NEW WORK - EIN ANSTOSS ZUM KULTURWANDEL - msg ...

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NEW WORK – EIN ANSTOSS
            ZUM KULTURWANDEL

                                                                                             |v
                                                                                               on ANJA HAAG und MARIA RÖSCH

       Die Entwicklung zur Industrie 4.0 geht einher mit der Digitalisierung und ei-
       ner weitreichenden IT-Unterstützung durch Big Data, künstliche Intelligenz,
       Internet der Dinge, Globalisierung und Vernetzung der Märkte. Mitarbeiterin-
       nen und Mitarbeiter haben den Anspruch, dass ihre Arbeitszeit mit einer
       Tätigkeit verbunden ist, die einen Sinn hat, dass eine flexible Arbeitsein-
       bringung möglich ist und dass das eigene Potenzial entfaltet werden kann.

       Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambilvalenz (VUCA) und der durch den demografischen Wandel bedingte Fachkräfte-
       mangel kennzeichnen die neue Arbeitswelt. Die neuen Arbeits- und Organisationsformen in ndiesem Zusammenhang werden auch
       unter den Begriffen „Arbeiten 4.0“ und „New Work“ subsummiert.

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WAS BEDEUTET NEW WORK FÜR DIE ÖFFENTLICHE
VERWALTUNG?
                                                                           Frithjof Bergmann, geboren am 24.12.1930 in Sachsen, wanderte
Die Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung sehen, wie                1949 nach Amerika aus. Er studierte in Princeton Philosophie und
andere Unternehmen diesen Veränderungen begegnen. Zum                      promovierte hier mit einer Arbeit über Hegel. Später hatte er
Beispiel welche Möglichkeiten des flexiblen Arbeitens an unter-            einen Lehrstuhl für Philosophie und Anthropologie in Michig-
schiedlichen Orten es gibt, welcher Austausch untereinander wie            an. In den 1980er Jahren beschrieb er seine Thesen zur neuen
gepflegt wird und wie das Verhältnis von Arbeit, Sinn, eigenem             Arbeit und Vision einer humanen und lebenswerten Zukunft.1
Engagement und Interessen sich geändert hat. Neue Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter bringen neue Ideen und Arbeitsformen mit
in die öffentlichen Verwaltungen, Nachwuchskräfte haben andere
Vorstellungen, wie sie gerne mitarbeiten möchten und wie viel sie
dafür auch bereit sind zu investieren. Und bestehende (und auch        Bergmann geht über den Begriff „Arbeiten 4.0“ (als Ableitung von
neue) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der öffentlichen              „Industrie 4.0“) hinaus, im weiteren Verlauf wird daher der Begriff
Verwaltungen werfen Fragen auf, wie: „Und was verändert sich bei       New Work verwendet.
uns?“, „Wieso arbeiten wir nicht anders zusammen?“, „Wieso dau-
ert es so lange zu entscheiden und umzusetzen?“ Der Ärger über         Der Kern von New Work beinhaltet also mehr als nur die Digita-
eine mangelhafte IT-Ausstattung, starre Entscheidungsstruktu-          lisierung. Gemeint ist eine kontinuierliche und nachhaltige Aus-
ren und nicht wertschätzende Kultur wächst dabei.                      einandersetzung mit den verschiedenen Dimensionen in einer
                                                                       Unternehmung. Dazu gehören Fragestellungen wie:
Die Ausgangssituation der öffentlichen Verwaltungen mit ihren
großen Organisationen, gewachsenen Arbeitsformen, Kom-                 • Welche Strategie und Ziele sind definiert?
munikations- und Berichtswegen, traditionellen Führungsme-                elchen Nutzen für den Bürger, internen Kunden und Mitar-
                                                                       • W
chanismen und Hierarchien ist herausfordernd. Der Kern der               beiter haben diese?
öffentlichen Verwaltung ist es, im Rahmen der Daseinsvorsorge             ie effizient sind Prozesse strukturiert?
                                                                       • W
gesetzliche und freiwillige Aufgaben zu erfüllen und nicht, wirt-         ie flexibel passen sich diese an neue Aufgaben an?
                                                                       • W
schaftlichen Erfolg mit Optimierung aller Strukturen zu erzielen.         erden Informations- und Vernetzungsstrukturen aufgebaut
                                                                       • W
Die Basis ist vielmehr die Gleichbehandlung der Bürgeranliegen           und gelebt, um das vorhandene Wissen auszuschöpfen?
durch Standardisierung der Aufgaben, klare Aufgabenteilung                ie erfolgen Zusammenarbeit und Wissensaustausch?
                                                                       • W
zwischen den verschiedenen öffentlichen Verwaltungen und                  ie viel Offenheit, Feedback und Dialog gibt es zwischen den
                                                                       • W
Verwaltungsebenen sowie ein verantwortungsvoller Umgang                  Beschäftigten und den Führungsebenen?
mit Steuergeldern. Das heißt, auch Aufgaben, die nicht rentabel           ie werden neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter integriert?
                                                                       • W
sind, müssen durch die öffentliche Verwaltung wahrgenommen                elchen Status hat eine Führungsebene, und wie wird Selbst-
                                                                       • W
und die Leistung angeboten werden. Wirtschaftsunternehmen                verantwortung und -organisation gelebt?
hingegen können solche Leistungen rationalisieren.
                                                                       Das Nürnberger Unternehmen humanfy hat die Sozialutopie von
DER KERN VON NEW WORK – EINE VISION VON ARBEITS- UND                   Bergmann in seiner New Work Charta weiterentwickelt, die ein
ORGANISATIONSMODELLEN                                                  ganzheitlicheres Bild davon zeichnet, was New Work alles bein-

Eine einheitliche Definition der Begriffe „Arbeiten 4.0“ und „New
Work“ ist schwer zu finden. Viele Entwicklungen haben gerade erst
begonnen, und die Begrifflichkeiten werden oftmals als ein Art
                                                                           humanfy GmbH ist ein Think Tank, der mit den Gesellschaftern
Sammelbegriff für die unterschiedlichsten Themen genommen.
                                                                           Anja Gstöttner, Markus Väth und Arthur Soballa die Prinzipien
Der Philosoph Frithjof Bergmann beschrieb schon in den 1970er
                                                                           zur New Work Charta auf Basis von Bergmanns Thesen ent-
Jahren den Wandel der Arbeit von der „klassischen Lohnarbeit
                                                                           wickelt hat. Dabei vernetzen sie eine große Community aus
und Unterwerfung des Menschen der Arbeit“ zu einer „Arbeit, die
                                                                           Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu dem Thema New Work.3
man wirklich will“ und einer „Arbeit, die uns dienen soll“.2 Die Be-
schreibung von New Work als eine Weiterentwicklung der Frage von

                                                                                                                 Arbeiten 4.0 | .public 03-20   | 45
FREIHEIT

                                                        SOZIALE                                     SELBST-
                                                    VERANTWORTUNG                               VERANTWORTUNG

                                                                             NEW WORK
                                                                              CHARTA

                                                               ENTWICKLUNG                      SINN

       Abbildung 1: Die fünf Prinzipien der New Work Charta4

       halten kann und welche Zusammenhänge sich ergeben. Die Char-                vorsorge“ differenziert von Wirtschaftsunternehmen gesehen
       ta beinhaltet fünf Prinzipien5, die mit den Rahmenbedingungen in            werden. Mit der Struktur der Aufgabenbewertung nach ein-
       der öffentlichen Verwaltung abgeglichen werden können:                      schlägigen Tarifverträgen und beamtenrechtlichen Maßstäben
                                                                                   sind Aufgaben bereits im Vorfeld teils sehr dezidiert festgelegt.
       Das Prinzip „Freiheit“ (Stichworte der Charta: Experimentier-               Die Personalentwicklung ist daher gefordert, Arbeitsplatzbe-
       räume, Kultur des Unperfekten, starke Vernetzung)                           schreibungen ausreichend bewertbar und hinreichend flexi-
       Das Prinzip Freiheit beinhaltet eine Kulturentwicklung und Of-              bel zu gestalten. So kann die Aufgabenverantwortung und der
       fenheit für neue Themen. Diese Offenheit muss in der öffentli-              Gestaltungs- und Handlungsspielraum zu einem gewissen Teil
       chen Verwaltung aktiv gefördert werden. Dafür bieten sich zum               selbstorganisierter wahrgenommen werden. Zudem kann im
       einen organisatorisch sogenannte Innovationslabs an, die Mög-               täglichen Handeln hinterfragt werden, ob die Führungskraft al-
       lichkeiten zum Testen und Ausprobieren von neuen Arbeitswei-                les entscheiden und jede Aufgabe verteilen muss, wo genau Auf-
       sen bieten, bevor diese zum Beispiel mit einem Multiplikatoren-             gaben aufgeteilt werden und Mitarbeiter bei Entscheidungen
       programm weiter ausgerollt werden.                                          beteiligt werden können. Und auch, wann Führungsrollen ver-
                                                                                   teilt werden können, um die Beschäftigten mehr zu involvieren.
       Für die Kulturentwicklung, den Umgang mit Fehlern und die
       Vernetzung zwischen allen Strukturen müssen Veränderungs-                   Das Prinzip „Sinn“ (Stichworte der Charta: persönliches
       projekte und -maßnahmen mit dem Ziel der offenen Kommuni-                   Wachstum, dreiteilige Wertschöpfung, sinnhaftes Gestalten)
       kation, Feedback, Reflexion und Wertschätzung zwischen allen                Mit Aufgaben, die dem Allgemeinwohl dienen, könnte die Frage
       Ebenen als Instrument eingesetzt werden. Im Arbeitsalltag kann              nach dem Sinn schon beantwortet sein. Die Frage ist, ob jeder
       eine erste Annäherung auch mit einzelnen Fragestellungen als                Beschäftigte in der öffentlichen Verwaltung das bereits mit
       Punkt auf jeder Agenda der Teambesprechung erfolgen.                        Stolz sagen würde. Sinnhaftes Gestalten und Wertschöpfung
                                                                                   können bei der öffentlichen Verwaltung allerdings noch weiter
       Das Prinzip „Selbstverantwortung“ (Stichworte der Charta:                   hinterfragt werden: „Machen wir die richtigen Aufgaben rich-
       Selbstorganisation, Budget-Autorität, Beteiligungsmodelle)                  tig?“, „Welchen Sinn haben manche Entscheidungswege für den
       Beim Prinzip Selbstverantwortung muss, wie eingangs beschrie-               Bürger oder interne Kunden?“ und „Wie effizient und wirtschaft-
       ben, die öffentliche Verwaltung mit ihrer Kernaufgabe „Daseins-             lich gehen wir mit den vorhandenen Ressourcen um?“ Zudem

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braucht es Weiterentwicklungsmöglichkeiten für die Kompeten-            Das Prinzip „Soziale Verantwortung“ (Stichworte der Charta:
zen und Stärken der Beschäftigten. Das ist mit leicht zugäng-           nachhaltiges Wirtschaften, regionales Engagement, ehrbarer
lichen Fortbildungsprogrammen und Anerkennung dieser Zeit               Kaufmann)
als Arbeitszeit, mit Job-Sharing-Modellen in gleichen Eingrup-          Im Hinblick auf die soziale Verantwortung wird die öffentliche
pierungs-/Besoldungsstufen oder mit berufsbegleitenden Ent-             Verwaltung mit der Daseinsvorsorge bereits vielem gerecht.
wicklungsprogrammen möglich.                                            Nach der Definition der New Work Charta gehört hier auch ein
                                                                        nachhaltiger Umgang mit den eingesetzten Ressourcen – dazu
Das Prinzip „Entwicklung“ (Stichworte der Charta: kollektive            gehört auch die Ressource „Mensch“ – dazu. Für die öffentliche
Lernstrukturen, Selbsterneuerung, kollektive Entscheidungen)            Verwaltung gelten bereits die Grundsätze, die sich größtenteils
Die Prinzipien der New Work Charta lassen sich nicht isoliert be-       aus dem Grundgesetz ableiten lassen. Dazu zählen der Grund-
trachten. Strukturen zum gemeinsamen Lernen gehen mit einer             satz der Gesetzmäßigkeit der öffentlichen Verwaltung (Art. 20
Vernetzung und Offenheit zum Austausch einher, Selbsterneue-            Abs. 3 GG), der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG), der Grundsatz
rung, Aufgabenreflexion, Entscheidungsstrukturen mit der vor-           der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 GG, Ableitung aus dem Rechts-
her beschriebenen Wertschöpfung und Selbstverantwortung.                staatsprinzip), der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 133 BGB),
Der demografische Wandel verändert die Altersstrukturen der             Prinzip der Wirtschaftlichkeit (Art. 20 GG, § 24 VwVfG) und der
Behörden, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bringen an-             Grundsatz des pflichtgemäßen Ermessens (Art. 20 Abs. 3 GG).6
dere Arbeitsweisen und -erfahrungen mit. Um die Entwicklung             Diese eignen sich, um das Bewusstsein für ein nachhaltiges
der Beschäftigten und Lernstrukturen zu fördern, eignen sich            Wirtschaften auch im Verwaltungskontext weiterzuentwickeln.
bereichsübergreifende Erfahrungsaustausche zu speziellen The-
mengebieten (sogenannte Community of Practice), gegenseitige            EIN MÖGLICHER LÖSUNGSANSATZ
Unterstützung mit einem themenoffenen Austausch (wie kolle-
giale Beratung, Working out Loud) oder bezogen auf das Thema            Im Folgenden wird ein Vorgehensmodell skizziert, das einen
Wissensmanagement ein Mentor-Mentee-Programm, das erfah-                einfachen Einstieg mit einem iterativen Transformationspro-
rene oder ältere Beschäftigte mit neuen Mitarbeiterinnen und            zess hin zu mehr „New Work“ für Behörden bietet. Es funktio-
Mitarbeitern zusammenbringt.                                            niert innerhalb bestehender Aufbauorganisation, ist unabhän-

CYNEFIN-FRAMEWORK5
Das Cynefin-Framework beschreibt verschiedene Kategorien von Systemen in Abhängigkeit von der Vorhersagbarkeit des Systemverhaltens und
ordnet diesen geeignete Vorgehensweisen zu.

                         KOMPLEXE SYSTEME                                                         KOMPLIZIERE SYSTEME

           •U  rsache-Wirkung unklar, ggf. später erkennbar                     •U  rsache-Wirkung nicht offensichtlich, aber vorhanden
           •E  mergent-Practice hilfreich                                       • Good-Practice hilfreich
           • Typische Antwort: „Möglichst viele Leute                           • Typische Antwort: „Mehr Daten, Zeit, Ressourcen,
             zusammenbringen“                                                       Experten“

           Experimentieren-Wahrnehmen-Reagieren                                  Wahrnehmen-Analysieren-Reagieren

                                                                VERWIRRUNG

                        CHAOTISCHE SYSTEME                                                          EINFACHE SYSTEME

           • Ursache-Wirkung keine Beziehung                                    •U  rsache-Wirkung eindeutig
           • Novel-Practice hilfreich                                           • Best-Practice möglich
           • Typische Antwort: „Wer kann aufräumen?“                            • Typische Antwort: „Prozesse optimieren“

           Handeln-Wahrnehmen-Reagieren                                          Wahrnehmen-Beurteilen-Reagieren

                                                                                                                    Arbeiten 4.0 | .public 03-20   | 47
SCHULUNGEN

                                                                            1. Experimentieren               2. Wahrnehmen
                                                    KRAFTVOLLES
        TRANSFORMATIONSTEAM                                                                                                             ZIELERREICHUNG
                                                   ZUKUNFTSBILD
             AUFBAUEN                                                                                                                    REFLEKTIEREN
                                                    ENTWICKELN

                                                                  RETROSPEKTIVEN                                     GRUPPENCOACHING

                                                                                              3. Reagieren

       Abbildung 2: Der „Probe-Sense-Respond“-Zyklus

       gig von bestimmten Technologien und gibt damit einen Anstoß                 den. Im Team wird zu Beginn die Art und Weise festgelegt, wie Ker-
       in Richtung Kulturwandel mit vorhandenen Mitteln.                           nentscheidungen im Rahmen des Transformationsprozesses ge-
                                                                                   troffen werden, zum Beispiel mithilfe von Delegation-Poker.
       LOSLEGEN, OHNE DIE LÖSUNG ZU KENNEN
                                                                                   KRAFTVOLLES ZUKUNFTSBILD ENTWICKELN
       Auch wenn viele Führungskräfte bereits heute den beschriebenen
       Handlungsbedarf anerkennen, bleibt doch offen, wie ein „Mehr“               Um sich beim Durchlaufen der Phasen nicht zu verlieren, ist es wich-
       an Freiheit, Selbstverantwortung und Entwicklung im Sinne der               tig, sich zu Beginn des Transformationsprozesses mit dessen Zielen
       New Work Charta gelingen kann. Einige Beispiele wurden in der               auseinanderzusetzen. Was ist der Kern unserer Organisation und
       Beschreibung der Prinzipien gegeben. Was muss genau verändert               was soll sich verändern? Dabei geht es nicht so sehr darum, exakt
       werden, und durch welche Interventionen kann die Veränderung                messbare Ziele festzulegen, sondern vielmehr, initial ein kraftvolles
       gelingen? Die Antwort auf beide Fragen ist in sehr hohem Maße               Zukunftsbild zu entwickeln (Prinzip Sinn). Dieses begleitet die Or-
       vom Verhalten der Mitglieder einer jeden Organisation abhängig.             ganisation durch die oft anstrengende Zeit der Veränderung und
                                                                                   dient in kritischen Entscheidungssituationen der Fokussierung. Ein
       Das Cynefin-Framework beschreibt verschiedene Kategorien von                solches Bild sollte mit einer möglichst großen Anzahl an Organisa-
       Problemen, Situationen und Systemen und ordnet diesen geeig-                tionsmitgliedern entwickelt werden. Alternativ kann im Rahmen ei-
       nete Erklärungen oder Herangehensweisen zu.                                 nes Workshops, zum Beispiel auf der Grundlage von verschiedenen
                                                                                   Bildmotiven im Transformationsteam, über ein solches Zukunftsbild
       Bei der Veränderung komplexer Systeme empfiehlt sich nach                   gesprochen werden. Am Ende des Workshops erfolgt eine Festle-
       dem Cynefin-Framework ein „Emergent-Practice“-Ansatz mit                    gung auf ein gemeinsames Bild. Um das Bild anschließend für je-
       dem Dreiklang von Experimentieren, Wahrnehmen und Reagie-                   des Organisationsmitglied erfahrbar zu machen, empfiehlt sich die
       ren. Diese drei Phasen werden nach der initialen Entwicklung                Übertragung des Zukunftsbildes in Geschichten (Storytelling) oder
       eines gemeinsamen Zukunftsbildes iterativ durchlaufen, bis das              in Bilder, die über verschiedene Kanäle (Mitarbeiterzeitschrift, Intra-
       gewünschte Ziel erreicht ist.                                               net, Plakate etc.) in der Organisation verbreitet werden.

       TRANSFORMATIONSTEAM AUFBAUEN                                                Das zu Beginn des Transformationsprozesses definierte Zu-
                                                                                   kunftsbild sollte regelmäßig reflektiert und gegebenenfalls an
       Um sicherzustellen, dass die Form des Transformationsprozesses-             veränderte Bedingungen angepasst werden.
       entsprechend dem Vorgehensmodell bis zur Zielerreichung einge-
       halten wird, ist es sinnvoll, zu Beginn ein Transformationsteam auf-        Auf Grundlage des Zukunftsbildes gilt es, den notwendigen
       zubauen. Das Team sollte aus Vertretern aller wichtiger Stakeholder         Veränderungsbedarf zu beschreiben. Was soll „mehr“ werden,
       bestehen und nicht mehr als acht Personen umfassen. Sollten sich            was „weniger“? Hier werden Verhaltensweisen beschrieben,
       im Verlauf der Transformation Inhalte oder Strukturen ändern, so            die konkret beobachtet werden können, wie zum Beispiel,
       sollte auch die Zusammenstellung des Teams neu reflektiert wer-             dass in Meetings niemand zu spät kommt.

48 | .public 03-20 | Arbeiten 4.0
AUF INS ARBEITSLABOR                                                                    Phase „Wahrnehmen“
                                                                                        Sobald erste Experimente angestoßen werden können, gilt es für
Bevor zu dem identifizierten Veränderungsbedarf Experimente                             die Multiplikatoren, unvoreingenommen in die Phase der Wahrneh-
auf der Arbeitsebene angestoßen werden können, müssen fol-                              mung zu gehen. Hierfür eignet sich ein Gruppencoaching gut. Im ge-
gende Rahmenbedingungen festgelegt werden:                                              schützten Rahmen kann eine Gruppe von fünf bis acht Multiplikato-
                                                                                        ren regelmäßig zusammenkommen, um sich über Wahrnehmungen
   er initiiert Experimente?
• W                                                                                     im Rahmen der Experimente auszutauschen. Im Sinne einer kol-
   ie kann sichergestellt werden, dass
• W                                                    die Phase „Wahrneh-              legialen Fallberatung können hier auch Ratschläge ausgetauscht
      men“ durchlaufen wird?                                                            werden, wie Experimente gut im Team platziert werden können und
   ie können Reaktionen abgeleitet werden?
• W                                                                                     Schwierigkeiten bei der Rollenfindung besprochen werden.

Dabei haben sich folgende Rahmenbedingungen als geeignet                                Phase „Reagieren“
erwiesen:                                                                               Sind alle Experimente zu einem Themenfeld abgeschlossen, gilt
• E xperimente werden von             speziell qualifizierten New-Work-                es, auf Basis der Wahrnehmungen konkrete Maßnahmen abzu-
      Multiplikatoren in allen Teams der Organisation im Rahmen                         leiten. Im Rahmen einer Retrospektive kann entschieden werden,
      ihrer täglichen Arbeit initiiert.                                                 welche Arbeitsmethoden sich für eine weitere Umsetzung eignen
   m die Phase „Wahrnehmung“ nicht zu überspringen, finden
• U                                                                                     und welche zunächst einmal nicht weiterverfolgt werden sollten.
      regelmäßig Gruppencoachings mit den Multiplikatoren statt,                        Die Methoden, die sich für eine weitere Umsetzung eignen, sollten
      in denen wertneutral über erste Erfahrungen gesprochen wird.                      dann im letzten Schritt der ersten Iteration organisationsweit um-
• E mpfehlungen         für das Umsetzen von Maßnahmen auf der                         gesetzt werden. Dies aber auch für einen limitierten Zeitraum, an
      Ebene der Gesamtorganisation werden auf Basis von Retro-                          dessen Ende erneut über Fortsetzung oder Abbruch entschieden
      spektiven abgeleitet.                                                             wird. Nach Identifikation geeigneter Maßnahmen für eine orga-
                                                                                        nisationsweite Umsetzung sollte nach jeder Iteration überprüft
Phase „Experimentieren“                                                                 werden, ob das Zukunftsbild bereits erreicht wurde oder ob eine
Experimente finden dann in Bereichen des täglichen Arbeitens                            weitere Iteration durchlaufen werden sollte.
statt (zum Beispiel Aufgaben- und Zeitmanagement, Meetingstruk-
turen, Entscheidungsfindung, Projektorganisation, Wissensma-                            FAZIT
nagement). Wie oben beschrieben, eignet sich für die Durchführung
der Experimente der Einsatz von Multiplikatoren. Aus jeder Abtei-                       Die Veränderungen der Arbeitswelt Richtung Arbeiten 4.0 und
lung darf sich eine bestimmte Anzahl interessierter Teilnehmerin-                       New Work werden auch in der öffentlichen Verwaltung im-
nen und Teilnehmer als Multiplikator bewerben. Die Teilnahme ist                        mer stärker wahrgenommen. Die Prinzipien zu New Work kön-
freiwillig, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden in regelmä-                       nen weiterentwickeln sowie den Umgang mit den veränderten
ßigen Abständen in den genannten Themenbereichen im Kontext                             Werten und Erwartungen der Mitarbeiter erleichtern. Ergeb-
mit neuen Arbeitsmethoden und New Work geschult. Ziel ist das                           nisoffen und neugierig lässt es sich mit dem beschriebenen
rasche Anwenden der gelernten Inhalte in der Praxis – mit einer                         „Emergent-Practice“-Ansatz – einem iterativen Transformations-
Offenheit sowohl für Erfolg als auch Misserfolg. So kann beispiels-                     prozess auf der Basis von Multiplikatoren und Experimenten –
weise der erste Schritt die Umgestaltung der Agenda eines Regel-
meetings sein. Um überhaupt zum Experimentieren zu kommen,
                                                                                        auf den Weg zu New Work gehen.             •
sollte jeder Multiplikator eine Führungskraft als Ansprechpartner
erhalten, mit deren Hilfe gemeinsam eventuelle Hindernisse für Ex-
perimente aus dem Weg geräumt werden können.

1     New Work New Culture, Frithjof Bergmann, 2009, Zero Books, Hampshire.
2     https://www.arbeit-und-arbeitsrecht.de/newwork, https://www.arbor-verlag.de/frithjof-bergmann, https://de.wikipedia.org/wiki/Frithjof_Bergmann
       (abgerufen am 01.12.2020).
3     https://humanfy.de/team / (abgerufen am 01.12.2020).
4     https://humanfy.de/new-work-charta/ (abgerufen am 01.12.2020).
5     https://humanfy.de/new-work-charta/ (abgerufen am 01.12.2020).
6     Lehrbrief der Verwaltungsakademie Berlin „Allgemeines Verwaltungsrecht“, 2018 Berlin https://vakwiki.berlin.de/confluence/download/attachments/11011049/Lehr-
       brief_Allg_Verwaltungsrecht.pdf?api=v2 (abgerufen am 01.12.2020).

                                                                                                                                        Arbeiten 4.0 | .public 03-20    | 49
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