Luzerner Tagung zum Sozialhilferecht - Relevante Änderungen für die Sozialhilfepraxis: Gesetzgebung, Rechtsprechung und SKOS-Richtlinien

Die Seite wird erstellt Romy Marquardt
 
WEITER LESEN
Luzerner Tagung zum Sozialhilferecht - Relevante Änderungen für die Sozialhilfepraxis: Gesetzgebung, Rechtsprechung und SKOS-Richtlinien
Luzerner Tagung zum Sozialhilferecht

Relevante Änderungen für die Sozialhilfepraxis:
Gesetzgebung, Rechtsprechung und SKOS-Richtlinien

Donnerstag, 22. Oktober 2020

Aktuelle Rechtsetzung und Rechtsprechung zur
Sozialhilfe: Eine Tour d’Horizon

Peter Mösch Payot, lic. iur. LL.M.,
Nonprofit Manager NDS FH, Dozent und
Projektleiter, Hochschule Luzern – Soziale Arbeit
Aktuelle Rechtsetzung und Rechtsprechung zur Sozialhilfe: Eine Tour d’Horizon

                       Prof. Peter Mösch Payot
                       Dozent und Projektleiter, Hochschule Luzern – Soziale Arbeit

Prof. Peter Mösch Payot (lic. iur LL.M., manager nonprofit FH) war als Richter, jur. Projektleiter und
als Jurist in einer Anwaltskanzlei tätig. Seit 2001 unterrichtet und forscht er für die HSLU und publiziert
seit 2002 regelmässig zu Rechtsfragen im Sozialbereich, so als Redaktor für Sozialhilferecht für
weblaw.ch. Er ist Experte für Sozialversicherungsrecht und Sozialhilferecht für sozialinfo.ch bzw. den
SVBB. Er unterstützt seit mehr als 15 Jahren Fachpersonen, Einrichtungen, Verbände, Sozialdienste und
Gemeinwesen bei juristischen/sozialrechtlichen Fragestellungen. Er ist als Experte Mitglied der
Sozialhilfebehörde der Stadt Bern. Peter Mösch Payot ist Vater von zwei Kindern und wohnt in Bern.
Neue Gesetze und neue Urteile für die
Sozialhilfe: eine Tour d’Horizon

Prof. Peter Mösch Payot, lic. iur. LL.M.

Mitglied Sozialhilfebehörde Stadt Bern, Dozent Hochschule Luzern
Peter.moesch@hslu.ch

Luzern
Übersicht

Teil A: Neue Gesetze und und Gesetzesvorhaben
im Bundesrecht rund um die Sozialhilfe (ab 2021)

Teil B: Ausgewählte Änderungen in kant.
Sozialhilfegesetzen (beschlossen 2020 und in
Vorbereitung)

Teil C: Eine Tour d’Horizon durch die Recht-
sprechung (2019/2020)

Teil D: Schlussbemerkungen

 Folie   2, 21. Oktober 2020
Teil A: Neues Gesetze und Gesetzesvorhaben
im Bundesrecht rund um die Sozialhilfe

Folie   3, 21. Oktober 2020
Überblick und Ausblick über die Rechtsetzung

         Änderungen der Rechtsgrundlagen bezüglich der der
          Sozialhilfe vorgehender Ansprüche
                Neuerungen im ELG (ab 1.1.2021)
                Bessere Absicherung für ältere Arbeitslose
                                Beibehaltung BVG-Schutz (ab 1.1.2021)
                                Überbrückungsleistungen für Arbeitslose (ab
                                 1.1.2021)
                Neuerungen im IVG (Gesetzesrevision ab
                 1.1.2022)

         Änderungen im Ausländerrecht mit Blick auf
          Sozialhilfeansprüche von AusländerInnen

 Folie   4, 21. Oktober 2020
. Neues ELG und Sozialhilfe: Was bleibt gleich?

 A. Persönliche Voraussetzungen (Art. 4 ELG)
           - 1.1 Grundanspruch aus AHV oder IV
           - 1.2 Wohnsitz UND Aufenthalt
           - 1.3 Karenzfrist (bei AusländerInnen ausserhalb FZA)

 plus

 B. Wirtschaftliche Voraussetzungen – EL-Bedarf
           - 2.1 Neu: Vermögensschwelle
           - 2.2 Anerkannte Ausgaben für Lebensbedarf
                 - 2.2.1 Wohnen zu Hause
                 - 2.2.2 HeimbewohnerInnen
           - 2.3 Besondere Krankheits- und Behinderungskosten

           abzüglich

           - 2.4 Anrechenbare Einnahmen, inkl. Vermögensverzehr
 ----------------------------------------------------------------------------
 C. (Mindest-)Anspruch und Vollzug
  Folie   5, 21. Oktober 2020
Neues ELG und Sozialhilfe: Was wird neu? I

  Persönliche Voraussetzungen:
             Aufenthalt im Ausland und Unterbruch Karenzfrist

  Neu: Vermögensschwelle

  Anerkannte Ausgaben:
             Kürzung Lebensbedarf von Kindern unter 11 Jahren, aber
              Berücksichtigung von bestimmten ext.
              Kinderbetreuungskosten

             Erhöhung Mietzinsmaxima und Erhöhung Rollstuhlzuschlag,
              neue Berechnung in Mehrpersonenhaushalten

             Änderungen Heimrechnung

             Nur noch effektive KK-Prämien, maximal Durchschnittsprämie

  Folie   6, 21. Oktober 2020
Neues ELG und Sozialhilfe: Was wird neu? II

 Anrechenbare Einnahmen:
           Verstärkte Anrechnung Erwerbseinkommen Ehegatten (80%
            statt 2/3)

           Verstärkte Vermögensanrechnung

 Weiteres:
           Senkung EL-Mindesthöhe

           Rückerstattung aus dem Nachlass

           Frist für Verfahren und Vorschuss

           Übergangsbestimmungen

  Folie   7, 21. Oktober 2020
Neues ELG und Sozialhilfe: Jetzt wichtig für die Praxis

  EL-Anträge (auch Revision, wo Bedarf höher) noch dieses Jahr
   mit Blick auf Vergleichsrechnung!!!

  Konkretisierung in Weisung Übergangsbestimmungen beachten

  Für Vertiefung:
   - https://www.hslu.ch/de-ch/soziale-
     arbeit/agenda/einblicke/archiv-einblicke/

   - Broschüre Procap zu Revision ELG (Auf Homepage Procap)

   - Seminarien EL der HSLU, siehe https://www.hslu.ch/de-ch/soziale-
     arbeit/weiterbildung/studienprogramm/fachseminare/ansprueche-auf-
     ergaenzungsleistungen/

  Folie   8, 21. Oktober 2020
2. Änderungen im IVG: Vorschau (ab 1.1.2022)

 Stufenloses Rentensystem

 Gewisse Erweiterungen von Eingliederungsmassnahmen
  und für die Frühintervention, insb. für junge Erwachsene

   Gewisse Kürzungen der Taggelder für junge Erwachsene

   UVG-Absicherung bei Eingliederungsmassnahmen

   Wichtig für die Praxis
     Koordinationsbedarf Eingliederungsmassnahmen

       Klärung des Vorgehens bei Wechsel auf stufenloses
        Rentensystem, ev. Revision prüfen

    Folie 6, 21. Oktober 2020
3. Bessere Absicherung ältere Arbeitslose

  Folie 6, 21. Oktober 2020
Bessere Absicherung ältere Arbeitslose:
Bisherige Regelungen BVG

 Hintergrund: Arbeitsmarktliche Probleme für ältere
  Arbeitnehmende

 Geltendes Recht
  Je nach Reglement der PK: Versicherte, die aus der obligatorischen
  Versicherung austreten, kann die Vorsorge oder bloss die Altersvorsorge
  im bisherigen Umfang bei derselben Vorsorgeeinrichtung weiterführen.
  Sonst bei der Auffangeinrichtung (Art. 47 BVG)

 Freiwillige Lösungen werde von PK kaum angeboten.

 Nach Entlassung häufig Kapital auf Freizügigkeitskonto;
  Verlust von Vorsorgeschutz durch Rente

 Folie   11, 21. Oktober 2020
Bessere Absicherung ältere Arbeitslose: BVG

 Personen über 58 Jahren, deren Arbeitsverhältnis vom
  Arbeitgeber beendet wurde, können die BVG-Versicherung
  bei der bisherigen Vorsorgeeinrichtung weiterführen (Art.
  47a BVG)

   Weiterführen für die Risiken Tod und Invalidität, auch Altersvorsorge
    möglich

   Bzgl. Ansprüchen Gleichbehandlung mit anderen Arbeitnehmenden

   Bei Weiterführung von mehr als zwei Jahren: Nur Rentenbezug (ausser
    Reglement enthält Kapitalklausel) und kein Vorbezug für Wohneigentum

   PK-Reglement kann vorsehen:
               Weiterführung ab 55 Jahre
               Möglichkeit der Versicherung von Teillohn

 Folie   12, 21. Oktober 2020
Neu: Überbrückungsleistungen für Arbeitslose ab
60 (ab 2021)

 Voraussetzungen für Anspruch auf Überbrückungsleistungen

   Aussteuerung nach vollendetem 60. Altersjahr;

   20 AHV-Beitragsjahre, mind. fünf davon nach dem 50. Altersjahr
    mit mehr als dem dem jährlichem Mindestlohn BVG;

   Kein Anspruch auf AHV-oder IV-Rente;

   Vermögen unter Fr. 50‘000 resp. Fr. 100‘000;

   Anspruch endet mit dem Vorbezug der Altersrente, wenn ein EL-
    Anspruch absehbar ist

 Folie   13, 21. Oktober 2020
Neu: Überbrückungsleistungen für Arbeitslose ab
60 (ab 2021)

 Bemessung

   - Bedarfsleistung: Berechnung orientiert sich am System der
     Ergänzungsleistungen.

   - Begrenzung auf das 2,25-fache des Betrages für den allgemeinen
     Lebensbedarf gemäss EL

   - Also: Alleinstehende: 43'762 Franken/Jahr (19'450 x 2,25); Paar /
     Person mit Kind: 65'644 Franken/Jahr (29'175 x 2,25)

Weiteres:
https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/
unter: Soziale Absicherung und Integration/Überbrückungsleistungen

  Folie   14, 21. Oktober 2020
4. Änderungen Ausländerrecht
   mit Blick auf Sozialhilfeanspruch

  Folie 6, 21. Oktober 2020
AIG und Beschränkung Sozialhilfe für Angehörige
aus Staaten ausserhalb der FZA-Staaten I

  Hintergrund

      Personen aus Nicht-FZA-Staaten, nicht (mehr) Asylsuchende, nicht
       anerkannte Flüchtlinge; ca. 60000 Personen; 17% der BezügerInnen)

      Vorläufig aufgenommene AusländerInnen nur mit reduzierte Sozialhilfe
       (Art. 86 AIG)

      Kantonale Vielfalt der konkreten Ansätze

      Sozialhilfe für AusländerInnen aus Drittstaaten soll weiter
       eingeschränkt werden: Überwiesenes Postulat mit Prüfauftrag an
       Bundesrat: Frage der Bundeskompetenz

  Januar 2020: Beschluss Bundesrat Verschärfungen
   vorzunehmen und drei Gesetzesänderungen vorzubereiten

 Folie 8, 21. Oktober 2020
AIG und Beschränkung Sozialhilfe für Angehörige
aus Staaten ausserhalb der FZA-Staaten II
 Unmittelbare Vollzugsmassnahmen, insb.
    Verlängerung von B-Bewilligungen von Drittstaatsangehörigen mit
     erheblichem SH-Bezug nur noch mit Zustimmung des Staatssekretariat
     für Migration (SEM)

    Empfehlungen für einen einheitlichen Begriff der Sozialhilfekosten bei der
     Anordnung von ausländerrechtlichen Massnahmen in Vorbereitung

 Drei Gesetzesänderungen in Vorbereitung
    Niederlassungsbewilligung (C-Bewilligung) bei Sozialhilfebezug erleichtert
     widerrufbar

    Sozialhilfe von Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung (B-Bewilligung)
     in den ersten 3 Jahren ihres Aufenthalts eingeschränkt

    Erteilung einer B-Bewilligung an vorläufig Aufgenommene nur noch bei
     Vorliegen verschärfter Integrationsvoraussetzungen

 Folie 8, 21. Oktober 2020
Teil B: Ausgewählte (vorgesehene)
Änderungen in kantonalen Sozialhilfegesetzen

 Thema eins: Rechtsgrundlagen für Observation

Thema zwei: Neue Differenzierung des Grundbedarfs

Folie   3, 21. Oktober 2020
1. Rechtsgrundlagen für Observation

   Thema eins: Rechtsgrundlagen für Observation

  Thema zwei: Neue Differenzierung des Grundbedarfs

  Folie 6, 21. Oktober 2020
Thema eins: Rechtsgrundlagen für Observation (1)

 Hintergrund

    Verdeckte Ermittlung benötigt explizite gesetzliche Grundlage
     (was, wer, warum, in welchen Fällen, durch wen angeordnet…);
         Urteil des EGMR Vukota Bojic vom Herbst 2016 und Bger 9C_806/2016

    Folge: Norm für Sozialversicherungen (Art. 43a und Art. 43b ATSG
         und Art. 7h und Art. 7i ATSV)

    In einzelnen Kantonen bestehen bereits seit einigen Jahren
     genügende gesetzliche Grundlagen
           Kanton Bern (Art. 19a, Art. 50a bis 50g SHG BE; Art. 23a bis 23d
                  SHV BE)
                Kanton Basellandschaft (§ 41a SHG BL; § 32a SHV BL)

 Folie   20, 21. Oktober 2020
Thema eins: Rechtsgrundlagen für Observation (2)

  Vereinzelt Schaffung von Rechtsgrundlagen für Obser-
   vation/verdeckte Ermittlung

          Insb. Aargau, Thurgau und Zürich

          Streitfragen der Ausgestaltung
                 Voraussetzung für Anordnung
                 Genehmigungsinstanz
                 Qualität der Stelle/Person, welche Observation macht

          Nutzen für Bekämpfung Missbrauch umstritten

 Folie   21, 21. Oktober 2020
2. Rechtsgrundlagen für neue Kriterien zur
Differenzierung des Grundbedarfs

  Folie 6, 21. Oktober 2020
Thema zwei: Neue Kriterien für Bemessung der Hilfe (1)

  Hintergrund

    Politische Agenda eines Teils der Politik
            Nach einigen Jahren der Diskussion Reaktion auf Missbrauchsdiskussion
            Soziales Existenzminimum nach SKoS-RL ist zu hoch, SH-BezügerInnen
             haben zu viel

    Diverse Vorstösse/Änderungen für Senkung des sozialen
     Existenzminimums (insb. Grundbedarf)
            SHG Luzern (§ 9 SHV): 85%/90% des GB, wenn noch 1.5 Jahre in CH
             erwerbstätig, mit Ausnahmen (bestimmte Alleinerziehende etc.)

    Revision des SHG Bern mit gleicher Stossrichtung nach Referendum
     abgelehnt vom Berner Volk am 19.5.2019 nach intensiver Debatte

   Folie   23, 21. Oktober 2020
Thema zwei: Neue Kriterien für Bemessung der Hilfe (2)
  Revisionsprojekt SPG Kanton Basellandschaft
     Kontext: Diverse Vorstösse; u.a Motion von 2017: Erhebliche
      Kürzung des Existenzminimums (mind. 30%) für alle. Mehr nur für
      Integrationswillige

    Vorlage des Regierungsrates BL 2020:
       Komplexes Stufensystem
                bei Beginn (sechs Monate) und bei Pflichtverletzung CHF 690
                bei Pflichterfüllung, Antrag möglich CHF 887
                bei Erwerbstätige, und Programmbesuch CHF 1085
                bei «vulnerablen» Gruppen (Kinder, Mütter mit Kindern unter 4
                 Monaten, Personen über 55, Attestierte Arbeitsunfähigkeit, Personen,
                 die während 20 Jahren erwerbstätig) CHF 986
                bei langjährigem Bezug von «Arbeitsmarktfähigen» CHF 937
            Verstärkung Arbeitsintegration (Assessement, Föderung etc.)
            Höherer Vermögensfreibetrag für Personen über 55

    Vernehmlassung kritisch: Komplexität, Sachliche Differenzierung?
   Folie   24, 21. Oktober 2020
Thema zwei: Neue Kriterien für Bemessung der Hilfe (3)
  Revisionsprojekt SPG Kanton Aargau

    Seit 2018 in Kraft: Anreizmöglichkeiten (SKoS-System) und
     Erweiterungen von Weisungsmöglichkeiten/Sanktion

    Hängig: Zwei an den Regierungsrat vom Parlament überwiesene
     Motionen
       Grundbedarf knüpfen an Anzahl Steuerjahre sowie Anzahl AHV-
        Beitragsjahre = weniger Sozialhilfe für junge Erwachsene oder
        Personen, die noch nicht lange in der Schweiz
        steuerpflichtig/AHV-pflichtig sind.

            Erhebliche Kürzung des Existenzminimums (mind. 30%) für alle.
             Ergänzen um Motivationsentschädigung für Integrationswillige,
             motivierte und engagierte Personen

    In Vorbereitung: Analyse vor einer allfälligen Gesetzesreformvorlage

   Folie   25, 21. Oktober 2020
Teil C: Eine Tour d’Horizon durch die
Rechtsprechung

 Folie   26, 21. Oktober 2020
1. Bedeutung der Rechsprechung in der Sozialhilfe
 Grundlagen der Rechtsprechung
    Unterschiedliche Dichte in der kantonalen Gesetzgebung

      Häufig ist die Bemessung direkt oder indirekt gebunden an die
       SKoS-Richtlinien

      Für einen Teil der Fragen (Beweiswürdigung etc.; Sil)
       erhebliches Ermessen für kommunale Entscheidungsträger

 In den Kantonen in der Regel volle Kognition (Art. 110
  BGG); Bundesgericht nur mit Willkürkognition
    Grundrechte
       Nothilfe
       Erhebliche Verfahrensfehler

 Bundesgericht mit sehr vielen Nichteintretensentscheiden

 Unterschiedliche Kulturen der kantonalen Rechtsprechung

 Folie   27, 21. Oktober 2020
2. Aktuelle Rechtsprechung

Bezugspunkte:

2.1 Zuständigkeit

2.2 Anspruch auf Nothilfe

2.3 Materielle Anspruchsvoraussetzungen WSH und
Bemessung

2.4. Auflagen/Weisungen/Sanktionen/Einstellung

2.5. Unrechtmässiger Bezug als Strafnorm

 Folie   28, 21. Oktober 2020
2.1 Zuständigkeit

 Folie   29, 21. Oktober 2020
Zuständigkeit bei Platzierung von Kindern

 Fall A: Bger 8C 833/2019 vom 17. Juni 2020
 Ein Kind, dass aus einem betreuten Wohnen nach der Geburt bei einer
 Pflegefamilie fremdplatziert wird, hat dort einen eigenständigen Wohnsitz
 (Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG). Entscheidend ist, ob diese Platzierung als dauerhaft
 geplant war. Spätere Änderungen des Wohnsitzes der Mutter ändern nichts
 an diesem Wohnsitz

  Folgerungen
       Bger bestätigt Gesetz, Theorie und Praxis nach Art. 7 ZUG
          Kinder haben Wohnsitz, wo sie mit Elter/n wohnen
          Kinder haben eigenständigen Wohnsitz u.a. am letzten Ort,
           wo sie mit Eltern/teil wohnen, gewohnt haben bei einer
           dauerhaft gedachten Fremdplatzierung.

       Beweisproblem ex post

       Gute Dokumentation beschränkt Zuständigkeitsstreit

  Folie   30, 21. Oktober 2020
2.2 Anspruch auf Nothilfe

 Folie   31, 21. Oktober 2020
Nothilfe
Fall B: Bger 8C_850/2018 vom 12. Juni 2019
Wer in der Lage wäre eine Arbeit anzunehmen und - abgesehen von seiner
Geisteshaltung - keinerlei Gründe nennt, die es ihm faktisch verunmöglichen
würden, ein existenzsicherndes Einkommen zu generieren, hat keinen Anspruch auf
Sozialhilfe. Auf ein Gesuch musste nicht eingetreten werden.

Siehe auch Fall C: Bger 8C_451/2019 vom 19. August 2019
Wer trotz einer Auflage des Gemeinwesens, am Beschäftigungsprogramm mit
Entschädigung in der Höhe der Nothilfe teilzunehmen, ohne Grund nicht teilnimmt,
hat kein Anspruch auf Nothilfe.

Fragen…
    Was bedeutet „in der Lage sein für sich zu sorgen?“

    Wie kann jemand „nicht in Not sein“, wenn das Einkommen real gar
     nicht verfügbar ist?

    Geht es hier nicht eher um Rechtsmissbrauch?

    Praxis: Klar sind wohl nur die Fälle, wo Arbeit mit Lohn unmittelbar
     zur Verfügung steht.
   Folie   32, 21. Oktober 2020
2.3 Bemessung der Sozialhilfe

   Bedarf
         Anrechenbare Ausgaben
            Grundbedarf
            Gesundheitskosten
            Wohnkosten
            SiL
            IZU
     minus

               anrechenbare Einnahmen (abzgl. EFB)
                  Z.B. Konkubinatsbeitrag/Haushaltsführungsentschädigung

 Folie   33, 21. Oktober 2020
Gerichtspraxis Konkubinat und
Haushaltsführungsentschädigung

Fall D: Urteil VG Bern vom 09.05.2019
- Berechnung des Konkubinatsbeitrags einer Partnerin/eines Partners
  mit IV-Rente:
   - Für Berechnung des erweiterten Existenzminimums ist
     Einkommensfreibetrag analog zu berücksichtigen
   - Grund Rechtsgleichheit mit erwerbstätiger Person

Fall E: Urteil VG Bern vom 16.12.2019
- Annahme einer Einkommens- und Vermögenssituation, die eine
  Haushaltsführungsentschädigung von Personen im selben Haushalt
  ermöglicht, darf nicht ohne Weiteres angenommen werden, wenn
  Unterlagen fehlen
- Untersuchungsmaxime, insb. wenn SozialhilfebezügerIn gar keine
  Möglichkeit hat, Unterlagen beizubringen

  Folie   34, 21. Oktober 2020
Gerichtspraxis Situationsbedingte Leistungen

Fall F1: Urteil 8C_603/2018 vom 15. März 2019
Kein Anspruch auf Erhöhung der Nothilfe, wenn es an einem
Arztbericht fehlt, der konkret ausführt, dass jemand für eine
diabeteskonforme Ernährung einen speziellen Ernährungsplan mit
bestimmten Lebensmitteln oder Spezialprodukten einhalten müsste,
die besondere Mehrkosten auslösten.

Fall F2: Urteil VG Zürich VB.2019.00292 vom 25.9.2019
Wird glaubhart dargestellt, dass jemand aus gesundheitlichen
Gründen dringend auf die nicht krankenkassenpflichtige, aber
fachärztlich verschriebene Hautcreme angewiesen ist, sind die
Kosten zu übernehmen. Auch schon als vorsorgliche Massnahme.

Folgerungen:
   - SiL-Kategorien und kant. Recht gut beachten bzgl. Rahmen von
     Ermessen.
   - Anträge, Begründung, Qualität von Arztzeugnissen sind
     entscheidet.

  Folie   35, 21. Oktober 2020
2.4 Auflagen und Weisungen/Sanktionen

 Folie   36, 21. Oktober 2020
Case: Allgemeine Auflagen
Fall G: Urteil VB.2019.00662 des Verwaltungsgerichts
Zürich vom 14.01.2020
Die allgemeine Auflage, alles zu unternehmen, um schnellstmöglich
wirtschaftlich unabhängig zu sein, ist nicht genügend konkret, um allein
gestützt darauf eine Kürzung zufolge Nichtteilnahme an einem nicht
entlöhnten Beschäftigungsprogramm zu rechtfertigen (E. 4).
Der Umstand, dass der Beschwerdeführer mitteilte, er werde künftig keinen
persönlichen oder telefonischen Kontakt mehr zum Sozialdienst haben,
sondern nur noch schriftlich kommunizieren, rechtfertigte vor allem deshalb
keine Kürzung, weil die Kürzung gleich am darauffolgenden Tag erging, und
der Beschwerdeführer - soweit ersichtlich - weder dazu angehört noch ihm
die Möglichkeit gegeben wurde, seine Äusserung zu überdenken bzw. sich
entsprechend zu verhalten

 Folgerungen
    Auflagen/Pflichten müssen hinreichend individuell und konkret
     sein

    Rechtliches Gehör und im Zweifel Mahnung sind als Ausdruck
     von Treu und Glauben zu beachten

 Folie   37, 21. Oktober 2020
Neue Norm im SHG ZH: Abstrakte Normenkontrolle

 Fall H: BGE 146 I 62
 § 21 Abs. 2 SHG/ZH, wonach sozialhilferechtliche Auflagen und Weisungen
 nicht selbstständig anfechtbar sind, verletzt - vorbehältlich allfälliger
 besonders gelagerter Einzelfälle - kein Bundesrecht. Insb. nicht die
 Rechtsweggarantie nach Art. 29a BV

  Folgerungen
      Bger bestätigt weiten Spielraum kant. Gesetzgeber

      Auflagen als Zwischenentscheide, die selbständig anfechtbar
       sind (insb. in anderen Kantonen), wenn nicht
       wiedergutzumachender Nachteil droht

      Umstritten bleibt: Was ist nicht wiedergutzumachender Nachteil

 Folie   38, 21. Oktober 2020
2.5 Strafnorm unrechtmässiger Leistungsbezug

 Folie   39, 21. Oktober 2020
Neue Norm im SHG ZH: Abstrakte Normenkontrolle
Fall I: Urteil 6B_1033/2019 vom 4. Dezember 2019
Unrechtmässiger Bezug nach Art. 148a StGB kann auch verwirklicht werden
durch blosses Verschweigen von relevanten Tatsachen.
Weil Art. 148a StGB ein Vorsatzdelikt ist, ist dafür aber das individuelle
Wissen um Bestand und Umfang der Meldepflicht sowie den tatsächlichen
Täuschungswillen Voraussetzung.
Fahrlässige Verletzung einer Meldepflicht sind nicht erfasst.

 Folgerungen
    Transparenz bzgl. Rechten und Pflichte gegenüber Kl. wichtig

    Klare, verständliche Informationen im Intake und danach

    Regelmässiger Kontakt und persönliche Hilfe vermeidet
     unrechtmässiger Bezug

    Generell: wegen erheblichen Rechtsfolgen mgl. Strafanzeige
     immer im Kontext anderer Reaktionsvarianten prüfen
 Folie   40, 21. Oktober 2020
Teil D: Schlussbemerkungen

 Folie   41, 21. Oktober 2020
Schlussbemerkungen Rechtsprechung und
Sozialhilfepraxis (1)

  Zuständigkeitsfragen

      Rechtliche Kriterien häufig schwierig festzustellen

      Sachverhaltsabklärung anspruchsvoll; Instrumente prüfen

  Nothilfe: Zickzackkurs des Bundesgerichts

      Was heisst «in der Lage sein für sich zu sorgen»?

 Folie   42, 21. Oktober 2020
Schlussbemerkungen Rechtsprechung und
Sozialhilfepraxis (2)
  Weisungen und Sanktionen
      Individuell-konkrete Gestaltung von Weisungen

      Anwendung Verhältnismässigkeit notwendig für Weisungen und
       Sanktionierung (ev. Ob und wie viel wie lange)

      Verfahrensregeln beachten (Sachverhaltsabklärung und
       Beweiswürdigung; Rechtliches Gehör)

      Know-How aufbauen und Verfahrenswissen sichern

  Konkubinatsbeitrag/Haushaltsführungsentschädigung
      Bundesgericht schützt strenge Anwendung

      Praxis uneinheitlich, einzelne bemerkenswerte Urteile unterer
       Instanzen; SKoS-RL bleiben teilweise fragwürdig: Reformbedarf

      Anwendung mit Augenmass und individualisiert
 Folie   43, 21. Oktober 2020
Schlussbemerkungen Rechtsentwicklung und
Sozialhilfepraxis (1)
   ELG-Reform bringt zum Teil Abbau von EL-Ansprüchen

          Unmittelbar: Unbedingt Anmeldung prüfen

          Nach Ablauf Besitzstand mehr Invalide und ältere
           Betreuungsbedürftige zu erwarten, auch in stationären
           Einrichtungen

          Umgang mit Verzichtseinkommen und –vermögen in der SH
           wird wohl wieder aufflammen

   Neuen Überbrückungsleistungen: gewisse Verbesserungen
    des Schutzes älterer Arbeitsloser

          SH: konsequent Ansprüche prüfen

 Folie   44, 21. Oktober 2020
Schlussbemerkungen Rechtsentwicklung und
Sozialhilfepraxis (2)

  IVG-Reform

       Fragen der Koordination mit neuen/erweiterten
        Eingliederungsmöglichkeiten, insb. auch bei Jugendlichen

       Stufenloses Rentensystem verlangt noch genauere Prüfung der
        Vorbescheide

  Folie   45, 21. Oktober 2020
Schlussbemerkungen Rechtsentwicklung und
Sozialhilfepraxis (3)

  Kantonale SH-Reformen, insb. in BL und AG / Weitere
   Reformen des Bundes bzgl. Ansprüchen für vorläufig
   Aufgenommene

       Zum Teil Diskussionen zur Abkehr vom sozialen
        Existenzminimum, z.T. auch vom Bedarfsprinzip

       Grundfragen der sachlichen Kriterien für
        Ungleichbehandlung im Lichte von Art. 8 BV und diversen
        internationalen Abkommen

       Steht bald eher im Fokus
          das Wie der Verbesserung der Lage von Armutsbetroffenen?
          das Wie von Massnahmen zur Beratung und Integration?
          die Kosten für ambulante und stationäre Massnahmen aller
           Art?

  Folie   46, 21. Oktober 2020
Weitere Hinweise zur aktuellen Rechtsprechung

- Entscheiddatenbank: www.sozialhilferecht.weblaw.ch

- Z.B. für den Kanton ZH: www.sozialhilfe.zh.ch

- Infos zu kantonaler Rechtsprechung auch bei kantonalen
  Sozialdiensten

Kontakt für Beratung und Workshops:
peter.moesch@hslu.ch

Folie   47, 21. Oktober 2020
Sie können auch lesen