PULS/CE 35 - Max Planck Institute for Chemical Ecology

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PULS/CE  35
Public Understanding of Life Sciences / Chemical Ecology

                                                                                                              Foto: Franziska Eberl
                                                                                  Newsletter Mai 2020

                      Räuber mit eigenem Entgiftungsmechanismus
                      Die chemische Abwehr von Pflanzen wirkt nicht nur auf das Wachstum von Pflan-
                      zenfressern, sondern indirekt auch auf die nächsten Konsumenten in der Nahrungs-
                      kette. Eine neue Studie zeigt, dass Pflanzenfresser, aber auch ihre Räuber, wirksame
                      Mechanismen entwickelt haben, um mit Pflanzengiften umzugehen ... S. 3

                      Manipulativer Meeresparasit
                      Ein parasitischer Pilz kann den Stoffwechsel einzelliger Algen für eigene Zwecke
                      so manipulieren, dass kleine bioaktive Stoffe gebildet werden, die der Pilz für seine
                      eigene Ausbreitung nutzt. Gleichzeitig wird die Vermehrung der Algen verhindert
                      und der Algenteppich schrumpft schließlich und stirbt ... S. 4

                      Aber bitte mit Sporen!
                      Pappelblätter mit Pilzbefall schmecken Schwammspinnerraupen besonders gut.
                      Besonders die jungen Larven des Schädlings werten ihren Speiseplan durch die
                      pilzliche Nahrung auf: Sie entwickeln sich schneller und verpuppen sich einige
                      Tage früher als Raupen, die nur Blattgewebe verspeisen ... S. 5
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PULS/CE 35                                                                                                                                            2

                                                                                                Newsletter Mai 2020 | Editorial

                                                                                                Zu diesem Zeitpunkt war die Arbeit von zu Hause
                                                                                                nicht nur von der Generalverwaltung angeordnet
                                                                                                worden, sie wurde für Eltern notwendig, da alle
                                                                                                Schulen geschlossen worden waren. Die Service-
                                                                                                gruppen und die meisten Abteilungen wurden in
                                                                                                getrennte Teams mit sich nicht überschneidenden
                                                                                                Arbeitszeiten aufgeteilt, sodass eine mögliche
                                                                                                Infektion eines Mitglieds die wichtigen Aktivitä-
                                                                                                ten des anderen Teams nicht völlig zum Erliegen
                                                                                                bringen würde. Das Gewächshaus wurde vorü-
                                                                                                bergehend für Nicht-Gewächshauspersonal ge-
                                                                                                schlossen. Die IT-Gruppe richtete ein System für
                                                                                                den Zugriff auf die Büro-Computer von zu Hause

 Institut im Krisenmodus                                                                        aus ein. Die Verwaltung war in der Lage, die
                                                                                                meisten Einkaufs- und Gehaltsabrechnungsvor-
                                                                                                gänge im Home Office durchzuführen. Die For-
 Eine Person an der Bushaltestelle am      Während ich dies schreibe, werden in Deutsch-        schungskoordinatorin Karin Groten und die Refe-
 Beutenberg Campus. Jena war die           land langsam die Beschränkungen gelockert, die       rentin für Öffentlichkeitsarbeit Angela Overmeyer
 erste Stadt in Deutschland, in der bei    wegen der Ausbreitung des Coronavirus einge-         informierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
 der Nutzung öffentlicher Verkehrs-        führt wurden. Die letzten drei Monate scheinen       ständig über die neuesten Verfügungen der Stadt
 mittel und in Geschäften oder bei der     wie Jahre, denn an jedem Tag gab es neue Ent-        Jena und des Landes Thüringen. Ian und Gundega
 Arbeit das Tragen eine Mund-Nasen-        wicklungen. Aber die gute Nachricht ist, dass un-    Baldwin waren zur Vorbereitung der Feldsaison
 Bedeckung Pflicht wurde. Das Plakat       ser Institut die Situation bisher sehr gut gemeis-   nach Utah gereist. Doch dann wurden Reisebe-
 ruft zur Solidarität auf, denn „Es ist    tert hat, dank der unglaublichen Teamarbeit und      schränkungen verhängt und der Rest der Abtei-
 für uns alle schwierig.“ Plakate in der   der selbstlosen Kooperation aller Beteiligten. Der   lung konnte sich ihnen nicht anzuschließen. Bei
 ganzen Stadt baten darum, sich an         erste Schock war, dass die lang geplante Sitzung     einer Mitarbeiterin in Jena wurde zehn Tage nach
 die neuen Vorschriften zu halten, z.B.    des Wissenschaftlichen Fachbeirats vom 11. bis       ihrem letzten Besuch im Institut eine Infektion mit
 sich bei Symptomen an die Hotline der     13. März abgesagt wurde. Wir begannen sofort         dem Coronavirus festgestellt. Zum Glück erholte
 Stadt zu wenden, von Hamsterkäufen        mit den Planungen für eine mögliche Schließung       sie sich wieder und infizierte keine weiteren Mit-
 abzusehen oder zu Hause zu bleiben,       des Instituts, indem wir Prioritätenlisten von       arbeiter. Wir können uns glücklich schätzen, dass
 wie es viele taten, um im Home Office     Pflanzen und Insektenkulturen erstellten, die        die Stadt Jena sofort entsprechende restrikti-
 zu arbeiten. Foto: Angela Overmeyer       aufrechterhalten werden mussten. Unsere Vor-         ve Maßnahmen ergriff: Sie war die erste Stadt
                                           bereitungen wurden in einem Pandemieplan für         in Deutschland, die das Tragen von Masken im
                                           unser Institut formalisiert. Wir bildeten ein Kri-   öffentlichen Nahverkehr und in Geschäften vor-
                                           senteam, dem Vertreterinnen und Vertreter aller      schrieb. Das Institut nimmt jetzt immer mehr For-
                                           Servicegruppen und Abteilungen angehörten.           schungsaktivitäten auf. Ich bin sehr froh über den
                                           In der ersten Sitzung am 16. März formulierte        Geist der Teamarbeit und der Kooperation, mit
                                           das Team einen konkreten Plan zur Reduzierung        dessen Hilfe wir diese Krise überstehen konnten.
                                           der Aktivitäten im Institut und unsere Reaktion
                                           für den Fall, dass sich eine Mitarbeiterin oder
 David Heckel mit Mund-Nasen-Schutz.       ein Mitarbeiter mit dem Coronavirus infizierte.                      David Heckel, Managing Director
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 Research Highlight | Newsletter Mai 2020

 Räuber mit eigenem Entgiftungsmechanismus
 Pflanzenfressende Insekten müssen die chemi-        Isothiocyanate gebildet hatten. Die Bildung des
 sche Verteidigung von Pflanzen überwinden. Zu       Enzyms ist jedoch auch mit Kosten verbunden,
 chemischen Pflanzenabwehrstoffen gehören die        denn Kohlmottenlarven entwickeln sich besser
 Senfölglykoside, die von allen Kreuzblütenge-       auf Pflanzen, die keine Senfölglykoside bilden.
 wächsen, wie Kohlgemüse, Brokkoli und Meerret-
 tich, gebildet werden. Diese Verbindungen wer-      Die Raupe der Kohlmotte ist Teil der Nahrungs-
 den leicht in giftige Isothiocyanate umgewandelt.   kette, denn sie fällt räuberischen Insekten, wie
 Einige Pflanzenfresser besitzen daher Mecha-        etwa Florfliegenlarven, zum Opfer. Florfliegen-
 nismen, um die Bildung von Isothiocyanaten zu       larven sind gefräßige Räuber und werden auch
 verhindern, darunter auch die Kohlmotte, ein auf    als Nützlinge in der biologischen Schädlingsbe-
 Kohl und verwandte Arten spezialisierter Schäd-     kämpfung eingesetzt. Daher wollten die Forscher       Im Würgegriff: Die Larve einer Grünen
 ling. Ein Forschungsteam aus der Abteilung Bio-     herausfinden, wie sich die Abwehrstoffe der           Florfliege (Chrysoperla carnea, rechts)
 chemie konnte jetzt zeigen, dass die Umwandlung     Pflanze auf Räuber, die solche Raupen vertilgen,      attackiert die Raupe einer Kohlmotte
 der Senfölglykoside mit Hilfe eines bestimmten      auswirken. Zu ihrer großen Überraschung zeigten       (Plutella xylostella). Das räuberische
 Enzyms tatsächlich als Entgiftungsmechanismus       sich Florfliegenlarven vollkommen unbeeinträch-       Insekt, das auch als Nützling in
 für Wachstum, Überleben und Vermehrung des          tigt davon, ob ihre Beute giftige Senfölglykoside     der biologischen Bekämpfung des
 Schädlings wichtig ist. Kohlmottenlarven, die an    enthielt oder nicht. Zwar wachsen Florfliegen et-     weltweit gefürchteten Kohlschädlings
 Kreuzblütlern fressen, bilden vermehrt ein Ent-     was schlechter, wenn sie nur die giftigen Raupen      eingesetzt wird, kann pflanzliche
 giftungsenzym, während Larven, die das Enzym        als Nahrungsquelle haben; das beeinträchtigt          Abwehrstoffe, die es mit seiner Beute
 nicht mehr produzieren können, in ihrer Entwick-    aber nicht ihre Fitness und ändert auch nichts an     konsumiert, erfolgreich entgiften.
 lung beeinträchtigt sind, wenn sie an Pflanzen      ihrer Wahl der Beute. Weitere Untersuchungen          Foto: Anna Schroll
 fressen, die Senfölglykoside in ihren Blättern      zeigten nämlich, dass auch Florfliegen in der Lage
 bilden: Sie wachsen schlechter und überleben        sind, die giftigen Pflanzenstoffe unschädlich zu      Links unten: Ruo Sun und Daniel Gid-
 seltener. Eine chemische Analyse ergab, dass        machen. Dabei nutzen sie allerdings einen ande-       dings Vassão suchen eine Arabidop-
 sich in diesen Raupen große Mengen der giftigen     ren Entgiftungsmechanismus als die Kohlmotten.        sis-Pflanze nach Schädlingen, den
                                                                                                           Raupen der Kohlmotte, ab. Auch die
                                                     Die Studie zeigt, dass sich Kohlmotten nur dann       Modellpflanze zählt zu den Kreuzblü-
                                                     erfolgreich an Kohlpflanzen entwickeln, wenn sie      tengewächsen. Foto: Anna Schroll
                                                     Senfölglykoside entgiften. Da räuberische Flor-
                                                     fliegen diese Substanzen selbst entgiften können,     Originalveröffentlichung:
                                                     könnten zukünftige Bemühungen, die Kohlmotte          Sun, R., Jiang, X., Reichelt, M.,
                                                     zu bekämpfen, einen integrierten Ansatz verfol-       Gershenzon, J., Pandit, S. S., Giddings
                                                     gen: den Entgiftungsmechanismus des Schäd-            Vassão, D. (2019). Tritrophic metabo-
                                                     lings gezielt stören und gleichzeitig Nützlinge wie   lism of plant chemical defenses and
                                                     die Florfliege einsetzen, die sich nachweislich       its effects on herbivore and predator
                                                     nicht davon beeinträchtigen lässt, ob Kohlmotten      performance. eLife. doi:10.7554/
                                                     Senfölglykoside entgiften oder nicht. [AO/KG]         eLife.51029
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PULS/CE 35                                                                                                                                                        4

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 Manipulativer Meeresparasit
                                                                                                   im Meer chemische Signalstoffe produzieren, die
                                                                                                   an der Verteidigung, Paarung und Kommunikation
                                                                                                   zwischen Lebewesen beteiligt sind. Um solche
                                                                                                   Substanzen zu identifizieren, haben Forscherin-
                                                                                                   nen und Forscher im Labor ein System etabliert,
                                                                                                   bei dem der Eipilz Lagenisma coscinodisci unter
                                                                                                   kontrollierten Bedingungen eine marine Kieselal-
                                                                                                   ge infiziert. Sie stellten fest, dass während des
                                                                                                   Infektionsprozesses zwei neue Substanzen, so-
                                                                                                   genannte Carboline, aus der Klasse der Alkaloide
                                                                                                   neu gebildet werden. Insbesondere eine der bei-
                                                                                                   den reichert sich nach Befall mit dem Eipilz stark
                                                                                                   an. Allerdings nutzten die Carboline nur dem Ei-
                                                                                                   pilz, schadeten jedoch der Alge: Ihr Wachstum
                                                                                                   wurde gebremst und die Infektion breitete sich
                                                                                                   dadurch schneller in der Algenpopulation aus.
 Marine Vallet und Tim Baumeister           Immer wieder kann es in Ozeanen zu einer Mas-          In weiteren Studien möchte das Forschungsteam
 untersuchen chemische Interkationen        senvermehrung von Algen kommen. Dadurch                herausfinden, wie sich Kieselalgen gegenüber ei-
 in Planktongemeinschaften. Die meist       werden viele andere Lebewesen anlockt, die             nem Angriff dieser Erreger wehren, denn es ist
 einzelligen Lebewesen werden in spe-       manchmal das Ende der gesamten Algenpopula-            bekannt, dass nicht alle Kieselalgenarten glei-
 ziellen Behältern kultiviert. Mit Hilfe    tion herbeiführen können. Der zugrundeliegende         chermaßen anfällig sind. Das ist nur eine von vie-
 von hochauflösenden spektrometri-          Mechanismus war jedoch bislang unbekannt.              len Fragen, wie Kieselalgen mit ihrer Umwelt in-
 schen Methoden zur Trennung und Be-        Forscherinnen und Forscher um den Max-Planck-          teragieren und welche Signalstoffe sie abgeben,
 stimmung von kleinen Substanzen aus        Fellow Georg Pohnert zeigten nun, dass ein             auf die es eine Antwort zu finden gilt. [KG/AO]
 komplexen Mischungen kombiniert mit        krankheitserregender Pilz den Stoffwechsel ein-
 Mikroskopie gelang es den Forschern,       zelliger Algen für eigene Zwecke verändert. Es
 die von einer Algenzelle produzierten      werden kleine bioaktive Stoffe gebildet, die der
 Substanzen zu identifizieren. Foto:        Pilz für seine eigene Ausbreitung nutzt, während
 Angela Overmeyer, MPI-CE                   die Vermehrung der Algen verhindert wird und der
                                            Algenteppich schließlich schrumpft und stirbt.
 Originalveröffentlichung: Vallet, M.,      Eipilze sind dafür bekannt, dass sie viele gefährli-
 Baumeister, T. U. H., Kaftan, F., Grabe,   che Krankheiten verursachen. Auch Meeresalgen
 V., Buaya, A., Thines, M., Svatoš, A.,     werden von ihnen befallen, doch die Beziehungen        Gesunde (links) und infizierte (rechts) Kieselalge Cosci-
 Pohnert, G. (2019). The oomycete           zwischen diesen Kleinstlebewesen und Algen             nodiscus granii: Ein parasitischer Eipilz hat in der rechten
 Lagenisma coscinodisci hijacks host        sind noch wenig erforscht. Bislang ist kaum et-        Zelle alle Nährstoffe ausgesaugt und den Stoffwechsel
 alkaloid synthesis during infection of     was darüber bekannt, warum manche Arten sich           der Alge verändert, um seine eigene Fortpflanzungsform,
 a marine diatom. Nature Communica-         erst stark vermehren und dann wieder verschwin-        das Sporangium, bilden zu können. Aufnahme: Marine
 tions. 10: 4938                            den. Eine Hypothese ist, dass Mikroorganismen          Vallet, MPI-CE
PULS/CE 35 - Max Planck Institute for Chemical Ecology
PULS/CE
 5      22                                                                                            PULS/CE 35
 Research Highlight | Newsletter Mai 2020

 Aber bitte mit Sporen!
 Schwammspinnerraupen sind als Generalisten
 bekannt, sie haben also keine besonderen Vor-
 lieben für bestimmte Pflanzen, sondern fressen
 an den Blättern vieler Laubbäume und Sträucher.
 In den vergangenen Jahren gab es auch in deut-
 schen Wäldern immer wieder Massenvermehrun-
 gen dieses Schädlings. Wissenschaftlerinnen und
 Wissenschaftler der Abteilung Biochemie hatten
 beobachtet, dass Raupen von den Düften pilzbe-
 fallener Pappeln angezogen werden, und stellten
 sich daher folgende Fragen: Würden die Raupen
 kranke Pappelblätter auch lieber fressen? Haben
 sie einen Vorteil davon? Und wenn ja, welche che-
 mischen Stoffe sind dafür verantwortlich?            Insekten haben könnten, als bislang angenom-        Die Raupe eines Schwammspinners
                                                      men. Weitere Untersuchungen sollen jetzt klären,    (Lymantria dispar) macht sich über die
 Fraßexperimente, bei denen Schwammspinner-           wie weit verbreitet die pilzliche Nahrung bei an-   Sporen des Rostpilzes Melampsora
 raupen Blätter mit und ohne Pilzbefall zur Aus-      deren pflanzenfressenden Insektenarten ist und      larici-populina her, der sich auf einem
 wahl angeboten wurden, ergaben eine eindeuti-        welchen Einfluss die Ernährung mit Blättern und     Pappelblatt ausgebreitet hat. Die neue
 ge Vorliebe der Raupen für pilzbefallene Blätter.    Pilzen auf das Immunsystem von Insekten hat.        Studie zeigt, dass der Schädling kein
 Im frühen Raupenstadium fraßen sie sogar erst        Möglicherweise hat diese Nahrungsnische auch        reiner Pflanzenfresser ist, sondern
 die Pilzsporen auf der Blattoberfläche, bevor sie    Auswirkungen auf die Abwehr der Insekten ge-        auch eine Vorliebe für nährstoffreiche
 Blattgewebe konsumierten. Raupen, die Pilze          genüber ihren Feinden, wie etwa parasitoiden        Pilze hat. Foto: Franziska Eberl, MPI-CE
 verspeisten, entwickelten sich schneller und ver-    Wespen. Die Rolle von Mikroorganismen bei den
 puppten sich auch früher. Sie haben damit einen      Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Insek-       Unten: Franziska Eberl. Die Erstautorin
 Vorteil gegenüber ihren Geschwistern, die gesun-     ten wurde lange unterschätzt. Dieses Versäumnis     der Studie erhält in diesem Jahr den
 de Blätter fressen. Hier spielen vermutlich wich-    gilt es jetzt nachzuholen. [AO/KG]                  Wissenschaftspreis des Beutenberg
 tige Nährstoffe, wie Aminosäuren, Stickstoff und                                                         Campus für die beste Dissertation.
 B-Vitamine, eine Rolle, die in kranken Blättern                                                          Foto: privat
 höher konzentriert waren.
                                                                                                          Originalveröffentlichung: Eberl, F.,
 Die Beobachtung, dass ein als Pflanzenfresser                                                            Fernandez de Bobadilla, M., Hammer-
 klassifiziertes Insekt - zumindest im frühen Rau-                                                        bacher, A., Reichelt, M., Gershenzon,
 penstadium - ein Pilzfresser ist, war für das For-                                                       J., Unsicker, S., (2020). Herbivory
 schungsteam die eigentliche Überraschung. Die                                                            meets fungivory: Insect herbivores
 Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass auf                                                            feed on plant pathogenic fungi for their
 Pflanzen lebende Mikroorganismen eine viel grö-                                                          own benefit. Ecology Letters. DOI:
 ßere Rolle bei der Ko-Evolution von Pflanzen und                                                         10.1111/ele.13506
PULS/CE 35 - Max Planck Institute for Chemical Ecology
PULS/CE 35                                                                                                                                                  6

                                                                                          Newsletter Mai 2020 | IMPRS Projekt

 Wie einige Pflanzen zu Fleischfressern wurden
                                          Pflanzen, die Insekten fressen, haben sich im               lich dieselbe Signalkaskade und dieselben Gene
                                          Pflanzenreich mehrfach unabhängig voneinander               wie bei der Verteidigung gegen Pflanzenfresser.
                                          entwickelt. Fleischfressende Pflanzen gehören               2. möchte ich aus ökologischer Sicht verstehen,
                                          sogar vier verschiedenen Ordnungen von Pflanzen             wie das Anlocken der Beute funktioniert. Dafür
                                          an. Sie sind daher ideale Modelle, um die unab-             untersuche ich direkte Interaktionen zwischen
                                          hängige Entstehung ähnlicher Merkmale im Evo-               Tieren und Pflanzen. Mittels eines multidisziplinä-
                                          lutionsprozess zu untersuchen. Alle fleischfres-            ren Ansatzes werden verschiedene Aspekte des
                                          senden oder „karnivoren“ Pflanzen wachsen auf               Lockmechanismus analysiert, z.B. in Verhaltens-
                                          nährstoffarmen Böden. Sie verdauen Insekten,                studien mit einem Modell-Beute-Organismus,
                                          um diesen Mangel auszugleichen. Ihre Beute bau-             der Weberameise Polyrhachis dives. 3. möchte
                                          en sie mit Hilfe von Enzymen unter extrazellulären          ich herausfinden, wie Karnivorie die Evolution
                                          Bedingungen ab, die man als eine Art „äußeren               von extrafloralem Nektar und dessen chemi-
                                          Magen“ bezeichnen kann.                                     scher Zusammensetzung beeinflusst hat. Bei
                                                                                                      nicht-fleischfressenden Pflanzen vermittelt dieser
 Oben: Alberto Dávila Lara unter-         Insektenfressende Pflanzen haben verschiedene               Nektar, der außerhalb von Blüten gebildet wird,
 sucht die Kannenpflanze Nepenthes        Strategien entwickelt, um ihre Beute anzulo-                symbiotische Beziehungen zwischen Pflanzen und
 x ventrata. Er interessiert sich vor     cken, zu fangen, zu töten, zu verdauen und die              Ameisen: Pflanzen bieten Ameisen zuckerhaltigen
 allem für die Physiologie dieser         freigesetzten Nährstoffe aufzunehmen. Jeder                 Nektar an und als Gegenleistung schützen die
 fleischfressenden Pflanze. In Süd-       einzelne Schritt hat physiologische, molekula-              Ameisen quasi als „Bodyguards“ die Pflanzen vor
 ostasien, wo sie beheimatet ist, wird    re, ökologische und evolutionäre Aspekte, die               Fressfeinden. Bei Kannenpflanzen ist extrafloraler
 sie seit langer Zeit in der Volksmedi-   bislang noch nicht hinreichend verstanden sind.             Nektar vermutlich am Beutefang beteiligt. Eine
 zin verwendet. Sie ist daher auch als    Um diese Lücke zu schließen, untersuchen wir                Analyse der chemischen Zusammensetzung des
 natürliche Quelle für Pharmazeutika      die Kannenpflanze Nepenthes x ventrata, die                 Nektars soll klären, ob er als Köder fungiert oder
 interessant. Außerdem ist sie ein        zur Ordnung der Nelkenartigen (Caryophyllales)              für die indirekte Pflanzenabwehr produziert wird.
 ausgezeichnetes Modell, um zu            gehört. Bei dieser Pflanze von den Philippinen              Alberto Dávila Lara
 verstehen, warum die Evolution ähn-      handelt es sich um das Ergebnis einer natürlichen
 liche Eigenschaften von Lebewesen        Kreuzung zwischen Nepenthes alata und Nepen-
 unabhängig voneinander hervorge-         thes ventricosa. In meiner Forschung widme ich
 bracht hat. Foto: Sandra Werner          mich drei Hauptthemen: 1. möchte ich aus phy-
                                          siologischer Perspektive nachvollziehen, wie sich
 Unten rechts: Der Fangmechanismus        Karnivorie aus den Abwehrmechanismen der
 der Kannenpflanze funktioniert wie       Pflanze gegenüber Fressfeinden entwickelt hat.
 eine Fallgrube. Ob Nektartröpfchen am    Fleischfressende Pflanzen nutzen wahrschein-
 Kannenrand dabei helfen, Weberamei-
                                          Alberto Dávila Lara kommt aus Nicaragua. Er ist Doktorand der International Max Planck
 sen anzulocken, ist Gegenstand der       Research School und seine Forschung wird vom Deutschen Akademischen Austauschdienst
                                          (DAAD) finanziert. In seinem Projekt in der Forschungsgruppe Physiologie der pflanzlichen
 Untersuchungen. Foto: Alberto Dávila
                                          Verteidigung unter der Leitung von Axel Mithöfer untersucht er die Physiologie, Ökologie
 Lara, MPI-CE                             und Evolution von fleischfressenden Kannenpflanzen.
PULS/CE 35 - Max Planck Institute for Chemical Ecology
7                                                                                                                 PULS/CE 35
    News | Newsletter Mai 2020

    Die Wehrhaftigkeit von Meerretticherdflöhen hängt von ihrer Futter-
    pflanze und ihrem Entwicklungsstadium ab

    Meerretticherdflöhe nutzen Pflanzenabwehrstof-      sind, aber das Enzym, das für die Umwandlung
    fe, sogenannte Senfölglykoside, aus ihrer pflanz-   in giftige Substanzen benötigt wird, nicht immer
    lichen Nahrung zur Verteidigung gegen Räuber.       aktiv ist. Während Larven den Angriff durch ei-
    Dazu speichern sie enorme Mengen dieser un-         nen Räuber, wie der Asiatischen Marienkäferlar-
    giftigen Substanzen im Körper und besitzen, wie     ve, erfolgreich abwehren können, werden Puppen
    auch ihre Futterpflanze selbst, ein Enzym, das      gefressen, da sie keine nennenswerte Enzymakti-
    Senfölglykoside in giftige Senföle umwandelt.       vität aufweisen. [AO/KG]                                      Theresa Sporer untersucht, wie sich
    Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der                                                                      Meerretticherdflöhe mithilfe von
    Forschungsgruppe Sequestrierung und Entgif-         Originalveröffentlichung: Sporer, T., Körnig, J., Beran, F.   Abwehrstoffen ihrer Futterpflanze da-
    tung in Insekten haben herausgefunden, dass         (2020). Ontogenetic differences in the chemical defence       gegen wehren, von Räubern gefressen
    die Pflanzenabwehrstoffe zwar in allen Lebens-      of flea beetles influence their predation risk. Functional    zu werden. Foto: Anna Schroll
    stadien des Meerretticherdflohs nachweisbar         Ecology, doi: 10.1111/1365-2435.13548
                                                                                                                      Die Larve des Meerretticherdflohs
                                                                                                                      (Phyllotreta armoraciae, links) ist gut
                                                                                                                      gegen die räuberische Asiatische
                                                                                                                      Marienkäferlarve (Harmonia axyridis,
                                                                                                                      rechts), geschützt. Foto: Benjamin
                                                                                                                      Fabian, MPI-CE

    Süßkartoffel warnt ihre Nachbarn bei Befall durch einen einzigen
    Duftstoff

    Verschiedene Süßkartoffelsorten, die unter glei-    mechanismus nicht auf die befallene Pflanze be-
    chen Bedingungen im Feld wachsen, weisen            grenzt ist, sondern auch benachbarte, noch nicht
    auffällige Unterschiede bei Fraßschäden und         befallene Süßkartoffeln wappnen kann. Die Er-
    Insektenbefall auf. Die Sorte Tainong 57 zeigte     gebnisse sind von großem landwirtschaftlichem
    schon in früheren Studien im Vergleich zur Sorte    Interesse, denn durch den konsequenten Anbau
    Tainong 66 eine höhere Resistenz gegen Pflanzen-    von resistenten Sorten wie Tainong 57 könnte
    schädlinge im Feld. Bei Befall ist ein Duft wahr-   man den durch Pflanzenfresser entstehenden                    Studienleiter Axel Mithöfer und
    nehmbar, der von den verwundeten Blättern aus-      Schaden auf natürliche Weise reduzieren [KG/AO]               Erstautorin Anja Meents begutachten
    geht. Dieser über die Luft verbreitete Duft kann                                                                  eine Süßkartoffelpflanze der Sorte
    ausreichend sein, um in den Pflanzen Abwehr-        Originalveröffentlichung: Meents, A. K., Chen, S.-P., Rei-    Tainong 57. Bei Insektenbefall geben
    mechanismen gegen pflanzenfressende Insekten        chelt, M., Lu, H.-H., Bartram, S., Yeh, K.-W., Mithöfer, A.   die Blätter dieser Süßkartoffelsorte
    auszulösen. Wissenschaftlerinnen und Wissen-        (2019). Volatile DMNT systemically induces jasmonate-         einen Duftstoff ab, der ausreicht, um
    schaftler der Forschungsgruppe Physiologie der      independent direct anti-herbivore defense in leaves           Nachbarpflanzen in Alarmbereitschaft
    pflanzlichen Verteidigung haben den Duftstoff       of sweet potato (Ipomoea batatas) plants. Scientific          zu versetzen. Foto: Angela Overmeyer,
    identifiziert und zeigen, dass der Verteidigungs-   Reports, 9, 17431                                             MPI-CE
PULS/CE 35 - Max Planck Institute for Chemical Ecology
PULS/CE 35                                                                                                                                                              8

                                                                                                            Newsletter Mai 2020 | News

                                          Wie aus einer Minze Katzenminze wurde

                                          Katzenminze ist für ihre berauschende Wirkung                 Genom zweier Arten der Katzenminze, die beide
                                          auf Katzen bekannt. Dafür verantwortlich ist der              Nepetalacton bilden, mit dem der nahe verwand-
                                          Duftstoff Nepetalacton, ein flüchtiges Iridoid,               ten Heilpflanze Ysop, die weder Nepetalacton,
                                          das die Pflanze produziert. Ein internationales               noch andere Iridoide produziert. Dieser Vergleich,
                                          Forschungsteam unter Beteiligung der Abteilung                die Nachbildung des Erbguts von Vorfahren der
                                          Naturstoffbiosynthese von Sarah O‘Connor fand                 Katzenminze sowie umfassende Stammbaum-
 Die Katzenminze gibt den Duft-           jetzt mittels Genomanalysen heraus, dass die Fä-              Analysen ermöglichten die Bestimmung der zeit-
 stoff Nepetalacton ab, der bei bei       higkeit, Iridoide zu bilden, bei den Vorfahren der            lichen Abfolge der Ereignisse, die zur Entstehung
 geschlechtsreifen Katzen eine Art        Katzenminzen im Laufe der Evolution schon verlo-              der Nepetalacton-Biosynthese führten. [AO/KG]
 Rausch auslöst: Riechen die Katzen an    ren gegangen war. Die Nepetalacton-Biosynthe-
 den Pflanzen, werden sie regelrecht      se in der Katzenminze ist also das Resultat einer             Originalveröffentlichung: Lichman, B. R., Godden, G. T.,
 „high“, wälzen sich am Boden und zei-    „wiederholten Evolution“, allerdings mit dem Un-              Hamilton, J. P., Palmer, L., Kamileen, M. O., Zhao, D., Vail-
 gen ungewöhnlich verspielte Verhal-      terschied, dass sich dieses Iridoid in der chemi-             lancourt, B., Wood, J. C., Sun, M., Kinser, T. J., Henry, L.
 tensweisen. Foto: Phil Robinson, John    schen Struktur, den Eigenschaften sowie seiner                K., Rodriguez-Lopez, C., Dudareva, N., Soltis, D. E., Soltis,
 Innes Centre, Norwich, Großbritannien    ökologischen Funktion von anderen chemischen                  P. S., Buell, C. R., O’Connor, S. E. (2020). The evolutiona-
                                          Verbindungen aus dieser Stoffgruppe grundle-                  ry origins of the cat attractant nepetalactone in catnip.
                                          gend unterscheidet. Die Forscher verglichen das               Science Advances, DOI: 10.1126/sciadv.aba0721

                                          Forschende aus Jena und Schweden untersuchen den Einfluss von
                                          menschengemachten Umweltveränderungen auf Insekten

                                          Die von Menschen verursachten Umweltverän-                    ethologie, die Pheromonforschungsgruppe an der
                                          derungen wirken sich auch auf Insekten aus. Die               Universität Lund und die Forschungsgruppe Che-
                                          Max-Planck-Gesellschaft, die Universität Lund                 mische Ökologie der Abteilung Pflanzenschutz-
                                          und die Schwedische Universität für Agrarwis-                 biologie an der Schwedischen Universität für
 Torbjorn von Schantz, Vizekanzler der    senschaften wollen deshalb in dem neuen Max                   Agrarwissenschaften. Die drei Partner ergänzen
 Universität Lund, Martin Stratmann,      Planck Center “next Generation Insect Chemical                sich ideal: Ob Pflanzenfresser (Borkenkäfer und
 Präsident der Max-Planck-Gesell-         Ecology” zusammenarbeiten und die Wechselwir-                 Motten), Blutfresser (Mücken) oder die Essig-
 schaft, und Maria Knutson Wedel,         kungen zwischen Insekten, Klima und Menschen                  fliege – die Forschenden bringen ihr Fachwissen
 Vizekanzlerin der Schwedischen           erforschen. Gemeinsam wollen sie herausfinden,                zu unterschiedlichen Insektenarten ein. Alle drei
 Universität für Agrarwissenschaften,     wie Klimawandel, Treibhausgase und Luftver-                   Forschungsorganisationen finanzieren das Center
 unterzeichnen die Vereinbarung für       schmutzung die chemische Kommunikation von                    mit jeweils 500.000 EUR pro Jahr. 17 neue Nach-
 das neue Max Planck Center „next         Insekten beeinflussen. Der offizielle Startschuss             wuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaft-
 Generation Insect Chemical Ecology“      für die Partnerschaft erfolgte am 27. Januar 2020             ler werden am Max Planck Center forschen. Sie
 (nGICE). Im Hintergrund: Bill Hansson,   im schwedischen Alnarp. Am Max Planck Cen-                    werden jeweils an einer der drei Einrichtungen
 Leiter der Abteilung Evolutionäre Neu-   ter sind drei Forschungsgruppen beteiligt: Das                hauptsächlich arbeiten, können gleichzeitig aber
 roethologie und einer der nGICE-Co-      Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in                 auf die Infrastruktur und die Expertise der ande-
 Direktoren. Foto: Mårten Svensson        Jena mit seiner Abteilung Evolutionäre Neuro-                 ren Gruppen zurückgreifen. [AO]

                                                                                                                                  www.ice.mpg.de
                                          Impressum: PULS/CE erscheint zweimal jährlich auf der Homepage des MPI für chemische Ökologie und kann auch kostenlos
                                          abonniert werden. Die Verteilung erfolgt elektronisch als PDF, auf Wunsch werden gedruckte Exemplare verschickt.
                                          Herausgeber: MPI-CE, Jena. Geschäftsführender Direktor: Prof. Dr. David G. Heckel (viSdP).
                                          Redaktion: Dr. Karin Groten, Forschungskoordination • Angela Overmeyer M.A., Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
                                          ISSN: 2191-7507 (Print), 2191-7639 (Online)
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