Problemlagen und Herausforderungen internationaler Studierender in Deutschland - ergebnisse einer qualitativen vorstudie im rahmen des ...

Die Seite wird erstellt Anton Dorn
 
WEITER LESEN
DAAD Studien

Problemlagen und Herausforderungen
internationaler Studierender in
Deutschland
ergebnisse einer qualitativen vorstudie
im rahmen des sesaba-projekts
Dieses Material steht unter der Creative-Commons-Lizenz Na-
mensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
International. Um eine Kopie dieser Lizenz zu sehen, besuchen Sie
http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/.

Herausgeber
DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst
Referat S 15 – Forschung und Studien
Kennedyallee 50, 53175 Bonn
www.daad.de

Autor
Dr. Jesús Pineda

Gestaltung und Satz DITHO Design GmbH, Köln

Auflage Dezember 2018

Ein herzliches Dankeschön an Jella Niemann, Thorben Rohwer-Kahlmann
und Philipp Bläser für das hochwertige Lektorat des Textes. Simone Burk-
hart, Jan Kercher, Christian Schäfer, Susanne Falk und Julia Zimmermann
danke ich für ihre wertvollen Anmerkungen und inhaltliche Anregungen.

© DAAD

Das diesem Bericht zugrundeliegende Vorhaben wurde mit Mitteln des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkenn-
zeichen 01PX16016A gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser
Veröffentlichung liegt beim Autor.
Problemlagen und Herausforderungen
internationaler Studierender in
Deutschland
ergebnisse einer qualitativen vorstudie
im rahmen des sesaba-projekts

Jesús Pineda
Executive Summary
Im Jahr 2017 studierten mehr als 350.000 ausländische                       iskrepanz zwischen Erwartungen und
                                                                                 D
      Studierende in Deutschland – ein hochschulpolitisches                      Lebensrealität
      Ziel, dessen Erreichung erst für 2020 erwartet worden                      Internationale Studierende werden mit Herausforde-
      war. Allerdings zeigen die aktuellen Zahlen des Deut-                      rungen konfrontiert, wenn es um die Verfügbarkeit
      schen Zentrums für Hochschul- und Wissenschafts-                           von einheitlichen und aufschlussreichen Informatio-
      forschung, dass bei internationalen Studierenden1 die                      nen zum Studium in Deutschland geht, da diese Infor-
      Studienabbruchraten mit 45 Prozent im Bachelorstudi-                       mationen im Ausland sehr unterschiedlich präsentiert
      um und 29 Prozent im Masterstudium besonders hoch                          und wahrgenommen werden. Erschwerend kommt
      sind (Heublein und Schmelzer, 2018). Vor diesem Hin-                       hinzu, dass in manchen Fällen keine Unterstützung
      tergrund widmet sich das Forschungsprojekt „Studie-                        bzw. Beratung vor und während der Bewerbung
      nerfolg und Studienabbruch bei Bildungsausländern in                       zur Verfügung steht. In diesen Fällen ist die Gefahr
      Deutschland im Bachelor- und Masterstudium“ (SeSa-                         groß, dass Studierende zum Zeitpunkt der Einreise
      Ba) der Frage nach den Ursachen des Studienabbruchs                        entweder wenig oder falsch informiert sind. Dies ist
      bzw. den Determinanten des Studienerfolgs bei dieser                       immer dann problematisch, wenn Erwartungen in
      Gruppe an deutschen Hochschulen. Auf der Basis einer                       Bezug auf das Studium und das Leben in Deutschland
      Panelbefragung von Bachelor- und Masterstudieren-                          nicht erfüllt werden können. Je nach Charaktertyp zog
      den und zusätzlichen qualitativen Methoden sollen                          diese Diskrepanz zwischen Erwartungen und Realität
      Handlungsempfehlungen abgeleitet werden, die zur                           Enttäuschung, Frustration und eine erhöhte Studie-
      Verbesserung des Studienerfolgs der internationalen                        nabbruchsneigung nach sich.
      Studierenden beitragen können.
                                                                                 Institutionelle Heterogenität
      In diesem Kontext fasst die vorliegende Publikation                        Neben der Heterogenität der internationalen Stu-
      die Ergebnisse der qualitativen Vorstudie2, die der Pa-                    dierenden variiert auch die Unterstützung an den
      nelbefragung der SeSaBa-Studie vorgeschaltet war                           Hochschulen sowie die diesbezügliche personelle
      und zwischen September und Oktober 2017 stattfand,                         Ausstattung. Dies hat zur Folge, dass die Wahrneh-
      zusammen. Auf Basis von (i) Experten-Workshops mit                         mung der Problematik bzw. Bewältigungsstrategien
      48 Vertretern und Vertreterinnen von 34 Institutionen                      für Studierende unterschiedlich verfügbar sind. Per-
      und (ii) Fokusgruppen mit 40 internationalen Studie-                       sonalrotation und unzureichende Nachhaltigkeit der
      renden der Universität Bonn untersucht die qualitative                     Maßnahmen bzw. des Wissenerhalts können ebenfalls
      Untersuchung explorativ die Phänomene Studiener-                           als institutionelle Herausforderungen betrachtet
      folg und Studienabbruch.                                                   werden. Darüber hinaus wird an den Hochschulen
                                                                                 über notwendige Synergien innerhalb und außerhalb
      Für die Auswertung der qualitativen Vorstudie wurden                       der Institutionen diskutiert, die effizient ausgenutzt
      Kategorien, die von Simon Morris-Lange (2017) im Rah-                      werden müssen, um die Problematik bewältigen zu
      men einer Studie zum Studienerfolg eingeführt wur-                         können.
      den, systematisch herausgegriffen, um die Information
      zu strukturieren. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass
      darauf basierend bei Bedarf zusätzliche Kategorien
      entwickelt werden konnten. Mit Hilfe dieser Herange-
      hensweise gelangte der hier vorliegende Forschungs-
      bericht zu folgenden Ergebnissen

1	Im Rahmen der SeSaBa-Studie wird der Begriff „Internationale
   Studierende“ wie folgt definiert: Studierende mit einer ausländischen
   Staatsangehörigkeit, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im
   Ausland erworben haben (Bildungsausländer) und entweder einen
   Bachelor- bzw. Master-Abschluss in Deutschland anstreben.
2    Siehe „Methodische Durchführung der Vorstudie“ ab Seite 49.

                                                            Problemlagen und Herausforderungen internationaler Studierender in Deutschland   5
Sprachprobleme                                                            Studienfinanzierung
          Das Sprachniveau stellt eine Grundlage des Studiener-                      In den Experten-Workshops wurde die Vermutung
          folgs dar, da die Beherrschung der deutschen Sprache                       geäußert, dass viele internationale Studierende nicht
          die Integration auf einer institutionellen, akademi-                       über ausreichende finanzielle Mittel für ein Studium
          schen und sozialen Ebene ermöglichen kann. Interna-                        in Deutschland verfügen. Wichtig wäre es daher, im
          tionale Studierende erleben eine Diskrepanz zwischen                       Rahmen der Informationsvermittlung und Beratung
          den offiziell erforderlichen und zum Studieren tat-                        vor dem Studienbeginn auf die unterschiedlichen
          sächlich benötigten Sprachkompetenzen. Die Sprache                         Möglichkeiten zur Studienfinanzierung hinzuweisen.
          stellt auch eine subjektive, relationale Realität dar, da                  Als zwiespältig werden Einkünfte aus Nebenjobs
          der Vergleich zwischen internationalen Studierenden                        diskutiert: Zum einen sind diese teilweise von den
          und deutschsprachigen Studierenden omnipräsent ist.                        sprachlichen Fähigkeiten der Studierenden abhängig.
          Ebenfalls erleben internationale Studierende teilweise                     Zum anderen können sie der sozialen und akademi-
          eine andere Behandlung durch die Lehrenden und                             schen Integration der Studierenden im Weg stehen,
          Mitstudierenden, die eine subjektive Dimension des                         da für andere Aktivitäten dann weniger Zeit zur
          Phänomens darstellt. In der Debatte um die Sprache                         Verfügung steht.
          wird eine wachsende Gruppe der Studierenden nicht
          genug berücksichtigt – nämlich jene, die in englisch-                      Berufliche Perspektiven für Studierende
          sprachigen Studiengängen studieren.                                        Einige Expertinnen und Experten weisen darauf hin,
                                                                                     dass hohe Studienabbruchquoten von internationa-
          Mangelnde Studien- und Alltagsvorbereitung                                len Studierenden auch darauf zurückzuführen sein
          Das deutsche Bildungssystem stellt internatio-                             können, dass gerade Studierende im Masterstudium,
          nale Studierende je nach akademischer Erfahrung,                           die bereits über einen Abschluss verfügen, häufig
          Herkunft und persönlichen Voraussetzungen vor                              relativ spontan einen Arbeitsplatz annehmen, sobald
          unterschiedlich große Anpassungsschwierigkeiten.                           sich die Gelegenheit hierfür ergibt. Zudem wird
          Die Fokusgruppen mit den Studierenden haben                                vermutet, dass sich einige Studierende nur pro forma
          gezeigt, dass das Leben auf dem Campus für die Stu-                        einschreiben, um weiterhin über einen Aufenthaltsti-
          dierenden eine wichtige Rolle für deren Wohlbefinden                       tel zu verfügen.
          spielt, auch wenn dieses Thema wenig diskutiert wird.
          Vielfach wird in den Expertenworkshops darüber                             Soziale Isolation bzw. Segregation
          diskutiert, ob sich die Studierenden anpassen können                       Einige internationale Studierende können mit sozialer
          und sollen oder ob die Hochschulen mehr tun sollten,                       Isolation und Einsamkeit aufgrund der ungewohn-
          um die Strukturen den Erwartungen der internatio-                          ten Distanz zur Familie konfrontiert werden. Viele
          nalen Studierenden anzupassen. Viele Erfahrungen                           Institutionen führen Campus Veranstaltungen durch,
          und Herausforderungen der Studierenden finden aber                         die jedoch getrennt für internationale und deutsche
          außerhalb der Hochschulen statt und sind folglich                          Studierende stattfinden können. Es wird auch über
          nicht direkt von diesen beeinflussbar.                                     Aktivitäten berichtet, die die Gruppenbildungen
                                                                                     verstärken und als ungeeignet eingeschätzt werden
                                                                                     aufgrund religiöser oder kultureller Hintergründe der
                                                                                     Studierenden. Weitere Themen in diesem Sinne sind
                                                                                     die Reproduktion von Konflikten aus Herkunftsregi-
                                                                                     onen in Deutschland sowie erlebte Diskriminierung
                                                                                     durch andere Gruppen.

6   Problemlagen und Herausforderungen internationaler Studierender in Deutschland
 ufenthaltserlaubnis und andere notwendige
A
Prozesse
Die deutsche Bürokratie stellt internationale Stu-
dierende vor Herausforderungen im Hinblick auf die
Organisation aufenthalts- oder alltagsrelevanter Fra-
gen. Diese als Belastung wahrgenommenen adminis-
trativen Verpflichtungen können zu Verunsicherung
und Frustration führen, da internationale Studierende
oft nicht wissen, welche Prozesse zu durchlaufen sind.
Dazu zählen auch triviale Prozesse, die zum Alltagsle-
ben in Deutschland gehören wie Mülltrennung, Rund-
funkbeitrag, usw., für die die Hochschulen in manchen
Fällen keine Unterstützung anbieten können.

Stress und andere emotionale Belastungen
Die Experten-Workshops haben gezeigt, dass interna-
tionale Studierende besonders in der Anfangsphase
des Studiums durch die Akklimatisierung höherem
Stress sowie bestehender Diskriminierung (z.B. bei der
Wohnungssuche) ausgesetzt sind. Die Stressfaktoren
variierten offenbar im Studienverlauf. Dementspre-
chend stellt sich die Frage, inwiefern Begleitmaß-
nahmen im Laufe des ganzen Studiums angeboten
werden könnten.

Ein zentraler Befund der Analyse ist somit das offen-
sichtliche Spannungsverhältnis zwischen der Ver-
marktung Deutschlands als attraktives Gastland für
internationale Studierende und den teilweise fehlen-
den Strukturen und Angeboten zur Begleitung und
Unterstützung internationaler Studierender. Dadurch
gibt sie einen Überblick über Hürden institutioneller,
individueller und sozialer Natur, die internationale Stu-
dierende vor und während des Studiums zu bewältigen
haben. Darüber hinaus konnten insbesondere durch
die Einbeziehung mehrerer Akteursgruppen relevante
Erklärungsfaktoren für das Forschungsvorhaben er-
weitert werden. In weiteren Schritten soll nun unter-
sucht werden, in welchem Verhältnis diese Hürden zu-
einanderstehen und wie verschiedene Menschen diese
Lebens- und Studiensituationen wahrnehmen.

                                              Problemlagen und Herausforderungen internationaler Studierender in Deutschland   7
inhalt
Executive Summary                                                              4

       Einleitung                                                                    10

1      Hintergrund und Forschungsrelevanz                                            12

       1.     hintergrund und forschungsrelevanz                                     13

2      Zentrale Ergebnisse                                                           16

       2.1.   diskrepanz zwischen erwartungen und lebensrealität                     17
       2.2. institutionelle heterogenität                                            20
       2.3. sprachprobleme                                                           21
       2.4. mangelnde studien-und alltagsvorbereitung                                25
       2.5. studienfinanzierung                                                      27
       2.6. berufliche perspektiven für studierende                                  28
       2.7.   soziale isolation bzw. segregation                                     29
       2.8.	aufenthaltserlaubnis und andere notwendige administrative prozesse      31
       2.9. stress und andere emotionale belastungen                                 32

3      Fazit                                                                         34

4      Methodische Durchführung der Vorstudie                                        36

       4.1. forschungsansatz                                                         37
       4.2. erhebungsmethode: gruppendiskussionen                                    37
            4.2.1.  gruppendiskussionen in form von experten-workshops               37
            4.2.2.	gruppendiskussionen mit der zielgruppe anhand von fokusgruppen   38
       4.3. auswertung                                                               38

Literatur                                                                            40
Einleitung
Aufgrund der internationalen Attraktivität Deutsch-                          sowie Fokusgruppen bzw. Interviews mit internationa-
      lands als Bildungs- und Wissenschaftsstandort stre-                          len Studierenden. Zum anderen wird ein auf drei Jahre
      ben immer mehr internationale Studierende3 an, an                            angelegtes Studienverlaufspanel mit Studierenden,
      einer deutschen Hochschule zu studieren. Weltweit                            die im WS 2017/2018 ein Bachelor- bzw. Masterstudium
      hat sich Deutschland in den letzten Jahrzehnten un-                          an einer deutschen Hochschule aufgenommen haben,
      ter den wichtigsten Hochschulstandorten positioniert.                        quantitativ ausgewertet. Aus den Ergebnissen dieser
      Folglich studierten im Jahr 2017 265.484 internatio-                         Studie sollen Handlungsempfehlungen für verschie-
      nale Studierende in Deutschland (DAAD und DZHW,                              dene Zielgruppen abgeleitet werden, die zu einer Stei-
      2018). Diese wachsende Internationalisierung der                             gerung des Studienerfolgs von internationalen Studie-
      deutschen Hochschulen stellt eine Herausforderung                            renden beitragen können.
      für das deutsche Hochschulsystem dar. Die aktuellen
      Zahlen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und                             Das Ziel der vorliegenden Publikation ist es, eine zu-
      Wissenschaftsforschung (DZHW) zeigen, dass bei in-                           sammenfassende Analyse der qualitativen Vorstudie
      ternationalen Studierenden die Studienabbruchraten                           zur Studienabbruchsproblematik bei internationalen
      mit 45 Prozent im Bachelorstudium und 29 Prozent                             Studierenden an deutschen Hochschulen vorzulegen,
      im Masterstudium im Vergleich zu anderen Studie-                             die der Entwicklung der Panelbefragung der SeSa-
      rendengruppen besonders hoch sind (Heublein und                              Ba-Studie vorgeschaltet wurde. Den Hauptbestandteil
      Schmelzer, 2018). Das Verbundprojekt SeSaBa4 be-                             der Vorstudie bildeten Gruppendiskussionen in Form
      schäftigt sich daher mit der Untersuchung des Stu-                           von Experten-Workshops mit praxisnahen Vertreterin-
      dienerfolgs und Studienabbruchs bei internationalen                          nen und Vertretern von Institutionen, die im Bereich
      Studierenden auf Grundlage eines Mixed-Method-An-                            der Internationalisierung der Hochschulbildung tätig
      satzes, bei dem qualitative und quantitative Methoden                        sind, sowie Fokusgruppen mit internationalen Studie-
      kombiniert werden. Bestandteil der Studie ist zum                            renden, die zum Zeitpunkt der Untersuchung an der
      einen die qualitative Analyse von Studienerfolg und                          Universität Bonn studierten. Die Untersuchung wurde
      Studienabbruch auf Basis von Experten-Workshops                              zwischen September und Oktober 2017 durchgeführt.

3	Im Rahmen der SeSaBa-Studie wird der Begriff „Internationale Studie-
   rende“ wie folgt definiert: Studierende mit einer ausländischen Staats-
   angehörigkeit, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im Ausland
   erworben haben und entweder einen Bachelor- bzw. Master-Abschluss
   in Deutschland anstreben.
4	Das Verbundprojekt „Studienerfolg und Studienabbruch bei Bil-
   dungsausländern in Deutschland im Bachelor- und Masterstudium“
   (SeSaBa) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
   (BMBF) im Rahmen der Förderlinie „Studienerfolg und Studienab-
   bruch“ finanziell gefördert. Es wird vom Deutschen Akademischen
   Austauschdienst (DAAD), dem Bayerischen Staatsinstitut für Hoch-
   schulforschung und Hochschulplanung (IHF) und der FernUniversität
   in Hagen im Zeitraum vom 01.04.2017 bis 31.03.2021 durchgeführt.
   Weitere Informationen: www.daad.de/sesaba.

                                                              Problemlagen und Herausforderungen internationaler Studierender in Deutschland   11
1   Hintergrund und
    Forschungsrelevanz
Die Analyse und Erklärung des Studienabbruchs bei                  tische Relevanz hat, wie Hüther und Krücken (2016) er-
internationalen Studierenden hat im englischsprachi-               läutern. Eine Frage, die sich stellt, ist die Rolle der Politik
gen Raum eine lange Tradition, wobei die Forschung                 und der Hochschulen im Rahmen der internationalen
in hohem Maße normativ und meist institutionell                    Vermarktung Deutschlands als Studienziel für inter-
orientiert ist (Behroozi-Bagherpour, 2010; Kwai, 2009;             nationale Studierende5. Heublein (2009 S. 6) reflektiert
Naghdi, 2015; Smith, 2015; Wong Davis, 2012). Interes-             über diese Tatsache folgendermaßen:
santerweise zeigt der Blick in einige Gastländer, die mit
Deutschland im Bereich der Internationalisierung der                   „„Nicht vergessen werden darf auch, dass diese
Hochschulbildung konkurrieren, dass internationale                       jungen Leute nicht nur aus Studieninteresse
Studierende häufig erfolgreicher sind als inländische                    kommen, sondern auch, weil sie eingeladen
Studierende, wenn man die Erfolgsquoten und – in                         wurden. Sie haben im Internet, auf Flyern und in
manchen Fällen – auch die Studienzeiten vergleicht                       Broschüren gelesen, dass sie willkommen sind,
(Kercher, 2018). Im Fall Deutschlands fällt dagegen auf,                 dass sich die deutschen Hochschulen über ihre
dass die Studienabbruchsforschung nicht auf die spe-                     Bewerbung freuen. Sie haben Bilder gesehen
zifische Studien- bzw. Lebenssituation dieser Gruppe                     von glücklichen Studierenden und von modern
ausgerichtet ist, obwohl das Thema regelmäßig so-                        ausgestatteten Instituten, diese kommen ihnen
wohl im öffentlichen als auch im akademischen Dis-                       vor wie ein Glücksversprechen.“
kurs präsent ist.
                                                                   Aus einer bildungssoziologischen Perspektive kann die
Rech (2012) identifiziert vier Perspektiven, die die ver-          Entwicklung in den Zahlen von internationalen Studie-
schiedenen Dimensionen der Diskussion zu Studiener-                renden nicht nur als Folge einer proaktiven Bildungs-
folg und Studienabbruch bei internationalen Studie-                bedarfsplanung und eines internationalen Bildungs-
renden in Deutschland ausmachen. Erstens betont er                 marketings Deutschlands erklärt werden. Individuelle
die Relevanz, Studienerfolge bei diesen Studierenden               Gründe, wenn auch weniger gut messbar, sind eben-
nachweisen zu können, da dies die Attraktivität und                falls Teil einer sozialen Entwicklung im Rahmen der
den Ruf der einzelnen Hochschulen steigert. Weiter-                weltweiten Breitenorientierung und Universalisierung
hin betont Rech die Wichtigkeit, Studienabbrüche                   der Hochschulbildung (Trow, 1970; 1973). Im Sinne von
zu vermeiden, um ein adäquates Bildungserlebnis in                 Trow kann davon ausgegangen werden, dass in den
Deutschland zu gewährleisten, welches aufgrund der                 letzten Jahrzehnten eine bildungsbezogene Ausland-
hohen Kosten, die mit der Finanzierung eines Studi-                serfahrung zu einer Selbstverständlichkeit geworden
enplatzes verbunden sind, auch volkswirtschaftliche                ist, da eine moderne Differenzierung in Form von Soft
Konsequenzen hat. Darüber hinaus erläutert Rech zwei               Skills, Fremdsprachen und internationalen Erfahrun-
weitere Perspektiven, die ein Scheitern der Ausbildung             gen notwendig sein kann, um sich gegen die sogen-
von internationalen Studierenden als hochschulpoliti-              nante Inflation der Bildungsabschlüsse (Bourdieu und
sches Problem einordnen. Die Argumentation von Rech                Passeron, 1990) durchsetzen zu können.
zeigt, wie komplex die Analyse des Phänomens ist, da
es mehrere Akteure gibt, die unterschiedliche Ziele ver-           Es ist unabstreitbar, dass Deutschland im globalen
folgen, häufig widersprüchliche Erwartungen haben                  „Kampf um die besten Köpfe“ beteiligt ist und das
und Studienerfolg unterschiedlich definieren. Hüther               Interesse verfolgt, hochqualifizierte Individuen zu
und Krücken (2016 S. 208) beschreiben das Dilemma                  motivieren, nach Deutschland zu kommen. Allerdings
der Debatte um Studienabbruch in folgender Weise:                  kann grundsätzlich zwischen zwei unterschiedlichen
                                                                   Strömungen differenziert werden: Zum einen gibt es
   „„Hierbei wird häufig der Studienabbruch ent-                  eine Reihe von Institutionen und Maßnahmen, die
     weder den einzelnen Studierenden angelastet,                  eine erfolgreiche Ausbildung von Studierenden aus
     die nicht studierfähig oder -willig seien, oder               dem Ausland anstreben, damit diese nach ihrem Stu-
     aber der Studienabbruch wird als Versagen der                 dium in ihr Heimatland zurückkehren können. Hier
     Hochschulen angesehen, die nicht die für ein er-              kann die Ausbildung von ausländischen Studierenden
     folgreiches Studium nötigen Strukturen schaffen               sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
     oder aber sich nicht ausreichend um ihre Studie-
     renden kümmern – ein im Sinne der britischen            5	Mehrere Indikatoren, an denen die Internationalität der Hochschul-
     Kulturanthropologin Mary Douglas typischer                 bildung in Deutschland gemessen wird, berücksichtigen die Anzahl
                                                                von internationalen Studierenden sowie ausländischen Fachkräften
     Fall von sozialer „blame attribution“ (Douglas             an deutschen Hochschulen. Darüber hinaus werden immer mehr
     1992) und damit der Versuch einer einseitigen              sogenannte „internationale Studiengänge“ auf der Webseite des
                                                                HRK-Hochschulkompasses beworben, die mittlerweile auch komplett
     Schuldzuweisung.“                                          auf Englisch angeboten werden. Zu dieser Entwicklung gehört unter
                                                                anderem die Auslandsmobilität bzw. die Bemühungen, mehr deutsche
                                                                Studierende ins Ausland zu schicken und internationale Kooperatio-
Es steht außer Frage, dass dieses Thema eine hohe poli-         nen weltweit abzuschließen (siehe DAAD, 2010).

                                              Problemlagen und Herausforderungen internationaler Studierender in Deutschland     13
in Deutschland oder in von Deutschland im Ausland                          Die dargestellte Definition von Studienabbruch bringt
           eingerichteten Institutionen als Teil der Entwicklungs-                    eine Vielzahl an Messproblemen mit sich. Deshalb stel-
           zusammenarbeit mit einigen entwickelten Ländern                            len die Zahlen zum Studienabbruch, die vom DZHW
           angesehen werden. Ziel ist es dabei, entwicklungspo-                       (früher Hochschul-Informations-System HIS) vorge-
           litische Wirkungen zu realisieren (Fromm, 2017; Alesi                      legt werden, nur Schätzungen und keine objektiven
           und Kehm, 2010). Zum anderen wird mit der Ausbil-                          Messungen dar (Vgl. Hüther und Krücken, 2016; Wis-
           dung internationaler Studierender auch die Hoffnung                        senschaftsrat, 2018). Da die vorliegende Publikation
           verbunden, den Fachkräftemangel in Deutschland                             eine qualitative Analyse darstellt, wird weder auf die
           lindern zu können (Lokhande, 2017; Morris-Lange und                        Messprobleme, noch auf die Debatte über mögliche
           Brands, 2015; Dömling und Pasternack, 2015; BMWi und                       methodische Probleme der Quotenberechnung im De-
           Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, 2017).                       tail eingegangen6.

           In diesem Spannungsfeld bewegt sich die SeSaBa-Stu-                        Die Frage nach dem weiteren Werdegang der Studie-
           die, da das Forschungsprojekt Ergebnisse für Studie-                       renden, die ihr Studium abbrechen, beschäftigt zahl-
           rende, Institutionen, Politik und die Wissenschaft lie-                    reiche Studien des DZHW. Seit Jahren sind diese Studi-
           fern soll. Unabhängig davon, aus welcher Perspektive                       en darauf fokussiert, den Umfang und die Motive des
           die Problematik des hohen Studienabbruchs bei inter-                       Studienabbruchs von deutschen Studierenden und
           nationalen Studierenden betrachtet wird, muss zu-                          Studierenden mit Migrationshintergrund (siehe Heu-
           erst die Messung des Studienabbruchs definiert wer-                        blein et al., 2017; Ebert und Heublein, 2017) nachzuvoll-
           den. Heublein und Wolter (2011 S. 216) weisen darauf                       ziehen. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich
           hin, dass Studienabbruch „als eine spezielle Form von                      die Problemlagen bei diesen Studierenden von denen
           Schwund definiert (wird), die nur diejenigen umfasst,                      internationaler Studierender deutlich unterscheiden.
           die das Hochschulsystem ohne (ersten) Abschluss ver-                       Trotzdem blieb die Gruppe der internationalen Studie-
           lassen und ihr Studium nicht zu einem späteren Zeit-                       renden, deren Anteil an der Gesamtstudierendenzahl
           punkt wieder aufnehmen“. Studienabbruch wird „als                          in den letzten Jahren auf fast 10 % gestiegen ist (DAAD
           ein mehrdimensionaler Prozess, der in verschiedenen                        und DZHW, 2018), bislang mehr oder weniger unbe-
           Phasen durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst                         rücksichtigt7.
           wird“ (Ebert and Heublein, 2017 S. 5) verstanden. Ge-
           mäß dieser Interpretation ist davon auszugehen, dass                       Aus Sicht der sozialwissenschaftlichen Hochschul-
           der Studienabbruch nicht auf nur einen Grund zurück-                       forschung kann argumentiert werden, dass die Er-
           zuführen ist, sondern dass er als das Resultat einer Ku-                   forschung des Studienabbruchs bei internationalen
           mulation von Faktoren, die in komplexer Wechselwir-                        Studierenden in Deutschland als wichtiges Untersu-
           kung stehen, betrachtet werden muss. Heublein et al.                       chungsthema der nationalen Hochschulforschung an-
           (2017) argumentieren, dass Studienabbruch das Ergeb-                       gesehen werden muss. Zum Stand der aktuellen For-
           nis eines komplexen und langfristigen Überlegungs-                         schung ist festzustellen, dass fundierte Schätzungen
           prozesses darstellt, der zur Entscheidung führt, das                       zu den Abbruchquoten internationaler Studierender
           Studium ohne Abschluss zu beenden. Diese Entschei-                         vorliegen (Heublein et al., 2014, 2017), es jedoch bislang
           dung, die die Studierenden zwar letzlich selbst treffen,                   keine Untersuchungen zu den Ursachen des Studi-
           wird also von externen Faktoren auf Hochschul- bzw.                        enabbruchs dieser Gruppe gibt. Im Fokus der Längs-
           Gesellschaftsebene beeinflusst.                                            schnittstudie SeSaBa steht die interdisziplinäre Ana-
                                                                                      lyse unterschiedlicher Faktoren, die den Studienerfolg
                                                                                      bzw. Studienabbruch bei internationalen Studierenden
                                                                                      beeinflussen (z.B. individuelle Merkmale, institutionel-
                                                                                      les Umfeld, soziale, akademische und kulturelle Integ-
                                                                                      ration etc.).

                                                                             6	Es gibt zahlreiche Publikationen, die sich mit dem Thema auseinan-
                                                                                dersetzen (Heublein und Wolter, 2011; acatech, 2017; Kercher, 2018;
                                                                                Sanaa und Kasper, 2017; Burkhart und Kercher, 2014).
                                                                             7	Im Rahmen der Förderlinie „Studienerfolg und Studienabbruch“
                                                                                werden seit 2017 drei Projekte, die sich mit dieser Gruppe beschäfti-
                                                                                gen, durchgeführt, nämlich die Projekte SeSaBa, SpraStu und WeGe.
                                                                                Weitere Informationen zu den einzelnen Projekten befinden sich auf
                                                                                der Webseite der Förderlinie https://www.wihoforschung.de/de/stu-
                                                                                dienerfolg-und-studienabbruch-620.php.

14   Problemlagen und Herausforderungen internationaler Studierender in Deutschland
Aufgrund der Tatsache, dass es in Deutschland nur                        Fragebogens der Panelbefragung berücksichtigt wer-
     wenige Studien gibt, die sich mit dem Studienerfolg                      den sollten. In den Fokusgruppen mit internationalen
     bzw. Studienabbruch von internationalen Studieren-                       Studierenden wurden emotionale und motivationale
     den befassen, wurde zu Beginn der Projektlaufzeit eine                   Aspekte eines Studiums im Ausland, individuelle Ein-
     explorative Vorstudie durchgeführt. Im September und                     drücke über das Leben und das Studium in Deutsch-
     Oktober 2017 fanden drei Experten-Workshops mit                          land, institutionelle Bedingungen aus Sicht der Studie-
     insgesamt 48 Mitarbeitenden aus 34 SeSaBa-Partner-                       renden sowie interkulturelle Erfahrungen betrachtet.
     hochschulen8 und anderen Einrichtungen sowie drei                        Außerdem konnten während der Fokusgruppen einzel-
     Fokusgruppen (2x in deutscher und 1x in englischer                       ne Teile des ersten Entwurfs des Fragebogens mit Hilfe
     Sprache) mit 40 internationalen Studierenden, die an                     eines Pretests überprüft werden.
     der Universität Bonn eingeschrieben waren, statt. Die
     Experten-Workshops dienten in erster Linie der Erkun-                    Der hier vorliegende Forschungsbericht ist wie folgt
     dung, Erhebung und Analyse relevanter Einflussfakto-                     aufgebaut: Zunächst werden die zentralen Ergebnisse
     ren sowie verschiedener Ansichten und Erfahrungen                        dargestellt und diskutiert. Abschließend wird die me-
     zum Thema, die sowohl für die Vorbereitung der explo-                    thodische Durchführung der Vorstudie zusammenge-
     rativen Fokusgruppen als auch für die Entwicklung des                    fasst.

8	125 Hochschulen kooperieren deutschlandweit mit dem Projekt SeSa-
   Ba.

                                                         Problemlagen und Herausforderungen internationaler Studierender in Deutschland   15
2
Zentrale Ergebnisse

2.1. d
      iskrepanz zwischen erwartungen und
     Lebensrealität

2.2. institutionelle heterogenität

2.3. sprachprobleme

2.4. mangelnde studien-und alltagsvorbereitung

2.5. studienfinanzierung

2.6. berufliche perspektiven für studierende

2.7. soziale isolation bzw. segregation

2.8. 	aufenthaltserlaubnis und andere
       notwendige administrative prozesse

2.9. stress und andere emotionale belastungen
Auf Basis der Aussagen und Überlegungen, die zwi-                           Für die Auswertung der Gruppendiskussionen wur-
       schen September und Oktober 2017 im Rahmen von                              den Themen auf Basis der Kategorien, die von Simmon
       Gruppendiskussionen9 in Form von Experten-Work-                             Morris-Lange (2017) im Rahmen der Studie „Allein
       shops und Fokusgruppen, gesammelt wurden, konnte                            durch den Hochschuldschungel: Hürden zum Studie-
       eine Reihe von Themenbereichen identifiziert werden,                        nerfolg für internationale Studierende und Studieren-
       die als relevant für die Erforschung der Problematik                        de mit Migrationshintergrund“ eingeführt wurden,
       angesehen werden können. Die qualitative Vorstudie                          ausgewählt, um die Informationen zu strukturieren.
       wurde durchgeführt, um die Vielfalt der Problemla-                          Andere Kategorien, die vorgestellt werden, wurden im
       gen bei internationalen Studierende aufzuzeigen und                         Rahmen der Analyse ergänzt. Im Folgenden werden die
       Anhaltspunkte für die Schwerpunktsetzung der quan-                          Erkenntnisse aus den Experten-Workshops und den Fo-
       titativen Analysen zu geben. Die weitere Forschung                          kusgruppen thematisch zusammengefasst und einan-
       sowohl des qualitativen Teils10 als auch der quantita-                      der gegenübergestellt. Eine Unterscheidung zwischen
       tiven Teilprojekte wird sich der Adressierung vieler der                    Studierenden und Teilnehmerinnen bzw. Teilnehmer
       im Folgenden angeführten Überlegungen widmen. In                            der Experten-Workshops wird kenntlich gemacht11.
       diesem Zusammenhang werden die folgenden Ergeb-                             Nach Durchführung der qualitativen Vorstudie konn-
       nisse als Anregungen und Überlegungen für die weite-                        ten die in den folgenden Unterkapiteln aufgeführten
       re Erforschung des Themas vorgestellt.                                      Themen identifiziert werden:

 9	Detallierte Informationen zur Untersuchungsmethode können dem
    Methodenbericht auf www.daad.de/sesaba entnommen werden.                 11	Das Material wurde mit Hilfe eines einfachen Transkriptionssystems
 10	Im Laufe der Projektlaufzeit sind weitere Fokusgruppen bzw. Inter-          transkribiert. Ein herzliches Dankeschön an Frau Sandra Buban für ihre
     views mit internationalen Studierenden sowie Experten-Workshops             Hilfe bei der Transkription der Experten-Workshops und Fokusgrup-
     geplant, um eine qualitative Begleitung der (Weiter-)Entwicklung der        pen. Die Zitate wurden an einigen Stellen sprachlich geglättet, um das
     Panelbefragung gewährleisten zu können.                                     Lesen zu erleichtern.

2.1. diskrepanz zwischen erwartungen und lebensrealität

       Die Fokusgruppen12 begannen mit einer offenen Frage                         Prozess der Informationsvermittlung über das Studi-
       darüber, was die Studierenden über das Hochschul-                           um wird oft aus einer institutionellen Perspektive dis-
       system Deutschlands wussten, als sie überlegten, in                         kutiert (Zawacki-Richter und Bedenlier, 2015). Aus einer
       Deutschland zu studieren sowie die Frage nach den                           individuellen Perspektive ist es wichtig zu erforschen,
       Informationsquellen, die verwendet worden sind. Die-                        ob sich Studierende entweder wenig oder falsch infor-
       se Fragen hatten das Ziel, die Diskussion langsam und                       miert haben oder ob ihr Deutschlandbild auf Stereoty-
       allmählich einzuführen, bevor tiefere und persönliche-                      pen basiert war.
       re Erfahrungen thematisiert werden würden. In uner-
       warteter Weise wurden an dieser Stelle Erfahrungen                          Ein Problem der Informationsvermittlung ist die Tatsa-
       und Meinungen geäußert, die deutlich machten, wie                           che, dass sich viele Studierende im Internet informie-
       wenig einige Studierende wussten, was sie in Deutsch-                       ren müssen, was bedeutet, dass es schwierig ist, die
       land erwarten würde. Deshalb sollen zwei zusammen-                          zahlreichen verfügbaren Informationen zu differen-
       hängende Ergebnisse kurz erwähnt werden, die zeigen,                        zieren oder einzuordnen. Studierende, die sich richtig
       dass das Problem vor der Ankunft bzw. im Ausland be-                        informieren konnten, berichten auch über die Grenzen
       ginnt: Sie betreffen die Informationsquellen, die den                       der Online verfügbaren Information:
       Studierenden zur Verfügung standen, und das Bewer-
       bungsverfahren.                                                                 „„Ja, ich weiß, wir leben im digitalen Leben, aber
                                                                                         die Informationen aus dem Internet sind total
       In den Diskussionen wurde über Diskrepanzen zwi-                                  anders.“
       schen Erwartungen und Lebensrealität in Deutschland
       berichtet, was nicht nur eine Bedeutung für die SeS-                        Auch wenn Informationen vollständig sind, fehlt ihnen
       aBa-Studie aus einer wissenschaftlichen Perspektive                         oft eine Ansprechperson, um Rückfragen zu beantwor-
       hat, sondern auch für eine Diskussion der Strategien                        ten oder die Möglichkeit ausführlichere Informationen
       der Informationsvermittlung für die Gewinnung von                           zu erhalten, die tiefer erklären können, was die Be-
       internationalen Studierenden hilfreich erscheint. Der                       sonderheiten sind, die in Deutschland oder an unter-
                                                                                   schiedlichen Orten Deutschlands zu erwarten sind. Ein
                                                                                   Teilnehmer erinnert sich:
 12	Siehe Methodenbericht auf www.daad.de/sesaba für eine detaillierte
     Erläuterung der methodologischen Durchführung der Studie.

                                                              Problemlagen und Herausforderungen internationaler Studierender in Deutschland          17
„„Die Website des DAAD war sehr hilfreich.                               „„Ich kann mich da nur anschließen, Ich finde xxx
                 Ich meine durch diese Website konnte ich die                              ist echt ein schlechtes System. Es ist gar nicht
                 Studiengänge xxx suchen und mitbekommen,                                  flexibel und es ist so, man kann gar keinen
                 in welchen Universitäten es diese Möglichkeiten                           Kontakt mit der Uni knüpfen. Und zu meiner
                 gibt. Also dieses Studium zu studieren. Ich hatte                         persönlichen Erfahrung, ich habe mich einmal
                 eine Zulassung von der Universität Freiburg,                              über xxx beworben und es ist so, dass man echt
                 der Universität Bonn und auch der Universität                             alle Dokumente, echt schon alles, abgeben muss,
                 Erlangen-Nürnberg, und dann habe ich Bonn                                 dann wird xxx die nächste Bewerbung für dich
                 ausgewählt. Ein Nachteil der DAAD-Website: Es                             durchführen. Aber wenn dir ein Dokument fehlt,
                 gibt auf der Website keine Information darüber,                           dann wird xxx dir das Geld nicht zurückgeben.
                 was der Unterschied zwischen zwei Fächern, die                            xxx sagt dann einfach, dein Bewerbungsprozess
                 vom Namen her gleich sind, ist.“                                          wird nicht weitergeführt und dann sind siebzig
                                                                                           Euro weg. Ich finde es ist echt nicht so gut.“
           Ebert und Heublein (2017) gehen davon aus, dass die
           Unterstützung bei der Studienentscheidung von Stu-                         In manchen Fällen sind Studierende offenbar auf sich
           dierenden mit Migrationshintergrund eine besondere                         selbst gestellt, bis sie sich an der Hochschule einschrei-
           Rolle spielt. Sie sollen die Entscheidung auf Basis von                    ben können. In dieser Phase werden eventuell falsche
           präzisen Informationen und unter Berücksichtigung                          oder zumindest unvollständige Informationen einge-
           ihrer spezifischen Fähigkeiten, Interessen und Potenzi-                    holt, die nicht von den Institutionen selbst vermittelt
           ale treffen können. Ähnliches ließe sich auf internati-                    werden, was wiederum problematisch für die Hoch-
           onale Studierende übertragen – allerdings lassen sich                      schulen ist. Jana Berg (2018) hat im Rahmen von Exper-
           diese Prinzipien schwer umsetzen, da es für die Phase                      ten-Interviews herausgefunden, dass sich geflüchtete
           vor der Bewerbung der ausländischen Studierenden                           Studierende oft durch persönliche Kontakte, Netzwer-
           in der Regel keine spezifische Ansprechperson gibt,                        ke oder außerhochusliche Einrichtungen informieren.
           die auf Aspekte wie falsche Erwartungen eingehen                           Um dieser Herausforderung entgegenzuwirken, ha-
           oder eine Art Studienberatung anbieten könnte. Wie                         ben viele Hochschulen in den letzten Jahren Welcome
           während der Fokusgruppen deutlich wurde, können                            Zentren o.ä. etabliert. Es ist möglich, dass, trotz aller
           Bewerberinnen und Bewerber einen ersten Schock er-                         Bemühungen, viele der Herausforderungen, mit denen
           leben, wenn Sie mit einem standardisierten System der                      die Studierenden rechnen müssen, nicht direkt von
           Bewerbung zu tun haben, welches Studierende nach                           den Hochschulen adressierbar sind, wie Grüttner et al.
           Ländern gruppiert und Informationen auf Basis von                          (2018) erläutern.
           Tabellen verteilt. Zu diesem Thema äußerte sich eine
           Studierende wie folgt:                                                     Das Hochschulsystem sieht sich mit dem Problem kon-
                                                                                      frontiert, dass viele wichtige Fragen, die doch einfach
               „„Es war dann doch ein bisschen schwer, weil ich                      zu lösen wären, nicht rechtzeitig adressiert werden
                 dann auf Hochschulstart gegangen bin und                             können, da ausländische Studierende nicht ausrei-
                 da musste ich dann eine deutsche Abi-Note                            chend mit den Anforderungen des deutschen Hoch-
                 eingeben und ich hatte keine deutsche Abi-No-                        schulsystems vertraut sind, um die richtigen Fragen
                 te, ich hatte nur meine aus xxx. Es war dann                         bei der richtigen Beratungsstelle zu stellen. Außerdem
                 ein bisschen schwierig sich anzumelden und                           ist die Adressierung von externen Herausforderungen
                 herauszufinden was man da machen muss. Dann                          des Auslandsaufenthaltes so komplex, dass einige Stu-
                 musste ich in xxx jemanden aus den Ministerien                       dierende zu spät den Weg in die Beratung finden, wie
                 anrufen und keiner wusste es so richtig. Es war                      ein Experte kommentiert:
                 ein bisschen schwer sich damals zu informieren.“
                                                                                         „„Eine Grunderkenntnis war, aus den Beratungs-
           Aufgrund der hohen Anzahl von Bewerbungen kann                                  gesprächen für schwierige Studiensituationen,
           sehr gut nachvollzogen werden, dass nicht jede Per-                             dass die Studierenden durch Visafragen spät
           son telefonisch oder per E-Mail individuell unterstützt                         rein kamen, dann haben sie sich die Hälfte des
           werden kann. Dennoch zeigt die vorliegende Untersu-                             Semesters erstmal damit befasst überhaupt vor
           chung, dass für einige Studierende der erste Eindruck,                          Ort anzukommen, das heißt, bis sie jemals im
           den das deutsche Hochschulsystem vermittelt, den Er-                            Vorlesungsbetrieb zugehört haben, waren wir im
           wartungen des Bildungsmarketings nicht entspricht:                              letzten Drittel des Semesters und bei Studien-
                                                                                           gängen, die dann mal im ersten Semester einen
                                                                                           Erfolg erwarten, als Indikator für „er bringt die
                                                                                           Kompetenzen mit“, brachte das praktisch so
                                                                                           einen Salto mortale ein.“

18   Problemlagen und Herausforderungen internationaler Studierender in Deutschland
Eine weitere relevante Dimension des Problems ist, wie                    Weil, für mich Zuhause in den USA ist alles sehr
Studierende mit unerfüllten Erwartungen umgehen.                          interaktiv, man sollte in einer Konversation, in ei-
Ein Student erzählt:                                                      ner Diskussion mitmachen. Hier ist es eher, man
                                                                          ist an Vorlesungen gewöhnt und dass man alle
   „„Die ersten Tage in Deutschland waren total                          Informationen kriegt, die schreibt man auf und
     super bei mir, weil es immer mein Traum war in                       das wars, vielleicht noch ein bisschen Diskussion
     Deutschland zu studieren und ich war so: ‚wow,                       im Tutorium. Aber das ist eine Fähigkeit, die an-
     ich bin hier und es hat geklappt‘. Das hat so                        ders gefördert wird in Deutschland im Bachelor.
     ungefähr eineinhalb Monate gedauert und ich                          Und wenn man dann in den Master kommt,
     war wirklich aufgeregt, aber später kam schon                        wenn man schon daran gewöhnt ist, ist das
     die Enttäuschung.“                                                   schon okay, [unverständlich]. Und dann warte
                                                                          ich und warte ich, aber vielleicht lerne ich dann
Aber wer ist verantwortlich für diese Enttäuschung?                       am Ende von der Masterarbeit mehr als von dem
Könnte man behaupten, dass Studierende falsche Vor-                       ganzen Studium. Aber ich glaube das liegt auch
stellungen entwickelt hatten oder waren diese falsch                      einerseits daran, dass ich mich nicht richtig infor-
übermittelt worden? Ist diese Enttäuschung nur bei in-                    miert habe und andererseits auch an kulturellen
ternationalen Studierenden präsent? Wie lässt sie sich                    Unterschieden, dass das so anders ist.“
beeinflussen? Die Beantwortung dieser Fragen könnte
relevante Befunde für die Praxis liefern. Dennoch zeigt             Möglicherweise gibt es bestimmte Persönlichkeitsty-
die qualitative Untersuchung, dass die Erwartungen                  pen, die besser und sogar pragmatischer mit diesen
einer heterogenen Gruppe aus so vielen Ländern, Al-                 Erfahrungen umgehen können, wie ein Student argu-
tersgruppen und mit diversen Bildungserfahrungen                    mentiert:
schwer zu verallgemeinern sind. Ein Student berichtet:
                                                                        „„The most important thing is just to identify
   „„Ich hatte eine andere Vorstellung. Ich war ein                      with what you do. I mean, also this complaining
     bisschen älter, ich dachte, okay ich mache eine                      and all these stereotype of the first semester is
     Pause und ich könnte dann nochmal in diese                           the hardest, of course it is hard, but once you
     akademische Welt gehen und ein bisschen Spaß                         just accept the rules as they are and once you
     haben. Aber enttäuschend, im Endeffekt ist es                        accept that as a challenge, then it becomes just
     nicht so. Es ist immer alles klipp und klar, der Stu-                a task, too and it is nothing difficult, it’s just
     diengang, und man muss selber Raum finden, für                       okay that people are not that friendly in this
     etwas Spaß oder etwas Leichtes. Aber ich glaube                      country and maybe not as friendly as in my
     es liegt an meiner Perspektive, da ich schon ein                     country, but that’s how it is. So, I should maybe
     bisschen älter bin und andere Vorstellungen                          learn something else from them, for example
     habe.“                                                               how to organise my time better, how to be more
                                                                          efficient. So, I think it’s just about being open to
In den Fokusgruppen wurden Aussagen getroffen, die                        changes and accept things as they are and then
zeigen, dass je nach individuellen Zielen eine Enttäu-                    completing it as a task and even if some are
schung optimistisch verarbeitet werden kann. Eine an-                     going to realize it’s not what you expected, it’s
dere Person reflektiert:                                                  also a gain.“

   „„Ich glaube auch meinerseits habe ich mich nicht               Ein weiteres Thema ist die Zeit, die vergeht, während
     super gut über den Masterstudiengang xxx                       internationale Studierende lernen, sich in Deutsch-
     informiert, aber für mich war es keine Heraus-                 land zu etablieren. Diese Herausforderungen, die so-
     forderung. Ich habe [unverständlich] und dafür                 wohl außerhalb als auch innerhalb der Institutionen
     habe ich dann Fähigkeiten gesammelt, die dann                  erlebt werden, können eine Verzögerung der Ziele des
     besser für meine Jobchancen sind und das, das                  Studiums mit sich bringen. Das Resultat ist eine neue
     habe ich schon gesammelt. Aber alles an reines                 Diskrepanz zwischen der Erwartung eines Bachelorab-
     Forschungswissen und neuen gelernten Metho-                    schlusses innerhalb von drei Jahren bzw. eines Master-
     den, das ist ein großer Mangel… Die Erwartungen                abschlusses innerhalb von zwei Jahren und der Reali-
     an die Studenten sind sehr gering. Ich glaube                  tät, da diese Zeitvorgaben nur schwer zu erfüllen sind.
     wir waren teilweise in Kursen zusammen wo wir                  Die Frage, ob internationale Studierende in der Tat eine
     und noch zwei andere Studenten, von zwanzig                    längere Studienzeit als deutsche Studierende haben,
     Leuten, an dem Gespräch teilgenommen haben.                    wird kontrovers diskutiert.

                                               Problemlagen und Herausforderungen internationaler Studierender in Deutschland    19
Ein Experte kommentiert besipielsweise:                                        Vergleich zu deutschen Studierenden war die
                                                                                          Abbruchquote im Masterstudium, eigentlich
               „„Also wir haben an der TU die Möglichkeit bei                            bei allen Masterstudiengängen, um die 15 %
                 der Exmatrikulation, dass man Gründe ange-                               höher. Und wir haben aber auch festgestellt: der
                 ben kann. So vier allgemeine Gründe: Familie,                            Abbruch ist vielleicht gar nicht mal das Prob-
                 Gesundheit, Schwangerschaft und Sonstiges und                            lem – die graduieren nicht. Die haben unendlich
                 die Meisten, haben wir festgestellt – wir haben                          lange Studienzeiten und bleiben da dranhängen
                 das gerade erhoben – vor allem im Masterbe-                              und sind dann schon am Arbeiten und machen
                 reich, haben eher „Sonstiges“ oder „Familie“                             tausend andere Dinge und kriegen das gerade
                 angegeben. Also familiäre und weitere Gründe.                            irgendwie nicht hin“
                 Und was wir aber festgestellt haben: gerade im

 2.2. institutionelle heterogenität

           Eine klassische Aussage in Bezug auf internationa-                            „„Ich würde gern die Frage zwei zuerst beantwor-
           le Studierende ist, dass diese Gruppe sehr heterogen                           ten, ob die Problematik thematisiert wird, ich
           zusammengesetzt ist. Doch die qualitative Vorstudie                            würde sagen ja, aber ungern, aber wir reden
           hat gezeigt, dass die institutionellen, politischen (z.B.                      nur über mehr Akquise und wie kann ich noch
           je nach Bundesland) und sozialen (z.B. mit oder ohne                           mehr Studierende rekrutieren und in welchen
           Fluchterfahrung, EU oder Nicht-EU) Rahmenbedin-                                Projekten lässt sich noch irgendwo was machen,
           gungen, unter denen sie sich bewegen, ebenfalls sehr                           als wie helfe ich den bestehenden Studierenden
           unterschiedlich sind. In anderen Worten stellt das                             eigentlich zum Abschluss.“
           deutsche Hochschulsystem eine starke horizontale
           Differenzierung dar, die Herausforderungen für die Er-                        „„Die Universität xxx thematisiert das durch-
           forschung des Phänomens mit sich bringt. Das theore-                           aus auf einer operativen Ebene. Das heißt, wir
           tische Sampling, welches für die Rekrutierung von Ex-                          nehmen an, oder wir wissen, dass im Studienab-
           perten und Expertinnen fortgesetzt wurde, zeigte, dass                         bruch und wir überlegen mit welchen Maßnah-
           nach Monaten immer noch neue Akteure, Einrichtun-                              men können wir schauen, dass diejenigen, die
           gen und Institutionen, die mit dem Thema zu tun ha-                            bei uns angefangen haben zu studieren, es auch
           ben, gefunden werden konnten. Darüber hinaus wer-                              [unverständlich] beenden. Das Thema Studie-
           den die Personalrotation und die Nachhaltigkeit der                            nabbrecher wird jetzt von der Universität xxx
           Maßnahmen bzw. der neuen Strukturen häufig disku-                              das erste Mal wirklich systematisch in Angriff ge-
           tiert. Diese Herausforderungen wurden auch deutlich,                           nommen und ich glaube es wird nicht ausdrück-
           nachdem viele Ansprechpartner und Ansprechpartne-                              lich ausgewiesen auf den Unterschied zwischen
           rinnen, mit denen die Projektkoordination in Kontakt                           Internationalen und Bildungsinländern.“
           war, nach wenigen Monaten entweder innerhalb der
           Institutionen oder in andere Institutionen gewechselt                      Während der Diskussionen wurden fehlende Synergi-
           sind.                                                                      en innerhalb der Institutionen und der Zusammenar-
                                                                                      beit mit anderen Einrichtungen thematisiert:
           Als die Studienabbruchquoten im Rahmen der Exper-
           ten-Workshops vorgestellt wurden, konnten verschie-                           „„Wir sind ja eine relativ große Universität und
           dene Definitionen, Erwartungen und Rollen diskutiert                           natürlich kann man die Zahlen messen, der
           werden. Dabei wurde deutlich, dass der Stand des                               Studienabbrecher, aber man weiß dann doch die
           Wissens stark institutionell bedingt ist, da viele von                         Gründe nicht so genau, das geht uns halt so. Als
           den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Exper-                                 große Universität liegt’s vielleicht auch daran,
           ten-Workshops nicht über ausreichend Zahlen oder                               dass natürlich viele Stellen zuständig sein könn-
           Fakten verfügten, um die Belastbarkeit der präsentier-                         ten, wir haben ja eine psychologische Beratungs-
           ten Studienabbruchquoten für ihre eigene Hochschule                            stelle, wir haben selbst bei uns in der Abteilung
           einzuordnen. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass                              eine Rechts- und Konsularberatung für inter-
           das Phänomen des Studienabbruchs an einigen Hoch-                              nationale Studierende, wir haben da natürlich
           schulen nur ungern thematisiert oder problematisiert                           die Abteilung für Studium und Lehre, wir haben
           wird. Wie einige Experten kommentieren:                                        die einzelnen Fächer, Fachbereiche, und eigent-
                                                                                          lich ist nirgends so richtig klar, wenn man sich
                                                                                          dann auch mit den Kollegen austauscht, woran

20   Problemlagen und Herausforderungen internationaler Studierender in Deutschland
liegt es denn nun? Es sind natürlich immer eine                    „„Ich hatte ein, für mich zumindest und für den
         Pluralität von Gründen, aber es fehlt eigentlich                     Studierenden, relativ traumatisches Erlebnis
         so dieser Gesamtüberblick. Also ich würde sagen                      gehabt. Ein Studierender der verzweifelt bei uns
         die Quantität ist vielleicht irgendwie feststellbar,                 im Fachbereich rumlief und eine Abschlussar-
         aber dann die Gründe für den Studienabbruch,                         beit suchte. Ein Kollege rief mich an und sagte:
         das ist doch so ein grauer Bereich über den wir                      „Mensch, kümmere du dich mal um den, der
         halt doch gerne mehr wissen wollen.“                                 sucht was“. Was ich dann auch getan habe. Und
                                                                              in seinem formalen siebten Semester, es waren
    Eine Expertin wünscht sich eine Berücksichtigung bzw.                     schon einige mehr, so eklatante Sprachschwierig-
    Einbettung des eigenen Bereichs:                                          keiten und Verständnisschwierigkeiten, Lücken
                                                                              im Studienverlauf, ich eigentlich festgestellt
       „„Für mich war überraschend, dass die Hochschu-                       habe, dass ich das sehr dramatisch fand da
         len sehr für sich denken, aber ich bin ja jetzt                      auch wirklich die Maßnahme zu ergreifen und
         auch eine Studentenwerksvertreterin und ich                          zu sagen, innerhalb dieser Bachelorarbeit, das
         musste immer fragen: und gibt’s nicht auch                           klappt so nicht und es war sein zweiter Versuch,
         Schnittstellen? Und diese Schnittstelle außerhalb                    der dann natürlich zum vollständigen Scheitern
         der Hochschule, aber die Schnittstelle innerhalb                     geführt hatte. Das war für uns beide eine sehr
         der Hochschule, das war da. Also das war okay,                       dramatische Situation. Ich habe mir daraufhin
         aber als Studentenwerksvertreterin wünschen                          geschworen das soll so bitte nicht nochmal sein,
         wir uns natürlich auch, dass wir mitgenommen                         das möchte ich nicht. Das jemand probiert zu
         werden.“                                                             studieren, es aber vielleicht nicht schafft, das
                                                                              kann passieren, das ist auch normal und richtig
    Einige Studierende erleben diese Herausforderung in                       so; man soll was ausprobieren, aber bitte nicht in
    ihrer alltäglichen Realität, dass viele Institutionen sie                 einem solch hohen Semester.“
    auf andere Institutionen oder Einrichtungen verwei-
    sen, ohne dass sich jemand verantwortlich fühlt, das
    Problem zu adressieren oder zu garantieren, dass auf
    die Probleme der Person eingegangen wird. Hier wurde
    in den Experten-Workshops deutlich, dass die eigene
    Initiative von Mitarbeitenden eine Rolle spielt, die die
    Grenzen ihrer Rollen oft überwinden müssen, um Stu-
    dierende auf einer persönlichen Ebene zu unterstüt-
    zen. Ein Experte erzählt:

2.3. sprachprobleme

    Dass die Sprache von großer Bedeutung für den Bil-                  darstellt, da ohne die Beherrschung der Sprache des
    dungserfolg ist, ist eine klassische These der Bildungs-            Ziellandes eine Integration weder auf einer institutio-
    soziologie. Pierre Bourdieus (1991) Überlegungen auf-               nellen oder akademischen noch der sozialen Ebene ge-
    greifend, ist Sprache als Mittel symbolischer Macht                 währleistet werden könne. Dies hätte auch zur Folge,
    nicht nur im Bildungsbereich relevant, sondern im                   dass klare Perspektiven einer Erwerbstätigkeit entwe-
    gesellschaftlichen Leben. Zahlreiche Studien unter-                 der während oder nach dem Studium nicht gegeben
    streichen die Rolle, welche Sprachschwierigkeiten für               wären, was sowohl eine emotionale Auswirkung in
    die verminderten Bildungschanchen von Individuen                    Form mangelnder Motivation zum Abschluss, als auch
    aus bildungsfernen Familien und benachteiligten                     Auswirkungen in Form finanzieller Unsicherheiten
    Millieus spielen. In Bezug auf den Bildungserfolg von               hätte.
    Nicht-Muttersprachlern im Hochschulbildungsbereich
    gibt es eine Reihe von Analysen und Diskussionen, die               Doch die Problematik der Sprache stellt sogar eine He-
    auf die Frage eingehen, welche Rolle die Schwierigkei-              rausforderung dar, wenn es um die Erforschung des zu
    ten der deutschen Sprache im Alltag und im Studium                  untersuchenden Phänomens an sich geht, da die Be-
    für die Bildungserfahrung spielen könnte (Bärenfänger               herrschung der Sprache notwendig ist, um Daten mit
    et al., 2016; Wisniewski, 2018; Moll, 2015; Inozemtseva,            Hilfe eines Fragebogens oder Interviews zu erheben.
    2016; Ehlich und Steets, 2003). Eine mögliche These                 Während der Rekrutierung und der Durchführung der
    ist, dass das Sprachniveau eine Grundlage zum Erfolg

                                                   Problemlagen und Herausforderungen internationaler Studierender in Deutschland   21
Fokusgruppen13 wurde deutlich, wie viele Studierende                          „„Persönlich finde ich, dass dieser DAF-Test und
           sich nicht zutrauten oder nicht in der Lage waren, eine                         C1 und so, wenn man nicht länger hier lebt oder
           Meinung zu äußern. Es kann davon ausgegangen wer-                               wohnt, für das Studium nichts bringt. Es ist wun-
           den, dass Individuen mit starken Deutsch- oder Engli-                           derbar mit Leuten auf der Straße zu kommuni-
           schdefiziten die Teilnahme an den Gruppendiskussio-                             zieren und so weiter, aber tiefsinnig zu diskutie-
           nen gar nicht zusagen würden.                                                   ren oder zu schreiben, das geht nicht, finde ich.
                                                                                           Also ich bin froh, dass ich die Möglichkeit habe
           Berg (2018) erläutert die Regularien in Bezug auf die                           auf Englisch zu schreiben, dann kann man sich
           sprachliche Voraussetzung, bevor eine Zulassung an                              besser äußern. Aber ich denke, dass wenn man
           einer deutschen Hochschule möglich ist: An vielen                               sich auf ein Studium in Deutschland vorbereitet,
           deutschen Hochschulen wird der Nachweis der Sprach-                             man ein bisschen tiefer als C1 gehen muss. Die
           kenntnisse auf Niveau B2 (Selbstständige Sprachver-                             sollten ein höheres Niveau haben.“
           wendung) oder C1 (Kompetente Sprachverwendung)
           nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrah-                             Ein anderer Student fügt hinzu:
           men für Sprachen vorausgesetzt. Wie die qualitative
           Analyse zeigt, ist der Erwerb der Sprachkompentenz                            „„Bei meinem Deutschkurs hat eine Dozentin im-
           auf der Basis von Sprachzertifikaten, in manchen Fällen                         mer gesagt: Wenn man den DAF-Test bestanden
           nicht ausreichend, um eine adäquate Lebens- bzw. Bil-                           hat, sagt es nicht, dass man studieren kann. Man
           dungserfahrung in Deutschland zu ermöglichen. Wie                               sitzt in einem Seminar und man versteht nichts.
           ein Student berichtet:                                                          Und sie hat Recht. Ich war ganz langsam mit der
                                                                                           Sprache, aber weil ich Zeit hatte, Gott sei Dank.“
               „„Ich möchte auch über Sprache sprechen. Also in
                 Korea als ich in Korea Deutsch gelernt habe habe                     Wie die Aussage zeigt, werden einige Studierende mit
                 ich nur von Koreanern gelernt und sie sprechen                       einer Diskrepanz zwischen den Voraussetzungen, die
                 eine ganz andere Sprache. Das habe ich in der                        nachzuweisen sind, und den eigentlichen Kompeten-
                 Bahn gemerkt in Deutschland. Ein Deutscher                           zen, die notwendig sind, konfrontiert. Damit bestätigt
                 kam zu mir und hat einen sehr kurzen Satz                            sich die Sicht einiger Experten, die darauf verweisen,
                 gesagt und ich habe es nicht verstanden. Ich                         dass die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache
                 habe damals schockiert gesagt: ‚Können Sie das                       wesentlich komplexer sind als vermutet. Einige inter-
                 nochmal sagen?‘ und das immer wieder und er                          nationale Studierende befinden sich in einer kompli-
                 hat dann irgendwann gesagt: *Seufzer* und war                        zierten Situation, wenn bürokratisch gesehen alle Vor-
                 dann weg. Und das war wirklich schockierend für                      saussetzungen erfüllt worden sind, aber trotzdem eine
                 mich, die Sprache ist ganz anders.“                                  differenzierte Wahrnehmung bzw. Behandlung von au-
                                                                                      ßen stattfindet. Wie die folgende Aussage zeigt, wer-
           Ähnliche Erfahrungen wurden sowohl von Studie-                             den Erwartungen den Professoren und Professorinnen
           renden als auch von Hochschul-Expertinnen und -Ex-                         gegenüber nicht-Muttersprachlern thematisiert. Ein
           perten geäußert. Ein Bericht zu Sprachbiografien von                       Student fragt sich, ob es nur sein Eindruck sei, oder ob
           ausländischen Studierenden des Goethe-Instituts und                        er tatsächlich anders wahrgenommen und behandelt
           der CHE Consult unterscheidet zwischen vier deutlich                       werde:
           erkennbaren bildungsbiographischen Deutschlernpfa-
           den bei internationalen Studierenden14 (Bischof et al.,                       „„Und ein anderes Ding ist ich finde es ist jetzt
           2016). Diese Wege zeigen, wie unterschiedlich die Erfah-                        nur meine persönliche Erfahrung, aber ich finde
           rung mit der deutschen Sprache sein kann, was einen                             Professoren denken immer direkt, dass ich nicht
           Vergleich zwischen den Studierenden auf Basis eines                             so gut Deutsch kann. Der Professor wird immer
           Sprachnachweises problematisch macht. Es kann da-                               fragen: Möchtest du deine Hausarbeit auf Eng-
           von ausgegangen werden, dass die Sprachkompetenz,                               lisch schreiben? Ich habe nur gesagt: Ich möchte
           die im Rahmen eines Deutsch als Fremdsprache-Kurses                             versuchen das auf Deutsch zu schreiben und
           erworben wird, ungenügend als Vorbereitung auf eine                             dann sagte der Professor: Ja, okay, du kannst das
           Auseinandersetzung mit der Fachsprache eines spezifi-                           machen. Aber ich habe das schon drei Mal ge-
           schen Fachbereichs oder einer wissenschaftlichen Dis-                           hört, von drei verschiedenen Dozenten oder so.”
           ziplin ist. Ein Student reflektiert selbstkritisch über die
           unrealistische Erwartung, eine Fremdsprache innerhalb                      Man könnte aber auch annehmen, dass der Professor
           von Monaten oder wenigen Jahren zu beherrschen:                            bzw. die Professorin der Studierende helfen wollte, in-
                                                                                      dem er/sie annimmt, es wäre leichter, wenn die Aufga-
                                                                                      be auf Englisch erledigt werden könnte. Hier könnte es
     13	Siehe Methodenbericht auf www.daad.de/sesaba.                                sich um ein interkulturelles Kommunikationsproblem
     14	Deutschlernen vor jeglichem Studium, Erststudium im Ausland ohne             handeln. Auch die Tatsache, sich mit einem bestimm-
         Deutschlernen, Erststudium im Ausland mit Deutschlernen, Kein
         Deutschlernen vor jeglichem Studium (Bischof et al., 2016 S. 5).
                                                                                      ten Thema bislang nur auf einer anderen Sprache be-

22   Problemlagen und Herausforderungen internationaler Studierender in Deutschland
Sie können auch lesen