MEINE STIMME HAT WERT - OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt SOZIALPLATTFORM - Sozialplattform OÖ
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oder einen Weg sucht, um sie zurück ins Boot zu holen. 81 Pro- MEINE STIMME HAT WERT zent der von uns befragten Personen haben nicht das Gefühl, dass sich die Politik um ihre Anliegen kümmert. Das muss ein Weckruf für politisch Verantwortliche sein, um ihr Engagement OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt für Menschen mit wenig Einkommen zu erhöhen, um sich ihrer Probleme und Anliegen anzunehmen - nachhaltig, aufrichtig In der Sozialplattform OÖ befassen wir uns mit den Problemen alleinstehender Person) befinden oder befunden haben. und integrativ statt ausschließend. von armutsbetroffenen Menschen und setzen uns für eine Die Fragebögen wurden im April 2021 von den Teilnehmenden gerechte Gestaltung der Gesellschaft ein, an der alle teilhaben eigenständig ausgefüllt, in den sozialen Einrichtungen gab es Danke an können - unabhängig von Einkommen, Geschlecht, Herkunft bei Rückfragen Unterstützung. Für die Teilnahme erhielt man •• Christian Lehner (Querdenker Agora) für seine kompeten- oder Beeinträchtigung. einen Einkaufsgutschein im Wert von EURO 20. te inhaltliche Mitarbeit sowie Im 10-seitigen Fragebogen mussten sich die Teilnehmenden •• Teresa Pirklbauer für die professionelle Auswertung, Der SORA-Demokratie-Monitor, eine Erhebung der Einstellung mit 31 geschlossenen bzw. offenen Fragen in folgenden The- •• die Mitgliedseinrichtungen ARGE für Obdachlose, B7 - der österreichischen Bevölkerung zur Demokratie, hat uns hell- menbereichen beschäftigen: Arbeit und Leben, Evangelische Stadt-Diakonie, FAB Ca- hörig gemacht. Menschen, die finanziell in unserer Gesellschaft semanagement, itworks, Querdenker Agora, RIFA - Rieder benachteiligt sind, beteiligen sich immer seltener an Wahlen. Initiative für Arbeit, Soziale Initiative, Sozialverein B37 ARBEIT BILDUNG DEMOKRATIE Auch die Armutskonferenz Österreich widmet sich in ihrer und Wohnungslosenhilfe Mosaik für ihre Unterstützung, Arbeit intensiv der sogenannten „Zwei-Drittel-Demokratie“. •• alle Befragten dafür, dass sie sich die Zeit genommen Das ist ein großer Verlust für die Demokratie und führt zu haben, um uns einen ehrlichen Einblick in ihre Probleme einem verzerrten Abbild von politischen Mehrheiten. Hat die und Anliegen zu gewähren. stimmenstärkste Partei wirklich noch immer die meisten SOZIALSTAAT WOHNEN Josef Pürmayr, Claudia Zinganell-Kienbacher Wahlberechtigten hinter sich? Wer vertritt die Anliegen von Menschen, die finanziell kaum oder gerade noch so über die Sozialplattform OÖ Runden kommen? Und welche Anliegen und Ideen haben sie August 2021 überhaupt? Die Sozialplattform OÖ wollte das wissen: In Hin- blick auf die oberösterreichische Landtagswahl im September Dieses Projekt wird unterstützt von: 2021 haben wir unsere eigene (nicht-repräsentative) Befragung Außerdem haben wir armutsbetroffene Menschen gefragt, was gestartet. es für ein gutes Leben braucht und sie ermutigt, Forderungen Über ihre Mitgliedsorganisationen hat die Sozialplattform OÖ an die Politik zu stellen. 102 Personen gefunden, die an der Befragung teilgenommen haben. So haben sich arbeitslose Jugendliche, Familien in In der vorliegenden Publikation sind die Ergebnisse der Betreuung, wohnungslose Menschen oder Pensionist*innen Befragung sowie Forderungen und Statements von armuts- Impressum Sozialplattform Oberösterreich, Schillerstr. 9, 4020 Linz mit Mindestpension mit unseren Fragen auseinandergesetzt. betroffenen Wahlberechtigten im Originalton zu finden. 0732-66 75 94, office@sozialplattform.at, www.sozialplattform.at Im Vorfeld wurde mit den sozialen Einrichtungen bespro- Außerdem haben wir Sozialexpert*innen zu verschiedenen ZVR: 888363821 chen, dass es eine Ausgewogenheit bei Alter, Geschlecht und Themen befragt. Wir stellen dieses Heft oberösterreichischen Redaktion: Sozialplattform OÖ Lebenssituation geben soll. Alle Personen mussten in Öster- Politiker*innen gerne zur Verfügung. Denn letztlich dreht sich Layout: Claudia Zinganell-Kienbacher reich wahlberechtigt sein und sich in einer finanziell prekären alles um die Frage, ob man sich mit der enorm sinkenden Erscheinungstermin: 5. September 2021 Situation (Armutsgefährdungsgrenze: max. 1.328 EUR /Monat/ Wahlbeteiligung unter armutsbetroffenen Personen abfindet 2 Meine Stimme hat Wert
Inhalt FACTS 39 Teilnehmende haben eine Das pauschale Bild der faulen Arbeitslosen stimmt überhaupt nicht 102 Im Gespräche mit Josef Pürmayr, Sozialplattform OÖ 5 Teilnehmende BEEIN- TRÄCHTIGUNG Sozialer Aufstieg bleibt eine Ausnahmeerscheinung 51 1 Im Gespräch mit Barbara Rothmüller 9 50 Lernen impliziert auch persönliche Weiterentwicklung Im Gespräch mit Klaudia Burtscher, Frauenstiftung Steyr 83 10 35 Durchschnittsalter Teilnehmende haben einen Wir sollten junge Menschen mehr einbinden JAHRE MIGRATIONS- Im Gespräch mit Susanna Rothmayer, VSG 12 Jüngste*r 16 Jahre HINTERGRUND Kaum positive Erfahrungen mit Demokratie und Beteiligung Älteste*r 76 Jahre Im Gespräch mit Martina Zandonella 16 Unser aller Lebensqualität wird durch Sozialstaat möglich 67 Im Gespräch mit Martin Schenk 19 968 Durchschnitts- Einkommen Teilnehmende haben Kinderarmut ist kein Randthema mehr Im Gespräch mit Erich Fenninger 22 KINDER Sozialhilfe beantragen - gar nicht einfach Ein Überblick vom Praxisforum Sozialhilfe 24 anderes 11.9% Ausbildung Der Zugang zu leistbarem Wohnraum wird immer schwieriger Im Gespräch mit Hubert Mittermayr, Verein Wohnplattform Matura 7.9% Uni HS/NMS/Poly 43.6% 16 Teilnehmende 26 Wohnen ist ein Grundrecht 3.9% sind Im Gespräch mit Bettina Reichhold, Soziales Wohnservice Wels ALLEIN- 28 Lehre ERZIEHEND 32.7% OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 3
ARBEIT Jobangebote in OÖ 53,6 % glauben, dass es NICHT ausreichend Jobangebote für sie in Oberösterreich gibt. Job(un)zufriedenheit 67,7% sind mit ihrer aktuellen Jobsituation NICHT zufrieden Lohn(un)zufriedenheit 67,7% finden, dass sie mit dem Lohn, den sie für ihre Arbeit bekommen, kein gutes Leben führen können. Druck auf Arbeitslose MEINE STIMME HAT WERT 74,5% finden, dass der Druck auf arbeitslose Menschen OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt hoch ist 4 Meine Stimme hat Wert
Das pauschale Bild der faulen Arbeitslosen stimmt überhaupt nicht Im Gespräch mit Josef Pürmayr, Sozialplattform OÖ raum 2019, und auch die allgemeine Arbeitslosigkeit - jedenfalls Ausbau der arbeitsplatznahen Aus- und Weiterbildungsmög- in Oberösterreich - ist wieder auf dem Vor-Coronaniveau. Das lichkeiten, die auch den Teilzeiterwerbstätigen zur Verfügung sind die guten Nachrichten. Die schlechte Nachricht ist, dass stehen und mehr Ressourcen für Bildungsberatung in der sich die Lage für bestimmte Personengruppen am Arbeits- Pflichtschule, um stereotypen Rollenbildern entgegen zu markt deutlich verschlechtert hat. Die Arbeitslosigkeit hat sich wirken. also nicht verbreitert, aber vertieft. Schwerer als andere haben Ungefähr 40 Prozent der Menschen mit Behinderungen im es am Arbeitsmarkt beispielsweise Personen mit Betreuungs- erwerbsfähigen Alter sind weder erwerbstätig noch arbeitssu- pflichten - hier über wiegend Frauen, Menschen mit Behinde- chend. Sie sind also vom Arbeitsmarkt und damit einem zen- rungen, Personen mit geringer Qualifikation und Menschen in tralen Aspekt der gesellschaftlichen Teilhabe ausgenommen. fortgeschrittenem Lebensalter. Das ist grundsätzlich nicht neu, Um das zu verändern, braucht es einen Rechtsanspruch auf Foto: Karl Artmann Corona hat das seit vielen Jahren bestehende Problem aber die notwendigen Unterstützungsleistungen, um die Ausübung nochmals verschärft. einer existenzsichernden Arbeit am allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Betriebe sollen mit stärkeren finanziellen Welche Unterstützungsangebote braucht es also Anreizen unterstützt werden, inklusive Arbeitsmöglichkeiten speziell für die oben angeführten Gruppen? für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Es soll untersagt Josef Pürmayr ist Geschäftsführer der Sozialplattform OÖ, Grundsätzlich geht es primär darum, Arbeitslosigkeit zu verhin- werden, bereits am Übergang von Schule in den Beruf „Arbeits- einem Netzwerk von 41 Sozialeinrichtungen aus ganz Oberös- dern bzw. die Arbeitslosigkeitsepisode kurz zu halten. Hier sind unfähigkeit“ zu attestieren. terreich, viele Mitglieder der Sozialplattform OÖ unterstützen für die unterschiedlichen Gruppen eigene Ansätze erforderlich. Ungefähr 44 Prozent der arbeitslosen Personen im Jahr 2020 arbeitsuchende Menschen mit speziellen Angeboten. Pürmayr Ein paar möchte ich herausgreifen. Ein wesentlicher Faktor hatten maximal Pflichtschulabschluss. Es ist daher ganz we- war vor seiner Tätigkeit bei der Sozialplattform OÖ jahrelang Ge- für die Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt ist die sentlich, hier frühzeitig entsprechende Unterstützungsange- schäftsführer des Verein Saum (Sozial- und Ausbildungsinitiative ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit, die bote zu setzen. So soll der im Regierungsprogramm verankerte Unteres Mühlviertel) und ist auch deshalb mit den vielfältigen überwiegend zu Lasten der Erwerbsarbeit von Frauen geht. Chancen- und Entwicklungsindex für sogenannte Brennpunkt- Problemen von Menschen vertraut, die es am ersten Arbeits- Frauen arbeiten überdurchschnittlich in schlecht bezahlten schulen rasch und flächendeckend umgesetzt und die entspre- markt schwer haben. Berufen, das hängt mit stereotypen Rollenbildern zusammen. chenden Schulen mit mehr Ressourcen ausgestattet werden. www.sozialplattform.at All das führt dazu, dass Frauen weniger verdienen, schlechter Die kostenfreien Ganztagesschulen sollen ausgebaut werden. sozialstaatlich abgesichert sind und ein höheres Risiko von Für jene, die sich beruflich neu orientieren wollen, soll ein Überraschend schnell hat sich der Arbeitsmarkt Altersarmut haben. Um das zu verändern, sind neue Arbeits- Rechtsanspruch auf eine zweite Ausbildungschance bestehen. nach der Akutphase von COVID wiedererholt. zeitmodelle bis hin zu Lebensarbeitszeitmodellen erforderlich, Ältere Personen werden zwar nicht häufiger arbeitslos als Alles eitel Wonne? ebenso ein Ausbau der Betreuungsinfrastruktur, gesetzliche andere, sie haben aber im Fall von Arbeitsplatzverlust große Nein. Die Beschäftigung ist zwar höher als im Vergleichszeit- Rahmenbedingungen wie Frauenquoten in Führungspositionen, Probleme, wieder einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Um verpflichtende Maßnahmen zur Einkommenstransparenz, ein Arbeitsplatzverlust zu vermeiden bei gleichzeitigem Nutzen für OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 5
den Betrieb, ist es wichtig, den Wissenstransfer zwischen den Sozialhilfeverbänden, Schulen etc. ist sinnvoll und wird auch Generationen gut zu organisieren, Angebote der betrieblichen in Anspruch genommen werden, wenn die Förderbedingungen Gesundheitsförderung zu implementieren, AMS-geförderte unkompliziert sind. MEINE STIMME HAT WERT Modelle wie Qualifizierung für Beschäftigte, Altersteilzeit und OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt Teilpension zu nutzen bis hin zum Angebot von Ausstiegsar- Arbeitgeber*innen können offene Stellen teilwei- beitsplätzen mit erfahrungsgeleiteten Aufgaben und alternsge- se schwer besetzen. Ziemlich vehement werden rechten Bedingungen. verschärfte Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose, strengere Sanktionierung und ein im Als besonders problematisch wird die hohe Lang- Zeitverlauf sinkendes Arbeitslosengeld als Anreiz "Wie soll sich die zeitbeschäftigungslosigkeit eingeschätzt. Wie zur Beschäftigungsaufnahme gefordert. Ist das kann hier gegengesteuert werden? nachvollziehbar und sinnvoll? Arbeitslosigkeit ändern, Die Gruppe der Langzeitbeschäftigungslosen hat sich in Ober- Die Diskussion um Zumutbarkeitsbestimmungen und Sankti- wenn man große Firmen österreich von Juli 2019 auf Juli 2021 um fast die Hälfte erhöht. onierung kenne ich seit 30 Jahren. Sie ist verknüpft mit dem zusperrt?" Auch hier gibt es mittlerweile eine Verringerung der Arbeits- Bild, dass Arbeitslose nicht ausreichend leistungsbereit sind losigkeit, aber nur sehr gering. Es ist zu erwarten, dass ohne und es sich in der sozialen Hängematte gut gehen lassen. zusätzliche Unterstützungsprogramme hier das Vor-COVID- Meiner Wahrnehmung nach geht es immer in eine Richtung, Niveau über viele Jahre unerreichbar bleibt. Ähnlich wie wäh- nämlich in Richtung Verschärfungen für Arbeitslose. Das rend der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009. Der dadurch pauschale Bild der faulen Arbeitslosen stimmt ja überhaupt "Ab einem gewissen Alter ausgelöste Anstieg bei den Langzeitbeschäftigungslosen war nicht, genauso wenig ist das wohlige Räkeln in der sozialen (50+) wird es immer zu COVID-Beginn noch immer nicht abgebaut. Ein ähnlicher Hängematte Wirklichkeit. Es ist schon lange bekannt, dass lan- Verlauf ist auch jetzt zu erwarten. ge andauernde Arbeitslosigkeit in die Armut führt. Die jüngste schwerer, Arbeit zu Es gibt auf Bundesebene und in Oberösterreich Programme, Studie von SORA1 hat das erneut nachgewiesen. 90 Prozent der finden, man muss aber in um die COVID-Folgen für den Arbeitsmarkt zu bekämpfen. Arbeitslosen leben nahe an oder unter der Armutsgefährdungs- Allesamt mit der Ausrichtung, die Beschäftigung am „ers- schwelle. In diesen Verhältnissen bleibt man nicht freiwillig und Zukunft wahrscheinlich ten“ Arbeitsmarkt zu erreichen oder zu sichern. Hier geht es es geht einem auch nicht gut. Ich bin der Meinung, dass dieses bis 67/70 arbeiten. Wie überwiegend um Qualifizierung und Beschäftigungsförderung. System der schärferen Sanktionierung bereits ausgereizt ist. soll das gehen?" Diese Programme wirken auch, allerdings nicht ausreichend Wie finden Unternehmen motivierte Mitarbeiter*innen? Doch im Bereich der Langzeitbeschäftigungslosen. Ein großer nicht auf die Weise, dass sie zu möglicherweise schlechten Teil jener, die bereits vor Corona länger arbeitslos waren, Arbeits- und Entgeltbedingungen zwangsverpflichtet werden. braucht meiner Ansicht nach zusätzlich zu diesen Program- Zum degressiven Arbeitslosengeld: Die zuvor beschriebene men dauerhaft subventionierte, kollektivvertraglich entlohnte Problematik der Armutsgefährdung verschärft sich im Zeitver- "Es gibt zu wenig und existenzsichernde Arbeitsplätze auf einem erweiterten lauf der Arbeitslosigkeit auch bei gleichbleibendem Arbeits- Arbeitsmarkt. Hier kann auf die langjährige Expertise der losengeld, wenn beispielsweise die Ersparnisse aufgebraucht Arbeitslosengeld und das, Sozialökonomischen Betriebe zurückgegriffen werden, die bei sind. Wenn nun parallel zur Dauer der Arbeitslosigkeit auch das was man bekommt, reicht entsprechender Förderhöhe parallel zur befristeten Beschäf- Arbeitslosengeld sinkt, verschärft sich diese prekäre existen- nicht zum Leben." tigung auch dauerhafte Beschäftigung anbieten können, wenn zielle Lage noch einmal. Eine nennenswerte Wirkung eines eine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt unrealistisch sinkenden Arbeitslosengeldes zur Verringerung der Arbeitslo- ist. Auch eine subventionierte Beschäftigung in Gemeinden, sigkeit erwarte ich nicht. Vielmehr bietet ein höheres Arbeits- 6 Meine Stimme hat Wert
losengeld zu Beginn der Arbeitslosigkeit mehr Möglichkeiten in Österreich 289.000 Menschen trotz Erwerbsarbeit in Armut für jene, die es sich richten können. Arbeitgeber*innen und leben. Wer langfristig in prekären und gering bezahlten Jobs Arbeitnehmer*innen treffen schon jetzt Vereinbarungen, um Phasen von geringer Auftragslage mittels Arbeitslosmeldung arbeitet wird keine existenzsichernde Pension haben bezie- hungsweise im Fall von Arbeitslosigkeit sofort in existenzielle MEINE STIMME HAT WERT und Einstellzusage zu Lasten des AMS und der Allgemeinheit zu Notlagen geraten. Angesetzt werden kann im Bildungssystem – OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt überbrücken. Der Anreiz dafür wird mit einem höheren Arbeits- Menschen mit maximal Pflichtschulabschluss sind überdurch- losengeld zu Beginn noch erhöht. schnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen und landen meist in prekären Arbeitsverhältnissen. Angesetzt werden kann mit Was ist dann ein erfolgversprechender Weg für Verbesserungen bei öffentlichen Kinderbetreuungsangeboten, Besseres Jobangebot für die Unternehmen, um Personal zu finden? Es ist erforderlich, bei der Betrachtung der menschlichen sodass Eltern mit Betreuungspflichten bessere Wahl- und Ar- beitsmöglichkeiten haben. Und es braucht mehr Personal beim beeinträchtigte Arbeitsleistung weg von der Bewertung als Produktionsfak- AMS und intensivere Beratungs- und Betreuungsmöglichkeiten, Menschen tor zu kommen. Wichtig ist, die Bedürfnisse der im Betrieb um die passenden Jobs zu identifizieren und Entwicklungsper- arbeitenden Menschen stärker zu berücksichtigen. Da beginnt spektiven zu erarbeiten. glücklicherweise bereits ein Nachdenken von fortschrittlichen Arbeitgeber*innen. Manche Hotelbetreiber*innen scheinen Welche Erwartungen hast du für den Arbeits- Mehr Unterstützung für bereit zu sein, den Mitarbeiter*innen großzügige Wohnmög- markt der Zukunft? Alleinerziehende im Job lichkeiten zur Verfügung zu stellen. Eine Marketing-Agentur Bei dieser Antwort schwingt auch ein bisschen Hoffnung mit: mit einem Arbeitszeitmodell von 30 Wochenstunden bei Die Marktmacht der Arbeitslosen und Arbeitssuchenden wird vollem Lohnausgleich hat zufriedene Mitarbeiter*innen, hohe sich deutlich erhöhen; Arbeitgeber*innen werden um Personal Kund*innenzufriedenheit, ist bestens im Geschäft und hat werben und motivierte und gut qualifizierte Mitarbeiter*in- Erhöhung des ausreichend qualifizierte Bewerber*innen. Wer es schafft, nen dann bekommen, wenn sie gute Angebote für sie haben gutes Personal zu finden und ans Unternehmen zu binden, hat (Möglichkeit zu Homeoffice, attraktive Arbeitszeitmodelle, Arbeitslosengeldes entscheidende Wettbewerbsvorteile. Da ist natürlich auch die überdurchschnittliche Entlohnung, lebensphasenorientierte Höhe der Entlohnung ein maßgeblicher Faktor. Sich darauf zu Auszeitmodelle, berufliche Entwicklungsmöglichkeiten etc.); verlassen, dass das AMS mittels härterer Sanktionsandrohun- das AMS wird die Serviceorientierung für Arbeitssuchende Bessere Vereinbarkeit von gen das nötige Personal vermittelt, ist eine Sackgasse. erhöhen. Für die wirtschaftliche Entwicklung wird der ausrei- chende Zuzug von ausländischen Arbeitskräften entscheidend Familie und Beruf Ist es nicht besser, irgendeine Arbeit zu haben sein. als gar keine? Irgendeine Arbeit ist eine Notlösung. Es ist zwar verständlich, 1: https://www.momentum-institut.at/news/arbeitslosengeld-die-meisten-ar- die durch Arbeitslosigkeit verursachte Notlage möglichst rasch beitslosen-leben-unter-der-armutsgrenze überwinden zu wollen. Irgendeine Arbeit ist aber eine, die meist den Interessen nicht wirklich entspricht und die meist 2: https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/ WIR unterhalb des Qualifikationsniveaus liegt. Wenn auch noch FORDERN soziales/gender-statistik/armutsgefaehrdung/index.html geringe Entlohnung dazukommt, sind wir mitten im Thema prekäre Arbeit. Solche Arbeitsverhältnisse bergen hohes Armutsrisiko. Für 2020 hat Statistik Austria2 festgestellt, dass OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 7
BILDUNG Wahlfreiheit 43,1 % konnten NICHT die schulische Ausbildung machen, die sie wirklich wollten Bildung und Job 47% sind NICHT der Meinung, dass sie mit ihrem Bildungsabschluss auch jene Jobs bekommen, die sie ausüben möchten Gute Noten 71,6% MEINE STIMME HAT WERT finden, dass gute Noten in der Schule eine wichtige Voraussetzung dafür sind, OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt einen Job zu finden. 8 Meine Stimme hat Wert
Sozialer Aufstieg bleibt eine Ausnahmeerscheinung Im Gespräch mit Barbara Rothmüller herkunftsspezifische Mehrsprachigkeit der Kinder wird in der mehrsprachiger Unterricht aller Kinder in einer ganztägigen Schule vor allem als Problem gesehen. Außerdem sind Kinder Gesamtschule die Art und Weise zu unterrichten in Frage stel- benachteiligt, deren Eltern keine Matura oder höhere Abschlüs- len würde, die Lehrpersonen gewohnt sind, oder weil es ihren se haben. Die Schule setzt auf die Mitarbeit erwachsener Be- Interessen zuwiderläuft. Man darf nicht vergessen, dass es ja zugspersonen aus dem privaten Kontext. Eltern prägen deshalb auch Ungleichheiten unter Lehrpersonen gibt. Oft genug sind sehr früh den Bildungsweg ihrer Kinder, weil das Bildungswe- Reformvorschläge politisch nicht durchzubringen. Bildungsge- sen in Österreich herkunftsspezifische Förderunterschiede rechtigkeit scheitert also nicht an den Ideen. nicht ausreichend ausgleichen kann. Gibt es wirklich Wahlfreiheit bei der (Aus-)Bil- Kann Bildung Armut abschaffen? dung? Foto: Theresa Wey Armut und Bildungsbenachteiligung stehen in einem komple- Die Vorstellung einer Bildungswahl sehe ich skeptisch, weil xen Wechselverhältnis. Wer eine geringe formale Bildung hat, sie suggeriert, dass sich jede*r völlig frei für eine passende ist häufiger armutsgefährdet, und wer von Armut betroffen ist, Ausbildung oder auch dagegen entscheiden kann. Sehr oft ist hat geringere Bildungschancen. Die individuelle Investition in es aber eine Nicht-Entscheidung: Es ist mehr oder weniger von Die Soziologin und Philosophin lehrt neben Trainings- und einen höheren Bildungsabschluss ermöglicht es nur Einzel- vornherein klar, in welche Richtung Mädchen und Buben, Kinder Vortragstätigkeiten an der Universität Wien, an der Sigmund personen, sich aus der Armut zu befreien. Insgesamt bleibt von Akademiker*innen und von migrantischen Arbeiter*innen Freud Universität Wien sowie an der FH Campus Wien. Barbara sozialer Aufstieg jedoch eine Ausnahmeerscheinung, wenn sich usw. gehen. Die Bildungswünsche und eigenen Zukunftshoff- Rothmüller hat ihr sozialwissenschaftliches Doktoratsstudium an nicht gesamtgesellschaftlich etwas verändert, denn sozioöko- nungen sind ja stark von der sozialen Herkunft und den gesell- der Universität Luxemburg und der Stanford University absolviert nomische Verhältnisse und Bildungsungleichheiten sind Teil schaftlichen Erwartungshaltungen geprägt. Oft werden gerade und mehrere Jahre international geforscht. Rothmüllers Arbeits- der Gesellschaft. benachteiligte Bevölkerungsgruppen schon früh entmutigt, sie und Forschungsschwerpunkte sind Geschlechter-, Intimitäts- trauen sich manche Ausbildungen gar nicht zu. Was heißt es und Sexualitätsforschung, Bildungssoziologie, Ungleichheiten, Wie kann man mehr Bildungsgerechtigkeit schaf- dann, die Ausbildung zu machen, die man gerne möchte, wenn soziale Klassen und Kultur. fen? Wie kann man Chancengerechtigkeit in der die Barrieren in einem selbst liegen? In Österreich kann man Schule erhöhen? beobachten, dass die formale Durchlässigkeit nur minimal die Welche Personengruppen sind in unserem Bil- Die Frage ist nicht wie, sondern ob man mehr Bildungsge- soziale Durchlässigkeit des Bildungswesens erhöht hat. Es ist dungssystem benachteiligt? rechtigkeit möchte in der Gesellschaft. An wissenschaftlichen eine theoretische Offenheit, eine theoretische Wahlfreiheit, Benachteiligt sind Kinder mit Erstsprachen, die nicht zum Vorschlägen zur Transformation des Bildungswesens man- die am Ende so aussieht, als hätten alle - oder zumindest die legitimen Fremdsprachen-Kanon der Schule gehören, also gelt es nicht. Sondern es ist eher das Problem, dass gerade Hälfte - eben das bekommen, was sie wollten. Gesellschaftliche etwa Türkisch oder BKS. Das liegt u.a. daran, dass das öster- Maßnahmen, die auf Bildungsgerechtigkeit abzielen, auf so Benachteiligung und Ungleichheit wirken sich manchmal aber reichische Bildungssystem monolingual organisiert ist, d.h. die großen Widerspruch stoßen. Der Widerstand kann von Seite auch aufs Wollen aus, das sollte dabei nicht vergessen werden. der Lehrpersonen kommen, weil beispielsweise ein inklusiver OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 9
Lernen impliziert auch persönliche Wie kann es gelingen, Demokratie an Schulen für einkommensschwache Jugendliche oder an „Problemschulen“ erlebbar zu machen? Bei Teilhabe an Schulen kann ich aus meiner eigenen pädago- gischen Erfahrung sagen, dass Kinder bzw. Jugendliche und Weiterentwicklung ihre Anliegen generell oft nicht ernst genommen werden. Das hat man ja in der Pandemie wieder besonders gut beobachten Im Gespräch mit Klaudia Burtscher, Frauenstiftung Steyr können. D.h. ein erster Schritt müsste sein, dass Altersdiskri- minierung in der Schule reflektiert wird. Schulen sind generell paternalistische Orte, ganz besonders natürlich für benach- teiligte Kinder und Jugendliche. Um Mitsprache und demokra- vorhandenen Kompetenzen, Motivation, finanziellen und tische Prozesse erlebbar zu machen, sollte man im Verhältnis familiären Rahmenbedingungen etc. zu den Kindern und Jugendlichen ansetzen. Denn die spüren ganz genau, ob Mitsprache und Teilhabe nur oberflächlich, nur •• finanzielle Unterstützungen (Ausbildungskosten, Lebens- unterhalt, Mobilitätskosten etc.) vorgeschoben eingesetzt wird, oder ob man sich wirklich für ihre Sicht, für ihre Anliegen und Probleme interessiert. Dabei •• räumliche Erreichbarkeit der Ausbildung (insbesondere für Menschen am Land) ist es sicher ein Vorteil, wenn man den Kindern gegenüber •• zeitliche Rahmenbedingungen der Ausbildung (z.B. Ver- Foto: Indrich Fotografie eine glaubhafte und authentische Verbündete ist, vielleicht einbarkeit mit familiären Pflichten) auch ähnliche Probleme teilt. Oder zumindest neugierig und diskriminierungssensibel ist und ein geschärftes Sensorium für •• Möglichkeiten für Unterbrechungen (z.B. aufgrund finan- zieller, familiärer oder persönlicher Problemlagen) subtile Ausgrenzung in Beteiligungsprozessen hat. Denn parti- zipative Projekte kommen ja in Berührung mit der Lebenswelt •• Lernbegleitung und Lernunterstützung sowie Coaching und ggf. sozialpädagogische Betreuung während der der Jugendlichen, d.h. ihren sozialen Umständen und struktu- Ausbildung rellen Ungleichheiten. Die Frauenstiftung Steyr unterstützt Frauen, die sich beruflich verändern wollen mit persönlicher Einzelberatung in der Frau- Schlagwort Lebenslanges Lernen: Gibt es ge- enservicestelle, mit Coaching und Workshops im FrauenBerufs- nügend Angebote im Bereich der Erwachsenen- Zentrum Steyr und Kirchdorf sowie mit beruflicher Höherqualifi- bildung, damit lebenslanges Lernen überhaupt zierung je nach individuellem Berufsziel in Zusammenarbeit mit möglich ist? Was müsste geändert oder erweitert Unternehmen in der arbeitsplatzgenauen Qualifizierung (AQUA). werden? www.frauenstiftung.at Mit der „Initiative Erwachsenenbildung“1 des Bildungsminis- teriums/Land OÖ/ESF und mit Angeboten des AMS gibt es Wie kann es gelingen, eine Ausbildung oder einen verschiedene und kostenlose Möglichkeiten im Bereich der Bildungsabschluss nachzuholen? Erwachsenenbildung. Ob die jeweiligen Angebote für die Perso- Das Gelingen hängt von mehreren Faktoren bzw. Rahmenbedin- nen jeweils passen, hängt auch von den Rahmenbedingungen gungen ab. Insbesondere ob es Angebote gibt, die gerade für der Angebote ab. Menschen mit wenig Einkommen und finanziellen Ressourcen Insgesamt sollte „lebenslanges Lernen“ breiter gefasst werden: passen. Wichtig sind: Wir lernen permanent in unserem Alltag und als wichtig erachte •• Im Vorfeld eine Abklärung der beruflichen Ziele, der 10 Meine Stimme hat Wert
ich die Förderung eines „kritischen und solidarischen Lernens“. verantwortlich um Kinder und Haushalt zu kümmern. Während Lernen impliziert immer auch eine persönliche Weiterentwick- der Covid-19 Pandemie hat sich dies sogar noch verstärkt. lung: Wie entwickeln sich Personen in ihren Einstellungen und Wiedereinsteigerinnen sind somit mit einer speziellen Situa- MEINE STIMME HAT WERT ihrem Verhalten weiter? Derzeitige Angebote zielen sehr stark tion konfrontiert und es bedarf Durchhaltevermögen, Belast- OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt auf die Vermittlung von Wissen - und somit auf eine wissens- barkeit und oftmals auch Durchsetzungsfähigkeit gegenüber basierte Gesellschaft - ab. Künftig braucht es aber verstärkt Widerständen, wenn sie ihre beruflichen Interessen umsetzen eine solidarische Gesellschaft. Und hier ist auch die Erwach- möchten. senenbildung gefordert, mittels der Inhalte, Methoden und Wiedereinsteigerinnen stellen sich diesen Situationen und es Rahmenbedingungen ihrer Angebote einen Beitrag zu leisten. gilt meist, mehrere Faktoren beim Wiedereinstig zu berück- "Wenn in der Familie das sichtigen: Geld fehlt, kann man nicht Kann lebenslanges Lernen auch als Bedrohung •• eigene berufliche Ziele im Zusammenhang mit der die Schulbildung erhalten, oder Stress empfunden werden, weil man das Arbeitsmarktsituation Gefühl empfindet, dass die eigenen Fähigkeiten •• finanzielle Möglichkeiten und Stellenwert der eigenen die einem bessere nie ausreichen? Wie kann/soll man damit umge- Existenzsicherung durch Erwerbstätigkeit Chancen ermöglichen hen? •• gesellschaftliche Erwartungen und eigenes Rollenver- Das Empfinden von „Lernen als Bedrohung oder Stress“ sehe ständnis als Mutter würde." ich als gesellschaftlich hervorgerufen: Gerade in Zeiten der •• vorhandene Möglichkeiten der Kinderbetreuung (auch Digitalisierung entwickelt sich die Wissensgesellschaft rasant für Randzeiten), familiäre Unterstützung bei der Kinder- weiter. Dies betrifft nicht nur das „lebenslange Lernen“ an sich, betreuung, im Haushalt und ggf. bei der Betreuung von sondern auch die Ausstattung mit digitalen Geräten (Smart- pflegedürftigen Angehörigen, Fragen der Vereinbarkeit "Schlechte Vereinbarkeit phone, Tablet, Laptop) sowie Internetkosten. Das können sich •• Ausbildungs-/Arbeitszeiten, Erreichbarkeit von Ausbil- von Mutter sein, gerade Menschen mit geringem oder keinem Einkommen oft dungen bzw. Arbeitsplätzen nicht leisten. Wer hier nicht mehr mitkommt, gerät gesell- •• Familienfreundlichkeit von Unternehmen (auch bezüglich Kinderbetreuung und schaftlich ins Abseits. des Arbeitgebers des Vaters) Weiterbildung." Wichtig ist auch die Frage, wer denn bestimmt, was Lernen ist und welches Lernen als „wichtig“ gilt? Da braucht es ein Umdenken: Lernen im Alltag als Kompetenz wahrnehmen und 1: https://www.initiative-erwachsenenbildung.at/initiative-erwachsenenbil- anerkennen, Wertschätzung von Fähigkeiten & Fertigkeiten, dung/was-ist-das/ "Nicht jede*r hat die die ggf. nicht mit formalen Zeugnissen/Bestätigungen von Chance auf Bildung." Dritten erst als solche gelten, Digitales als Kulturtechnik allen zugänglich machen etc. Wie ist die spezielle Situation von Frauen, beson- ders in Hinblick auf Wiedereinstieg? "Man ist nie genug Frauen haben oftmals nach ihrer Karenz nicht mehr die Mög- lichkeit, auf ihren früheren Arbeitsplatz zurückzukehren oder gebildet." wollen sich auch selber beruflich verändern. Gesellschaftlich wird ihnen nach wie vor die Rolle zugeschrieben, sich haupt- OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 11
Wir sollten junge Menschen mehr einbinden Im Gespräch mit Susanna Rothmayer, VSG gen, Entfaltungsmöglichkeiten, persönlichen und beruflichen Einschränkungen würden dringend benötigt. Denn die Anfor- Entwicklungsmöglichkeiten. Aber auch an Problemstellungen derungen in Organisationen sind mittlerweile so hoch, dass und Leid, das es zu bewältigen bzw. überwinden gilt. Menschen, die nicht ganz gesund oder etwas weniger belast- Dieser Vielfalt muss in den Angeboten für junge Menschen, die bar sind, keinen Platz für ihre Arbeitskraft, ihr Engagement ihren persönlichen und beruflichen Weg suchen, entsprochen vorfinden. werden. Möglichst individuelle Programme, abgestimmt auf persönliche Herausforderungen, Fähigkeiten, Erfahrungen, Junge Menschen, die in der Schule gescheitert Neigungen und Zukunftsvorstellungen sollen zur Verfügung sind, erkennen bei den Angeboten des VSG, wel- stehen. Dadurch können junge Menschen wählen und sich dem che Fähigkeiten und Potenziale sie haben. Warum Angebot widmen, das ihren Vorstellungen am meisten ent- ist das wichtig? Was lernen sie bei euch? Was be- spricht. wirkt das bei jungen Menschen? Was bringt ihnen Können wir wählen, erhöht das die Auseinandersetzung mit das für die weitere Zukunft? dem Thema. Motivation und Energie werden frei, wenn wir uns Gerade Erfahrungen in der Schule sind für Menschen sehr selber für ein bestimmtes Angebot entscheiden können und prägend. Oft träumen viele noch im Erwachsenenalter von uns dafür bewerben. Dem erfolgreichen Abschluss rückt man negativen Erlebnissen aus der Schulzeit. Prüfungsängste, Susanna Rothmayer ist Geschäftsführerin im Verein für Sozial- damit gleich einen großen Schritt näher. Versagensängste, das Gefühl, den Anforderungen nicht zu und Gemeinwesenprojekte Linz. Sozial benachteiligten Men- In Oberösterreich ist die Angebotslandschaft bunt und vielfäl- entsprechen können sich in Menschen festsetzen und Entwick- schen Integrationswege in Bildung und Arbeit zu eröffnen, um tig. Das Qualitätsniveau ist hoch, die Ausdifferenzierung attrak- lungen einschränken. Außerdem stellen wir fest, dass viele ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen, ist Schwerpunkt des tiv. Die Ausbildungsgarantie1 ist ein Meilenstein dafür gewesen, nie die Chance hatten, sich Lerntechniken anzueignen. Jeder VSG. Susanna Rothmayer hat Sozialwirtschaft und Philosophie alle jungen Menschen mit passenden Angeboten anzusprechen. Mensch lernt ja anders und hier bietet VSG LEARN Methoden, studiert und ein Masterstudium in Organisationsentwicklung Die Wahlmöglichkeit ist ein Element einer selbstverantwortli- um das heraus zu finden. Das ist eine sehr nachhaltige Kompe- absolviert. Sie engagiert sich seit 2010 in der Sozialplattform OÖ. chen Haltung im Leben als Mitglied einer Gesellschaft. Kann ich tenz, dadurch eröffnen sich Fähigkeiten, Bildungsabschlüsse www.vsg.or.at meine Beratung wählen, gehe ich verantwortungsvoll damit um. nachzuholen, weiterführende Ausbildungen zu absolvieren, für Kann ich im Beratungssetting mitbestimmen, mich einbringen, die Anforderungen der Berufsschule gerüstet zu sein, Lehre mit Warum ist es so wichtig, dass es VIELE Angebote werde ich gefragt und ernst genommen, werde ich mich auch Matura ins Auge zu fassen oder auch in die Schule zurückzu- für Jugendliche gibt, die keinen Ausbildungsplatz in gesellschaftlichen Prozessen wie Abstimmung, Initiativen, kehren. und keinen Job haben? Volksbegehren, Wahlen etc. aktiv einbringen. Und das wird ja Bildung ist nicht erst seit heute eine Grundlage für persönliche, Im allgemeinen Diskurs über die Entwicklung unserer Gesell- als demokratischer Anspruch der Repräsentant*innen unserer berufliche und gesellschaftliche Entwicklung. Bildung eröffnet schaft sprechen wir sehr oft darüber, wie divers, vielfältig und Gesellschaft formuliert. Wege der Selbstreflexion und Selbstbestimmung und des ver- ausdifferenziert unsere Gesellschaft geworden ist. Vielfältig an Was in der Angebotslandschaft fehlt, ist ein zweiter Arbeits- antwortungsvollen Umgangs mit sich selbst, den Mitmenschen, Lebensformen, Informationen, Kommunikation, Anforderun- markt. Geförderte Arbeitsplätze für Menschen mit leichten der Welt. Wir wissen doch alle um den Zusammenhang zwi- 12 Meine Stimme hat Wert
schen Bildungsniveau und Gesundheit. Es ist wissenschaftlich nach vorne gerichtet hin zu den Optionen und Perspektiven für nachgewiesen, dass mit dem Bildungsniveau die Auseinander- das eigene individuelle berufliche und private Fortkommen. setzung mit der eigenen Gesundheit und einer gesunden Le- bensweise steigt. Menschen mit niedriger Bildung sind zumeist Was lernt man noch bei LEARN? Wissen und Kenntnisse auf Pflichtschulniveau in allen Schulfächern inklusive digitale MEINE STIMME HAT WERT kränker und sterben deutlich früher als Menschen mit höherem Kompetenz, Wissen über unsere Gesellschaft, Kultur, Werte, OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt Bildungsstand. Und ein Ausbildungsabschluss entscheidet Institutionen und Demokratie, wie bereits erwähnt Persönlich- maßgeblich über Teilhabechancen in unserer Gesellschaft. Um keitsentwicklung und Selbstwertstabilisierung, Kommunikati- diese soziale Ungleichheit auszugleichen braucht es ausrei- on, gesunde Lebensweise und Lerntechniken. Längere Ausbildungszeit, chend individuelle, niederschwellige Bildungs- und Jobangebo- Darauf aufbauend gestaltet sich das Nachholen des Pflicht- te für sozial benachteiligte Menschen. schulabschlusses oder das Bereit sein für Lehre und Berufs- Berufsentscheidung mit 15 ist Um beim Thema Gesundheit zu bleiben: die VSG Angebote schule gleich viel einfacher. Somit vermittelt LEARN Fähig- zu früh bieten eine Auseinandersetzung mit der Thematik Bewegung, keiten für das Leben, Fähigkeiten, sich im Bildungsbereich, Ernährung, Gesundheit an. Wir nutzen einen Gemüsegarten, Familie, Arbeit und Gesellschaft gut zurecht zu finden und sich unsere Küchen und die Bewegungs- und Sportangebote, um fit einzubringen in gesellschaftliche Prozesse wie Wahlen oder zu machen. Fit für bestimmte Jobs mit körperlichen Anforde- Befragungen oder freiwilliges Engagement. Damit leisten wir Bessere schulische rungen, aber auch fit fürs persönliche Wohlbefinden. Ein sehr wesentlicher Fokus in der Arbeit von LEARN ist auf einen Beitrag für eine lebendige, wertebasierte Demokratie. Kürzlich wurden bei LEARN Interviews mit den Teilnehmenden Ausbildung für den Bereich Selbstwert, Selbstvertrauen und Potenzialent- zum Thema Vielfalt durchgeführt. Schauen Sie sich das Video2 Beeinträchtigte wicklung gerichtet. Sich etwas zutrauen, sich selbst und an. Sie werden überrascht sein, wie reflektiert und philoso- anderen zu vertrauen, sich seiner Fähigkeiten und Potenziale phisch hier die Antworten junger Erwachsener ausgefallen bewusst zu werden, Konfliktfähigkeit und mutig Entscheidun- sind. Man sieht auch die Freude darüber, zu Wort zu kommen gen im Kleinen (Gegenwart) und Großen (Zukunft) zu treffen, und seine Meinung zu äußern. Ja, wir sollten die jungen Men- Bessere Angebote für das ist es, was wir jedem Teilnehmer und jeder Teilnehmerin nahebringen. Am Selbstvertrauen, am Mut, am Glauben an schen in den zahlreichen Bildungs- und Berufsangeboten noch mehr einbinden, Selbstgestaltung ermöglichen, die Übernahme Kinderbetreuung die eigenen Fähigkeiten und Chancen zu arbeiten, ist uns ein von Verantwortung fördern, an sich zu glauben, und somit eine wesentliches Anliegen und wir begreifen das als Basis für das Ermutigung manifestieren, kritisch und reflektiert zu denken individuelle Fortkommen. und zu handeln, sich eine eigene Meinung zu bilden und zu Ausbildung sollte für jeden Daher hat jedes VSG Angebot Bezugsbetreuung in seinem artikulieren, um unsere Demokratie zu nähren und von Grund Konzept. Das heißt, jeder Trainer/jede Trainerin widmet auf zu stabilisieren. leistbar sein sich einer kleinen Anzahl von Teilnehmenden gezielt beim Entwickeln individueller Lösungskompetenz für individuelle Herausforderungen. Dabei wird gezielt auf die Potenziale des 1: https://www.bma.gv.at/Themen/Arbeitsmarkt/Arbeitsmarktfoerderungen/ Menschen fokussiert. Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrun- gen als kraftgebende und zukunftsweisende Ressourcen. Der Jugendliche-und-junge-Erwachsene.html WIR Initiativgedanke für den VSG war und ist, sozial benachteiligten FORDERN 2: https://www.youtube.com/watch?v=cQYWUYAdk8c Menschen einen Weg in ein selbstverantwortliches Leben aufzuzeigen. Durch Ernst- und Annehmen, Mut machen, das Angehen der Lösung von hemmenden Faktoren und den Blick OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 13
DEMOKRATIE Nicht-Wähler*innen 47,1% der Befragten ist es NICHT wichtig, an politischen Wahlen teilzunehmen und sie gehen auch NICHT regelmäßig wählen. Meine Anliegen 81,4% der Befragten haben NICHT MEINE STIMME HAT WERT das Gefühl, dass sich die Politik um ihre Anliegen OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt kümmert. 14 Meine Stimme hat Wert
Obwohl unsere Befragung mitten während der Corona-Krise mit zahlreichen Einschränkungen stattgefunden hat, ist Corona nur am Rande ein Thema. Bei den Forderungen an die Politik sind nur 4 kritische Aussagen zu den Corona-Maßnahmen zu ICH HABE GRUNDSÄTZLICH VERTRAUEN finden (von 96). Hier waren andere Themen vorherrschend: Leistbares Wohnen, Arbeitsmarktpolitik oder sozialstaatli- che Sicherung. Inwieweit sich die Corona-Situation auf das IN DIE POLITIKER*INNEN IN OÖ Demokratie-Vertrauen der von uns Befragten ausgewirkt hat, entzieht sich allerdings unserer Kenntnis. Mitbestimmung 61,4% der Befragten haben NICHT das Gefühl, dass sie mit ihrem Wahlrecht in der Politik mitbestimmen können 25 75 Zukunft ja nein Für 25 Befragte trifft das 77,8% eher oder voll zu. Für 75 Befragte trifft das eher nicht oder gar nicht zu. MEINE STIMME HAT WERT der Befragten befürchten, dass 2 Personen haben diese Fra- OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt sich die aktuelle politische ge nicht beantwortet. Lage verschlechtert. OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 15
Kaum positive Erfahrungen mit Demokratie und Beteiligung Martina Zandonella im Gespräch ökonomisch stärksten Drittel der Bevölkerung Worin besteht eigentlich die Gefahr, wenn die nur 17 Prozent auf ihr Wahlrecht verzichten, im Zahl der Nicht-Wähler*innen – besonders unter ökonomisch schwächsten Drittel aber 41 Prozent. Menschen mit wenig Einkommen – steigt? Zuletzt haben Sie bei der Wien-Wahl analysiert, Dann finden ihre politischen Anliegen und Bedürfnisse kein dass Menschen mit geringen sozioökonomischen Gehör mehr und die reicheren Bevölkerungsgruppen machen Ressourcen seltener zur Wahl gehen. Würde man unter sich aus, in welche Richtung sich unser Land – ein- nicht annehmen, dass man eher wählen geht, schließlich seiner Solidarsysteme – entwickeln soll. Das wenn´s einem nicht so gut geht, um etwas zu passiert übrigens schon: Für Deutschland ist bereits nach- verändern? gewiesen, dass die Entscheidungen des Bundestages in den Das ist nur dann der Fall, wenn ich auch davon überzeugt bin, letzten 30 Jahren praktisch ausschließlich den politischen dass ich mit meiner Stimme etwas verändern kann. Im öko- Interessen der oberen Einkommensgruppen folgten – dies gilt nomisch schwächsten Drittel denken das jedoch nur wenige im Besonderen für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, also für Menschen. Dies liegt daran, dass viele von ihnen bislang kaum jene Politikfelder, die gerade die ärmeren Bevölkerungsgrup- positive Erfahrungen mit Demokratie und Beteiligung gemacht pen besonders betreffen. Der Eindruck vieler Menschen im haben – zum Beispiel konnten sie schon in der Schule seltener ökonomisch schwächsten Drittel, dass ihr Leben vielfach von mitbestimmen. Dabei spielt gerade die Schule eine wichtige anderen bestimmt wird und dass ihre Stimme nichts zählt, Martina Zandonella vom SORA Institut forscht zu Demokratie und Rolle, wenn es darum geht, Demokratie zu erleben und die kommt also nicht von ungefähr. Partizipation sowie Ungleichheit und ist auch für den Demokra- Wirksamkeit von Beteiligung zu erfahren. Auch bei der Arbeit tie-Monitor mitverantwortlich, der jährlich die Einstellung der haben die Menschen im ökonomisch schwächsten Drittel Warum funktionieren “klassische” Bürgerbetei- Österreicher*innen zur Demokratie erhebt. Hier wurde herausge- kaum Mitsprachemöglichkeiten und sie haben auch seltener ligungsformen nicht bei Menschen mit wenig funden, dass das Vertrauen in die Demokratie allen voran entlang einen Betriebsrat. Außerdem arbeiten gerade die Menschen im Einkommen. Warum wären breite Beteiligungs- der Verfügbarkeit von ökonomischen Ressourcen abnimmt: So ökonomisch schwächsten Drittel häufig in Betrieben, wo das möglichkeiten so wichtig? fühlen sich nur mehr 44% im ökonomisch schwächsten Drittel Arbeitsrecht nicht eingehalten wird – sie erleben also immer Diese Beteiligungsformen sind aufwendig. Sind wir z.B. in einer als Teil der Demokratie in Österreich. Und gerade sie sind von wieder, dass auf demokratischem Weg festgelegte Regeln Bürgerinitiative aktiv, brauchen wir nicht nur Zeit, auch Geld ist der Corona-Krise besonders stark betroffen. In der derzeitigen und Rechte für sie nicht gelten. Auch im Kontakt mit staatli- nötig, wir müssen uns spezifisches Wissen aneignen, sollten Situation fühlten sich 73% des ökonomisch schwächsten Drittels chen Institutionen und der Politik erleben sie häufig fehlende rechtlich informiert sein und am besten auch noch Kontakte sehr oder ziemlich als Menschen zweiter Klasse behandelt. Im Anerkennung bis hin zu Abwertungen. Zentrale Versprechen in die Politik haben. Menschen mit wenig Einkommen haben oberen Drittel sind es nur 28%. der Demokratie – dass wir alle gleich viel Wert sind und unsere jedoch schon genug damit zu tun, über die Runden zu kom- www.demokratiemonitor.at Lebensumstände politisch mitgestalten können – erfüllen sich men – wobei sie häufig nicht nur ihren eigenen Alltag meistern, für das ökonomisch schwächste Drittel nicht. sondern auch noch jenen der reicheren Menschen, die sich Der Demokratie-Monitor 2019 erkennt, dass im besonders häufig politisch oder zivilgesellschaftlich betätigen: 16 Meine Stimme hat Wert
Sie putzen deren Häuser, betreuen deren Kinder, liefern Pakete Corona drückt uns allen aufs Gemüt, in einer und Essen oder pflegen deren Angehörige. Indem die Menschen Studie 1 in Wien haben Sie allerdings herausge- des ökonomisch schwächsten Drittels diese Arbeiten über- funden, dass Menschen mit geringem Einkommen MEINE STIMME HAT WERT nehmen, ermöglichen sie es den reicheren Gruppen vielfach besonders gefährdet sind, dass sich ihre psychi- OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt erst, Zeit für politische und zivilgesellschaftliche Beteiligung sche Situation verschlechtert. Warum ist diese zu haben. Niederschwellige Beteiligungsmöglichkeiten, wo Zielgruppe speziell betroffen? sich die Menschen auf Augenhöhe begegnen, konkrete Themen Dies ist keine neue Erkenntnis – aus zahlreichen Studien wis- bearbeiten und wo sie die Erfahrung machen, dass etwas ver- sen wir, dass Ausnahmesituationen wie die Corona-Pandemie ändert werden kann, sind das Um und Auf wenn es darum geht, bestehende Ungleichheiten verschärfen und dass gerade die Interessiert euch für eure politische Beteiligung wieder zu verbreitern. Menschen mit geringem Einkommen besonders betroffen sind: Bürger! Sie haben ein höheres Risiko zu erkranken, die Erkrankung Als wie wichtig erachten Sie es, dass sich politi- nimmt bei ihnen häufiger einen schweren Verlauf, sie haben sche Entscheidungsträger*innen darum bemü- seltener Zugang zu Gesundheitseinrichtungen. Sie sind auch hen, Menschen aus dem ärmsten Drittel wieder die ersten, die ihre Arbeit verlieren und wenn sie Arbeit haben, Politiker sollen selber einmal in den demokratischen Prozess zu bringen? Was verrichten sie diese weiterhin am Dienstort und sind damit müssten deren Maßnahmen beinhalten? einer höheren Ansteckungsgefahr ausgesetzt. In Wien haben von Grundsicherung leben! Nehmen politische Entscheidungsträger*innen Demokratie wir gesehen, dass ökonomische Sicherheit gerade in Zeiten ernst, führt nichts daran vorbei, die Menschen im ärmsten Drit- wie diesen besonders relevant für die psychische Gesundheit tel wieder in den politischen Prozess einzulassen. Dies bein- der Menschen ist: Sowohl bei jenen Menschen, deren finanzi- Bei Gesetzesentwürfen, die haltet Interesse für ihre Lebenslagen und die Berücksichtigung elle Lage sich erst im Zuge der Pandemie verschlechtert hat, ihrer Bedürfnisse bei politischen Entscheidungen. Es geht aber als auch bei jenen, die bereits vor der Pandemie arbeitslos, Menschen befragen, die es ebenso um Repräsentation: Wo in unseren Parlamenten sind die Menschen aus dem ökonomisch schwächsten Drittel? Auch armutsgefährdet oder ohne finanzielle Rücklagen waren, hat sich die psychische Gesundheit deutlich verschlechtert. am härtesten trifft. Bürgerräte sind ein gutes Instrument, um ein repräsentatives Abbild der Bevölkerung über politische Themen diskutieren und entscheiden zu lassen. Außerdem ist es wichtig, Demokratie Dass jeder gleich behandelt als Alltagserfahrung allen Bevölkerungsgruppen zu ermögli- chen: In den Schulen, Betrieben, in der Nachbarschaft und in Dieses Interview ist ursprünglich im Rundbrief 1/2021 wird! staatlichen Institutionen. Auch den Wert von Arbeit müssen wir erschienen. neu verhandeln: Welche Arbeit gewährleistet das Funktionieren unserer Gesellschaft und wurde bislang gerne übersehen? Zu Beginn der Corona-Pandemie war dies zwar Thema, die kurz- fristig aufgeflammte symbolische Wertschätzung für die Be- schäftigen in den „systemrelevanten“ Berufen – viele von ihnen WIR Frauen, Migrant*innen und aus dem ökonomisch schwächsten Drittel der Gesellschaft – hat sich bislang jedoch nicht in einer tatsächlichen (auch finanziellen) Aufwertung niedergeschlagen. 1: https://www.psd-wien.at/fileadmin/documents/200930_Presseun- FORDERN terlage_SORA_Studie.pdf OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 17
SOZIALSTAAT Geldsorgen 40% Für 2 Fünftel der Befragten müsste das Monat spätestens am 20. enden, damit sie notwendige Ausgaben noch finanzieren könnten. Gesundheitsversorgung 46,6% der Befragten haben NICHT das Gefühl, dass Menschen MEINE STIMME HAT WERT mit wenig Einkommen die gleiche gesundheitliche OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt Versorgung wie alle anderen haben 18 Meine Stimme hat Wert
Unser aller Lebensqualität wird durch Sozialstaat möglich Martin Schenk im Gespräch wäre, statt einer schlechten Sozialhilfe, die Menschen in Höhe von rund 1,06 Millionen Euro kommen. Wir zahlen dem- Notsituationen nicht auffängt. Niemand ist sicher, bevor nicht nach für den Untergang anderer. Die Allgemeinheit soll mehr alle sicher sind. Das haben wir in der Pandemie gelernt. Das bezahlen müssen, damit Hilfe suchende Personen weniger Sozialhilfegesetz verschärft bestehende Armutslagen, de- erhalten. gradiert Betroffene erneut zu „Bittstellern“ und eröffnet neue Der Normsturz misst die Festigkeit eines Kletterseils. Fünf Hürden und Unsicherheiten, mit denen Menschen in schwieri- Abstürze muss es mindestens aushalten, sonst taugt das Seil gen Lebenssituationen konfrontiert werden. nicht zum Schutz. Die sozialen Probleme werden größer. Und Zudem wird es eine so uneinheitliche und zerstückelte Sozial- die schlechte Sozialhilfe kann sie nicht lösen. Sie würde den hilfe geben wie noch nie, also das genaue Gegenteil von „bun- Normsturz nicht bestehen. Instrumente der Mindestsicherung deseinheitlich“. In Oberösterreich, Niederösterreich oder Salz- sind für Krisen gemacht. Das ist ihre Bewährungsprobe. Wenn burg können wir gerade beobachten, worin die neue Sozialhilfe ein Regenschirm nicht den Regen abhält, wenn das Kletterseil gänzlich versagt: nämlich Menschen, die ohnehin wenig haben, nicht den Sturz abfängt, wenn der Bretterboden nicht stabil vor krisenfest abzusichern: Geringere Richtsätze für Erwachsene dem dunklen Keller schützt - wenn also Sozialhilfe gerade in und Kinder, Ausschluss aus der Krankenversicherung, Anrech- der Krise nichts taugt, dann hat sie ihre Aufgabe verfehlt. Martin Schenk ist Sozialexperte sowie Stv. Direktor der Diakonie nung der Wohnbeihilfe oder Kürzungen bei Notwohnungen. Wir brauchen eine neue Mindestsicherung, die Existenz, Chan- Österreich und Mitbegründer der „Armutskonferenz“. Das führt dazu, dass Menschen in sozialen Krisen jetzt in der cen und Teilhabe sichert. Um der sozialen Krise effektiv entge- Seine Schwerpunkte sind welfare policy, Gesundheit, Kinder/ Pandemie um mehrere hundert Euro monatlich weniger Hilfe gentreten zu können, braucht es: Grundrechte statt Almosen, Jugend und Integration. Martin Schenk ist Mitinitiator zahlreicher haben als in der Mindestsicherung. Chancen statt Abstieg, sozialen Ausgleich statt Spaltung, sozialer Initiativen: “Hunger auf Kunst und Kultur” (Kultur für Auch die Zuverdienstgrenze für Menschen mit Behinderungen Achtung statt Beschämung. Die Armutskonferenz hat 19 Punkte Leute ohne Geld), “Wiener Spendenparlament” (Stimmen gegen wird drastisch reduziert. Bei Bezug der Mindestsicherung für eine bessere Mindestsicherung1 vorgelegt, die eine effektive Armut), Verein Hemayat (Betreuung schwer Traumatisierter), konnten Menschen mit Behinderungen in Werkstätten ca. Soforthilfe, kürzere Entscheidungsfristen, Dienstleistungen “Sichtbar Werden” (Armutsbetroffene organisieren sich) 107 Euro monatlich ohne Schmälerung des Leistungsbezu- und Alltagshilfen, Ausbildungsoptionen, Unterhaltsreform, www.armutskonferenz.at ges dazuverdienen, mit der neuen Sozialhilfe beträgt diese Anspruch auf Einbeziehung in die Krankenversicherung bei Zuverdienstgrenze nur ca. 15 Euro pro Monat, alles darüber wird Krankheit und den tatsächlichen Wohnbedarf umfassen. Im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz ist Armutsver- einkassiert. hinderung nicht als Ziel formuliert, anders als Die Sozialhilfe ist kompliziert. Die Folge: Der Verwaltungsauf- Armutsbetroffene Personen machen in vielerlei bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung. wand steigt, dafür werden Leistungen gekürzt. Nach Schätzung Hinsicht Beschämungserfahrungen. Wo ge- Was waren die Vorzüge der bedarfsorientierten der zuständigen Fachabteilung des Landes Kärnten werden die schieht das am häufigsten, wie kann das verän- Mindestsicherung, was ist schlecht an der neuen Leistungen für Sozialhilfeempfänger*innen um rund 360.000 dert werden? Sozialhilfe? Euro sinken. Im Gegenzug wird es in den Sozialämtern durch „Es ist einfach demütigend. Am Magistrat hat eine Sachbear- Die Krise zeigt wie wichtig jetzt eine gute Mindestsicherung den erhöhten Verwaltungsaufwand zu Personalmehrkosten in beiterin zu mir gesagt: ‚Warum suchen Sie sich keinen Mann, OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 19
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