Nahrungsmittelintoleranz im Säuglings- und Kindesalter

 
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Nahrungsmittelintoleranz im Säuglings- und Kindesalter
Schwerpunkt

Nahrungsmittelintoleranz
im Säuglings- und Kindesalter

          Während bei Nahrungsmittelallergien ein immunologischer Prozess zu-
          grunde liegt, beruhen Nahrungsmittelintoleranzen auf metabolischen und
          osmotischen Mechanismen sowie pharmakologischen Wirkungen, deren
          Pathophysiologie in vielen Fällen noch nicht vollständig geklärt ist. In die-
          sem Artikel geht es um Kohlehydratintoleranzen, zum Beispiel gegenüber
          Laktose, und nicht IgE-vermittelten Immunreaktionen wie FPIAP, FPIES und
          FPE.

Von Pascal Müller1 und Johannes Spalinger2

                                        ahrungsmittel werden häufig als Auslöser gas-       ten Reaktionen zählt auch die Zöliakie, welche zu den

                              N         trointestinaler Beschwerden vermutet, sowohl
                                        bei Kindern als auch bei Erwachsenen (1, 2). Dies
                                        führt zu Nahrungseinschränkungen oder zu
                               selbst auferlegten Diäten. Im Säuglings- und Kindesalter,
                               aufgrund des verhältnismässig grossen Bedarfs an Makro-
                                                                                            autoimmunen Erkrankungen gehört.
                                                                                            Nahrungsmittelintoleranzen entstehen auf der Basis me-
                                                                                            tabolischer und osmotischer Mechanismen (z.B. Fruk-
                                                                                            tose- oder Laktoseintoleranz) oder durch pharmakologi-
                                                                                            sche Wirkungen (z.B. Histaminintoleranz). Bei einigen
                               und Mikronährstoffen, bedeutet dies ein potenzielles Ri-     dieser Reaktionen sind die pathophysiologischen Mecha-
                               siko für eine Fehl- oder Mangelernährung. Bei Verdacht       nismen nicht vollständig geklärt.
                               auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit ist diese Dia-
                               gnose daher genau zu prüfen, um dann eine bedarfsge-         Laktoseintoleranz
                               rechte und spezifische Diät durchzuführen und das Kind       Die wohl am häufigsten vorkommende Kohlehydratun-
                               vor einer unnötigen Nahrungseinschränkung zu schützen.       verträglichkeit ist die Laktoseintoleranz. Physiologischer-
                               Nahrungsmittel können auf unterschiedlichem Weg Un-          weise wird Laktose durch das Enzym Laktase hydrolysiert
                               verträglichkeitsreaktionen auslösen (Abbildung 1). Nah-      und als Glukose und Galaktose im Dünndarm resorbiert.
                               rungsmittelallergien sind immunologisch vermittelt und       In der Terminologie muss zwischen der Laktosemal-
                               werden in die klassische Allergie vom Soforttyp (IgE-ver-    absorption und der Laktoseintoleranz unterschieden
                               mittelt) und den Typ verzögerter Reaktionen (nicht IgE-      werden.
                               vermittelt) unterteilt. Zu den immunologisch vermittel-      Bei der Laktosemalabsorption führt eine verminderte
                                                                                            Hydrolyse des Disaccharids Laktose zu einer einge-
                                                                                            schränkten intestinalen Absorption von Glukose und Ga-
                                                                                            laktose (Abbildung 2). Die Symptome der Laktoseintole-
                                                                                            ranz entstehen, weil die nicht aufgenommene Laktose in
                                                                                            den Dickdarm gelangt und dort infolge bakterieller Fer-
                                                                                            mentierung Blähungen, Bauchschmerzen, Flatulenz und
                                                                                            Durchfälle verursacht.
                                                                                            Die Ursachen einer Laktoseintoleranz sind unterschied-
                                                                                            lich, und es ist wichtig, zwischen einer primären (gene-
                                                                                            tisch determinierten), sekundären und kongenitalen
                                                                                            Form der Laktoseintoleranz zu unterscheiden (Tabelle 1).
                                                                                            Eine kongenitale Laktoseintoleranz (Alactasie) ist äus-
                                                                                            serst selten und manifestiert sich bereits im Säuglingsal-
                                                                                            ter mit profuser Diarrhö.
                                                                                            Primäre Laktoseintoleranz: Die adulte (primäre) Laktose-
                                                                                            malabsorption ist die häufigste Form der Laktose-

                                                                                            1
Abbildung 1: Klassifizierung der Nahrungsmittelunverträglichkeiten;                             Pädiatrische Gastroenterologie Ostschweizer Kinderspital
                                                                                            2
NCGS: non celiac gluten sensitivity                                                             Pädiatrische Gastroenterologie Kinderspital Luzern LUKS

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Nahrungsmittelintoleranz im Säuglings- und Kindesalter
Schwerpunkt

intoleranz. Die Prävalenz variiert je nach ethnischem
Hintergrund mit einem sehr seltenen Vorkommen in
Skandinavien und einer Zunahme der Häufigkeit in Rich-
tung Mittelmeerraum (3). Die Laktasepersistenz bezie-
hungsweise die Verträglichkeit des Milchzuckers bis ins
Erwachsenenalter hat sich im Laufe der Evolution als
Polymorphismus in der regulatorischen Region des Lak-
tasegens (LCT) entwickelt. An Position –13910 besteht
ein Tyrosin/Cytosin-(T/C-)Polymorphismus, wobei die
TC- und TT-Genotypen mit Laktasepersistenz verbunden
sind.
Sekundäre Laktoseintoleranz: Da die Laktase an der
Spitze der Dünndarmzotten exprimiert wird, führen ver-
schiedene Erkrankungen, welche mit einer Schädigung
der Dünndarmmukosa einhergehen, zu einer sekun-
dären Laktosemalabsorption. Als selbstlimitierendes          Abbildung 2: Laktosemalabsorption und Laktoseintoleranz
Phänomen wird dies am häufigsten nach akuten in-
fektiösen Gastroenteritiden beobachtet, aber auch bei
einer unbehandelten Zöliakie, chronisch entzündlichen
Darmerkrankungen mit Dünndarmbeteiligung oder im             high fructose corn syrup, HFCS), welcher in der Nah-
Zusammenhang mit einer bakteriellen Dünndarmfehlbe-          rungsmittelindustrie als günstiger Süssstoff häufig ver-
siedelung.                                                   wendet wird, sowie Früchte und Fruchtsäfte.
Diagnostik bei Verdacht auf Laktosemalabsorption: Beim       Die Absorption der Fruktose hat eine individuell unter-
H2-Atemtest wird nach oraler Einnahme von Laktose            schiedliche Sättigungsschwelle. Im Dünndarm wird Fruk-
(üblicherweise 2 g Laktose/kg KG, max. 50 g) die Was-        tose in einem gemeinsamen Transportmechanismus mit
serstoffkonzentration (alternativ Methankonzentration)       der Glukose aufgenommen (Abbildung 3). Dabei ist GLUT-
in der Ausatemluft über einen Zeitraum von 2 bis 3 Stun-     5 ein glukoseunabhängiger, sättigbarer Transporter und
den gemessen, und parallel werden allfällige Symptome        GLUT-2 ein glukoseabhängiger Co-Transporter mit grosser
notiert. Ein sehr früher Anstieg der H2-Konzentration,       Kapazität. Somit kann der Fruchtzucker, wenn
verbunden mit gastrointestinaler Symptomatik, ist ein        gemeinsam mit Traubenzucker konsumiert, einfacher
Hinweis für eine bakterielle Dünndarmfehlbesiedelung,        resorbiert werden (5). Die intestinale Fruktosemalabsorp-
während bei der Laktoseintoleranz die H2-Konzentration       tion darf nicht mit der hereditären Fruktoseintoleranz ver-
erst nach 1 bis 3 Stunden steigt (4).                        wechselt werden, bei welcher es aufgrund eines Mangels
Die Bestimmung des genetischen Polymorphismus ist in         an Aldolase-B zu schweren metabolischen Veränderungen
der Pädiatrie nicht sinnvoll, da sich die primäre Laktose-   wie Hypoglykämien, Erbrechen und Diarrhö kommt.
intoleranz in dieser Altersgruppe selten manifestiert und    Diagnostik: Für die Diagnose einer Fruktosemalabsorp-
sekundäre Formen übersehen würden.                           tion steht ein Atemtest zur Verfügung, welcher nach
Hinweis: Hat sich im Auslassversuch oder H2-Atemtest         demselben Prinzip wie der Laktoseatemtest funktioniert
eine Laktoseintoleranz bestätigt, sollte eine sekundäre      (4, 7).
Form durch die entsprechende Labordiagnostik (inkl. Zö-      Behandlung: Therapeutisch muss auch bei Fruktosemal-
liakieserologie) ausgeschlossen werden.                      absorption nicht komplett auf fruktosehaltige Lebens-
Behandlung bei Laktoseintoleranz: In der Regel genügt        mittel verzichtet werden, denn auch hier soll die indivi-
die Reduktion des Milchzuckers bis zur individuellen         duelle Toleranzschwelle ausgetestet werden. Nebst
Toleranzschwelle, ein vollständiger Laktoseverzicht ist      Fruktose und Saccharose werden auch Sorbit, Mannit
meist nicht notwendig (5). Wichtig ist, darauf zu achten,    und andere Zuckeralkohole und -austauschstoffe nicht
dass bei Weglassen tierischer Milchprodukte eine aus-        gut vertragen.
reichende Kalziumversorgung garantiert wird. Der Le-
bensmittelmarkt bietet eine grosse Zahl laktosefreier
Produkte an, womit ein genereller Verzicht auf Milch-
produkte nicht gerechtfertigt scheint. Ältere Kinder und
Jugendliche können vor dem Konsum laktosehaltiger              Tabelle 1:
Nahrungsmittel ein Enzymersatzprodukt einnehmen (in            Formen der Laktoseintoleranz (Laktasemangel)
der Schweiz Lacdigest®, 1 Tablette pro ca. 5 g Laktose),
um die Folgen des Laktosekonsums zu mindern.                   Kongenital (Alactasie)               Sehr selten!
                                                                                                    Schwere wässrige Diarrhö ab Beginn der Säuglingsernährung
                                                                                                    (Muttermilch, Formula)
Fruktosemalabsorption
                                                               Primär (adulte Form, Hypolactasie)   Sehr häufig!
Die Symptome einer Fruktosemalabsorption unterschei-
                                                                                                    Symptome meist erst ab dem Schulalter (physiologischer
den sich nicht von denjenigen einer Laktoseintoleranz
                                                                                                    Alterungsprozess)
(5). Fruktose ist ein Monosaccharid, dessen Konsum in          Sekundär (bei Enteropathie)          In jedem Alter
westeuropäischen Ländern in den vergangenen Jahr-                                                   Zöliakie, postenteritisches Syndrom, M. Crohn, Giardiasis, SIBO
zehnten stark zugenommen hat (6). Hauptquellen unse-                                                (small intestinal bacterial overgrowth, Dünndarmfehl-
res Fruktosekonsums sind Haushaltszucker (Saccharose,                                               besiedelung) u.a.
bestehend aus Glukose und Fruktose), Maissirup (z.B.

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Nahrungsmittelintoleranz im Säuglings- und Kindesalter
Schwerpunkt

Abbildung 3:
                                                                                           und auch vor Beginn der Beikosteinführung auftreten
Absorption von Zuckermolekülen
im Darm. (A) Ohne funktionierende                                                          können (siehe Tabelle 2):
Laktase wird das Disaccharid Lak-                                                          1. FPIAP: durch Nahrungsproteine induzierte allergi-
tose von den Enterozyten im Darm                                                              schen Proktokolitis (food protein induced allergic
nicht absorbiert. (B) Die Aufnahme                                                            proctocolitis)
der Monosaccharide Glukose, Ga-                                                            2. FPIES: durch Nahrungsproteine induziertes Entero-
laktose und Fruktose ist von mehre-                                                           kolitissyndrom (food protein induced enterocolitis
ren Transporterproteinen der Ente-                                                            syndrome)
rozyten abhängig. Glukose und                                                              3. FPE: durch Nahrungsproteine induzierte Enteropathie
Galaktose werden über den
                                                                                              (food protein enteropathy).
Natrium/Glukose-Co-Transporter 1
(SGLT-1) in den Enterozyten aufge-
                                                                                           FPIAP
nommen, Fruktose über den gluko-
seunabhängigen, sättigbaren Trans-                                                         Die durch Nahrungsprotein induzierte allergische Prok-
porter GLUT-5. Die Monosaccharide                                                          tokolitis (FPIAP) tritt mit einer Prävalenz von zirka
werden aus den Enterzyoten via                                                             0,16 Prozent im Säuglingsalter auf und gilt als transiente
GLUT-2, einem glukoseabhängigen                                                            Erscheinung mit guter Prognose (11). Hauptsymptom
Co-Transporter mit grosser Kapazi-                                                         sind Blutbeimengungen im Stuhl bei Säuglingen in gu-
tät, ins Blut abgegeben.                                                                   tem Allgemeinzustand, welche nach Weglassen des aus-
                                                                                           lösenden Proteins innerhalb von zirka einer Woche ver-
                                                                                           schwinden. Die Blutbeimengungen treten in der Regel in
                               FODMAP                                                      den ersten 2 bis 8 Lebenswochen auf, in vereinzelten
                               Bei funktionellen gastrointestinalen Beschwerden wie        Fällen bereits kurz nach der Geburt und bei 80 Prozent
                               dem Reizdarmsyndrom konnten vor allem bei Erwachse-         der Säuglinge innerhalb der ersten 6 Monate (12–14).
                               nen erfreulich gute Therapieerfolge mit einer sogenann-     Die Pathophysiologie der FPIAP ist unklar. Es scheint eine
                               ten FODMAP-armen Diät erzielt werden (8). Dabei steht       lokale immunologische Reaktion vorzuliegen. Das typische
                               das Akronym FODMAP für fermentierbare Oligo-,               Merkmal ist eine ausgeprägte noduläre Hyperplasie bei der
                               Di- und Monosaccharide sowie Polyole, welche bei die-       Kolonoskopie und Eosinophilie in der Kolonbiopsie.
                               ser Diät reduziert eingenommen werden müssen. Nach          Neuere Studien weisen darauf hin, dass ein verändertes
                               4 Wochen Karenzphase werden einzelne Nahrungsmit-           Mikrobiom möglicherweise ein entscheidender Faktor
                               telgruppen sequenziell wieder in den Speiseplan einge-      ist, denn bei Säuglingen mit FPIAP wurden weniger Bi-
                               führt, um auch hier die individuelle Toleranzschwelle       fidobacterium spp., Bacteroides fragilis und Lactobacil-
                               beziehungsweise Unverträglichkeit auf einzelne Nah-         lus/Enterococcus spp. im Vergleich zu Kontrollpersonen
                               rungsgruppen ermitteln zu können (9). Derzeit ist die       gefunden. In einer Studie schien die Zugabe des Probio-
                               Datenlage in der Pädiatrie ungenügend, um eine solch        tikums Lactobacillus rhamnosus GG zusammen mit einer
                               einschneidende Diät rechtfertigen zu können.                Ernährung aus weitgehend hydrolysierter Kaseinformula
                                                                                           zu einer schnelleren Symptomlösung zu führen als die
                               Nicht IgE-vermittelte gastrointestinale                     alleinige hypoallergene Formula (15, 16).
                               Nahrungsmittelallergien                                     Klinische Merkmale: Das Hauptmerkmal der FPIAP ist
                               Im Gegensatz zur IgE-vermittelten Nahrungsmittelall-        Blut im Stuhl – mit oder ohne Schleim – bei einem ge-
                               ergie beschränken sich die Symptome der nicht IgE-ver-      sunden Säugling mit normalem Gedeihen. Selten wird
                               mittelten Nahrungsmittelallergie fast ausschliesslich auf   Durchfall beobachtet, und die Symptome entwickeln
                               den Magen-Darm-Trakt. Bei der nicht IgE-vermittelten        sich in der Regel allmählich. FPIAP tritt sowohl bei ge-
                               Nahrungsmittelallergie manifestieren sich die Symptome      stillten als auch bei Säuglingen mit Formula auf (Kuh-
                               typischerweise verzögert und treten oft erst mehrere        milch- oder Sojabasis). Kuhmilch scheint der häufigste
                               Stunden nach Einnahme des Nahrungsmittels auf. Anders       Auslöser der FPIAP zu sein, gefolgt von Soja und Ei. Bei
                               als bei IgE-vermittelten Lebensmittelallergien stehen bei   gestillten Säuglingen verschwanden die Symptome nach
                               nicht IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien keine spe-   Eliminierung von Kuhmilch (bei 65%), Ei (bei 19%), Mais
                               zifischen Testverfahren zur Verfügung. Sie werden daher     (bei 6%) und Soja (bei 3%), wobei bei 5 Prozent der
                               rein klinisch diagnostiziert, basierend auf der Anamnese,   Säuglinge mehrere Nahrungsmittelauslöser vorhanden
                               den Symptomen und dem vermuteten Zusammenhang               waren (17–19).
                               mit einzelnen Lebensmitteln. Die Diagnose wird mit Bes-     Diagnose: Blutige Stühle bei einem gesund wirkenden
                               serung der Symptome nach Nahrungsmittelkarenz und           Säugling und Verschwinden der Blutbeimengungen
                               Wiederauftreten nach einer erneuten Provokation gesi-       nach Weglassen des vermuteten Nahrungsmittelpro-
                               chert.                                                      teins. Eine probatorische Wiederbelastung mit intaktem
                               Nicht IgE-vermittelte gastrointestinale Nahrungsmittel-     Kuhmilchprotein wird nach 2- bis 4-wöchiger Elimina-
                               allergien haben eine günstige Prognose, denn bei der        tionsdiät empfohlen.
                               Mehrheit der Kinder verschwinden die Symptome bis           Die Allergiediagnostik, welche nicht routinemässig indi-
                               zum Alter von 3 bis 5 Jahren.                               ziert ist, ist bland, Pricktest und IgE-vermittelte Sensibili-
                               Die folgenden Abschnitte erläutern die Klassifizierung,     sierung sind meist negativ.
                               die Pathophysiologie, die Diagnose und die Behandlung       Differenzialdiagnosen: idiopathische neonatale tran-
                               der nicht IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergiesyn-       siente Kolitis, Analfissuren, nekrotisierende Enterokolitis,
                               drome (10). Grundsätzlich werden drei Formen unter-         Infektionen, gastrointestinale Obstruktionen und Gerin-
                               schieden, welche bereits in den ersten Lebensmonaten        nungsstörungen.

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Schwerpunkt

Allergenkarenz: Die Intervention beinhaltet typischer-      repetitives Erbrechen 1 bis 4 Stunden nach Einnahme des
weise die Eliminierung von Kuhmilchproteinen in der         verdächtigen Nahrungsmittels – und 3 der folgenden
mütterlichen Ernährung und/oder den Wechsel auf eine        Nebenkriterien: Lethargie, Hypotonie, Hypothermie, aus-
extensiv hydrolysierte Säuglingsformula. Sichtbare rek-     geprägte Blässe, Durchfälle, Bedarf einer Notfallauf-
tale Blutbeimengungen verschwinden in der Regel in-         nahme oder Bedarf an intravenöser Flüssigkeit.
nerhalb von 3 bis 4 Tagen. Es wird empfohlen, weiter zu     Eine Endoskopie mit Biopsie ist zur Diagnosesicherung
stillen, auch wenn nach Elimination der Kuhmilch in der     eines FPIES nicht notwendig. Fehlendes Fieber und eine
mütterlichen Ernährung die Blutung anhält. In diesen        schnelle Erholung (innerhalb von Stunden) sprechen
Fällen kann die Elimination anderer Lebensmittel wie        eher für das Vorliegen eines FPIES. Im Labor fällt gele-
Soja, Ei, Weizen oder Reis erwogen werden, allerdings       gentlich eine Leukozytose auf, und in schweren Fällen
unter Dokumentation der Symptome. Wenn trotz erwei-         wird neben einer metabolischen Azidose auch eine Met-
terter Eliminationsdiät die Symptome nicht verschwin-       hämoglobinämie festgestellt.
den, sollte bei einem ansonsten gesunden Säugling be-       Zwischen den Episoden sind die Kinder vollständig be-
rücksichtigt werden, dass auch ohne Änderung der            schwerdefrei. Eine verzögerte Diagnosestellung ist nicht
mütterlichen Ernährung ein spontanes Verschwinden           ungewöhnlich. Im Durchschnitt erfolgt die korrekte Dia-
der Blutung (20) beobachtet werden kann.                    gnose eines FPIES erst nach 2 bis 10 Episoden. Die All-
Bei mit Formula ernährten Säuglingen wird in erster Linie   ergiediagnostik ist meist negativ (Pricktest und spezifi-
die Verwendung einer extensiv hydrolisierten Säuglings-     sche IgE). Eine genaue Anamnese soll allfällige Auslöser
formula empfohlen und bei fehlendem Ansprechen der          eruieren und zu einer strikten Karenz der entsprechen-
Wechsel auf eine aminosäurenbasierte Formulamilch.          den Nahrungsmittel führen.
Wiedereinführung der Nahrung: In den meisten Fällen         Es sind Formen eines chronischen FPIES bekannt, wobei
kann die Wiedereinführung vor dem ersten Lebensjahr         Symptome wie Erbrechen, Durchfall und Gedeihstörung
erfolgen. Bei Wiederauftreten von Symptomen wird ein        bei Kindern unter Kuhmilch- oder Sojaformula im Vor-
erneuter Versuch erst nach 6 (bis 12) Monaten empfoh-       dergrund stehen.
len. Wenn aus der Anamnese keine Hinweise auf eine          Differenzialdiagnosen: Die Differenzialdiagnosen eines
frühere Sofortreaktion vorliegen, kann die Nahrungsein-     schweren FPIES umfassen in erster Linie Sepsis oder ana-
führung schrittweise zu Hause erfolgen.                     phylaktischen Schock und gastrointestinale Erkrankun-
Prognose: Die Krankheit ist selbstlimitierend, und die      gen wie Invagination, Volvulus, Pylorusstenose, nekroti-
Prognose ist gut. Nur ein kleiner Teil der Säuglinge ent-   sierende Enterokolitis, entzündliche Darmerkrankungen
wickelt ein Rezidiv beziehungsweise eine Kuhmilchpro-       oder Zöliakie.
tein- oder sonstige Nahrungsmittelallergie.                 Akutbehandlung: Die grösste Bedrohung beim akuten
Eine Toleranzentwicklung ist in der Regel bis zum Alter     FPIES ist der hypovolämische Schock und das anhaltende
von 1 bis 3 Jahren zu erwarten. Prognostisch günstig        Erbrechen. Eine rasche intravenöse Flüssigkeitszufuhr
scheinen ein frühes Auftreten der Symptome und eine         und eine engmaschige Kreislaufüberwachung in einem
blande Atopieanamnese zu sein, vor allem beim gestill-      geeigneten Umfeld (Intensivstation) sind daher entschei-
ten Kind (21, 23, 24).                                      dend. Medikamentös hilft die Gabe von Ondansetron als
                                                            Antiemetikum, vor allem bei milden und mittelschweren
FPIES                                                       Verläufen.
Das mit Nahrungsmittelprotein assoziierte Enterokolitis-
syndrom (FPIES) präsentiert sich typischerweise bei Säug-
lingen unter 9 Monaten (median 5–7 Monate). Klini-
sches Hauptmerkmal ist repetitives Erbrechen mit
teilweise bedrohlich reduziertem Allgemeinzustand.
Als Auslöser kommen im frühen Säuglingsalter vor allem        Tabelle 2:
Kuhmilchproteine oder Soja infrage. Nach Einführung           Vergleich der nicht IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien
der Beikost sind es, gemäss der traditionellen Reihen-
                                                                                    FPIES                    FPIAP                FPE
folge der Beikosteinführung, eine Vielzahl anderer Nah-
                                                              Hauptsymptome         repetitives Erbrechen,   Blut im Stuhl bei    chronische Diarrhö mit
rungsmittel wie Getreide, Hafer, Reis, Fisch, Ei und Ge-
                                                                                    schockartige akute       «gesundem»           Malabsorption
flügel. Kinder mit einer atopischen Belastung tragen ein
                                                                                    Episoden                 Säugling
grösseres Risiko. Der pathophysiologische Zusammen-           Prädilektionsalter    1 Tag bis 1 Jahr         1 Tag bis 6 Monate   bis zum Alter von
hang dieser nicht IgE-vermittelten schweren Reaktion ist                                                                          2 Jahren
unklar, die akute Symptomatik ist Folge von Permeabili-       Hauptsächlich         Milch, Soja, Reis        Milch, Soja          Milch, Soja, Weizen, Ei
tätsänderungen des Darms und einer damit verbunde-            verantwortliche
nen erheblichen Flüssigkeitsverschiebung (21, 22).            Nahrungsmittel
Klinische Merkmale: Das typische klinische Zeichen eines      Multiple              > 50% Milch/Soja,        40% Milch/Soja       selten
akuten FPIES ist das heftige Erbrechen, einhergehend          Sensibilisierungen    bei > 35% mehr
mit Durchfall, Bauchschmerzen, Kreislaufdekompensa-                                 als 1 Nahrungsmittel
                                                              Ernährung bei         Formulamilch             > 50% exklusiv       Formulamilch
tion und/oder Lethargie. Häufig wird eine Hypothermie
                                                              Erstmanifestation                              gestillt
festgestellt. Schwere Formen lassen sich daher von einer
                                                              Prognose, Alter bei   > 3 Jahre                1 bis 2 Jahre        1 bis 3 Jahre
Sepsis oder einer schweren Dehydratation klinisch nicht
                                                              zu erwartender
unterscheiden. Die Diagnose FPIES wird häufig erst nach       Heilung
mehrmaligen Episoden gestellt.
Diagnose: Die Diagnose basiert auf dem Hauptkriterium –

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Schwerpunkt

                                                                                                          Literatur:
                                             Langzeittherapie und Wiedereinführung der Nahrung:
                                                                                                          1. Halpert A et al.: What patients know about irritable bowel syndrome (IBS) and what
                                             Lässt sich das auslösende Nahrungsmittel anamnestisch        they would like to know. National Survey on Patient Educational Needs in IBS and
                                             nicht eruieren, sind standardisierte Provokationen im        development and validation of the Patient Educational Needs Questionnaire (PEQ).
                                             stationären Setting indiziert. Therapeutisch ist eine        Am J Gastroenterol 2007; 102(9): 1972–1982.
                                             strikte Karenz der entsprechenden Nahrungsmittel ein-        2. Chumpitazi BP et al.: Self-perceived food intolerances are common and associated
                                             zuhalten. Beim flaschenernährten Säugling geschieht          with clinical severity in childhood irritable bowel syndrome. J Acad Nutr Diet 2016;
                                             dies primär mit einer extensiv hydrolisierten beziehungs-    116(9): 1458–1464.
                                                                                                          3. Curry A: Archaeology: The milk revolution. Nature 2013; 500(7460): 20–22.
                                             weise aminosäurebasierten Säuglingsformula.
                                                                                                          4. Gasbarrini A et al.: Methodology and indications of H2-breath testing in gastrointesti-
                                             Prognose: Die Mehrheit der Säuglinge mit einem FPIES         nal diseases: the Rome Consensus Conference. Aliment Pharmacol Ther 2009; 29
                                             entwickeln eine Toleranz auf Kuhmilchproteine bis zum        (Suppl 1): 1–49.
                                             Alter von 2 Jahren, und bis zum Alter von 3 bis 5 Jahren     5. Berni Canani R et al.: Diagnosing and treating intolerance to carbohydrates in children.
                                             kann eine erweiterte Nahrungsmitteltoleranz erwartet         Nutrients 2016; 8(3): 157.
                                             werden (25, 26). Die Nahrungsmitteltoleranz soll aller-      6. Expertengruppe im Namen der Eidgenössischen Ernährungskommission: Kohlenhydrate
                                             dings nur durch standardisierte Nahrungsmittelbelastun-      in der Ernährung; Stellungnahme und Empfehlungen. Ratifiziert von der Eidgenössischen
                                                                                                          Ernährungskommission am 14. Mai 2009.
                                             gen unter stationären Bedingungen geprüft werden, zu-
                                                                                                          7. Wirth S, Klodt C, Wintermeyer P: Positive or negative fructose breath test results do
                                             vor ist jeweils eine allergologische Diagnostik indiziert.   not predict response to fructose restricted diet in children with recurrent abdominal pain:
                                                                                                          results from a prospective randomized trial. Klin Padiatr 2014; 226(5): 268–273.
                                             FPE                                                          8. Catassi G et al.: The low FODMAP diet: Many question marks for a catchy acronym.
                                             Die Prävalenz der durch Nahrungsproteine induzierten         Nutrients 2017; 16; 9(3).
                                             Enteropathie (FPE) ist unbekannt. Die Krankheit präsen-      9. Iacovou M: Adapting the low FODMAP diet to special populations: infants and children.
                                             tiert sich in der Regel innerhalb weniger Wochen nach        J Gastroenterol Hepatol 2017; 32 (Suppl 1): 43–45.
                                                                                                          10. Nowak-Wegrzyn A et al.: International consensus guidelines for the diagnosis and
                                             Einführung einer Kuhmilchproteinformula, typischer-
                                                                                                          management of food protein-induced enterocolitis syndrome: executive summary-work-
                                             weise in den ersten 1 bis 2 Lebensmonaten, selten auch       group report of the Adverse Reactions to Foods Committee, American Academy of Allergy,
                                             erst nach 9 bis 24 Monaten (27, 28). Die Pathophysiolo-      Asthma & Immunology. J Allergy Clin Immunol 2017; 139: 1111–1126.
                                             gie der FPE ist unklar.                                      11. Elizur A et al.: Cow’s milk associated rectal bleeding: a population based prospective
                                             Klinische Merkmale: Chronischer Durchfall einherge-          study. Pediatr Allergy Immunol 2012; 23: 766–770.
                                             hend mit Gedeihstörung bei Malabsorption, Erbrechen,         12. Jang HJ, Kim AS, Hwang JB: The etiology of small and fresh rectal bleeding in
                                             Anämie und Hypoalbuminämie sind die Hauptmerkmale            not-sick neonates: should we initially suspect food protein-induced proctocolitis?
                                                                                                          Eur J Pediatr 2012; 171: 1845–1849.
                                             einer FPE (28, 29). Akute Symptome wie bei FPIES sind
                                                                                                          13. Odze RD et al.: Allergic proctocolitis in infants: a prospective clinicopathologic biopsy
                                             nicht bekannt, Symptome einer FPE können innerhalb           study. Hum Pathol 1993; 24: 668–674.
                                             weniger Stunden bis zu 4 Wochen nach Beginn der              14. Arvola T et al.: Rectal bleeding in infancy: clinical, allergological, and microbiological
                                             Aufnahme der entsprechenden Nahrungsproteine auf-            examination. Pediatrics 2006; 117:e760–768.
                                             treten.                                                      15. Kumagai H et al.: Intestinal microbiota and secretory immunoglobulin a in feces of
                                             Diagnose: Nahrungsmittelallergie einhergehend mit            exclusively breast-fed infants with blood-streaked stools. Microbiol Immunol 2012;
                                             chronischer Diarrhö, Malabsorption und Nachweis einer        56:657–663.
                                                                                                          16. Baldassarre ME et al.: Lactobacillus GG improves recovery in infants with blood in the
                                             eosinophilen Enteropathie.
                                                                                                          stools and presumptive allergic colitis compared with extensively hydrolyzed formula
                                             Ein spezifisches Test- beziehungsweise Diagnostikverfah-     alone. J Pediatr 2010; 156: 397–401.
                                             ren steht nicht zur Verfügung. Pricktest oder spezifische    17. Lozinsky AC, Morais MB: Eosinophilic colitis in infants. J Pediatr 2014; 90: 16–21.
                                             IgE-Werte sind in der Regel unergiebig. Die häufigsten       18. Erdem SB et al.: Tolerance development in food protein-induced allergic proctocolitis:
                                             Auslöser der Symptome sind Kuhmilch, Soja, Weizen, Ei,       single centre experience. Allergol Immunopathol (Madr) 2017; 45: 212–219.
                                             Rindfleisch, Bananen und Eier. Die Diagnose der FPE wird     19. Lake AM, Whitington PF, Hamilton SR: Dietary protein-induced colitis in breast-fed
                                             mittels Dünndarmbiopsie bestätigt. Typischerweise            infants. J Pediatr 1982; 101: 906–910.
                                                                                                          20. Odze RD et al.: Allergic colitis in infants. J Pediatr 1995; 126: 163–170.
                                             finden sich alterierte Zotten, eine Kryptenhyperplasie,
                                                                                                          21. Pumberger W, Pomberger G, Geissler W: Proctocolitis in breast fed infants: a contri-
                                             entzündliche Infiltrate sowie eine lymphonodulare Hy-        bution to differential diagnosis of haematochezia in early childhood. Postgrad Med J
                                             perplasie und eine Vermehrung intraepithelialer Lym-         2001; 77: 252–254.
                                             phozyten. Letztlich ist zur Bestätigung einer FPE auch       22. Ludman S et al.: Clinical presentation and referral characteristics of food protein-in-
                                             eine probatorische Karenz des vermuteten Nahrungsmit-        duced enterocolitis syndrome in the United Kingdom. Ann Allergy Asthma Immunol 2014;
                                             telproteins und anschliessende Wiederbelastung not-          113: 290–294.
                                             wendig.                                                      23. Nowak-Wegrzyn A: Food protein-induced enterocolitis syndrome and allergic procto-
                                                                                                          colitis. Allergy Asthma Proc 2015; 36: 172–184.
                                             Behandlung: Kuhmilch, Soja, Ei, Weizen oder andere ver-
                                                                                                          24. Katz Y et al.: The prevalence and natural course of food protein-induced enterocolitis
                                             dächtigte Lebensmittel werden aus der Ernährung elimi-       syndrome to cow's milk: a large-scale, prospective population-based study. J Allergy Clin
                                             niert. Die Wiedereinführung von Lebensmitteln ge-            Immunol 2011; 127: 647–653.
                                             schieht nach kontrollierten (häuslichen) Belastungstests.    25. Mehr S et al.: Food protein-induced enterocolitis syndrome in Australia: a population
Korrespondenzadresse:
                                             Symptome treten in der Regel innerhalb von 3 Tagen bis       based study, 2012–2014. J Allergy Clin Immunol 2017; 140(5): 1323–1330.
Dr. med. Johannes Spalinger                                                                               26. Caubet JC et al.: Non-IgE mediated gastrointestinal food allergies in children. Pediatr
                                             3 Wochen nach der Nahrungsaufnahme auf. Eine pro-
Pädiatrische Gastroenterologie                                                                            Allergy Immunol 2017; 28: 6–17.
                                             fessionelle Diätberatung wird empfohlen, um eine al-
Kinderspital Luzern, LUKS                                                                                 27. Nowak-Wegrzyn A et al.: Non-IgE mediated gastrointestinal food allergy. J Allergy
                                             tersgerechte und ausgewogene Ernährung zu erreichen
6000 Luzern                                                                                               Clin Immunol 2015; 135: 1114–1124.
                                             und unnötige Diätrestriktionen zu vermeiden.                 28. Walker-Smith JA: Cow milk-sensitive enteropathy: predisposing factors and treat-
E-mail:
                                             Prognose: Die Prognose ist in den meisten Fällen güns-       ment. J Pediatr 1992; 121: S111–115
johannes.spalinger@luks.ch
                                             tig, typischerweise verbessert sich die Nahrungsmittelto-    29. Iyngkaran N et al.: Cows’ milk protein-sensitive enteropathy. Combined clinical and
Interessenlage: Die Autoren erklären, dass   leranz im Alter von 1 bis 3 Jahren (29). Allerdings sind     histological criteria for diagnosis. Arch Dis Child 1978; 53: 20–26.
sie im Zusammenhang mit diesem Artikel       auch einige chronische FPE-Fälle mit Persistenz bis ins
keine Interessenkonflikte haben.             Schulalter bekannt.

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