MEINE STIMME HAT WERT - OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt SOZIALPLATTFORM - Sozialplattform OÖ

Die Seite wird erstellt Franziska Schulze
 
WEITER LESEN
MEINE STIMME HAT WERT - OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt SOZIALPLATTFORM - Sozialplattform OÖ
MEINE STIMME HAT WERT
OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W   rt

                             SOZIALPLATTFORM
                                OBERÖSTERREICH
MEINE STIMME HAT WERT - OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt SOZIALPLATTFORM - Sozialplattform OÖ
oder einen Weg sucht, um sie zurück ins Boot zu holen. 81 Pro-
                       MEINE STIMME HAT WERT                                                                                       zent der von uns befragten Personen haben nicht das Gefühl,
                                                                                                                                   dass sich die Politik um ihre Anliegen kümmert. Das muss ein
                                                                                                                                   Weckruf für politisch Verantwortliche sein, um ihr Engagement
                       OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W                                     rt                             für Menschen mit wenig Einkommen zu erhöhen, um sich ihrer
                                                                                                                                   Probleme und Anliegen anzunehmen - nachhaltig, aufrichtig
In der Sozialplattform OÖ befassen wir uns mit den Problemen      alleinstehender Person) befinden oder befunden haben.            und integrativ statt ausschließend.
von armutsbetroffenen Menschen und setzen uns für eine            Die Fragebögen wurden im April 2021 von den Teilnehmenden
gerechte Gestaltung der Gesellschaft ein, an der alle teilhaben   eigenständig ausgefüllt, in den sozialen Einrichtungen gab es    Danke an
können - unabhängig von Einkommen, Geschlecht, Herkunft           bei Rückfragen Unterstützung. Für die Teilnahme erhielt man        •• Christian Lehner (Querdenker Agora) für seine kompeten-
oder Beeinträchtigung.                                            einen Einkaufsgutschein im Wert von EURO 20.                          te inhaltliche Mitarbeit sowie
                                                                  Im 10-seitigen Fragebogen mussten sich die Teilnehmenden           •• Teresa Pirklbauer für die professionelle Auswertung,
Der SORA-Demokratie-Monitor, eine Erhebung der Einstellung        mit 31 geschlossenen bzw. offenen Fragen in folgenden The-         •• die Mitgliedseinrichtungen ARGE für Obdachlose, B7 -
der österreichischen Bevölkerung zur Demokratie, hat uns hell-    menbereichen beschäftigen:                                              Arbeit und Leben, Evangelische Stadt-Diakonie, FAB Ca-
hörig gemacht. Menschen, die finanziell in unserer Gesellschaft                                                                           semanagement, itworks, Querdenker Agora, RIFA - Rieder
benachteiligt sind, beteiligen sich immer seltener an Wahlen.                                                                             Initiative für Arbeit, Soziale Initiative, Sozialverein B37
                                                                      ARBEIT             BILDUNG          DEMOKRATIE
Auch die Armutskonferenz Österreich widmet sich in ihrer                                                                                  und Wohnungslosenhilfe Mosaik für ihre Unterstützung,
Arbeit intensiv der sogenannten „Zwei-Drittel-Demokratie“.                                                                           ••   alle Befragten dafür, dass sie sich die Zeit genommen
Das ist ein großer Verlust für die Demokratie und führt zu                                                                                haben, um uns einen ehrlichen Einblick in ihre Probleme
einem verzerrten Abbild von politischen Mehrheiten. Hat die                                                                               und Anliegen zu gewähren.
stimmenstärkste Partei wirklich noch immer die meisten
                                                                             SOZIALSTAAT                  WOHNEN                   Josef Pürmayr, Claudia Zinganell-Kienbacher
Wahlberechtigten hinter sich? Wer vertritt die Anliegen von
Menschen, die finanziell kaum oder gerade noch so über die                                                                         Sozialplattform OÖ
Runden kommen? Und welche Anliegen und Ideen haben sie                                                                             August 2021
überhaupt? Die Sozialplattform OÖ wollte das wissen: In Hin-
blick auf die oberösterreichische Landtagswahl im September                                                                        Dieses Projekt wird unterstützt von:
2021 haben wir unsere eigene (nicht-repräsentative) Befragung     Außerdem haben wir armutsbetroffene Menschen gefragt, was
gestartet.                                                        es für ein gutes Leben braucht und sie ermutigt, Forderungen
Über ihre Mitgliedsorganisationen hat die Sozialplattform OÖ      an die Politik zu stellen.
102 Personen gefunden, die an der Befragung teilgenommen
haben. So haben sich arbeitslose Jugendliche, Familien in         In der vorliegenden Publikation sind die Ergebnisse der
Betreuung, wohnungslose Menschen oder Pensionist*innen            Befragung sowie Forderungen und Statements von armuts-
                                                                                                                                   Impressum
                                                                                                                                   Sozialplattform Oberösterreich, Schillerstr. 9, 4020 Linz
mit Mindestpension mit unseren Fragen auseinandergesetzt.         betroffenen Wahlberechtigten im Originalton zu finden.
                                                                                                                                   0732-66 75 94, office@sozialplattform.at, www.sozialplattform.at
Im Vorfeld wurde mit den sozialen Einrichtungen bespro-           Außerdem haben wir Sozialexpert*innen zu verschiedenen
                                                                                                                                   ZVR: 888363821
chen, dass es eine Ausgewogenheit bei Alter, Geschlecht und       Themen befragt. Wir stellen dieses Heft oberösterreichischen
                                                                                                                                   Redaktion: Sozialplattform OÖ
Lebenssituation geben soll. Alle Personen mussten in Öster-       Politiker*innen gerne zur Verfügung. Denn letztlich dreht sich
                                                                                                                                   Layout: Claudia Zinganell-Kienbacher
reich wahlberechtigt sein und sich in einer finanziell prekären   alles um die Frage, ob man sich mit der enorm sinkenden
                                                                                                                                   Erscheinungstermin: 5. September 2021
Situation (Armutsgefährdungsgrenze: max. 1.328 EUR /Monat/        Wahlbeteiligung unter armutsbetroffenen Personen abfindet

2															                                                                                                                                                       Meine Stimme hat Wert
MEINE STIMME HAT WERT - OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt SOZIALPLATTFORM - Sozialplattform OÖ
Inhalt
                  FACTS
                                                39    Teilnehmende
                                                       haben eine
                                                                     Das pauschale Bild der faulen Arbeitslosen stimmt
                                                                     überhaupt nicht

   102
                                                                     Im Gespräche mit Josef Pürmayr, Sozialplattform OÖ    5
                  Teilnehmende                          BEEIN-
                                                     TRÄCHTIGUNG     Sozialer Aufstieg bleibt eine Ausnahmeerscheinung
                   51                    1                           Im Gespräch mit Barbara Rothmüller			                 9
                             50

                                                                     Lernen impliziert auch persönliche Weiterentwicklung
                                                                     Im Gespräch mit Klaudia Burtscher, Frauenstiftung Steyr

                                                83
                                                                     						10
       35           Durchschnittsalter
                                                      Teilnehmende
                                                       haben einen   Wir sollten junge Menschen mehr einbinden
      JAHRE
                                                     MIGRATIONS-     Im Gespräch mit Susanna Rothmayer, VSG		              12
      Jüngste*r               16 Jahre               HINTERGRUND     Kaum positive Erfahrungen mit Demokratie und Beteiligung
      Älteste*r               76 Jahre                               Im Gespräch mit Martina Zandonella 			              16

                                                                     Unser aller Lebensqualität wird durch Sozialstaat möglich

                                                67                   Im Gespräch mit Martin Schenk			                      19

   968                  Durchschnitts-
                         Einkommen
                                                      Teilnehmende
                                                          haben
                                                                     Kinderarmut ist kein Randthema mehr
                                                                     Im Gespräch mit Erich Fenninger 			                   22
                                                         KINDER
                                                                     Sozialhilfe beantragen - gar nicht einfach
                                                                     Ein Überblick vom Praxisforum Sozialhilfe 		          24
               anderes
                11.9%       Ausbildung                               Der Zugang zu leistbarem Wohnraum wird immer schwieriger
                                                                     Im Gespräch mit Hubert Mittermayr, Verein Wohnplattform
  Matura
   7.9%             Uni
                                  HS/NMS/Poly
                                     43.6%
                                                16    Teilnehmende   						26
                                                                     Wohnen ist ein Grundrecht
                   3.9%                                    sind      Im Gespräch mit Bettina Reichhold, Soziales Wohnservice Wels
                                                       ALLEIN-       						28

       Lehre
                                                      ERZIEHEND
       32.7%

OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 												                                                                         3
MEINE STIMME HAT WERT - OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt SOZIALPLATTFORM - Sozialplattform OÖ
ARBEIT                                                   Jobangebote in OÖ

                                                           53,6 %
                                                         glauben, dass es NICHT ausreichend Jobangebote
                                                         für sie in Oberösterreich gibt.

                                                         Job(un)zufriedenheit

                                                           67,7%
                                                         sind mit ihrer aktuellen Jobsituation NICHT
                                                         zufrieden

                                                         Lohn(un)zufriedenheit

                                                           67,7%
                                                         finden, dass sie mit dem Lohn, den sie für ihre
                                                         Arbeit bekommen, kein gutes Leben führen
                                                         können.

                                                         Druck auf Arbeitslose

         MEINE STIMME HAT WERT                             74,5%
                                                         finden, dass der Druck auf arbeitslose Menschen
         OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W   rt   hoch ist

4															                                                                     Meine Stimme hat Wert
MEINE STIMME HAT WERT - OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt SOZIALPLATTFORM - Sozialplattform OÖ
Das pauschale Bild der faulen Arbeitslosen stimmt überhaupt nicht
                     Im Gespräch mit Josef Pürmayr, Sozialplattform OÖ

                                                                                         raum 2019, und auch die allgemeine Arbeitslosigkeit - jedenfalls   Ausbau der arbeitsplatznahen Aus- und Weiterbildungsmög-
                                                                                         in Oberösterreich - ist wieder auf dem Vor-Coronaniveau. Das       lichkeiten, die auch den Teilzeiterwerbstätigen zur Verfügung
                                                                                         sind die guten Nachrichten. Die schlechte Nachricht ist, dass      stehen und mehr Ressourcen für Bildungsberatung in der
                                                                                         sich die Lage für bestimmte Personengruppen am Arbeits-            Pflichtschule, um stereotypen Rollenbildern entgegen zu
                                                                                         markt deutlich verschlechtert hat. Die Arbeitslosigkeit hat sich   wirken.
                                                                                         also nicht verbreitert, aber vertieft. Schwerer als andere haben   Ungefähr 40 Prozent der Menschen mit Behinderungen im
                                                                                         es am Arbeitsmarkt beispielsweise Personen mit Betreuungs-         erwerbsfähigen Alter sind weder erwerbstätig noch arbeitssu-
                                                                                         pflichten - hier über wiegend Frauen, Menschen mit Behinde-        chend. Sie sind also vom Arbeitsmarkt und damit einem zen-
                                                                                         rungen, Personen mit geringer Qualifikation und Menschen in        tralen Aspekt der gesellschaftlichen Teilhabe ausgenommen.
                                                                                         fortgeschrittenem Lebensalter. Das ist grundsätzlich nicht neu,    Um das zu verändern, braucht es einen Rechtsanspruch auf
Foto: Karl Artmann

                                                                                         Corona hat das seit vielen Jahren bestehende Problem aber          die notwendigen Unterstützungsleistungen, um die Ausübung
                                                                                         nochmals verschärft.                                               einer existenzsichernden Arbeit am allgemeinen Arbeitsmarkt
                                                                                                                                                            zu ermöglichen. Betriebe sollen mit stärkeren finanziellen
                                                                                         Welche Unterstützungsangebote braucht es also                      Anreizen unterstützt werden, inklusive Arbeitsmöglichkeiten
                                                                                         speziell für die oben angeführten Gruppen?                         für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Es soll untersagt
                     Josef Pürmayr ist Geschäftsführer der Sozialplattform OÖ,           Grundsätzlich geht es primär darum, Arbeitslosigkeit zu verhin-    werden, bereits am Übergang von Schule in den Beruf „Arbeits-
                     einem Netzwerk von 41 Sozialeinrichtungen aus ganz Oberös-          dern bzw. die Arbeitslosigkeitsepisode kurz zu halten. Hier sind   unfähigkeit“ zu attestieren.
                     terreich, viele Mitglieder der Sozialplattform OÖ unterstützen      für die unterschiedlichen Gruppen eigene Ansätze erforderlich.     Ungefähr 44 Prozent der arbeitslosen Personen im Jahr 2020
                     arbeitsuchende Menschen mit speziellen Angeboten. Pürmayr           Ein paar möchte ich herausgreifen. Ein wesentlicher Faktor         hatten maximal Pflichtschulabschluss. Es ist daher ganz we-
                     war vor seiner Tätigkeit bei der Sozialplattform OÖ jahrelang Ge-   für die Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt ist die         sentlich, hier frühzeitig entsprechende Unterstützungsange-
                     schäftsführer des Verein Saum (Sozial- und Ausbildungsinitiative    ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit, die     bote zu setzen. So soll der im Regierungsprogramm verankerte
                     Unteres Mühlviertel) und ist auch deshalb mit den vielfältigen      überwiegend zu Lasten der Erwerbsarbeit von Frauen geht.           Chancen- und Entwicklungsindex für sogenannte Brennpunkt-
                     Problemen von Menschen vertraut, die es am ersten Arbeits-          Frauen arbeiten überdurchschnittlich in schlecht bezahlten         schulen rasch und flächendeckend umgesetzt und die entspre-
                     markt schwer haben.                                                 Berufen, das hängt mit stereotypen Rollenbildern zusammen.         chenden Schulen mit mehr Ressourcen ausgestattet werden.
                                                                www.sozialplattform.at   All das führt dazu, dass Frauen weniger verdienen, schlechter      Die kostenfreien Ganztagesschulen sollen ausgebaut werden.
                                                                                         sozialstaatlich abgesichert sind und ein höheres Risiko von        Für jene, die sich beruflich neu orientieren wollen, soll ein
                     Überraschend schnell hat sich der Arbeitsmarkt                      Altersarmut haben. Um das zu verändern, sind neue Arbeits-         Rechtsanspruch auf eine zweite Ausbildungschance bestehen.
                     nach der Akutphase von COVID wiedererholt.                          zeitmodelle bis hin zu Lebensarbeitszeitmodellen erforderlich,     Ältere Personen werden zwar nicht häufiger arbeitslos als
                     Alles eitel Wonne?                                                  ebenso ein Ausbau der Betreuungsinfrastruktur, gesetzliche         andere, sie haben aber im Fall von Arbeitsplatzverlust große
                     Nein. Die Beschäftigung ist zwar höher als im Vergleichszeit-       Rahmenbedingungen wie Frauenquoten in Führungspositionen,          Probleme, wieder einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Um
                                                                                         verpflichtende Maßnahmen zur Einkommenstransparenz, ein            Arbeitsplatzverlust zu vermeiden bei gleichzeitigem Nutzen für

                     OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 												                                                                                                                                           5
MEINE STIMME HAT WERT - OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt SOZIALPLATTFORM - Sozialplattform OÖ
den Betrieb, ist es wichtig, den Wissenstransfer zwischen den       Sozialhilfeverbänden, Schulen etc. ist sinnvoll und wird auch
Generationen gut zu organisieren, Angebote der betrieblichen        in Anspruch genommen werden, wenn die Förderbedingungen
Gesundheitsförderung zu implementieren, AMS-geförderte              unkompliziert sind.                                                 MEINE STIMME HAT WERT
Modelle wie Qualifizierung für Beschäftigte, Altersteilzeit und
                                                                                                                                        OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W   rt
Teilpension zu nutzen bis hin zum Angebot von Ausstiegsar-          Arbeitgeber*innen können offene Stellen teilwei-
beitsplätzen mit erfahrungsgeleiteten Aufgaben und alternsge-       se schwer besetzen. Ziemlich vehement werden
rechten Bedingungen.                                                verschärfte Zumutbarkeitsbestimmungen für
                                                                    Arbeitslose, strengere Sanktionierung und ein im
Als besonders problematisch wird die hohe Lang-                     Zeitverlauf sinkendes Arbeitslosengeld als Anreiz                                "Wie soll sich die
zeitbeschäftigungslosigkeit eingeschätzt. Wie                       zur Beschäftigungsaufnahme gefordert. Ist das
kann hier gegengesteuert werden?                                    nachvollziehbar und sinnvoll?
                                                                                                                                                  Arbeitslosigkeit ändern,
Die Gruppe der Langzeitbeschäftigungslosen hat sich in Ober-        Die Diskussion um Zumutbarkeitsbestimmungen und Sankti-                       wenn man große Firmen
österreich von Juli 2019 auf Juli 2021 um fast die Hälfte erhöht.   onierung kenne ich seit 30 Jahren. Sie ist verknüpft mit dem
                                                                                                                                                        zusperrt?"
Auch hier gibt es mittlerweile eine Verringerung der Arbeits-       Bild, dass Arbeitslose nicht ausreichend leistungsbereit sind
losigkeit, aber nur sehr gering. Es ist zu erwarten, dass ohne      und es sich in der sozialen Hängematte gut gehen lassen.
zusätzliche Unterstützungsprogramme hier das Vor-COVID-             Meiner Wahrnehmung nach geht es immer in eine Richtung,
Niveau über viele Jahre unerreichbar bleibt. Ähnlich wie wäh-       nämlich in Richtung Verschärfungen für Arbeitslose. Das
rend der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009. Der dadurch        pauschale Bild der faulen Arbeitslosen stimmt ja überhaupt                   "Ab einem gewissen Alter
ausgelöste Anstieg bei den Langzeitbeschäftigungslosen war          nicht, genauso wenig ist das wohlige Räkeln in der sozialen                      (50+) wird es immer
zu COVID-Beginn noch immer nicht abgebaut. Ein ähnlicher            Hängematte Wirklichkeit. Es ist schon lange bekannt, dass lan-
Verlauf ist auch jetzt zu erwarten.                                 ge andauernde Arbeitslosigkeit in die Armut führt. Die jüngste
                                                                                                                                                     schwerer, Arbeit zu
Es gibt auf Bundesebene und in Oberösterreich Programme,            Studie von SORA1 hat das erneut nachgewiesen. 90 Prozent der                  finden, man muss aber in
um die COVID-Folgen für den Arbeitsmarkt zu bekämpfen.              Arbeitslosen leben nahe an oder unter der Armutsgefährdungs-
Allesamt mit der Ausrichtung, die Beschäftigung am „ers-            schwelle. In diesen Verhältnissen bleibt man nicht freiwillig und
                                                                                                                                                   Zukunft wahrscheinlich
ten“ Arbeitsmarkt zu erreichen oder zu sichern. Hier geht es        es geht einem auch nicht gut. Ich bin der Meinung, dass dieses                 bis 67/70 arbeiten. Wie
überwiegend um Qualifizierung und Beschäftigungsförderung.          System der schärferen Sanktionierung bereits ausgereizt ist.                       soll das gehen?"
Diese Programme wirken auch, allerdings nicht ausreichend           Wie finden Unternehmen motivierte Mitarbeiter*innen? Doch
im Bereich der Langzeitbeschäftigungslosen. Ein großer              nicht auf die Weise, dass sie zu möglicherweise schlechten
Teil jener, die bereits vor Corona länger arbeitslos waren,         Arbeits- und Entgeltbedingungen zwangsverpflichtet werden.
braucht meiner Ansicht nach zusätzlich zu diesen Program-           Zum degressiven Arbeitslosengeld: Die zuvor beschriebene
men dauerhaft subventionierte, kollektivvertraglich entlohnte       Problematik der Armutsgefährdung verschärft sich im Zeitver-                    "Es gibt zu wenig
und existenzsichernde Arbeitsplätze auf einem erweiterten           lauf der Arbeitslosigkeit auch bei gleichbleibendem Arbeits-
Arbeitsmarkt. Hier kann auf die langjährige Expertise der           losengeld, wenn beispielsweise die Ersparnisse aufgebraucht
                                                                                                                                                Arbeitslosengeld und das,
Sozialökonomischen Betriebe zurückgegriffen werden, die bei         sind. Wenn nun parallel zur Dauer der Arbeitslosigkeit auch das             was man bekommt, reicht
entsprechender Förderhöhe parallel zur befristeten Beschäf-         Arbeitslosengeld sinkt, verschärft sich diese prekäre existen-                 nicht zum Leben."
tigung auch dauerhafte Beschäftigung anbieten können, wenn          zielle Lage noch einmal. Eine nennenswerte Wirkung eines
eine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt unrealistisch           sinkenden Arbeitslosengeldes zur Verringerung der Arbeitslo-
ist. Auch eine subventionierte Beschäftigung in Gemeinden,          sigkeit erwarte ich nicht. Vielmehr bietet ein höheres Arbeits-

6															                                                                                                                                               Meine Stimme hat Wert
MEINE STIMME HAT WERT - OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt SOZIALPLATTFORM - Sozialplattform OÖ
losengeld zu Beginn der Arbeitslosigkeit mehr Möglichkeiten        in Österreich 289.000 Menschen trotz Erwerbsarbeit in Armut
für jene, die es sich richten können. Arbeitgeber*innen und        leben. Wer langfristig in prekären und gering bezahlten Jobs
Arbeitnehmer*innen treffen schon jetzt Vereinbarungen, um
Phasen von geringer Auftragslage mittels Arbeitslosmeldung
                                                                   arbeitet wird keine existenzsichernde Pension haben bezie-
                                                                   hungsweise im Fall von Arbeitslosigkeit sofort in existenzielle
                                                                                                                                               MEINE STIMME HAT WERT
und Einstellzusage zu Lasten des AMS und der Allgemeinheit zu      Notlagen geraten. Angesetzt werden kann im Bildungssystem –                 OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W   rt
überbrücken. Der Anreiz dafür wird mit einem höheren Arbeits-      Menschen mit maximal Pflichtschulabschluss sind überdurch-
losengeld zu Beginn noch erhöht.                                   schnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen und landen meist
                                                                   in prekären Arbeitsverhältnissen. Angesetzt werden kann mit
Was ist dann ein erfolgversprechender Weg für                      Verbesserungen bei öffentlichen Kinderbetreuungsangeboten,                     Besseres Jobangebot für
die Unternehmen, um Personal zu finden?
Es ist erforderlich, bei der Betrachtung der menschlichen
                                                                   sodass Eltern mit Betreuungspflichten bessere Wahl- und Ar-
                                                                   beitsmöglichkeiten haben. Und es braucht mehr Personal beim
                                                                                                                                                      beeinträchtigte
Arbeitsleistung weg von der Bewertung als Produktionsfak-          AMS und intensivere Beratungs- und Betreuungsmöglichkeiten,                           Menschen
tor zu kommen. Wichtig ist, die Bedürfnisse der im Betrieb         um die passenden Jobs zu identifizieren und Entwicklungsper-
arbeitenden Menschen stärker zu berücksichtigen. Da beginnt        spektiven zu erarbeiten.
glücklicherweise bereits ein Nachdenken von fortschrittlichen
Arbeitgeber*innen. Manche Hotelbetreiber*innen scheinen            Welche Erwartungen hast du für den Arbeits-                                     Mehr Unterstützung für
bereit zu sein, den Mitarbeiter*innen großzügige Wohnmög-          markt der Zukunft?                                                              Alleinerziehende im Job
lichkeiten zur Verfügung zu stellen. Eine Marketing-Agentur        Bei dieser Antwort schwingt auch ein bisschen Hoffnung mit:
mit einem Arbeitszeitmodell von 30 Wochenstunden bei               Die Marktmacht der Arbeitslosen und Arbeitssuchenden wird
vollem Lohnausgleich hat zufriedene Mitarbeiter*innen, hohe        sich deutlich erhöhen; Arbeitgeber*innen werden um Personal
Kund*innenzufriedenheit, ist bestens im Geschäft und hat           werben und motivierte und gut qualifizierte Mitarbeiter*in-                          Erhöhung des
ausreichend qualifizierte Bewerber*innen. Wer es schafft,          nen dann bekommen, wenn sie gute Angebote für sie haben
gutes Personal zu finden und ans Unternehmen zu binden, hat        (Möglichkeit zu Homeoffice, attraktive Arbeitszeitmodelle,
                                                                                                                                                      Arbeitslosengeldes
entscheidende Wettbewerbsvorteile. Da ist natürlich auch die       überdurchschnittliche Entlohnung, lebensphasenorientierte
Höhe der Entlohnung ein maßgeblicher Faktor. Sich darauf zu        Auszeitmodelle, berufliche Entwicklungsmöglichkeiten etc.);
verlassen, dass das AMS mittels härterer Sanktionsandrohun-        das AMS wird die Serviceorientierung für Arbeitssuchende                      Bessere Vereinbarkeit von
gen das nötige Personal vermittelt, ist eine Sackgasse.            erhöhen. Für die wirtschaftliche Entwicklung wird der ausrei-
                                                                   chende Zuzug von ausländischen Arbeitskräften entscheidend                        Familie und Beruf
Ist es nicht besser, irgendeine Arbeit zu haben                    sein.
als gar keine?
Irgendeine Arbeit ist eine Notlösung. Es ist zwar verständlich,    1: https://www.momentum-institut.at/news/arbeitslosengeld-die-meisten-ar-
die durch Arbeitslosigkeit verursachte Notlage möglichst rasch     beitslosen-leben-unter-der-armutsgrenze
überwinden zu wollen. Irgendeine Arbeit ist aber eine, die
meist den Interessen nicht wirklich entspricht und die meist       2: https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/
                                                                                                                                                                WIR
unterhalb des Qualifikationsniveaus liegt. Wenn auch noch
                                                                                                                                                              FORDERN
                                                                   soziales/gender-statistik/armutsgefaehrdung/index.html
geringe Entlohnung dazukommt, sind wir mitten im Thema
prekäre Arbeit. Solche Arbeitsverhältnisse bergen hohes
Armutsrisiko. Für 2020 hat Statistik Austria2 festgestellt, dass

OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 												                                                                                                                                       7
MEINE STIMME HAT WERT - OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt SOZIALPLATTFORM - Sozialplattform OÖ
BILDUNG                                                   Wahlfreiheit

                                                            43,1 %
                                                          konnten NICHT die schulische Ausbildung
                                                          machen, die sie wirklich wollten

                                                          Bildung und Job

                                                            47%
                                                          sind NICHT der Meinung, dass sie mit
                                                          ihrem Bildungsabschluss auch jene Jobs
                                                          bekommen, die sie ausüben möchten

                                                          Gute Noten

                                                           71,6%
          MEINE STIMME HAT WERT                           finden, dass gute Noten in der Schule
                                                          eine wichtige Voraussetzung dafür sind,
          OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W   rt
                                                          einen Job zu finden.

8															                                                                 Meine Stimme hat Wert
MEINE STIMME HAT WERT - OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt SOZIALPLATTFORM - Sozialplattform OÖ
Sozialer Aufstieg bleibt eine Ausnahmeerscheinung
                    Im Gespräch mit Barbara Rothmüller

                                                                                       herkunftsspezifische Mehrsprachigkeit der Kinder wird in der     mehrsprachiger Unterricht aller Kinder in einer ganztägigen
                                                                                       Schule vor allem als Problem gesehen. Außerdem sind Kinder       Gesamtschule die Art und Weise zu unterrichten in Frage stel-
                                                                                       benachteiligt, deren Eltern keine Matura oder höhere Abschlüs-   len würde, die Lehrpersonen gewohnt sind, oder weil es ihren
                                                                                       se haben. Die Schule setzt auf die Mitarbeit erwachsener Be-     Interessen zuwiderläuft. Man darf nicht vergessen, dass es ja
                                                                                       zugspersonen aus dem privaten Kontext. Eltern prägen deshalb     auch Ungleichheiten unter Lehrpersonen gibt. Oft genug sind
                                                                                       sehr früh den Bildungsweg ihrer Kinder, weil das Bildungswe-     Reformvorschläge politisch nicht durchzubringen. Bildungsge-
                                                                                       sen in Österreich herkunftsspezifische Förderunterschiede        rechtigkeit scheitert also nicht an den Ideen.
                                                                                       nicht ausreichend ausgleichen kann.
                                                                                                                                                        Gibt es wirklich Wahlfreiheit bei der (Aus-)Bil-
                                                                                       Kann Bildung Armut abschaffen?                                   dung?
Foto: Theresa Wey

                                                                                       Armut und Bildungsbenachteiligung stehen in einem komple-        Die Vorstellung einer Bildungswahl sehe ich skeptisch, weil
                                                                                       xen Wechselverhältnis. Wer eine geringe formale Bildung hat,     sie suggeriert, dass sich jede*r völlig frei für eine passende
                                                                                       ist häufiger armutsgefährdet, und wer von Armut betroffen ist,   Ausbildung oder auch dagegen entscheiden kann. Sehr oft ist
                                                                                       hat geringere Bildungschancen. Die individuelle Investition in   es aber eine Nicht-Entscheidung: Es ist mehr oder weniger von
                    Die Soziologin und Philosophin lehrt neben Trainings- und          einen höheren Bildungsabschluss ermöglicht es nur Einzel-        vornherein klar, in welche Richtung Mädchen und Buben, Kinder
                    Vortragstätigkeiten an der Universität Wien, an der Sigmund        personen, sich aus der Armut zu befreien. Insgesamt bleibt       von Akademiker*innen und von migrantischen Arbeiter*innen
                    Freud Universität Wien sowie an der FH Campus Wien. Barbara        sozialer Aufstieg jedoch eine Ausnahmeerscheinung, wenn sich     usw. gehen. Die Bildungswünsche und eigenen Zukunftshoff-
                    Rothmüller hat ihr sozialwissenschaftliches Doktoratsstudium an    nicht gesamtgesellschaftlich etwas verändert, denn sozioöko-     nungen sind ja stark von der sozialen Herkunft und den gesell-
                    der Universität Luxemburg und der Stanford University absolviert   nomische Verhältnisse und Bildungsungleichheiten sind Teil       schaftlichen Erwartungshaltungen geprägt. Oft werden gerade
                    und mehrere Jahre international geforscht. Rothmüllers Arbeits-    der Gesellschaft.                                                benachteiligte Bevölkerungsgruppen schon früh entmutigt, sie
                    und Forschungsschwerpunkte sind Geschlechter-, Intimitäts-                                                                          trauen sich manche Ausbildungen gar nicht zu. Was heißt es
                    und Sexualitätsforschung, Bildungssoziologie, Ungleichheiten,      Wie kann man mehr Bildungsgerechtigkeit schaf-                   dann, die Ausbildung zu machen, die man gerne möchte, wenn
                    soziale Klassen und Kultur.                                        fen? Wie kann man Chancengerechtigkeit in der                    die Barrieren in einem selbst liegen? In Österreich kann man
                                                                                       Schule erhöhen?                                                  beobachten, dass die formale Durchlässigkeit nur minimal die
                    Welche Personengruppen sind in unserem Bil-                        Die Frage ist nicht wie, sondern ob man mehr Bildungsge-         soziale Durchlässigkeit des Bildungswesens erhöht hat. Es ist
                    dungssystem benachteiligt?                                         rechtigkeit möchte in der Gesellschaft. An wissenschaftlichen    eine theoretische Offenheit, eine theoretische Wahlfreiheit,
                    Benachteiligt sind Kinder mit Erstsprachen, die nicht zum          Vorschlägen zur Transformation des Bildungswesens man-           die am Ende so aussieht, als hätten alle - oder zumindest die
                    legitimen Fremdsprachen-Kanon der Schule gehören, also             gelt es nicht. Sondern es ist eher das Problem, dass gerade      Hälfte - eben das bekommen, was sie wollten. Gesellschaftliche
                    etwa Türkisch oder BKS. Das liegt u.a. daran, dass das öster-      Maßnahmen, die auf Bildungsgerechtigkeit abzielen, auf so        Benachteiligung und Ungleichheit wirken sich manchmal aber
                    reichische Bildungssystem monolingual organisiert ist, d.h. die    großen Widerspruch stoßen. Der Widerstand kann von Seite         auch aufs Wollen aus, das sollte dabei nicht vergessen werden.
                                                                                       der Lehrpersonen kommen, weil beispielsweise ein inklusiver

                    OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 												                                                                                                                                        9
MEINE STIMME HAT WERT - OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W rt SOZIALPLATTFORM - Sozialplattform OÖ
Lernen impliziert auch persönliche
Wie kann es gelingen, Demokratie an Schulen
für einkommensschwache Jugendliche oder an
„Problemschulen“ erlebbar zu machen?
Bei Teilhabe an Schulen kann ich aus meiner eigenen pädago-
gischen Erfahrung sagen, dass Kinder bzw. Jugendliche und
                                                                  Weiterentwicklung
ihre Anliegen generell oft nicht ernst genommen werden. Das
hat man ja in der Pandemie wieder besonders gut beobachten
                                                                  Im Gespräch mit Klaudia Burtscher, Frauenstiftung Steyr
können. D.h. ein erster Schritt müsste sein, dass Altersdiskri-
minierung in der Schule reflektiert wird. Schulen sind generell
paternalistische Orte, ganz besonders natürlich für benach-
teiligte Kinder und Jugendliche. Um Mitsprache und demokra-                                                                                vorhandenen Kompetenzen, Motivation, finanziellen und
tische Prozesse erlebbar zu machen, sollte man im Verhältnis                                                                               familiären Rahmenbedingungen etc.
zu den Kindern und Jugendlichen ansetzen. Denn die spüren
ganz genau, ob Mitsprache und Teilhabe nur oberflächlich, nur
                                                                                                                                      ••   finanzielle Unterstützungen (Ausbildungskosten, Lebens-
                                                                                                                                           unterhalt, Mobilitätskosten etc.)
vorgeschoben eingesetzt wird, oder ob man sich wirklich für
ihre Sicht, für ihre Anliegen und Probleme interessiert. Dabei
                                                                                                                                      ••   räumliche Erreichbarkeit der Ausbildung (insbesondere
                                                                                                                                           für Menschen am Land)
ist es sicher ein Vorteil, wenn man den Kindern gegenüber                                                                             ••   zeitliche Rahmenbedingungen der Ausbildung (z.B. Ver-
                                                                  Foto: Indrich Fotografie
eine glaubhafte und authentische Verbündete ist, vielleicht                                                                                einbarkeit mit familiären Pflichten)
auch ähnliche Probleme teilt. Oder zumindest neugierig und
diskriminierungssensibel ist und ein geschärftes Sensorium für
                                                                                                                                      ••   Möglichkeiten für Unterbrechungen (z.B. aufgrund finan-
                                                                                                                                           zieller, familiärer oder persönlicher Problemlagen)
subtile Ausgrenzung in Beteiligungsprozessen hat. Denn parti-
zipative Projekte kommen ja in Berührung mit der Lebenswelt
                                                                                                                                      ••   Lernbegleitung und Lernunterstützung sowie Coaching
                                                                                                                                           und ggf. sozialpädagogische Betreuung während der
der Jugendlichen, d.h. ihren sozialen Umständen und struktu-                                                                               Ausbildung
rellen Ungleichheiten.                                            Die Frauenstiftung Steyr unterstützt Frauen, die sich beruflich
                                                                  verändern wollen mit persönlicher Einzelberatung in der Frau-     Schlagwort Lebenslanges Lernen: Gibt es ge-
                                                                  enservicestelle, mit Coaching und Workshops im FrauenBerufs-      nügend Angebote im Bereich der Erwachsenen-
                                                                  Zentrum Steyr und Kirchdorf sowie mit beruflicher Höherqualifi-   bildung, damit lebenslanges Lernen überhaupt
                                                                  zierung je nach individuellem Berufsziel in Zusammenarbeit mit    möglich ist? Was müsste geändert oder erweitert
                                                                  Unternehmen in der arbeitsplatzgenauen Qualifizierung (AQUA).     werden?
                                                                                                            www.frauenstiftung.at   Mit der „Initiative Erwachsenenbildung“1 des Bildungsminis-
                                                                                                                                    teriums/Land OÖ/ESF und mit Angeboten des AMS gibt es
                                                                  Wie kann es gelingen, eine Ausbildung oder einen                  verschiedene und kostenlose Möglichkeiten im Bereich der
                                                                  Bildungsabschluss nachzuholen?                                    Erwachsenenbildung. Ob die jeweiligen Angebote für die Perso-
                                                                  Das Gelingen hängt von mehreren Faktoren bzw. Rahmenbedin-        nen jeweils passen, hängt auch von den Rahmenbedingungen
                                                                  gungen ab. Insbesondere ob es Angebote gibt, die gerade für       der Angebote ab.
                                                                  Menschen mit wenig Einkommen und finanziellen Ressourcen          Insgesamt sollte „lebenslanges Lernen“ breiter gefasst werden:
                                                                  passen. Wichtig sind:                                             Wir lernen permanent in unserem Alltag und als wichtig erachte
                                                                                  ••
                                                                       Im Vorfeld eine Abklärung der beruflichen Ziele, der

10															                                                                                                                                                    Meine Stimme hat Wert
ich die Förderung eines „kritischen und solidarischen Lernens“.     verantwortlich um Kinder und Haushalt zu kümmern. Während
Lernen impliziert immer auch eine persönliche Weiterentwick-        der Covid-19 Pandemie hat sich dies sogar noch verstärkt.
lung: Wie entwickeln sich Personen in ihren Einstellungen und       Wiedereinsteigerinnen sind somit mit einer speziellen Situa-                 MEINE STIMME HAT WERT
ihrem Verhalten weiter? Derzeitige Angebote zielen sehr stark       tion konfrontiert und es bedarf Durchhaltevermögen, Belast-
                                                                                                                                                 OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W   rt
auf die Vermittlung von Wissen - und somit auf eine wissens-        barkeit und oftmals auch Durchsetzungsfähigkeit gegenüber
basierte Gesellschaft - ab. Künftig braucht es aber verstärkt       Widerständen, wenn sie ihre beruflichen Interessen umsetzen
eine solidarische Gesellschaft. Und hier ist auch die Erwach-       möchten.
senenbildung gefordert, mittels der Inhalte, Methoden und           Wiedereinsteigerinnen stellen sich diesen Situationen und es
Rahmenbedingungen ihrer Angebote einen Beitrag zu leisten.          gilt meist, mehrere Faktoren beim Wiedereinstig zu berück-
                                                                                                                                                          "Wenn in der Familie das
                                                                    sichtigen:                                                                           Geld fehlt, kann man nicht
Kann lebenslanges Lernen auch als Bedrohung                           ••  eigene berufliche Ziele im Zusammenhang mit der
                                                                                                                                                         die Schulbildung erhalten,
oder Stress empfunden werden, weil man das                                Arbeitsmarktsituation
Gefühl empfindet, dass die eigenen Fähigkeiten                        ••  finanzielle Möglichkeiten und Stellenwert der eigenen                              die einem bessere
nie ausreichen? Wie kann/soll man damit umge-                             Existenzsicherung durch Erwerbstätigkeit                                         Chancen ermöglichen
hen?                                                                  ••  gesellschaftliche Erwartungen und eigenes Rollenver-
Das Empfinden von „Lernen als Bedrohung oder Stress“ sehe                 ständnis als Mutter                                                                      würde."
ich als gesellschaftlich hervorgerufen: Gerade in Zeiten der          ••  vorhandene Möglichkeiten der Kinderbetreuung (auch
Digitalisierung entwickelt sich die Wissensgesellschaft rasant            für Randzeiten), familiäre Unterstützung bei der Kinder-
weiter. Dies betrifft nicht nur das „lebenslange Lernen“ an sich,         betreuung, im Haushalt und ggf. bei der Betreuung von
sondern auch die Ausstattung mit digitalen Geräten (Smart-                pflegedürftigen Angehörigen, Fragen der Vereinbarkeit                           "Schlechte Vereinbarkeit
phone, Tablet, Laptop) sowie Internetkosten. Das können sich          ••  Ausbildungs-/Arbeitszeiten, Erreichbarkeit von Ausbil-                              von Mutter sein,
gerade Menschen mit geringem oder keinem Einkommen oft                    dungen bzw. Arbeitsplätzen
nicht leisten. Wer hier nicht mehr mitkommt, gerät gesell-            ••  Familienfreundlichkeit von Unternehmen (auch bezüglich                            Kinderbetreuung und
schaftlich ins Abseits.                                                   des Arbeitgebers des Vaters)                                                         Weiterbildung."
Wichtig ist auch die Frage, wer denn bestimmt, was Lernen
ist und welches Lernen als „wichtig“ gilt? Da braucht es ein
Umdenken: Lernen im Alltag als Kompetenz wahrnehmen und             1: https://www.initiative-erwachsenenbildung.at/initiative-erwachsenenbil-
anerkennen, Wertschätzung von Fähigkeiten & Fertigkeiten,           dung/was-ist-das/                                                                        "Nicht jede*r hat die
die ggf. nicht mit formalen Zeugnissen/Bestätigungen von
                                                                                                                                                             Chance auf Bildung."
Dritten erst als solche gelten, Digitales als Kulturtechnik allen
zugänglich machen etc.

Wie ist die spezielle Situation von Frauen, beson-
ders in Hinblick auf Wiedereinstieg?                                                                                                                           "Man ist nie genug
Frauen haben oftmals nach ihrer Karenz nicht mehr die Mög-
lichkeit, auf ihren früheren Arbeitsplatz zurückzukehren oder
                                                                                                                                                                  gebildet."
wollen sich auch selber beruflich verändern. Gesellschaftlich
wird ihnen nach wie vor die Rolle zugeschrieben, sich haupt-

OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 												                                                                                                                                         11
Wir sollten junge Menschen mehr einbinden
Im Gespräch mit Susanna Rothmayer, VSG

                                                                      gen, Entfaltungsmöglichkeiten, persönlichen und beruflichen         Einschränkungen würden dringend benötigt. Denn die Anfor-
                                                                      Entwicklungsmöglichkeiten. Aber auch an Problemstellungen           derungen in Organisationen sind mittlerweile so hoch, dass
                                                                      und Leid, das es zu bewältigen bzw. überwinden gilt.                Menschen, die nicht ganz gesund oder etwas weniger belast-
                                                                      Dieser Vielfalt muss in den Angeboten für junge Menschen, die       bar sind, keinen Platz für ihre Arbeitskraft, ihr Engagement
                                                                      ihren persönlichen und beruflichen Weg suchen, entsprochen          vorfinden.
                                                                      werden. Möglichst individuelle Programme, abgestimmt auf
                                                                      persönliche Herausforderungen, Fähigkeiten, Erfahrungen,            Junge Menschen, die in der Schule gescheitert
                                                                      Neigungen und Zukunftsvorstellungen sollen zur Verfügung            sind, erkennen bei den Angeboten des VSG, wel-
                                                                      stehen. Dadurch können junge Menschen wählen und sich dem           che Fähigkeiten und Potenziale sie haben. Warum
                                                                      Angebot widmen, das ihren Vorstellungen am meisten ent-             ist das wichtig? Was lernen sie bei euch? Was be-
                                                                      spricht.                                                            wirkt das bei jungen Menschen? Was bringt ihnen
                                                                      Können wir wählen, erhöht das die Auseinandersetzung mit            das für die weitere Zukunft?
                                                                      dem Thema. Motivation und Energie werden frei, wenn wir uns         Gerade Erfahrungen in der Schule sind für Menschen sehr
                                                                      selber für ein bestimmtes Angebot entscheiden können und            prägend. Oft träumen viele noch im Erwachsenenalter von
                                                                      uns dafür bewerben. Dem erfolgreichen Abschluss rückt man           negativen Erlebnissen aus der Schulzeit. Prüfungsängste,
Susanna Rothmayer ist Geschäftsführerin im Verein für Sozial-         damit gleich einen großen Schritt näher.                            Versagensängste, das Gefühl, den Anforderungen nicht zu
und Gemeinwesenprojekte Linz. Sozial benachteiligten Men-             In Oberösterreich ist die Angebotslandschaft bunt und vielfäl-      entsprechen können sich in Menschen festsetzen und Entwick-
schen Integrationswege in Bildung und Arbeit zu eröffnen, um          tig. Das Qualitätsniveau ist hoch, die Ausdifferenzierung attrak-   lungen einschränken. Außerdem stellen wir fest, dass viele
ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen, ist Schwerpunkt des            tiv. Die Ausbildungsgarantie1 ist ein Meilenstein dafür gewesen,    nie die Chance hatten, sich Lerntechniken anzueignen. Jeder
VSG. Susanna Rothmayer hat Sozialwirtschaft und Philosophie           alle jungen Menschen mit passenden Angeboten anzusprechen.          Mensch lernt ja anders und hier bietet VSG LEARN Methoden,
studiert und ein Masterstudium in Organisationsentwicklung            Die Wahlmöglichkeit ist ein Element einer selbstverantwortli-       um das heraus zu finden. Das ist eine sehr nachhaltige Kompe-
absolviert. Sie engagiert sich seit 2010 in der Sozialplattform OÖ.   chen Haltung im Leben als Mitglied einer Gesellschaft. Kann ich     tenz, dadurch eröffnen sich Fähigkeiten, Bildungsabschlüsse
                                                    www.vsg.or.at     meine Beratung wählen, gehe ich verantwortungsvoll damit um.        nachzuholen, weiterführende Ausbildungen zu absolvieren, für
                                                                      Kann ich im Beratungssetting mitbestimmen, mich einbringen,         die Anforderungen der Berufsschule gerüstet zu sein, Lehre mit
Warum ist es so wichtig, dass es VIELE Angebote                       werde ich gefragt und ernst genommen, werde ich mich auch           Matura ins Auge zu fassen oder auch in die Schule zurückzu-
für Jugendliche gibt, die keinen Ausbildungsplatz                     in gesellschaftlichen Prozessen wie Abstimmung, Initiativen,        kehren.
und keinen Job haben?                                                 Volksbegehren, Wahlen etc. aktiv einbringen. Und das wird ja        Bildung ist nicht erst seit heute eine Grundlage für persönliche,
Im allgemeinen Diskurs über die Entwicklung unserer Gesell-           als demokratischer Anspruch der Repräsentant*innen unserer          berufliche und gesellschaftliche Entwicklung. Bildung eröffnet
schaft sprechen wir sehr oft darüber, wie divers, vielfältig und      Gesellschaft formuliert.                                            Wege der Selbstreflexion und Selbstbestimmung und des ver-
ausdifferenziert unsere Gesellschaft geworden ist. Vielfältig an      Was in der Angebotslandschaft fehlt, ist ein zweiter Arbeits-       antwortungsvollen Umgangs mit sich selbst, den Mitmenschen,
Lebensformen, Informationen, Kommunikation, Anforderun-               markt. Geförderte Arbeitsplätze für Menschen mit leichten           der Welt. Wir wissen doch alle um den Zusammenhang zwi-

12															                                                                                                                                                           Meine Stimme hat Wert
schen Bildungsniveau und Gesundheit. Es ist wissenschaftlich       nach vorne gerichtet hin zu den Optionen und Perspektiven für
nachgewiesen, dass mit dem Bildungsniveau die Auseinander-         das eigene individuelle berufliche und private Fortkommen.
setzung mit der eigenen Gesundheit und einer gesunden Le-
bensweise steigt. Menschen mit niedriger Bildung sind zumeist
                                                                   Was lernt man noch bei LEARN? Wissen und Kenntnisse auf
                                                                   Pflichtschulniveau in allen Schulfächern inklusive digitale
                                                                                                                                            MEINE STIMME HAT WERT
kränker und sterben deutlich früher als Menschen mit höherem       Kompetenz, Wissen über unsere Gesellschaft, Kultur, Werte,               OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W   rt
Bildungsstand. Und ein Ausbildungsabschluss entscheidet            Institutionen und Demokratie, wie bereits erwähnt Persönlich-
maßgeblich über Teilhabechancen in unserer Gesellschaft. Um        keitsentwicklung und Selbstwertstabilisierung, Kommunikati-
diese soziale Ungleichheit auszugleichen braucht es ausrei-        on, gesunde Lebensweise und Lerntechniken.                                 Längere Ausbildungszeit,
chend individuelle, niederschwellige Bildungs- und Jobangebo-      Darauf aufbauend gestaltet sich das Nachholen des Pflicht-
te für sozial benachteiligte Menschen.                             schulabschlusses oder das Bereit sein für Lehre und Berufs-
                                                                                                                                            Berufsentscheidung mit 15 ist
Um beim Thema Gesundheit zu bleiben: die VSG Angebote              schule gleich viel einfacher. Somit vermittelt LEARN Fähig-                        zu früh
bieten eine Auseinandersetzung mit der Thematik Bewegung,          keiten für das Leben, Fähigkeiten, sich im Bildungsbereich,
Ernährung, Gesundheit an. Wir nutzen einen Gemüsegarten,           Familie, Arbeit und Gesellschaft gut zurecht zu finden und sich
unsere Küchen und die Bewegungs- und Sportangebote, um fit         einzubringen in gesellschaftliche Prozesse wie Wahlen oder
zu machen. Fit für bestimmte Jobs mit körperlichen Anforde-        Befragungen oder freiwilliges Engagement. Damit leisten wir                     Bessere schulische
rungen, aber auch fit fürs persönliche Wohlbefinden.
Ein sehr wesentlicher Fokus in der Arbeit von LEARN ist auf
                                                                   einen Beitrag für eine lebendige, wertebasierte Demokratie.
                                                                   Kürzlich wurden bei LEARN Interviews mit den Teilnehmenden
                                                                                                                                                     Ausbildung für
den Bereich Selbstwert, Selbstvertrauen und Potenzialent-          zum Thema Vielfalt durchgeführt. Schauen Sie sich das Video2                     Beeinträchtigte
wicklung gerichtet. Sich etwas zutrauen, sich selbst und           an. Sie werden überrascht sein, wie reflektiert und philoso-
anderen zu vertrauen, sich seiner Fähigkeiten und Potenziale       phisch hier die Antworten junger Erwachsener ausgefallen
bewusst zu werden, Konfliktfähigkeit und mutig Entscheidun-        sind. Man sieht auch die Freude darüber, zu Wort zu kommen
gen im Kleinen (Gegenwart) und Großen (Zukunft) zu treffen,        und seine Meinung zu äußern. Ja, wir sollten die jungen Men-                   Bessere Angebote für
das ist es, was wir jedem Teilnehmer und jeder Teilnehmerin
nahebringen. Am Selbstvertrauen, am Mut, am Glauben an
                                                                   schen in den zahlreichen Bildungs- und Berufsangeboten noch
                                                                   mehr einbinden, Selbstgestaltung ermöglichen, die Übernahme
                                                                                                                                                    Kinderbetreuung
die eigenen Fähigkeiten und Chancen zu arbeiten, ist uns ein       von Verantwortung fördern, an sich zu glauben, und somit eine
wesentliches Anliegen und wir begreifen das als Basis für das      Ermutigung manifestieren, kritisch und reflektiert zu denken
individuelle Fortkommen.                                           und zu handeln, sich eine eigene Meinung zu bilden und zu                  Ausbildung sollte für jeden
Daher hat jedes VSG Angebot Bezugsbetreuung in seinem              artikulieren, um unsere Demokratie zu nähren und von Grund
Konzept. Das heißt, jeder Trainer/jede Trainerin widmet            auf zu stabilisieren.
                                                                                                                                                     leistbar sein
sich einer kleinen Anzahl von Teilnehmenden gezielt beim
Entwickeln individueller Lösungskompetenz für individuelle
Herausforderungen. Dabei wird gezielt auf die Potenziale des       1: https://www.bma.gv.at/Themen/Arbeitsmarkt/Arbeitsmarktfoerderungen/
Menschen fokussiert. Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrun-
gen als kraftgebende und zukunftsweisende Ressourcen. Der
                                                                   Jugendliche-und-junge-Erwachsene.html
                                                                                                                                                             WIR
Initiativgedanke für den VSG war und ist, sozial benachteiligten
                                                                                                                                                           FORDERN
                                                                   2: https://www.youtube.com/watch?v=cQYWUYAdk8c
Menschen einen Weg in ein selbstverantwortliches Leben
aufzuzeigen. Durch Ernst- und Annehmen, Mut machen, das
Angehen der Lösung von hemmenden Faktoren und den Blick

OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 												                                                                                                                                    13
DEMOKRATIE
                                                             Nicht-Wähler*innen

                                                              47,1%
                                                             der Befragten ist es NICHT
                                                             wichtig, an politischen Wahlen
                                                             teilzunehmen und sie gehen
                                                             auch NICHT regelmäßig wählen.

                                                             Meine Anliegen

                                                              81,4%
                                                             der Befragten haben NICHT
             MEINE STIMME HAT WERT                           das Gefühl, dass sich die
                                                             Politik um ihre Anliegen
             OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W   rt
                                                             kümmert.

14															                                                         Meine Stimme hat Wert
Obwohl unsere Befragung mitten während der Corona-Krise
mit zahlreichen Einschränkungen stattgefunden hat, ist Corona
nur am Rande ein Thema. Bei den Forderungen an die Politik
sind nur 4 kritische Aussagen zu den Corona-Maßnahmen zu             ICH HABE GRUNDSÄTZLICH VERTRAUEN
finden (von 96). Hier waren andere Themen vorherrschend:
Leistbares Wohnen, Arbeitsmarktpolitik oder sozialstaatli-
che Sicherung. Inwieweit sich die Corona-Situation auf das
                                                                          IN DIE POLITIKER*INNEN IN OÖ
Demokratie-Vertrauen der von uns Befragten ausgewirkt hat,
entzieht sich allerdings unserer Kenntnis.

      Mitbestimmung

       61,4%
      der Befragten haben NICHT das
      Gefühl, dass sie mit ihrem
      Wahlrecht in der Politik
      mitbestimmen können

                                                                                                25			 75
      Zukunft
                                                                                                ja                       nein
                                                                Für 25 Befragte trifft das
       77,8%                                                    eher oder voll zu.
                                                                Für 75 Befragte trifft das
                                                                eher nicht oder gar nicht zu.    MEINE STIMME HAT WERT
      der Befragten befürchten, dass
                                                                2 Personen haben diese Fra-      OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W   rt
      sich die aktuelle politische
                                                                ge nicht beantwortet.
      Lage verschlechtert.

OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 												                                                                                         15
Kaum positive Erfahrungen mit Demokratie und Beteiligung
Martina Zandonella im Gespräch

                                                                   ökonomisch stärksten Drittel der Bevölkerung                      Worin besteht eigentlich die Gefahr, wenn die
                                                                   nur 17 Prozent auf ihr Wahlrecht verzichten, im                   Zahl der Nicht-Wähler*innen – besonders unter
                                                                   ökonomisch schwächsten Drittel aber 41 Prozent.                   Menschen mit wenig Einkommen – steigt?
                                                                   Zuletzt haben Sie bei der Wien-Wahl analysiert,                   Dann finden ihre politischen Anliegen und Bedürfnisse kein
                                                                   dass Menschen mit geringen sozioökonomischen                      Gehör mehr und die reicheren Bevölkerungsgruppen machen
                                                                   Ressourcen seltener zur Wahl gehen. Würde man                     unter sich aus, in welche Richtung sich unser Land – ein-
                                                                   nicht annehmen, dass man eher wählen geht,                        schließlich seiner Solidarsysteme – entwickeln soll. Das
                                                                   wenn´s einem nicht so gut geht, um etwas zu                       passiert übrigens schon: Für Deutschland ist bereits nach-
                                                                   verändern?                                                        gewiesen, dass die Entscheidungen des Bundestages in den
                                                                   Das ist nur dann der Fall, wenn ich auch davon überzeugt bin,     letzten 30 Jahren praktisch ausschließlich den politischen
                                                                   dass ich mit meiner Stimme etwas verändern kann. Im öko-          Interessen der oberen Einkommensgruppen folgten – dies gilt
                                                                   nomisch schwächsten Drittel denken das jedoch nur wenige          im Besonderen für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, also für
                                                                   Menschen. Dies liegt daran, dass viele von ihnen bislang kaum     jene Politikfelder, die gerade die ärmeren Bevölkerungsgrup-
                                                                   positive Erfahrungen mit Demokratie und Beteiligung gemacht       pen besonders betreffen. Der Eindruck vieler Menschen im
                                                                   haben – zum Beispiel konnten sie schon in der Schule seltener     ökonomisch schwächsten Drittel, dass ihr Leben vielfach von
                                                                   mitbestimmen. Dabei spielt gerade die Schule eine wichtige        anderen bestimmt wird und dass ihre Stimme nichts zählt,
Martina Zandonella vom SORA Institut forscht zu Demokratie und     Rolle, wenn es darum geht, Demokratie zu erleben und die          kommt also nicht von ungefähr.
Partizipation sowie Ungleichheit und ist auch für den Demokra-     Wirksamkeit von Beteiligung zu erfahren. Auch bei der Arbeit
tie-Monitor mitverantwortlich, der jährlich die Einstellung der    haben die Menschen im ökonomisch schwächsten Drittel              Warum funktionieren “klassische” Bürgerbetei-
Österreicher*innen zur Demokratie erhebt. Hier wurde herausge-     kaum Mitsprachemöglichkeiten und sie haben auch seltener          ligungsformen nicht bei Menschen mit wenig
funden, dass das Vertrauen in die Demokratie allen voran entlang   einen Betriebsrat. Außerdem arbeiten gerade die Menschen im       Einkommen. Warum wären breite Beteiligungs-
der Verfügbarkeit von ökonomischen Ressourcen abnimmt: So          ökonomisch schwächsten Drittel häufig in Betrieben, wo das        möglichkeiten so wichtig?
fühlen sich nur mehr 44% im ökonomisch schwächsten Drittel         Arbeitsrecht nicht eingehalten wird – sie erleben also immer      Diese Beteiligungsformen sind aufwendig. Sind wir z.B. in einer
als Teil der Demokratie in Österreich. Und gerade sie sind von     wieder, dass auf demokratischem Weg festgelegte Regeln            Bürgerinitiative aktiv, brauchen wir nicht nur Zeit, auch Geld ist
der Corona-Krise besonders stark betroffen. In der derzeitigen     und Rechte für sie nicht gelten. Auch im Kontakt mit staatli-     nötig, wir müssen uns spezifisches Wissen aneignen, sollten
Situation fühlten sich 73% des ökonomisch schwächsten Drittels     chen Institutionen und der Politik erleben sie häufig fehlende    rechtlich informiert sein und am besten auch noch Kontakte
sehr oder ziemlich als Menschen zweiter Klasse behandelt. Im       Anerkennung bis hin zu Abwertungen. Zentrale Versprechen          in die Politik haben. Menschen mit wenig Einkommen haben
oberen Drittel sind es nur 28%.                                    der Demokratie – dass wir alle gleich viel Wert sind und unsere   jedoch schon genug damit zu tun, über die Runden zu kom-
                                    www.demokratiemonitor.at       Lebensumstände politisch mitgestalten können – erfüllen sich      men – wobei sie häufig nicht nur ihren eigenen Alltag meistern,
                                                                   für das ökonomisch schwächste Drittel nicht.                      sondern auch noch jenen der reicheren Menschen, die sich
Der Demokratie-Monitor 2019 erkennt, dass im                                                                                         besonders häufig politisch oder zivilgesellschaftlich betätigen:

16															                                                                                                                                                      Meine Stimme hat Wert
Sie putzen deren Häuser, betreuen deren Kinder, liefern Pakete      Corona drückt uns allen aufs Gemüt, in einer
und Essen oder pflegen deren Angehörige. Indem die Menschen         Studie 1 in Wien haben Sie allerdings herausge-
des ökonomisch schwächsten Drittels diese Arbeiten über-            funden, dass Menschen mit geringem Einkommen                       MEINE STIMME HAT WERT
nehmen, ermöglichen sie es den reicheren Gruppen vielfach           besonders gefährdet sind, dass sich ihre psychi-
                                                                                                                                       OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W   rt
erst, Zeit für politische und zivilgesellschaftliche Beteiligung    sche Situation verschlechtert. Warum ist diese
zu haben. Niederschwellige Beteiligungsmöglichkeiten, wo            Zielgruppe speziell betroffen?
sich die Menschen auf Augenhöhe begegnen, konkrete Themen           Dies ist keine neue Erkenntnis – aus zahlreichen Studien wis-
bearbeiten und wo sie die Erfahrung machen, dass etwas ver-         sen wir, dass Ausnahmesituationen wie die Corona-Pandemie
ändert werden kann, sind das Um und Auf wenn es darum geht,         bestehende Ungleichheiten verschärfen und dass gerade die             Interessiert euch für eure
politische Beteiligung wieder zu verbreitern.                       Menschen mit geringem Einkommen besonders betroffen sind:                      Bürger!
                                                                    Sie haben ein höheres Risiko zu erkranken, die Erkrankung
Als wie wichtig erachten Sie es, dass sich politi-                  nimmt bei ihnen häufiger einen schweren Verlauf, sie haben
sche Entscheidungsträger*innen darum bemü-                          seltener Zugang zu Gesundheitseinrichtungen. Sie sind auch
hen, Menschen aus dem ärmsten Drittel wieder                        die ersten, die ihre Arbeit verlieren und wenn sie Arbeit haben,   Politiker sollen selber einmal
in den demokratischen Prozess zu bringen? Was                       verrichten sie diese weiterhin am Dienstort und sind damit
müssten deren Maßnahmen beinhalten?                                 einer höheren Ansteckungsgefahr ausgesetzt. In Wien haben
                                                                                                                                        von Grundsicherung leben!
Nehmen politische Entscheidungsträger*innen Demokratie              wir gesehen, dass ökonomische Sicherheit gerade in Zeiten
ernst, führt nichts daran vorbei, die Menschen im ärmsten Drit-     wie diesen besonders relevant für die psychische Gesundheit
tel wieder in den politischen Prozess einzulassen. Dies bein-       der Menschen ist: Sowohl bei jenen Menschen, deren finanzi-         Bei Gesetzesentwürfen, die
haltet Interesse für ihre Lebenslagen und die Berücksichtigung      elle Lage sich erst im Zuge der Pandemie verschlechtert hat,
ihrer Bedürfnisse bei politischen Entscheidungen. Es geht aber      als auch bei jenen, die bereits vor der Pandemie arbeitslos,        Menschen befragen, die es
ebenso um Repräsentation: Wo in unseren Parlamenten sind
die Menschen aus dem ökonomisch schwächsten Drittel? Auch
                                                                    armutsgefährdet oder ohne finanzielle Rücklagen waren, hat
                                                                    sich die psychische Gesundheit deutlich verschlechtert.
                                                                                                                                            am härtesten trifft.
Bürgerräte sind ein gutes Instrument, um ein repräsentatives
Abbild der Bevölkerung über politische Themen diskutieren und
entscheiden zu lassen. Außerdem ist es wichtig, Demokratie                                                                              Dass jeder gleich behandelt
als Alltagserfahrung allen Bevölkerungsgruppen zu ermögli-
chen: In den Schulen, Betrieben, in der Nachbarschaft und in        Dieses Interview ist ursprünglich im Rundbrief 1/2021                          wird!
staatlichen Institutionen. Auch den Wert von Arbeit müssen wir      erschienen.
neu verhandeln: Welche Arbeit gewährleistet das Funktionieren
unserer Gesellschaft und wurde bislang gerne übersehen? Zu
Beginn der Corona-Pandemie war dies zwar Thema, die kurz-
fristig aufgeflammte symbolische Wertschätzung für die Be-
schäftigen in den „systemrelevanten“ Berufen – viele von ihnen
                                                                                                                                                        WIR
Frauen, Migrant*innen und aus dem ökonomisch schwächsten
Drittel der Gesellschaft – hat sich bislang jedoch nicht in einer
tatsächlichen (auch finanziellen) Aufwertung niedergeschlagen.
                                                                    1: https://www.psd-wien.at/fileadmin/documents/200930_Presseun-                   FORDERN
                                                                    terlage_SORA_Studie.pdf

OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 												                                                                                                                               17
SOZIALSTAAT
                                                              Geldsorgen

                                                               40%
                                                              Für 2 Fünftel der Befragten
                                                              müsste das Monat spätestens
                                                              am 20. enden, damit sie
                                                              notwendige Ausgaben noch
                                                              finanzieren könnten.

                                                              Gesundheitsversorgung

                                                               46,6%
                                                              der Befragten haben NICHT
                                                              das Gefühl, dass Menschen

              MEINE STIMME HAT WERT                           mit wenig Einkommen die
                                                              gleiche gesundheitliche
              OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am W   rt   Versorgung wie alle anderen
                                                              haben

18															                                                          Meine Stimme hat Wert
Unser aller Lebensqualität wird durch Sozialstaat möglich
Martin Schenk im Gespräch

                                                                     wäre, statt einer schlechten Sozialhilfe, die Menschen in         Höhe von rund 1,06 Millionen Euro kommen. Wir zahlen dem-
                                                                     Notsituationen nicht auffängt. Niemand ist sicher, bevor nicht    nach für den Untergang anderer. Die Allgemeinheit soll mehr
                                                                     alle sicher sind. Das haben wir in der Pandemie gelernt. Das      bezahlen müssen, damit Hilfe suchende Personen weniger
                                                                     Sozialhilfegesetz verschärft bestehende Armutslagen, de-          erhalten.
                                                                     gradiert Betroffene erneut zu „Bittstellern“ und eröffnet neue    Der Normsturz misst die Festigkeit eines Kletterseils. Fünf
                                                                     Hürden und Unsicherheiten, mit denen Menschen in schwieri-        Abstürze muss es mindestens aushalten, sonst taugt das Seil
                                                                     gen Lebenssituationen konfrontiert werden.                        nicht zum Schutz. Die sozialen Probleme werden größer. Und
                                                                     Zudem wird es eine so uneinheitliche und zerstückelte Sozial-     die schlechte Sozialhilfe kann sie nicht lösen. Sie würde den
                                                                     hilfe geben wie noch nie, also das genaue Gegenteil von „bun-     Normsturz nicht bestehen. Instrumente der Mindestsicherung
                                                                     deseinheitlich“. In Oberösterreich, Niederösterreich oder Salz-   sind für Krisen gemacht. Das ist ihre Bewährungsprobe. Wenn
                                                                     burg können wir gerade beobachten, worin die neue Sozialhilfe     ein Regenschirm nicht den Regen abhält, wenn das Kletterseil
                                                                     gänzlich versagt: nämlich Menschen, die ohnehin wenig haben,      nicht den Sturz abfängt, wenn der Bretterboden nicht stabil vor
                                                                     krisenfest abzusichern: Geringere Richtsätze für Erwachsene       dem dunklen Keller schützt - wenn also Sozialhilfe gerade in
                                                                     und Kinder, Ausschluss aus der Krankenversicherung, Anrech-       der Krise nichts taugt, dann hat sie ihre Aufgabe verfehlt.
Martin Schenk ist Sozialexperte sowie Stv. Direktor der Diakonie     nung der Wohnbeihilfe oder Kürzungen bei Notwohnungen.            Wir brauchen eine neue Mindestsicherung, die Existenz, Chan-
Österreich und Mitbegründer der „Armutskonferenz“.                   Das führt dazu, dass Menschen in sozialen Krisen jetzt in der     cen und Teilhabe sichert. Um der sozialen Krise effektiv entge-
Seine Schwerpunkte sind welfare policy, Gesundheit, Kinder/          Pandemie um mehrere hundert Euro monatlich weniger Hilfe          gentreten zu können, braucht es: Grundrechte statt Almosen,
Jugend und Integration. Martin Schenk ist Mitinitiator zahlreicher   haben als in der Mindestsicherung.                                Chancen statt Abstieg, sozialen Ausgleich statt Spaltung,
sozialer Initiativen: “Hunger auf Kunst und Kultur” (Kultur für      Auch die Zuverdienstgrenze für Menschen mit Behinderungen         Achtung statt Beschämung. Die Armutskonferenz hat 19 Punkte
Leute ohne Geld), “Wiener Spendenparlament” (Stimmen gegen           wird drastisch reduziert. Bei Bezug der Mindestsicherung          für eine bessere Mindestsicherung1 vorgelegt, die eine effektive
Armut), Verein Hemayat (Betreuung schwer Traumatisierter),           konnten Menschen mit Behinderungen in Werkstätten ca.             Soforthilfe, kürzere Entscheidungsfristen, Dienstleistungen
“Sichtbar Werden” (Armutsbetroffene organisieren sich)               107 Euro monatlich ohne Schmälerung des Leistungsbezu-            und Alltagshilfen, Ausbildungsoptionen, Unterhaltsreform,
                                       www.armutskonferenz.at        ges dazuverdienen, mit der neuen Sozialhilfe beträgt diese        Anspruch auf Einbeziehung in die Krankenversicherung bei
                                                                     Zuverdienstgrenze nur ca. 15 Euro pro Monat, alles darüber wird   Krankheit und den tatsächlichen Wohnbedarf umfassen.
Im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz ist Armutsver-                        einkassiert.
hinderung nicht als Ziel formuliert, anders als                      Die Sozialhilfe ist kompliziert. Die Folge: Der Verwaltungsauf-   Armutsbetroffene Personen machen in vielerlei
bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung.                        wand steigt, dafür werden Leistungen gekürzt. Nach Schätzung      Hinsicht Beschämungserfahrungen. Wo ge-
Was waren die Vorzüge der bedarfsorientierten                        der zuständigen Fachabteilung des Landes Kärnten werden die       schieht das am häufigsten, wie kann das verän-
Mindestsicherung, was ist schlecht an der neuen                      Leistungen für Sozialhilfeempfänger*innen um rund 360.000         dert werden?
Sozialhilfe?                                                         Euro sinken. Im Gegenzug wird es in den Sozialämtern durch        „Es ist einfach demütigend. Am Magistrat hat eine Sachbear-
Die Krise zeigt wie wichtig jetzt eine gute Mindestsicherung         den erhöhten Verwaltungsaufwand zu Personalmehrkosten in          beiterin zu mir gesagt: ‚Warum suchen Sie sich keinen Mann,

OÖ Wähler*innen mit wenig Einkommen am Wort 												                                                                                                                                            19
Sie können auch lesen