfsorganisation tref-
fend: "Der Iran war immer das führende Land oder eines der führenden Länder,
wenn es darum ging, Flüchtlinge willkommen zu heißen und ihnen zu helfen." In den
neunziger Jahren beherbergte der Iran die immense Zahl von 4,5 Millionen Men-
schen aus Afghanistan und dem Irak. Das ist die größte Zahl von Flüchtlingen, die je
in der neueren Geschichte von einem einzigen Land aufgenommen worden ist. Sie
ist in den letzten Jahren auf etwas über zwei Millionen gesunken, doch ist das immer
noch doppelt so viel wie in irgendeinem anderen Land. Wegen der instabilen politi-
schen und militärischen Lage in der Region könnte es zudem geschehen, dass diese
Menschen noch eine lange Zeit in dem Land bleiben müssen.

Die Situation der afghanischen Flüchtlinge im Iran ist durch einige Besonderheiten
gekennzeichnet. Zum einen gilt dies im Hinblick auf die Größe der Flüchtlingsbevöl-
kerung. Zum anderen sind die Afghanen in die Dorfgemeinschaften integriert worden
- in scharfem Gegensatz zu anderen Regionen wie Zentralafrika, wo Flüchtlinge in
armseligen Lagern leben. Die Integration der Flüchtlinge wird von UNHCR stets als
beste Lösung favorisiert, doch nur wenige Regierungen waren in politischer und wirt-
schaftlicher Hinsicht bereit, solche Programme auch durchzuführen.

Die Afghanen erhielten stark subventionierte staatliche Nahrungsmittel, und es wur-
den Gesundheits- und Bildungsprogramme für sie durchgeführt. Viele Flüchtlinge
einschließlich der Frauen fanden einen Arbeitsplatz. Dies hat zumindest eine unbe-
absichtigte Wirkung gehabt. Die normalerweise in Weltabgeschiedenheit lebenden
afghanischen Frauen kamen zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem Arbeitsplatz
oder dem Bildungssystem in Berührung. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass ge-
rade dies es ihnen schließlich erschweren könnte, sich nach einer eventuellen Rück-
kehr nach Afghanistan wieder in den dortigen traditionellen gesellschaftlichen Rah-
men einzufügen.

Bis dahin wird wahrscheinlich jedoch ohnehin noch längere Zeit vergehen. Hundert-
tausende von Flüchtlingen kehrten vor einigen Jahren während einer "Versöhnungs-
phase" zurück. Als der Bürgerkrieg jedoch weiter andauerte und die Taliban schließ-
lich die Kontrolle über einen großen Teil Afghanistans einschließlich aller an den Iran
grenzenden Gebiete erlangten, verlangsamte sich die Rückkehr und kam schließlich
zum Stillstand. Einige Afghanen versuchen heute wieder, ihr kriegszerstörtes Hei-
matland zu verlassen.

"Wir denken alle in die Rückkehr, doch hindert uns die Tatsache, dass wir kein Geld
haben", sagt ein Arbeiter in einer Ziegelei in Teheran. "Die Unruhen und der Konflikt
halten uns ebenfalls ab. Wir machen uns Sorgen, dass wir ausgeraubt werden
könnten." Wie für die anderen Afghanen sind für diesen Arbeiter nicht nur persönli-
che Erwägungen ausschlaggebend, sondern auch die erschütternden Berichte jener,
die bereits zurückgekehrt sind.

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Die iranische Regierung hat nun an der Grenze zu Afghanistan einen großen Gra-
ben anlegen lassen. Dies geschah angeblich, um Drogenhändler abzuschrecken, in
Wirklichkeit aber auch, um den Strom von Tausenden von Afghanen aufzuhalten,
die illegal über die Grenze zu kommen versuchen. Potenzielle Flüchtlinge greifen
zunehmend auf die Dienste von Schleppern zurück, die sie in den Iran bringen sol-
len. Doch selbst wenn es ihnen gelingt, steht ihnen ein schwieriger Empfang bevor.

Der Iran hat angesichts der andauernden Instabilität in Afghanistan und der mögli-
chen Auswirkungen auf die gesamte Region seine Haltung geändert. Teheran hatte
gehofft, dass die meisten Flüchtlinge im Rahmen eines 1992 mit UNHCR unter-
zeichneten Rückkehrabkommens im Lauf von drei Jahren zurückkehren würden.
Stattdessen lebt im Land noch immer die größte Flüchtlingsbevölkerung der Welt.
Statt des Friedens, fürchtet der Iran, könnte Afghanistan terroristische Aktivitäten
und eine radikale Form des islamischen Glaubens in die angrenzenden Staaten zu
exportieren beginnen, die den schiitischen Überzeugungen des Landes widerspricht.
Die Situation wird zusätzlich durch die Tatsache kompliziert, dass sich das einst ho-
he Wirtschaftswachstum des Iran verlangsamt hat.

All diese Entwicklungen hatten Konsequenzen für die Flüchtlinge. Die Bewegungs-
freiheit innerhalb des Iran wurde eingeschränkt, und Afghanen werden zunehmend
auf bestimmte Wohngebiete in Städten und Großstädten oder eingezäunte Lager
beschränkt. Die Behörden verhalten sich im Hinblick auf die Ausweispapiere und die
legale Aufenthaltsdauer der Afghanen zunehmend strikter. Manche Leistungen sind
gekürzt oder ganz eingestellt worden. Flüchtlinge haben im Allgemeinen einfache
Arbeiten auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder dem Stickereihandwerk verrichtet.
Jahrelang haben sie durch ihre Bereitschaft, niedrige Löhne und lange Arbeitszeiten
hinzunehmen, zum Aufschwung einer stabilen Wirtschaft beigetragen. Doch selbst in
diesen Bereichen gibt es inzwischen weniger Arbeitsplätze, und es ist schwerer ge-
worden, eine Stelle zu finden. All diese Faktoren haben unter den Iranern eine Ab-
wehrhaltung gegenüber den Afghanen wachgerufen.

Eine Frau, die seit zehn Jahren im Iran lebt, sagt: "Mein Mann und mein Schwager
arbeiten beide in einer Fabrik, wo Sparschweine hergestellt werden. Sie verdienen
dort 7.000 Rial (1,5 englische Pfund) am Tag. Wir leben von Auberginen, Kartoffeln
und Tomaten." Sie wünscht sich noch ein Kind, "aber wir haben nicht genug Geld für
die Entbindung. Es ist sehr schwer, Kinder großzuziehen. Wir mussten unsere Aus-
gaben für Schreibwaren und die anderen Dinge kürzen, die meine Kinder in der
Schule brauchen." Eine andere afghanische Frau berichtet, ihr Mann sei vor kurzem
einfach verschwunden. Vielleicht ist er nach Hause zurückgekehrt, und sie muss
jetzt versuchen, mit kleinen Gelegenheitsarbeiten zu überleben. Sie ist so arm, er-
zählt sie, dass sie sich von "Brot, Tee und manchmal auch einer Kartoffel" ernährt.
Nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge, im Allgemeinen allein stehende Männer, verdient
genug, um den eigenen Unterhalt decken und das dringend gebrauchte Geld an die
Familien in Afghanistan schicken zu können.

Bis jetzt war der Iran sehr stolz darauf, die Aufnahme der Flüchtlinge eigenständig
bewältigen zu können. Die Anwesenheit von internationalen Hilfsorganisationen im
Land wurde beschränkt. Teheran hat den größten Teil der finanziellen Lasten getra-
gen, die aus Flüchtlingskrisen entstehen und gewöhnlich von Geberstaaten und hu-
manitären Organisationen übernommen werden. Doch hat die Regierung im letzten
Jahr zu verstehen gegeben, sie würde ein stärkeres Engagement der Hilfsorganisa-
tionen begrüßen. 'Es gibt viele Möglichkeiten für Hilfsorganisationen, mit Projekten ...
insbesondere im Gesundheits- und Sozialbereich für die Schaffung selbständiger

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