Pro natura magazin - Die Schweiz braucht ein dichteres Netz von Naturschutzgebieten

 
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Pro natura magazin - Die Schweiz braucht ein dichteres Netz von Naturschutzgebieten
pro natura magazin

                                         5/ 2021 OKTOBER

Die Schweiz braucht ein
dichteres Netz von Naturschutzgebieten
Pro natura magazin - Die Schweiz braucht ein dichteres Netz von Naturschutzgebieten
2                           inhalt

            4                                                                                                                                                                                16

                                                                                                                                                                                                           Pascal Gertschen
Raphael Weber

                                                                  Blickwinkel/Maehrmann

                26
                                                                                                                                                                                                                              Vera Howard

                                                                                                              22
                pro natura magazin                                                                                                                                     von der Zewo als gemeinnützig anerkannt.
                Mitgliederzeitschrift von Pro Natura – Schweizerischer Bund für Naturschutz
                Impressum: Pro Natura Magazin 5 / 2021. Das Pro Natura Magazin erscheint fünfmal jährlich (plus Pro Natura Magazin Spezial) und wird allen Pro Natura Mitgliedern zugestellt. ISSN 1422-6235
                Redaktion: Raphael Weber (raw), Chefredaktor; Nicolas Gattlen (nig), Redaktor; Florence Kupferschmid-Enderlin (fk), Redaktion französische Ausgabe; Sarah Huwiler, pro natura aktiv ­
                Layout: Vera Howard, Raphael Weber. Titelbild: Blick in die Val Foraz im Schweizerischen Nationalpark, Foto: Raphael Weber.
                Mitarbeit an dieser Ausgabe: René Amstutz, Andreas Boldt (abo), Rahel Boss (rbo), Samuel Ehrenbold (se), Andrea Haslinger, Gregor Klaus, Simona Kobel (sk), Urs Leugger-Eggimann, Marcel Liner, Sabine
                Mari, Susanna Meyer (sm), Lorenz Mohler (Übersetzungen), Urs Tester (ut), Benno Vogel (bv), Alena Wehrli (Übersetzungen), Sara Wehrli.
                Redaktionsschluss Nr. 1/2022: 09.11.2021
                Druck: Vogt-Schild Druck AG, 4552 Derendingen. Auflage: 170 000 (125 000 Deutsch, 45 000 Französisch). Klimaneutral gedruckt auf FSC-Recyclingpapier.
                An­schrift: Pro Natura Magazin, Postfach, 4018 Basel; Tel. 061 317 91 91 (9 — 12 und 14 — 17 Uhr), E-Mail: magazin@pronatura.ch; www.pronatura.ch; ­PK‑40-331-0
                Inserate: CEBECO GmbH, We­berei­str. 66, 8134 Adliswil, Tel. 044 709 19 20, Fax 044 709 19 25, cebeco@bluewin.ch Inserateschluss 1/2022: 19.11.2021
                Pro Natura ist Gründungsmitglied der Internationalen Naturschutz­union IUCN und Schweizer Mitglied von            Friends of the Earth International.          www.pronatura.ch
                                                                                                                                                                                               Pro Natura Magazin 5 / 2021
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inhalt                  3

4          thema
           4     G
                  rosser Nachholbedarf: Warum die Schweiz
                 dringend mehr Schutzgebiete benötigt.

           8     Deutliche Unterschiede: Zwischen dem Schutzstatus
                  unterschiedlicher Gebiete bestehen Welten.

           10 L
               eere Worte: Die Schweiz hält sich nicht
              an ihre eigenen Ziele.

           13	Erfolgreiches Schutzgebietsmanagement: Gibts bei
               unseren französischen Nachbarn am Lac de Remoray.

                                                                      editorial
16	köpfe
                 E
                  in Berufsleben Aletsch: Laudo Albrecht gibt die
                 Leitung des populären Pro Natura Zentrums ab.
                                                                      Der überlebenswichtige Mindestbestand
18	in kürze                                                          In der Unternehmerwelt gehört der Begriff Mindestbestand quasi
                                                                      zum Grundwissen. Für produzierende und handelnde Unterneh-
20 	brennpunkt                                                       men ist es essenziell, für ihre Verkaufsprodukte minimale Lager-
           20 B
               iodiversitätsförderer: Über den Nutzen des Wolfs,     bestände zu definieren. Damit können auch in Zeiten von hoher
              in Zeiten negativer medialer Berichterstattung.         Nachfrage und Produktionsengpässen stets die bestellten Produkte
           22 R
               NA-Pestizide: Werden als harmlos angepriesen,         ausgeliefert werden. So werden die Liquidität und schliesslich der
              doch Skepsis und klare Richtlinien sind angesagt.       Fortbestand des Unternehmens sichergestellt.
           24 P
               estizide und Landwirtschaft: Bleiben auf der             In der Natur gibt es auch einen Mindestbestand. Eine minimale
              politischen Traktandenliste.                            Fläche an ökologisch wertvollen Gebieten, in denen die Natur ge-
                                                                      schützt ist und Vorrang geniesst. Dieser Mindestbestand garantiert,
26	infogalerie                                                       dass die Vielfalt der Gene, Lebewesen und Lebensräume – die Bio-
                 H
                  erbsterscheinungen: Im Herbst spriessen Pilze      diversität – gesichert werden kann.
                 vor allem im Wald aus dem Boden.                        Momentan wird dieser Mindestbestand in der Schweiz deutlich
                                                                      unterschritten. Davon zeugt unter anderem der soeben veröffent-
30	news                                                              lichte Insektenbericht der Schweizerischen Akademie für Natur-
           30	Globales Engagement: Karin Nansen blickt zurück auf    wissenschaften: Rund 45 Prozent aller Arten gelten als gefährdet
               50 Jahre Friends of the Earth International.           bis stark gefährdet, so das alarmierende Fazit der Forscherinnen
           32	Revidierte Hindernisse: Panzersperren bieten           und Forscher auf Seite 19. Nicht nur, aber auch weil zu wenige
               grosses ökologisches Potenzial.                        Natur­schutz­gebiete bestehen, um den Fortbestand aller Arten zu
           35	Bunte Kleinstrukturen: Eine Erfolgsstory aus           sichern.
               dem Waadtland zieht Kreise.                               Auf internationaler Ebene besteht mittlerweile Konsens, dass
                                                                      auf rund 30 Prozent der Land- und Meeresfläche die Natur den
36         beobachtet                                                 Vorrang haben muss. Selbst die Schweiz unterstützt an der nächs-
                                                                      ten globalen Biodiversitätskonferenz diesen Ansatz. Im eigenen
38         service                                                    Land hingegen, wie Sie auf den folgenden Seiten erfahren, verfolgt
                                                                      die Schweiz weitaus bescheidenere Ziele.
43         pro natura aktiv                                              Im Thema dieses Magazins zeigen wir deshalb auf, wie wichtig
                                                                      der gezielte Aufbau eines biodiversitätsfördernden Schutzgebiets-
48 	shop                                                             netzes ist. Davon hängt nichts weniger ab als der Fortbestand des
                                                                      grossen Naturkapitals der Schweiz.
51         cartoon
                                                                      RAPHAEL WEBER, Chefredaktor Pro Natura Magazin
52         engagement

Pro Natura Magazin 5 / 2021
Pro natura magazin - Die Schweiz braucht ein dichteres Netz von Naturschutzgebieten
4      thema

Dringender

                                                                                                                                                        Raphael Weber
Nachholbedarf für
die Schweiz
Um den Verlust der Biodiversität aufzuhalten,
braucht es in der Schweiz deutlich mehr
Schutzgebietsfläche, die auch besser vernetzt ist.

                                                                                     Die Schweiz hat gesamthaft eine
                                                                                        unübersichtliche Vielzahl von
                                                                                   kleinen, schlecht funktionierenden
                                                                            Schutzgebieten. Doch Beispiele einzelner
                                                                                  Naturschutzgebiete zeigen: Auch in
                                                                                    der Schweiz lassen sich wirksame
                                                                           Naturschutzgebiete realisieren. Solche gut
                                                                            funktionierende Schutzgebiete stellen wir
                                                                              Ihnen in diesem Magazinthema vor. Für
                                                                              die wichtigen Erfolgsfaktoren vergeben
                                                                                     wir jeweils einen bis drei Punkte.

       Die Naturvielfalt in der Schweiz ist in der Krise. Tier- und        Tier- und Pflanzenarten kann man nicht auf kleiner Fläche kon-
       Pflanzen­arten stehen vor dem Aussterben. Die Insektenwelt          servieren. Sie brauchen Raum, damit sie als Lebensgemeinschaft
       nimmt ab. Von typischen Lebensräumen wie Mooren, Flussauen          funktionieren können. Wissenschaftler rund um den Globus
       oder Trockenrasen sind nur noch letzte Reste übrig geblieben. Da-   schätzen, dass es 30 Prozent der Land- und Wasserflächen als
       mit der Rückgang der Biodiversität gestoppt werden kann, braucht    Schutzgebiete braucht, damit der Rückgang der Biodiversität auf-
       es eine Umkehr zu einer nachhaltigen Landnutzung und gleich-        gehalten werden kann; davon ist die Schweiz noch weit entfernt
       zeitig Gebiete, in denen die Natur Vorrang hat: Schutzgebiete.      (siehe Seite 8).
          Diese Erkenntnis ist nicht neu. Vor 150 Jahren hat etwa die
       Schweiz die Übernutzung ihrer Wälder gestoppt. Anstatt Kahl-        Schutzgebiete brauchen mehr Schutz
       schlag gilt seither nachhaltiger naturnaher Waldbau als             Doch nicht nur die Fläche zählt: Schutzgebiete müssen auch be-
       Nutzungs­prinzip. Doch weil auch in einem naturnah bewirt-          treut und weiterentwickelt werden. Das ist nicht einmal bei den
       schafteten Wald gewisse Naturprozesse und Entwicklungs­             Biotopen von nationaler Bedeutung sichergestellt. Selbst die
       stadien fehlen, braucht es ergänzend zur naturnahen Nutzung         Kantone schätzen den Schutz ihrer eigenen Gebiete als ungenü-
       Waldreservate – also Schutzgebiete, in denen sich zum Beispiel      gend ein. Es fehlt an Geld und Personal für die Umsetzung. So
       die natürliche Dynamik ungehindert entfalten kann.                  lassen etwa Nährstoffe aus der intensiv genutzten Umgebung
                                                                           die Naturwerte in den Schutzgebieten weiter abbröckeln. Aus-
       Kleinflächige Naturreste genügen nicht                              nahmebestimmungen zugunsten von Nutzungen durchlöchern
       Während sich unsere Wälder vom Raubbau des 19. Jahrhunderts         die Wirkung wie einen Schweizer Käse. Und werden ausnahms-
       erholen, wiederholen wir die Fehlentwicklung in der Kulturland-     weise Aufwertungen von Naturschutzgebieten, Erweiterungen
       schaft. Hier stehen kleinflächige Naturreste wie Rettungsinseln     oder gar neue grosse Schutzgebiete geplant, stossen sie auf Un-
       mitten im Meer einer immer intensiver genutzten und immer           verständnis und Widerstand. So hat es die Schweiz in über hun-
       stärker überbauten Landschaft. Doch in der jetzigen Form kön-       dert Jahren nicht geschafft, einen neuen Nationalpark zu grün-
       nen sie den Rückgang der Naturvielfalt nicht aufhalten.             den.

                                                                                                                          Pro Natura Magazin 5 / 2021
Pro natura magazin - Die Schweiz braucht ein dichteres Netz von Naturschutzgebieten
thema                     5

                                                         Fläche
                                               Managementplan
                                             Klare Zuständigkeit
                                   Öffentlich-rechtlicher Schutz
                               Information/Öffentlichkeitsarbeit
                                    Gesellschaftliche Akzeptanz
                               Finanzielle/personelle Ressourcen
                                     Monitoring/Erfolgskontrolle

                              Schweizerischer
                              Nationalpark
                                     Der 17 030 Hektaren grosse Schweizerische Nationalpark
                                     ist der Smaragd unter Schweizer Schutzgebieten. Seit
                                     über 100 Jahren darf sich das Gebiet im Unterengadin
                                     als Wildnisgebiet entwickeln. Seit einigen Jahren strei-
                                     fen die grossen Beutegreifer Luchs, Bär und Wolf wieder
                                     durch die Nationalparkwälder. Der rechtliche Schutz, be-
                                     stehend aus Verträgen mit den Grundeigentümern, dem
                                     Nationalparkgesetz und der kantonalen Verordnung, hat
                                     sich bewährt. Zu Recht wurde der Schweizerische Natio-
                                     nalpark in diesem Jahr als erstes Schweizer Schutz­gebiet
                                     in die Green List der IUCN für gut betreute Schutzgebiete
                                     aufgenommen. ut

Pro Natura Magazin 5 / 2021
Pro natura magazin - Die Schweiz braucht ein dichteres Netz von Naturschutzgebieten
6         thema

La Pierreuse
                              Fläche
                    Managementplan
                  Klare Zuständigkeit
        Öffentlich-rechtlicher Schutz
    Information/Öffentlichkeitsarbeit
         Gesellschaftliche Akzeptanz
    Finanzielle/personelle Ressourcen
          Monitoring/Erfolgskontrolle

                                        Pro Natura Magazin 5 / 2021
Pro natura magazin - Die Schweiz braucht ein dichteres Netz von Naturschutzgebieten
thema          7

                                                                 Benoît Renevey
                                                                                  Wie aber kommt die Schweiz zu einem umfassenden und wirk-
                                                                                  samen Schutzgebietsnetz? In ihrem neuen Standpunkt Schutz-
                                                                                  gebiete wird sich Pro Natura eingehend mit dieser Frage beschäf-
                                                                                  tigen. Eine Auswahl gut funktionierender Naturschutzgebiete
                                                                                  aus unterschiedlichen Regionen und Lebensräumen, die wir in
                                                                                  diesem Magazinthema vorstellen, mag darauf eine Antwort ge-
                                                                                  ben.

                                                                                  Bund und Kantone sind gefordert
                                                                                  Pro Natura selber versucht, mit gutem Beispiel voranzugehen:
                                                                                  Über die ganze Schweiz verteilt sichern wir über 700 Natur-
                                                                                  schutzgebiete und leisten damit einen wichtigen Beitrag an den
                                                                                  Erhalt der Biodiversität in der Schweiz. Ich freue mich beim Be-
                                                                                  such unserer Naturschutzgebiete, die eine oder andere positive
                                                                                  Entwicklung zu sehen, die dank dem Einsatz der engagierten
                                                                                  Freiwilligen, der Angestellten und Ihnen als Pro Natura Mitglied
                                                                                  möglich wurde.
                                                                                     Doch dieses grosse Engagement genügt leider nicht. Denn
                                                                                  der Umgang mit vielen eidgenössischen, kantonalen und kom-
                                                                                  munalen Schutzgebieten sieht anders aus: Sie werden vernach-
                                                                                  lässigt und spiegeln damit die Geringschätzung wider, welche
                                                                                  die Gesellschaft der Natur entgegenbringt. Jedes Stück eines
                                                                                  Schutzgebietes, das einer Umfahrungsstrasse, einer Hafen­anlage,
                                                                                  einem Wasserkraftwerk oder sonst einer Einrichtung geopfert
                                                                                  wird, jeder Regierungsentscheid zur Kürzung der finanziellen
                                                                                  Mittel für Schutzgebiete zeigt: Wir haben noch immer nichts
                                                                                  vom unendlichen Wert der Biodiversität verstanden.

                                                                                  URS TESTER leitet bei Pro Natura die Abteilung Biotope und Arten.

                              Mit seinen 3600 Hektaren gehört das Pro Natura Naturschutzgebiet La Pierreuse zu den
                              wenigen grossflächigen Naturschutzgebieten in der Schweiz. Es ist ein Juwel der alpinen
                              Kultur- und Naturlandschaft mit Gebieten freier Naturentwicklung und bewirtschafteten
                              Alpen mit Käseproduktion. Der rechtliche Schutz ist sehr komplex. Zahlreiche nationale und
                              kantonale Schutzperimeter sind in diesem Gebiet wirksam. Dazu kommen die verschiedens-
                              ten privatrechtlichen Verträge von Pro Natura und der Fondation Sandoz. Eine anspruchs-
                              volle Aufgabe für den Schutzgebietsbetreuer von Pro Natura Waadt. ut

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Grande Cariçaie
                                                     Fläche
                                           Managementplan
                                         Klare Zuständigkeit
                           Öffentlich-rechtlicher Schutz
                     Information/Öffentlichkeitsarbeit
                            Gesellschaftliche Akzeptanz
                    Finanzielle/personelle Ressourcen
                             Monitoring/Erfolgskontrolle

        Florence Kupferschmid-Enderlin

Schutzgebiet ist
nicht gleich Schutzgebiet
Zwischen dem rechtlichen Schutz eines Nationalparks und
einem Regionalen Naturpark liegen Welten.

        Wenn Sie draussen in der Natur eines der neuen grünen Schutz-       parks entsprechen. Der Naturerlebnispark ist von der Fläche
        gebietsschilder mit dem roten Dreieck sehen und wissen wollen,      her der kleine Bruder des Nationalparks. In seiner Kernzone ist
        wie dieses Gebiet rechtlich geschützt ist, wird es schnell einmal   die freie Naturentwicklung gut gesichert. Dies ist im Zürcher
        kompliziert. Die Schweiz kennt mindestens 25 unterschiedliche       Sihlwald der Fall sowie im neuen Naturerlebnispark Jorat nörd-
        Schutzinstrumente. Hier ein Versuch, Ihnen einen Weg durch          lich von Lausanne. Die letzte Parkkategorie, der Regionale Na-
        diesen Rechtsdschungel zu bahnen.                                   turpark, hat rechtlich gar keine direkte Schutzwirkung. Die Wir-
             Der Schweizerische Nationalpark hebt sich auch rechtlich       kung soll sich aus einer freiwilligen Charta ergeben. 16 solcher
        von den anderen Schutzgebieten ab. Er ist durch ein eigenes Ge-     Pärke zählt die Schweiz.
        setz geschützt. Nach den internationalen IUCN-Richtlinien gilt         Landschaftsschutz ist die Zielsetzung der Landschaften und
        er als Wildnisgebiet und fällt damit in die strengste Kategorie     Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) und Gebiete
        aller Schutzgebiete (IUCN 1). Zusätzlich gibt es in der Schweiz     mit Verordnung über die Abgeltung von Einbussen bei der Was-
        drei weitere Parkkategorien. Eine davon heisst auch «National-      serkraftnutzung (VAEW). Ihre Wirkung für die Naturvielfalt ist
        park» und entspricht der Kategorie IUCN 2. Einzig die Kern­zone     bescheiden. Etwas besser ist die Wirkung der Moorlandschaf-
        dieser Parkkategorie, von der es in der Schweiz keine Vertrete-     ten von nationaler Bedeutung. In einer Moorlandschaft sind
        rin gibt, würde der internationalen Kategorie eines National-       auch kleinere schutzwürdige Biotope rechtlich geschützt.

                                                                                                                          Pro Natura Magazin 5 / 2021
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thema               9

                                          3000 Hektaren umfasst das in acht Teilgebie-
                                          te aufgeteilte Naturschutzgebiet am Südufer
                                          des Neuenburgersees. Es erstreckt sich über
                                          die Kantone Waadt, Freiburg, Neuenburg. Am
                                          rechtlichen Schutz dieses Gebietes sind zahl-
                                          reiche nationale und kantonale Amtsstellen
                                          beteiligt. Dank der Association de la Grande
                                          Cariçaie kann das Gebiet aber aus einer Hand
                                          betreut werden. Dazu wurde ein Management-
                                          plan erstellt, der in regelmässigen Abständen
                                          revidiert wird. Die Wirkung der Massnahmen
                                          wird zudem über ein gut funktionierendes Mo-
                                          nitoring beurteilt. Ein Beispiel, das gerne in
                                          anderen Schutzgebieten der Schweiz Schule
                                          machen darf. ut

Besonders wichtig für den Erhalt der Biodiversität sind die Bioto-   und Rückzugsorte dienen. Deshalb sollte nicht gejagt werden, und
pe von nationaler Bedeutung. Es gibt sie für fünf verschiedene       es gibt Regeln für die Freizeitnutzung. Saisonale Regeln für die
Lebensräume: für Hoch- und Übergangsmoore, Flachmoore, Au-           Freizeitnutzung, aber keine Einschränkungen der Jagd gibt es in
engebiete, Amphibiengebiete sowie Trockenwiesen und -weiden.         den kantonalen Wildruhezonen.
Die 6464 Biotope von nationaler Bedeutung machen allerdings nur         Als Pro Natura Naturschutzgebiete bezeichnet werden rund
2,2 Prozent der Landesfläche aus. Manche sind kaum grösser als       700 Flächen, die zur Erhaltung und Förderung der Naturvielfalt
ein Fussballplatz.                                                   mit einem Vertrag durch Pro Natura gesichert sind. Bei einem
     Etwa gleich viel Fläche steht durch die Waldreservate der       Viertel dieser Flächen ist Pro Natura auch Grundeigentümerin.
Kantone unter Schutz. In einem Teil der Reservate wird der natür-       Möglicherweise haben Sie auch schon von Weltnaturerbe­
lichen Waldentwicklung freien Lauf gelassen. In anderen Wald­        gebieten, Biosphärenreservaten, Ramsargebieten oder Sma-
reservaten wird zur Förderung der Biodiversität gezielt eingegrif-   ragdgebieten gehört. Ihre Erwartung ist wahrscheinlich, dass die-
fen. Die Waldreservate haben nur auf die Holznutzung und die         se international bedeutenden Gebiete besonders gut geschützt
damit verbundene Infrastruktur einen Einfluss.                       sind. Der rechtliche Schutz ist aber erschreckend schwach. Das
     Die 41 eidgenössischen Jagdbanngebiete und die 35 Wasser-       Welterbegebiet Swiss Alps Jungfrau-Aletsch ist beispielsweise nur
und Zugvogelreservate sollten Vögeln und Säugetieren als Ruhe-       als Landschaft von nationaler Bedeutung (BLN) geschützt. ut

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10      thema

Die Schweiz braucht eine

                                                                                                                                                            Bastien Amez-Droz
Biodiversitätsoffensive
Je nach Zählweise hat die Natur in der Schweiz gerade mal auf sechs
bis vierzehn Prozent der Landesfläche Vorrang. Deutlich zu wenig,
meint auch Pro Natura und hält mit den Partnerorganisationen an der
Biodiversitätsinitiative fest.

        Ein zentrales Ziel der Biodiversitätsinitiative ist es, mehr Flächen   tiative entsprechend abgeändert würde, legt langfristige und
         für die Biodiversität zu sichern. Denn momentan stehen in der         übergeordnete Ziele der Eidgenossenschaft fest. Für detaillierte
        Schweiz nicht genügend Flächen zur Verfügung, um den Rück-             Vorgaben gibt es Gesetze und Verordnungen. Ein Flächenziel
         gang der Biodiversität zu bremsen.                                    wäre in der Verfassung also am falschen Ort. Zweitens fehlt
            Bis jetzt hat die Natur nur auf einer kleinen Fläche der           noch die aktuelle wissenschaftliche Grundlage, wie viel Fläche
        Schweiz Vorrang: Lediglich auf 5,9 Prozent der Landesfläche ge-        denn für die Sicherung der Biodiversität erforderlich ist. Diese
         niesst die Natur einen rechtlich umfassenden Schutz. Diese Flä-       Grundlagen erarbeitet zurzeit die Organisation Infospecies im
         che umfasst die nationalen Schutzgebiete mit dem Nationalpark         Auftrag des Bafu.
         und der Kernzone der Naturerlebnispärke (0,4 %) sowie die Bio-
         tope von nationaler Bedeutung (2,2 %). Dazu kommen die kan-           Experten fordern: «30 by 30»
         tonalen, regionalen und lokalen Naturschutzgebiete in Umfang          Laut einer Studie der Schweizerischen Akademie der Natur­
        von 3,3 Prozent; darunter fallen auch die Waldreservate der Kan-       wissenschaften aus dem Jahr 2013 sollte die Erhaltung und För-
         tone.                                                                 derung der Biodiversität auf rund einem Drittel der Landes­fläche
            Schwächer geschützt sind die Jagdbanngebiete (3,65 % der           Vorrang haben. Gut 30 Prozent also – so viel wird aktuell auch
        Landesfläche) sowie die Wasser- und Zugvogelreservate                  international gefordert: Im Rahmen der Verhandlungen rund um
        (0,55 %). Werden diese ebenfalls angerechnet, machen die               die Biodiversitätskonvention und des neuen globalen Ziel­
        Schutzgebiete rund zehn Prozent der Landesfläche aus.                  rahmens für die biologische Vielfalt haben sich 60 Länder von
            Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) geht noch weiter und               sechs Kontinenten – darunter auch die Schweiz – zur «High Am-
         nennt zwei weitere Kategorien von Schutzgebieten: Einerseits          bition Coalition for Nature and People» (HAC) zusammenge-
         sind dies Schutzgebiete von internationaler Relevanz (1 %, hier       schlossen. Sie wollen 30 Prozent der Landesfläche und der Oze-
         handelt es sich um die Smaragd- und Ramsargebiete). Diese Flä-        ane bis 2030 schützen («30 by 30»). Die HAC wurde von den
         chen sind zwar ausgewiesen, haben aber keinen Schutz nach             Staatspräsidenten Frankreichs und Costa Ricas ins Leben geru-
         schweizerischem Recht. Andererseits nennt das Bafu auch die           fen.
         landwirtschaftlichen Biodiversitätsflächen mit Qualität 2 (2,7 %).        Kürzlich hat der Bundesrat offiziell das Verhandlungs­mandat
        Letztere können eigentlich nicht als Schutzflächen gelten, denn        der Schweizer Delegation für die Biodiversitätskonferenz verab-
         sie sind nicht langfristig gesichert.                                 schiedet. Die Schweizer Delegation will sich für ambitionierte,
                                                                               messbare und prägnante Ziele einsetzen – so auch «30 by 30».
        Europäisches Schlusslicht                                              Dazu braucht es gemäss Aussagen des Bundesrates nebst der
        Selbst wenn diese eigentlich nicht anrechenbaren Gebiete in die        Bestimmung von Schutzgebieten zusätzliche Massnahmen: die
        Gesamtrechnung einfliessen, machen alle Schutzgebiete der              Revitalisierung von Flüssen, die Erhaltung und Förderung von
        Schweiz, welche die Biodiversität fördern sollen, nicht einmal         wertvollen Gebieten für die Biodiversität sowie die Erhaltung
        14 Prozent der Landesfläche aus. Damit gehört die Schweiz im           und Schaffung von Gebieten, die der Vernetzung der Lebens­
         europäischen Vergleich zu den Ländern mit dem tiefsten                räume von Wildtieren dienen. Also genau das, was die Biodiver-
        Flächen­anteil.                                                        sitätsinitiative verlangt.
            Die Biodiversitätsinitiative verlangt deshalb, dass die
        Schweiz die erforderlichen Flächen zum Erhalt der Biodiversität        Gegenvorschlag mit ungenügenden Zielen
         sichert. Sie nennt kein konkretes Flächenziel. Dies aus zwei          Vor diesem Hintergrund wirkt es unverständlich, warum der
        Gründen: Die Bundesverfassung, die bei einer Annahme der Ini­          Bundesrat im Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative gera-

                                                                                                                              Pro Natura Magazin 5 / 2021
thema         11

Auried
                              Mit 15 Hektaren ist dieses Amphibienlaich­
                              gebiet von nationaler Bedeutung in Klein­
                              bösingen (FR) das kleinste Gebiet, das wir
                              hier vorstellen. Die ehemalige Kiesgrube ist
                              im Eigen­tum von Pro Natura und wird von
                              Pro Natura Freiburg mit Unterstützung einer
                              Begleitkommission betreut. Bei kleinen Natur-                                                     Fläche
                              schutzgebieten besteht die Gefahr, dass sie in                                          Managementplan
                              der intensiv genutzten Landschaft isoliert                                           Klare Zuständigkeit
                              sind und deshalb Arten verschwinden. Des-                                Öffentlich-rechtlicher Schutz
                              halb hat Pro Natura entlang der Saane sechs                          Information/Öffentlichkeitsarbeit
                              kleine Naturschutzgebiete mit Amphibien-                                  Gesellschaftliche Akzeptanz
                              laichgewässern erstellt. Wenn im Frühjahr die                       Finanzielle/personelle Ressourcen
                              Rufe des Laubfrosches entlang der Saane er-                                   Monitoring/Erfolgskontrolle
                              klingen, zeigt dies, dass die Vernetzung funk-
                              tioniert. ut

de mal 17 Prozent der Landesfläche für die Biodiversität si-             lungnahme dazu geäussert. Bis im Frühling 2022 hat der Bun-
chern will – ein Ziel, zu dessen Umsetzung sich die Schweiz              desrat Zeit, die Stellungnahmen zu sichten und zu analysieren.
im Rahmen der Biodiversitätskonvention ohnehin bis 2020 ver-             Dann muss der Bundesrat den überarbeiteten indirekten Gegen-
pflichtet hat. Ein altes, noch dazu verfehltes Ziel soll also für        vorschlag inklusive Botschaft dem Parlament überweisen. Die
Jahrzehnte hinaus in unserem Natur- und Heimatschutzgesetz               darauffolgenden parlamentarischen Debatten werden zeigen, in
verankert werden. So sieht keine kohärente Biodiversitäts­politik        welche Richtung sich der Gegenvorschlag entwickelt. Erst nach
aus.                                                                     dieser Phase kann eine Einschätzung erfolgen, ob ein Rückzug
     Die Vernehmlassung des indirekten Gegenvorschlags zur Bio-          der Biodiversitätsinitiative in Frage kommt oder ob es eine Volks-
diversitätsinitiative ging am 9. Juli zu Ende. Auch der Träger­          abstimmung braucht.
verein, bestehend aus Pro Natura, BirdLife Schweiz, dem                  SIMONA KOBEL betreut bei Pro Natura die Biodiversitätsinitiative.
Schweizer Heimatschutz, der Stiftung Landschaftsschutz
Schweiz sowie weiteren Organisationen, hat sich in einer Stel-           www.biodiversitaetsinitiative.ch

Pro Natura Magazin 5 / 2021
Chilpen
                          Fläche
                Managementplan
              Klare Zuständigkeit
    Öffentlich-rechtlicher Schutz
Information/Öffentlichkeitsarbeit
     Gesellschaftliche Akzeptanz
Finanzielle/personelle Ressourcen
      Monitoring/Erfolgskontrolle

             Das nur 30 Hektaren grosse kantonale Natur-
             schutzgebiet Chilpen im Kanton Baselland ist
             eine Besonderheit. Auf dem kargen Mergel­
             boden wechseln sich lichte Wälder mit orchi-
             deenreichen Magerwiesen ab. Pflanzen, die es
             gerne trocken mögen, wachsen direkt neben
             Pflanzen, die feuchte Standorte bevorzugen.
             Der Chilpen ist ein Beispiel für eine gut funk-
             tionierende Partnerschaft zwischen der öf-
             fentlichen Hand und privaten Organisationen.
             Das Schutzkonzept für das Gebiet wurde ge-
             meinsam erarbeitet. Die Aufgaben, Zuständig-
             keiten und Verantwortungen zwischen den
             fünf kantonalen Amtsstellen und Pro Natura
             Baselland sind geklärt. Damit diese Kultur-
             landschaft auch in Zukunft vielfältig bleibt,
             werden neue Pflege- und Auswertungsmass-
             nahmen getestet. ut

                                                               Pro Natura Magazin 5 / 2021
thema         13
Raphael Weber

                «Die Naturschutzgebiete sind
                für den Erhalt der Biodiversität
                unverzichtbar»
                Ein Blick über die Grenze lohnt sich: Das Naturschutzgebiet am Lac de Remoray
                im französischen Haut-Doubs ist ein Musterbeispiel für gute Reservatspflege.
                Doch wie überall macht sich auch hier ein Rückgang der biologischen Vielfalt
                bemerkbar, wie der Gebietsverantwortliche Bruno Tissot erklärt.

                Pro Natura Magazin: Herr Tissot, Sie          Wie überall: schlecht! Auch wenn ein          Es ist wichtig, dass das Wissen via Be-
                sind seit 35 Jahren für dieses Reservat       Schutzgebiet gut gepflegt wird und über       standesaufnahmen und Monitoring wei-
                zuständig. Welche speziellen Pflanzen-        vielfältige Lebensräume verfügt, wie es       tergegeben wird. Der Staat unterstützt uns
                und Tierarten kommen hier vor?                hier der Fall ist, heisst das nicht automa-   bei dieser Arbeit finanziell.
                Bruno Tissot: Die 330 Hektaren dieser         tisch, dass es der Natur gut geht und dass
                wunderbaren Landschaft setzen sich aus        alle Biodiversitätsziele erreicht sind.       Aber detaillierte Kenntnisse über ei-
                einem Mosaik verschiedener Lebensräu-                                                       nen Naturraum und gut angepasste
                me zusammen: vom See über Flach- und          Apropos Biodiversität: Wie haben Sie          Schutzmassnahmen liefern offenbar
                Torfmoore bis zu Wiesen, Flüssen und          diese bewertet?                               noch keine Garantie für ein gesundes
                Wald. Solche hoch gelegenen Feuchtgebie-      Wir führen etliche Studien durch. Eine der    Reservat.
                te sind sehr wertvoll. Das Reservat ist vor   neusten Untersuchungen stützt sich auf        Ja. Es ist ziemlich deprimierend. Ich bin
                allem für seine aussergewöhnliche Vogel-      die Schwebfliegen. Mithilfe dieser kleinen    der Kurator eines lebenden Museums und
                vielfalt bekannt: Es verzeichnet 231 Vogel-   Zweiflügler können wir eine ökologische       sehe jedes Jahr, wie die schönsten Gemäl-
                arten. 110 davon gelten als Brutvögel, wo-    Beurteilung der Lebensräume vornehmen.        de gestohlen werden. Als wir vor etwa
                bei die seltensten an die feuchten Lebens-    Dieses Konzept kann von anderen Natur-        zehn Jahren die wirbellosen Tiere etwas
                räume gebunden sind: die Bekassine, der       schutzgebieten übernommen werden. So-         genauer unter die Lupe nahmen, mussten
                Wachtelkönig, die Wasserralle und das         weit ich weiss, hat sich der Verein Grande    wir leider das Gleiche feststellen wie bei
                Tüpfelsumpfhuhn. Bei der Flora sind ne-       Cariçaie davon inspirieren lassen. Ge-        den Brutvögeln: einen allgemeinen Arten-
                ben zahlreichen Orchideenarten etwa die       meinsam mit fünf oder sechs anderen Re-       schwund. Die Naturschutzgebiete sind für
                Prachtnelke, der Grosse Sumpf-Hahnen-         servaten in Frankreich haben wir in unse-     den Erhalt der Biodiversität unverzichtbar.
                fuss, der Rundblättrige Sonnentau, die        ren Pflegeplänen ein Leitziel verankert,      Aber sie genügen bei Weitem nicht. Es
                Rosmarinheide und die Himmelsleiter zu        das ich als «Wissen um des Wissens wil-       müssten viel mehr sein, sowohl in Frank-
                nennen, die in Frankreich alle unter          len» bezeichnen würde. Wir treten damit       reich wie in der Schweiz. Ohne die Reser-
                Schutz stehen.                                in gewisser Weise an die Stelle der Univer-   vate, die bereits bestehen, wäre das Bild
                                                              sitäten, die diese Arbeit früher geleistet    allerdings noch düsterer. Doch um positiv
                Und wie steht es um die Biodiversität in      haben, nun aber über weniger Botani-          zu bleiben: In manchen Bereichen erzie-
                den verschiedenen Lebensräumen?               kerinnen und Insektenkundler verfügen.        len wir auch gute Ergebnisse.

                Pro Natura Magazin 5 / 2021
14       thema

         Wo zum Beispiel?                              in einem konstruktiven Dialog, um beim        Interessiert sich die lokale Bevölkerung
         Ich greife mal drei Bereiche heraus: Im       Unterhalt der Feuchtgebiete mehr organi-      für diese Erfolge?
         Jahr 2017 ist es uns gelungen, die 70 Hek-    sches Material abzuführen. Und für die        Die Forstwirtschaft spielt in dieser Region
         taren Wald in ein Bioreservat umzuwan-        Beweidung setzen wir eine eigene «Konik       eine wichtige Rolle. Deshalb ist es recht
         deln, in dem kein Holz mehr geerntet          Polski»-Herde ein. Es handelt sich dabei      schwierig, der Bevölkerung klarzumachen,
         wird. Man lässt die Bäume auf natürliche      um kleine polnische Pferde, die von Mai       dass der Wald nicht nur als Produktions-
         Weise sterben und kann dabei die Arten-       bis November in den Pfeifengras- und          mittel dient. Und im Land des Comté, der
         vielfalt studieren. Mit den Landwirten und    Seggenwiesen weiden und so zur Förde-         berühmten Käsesorte dieser Region, ist es
         einer neuen Generation, die für Um-           rung einer interessanten Vielfalt an Pflan-   auch im Bereich der Landwirtschaft nicht
         weltanliegen sensibilisiert ist, stehen wir   zen und Insekten beitragen.                   einfach, den Akteuren Änderungen in ih-

PanEco

         Das 433 Hektaren grosse Auengebiet von nati-
         onaler Bedeutung bei der Einmündung der Thur
         in den Rhein ist ein gutes Beispiel, wie Natur-
         vielfalt zurückgewonnen werden kann. In den
         Jahren 2008 bis 2017 wurde dem Fluss wieder
         Platz für eine natürliche Dynamik zurückge­
         geben. Das ist nicht nur ein Gewinn für die Na-
         tur, sondern ist auch ein Beitrag zum Schutz vor
         Hochwasser. Besucherinnen und Besucher kön-
         nen sich gut informieren. Durch Informations-
         tafeln, Website, Flyer, ein Naturzentrum und ei-
         nen Rangerdienst der Stiftung PanEco. Das
         sorgt für eine gute Akzeptanz. Nicht die gesam-
         te Bevölkerung hat aber Freude an der gesam-
         ten Naturvielfalt, die zurückgekehrt ist. Einige
         beklagen sich über mehr Mücken. Der Zürcher
         Regierungsrat hat beschlossen, 2024 zu ent-
         scheiden, ob deswegen die Naturdynamik wie-
         der eingeschränkt wird. ut

                                                                                                                             Pro Natura Magazin 5 / 2021
thema                  15

rer Praxis vorzuschlagen. Die Beziehun-
gen sind aber konstruktiv und wir werden
in unseren Bemühungen zur Erhaltung
der Biodiversität sehr gut akzeptiert.

FLORENCE KUPFERSCHMID ist
Redaktorin der französischen Ausgabe
                                                zur sache
des Pro Natura Magazins.
                                                Ganz im Pioniergeist …
                                                Bereits vor über hundert Jahren haben Pioniere der Naturschutz­
                                                bewegung in der Schweiz erkannt, dass die Natur Flächen benötigt,
                                                in der sie Vorrang vor allen anderen Nutzungen hat. Bald war die
                                                Idee zur Schaffung des ersten Nationalparks Mitteleuropas im
                                                Unter­engadin geboren. Eigens für dessen Finanzierung wurde 1909
                                                der Schweizerische Bund für Naturschutz – die heutige Pro Natu-

Thurauen
                                                ra   – geboren.
                                                    War die Schweiz einst Vorreiterin in Sachen Naturschutz, bildet
                                                sie heute das unrühmliche Schlusslicht, wenn es um Schutz und
                                                Förderung der Biodiversität geht. Und dies gleich in doppelter Hin-
                                                sicht: Sowohl unter den in der OECD vereinten Industrienationen
                                                wie auch innerhalb von Europa sind wir einerseits das Land mit
                                                dem höchsten Anteil an bedrohten Tier- und Pflanzenarten, ande-
                                      Fläche
                                                rerseits jenes mit dem geringsten Anteil an geschützten Flächen.
                              Managementplan
                                                Auch der UNO-Bericht zur Erreichung der Ziele der weltweiten Bio-
                          Klare Zuständigkeit
                                                diversitätskonvention Ende 2020 stellt uns kein gutes Zeugnis aus.
           Öffentlich-rechtlicher Schutz        Vom vorgegebenen Ziel zum landesweiten Anteil der Schutzge-
    Information/Öffentlichkeitsarbeit           bietsfläche von 17 Prozent sind wir weit, sehr weit entfernt. Nicht
            Gesellschaftliche Akzeptanz         nur das: Selbst für die Pflege der Biotope von nationaler Bedeu-
   Finanzielle/personelle Ressourcen            tung – unsere wertvollsten Moore, Auen, Amphibienlaichgebiete,
             Monitoring/Erfolgskontrolle        Trockenrasen – ist nur ein Bruchteil der nötigen finanziellen Mittel
                                                vorhanden. Obwohl diese Naturjuwelen lediglich rund zwei Pro-
                                                zent der Landesfläche ausmachen.
                                                    Die Schweiz braucht also dringend mehr Naturschutzgebiete
                                                und mehr Mittel für deren Unterhalt. Darüber sind wir uns erfreu-
                                                licherweise sogar mit dem Bundesrat einig, betont er doch in sei-
                                                nem Entwurf für einen indirekten Gegenvorschlag zur Biodiversi-
                                                tätsinitiative: «Ein quantitativ und qualitativ ausreichender Umfang
                                                der Lebensräume stellt die unabdingbare Grundlage für den Erhalt
                                                der Biodiversität dar.»
                                                    Bloss: Die jetzigen Schutzgebiete sind viel zu kleinflächig,
                                                schlecht vernetzt und oft schlecht unterhalten. Stattdessen brau-
                                                chen wir ein repräsentatives, umfassendes, wirksames und aner-
                                                kanntes Schutzgebietsnetz, das als zentrales Rückgrat einer biodi-
                                                versen Landschaft funktioniert.
                                                    Hierfür setzen wir uns aus Überzeugung ein, politisch, kom-
                                                munikativ, in der Umweltbildung und mit praktischer Naturschutz-
                                                arbeit in unseren über 700 Pro Natura Schutzgebieten. Ganz im
                                                Geist der Nationalparkgründer, dass die Natur auf grossen Flächen
                                                unbedingten Vorrang haben muss.

                                                URS LEUGGER-EGGIMANN ist Pro Natura Zentralsekretär.

Pro Natura Magazin 5 / 2021
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