Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking - Policy Paper Nr. 2 September 2017 - GLOCON

 
WEITER LESEN
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking - Policy Paper Nr. 2 September 2017 - GLOCON
Policy Paper • Nr. 2 • September 2017

Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau
und Fracking

von Neelke Wagner und Kristina Dietz
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking - Policy Paper Nr. 2 September 2017 - GLOCON
IMPRESSUM

Herausgeberin:
Nachwuchsgruppe GLOCON, Freie Universität Berlin
Prof. Dr. Bettina Engels / Dr. Kristina Dietz
Boltzmannstr. 1, 14195 Berlin

Layout und Redaktion: Tobias Kalt / Anna Dobelmann
Bildnachweis Titelbild: Hanna Thiesing

ISSN: 2512-8337

 Zitiervorschlag:
 Wagner, Neelke/Dietz, Kristina: Mit Bürger_innenentscheiden gegen
 Bergbau und Fracking. GLOCON Policy Paper, Nr. 2, Berlin, 2017

Alle GLOCON Policy Paper sind online verfügbar unter www.land-conflicts.net
© Nachwuchsgruppe GLOCON
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking - Policy Paper Nr. 2 September 2017 - GLOCON
INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1              Direkte Demokratie: Was ist das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

2              Direkte Demokratie und Bergbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

3              Auswahl der Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

4              Bürger_innenentscheide: rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

5              Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

6              Direkte Demokratie in Konflikten um Bergbau und Fracking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
               6.1            Longmont, Colorado, USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
               6.2            Esquel, Chubut, Argentinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
               6.3            La Colosa (Piedras, Cajamarca, Ibagué), Tolima, Kolumbien . . . . . . . . . . . . . . . . 8
               6.4            Hermosa Beach, Kalifornien, USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

7              Bedingungen für direkte Demokratie in Konflikten um Bergbau und Fracking . . 13
               7.1            Politisch-institutionelle Bedingungen und Gelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
               7.2            Strategische Partner aus Wirtschaft und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
               7.3            Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
               7.4            Reaktionen der Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
               7.5            Reaktionen des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

8              Direkte Demokratie ist voraussetzungsvoll, aber ihr Einsatz kann sich lohnen . . . . 16

9              Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Über die Autor_innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking - Policy Paper Nr. 2 September 2017 - GLOCON
GLOCON Policy Paper • Nr. 2 • September 2017

EINLEITUNG                                                          die aber mangels Unterschriften scheiterte. In Grön-
                                                                    land versuchten Gegner_innen eines Uranminen-
Weltweit wächst die Zahl neuer Bergbau- und Bohr-                   projektes vor rund einem Jahr, ein Referendum über
projekte (Reichl et al. 2017). Trotz Schwankungen                   Uranabbau im Land durchzusetzen – ebenfalls ohne
versprechen die Weltmarktpreise für Rohstoffe auch                  Erfolg. Und in Italien erreichte ein Volksentscheid über
weiterhin Gewinne für Unternehmen und Einnahmen                     Ölbohrverbote nahe der Küste das Quorum3 nicht.
für Staaten. Doch während den einen hohe Gewinne                    Dieses Paper analysiert den Einsatz direktdemo­
winken, fürchten andere, vor allem Anwohner_in­nen,                 kratischer Instrumente in Konflikten um Bergbau und
um ihre Umwelt. Bergbau sowie Öl- und Gasförderung                  Fracking. Unter welchen Bedingungen greifen Pro-
verbrauchen nicht nur natür­liche Ressourcen wie Was-               testgruppen zu diesen Instrumen­ten und wie setzen
ser und Boden und verändern das Landschaftsbild. Sie                sie diese ein? Was sind die Erfolgsbedingungen? Dazu
ver­schmutzen zudem die Luft und hinterlassen giftige               defi­niert es zunächst den Begriff „direkte Demokratie“
Abwässer und Abraum. Daraus erwachsen Konflikte,                    und erklärt die wichtigsten Instru­mente. Darauf folgt
die in den letzten Jahren immer zahlreicher geworden                ein kurzer Überblick über Rohstoffabbau und direkt-
sind.                                                               demokratische Entscheidungsver­fahren in den Län­
Lokale Volksabstimmungen haben sich vor allem                       dern, deren Bürger_innen Referenden besonders oft
in Nord- und Lateinamerika als Strategie im Kampf                   nutzen, um Bergbau- und Bohr­projekte zu stoppen.
gegen Bergbau- und Bohrprojekte etabliert. In den                   Vier Fälle werden genauer betrachtet. Die Ergebnisse
USA gab es seit 2012 insgesamt 29 lokale Volksab­                   der Analyse und ein Ausblick auf weitere Forschungs-
stimmungen zum Thema Fracking. Davon fanden 13 in                   fragen schließen das Paper ab.
Ohio, je sieben in Kali­fornien und Colorado und je eine
in Texas und Illinois statt.1 Für Lateinamerika zählte das
zivilgesellschaftliche Beobachtungszentrum für Berg-­               1 DIREKTE DEMOKRATIE: WAS IST DAS?
bau­konflikte Observatorio de Conflictos Mi­     neros de
América Latina (OCMAL) im Juli 2017 mindestens                      Direkte Demokratie bezeichnet allgemein die unmit-
219 Konflikte um industrielle Minen2. Von 2002 bis                  telbare, verbindliche Ent­scheidung der Bürger_innen
Juni 2017 fanden in Peru, Argentinien, Guate­mala, El               über eine Sachfrage. Darüber, was genau unter
Salvador, Ecuador und Kolumbien mehr als 90 lokale                  „direk­ter Demokratie“ oder „di­rektdemokratischen
Volksentscheide über Bergbau­projekte statt. Weitere                Ver­fahren“ verstan­den wird, herrscht in der Wissen-
sind in Vorbereitung, wovon einige nicht von Geg-                   schaft kein Konsens. Dieses Paper orientiert sich an der
ner_in­nen, sondern Befürworter_innen industrieller                 Terminologie des Initiative and Referendum Institute
Minenprojekte initiiert werden (Walter/Urikidi 2015;                Euro­pe (IRIE), die auch vom Direct Democracy Navigator
Dietz 2017).                                                        verwendet wird.4 Demnach muss die Ab­        stimmung
                                                                    obligatorisch – aufgrund einer gesetzlichen oder
In anderen Teilen der Welt sind Volksentscheide zu
                                                                    verfassungsmäßigen Regelung – oder „von unten“
Bergbau und Fracking nur vereinzelt zu beobachten.
                                                                    zustande kommen.
In Deutschland starteten Umweltgruppen in Branden-
burg 2009 eine Volksinitiative für den Kohleausstieg,

1 ballotpedia.org, eine Online-Enzyklopädie für direkte Demo-       3 Quorum nennt man den Mindestanteil an Stimmberechtigten,
kratie, dokumentiert sämtliche Volksabstimmungen in den USA.        der sich an einer Abstimmung beteiligen muss (Beteiligungsquo-
Die Übersicht zu Fracking ist abrufbar unter https://ballotpedia.   rum) oder mit „Ja“ stimmen muss (Zustimmungsquorum), damit
org/Local_fracking_on_the_ballot [letzter Aufruf 18.07.2017].       das Ergebnis der Abstimmung gültig (= bindend) ist.
2 S. http://www.mapa.conflictosmineros.net/ocmal_db/ [letzter       4 Die Typologie der Verfahren ist unter http://www.direct-demo-
Aufruf 19.07. 2017].                                                cracy-navigator.org/typology abrufbar [letzter Aufruf 18.07.2017].

                                                                                                                                         1
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking - Policy Paper Nr. 2 September 2017 - GLOCON
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking

    „Von unten“ bedeutet, dass die Bürger_innen die            gerechnet. Hier ist es den Bürger_innen nicht möglich,
    Abstimmung per Volksbegehren verlangt haben.               notfalls an den repräsentativen Gr­emien vorbei eine
    Dieses Verfahren ist meist zweistufig geregelt: Eine       verbindliche Entscheidung zu fällen.
    Mindestzahl an Stimmberechtigten muss eine Forde-
                                                               In diesem Paper fallen Abstimmungen „von oben“
    rung unter­schreiben (Volksbegehren oder Initiative),
                                                               dann unter die Definition „direkte De­mokratie“, wenn
    damit sie darüber direkt abstimmen können (Volksent-
                                                               das Verfahren aufgrund massiven Drucks der Bevöl-
    scheid). Die direkte Entscheidung der Bürger_innen
                                                               kerung ausgelöst wurde. Das ist zwar formalrechtlich
    ersetzt dann eine Entscheidung des Parlaments oder
                                                               unscharf, aber aus analytischer Perspektive sinnvoll,
    des Gemeinde­rats. So ist es etwa in den US-amerika­
                                                               da in der vorliegenden Untersuchung die politische
    nischen Bundesstaaten, einigen argentinischen Pro-
                                                               Wirksamkeit der Instrumente im Mittelpunkt steht.
    vinzen und in Kolumbien geregelt. Wenn das Ergebnis
    der Abstimmung den Staat oder die Gemeinde recht-
    lich nicht bindet, sondern nur beratenden Charakter
    hat, dann spricht man von einer Volkspetition. Sie
                                                               2 DIREKTE DEMOKRATIE UND BERGBAU
    zählt wegen der mangelnden Verbindlichkeit nicht zu
                                                               In der Regel werden Bergbauprojekte auf national­
    den direktdemokratischen Verfah­ren.
                                                               staatlicher Ebene genehmigt und regu­      liert. Auf
    „Von oben“ können das Parlament bzw. das Staatsober-       dieser Ebene gibt es aber nur in wenigen Staaten und
    haupt (auf kommunaler Ebene die_der Bürgermeis-            meist nur in Ausnahmefällen direktdemokratische
    ter_in oder der Stadtrat) ein Referendum initiieren. Sie   Instrumente, über die Bürger_innen direkt Entschei-
    setzen dann das Thema, die Abstimmungsfrage und            dungen treffen könnten. Ein solcher Ausnahmefall
    den Termin fest. Diese Variante entspricht den consultas   war die Volksabstimmung über die Verstaatlichung
    in Kolumbien bis 2015. Weil solche Referenden Instru-      des Kupferbergbaus in Sambia 1969, in der aber nur
    mente der reprä­sentativen Orga­ne bleiben, werden         über die Besitzverhältnisse, nicht über die sonstige
    sie meist nicht zu den di­rektdemokratischen Verfahren

                                          Stimmzettel Bürger_innenentscheid Cajamarca, Kolumbien (Foto: Hanna Thiesing)

2
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking - Policy Paper Nr. 2 September 2017 - GLOCON
GLOCON Policy Paper • Nr. 2 • September 2017

Mitbestimmung der Bürger_innen in der Bergbau­                      Die Fälle Longmont, Colorado (USA) und Esquel, Chu-
politik entschieden wurde. Die konkreten Auswirkun-                 but (Argentinien) sind deshalb inter­essant, weil sie zu
gen des Bergbaus zeigen sich jedoch vor allem vor                   den ersten ihrer Art gehören und spätere Bür­ger_in­­
Ort, und lokal existieren häufiger direktde­mokratische             nen­entscheide inspi­riert haben. In beiden Fällen ent-
Instrumente als auf nationaler Ebene. Dadurch deutet                wickelte sich nach dem Entscheid ein andauernder
sich bereits an, dass die Nutzung direktdemokra­tischer             Kon­flikt zwischen der lokalen und höheren politischen
Instrumente in Bergbaufragen Konflikte zwischen den                 Ebenen um die Entscheidungshoheit in der Sache.
verschiedenen politischen Ebe­nen hervorrufen kann,                 Er wurde so­wohl vor Gericht als auch auf der Straße
wenn durch einen lokalen Ent­scheid etwas verhindert                ausgetragen. Im Fall der Goldmine La Colosa, Tolima
werden soll, was auf der nationalen Ebene beschlossen               (Kolumbien), der mehrere Gemeinden betrifft, waren
oder geneh­migt wurde. Eine weitere Möglichkeit für                 die Bergbaugegner_innen zunächst auf die Unterstüt-
die Bevölkerung, über Bergbauprojekte abzu­stimmen,                 zung der lokalen Politik angewiesen, weil dort bis 2015
bietet die ILO-Konvention 169. Doch fallen ihre Instru­             nur Bürgermeister_in­nen einen Bürgerentscheid an-
mente, zu denen auch Volksabstimmungen zählen,                      setzen konnten. La Hermosa, Kalifornien (USA) bildet
nicht unter die Kategorie „direk­te Demokratie“, wes-               einen Sonder­fall, weil die Stadt schon früh Ölförder-
wegen sie hier nicht weiter betrachtet werden sollen.5              aktivitäten von ihrem Territorium verbannte und die
                                                                    Protestierenden so auf eine Tradition des Umwelt- und
                                                                    Anwohner_innenschutzes aufbauen konnten.
3 AUSWAHL DER FÄLLE
Anhand von vier Fällen – zwei aus den USA, einem aus                4 BÜRGER_INNENENTSCHEIDE: RECHTLICHE
Kolumbien und einem aus Ar­gentinien – werden die                   RAHMENBEDINGUNGEN
Faktoren herausgearbeitet, die einen erfolgreichen
Einsatz direktdemokrat­ischer Instrumente in Bergbau-               Während in Argentinien die Provinzen lokale Volks­
konflikten begünstigen. Dazu orientieren wir uns an                 abstimmungen (span. consultas populares) jeweils
folgenden Leitfragen:                                               selbst regeln, hat Kolumbien sie in der nationalen
                                                                    Verfassung verankert. Ihre Anwen­dung bestimmt das
1.     Was hat den Protest ausgelöst?
                                                                    nationale Partizipationsgesetz (Ley 134, Art. 50-57)
2.     Wie haben sich die Protestierenden organisiert               von 1994. Darüber hin­aus ermöglicht das Gemeinde-
       und welche Strategien haben sie angewen­det?                 gesetz (Ley 136, Art. 31) von 1994, das den Gemeinden
3.     Welche Rolle spielte die direkte Demokratie?                 eine weitreichende politische Autonomie einräumt,
       Warum wurde sie angewendet und was hat sie                   Referenden bei bestimmten, die Landnutzung be-
       erreicht?                                                    treffenden Entwicklungsprojekten durchzuführen
                                                                    (u.a. beim Berg­bau). Bis Juli 2015 konnten nur Bür-
4.     Was geschah nach dem Volksentscheid? Wie                     germeister_innen lokale Volksentscheide anstoßen.
       reagierten die Behörden, übergeordnete staat­                Das Gesetz 1757 vom Juli 2015 öffnet auch sozialen
       li­che Ebenen, die Industrie?                                Bewegungen diese Möglichkeit, wenn sie dafür eine
                                                                    bestimmte Anzahl Unterschriften sammeln. Diese
                                                                    Initiativen müssen stets den Gemeinderat passieren,
5 Die ILO-Konvention 169 schreibt das Recht der indigenen Be-       der in einfacher Mehrheit entscheidet, ob er der
völkerung auf freie, informierte und vorausgehende Zustimmung
fest. Diese Art der Abstimmung ist nicht der gesamten Bevölkerung   Initiative stattgibt. Lokale Volksabstimmungen sind
gleichermaßen zugänglich, ihre Ergebnisse sind nicht grundsätz-     formal gültig, wenn sich mindestens 33 Prozent der
lich verbindlich. Deshalb handelt es sich streng genommen nicht
um ein direktdemokratisches Instrument (vgl. Schilling-Vacaflor/    Wahlberechtigten betei­ligen. Ihre Ergebnisse sind für
Flemmer 2015).

                                                                                                                               3
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking - Policy Paper Nr. 2 September 2017 - GLOCON
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking

                                                               das dann innerhalb von sechs Monaten darüber zu
                                                               entscheiden hat.7

                                                               In den USA kennen fast alle Bundesstaaten gut ge-
                                                               regelte direktdemokratische In­strumente auf lokaler
                                                               Ebene. Kalifornien und Colorado gehörten vor mehr
                                                               als hundert Jahren zu den ersten US-Staaten, die
                                                               Volksbegeh­ren und -entscheide (engl. initiative und
                                                               referendum) einführten. Seitdem können die Bür-
                                                               ger_innen auf bundesstaatlicher und lokaler Ebene
                                                               erreichen, dass sie anstelle des Stadt- oder Gemeinde­
                                                               rats verbindlich über eine Frage abstimmen, wenn
                                                               sie dafür eine be­stimmte Menge an Unterschriften
                                                               gesammelt haben. In der Regel kann über alle Themen
                                                               ein Bürger_innen- oder Volksentscheid8 stattfinden,
                                                               über die auch die gewählten Vertreter_innen zu
                                                               ent­scheiden haben. Das heißt, Volksentscheide und
                                                               Parlaments- bzw. Gemeinderatsentscheidun­gen sind
                                                               prinzipiell gleichgestellt.

                                                               5 WIRTSCHAFTSPOLITISCHE RAHMEN-
                                                               BEDINGUNGEN
                                                               In Kolumbien setzt der Staat traditionell auf Extrak-
                                                               tivismus. Der Bergbausektor bildet eine der wesent­
Mobilisierung in Cajamarca, Kolumbien (Foto: Hanna Thiesing)   lichen Säulen des kolumbianischen Außenhandels
                                                               – vor allem Kohle und Gold sind Exportschlager,
                                                               denen auch im aktuellen Nationalen Entwicklungs-
     lokale Regierungen bindend und müssen mittels einer
                                                               plan eine tragende Rolle zukommt (Departamento
     Gemeindeverordnung umgesetzt werden.
                                                               Nacional de Planeación 2015). Der Abbau funktioniert
     Die argentinische Provinz Chubut, in der das Minen­       über die Vergabe von Konzessionen, die es einzelnen
     projekt von Meridian Gold6 gelegen ist, sieht in ihrer    Unter­nehmen erlauben, in einem bestimmten Gebiet
     Verfassung zwei Instrumente „halbdirekter“ Demo-          Bodenschätze abzubauen. Seit 2010 hat die nationale
     kratie vor: die consulta popu­lar (Art. 262) und die      Bergbaubehörde 12.000 Konzessionen für insgesamt
     Volks­­petition (Art. 263). Eine consulta kann nur vom    fünf Millionen Hektar vergeben, davon ein Drittel
     Parlament ange­setzt werden, ihr Ergebnis ersetzt dann    an ausländische Konzerne. Anträge für weitere 25
     eine entsprechende Entscheidung des Parlaments.           Millionen Hektar – ein Viertel des gesamten kolumbia­
     Da­neben können Legislative und Exekutive auch            nischen Bodens – liegen bereits vor (Weber 2016).
     unverbindliche Volksbefragungen ansetzen. Mit einer
     Volkspetition können mindestens drei Prozent der          7 Die Verfassung der Provinz Chubut in spanischer Sprache ist ab-
                                                               rufbar unter http://www.conjura.net/6toB/chubut/constitucion-
     Bürger_innen ein Thema ins Parla­ment ein­bringen,        de-la-provincia-de-chubut [letzter Aufruf 08.05.2017].
                                                               8 Im deutschen Sprachgebrauch unterscheidet man Bürger_in-
                                                               nenentscheid (kommunale Ebene) und Volksentscheid (Landes-
     6 Meridian Gold gehört inzwischen zu Yamana Gold Inc.     bzw. Bundesebene).

 4
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking - Policy Paper Nr. 2 September 2017 - GLOCON
GLOCON Policy Paper • Nr. 2 • September 2017

Argentinien – eher ein Agrar- als ein Bergbaustaat –       können in relativ kurzen Zeiträumen große Vorkom-
befand sich 1998 bis 2002 in einer tiefen Wirtschafts-     men erschlossen werden. Die Energy In­­fo­r­­mation
krise, in deren Folge die Auslandsinvestitionen – und      Admin­istration (EIA) der USA beziffert die im Unter-
damit auch die globaler Bergbaukonzerne – stark            grund ru­henden Res­sourcen von Schiefergas, das mit
zurückgingen. Doch im Jahr 2008 war der Export             Hilfe von Fracking gefördert werden muss, auf rund
des argentinischen Bergbausektors wieder auf vier          fünf Billionen Kubikmeter; das sind mehr als die Hälfte
Milli­arden US-Dollar angestiegen. Und internationale      der gesamten Gasvorkommen der USA (EIA 2016:2).
Akteure interessieren sich wieder stark für die argen­     Mittlerweile stammen zwei Drittel des in den USA
tinischen Bodenschätze. Unter vier Fünfteln des argen-     geförderten Gases aus Fracking (Perrin/Cook 2016).
tinischen Staatsgebietes lagern förderungs­   würdige      Fracking genießt zahlrei­che Ausnahmen von Umwelt-
Rohstoffe, verspricht die deutsch-argentinische            gesetzen. So müssen Betreiber von Fracking-Sta­tionen
Handels­  kammer investitionsinteressierten Firmen         weder offenlegen, welche Chemikalien sie genau ein­
(AHK 2014). Insbesondere seit der Wahl Mauricio Macris     setzen noch wird die Auswir­kung der Press­bohrungen
zum neuen Staatspräsidenten steht die Entwicklung          auf die Luft- und Wasserqualität überwacht. Die
des Bergbausektors im Zentrum der nationalen Politik.      Abwäs­ser werden häufig in offenen Gruben aufge­
Die Regierung plant ein neues Bergbaugesetz, das die       fangen. In den USA ha­ben Anwohner_innen das Recht
je nach Provinz unterschiedlichen Auflagen für Minen-      auf Information gegenüber Firmen, die mit giftigen
betreiber vereinheitlichen will, um Investitionen in       Stof­fen umgehen. Das gilt bei Fracking jedoch nicht.
den Sektor anzuziehen (Quintana 2017).

In den USA gehen klassische Bergbauaktivitäten eher
zurück, doch Fracking erlebt seit 2005 einen Boom.         6 DIREKTE DEMOKRATIE IN KONFLIKTEN UM
Mittels Fracking (Hy­draulic Fracturing) werden Öl- und    BERGBAU UND FRACKING
Gasvorkommen erschlossen, die mit her­          kömm­
lichen Tech­ nologien nicht erreicht werden. Un­     ter
                                                           6.1 Longmont, Colorado, USA
hohem Druck wird ein Gemisch aus Wasser, Sand
                                                           Einer Schätzung der Umweltschutzorganisation
und Chemikali­en in den Boden gepresst, das öl- und
                                                           Environment America zufolge9 entstanden zwi­
                                                                                                      schen
gasführende Gesteins­schichten aufbricht und so dafür
sorgt, dass die Rohstoffe entweichen können. Dadurch       9 Aufgrund der mangelnden Regulierung sind offizielle Zahlen
                                                           nicht zu bekommen.

                                      Fracking-Anlage in Weld, Colorado (Foto: WildEarth Guardians, Creative Commons)

                                                                                                                          5
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking - Policy Paper Nr. 2 September 2017 - GLOCON
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking

2005 und 2012 im US-Bundesstaat Colorado 18.168            mit dem The­ma befasste (Dodge 2012). Er verkün-
neue Fracking-Förder­     stellen (Ridlington/Rumpler      dete ein viermonatiges Moratorium, um in dieser
2013). Das ist nach Texas der zweitgrößte Zuwachs.         Zeit ge­eignete Regeln für Fracking in Longmont zu
Zwischen 2005 und 2015 vervierfachte sich Colorados        erarbeiten. Auf mehreren folgenden Bürger_inne­n­ver­
Rohölproduktion. Die Gasförderung wuchs um 50 Pro-         sammlungen machten die Einwohner_innen deutlich,
zent, wobei ein Großteil des Wachstums auf Fracking        dass sie Fracking am liebsten ganz aus der Stadt
zurückgeht (EIA 2016). Die Aktivitäten konzentrieren       verbannt hätten. Doch die vom Stadtrat schließlich
sich auf die Bezirke Boulder und Weld, zwischen            vorgelegten Regelungs­vorschläge blieben weit hinter
denen die Stadt Longmont liegt – die Gemeinde, die         diesem Ziel zurück. Die Protestierenden schlossen sich
als erste in den USA ein Fracking-Verbot per Bürger_in-    unter dem Namen Our Health, Our Future, Our Long-
nenentscheid durchzusetzen versuchte. Im November          mont zusammen und erarbeiteten ein Zusatzka­pitel
2012 stimmten fast 60 Prozent der Bürger_innen             für die Stadtsatzung unter dem Titel „Longmont Act für
von Longmont für ein Fracking-Verbot innerhalb der         Öffentliche Gesundheit, Sicherheit und Wohlergehen“.
Stadtgrenzen. Doch das Vo­tum bedeutete nicht mehr         Sie sammelten die für einen Bürger_innenentscheid
als einen Etappensieg. Ein Streit entbrannte zwischen      erforderlichen 5.700 Unterschriften innerhalb von zwei
dem Bundes­staat Colorado und der Stadt, ob ein Bür-       Monaten. 60 Prozent Zustimmung erhielt ihre Vor­lage
ger_innenentscheid über Fracking überhaupt zulässig        im Entscheid am 6. November 2012. Sie hätte Fracking
sei, da die Genehmigungen für diese Form der Öl- und       und das Lagern von Fracking-Abwässern in offenen
Gasförderung von einer bundesstaatli­chen Behörde          Becken innerhalb der Stadtgrenzen ganz verboten.10
erteilt werden.
                                                           Dagegen legten die Colorado Oil and Gas Association
Von Anfang an nutzten die Protestakteure mehrere           (Verband der Öl- und Gasindustrie) sowie die für die
Wege, die politische Entscheidungsfindung zu be-           bundesstaatliche Regulierung von Bohr­aktivitäten zu-
einflussen: Die Aktivist_innen organisierten sich in       ständige Colorado Oil and Gas Conservation Commission
Bürger_innenversammlungen, in­formierten sich über         Klage ein. Das neue Kapitel der Stadt­    satzung sei
Technik und Umweltgefahren des Frackings und               illegal, „weil die Gemeinde nicht verbieten dürfe, was
gaben ihre Erkenntnisse weiter, und sie vernetzten sich    der Staat erlaubt“.11 Der Bezirksrichter folgte dieser
mit anderen betroffenen Gemeinden und mit Umwelt­          Auffassung und erklärte die Abstimmung am 24. Juli
verbänden. Ihre Strategien wechselten sich während         2014 für ungültig. Zum Zeitpunkt des Ur­teils hatten
des nunmehr sechs Jahre andauernden Wider­stands           bereits fünf weitere Gemeinden in Colorado über
ab. Als ein wichtiges Standbein entpuppte sich die         Fracking-Moratorien oder -Verbote ab­gestimmt – und
direkte Demokratie (Dodge 2012).                           bis auf eine stimmten alle gegen Fracking. Die An­ti­
                                                           Fracking-Gruppen hatten sich bereits untereinander
Angestoßen hatte den Entscheid eine Anwohner_in-
                                                           vernetzt und eine gemeinsame Plattform gegründet:
neninitiative. Sie gründete sich 2011, nach­dem eine
                                                           Coloradans against Fracking12. Die Unterstützer_innen
Ölfirma von der Stadt die Konzession erhalten hatte, bis
                                                           der Longmont-Initiative legten Beschwerde gegen
zu 182 Fracking-Förderstel­len auf kommunalem Land
zu errichten, unter anderem in der Nähe eines großen       10 Die Satzungsänderung im Wortlaut ist unter http://ourlong-
Trink­wasserreservoirs sowie von zwei Grundschulen         mont.org/charter-amendment/ dokumentiert [letzter Aufruf 18.
                                                           07.2017].
(LongmontRoar 2013). Die Nachbar_innen wandten
                                                           11 Die Klageschrift der Colorado Oil and Gas Association ist abruf-
sich an landesweite Umweltverbände, hielten mehrere        bar unter http://ourlongmont.org/wp-content/uploads/2013/01/
Informationsveranstal­ tungen ab und konnten ein           20121218_010338_COGAfiling.pdf [letzter Aufruf 08.05.2017].
halbes Jahr später erreichen, dass der Stadtrat sich       12 Deren Internetpräsenz www.coloradansagainstfracking.us
                                                           [letzter Aufruf 15.08.2017] listet vor allem Berichte über Gefahren
                                                           des Fracking: wissenschaftliche Studien ebenso wie Dokumenta-
                                                           tionen von Havarien.

6
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking - Policy Paper Nr. 2 September 2017 - GLOCON
GLOCON Policy Paper • Nr. 2 • September 2017

das Urteil ein. Mittlerweile hatte der Bezirk Boulder ein       Frank McNulty, der die Kampagne der Industrie unter-
Fracking-Moratorium verhängt.                                   stützt hatte, von einem Sieg sprach, zeigten sich die
                                                                lokalen Aktivist_innen enttäuscht. Ihr einziger Erfolg:
Dem gebündelten lokalen Widerstand setzte die
                                                                Die Colorado Oil and Gas Conservation Commission zog
Industrie zwei Initiativen auf Landesebene entgegen.
                                                                ihre Klage gegen die Gemeinde Longmont zurück. Die
Sie initiierte 2014 zwei Volksbegehren: Eines sollte
                                                                anderen Anti-Fracking-Gemeinden sahen sich jedoch
Gemeinden, die auf ihrem Ge­biet Probebohrungen
                                                                weiterhin kostspieligen Rechtsstreits ge­genüber. Und
und die Förderung von Öl und Gas verbieten, von den
                                                                am 2. Mai 2016 bestätigte Colorados Oberstes Gericht
Steuereinnahmen aus Bohraktivitäten ausschließen.
                                                                die Einschätzung der Bezirksgerichte von Boulder
Das andere forderte eine Kostenschätzung, mit der
                                                                und Larimer, die die Fracking-Verbote der Städte
In­itiativen künftig vorrechnen müssten, wie viel Geld
                                                                Longmont und Fort Collins für ungültig erklärt hatten.
die begehrte Maßnahme kosten würde. Dies beant-
                                                                Auf lokaler Ebene ist der Kampf gegen Fracking damit
worteten die Frackinggegner_innen mit drei eigenen
                                                                vorerst gescheitert.14
Initiativen, die lokale Selbstbestimmungsrechte ge-
nerell sowie speziell im Umweltschutz stär­ken und für          Das landesweite Bündnis ging deshalb wieder in
Frackingprojekte einen landesweiten Mindestabstand              die Offensive und startete zwei neue Initiati­ven, die
von 2.000 Fuß (610 Meter) bis zur nächsten Be­bauung            im November 2016 zur Abstimmung hätten stehen
erreichen sollten.                                              sollen. Eine sollte den Kommunen des Bundesstaats
                                                                ausdrücklich das Recht einräumen, Fracking selbst
Colorado stand die teuerste Referendumskampagne
                                                                zu regulieren. Die andere legt einen Mindestabstand
seiner Ge­ schichte bevor (Jaffe 2014). Zugleich be-
                                                                von 2.500 Fuß (762 Meter) zwischen Frackingstationen
feuerte der Konflikt einen Machtkampf innerhalb der
                                                                und Wohnhäusern, Schulen, Krankenhäusern und
Demokratischen Partei des Bundesstaates. Während
                                                                Wasserspeichern fest (Goodland 2016). Beide wur-
Gouverneur John Hickenlooper sich hin­ter die Forde-
                                                                den von der Innenverwaltung für unzulässig erklärt.
rungen der Industrie stellte und lokale Fracking-Mora-
                                                                Die Ini­tiativen klagten vor dem Ober­    sten Gericht
torien als illegal bezeichne­te, unterstützte der lokale
                                                                Colorados da­  gegen, das jedoch die Entscheidung
Abgeordnete Jared Polis die Anti-Fracking-Initiativen.
                                                                der Verwaltung am 14. April 2016 be­stätigte.15 Damit
Bevor dieser Streit ernsthaft eskalieren konnte, han-
                                                                ist der Kampf der Coloradans against Fracking auf
delten die Vertrauenspersonen der Initiativen einen
                                                                bundes­staatlicher Ebene bis auf Weiteres verloren. Das
Kompromiss aus: Die Colorado Oil and Gas Task Force
                                                                Frackingmoratorium des Bezirks Boulder bestand zum
wurde gegründet, eine Art Runder Tisch, der den
                                                                Redaktionsschluss dieses Papers noch.
Gesetz­geber über Wege beraten soll, „die Konflikte um
Landnutzung zu minimieren“ (ebd.). Die Task Force
bestand aus Vertreter_innen von Gemeinde­         räten,        6.2 Esquel, Chubut, Argentinien
Bürgerinitiativen, Landwirtschafts- und Umwelt­
verbänden sowie der betroffenen Industrie und wurde             In der Gemeinde Esquel in der Provinz Chubut im Süden
vom Gouverneur einberufen. Sie legte im Februar                 Argentiniens organisierten sich Bürger_innen Ende
2015 ihren Abschlussbericht vor. Darin spricht sie neun         2002 in einem Anti-Bergbau-Nachbarschafts­komitee
Empfehlungen aus, die hauptsächlich eine bessere                (Asamblea de Veci­nos Autoconvocados de Esquel por el
Information der Bürger_innen und gemein­           same
                                                                14 Das Urteil im Wortlaut ist abrufbar unter https://www.long-
Entscheidungsfindung von staatlichen Behörden und               montcolorado.gov/home/showdocument?id=18241 [letzter Auf-
Industrie einfordern.13 Während der Abgeordnete                 ruf 08.05.2017].
                                                                15 Das Urteil im Wortlaut ist abrufbar unter https://www.courts.
13 Der Abschlussbericht der Task Force ist abrufbar unter       state.co.us/userfiles/file/Court_Probation/Supreme_Court/
http://dnr.state.co.us/ogtaskforce/Documents/OilGasTaskForce­   initiatives/2015-16/16SA71/4-14-16%20court%20order.pdf
FinalReport.pdf [letzter Aufruf 08.05.2017].                    [letzter Aufruf 18.07.2017].

                                                                                                                                   7
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking

    No a la mina, AVAE), nachdem die Provinzregierung                  Petent_innen umgedreht. Statt den Bergbau grund-
    dem kanadischen Unternehmen Meridian Gold ge-                      sätzlich zu verbieten, verhängte das Parlament ein
    nehmigt hatte, in der Nähe der Stadt Gold zu för­dern              120-tägiges Moratorium. Innerhalb dieser Zeit sollte
    (Walter/Martinez-Alier 2010; Svampa et al. 2009). Die              die Regierung einen ergebnisoffenen Diskurs über den
    Anwohner_innen fürchteten eine Vergiftung der Um-                  Bergbau anstoßen und moderieren. Allerdings sieht
    welt – vor allem des Wassers – durch Zyanid, mit dem               das Gesetz immer noch vor, dass jedes Bergbauprojekt
    das Gold aus dem Ge­stein gewaschen wird. Nach zwei                der Zustimmung in einem Bürger_innenentscheid be-
    Demonstrationen, wovon die zweite am 1. Dezember                   darf, der alle vom Projekt betroffenen Ortschaften um-
    2002 3.000 Menschen (zehn Prozent der Bevölkerung                  fasst. Die Aktivist_innen von No a la mina haben sich
    von Esquel) auf die Straße brachte, konnte das Komi-               mittlerweile mit Dutzenden Nachbarschaftskomitees
    tee No a la mina den Gemeinderat dazu bewegen, ein                 in ganz Argentinien vernetzt. Sieben der 23 Provin­zen
    lokales Referendum zu initiieren (Cúneo/Gascó 2013).               Argentiniens haben inzwischen Tagebaue auf ihrem
                                                                       Territorium verboten (Castilla 2016).
    Die Verfassung der Provinz Chubut gibt Bürger­
    meister_in und Gemeinderat die Möglichkeit, Gesetze                Nachdem die nationale Regierung unter dem kon-
    dem Volk zur Abstimmung vorzulegen. Außerdem                       servativen Präsidenten Mauricio Macri in 2016 einen
    kön­nen mindestens drei Prozent der Stimmberech-                   nationalen Pakt für Bergbau angekündigt hat, prüft
    tigten dem Rat einen Gesetzesvorschlag unter­breiten.              die aktuelle Provinzregierung von Chubut derzeit die
    Beide Verfahren sind aber nicht verbindlich, das heißt,            Durchführung einer regionalen consulta mit dem Ziel,
    der Gemeinderat kann sich über das Ergebnis hinweg­                das Gesetz von 2003 aufzuheben und industriellen
    setzen. Der Gemeinderat setzte die Abstimmung für                  Bergbau in der Region wieder zu ermöglichen (Huella
    den 23. März 2003 an. 75 Prozent der Wahlberech-                   Mi­nera 2016).
    tigten nahmen teil und stimmten mit einer Mehrheit
    von 81 Prozent gegen das Bergbauprojekt. Kurz nach                 6.3 La Colosa (Piedras, Cajamarca, Ibagué),
    der Abstimmung, obgleich sie nicht bindend war,                    Tolima, Kolumbien
    verabschiedete die Provinzregierung von Chubut ein
    Gesetz (Ley 5.001), das die Verwen­dung von Zyanid                 Im Jahr 2006 erhielt das südafrikanische Unter­nehmen
    im offenen Tagebau in der Provinz verbietet. Dieses                AngloGold Ashanti (AGA) Konzessio­nen zur Förderung
    Gesetz kommt de facto einem Moratorium für indus­                  von Gold auf dem Gebiet der Gemeinde Cajamarca
    triellen Goldbergbau gleich (Renauld 2016: 526).                   in der kolumbianischen Provinz Tolima. Seit das Pro-
    Seither ruht das Projekt, obwohl sich Meridian Gold                jekt 2007 bekannt wurde, mobilisieren eine Vielzahl
    weigerte, seine Pläne aufzugeben. Im Jahr 2007 kaufte              unterschied­licher Gruppen gegen das Projekt. Die
    Yamana Gold, ebenfalls ein Unternehmen aus Kanada,                 Allianz umfasst neben Anwohner_innen, Umwelt­
    Meridian Gold auf. Yamana startete in den folgenden                schüt­zer_innen und kleinbäuerlichen Basisorganisa­
    Jahren mehrere „Kommunikationskampagnen“, die Be-                  tionen auch lokale Politiker_innen, Unterneh­mer_in-
    völkerung und Politik von den Vorzügen des Bergbaus                nen und Wissenschaftler_innen (Dietz 2017). Sie
    überzeugen sollten – ohne großen Erfolg.16 Im Jahr                 stammen aus Cajamar­ca und den Nachbargemeinden
    2014 versuchten die Bürger_innen von Chubut, ihr                   Ibagué und Piedras. Im Jahr 2011 schlossen sie sich
    Parlament per Volkspetition zum endgültigen Verbot                 zum „Um­welt­komitee zum Schutz des Lebens“ (Comité
    offenen Bergbaus in der Provinz zu bewegen. Doch                   Ambiental en Defensa de la Vida) zusammen.
    in der Parlamentsdebatte wurde der Vorschlag der
                                                                       Die Gegner_innen des Bergbauprojektes befürchten,
    16 Der Fall ist in der globalen Datenbank für gewaltfreie Aktion   dass es ihr Wasser vergiften und damit den Klein­
    dokumentiert: http://nvdatabase.swarthmore.edu/content/esquel
                                                                       bäuer_innen und den Reisproduzent_innen – die
    -community-opposes-gold-mining-argentina-2002-2006 [letzter
    Aufruf 08.05.2017].

8
GLOCON Policy Paper • Nr. 2 • September 2017

Aktivist mit Bürgermeister Guillermo Alfonso Jaramillo (Ibagúe, Kolumbien) beim Protestmarsch für den Bürger_innenentscheid
                                                                                                       (Foto: Hanna Thiesing)

Gegend verdient auch mit mono­kulturellem Reis­anbau          Rückhaltebecken für die Entsorgung giftiger Abwässer
in Großgrundbesitz ihr Geld – ihre Lebensgrund­               entstehen, das per Tunnel mit der rund 80 Kilometer
lage nehmen könnte. Außerdem forderten sie ganz               entfernten Mine verbunden werden sollte. Ein halbes
grundsätzlich ihr Recht ein, bei lokalen und regionalen       Jahr zuvor hatten Anwohner_innen die einzige Zu-
Entwick­lungsprozessen mitentscheiden zu dürfen,              fahrt zum Dorf und den Erkundungsflächen blockiert
besonders, wenn es um die Aneignung und Nut­zung              und so das Bergbauunternehmen am Zugang dorthin
von Gemeingütern und Bodenschätzen geht. Der Pro-             gehindert. Die Blockade dauerte mehrere Wo­     chen
test dauert mittlerweile fast zehn Jahre an. Anders als       und wurde schließlich von der nationalen „Aufstands-
in Longmont und Esquel hat er sich jedoch nicht nur           bekämpfungsbrigade“ (Escuadrones Móviles Antidis-
auf eine höhere politische Ebene verlagert, sondern           turbios, ESMAD) beendet (Dietz 2017). Im Schatten
horizontal ausgebreitet. Insgesamt drei Bürger_innen­         der Blockade organisierten sich die Anwohner_innen
entscheide ha­ben die lokalen Komitees unter dem              gemeinsam mit den zum Teil außerhalb von Piedras
Slogan „Si a la Vida, No a la Mina“ (Ja zum Leben, Nein       lebenden Reis­ produzent_innen. Unterstützung er-
zur Mine) in den Nachbargemeinden der Mine initiiert.         hielten sie von NGOs und den Umweltkomitees aus
In der gesamten Zeit nutzten die Aktivist_innen auch          Caja­marca und Ibagué sowie von Pax, einer (inter-)
andere Formen, um ihren Widerstand zum Ausdruck               natio­nalen Menschenrechtsorganisation (PAX 2016).
zu bringen: Sie mobilisierten zu Protestmärschen und          Letztere berichtete den Protestakteuren von den
Straßenblockaden, organisierten Informationsveran­            Erfahrungen mit Volksabstimmungen in Esquel (Ar-
staltungen und vernetzten sich mit anderen Protest-           gentinien). Die Aktivist_innen in Piedras bereiteten
bewegungen in Kolumbien.                                      daraufhin eine consulta popular vor, unterstützt vom
                                                              Bürgermeister und schließlich auch dem Ge­meinderat.
Die erste consulta popular zur La Colosa-Mine fand
                                                              Von einer in der Landeshauptstadt Bogotá ansässigen
am 28. Juli 2013 in Piedras statt. In Piedras sollte ein

                                                                                                                        9
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking

 Organisation holten sie sich Rechtsberatung. Am 28.           für verfas­sungskonform17 und der Bürgermeister setz-
 Juli 2013 beteiligten sich 58 Prozent der Wahlberech-         te den Abstimmungstermin für den 30. Oktober 2016
 tigten an der Abstimmung. 98,8 Pro­zent stimmten ge-          fest. Doch knapp zwei Wochen vor der Abstimmung
 gen Bergbau. Obwohl die nationale Regierung und das           und in der Hochphase der Mobilisie­rung ordnete das
 Unternehmen die Ab­stimmung nicht aner­kannten mit            oberste Verwaltungsgericht (Consejo de Estado) die
 der Begründung, Bergbaugenehmigungen würden                   Aussetzung der consulta an. Vor dem Gericht hatten
 auf natio­naler, nicht auf lokaler Ebene erteilt, reagierte   mehrere Mitglieder einer Bergarbeiter_innenverei-
 das Unternehmen und änderte seine Projekt­           pläne:   nigung auf ihr Grundrecht auf Arbeit, das sie durch
 Alle Bereiche der Goldförderung (Abbau,
 Weiterverarbeitung und Entsorgung) sollten
 nun im Gemeindegebiet von Cajamarca
 angesiedelt werden (PAX 2016).

 Von diesem Erfolg motiviert, wollten die
 Umweltkomitees von Cajamarca und Ibagué
 2014 ebenfalls consultas in ihren Ge­meinden
 organisieren. In Ibagué scheiterte die erste
 Initiative, weil der damals regierende Bürger-
 meister sie nicht unterstützte. In Cajamarca
 lehnte der Gemein­derat im Februar 2015
 mit zehn zu elf Stimmen einen Bürger_in-
 nenentscheid über die Mine ab. Mitglieder
 des Umweltkomitees vermuten, dass sich
 die Ratsmitglieder vom Minenbetrei­        ber
 einschüchtern ließen. Der hatte ihnen im
 Dezember 2014 per Brief angedroht, sich
 aus al­len laufenden lokalen Entwicklungs-
 finanzierungen in der Gemeinde zurückzu-                               Mobilisierung in Ibagué, Kolumbien (Foto: Hanna Thiesing)
 ziehen, sollte es zu einer Volksab­stimmung
                                                               die geplante Abstimmung bedroht sahen, geklagt.
 kommen. Druck kam auch von der procuradoría (eine
                                                               Mitte Dezember 2016 entschied das Gericht, dass die
 Art staatliche Verwaltungs­kontrollstelle), die für den
                                                               consulta von Ibagué durchgeführt werden könne,
 Fall einer consulta ein Amtsmissbrauchsverfahren an-
                                                               wenn die zur Abstimmung gestellte Frage neu formu-
 kündigte, da der Gemeinderat für Bergbaufragen nicht
                                                               liert würde. Zuvor hatte das natio­nale Verfassungs-
 zuständig sei (Arenas 2015).
                                                               gericht ein Grundsatzurteil gefällt, wonach lokale
 Doch einige Monate später bekamen beide Ge-                   und regionale Regierungen (Gemeinden, Provinzen)
 meinden Gelegenheit für einen zweiten Anlauf.                 Bürger_innenbefragungen zu Bergbau durchführen
 In Ibagué wurde Guillermo Alfonso Jaramillo zum               dürfen, auch dann, wenn dies zu einem Verbot von
 neuen Bürgermeister gewählt, der die Pro­teste gegen
 Bergbau unterstützt. Am 4. Januar 2016 kündigte er
 eine Volksabstimmung in Iba­gué an. Am 29. Februar            17 Die Frage lautete: „Está usted de acuerdo si o no que en el
                                                               municipio de Ibagué se ejecuten proyectos mineras que impliquen
 2016 stimmte der Gemeinderat knapp, mit zehn                  contaminación de las aguas o afectación de la vocación agropecua-
 zu neun Stimmen, ebenfalls dafür. Das regionale               ria y turística del municipio?” (Sind Sie da­mit einverstanden, Ja oder
                                                               Nein, dass in der Gemeinde Ibagué Bergbauprojekte durchgeführt
 Verwaltungs­gericht erklärte die Abstimmungsfrage             werden, die das Wasser verschmutzen oder die landwirtschaftliche
                                                               und touristische Bedeutung der Gemeinde beeinträchtigen?).

10
GLOCON Policy Paper • Nr. 2 • September 2017

Bergbau in einer Gemeinde führen könnte.18 Am                      für verfassungskonform und der Bürgermeister legte
16. März 2017 kün­digte der Bürgermeister an, dem                  einen ersten Termin für Ende November 2016 fest.
Gemeinderat eine neue Frage zur Ab­stimmung vor­                   Dieser musste auf Druck des Wahlamtes wegen feh-
zulegen.19 Ob und wann es zur Abstimmung kommt,                    lender Vorbereitungszeit auf den 22. Januar 2017 ver-
ist zum Redaktionsschluss dieses Papiers unklar.                   schoben werden. In der Zwischenzeit hat das oberste
                                                                   Verwaltungsgericht auch diesen Volksentscheid,
Die Bergbaugegner_innen in Cajamarca, der Ge­
                                                                   aufgrund von Klagen des Unternehmens, ausgesetzt.
meinde, in der sich das Minenprojekt befindet, erhiel-
                                                                   Ähnlich wie im Fall von Ibagué entschied das Gericht,
ten durch die Verabschie­dung des Gesetzes 1757 im
                                                                   dass auch die consulta von Cajamarca mit veränderter
Juli 2015 zur Regelung von Volksentscheiden, die „von
                                                                   Fragestellung durchgeführt werden könne. Am 26.
unten“ initi­iert werden, eine neue Gelegenheit. Für die
                                                                   März 2017 kam es zur Abstimmung.
Initiierung eines Volksentscheids müssen mindes­tens
zehn Prozent der Wahlberechtigten die Initiative per               Obgleich Gegner_innen des Volksentscheids zum
Unterschrift unterstützen. Für Caja­marca bedeutete                Wahlboykott aufriefen, lag die Wahlbeteili­gung mit
dies, dass innerhalb von sechs Monaten 1.608 gül­                  38,6 Prozent über dem zu erreichenden Quorum (33
tige Unterschriften zu sammeln waren. Binnen zwei                  Prozent). Die consulta ist damit gültig. 97,92 Prozent
Wochen hatte das lokale Umweltkomitee über 4.800                   der Beteiligten sprachen sich gegen Bergbauprojekte
Unter­schriften gesammelt, 3.364 davon wurden vom                  in Cajamarca aus.20 Am 27. April kündigte AngloGold
Wahlamt als gültig anerkannt. Folglich musste der                  Ashanti an, aufgrund des Widerstands in Cajamarca
Bürgermeister dem Gemeinderat die Initiative vor­                  alle Arbeiten am Projekt La Colosa ruhen zu lassen – so
legen, der Ende August 2016 der Durchführung einer                 lange, bis auf nationaler Ebene Klarheit über den berg-
consulta zustimmte. Das regionale Verwal­tungsgericht              baupolitischen Kurs des Landes herrsche. Seit der Ab-
erklärte die für die Abstimmung vorgesehene Frage                  stimmung in Cajamarca kam es in Kolumbien zu weite-
                                                                   ren lokalen Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau
18 Das Urteil (Aktenzeichen T-445/16) ist nachzulesen unter        und Ölförderung: Am 4. Juni stimmten über 50 Prozent
http://www.corteconstitucional.gov.co/relatoria/2016/t-445-16.
htm [letzter Aufruf: 22.03.2017].                                  der Bevölkerung von Cumaral (Provinz Meta) gegen die
19 So berichtete die Tageszeitung El nuevo Día am 17. März 2017,
abrufbar unter http://www.elnuevodia.com.co/nuevodia/tolima/       20 Das Ergebnis im Detail hat die Wahlbehörde veröffentlicht
ibague/313781-alcaldia-de-ibague-formulara-nueva-pregunta-         unter https://wsp.registraduria.gov.co/atipicas/_BOLETI­NES/Bole-
para-consulta-popular-minera [letzter Aufruf 22.03.2017].          tin_CP_10_29022.pdf [letzter Aufruf 27.03.2017].

Mobilisierung am Tag der Abstimmung, Cajamarca, Kolumbien (Foto: Hanna Thiesing)

                                                                                                                                  11
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking

 Förderung von Öl in ihrer Gemeinde, am 8. Juli stimm-              innerhalb des Stadtgebietes nach Öl gebohrt werden
 ten die Bürger_innen in den Gemeinden Pijao (Provinz               dürfe, zwei Jahre später erhielt Macpherson dafür den
 Quindio) und Arbeláez (Provinz Cundinamarca) gegen                 Zuschlag. 1992 erlaubte die Stadtverwaltung dem
 Bergbau und Ölförderung in ihren Gemeinden (El                     Unternehmen, vor der Küste weitere 30 Bohr­stellen
 Espectador 2017). Weitere Gemeinden wollen den                     zu errichten. Doch als 1998 eine Studie der staatlichen
 gleichen Weg gehen. Die wachsende Zahl an lokalen                  Küstenschutzkommission (Cali­     fornia Coastal Com-
 Volksentscheiden hat dazu geführt, dass in Kolumbien               mission) die ökologischen Risiken des Projekts offen­
 derzeit über Bergbau neu verhandelt wird. Seit der                 legte23, beschloss der Stadtrat, das Projekt zu stoppen.
 consulta in Cajamarca im März 2017 ist eine hitzige                Macpherson verklagte die Stadt. Es dauerte zwölf
 Debatte zwischen Jurist_innen, der Regie­rung, dem                 Jahre, bis der Prozess endete. Das Berufungsgericht
 Ministerium für Bergbau und sozialen Bewegungs-                    gab Hermosa Beach 2010 Recht. Die Frage, ob die be­
 akteuren über die Legalität und Verbindlichkeit von                fürchteten Risiken als Grund für den Stopp ausreichten,
 direktdemokratischen Instrumente mit Bergbaube­zug                 verwies es jedoch an ein Geschwore­nengericht. Bis
 ausgebrochen (Valencia 2017)21. In diesem Rahmen                   zu 750 Millionen US-Dollar Schadensersatz verlangte
 hat die Regierung eine Gesetzes­initiative angekündigt,            Macpherson – das ent­spricht etwa dem 20-fachen
 die die direktdemokratische Beteiligung im Bereich                 Jahresbudget der Stadt.
 Bergbau neu regeln, d.h. einschränken soll.
                                                                    Vor diesem Hintergrund trat der Stadtrat in Verhand-
                                                                    lungen mit dem Unternehmen. 2012 ge­lang es ihm,
 6.3 Hermosa Beach, Kalifornien, USA                                eine Einigung zu erzielen. Die Ölfirma E&B Natural Re-
                                                                    sources Manage­ment Corp. übernahm Macphersons
 Der kleine Ort liegt nahe Los Angeles am Rande des                 Förderrechte für 30 Millionen US-Dollar – 12,5 Milli-
 größten vermuteten Ölschieferfelds der USA, dem                    onen zahlte sie selbst und 17,5 Millionen lieh sie der
 Monterey Shale, ist aber auch berühmt und beliebt                  Stadt für deren Anteil an der Entschädigung – und
 wegen seiner Natur. Hermosa Beach lebt wesentlich                  versprach, nur noch in einem Bereich des Stadtgebiets
 vom Tourismus. Widerstand gegen Ölförderaktivitäten                und mit einer sichereren Bohrme­thode als Macpher-
 hat in der südka­lifornischen Stadt eine lange Tradition.          son Öl zu fördern. Über diesen Vorschlag sollte ein
 Bereits 1932 beschlossen die Bürger_innen in einer                 Bürger_innenentscheid stattfinden, dessen Kosten
 Volksabstimmung, jegliche Öl- und Gasförderung                     E&B übernahm. Wenn die Bürger_innen den Vor-
 vor die Stadtgrenzen zu verbannen.22 Grund waren                   schlag annähmen, würde E&B der Stadt 14 Milli­­onen
 verrottende ehemalige Ölförderstätten, die Luft und                US-Dollar erlassen und ihr erlauben, die restlichen 3,5
 Wasser verschmutzten und die Le­bensqualität in dem                Mil­lionen mit den Tantiemen am geförderten Öl zu
 Ort stark einschränkten.                                           verrechnen.24 Am 3. März 2015 fand die Ab­stimmung
 Erst 44 Jahre später versuchte die Firma Macpherson                statt. Obwohl die „Ja“-Kampagne 16-mal so viel Geld
 Oil Co. erstmals, das Verbot zu überwin­den, scheiterte            wie die Nein-Kampagne aus­gab, scheiterte das Projekt
 aber. 1984 initiierte das Unternehmen zwei Bürger_in-              deutlich. 79,5 Prozent der Bürger_innen stimmten mit
 nenentscheide, die das Verbot aufweichen sollten. Die              Nein. Damit ist das Ölförderverbot in Hermosa Beach
 Bürger_innen stimmten dafür, dass an zwei Stellen                  wieder hergestellt.

 21 http://sostenibilidad.semana.com/medio-ambiente/articulo/
 cumaral-segun-la-industria-petrolera-los-resultados-no-son-vali-
 dos/37956 [letzter Aufruf 12.07.2017].                             23 Die Studie der kalifornischen Küstenkommission (California
                                                                    Coastal Commission) ist abrufbar unter https://www.coa­stal.
 22 Die Stadtverwaltung von Hermosa Beach hat die Ereignisse in
                                                                    ca.gov/pdf/e9628.pdf [letzter Aufruf 10.05.2017].
 einer Chronologie zusammengefasst, abrufbar unter: http://www.
 hermosabch.org/modules/showdocument.aspx?documentid                24 https://en.wikipedia.org/wiki/Hermosa_Beach_oil_drilling_
 =1660 [letzter Aufruf 08.05.2017].                                 controversy [letzter Aufruf 15.08.2017].

12
GLOCON Policy Paper • Nr. 2 • September 2017

7 BEDINGUNGEN FÜR DIREKTE DEMOKRATIE                      Die Kommunen bzw. Provinzen genießen grundsätz-
IN KONFLIKTEN UM BERGBAU UND FRACKING                     lich die Regelungskompetenz für alles, was nicht auf
                                                          höherer Ebene entschieden wird – in Argentinien
                                                          ausdrücklich auch für Genehmigungen von Bergbau­
7.1 Politisch-institutionelle Bedingungen                 projekten. Deshalb vermischte sich der Kampf gegen
und Gelegenheiten                                         die Extraktionsprojekte in beiden Staaten bald mit
                                                          einem grundsätzlichen Kampf um lokale Autonomie
In allen betrachteten Kommunen sind Bürger_in-            und (lokale) demokratische Selbstbestimmung. In
nenentscheide gesetzlich verankert – in den latein­       Longmont und Esquel verlagerte sich dadurch die
amerikanischen Staaten allerdings oftmals nur als         politische Auseinandersetzung und veränderte ihren
„halbdirekte“ Demokratie. Hier müssen die Bürger_in-      Fokus. Je höher die politische Ebene, auf der der
nen ihre lokalen Repräsentant_innen überzeugen,           Streit ausgetragen wurde, desto mehr ging es den
eine Volksabstimmung anzuset­     zen. Erst mit der       Bürger_innen um ihr grundsätz­liches Recht auf Mit-
Gesetzesänderung von 2015 können Bürger_innen in          sprache. Der Fall Hermosa Beach zeigt, wie wichtig
Kolumbien selbst Volksentscheide iniitieren. Dagegen      es für den Erfolg der Strategie ist, dass sie auf allen
blicken die USA auf eine lange Tradition der direkten     politischen Ebenen und auch vom betroffenen Unter-
Demokratie auf loka­ler Ebene zurück. Gerade in Kali-     nehmen re­spektiert wird. Dort hat das Unternehmen
fornien sind es die Menschen gewöhnt, über wichtige       selbst den Bürger_innenentscheid finanziert und sein
Fragen auch direkt abstimmen zu können. Dagegen           Ergebnis akzeptiert. Die direkte Demokratie ist so stark
gaben in Kolumbien, wo die Instrumente relativ neu        im öffentlichen Bewusstsein verankert, dass sie auch
sind, Berichte von erfolgreichen Volksabstimmungen        von den Verlierer_innen der Abstimmung als legitim
anderswo den Ausschlag, sich die­    ses Instrumentes     betrachtet wird.
zu bedienen. Für die USA und Argentinien kommt
                                                          Neben der Tradition entscheidet die Bürger_in-
hinzu, dass sie relativ stark föderal organisiert sind.
                                                          nennähe der Justiz über die Durchsetzung lokaler

Protagonisten des Bürger_innenentscheids in Cajamarca, Kolumbien am Tag der Abstimmung
(Foto: Hanna Thiesing)
                                                                                                                13
Mit Bürger_innenentscheiden gegen Bergbau und Fracking

 Volksab­stimmungen. Während im kolumbianischen               vereinnahmen. Dann wird es ihnen wie in Longmont
 Fall das Verfassungsgericht mehrfach für die Minen-          aus der Hand genommen und in Hinterzimmern wer-
 gegner_innen entschied, scheiterten die Bürger_in-           den Kompromisse geschlossen, ohne die loka­l Aktiven
 nen von Longmont immer wie­der vor Gericht.                  einzubinden.

 7.2 Strategische Partner aus Wirtschaft und                  7.3 Ressourcen
 Politik
                                                              Als wichtige Ressourcen für Protestakteure, die direkt-
 Den Initiativen hat es sehr geholfen, wenn sie Bünd-         demokratische Instrumente in Kon­flikten um Bergbau
 nisse mit der lokalen Wirtschaft eingehen konnten.           und Fracking einsetzen, erwiesen sich der Zugang zu
 In Esquel und Hermosa Beach mobilisierte auch                (unabhängigen) Informationen, Zeit und Vernetzung.
 die Touris­musbranche gegen die Förderlizenzen, in
                                                              Eine wichtige Rolle spielte, dass die Aktivist_innen
 Piedras die Großgrundbesitzer_innen und der Ver-
                                                              über ausreichend Zeit und Raum verfügten, sich regel­
 band der Reisproduzent_innen, während in Longmont
                                                              mäßig zu treffen. Sie organisieren sich zunächst als
 kein Wirtschaftszweig vorherrschte, der sich vom
                                                              Nachbarschaftskomitees, oft kannten sich zumindest
 Fracking bedroht fühlte. Im Gegenteil – die sehr gut
                                                              einige Gruppenmitglieder schon vorher persönlich.
 organisierte Ölindustrie Colorados wurde auch auf
                                                              In allen vier dargestellten Fäl­len entzündete sich der
 lokaler Ebene gehört. Dort stellte sich die lokale Politik
                                                              Protest, weil die Menschen wussten oder erfuhren,
 schnell gegen die Bürger_innengruppen. Die konnten
                                                              welche ökologi­schen Folgen und Auswirkungen auf
 zwar zu Beginn ihrer Kampagne durch massive lokale
                                                              ihre Lebensgrundlagen die Extraktion von Rohstoffen
 Aktionen die Gemeinde dazu bewegen, Maßnahmen
                                                              hat und welche konkreten Plänen zum Rohstoffabbau
 gegen Fracking zu ergreifen. Die Justiz urteilte jedoch
                                                              es in ihrer unmittelbaren Umgebung gab. Eine wich-
 wiederholt gegen die lokale Selbstbestimmung
                                                              tige Rolle bei der Mobilisierung spielten Berichte von
 und verwies die Entscheidung über Fracking auf die
                                                              Unfällen oder permanenten Umweltverschmutzungen
 bundes­staatliche Ebene, wo die Frackinggegner_in-
                                                              anderswo. Dabei fokussierten sie sich entweder auf die
 nen in einem Machtkampf innerhalb der regieren­den
                                                              Fördertech­nologie, die in ihrer jeweiligen Kommune
 Demokratischen Partei zerrieben wurden.
                                                              zum Einsatz kommen sollte (Longmont, Esquel) oder
 Für den Erfolg der betrachteten Initiativen war ent-         auf das Unterneh­men, das das konkrete Projekt plante
 scheidend, dass die politischen Institutionen vor Ort        (Hermosa Beach, La Colosa).
 das eindeutige „Nein“ im Bürger_in­      nenentscheid
                                                              Diese Informationen ka­  men weder von staatlichen
 mittrugen – und zwar weitgehend unabhängig von
                                                              Stellen noch von den Bergbauunternehmen selbst,
 der Verbindlichkeit des Ver­fahrens. Obwohl in Long-
                                                              sondern von in­   formierten Anwohner_innen oder
 mont das Verfahren gut geregelt und lange etabliert
                                                              Umweltgruppen. Dadurch war das Vertrauen in die
 war, konnte die Justiz den Bürger_innenentscheid
                                                              Institutionen so beeinträchtigt, dass die Menschen
 kippen und die Bewegung gegen Fracking und für
                                                              begannen, sich zusätzliche In­     formationen von
 mehr de­  mokratische Mitbestimmung letztlich zum
                                                              außer­halb zu beschaffen und sich zu organisieren.
 Erliegen bringen. Dagegen schafften es die gut ver­
                                                              Informationsveranstaltun­gen der Unternehmen, auf
 netzten Aktivist_innen von Esquel, Goldtagebau
                                                              denen die Gefahren heruntergespielt wurden, ver-
 aus ihrer Provinz bis dato zu verbannen, ob­wohl die
                                                              stärkten dies eher noch, als dass sie zur Beruhigung
 Ergebnisse der Abstimmungen offiziell nicht bindend
                                                              beitrugen. Alle Gruppen eint ein festes Misstrauen in
 sind. Eher negativ wirkt es sich dagegen aus, wenn die
                                                              die Verlautbarungen der Bergbaubefürworter_innen.
 Initiativen in Wahlkämpfe geraten oder Politiker_in-
                                                              Lernprozesse, die weitgehend autonom von staatlichen
 nen der regionalen oder nationalen Ebene das Thema

14
Sie können auch lesen