Qualitative Evaluation der Arbeits-integrationsprogramme der Stadt Zürich Ergebnisse einer biographisch angelegten Studie

Die Seite wird erstellt Arthur Weise
 
WEITER LESEN
Qualitative Evaluation der Arbeits-
   integrationsprogramme der Stadt Zürich
 Ergebnisse einer biographisch angelegten Studie

Schlussbericht zuhanden der Abteilung Soziale Einrichtungen und Betriebe
                   Sozialdepartement der Stadt Zürich

                              Dr. phil. Eva Mey
                         lic.rer.soc. Fernanda Benz

                     Hochschule Luzern – Soziale Arbeit
                              Werftestrasse 1
                             CH- 6002 Luzern

                               Februar 2010
Summary

Die vorliegende Studie ist im Auftrag der Sozialen Einrichtungen und Betriebe (SEB) der Stadt Zü-
rich im Zeitraum von Juni 2007 bis Dezember 2009 durchgeführt worden. Das Ziel der qualitativ-
empirischen Evaluationsstudie war es, vertiefte Kenntnisse über Wirkungen und Wirkungsweise der
Stadtzürcher Arbeitsintegrationsprogramme für Sozialhilfebeziehende (Teillohn- und Qualifizierungs-
stellen) zu gewinnen.
In Ergänzung bisheriger Wirkungsstudien im Bereich der Arbeitsintegration wurde dabei bewusst ein
biographisch orientierter Ansatz gewählt. Rund 30 Teilnehmende wurden zu je zwei Zeitpunkten - bei
Programmeinstieg und ein Jahr später - im Rahmen ausführlicher biographisch-narrativer Interviews
über ihre Erwerbsbiographie, ihre allgemeine Lebenssituation und ihre Erfahrungen im Rahmen des
Programmbesuchs befragt. Ergänzt wurden diese biographischen Befragungen durch ebenfalls mehr-
malige Interviews mit den jeweiligen Bezugspersonen im Programm.
Im Rahmen vertiefter Fallanalysen wurde herausgearbeitet, wie im Programmverlauf individuelles
Handeln der Teilnehmenden einerseits (ihre Wahrnehmungen, ihre Strategien) und die äusseren Be-
dingungen andererseits (Bedingungen des Programms und der allgemeinen Lebenssituation) mitein-
ander verbunden sind. Auf der Basis der Analysen liessen sich allfällige Veränderungen der Lebenssi-
tuation zwischen dem ersten und dem zweiten Befragungszeitpunkt detailliert beschreiben und die
Bedingungen eruieren, unter denen im Rahmen des Programms eher positive oder umgekehrt eher
negative Verläufe zu Stande kamen.
Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie lassen sich wie folgt zusammenfassen:
•    Im Rahmen des Teillohnangebotes wurden vielfältige positive Wirkungen im Bereich der Stabi-
     lisierung erreicht. Das Konzept des Teillohns – Fokussierung auf betriebliche Arbeit – erlaubte
     in etlichen Fällen eine deutliche Zunahme der Handlungsautonomie und der Zufriedenheit der
     Teilnehmenden. Dies insbesondere auch in Fällen, in denen nach langer Arbeitslosigkeit eine
     bereits weit fortgeschrittene soziale Isolierung stattgefunden hatte, und auch dann, wenn die
     Teilnehmenden mit anfänglich nur geringer Motivation in das Programm eingestiegen sind.
•    Der Schritt vom Teillohn in den regulären Arbeitsmarkt erwies sich indes als schwierig: Auch
     dort, wo wichtige Stabilisierungserfolge erzielt wurden, konnten nach einem Jahr noch kaum
     weiter- und über den Teillohn hinausführende berufliche Perspektiven entwickelt werden. Dies
     hing zum Teil mit anhaltend starken Belastungsfaktoren ausserhalb der Arbeit zusammen, hatte
     aber auch mit ausgeprägten Unsicherheiten und Ängsten der Teilnehmenden zu tun, angesichts
     ihrer geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt erneut zu scheitern und allenfalls erneut in sozia-
     le Isolation abzusinken.
•    Positive Verläufe liessen sich – nebst der Stabilisierung im Teillohn – auch dort beobachten, wo
     es im Rahmen der Qualifikationsmassnahmen gelang, zumindest ansatzweise vorhandene beruf-
     liche Perspektiven zu konkretisieren und eine Integration in den regulären Arbeitsmarkt zu
     vollziehen. Die gefundenen Lösungen unterscheiden sich allerdings in Bezug auf ihre Nachhal-
     tigkeit und reichen von Vermittlungen in vollwertige Lehrverhältnisse im regulären Arbeits-
     markt bis zu Vermittlungen in prekäre Arbeitsstellen.
•    Anhand negativer Verläufe liessen sich die Grenzen der Integrationsangebote aufzeigen: Eine
     angestrebte Stabilisierung oder Arbeitsmarktintegration scheiterte dort, wo in sehr labilen Le-
     benssituationen und angesichts stark belastender programmexterner Faktoren (u.a. Sucht, fami-
     liäre Probleme, ungelöste Wohnsituation, psychische Instabilität) innerhalb des Teillohn- oder
     Qualifikationsprogramms nicht genügend Möglichkeiten bestanden, die negative Dynamik von
     aussen zu bremsen.
•    Ambivalente Verläufe kamen dort zu Stande, wo Platzierungen ohne tragfähiges Commitment
     seitens der Teilnehmenden stattfanden und diese das Programm in der Folge – bzw. nach ersten
     negativen Erfahrungen – bald wieder abbrachen, unabhängig davon ob eine Anschlusslösung
     vorlag oder nicht. Durch eine solche „Flucht“ suchten die Teilnehmenden ihre Handlungsauto-
     nomie zu retten, hatten nach einem Jahr aber in der Regel noch keine feste Anstellung gefunden
     bzw. diese bereits wieder verloren.
•    Grundsätzlich liess sich in aller Deutlichkeit erkennen, dass positive oder negative Verläufe
     nicht alleine von der konkreten Ausgestaltung des Programms abhängig waren, sondern sich
     immer im Wechselspiel von Programm, individuellem Handeln und allgemeiner Lebenssituati-
     on entwickelten. Positive Entwicklungen kamen dort zu Stande, wo a) im Programmbesuch ein
     zumindest minimaler Sinn gesehen wurde und b) das Programm so ausgestaltet war, dass Hand-
     lungsressourcen und –orientierungen im Programmverlauf gestärkt werden konnten bzw. nicht
     geschwächt wurden und c) die programmexternen Faktoren entweder von vornherein genügend
     stabil waren oder durch parallele, individuelle Begleitung ausreichend stabilisiert werden konn-
     ten.
Ausgehend von den Erkenntnissen aus den Fallanalysen sind im Anschluss ausgewählte Aspekte der
Ausgestaltung der Integrationsangebote ausführlich diskutiert worden. Leitend war dabei die Frage,
ob und inwiefern die Merkmale des Programms eine Stärkung der Handlungsautonomie als Voraus-
setzung für positive Stabilisierungs- und Integrationsprozesse eher fördern oder behindern und wel-
chen Aspekten dabei besondere Beachtung zu schenken ist. Mit Blick auf die beiden als zentral erach-
teten Problemfelder sind schliesslich Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung der Angebote formuliert
worden.
Inhalt

1. Einführung ..................................................................................................................6
1.1. Kontext und Ziel der Studie ................................................................................................. 6
1.2. Aufbau des Berichtes ............................................................................................................ 6
1.3. Design und Methode der Studie ........................................................................................... 7
1.4. Die Arbeitsintegrationsangebote der Stadt Zürich ............................................................. 8
2. Der biographisch orientierte Blick auf Arbeitsintegrationsangebote .......................10
2.1 Konzepte und Begriffe aus der Biographietheorie ............................................................ 10
2.2 Sozialhilfebezug und Programmbesuch aus biographietheoretischer Sicht .................... 11
3. Typische Verläufe: Bedingungen und Mechanismen...............................................14
3.1. Erfolgreiche Stabilisierungsprozesse in Teillohnstellen.................................................... 14
      3.1.1        „Stabilisierung“ als vielschichtiger Prozess ....................................................................... 15
      3.1.2        Stabilisierung – und dann? Schwieriger Schritt vom Teillohn in den Arbeitsmarkt ............ 19
      3.1.3        Drohende Stagnation positiver Entwicklungen durch fehlende Sinnhaftigkeit und
                   Entmächtigung................................................................................................................... 20
3.2. Erfolgreiche Arbeitsmarktintegration in Qualifizierungsstellen ..................................... 22
      3.2.1        Zugang zum Arbeitsmarkt.................................................................................................. 22
      3.2.2        Zugang zu einer Berufsausbildung ..................................................................................... 24
3.3. Negative oder ambivalente Verläufe .................................................................................. 26
      3.3.1.       Gescheiterte Stabilisierung oder Arbeitsmarktintegration in Folge dominanter
                   programmexterner Probleme .............................................................................................. 26
      3.3.2.       Ambivalente Verläufe nach eigenbestimmtem Programmausstieg ..................................... 29
3.4. Fazit: Positive oder negative Verläufe im Zusammenspiel von individuellem Handeln,
     Programmfaktoren und allgemeiner Lebenssituation ...................................................... 31
4. Diskussion ausgesuchter Aspekte der Programmgestaltung und Ansatzpunkte zur
Weiterentwicklung ..........................................................................................................35
4.1. Diskussion ausgesuchter Aspekte der Programmgestaltung ............................................ 35
4.2. Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung der Angebote ........................................................ 40
5. Literaturverzeichnis...................................................................................................43
1. Einführung

1.1.        Kontext und Ziel der Studie

So vielfältig und zahlreich die diversen Massnahmen und Angebote der Arbeitsintegration heute sind,
so schwierig ist es nach wie vor, Aussagen über ihre Wirkungen zu machen. Eine sehr klare, einfache,
allerdings auch grobe Wirkungsmessung besteht darin, die Quote der erfolgreichen Stellenvermittlun-
gen im regulären Arbeitsmarkt zu berechnen. Angesichts des primären Ziels der aktuellen Aktivie-
rungsdebatte – Integration in den Arbeitsmarkt für möglichst viele – ist diese Form der Wirkungsmes-
sung notwendig und hat ihre absolute Berechtigung. Die neuste entsprechende Studie aus der Schweiz
stammt von Daniel C. Aeppli und Thomas Ragni und zeigt im Grossen und Ganzen ernüchternde
Resultate in Bezug auf eine an der Vermittlungsquote orientierte Wirkungsmessung von Arbeitsinteg-
rationsprogrammen.1
Die alleinige Wirkungsmessung über Integrationsquoten hat jedoch zwei Nachteile: Sie vermag ers-
tens jene Wirkungen nicht aufzuzeigen, die jenseits einer Arbeitsmarktintegration oder dieser vorge-
lagert mit „weicheren“ Zielen wie sozialer Teilhabe und Zufriedenheit verbunden sind. Und zweitens
vermag sie in der Regel nur wenig vertiefte Aussagen darüber zu machen, wie die gemessenen Erfol-
ge oder Misserfolge zu Stande kommen.
Die vorliegende Studie ist deshalb bewusst qualitativ angelegt und geht einen anderen Weg, um Aus-
sagen über Wirkung und Wirkungsweise von Arbeitsintegrationsprogrammen zu machen2: Auf der
Basis von ausführlichen biographisch-narrativen Interviews rekonstruiert und analysiert sie die bio-
graphischen Verläufe von Programmteilnehmenden vor deren Eintritt ins Programm und im Verlauf
der Teilnahme am Integrationsangebot. Eine so angelegte qualitative Evaluation verfolgt nicht das
Ziel, quantifizierbare Aussagen zur Wirkung des Programms zu machen. Hingegen sollen durch ver-
tiefte Fallanalysen differenzierte Wirkungen des Programms auf die Teilnehmenden und deren Le-
benssituation herausgearbeitet, beschrieben und auf ihre Bedingungen hin untersucht werden.

1.2.        Aufbau des Berichtes

Nachfolgend werden in Kapitel 1.3 und 1.4 wichtige Kontextinformationen geliefert: Design und
methodisches Vorgehen der Studie werden erläutert, wozu insbesondere die Angaben zur Stichprobe
und zur Erhebung und Auswertung der gesammelten Daten gehören. Eine daran anschliessende kurze
Darstellung der Integrationsangebote der Stadt Zürich soll helfen, die Fallanalysen in den realen Pro-
grammkontext zu verorten. In Kapitel 2 wird kurz der konzeptionelle Rahmen der Studie dargelegt
und aufgezeigt, worin die Besonderheit und der Gewinn eines biographischen Ansatzes liegen. Die
Lektüre empfiehlt sich insofern, als hier die zentralen Begriffe der Studie eingeführt und definiert
werden. Kapitel 3 stellt dann gewissermassen das „Kernstück“ des Berichtes Arbeit dar: Es identifi-
ziert und beschreibt typische Muster und Prozesse, die sich im Lauf der vertieften Analysen der rund
1
    Aeppli und Ragni (2009). Die Autoren stellen in ihrer quantitativen, repräsentativen Untersuchung unter anderem fest, dass knapp
       ein Viertel der Personen, die 2005 und 2006 neu bei der Sozialhilfe angemeldet waren, Ende 2008 wieder eine feste Stelle im
       regulären Arbeitsmarkt innehatten; dass allerdings die Erfolgsquote für eine Re- (Integration) bei jenen, die ein Beschäfti-
       gungsprogramm besucht hatten, deutlich tiefer liegt als bei Personen ohne Massnahme.
2
    Auch in der vor Kurzem vorgelegten Studie von Schallberger und Wyer (2009) werden Wirkungen von Integrationsmassnahmen
       (in ihrem Fall Beschäftigungsprogramme der ALV) mit einem qualitativen Zugang analysiert. Die Untersuchung richtet den
       Fokus auf die Identifikation je unterschiedlicher so genannter „Leitparadigmen“ in verschiedenen Programmen und arbeitet
       heraus, welches Leitparadigma am besten zu welcher Fallkonstellation auf Teilnehmendenseite passt. Unter der Voraussetzung
       einer optimalen Passung zwischen Programm und Fallkonstellationen beobachteten die Autoren durchaus positive Wirkungen
       der untersuchten Programme im Bereich der „Ermächtigung“ (i.S. erhöhter Handlungsfähigkeit).
30 Fälle eruieren liessen; die Darstellung ist ergänzt durch eine Auswahl ausgesuchter, anonymisier-
ter Fallbeispiele. Die Erkenntnisse aus den Fallanalysen werden in Kapitel 4 nochmals nach einer
anderen Logik aufbereitet: Hier werden sie genutzt, um ausgesuchte Aspekte der Angebotsgestaltung
dahingehend zu diskutieren, ob und inwiefern diese eine Erhöhung von Handlungsautonomie und
damit positive Stabilisierungs- und Integrationsprozesse ermöglichen oder allenfalls behindern. Die
Diskussion mündet in Kapitel 4.2 schliesslich darin, anhand zweier als zentral befundener Problem-
felder Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung der Integrationsangebote aufzuzeigen.

1.3.        Design und Methode der Studie

Das dieser Studie zu Grunde liegende Sample umfasst 33 Teilnehmer/innen von Arbeitsintegrations-
angeboten für Sozialhilfebeziehende der Stadt Zürich. Mit den Teilnehmenden wurden biographisch-
narrative Interviews geführt, und zwar zu zwei Zeitpunkten: Die erste Befragung fand möglichst eini-
ge Wochen nach Eintritt in ein Programm statt, das zweite Gespräch ein Jahr später. Ergänzend zu
dieser Teilnehmenden-Befragung erfolgten parallel und möglichst zu den gleichen Zeitpunkten je
zwei bis drei Interviews mit den jeweiligen Vorgesetzen oder zuständigen Ansprechpersonen der be-
fragten Teilnehmer/innen.
61 biographisch-narrative Interviews mit Teilnehmenden und 71 Interviews mit Vorgesetzten wurden
in den Jahren 2007 bis 2009 durchgeführt. Insgesamt waren es schliesslich 132 Interviews, die auf
Tonträger aufgenommen wurden.3 Die biographisch-narrativen Interviews mit den Programmteilneh-
mer/innen wurden lautgenau transkribiert, die Interviews mit Vorgesetzten mit Hilfe eines vorgege-
benen Rasters protokolliert.
Bei der Zusammensetzung des Samples wurden im Rahmen eines qualitativen Stichprobenplans fol-
gende Merkmale berücksichtigt: der Angebotstyp (19 Personen in einer Teillohnstelle, 14 in einer
Qualifizierungsstelle); die Berufsausbildung BA (je ca. die Hälfte mit bzw. ohne Berufsaubildung),
die Nationalität (rund ein Drittel Ausländer/innen) und das Geschlecht (rund ein Vierteil Frauen).

Merkmalszugehörigkeiten des Samples
Geschlecht                                       Männer                            Frauen                            Total
Nationalität                                     Schweiz          Ausland          Schweiz          Ausland
Teillohnstellen                 mit BA           5                5                1                0                11
                                ohne BA          3                1                3                1                8
Qualifizierungsstellen mit BA                    4                1                2                0                7
                                ohne BA          3                2                1                1                7
Total                                            15               9                7                2                33
Abbildung 1: Merkmalszugehörigkeiten des Samples

Biographisch-narrative Interviews wurden deshalb durchgeführt, weil sie sich hervorragend eignen,
um die in dieser Studie interessierende Verschränkung von individuellem Handeln der Teilnehmenden

3
    In sieben Fällen konnten aus verschiedenen Gründen keine biographisch-narrativen Zweitinterviews mit Teilnehmenden durchge-
        führt werden; es gelang aber, die entsprechenden Verläufe auf der Basis der entsprechenden Vorgesetzteninterviews, zusätzli-
        chen Recherchen und einer schriftlichen „Kurz-Befragung“ der Teilnehmenden ebenfalls weitgehend zu rekonstruieren; zwei
        weitere Personen wurden nach dem Erstinterview bewusst aus dem Sample ausgeschlossen (Vermittlungsfehler).
und äusseren Bedingungen (des Programms, der allgemeinen Lebenssituation) zu untersuchen. Es ist
eine Befragungsart, die die Befragten zu möglichst eigengestaltetem Erzählen einlädt und nahe bei
deren eigenen Relevanzen bleibt. Analysiert wurden die Interviews nach der Methode der biographi-
schen Fallrekonstruktion, die sich unter anderem an Rosenthal und Schütze orientiert.4
Die Erkenntnisse aus den Fallrekonstruktionen wurden mit den Aussagen der ebenfalls interviewten
Vorgesetzten kontrastiert bzw. durch diese ergänzt. Die Interviews mit den Vorgesetzten umfassten
insbesondere detaillierte Einschätzungen zur Arbeitsfähigkeit der Teilnehmenden; auffallende Unter-
schiede zwischen Teilnehmenden- und Vorgesetztensicht wurden in den Analysen berücksichtigt.

1.4.     Die Arbeitsintegrationsangebote der Stadt Zürich

Gegenstand der Evaluationsstudie sind die Arbeitsintegrationsangebote für Sozialhilfebezüger/innen
der Stadt Zürich, die von der Dienststelle Soziale Einrichtungen und Betriebe (SEB) des Sozialdepar-
tements der Stadt Zürich angeboten werden. Ziel dieser Angebote ist gemäss SEB die berufliche und
soziale Integration von Menschen. Dazu stehen Gruppenarbeitsplätze in eigenen Betrieben sowie
Einzeleinsatzplätze in öffentlichen, gemeinnützigen oder privaten Institutionen bereit.5
Vor dem Besuch eines dieser Angebote findet in den meisten Fällen eine sorgfältige Abklärung in der
Basisbeschäftigung statt. Es handelt sich dabei um ein vierwöchiges Assessment für jene Personen,
die nach einer Neuanmeldung für den Bezug von wirtschaftlicher Sozialhilfe (WSH) von der fallfüh-
renden Stelle für arbeitsfähig erklärt werden. In diesem Assessment gehen die Teilnehmenden vier
Wochen lang und sechs Stunden täglich einer konkreten Arbeit nach. Anhand von Beobachtungen der
Teilnehmenden im konkreten Arbeitsprozess und wöchentlichen Gesprächen zwischen diesen und
einer sozialarbeiterischen oder sozialpädagogischen Fachperson werden am Ende der vier Wochen
zuhanden der fallführenden Stelle Empfehlungen für geeignete Programmzuweisungen erstellt. Ein
Besuch der Basisbeschäftigung wird nicht nur bei Neuanmeldungen initiiert, sondern auch bei Sozia-
hilfebezüger/innen, die bereits seit längerem WSH beziehen, bei welchen jedoch eine erneute Stand-
ortabklärung angezeigt erscheint. Die Empfehlung der Basisbeschäftigung kann verschiedene Ange-
bote betreffen, darunter auch die hier analysierten Teillohn- oder Qualifizierungsstellen.6

Prozess Arbeitsintegration

                                                                                       Qualifizierungsstellen

    Arbeitsfähige WSH-                      Basisbeschäftigung
    Bezüger/innen                           (Assessment)

                                                                                       Teillohnstellen

Abbildung 2: Zuweisung in ein Arbeitsintegrationsangebot

4
  Vgl. Rosenthal 1995 und 2005 und Schütze 1981.
5
  Die nachfolgenden Ausführungen zu den Arbeitsintegrationsangeboten der Stadt Zürich entstammen mehrheitlich der Homepage
     der SEB: http://www.stadt-zuerich.ch/sd/de/index/arbeitwohnendrogen/arbeitsintegrationsozialhilfe.html.
6
  Das Arbeitsintegrationsangebot der SEB umfasst auch Gemeinnützige Arbeitsplätze, Dauerarbeitsplätze für Bezüger/innen einer
     IV-Rente und spezifische Angebote für Jugendliche und junge Erwachsenen. Diese Bereiche werden hier jedoch nicht berück-
     sichtigt, da sie nicht Gegenstand der Untersuchung sind.
Qualifizierungsstellen sind für erwerblose Personen konzipiert, die in der Stadt Zürich Sozialhilfe
beziehen und mit einer zusätzlichen Qualifikation eine realistische Chance haben, auf dem regulären
Arbeitsmarkt innert kurzer Frist (wieder) eine Stelle zu finden. Die Einsätze können in einem Arbeits-
integrationsbetrieb der Stadt Zürich, in der öffentlichen Verwaltung oder in einer gemeinnützigen
Institution erfolgen. Qualifizierende Einsätze dauern ein halbes Jahr und werden von zuständigen
Fachleuten in der Personalvermittlung der SEB begleitet. Bei Bedarf ist eine Verlängerung um weite-
re sechs Monate möglich. Die Teilnehmenden erhalten keinen Lohn, können während 30 Prozent ihrer
Arbeitszeit aber Bildungsleistungen beziehen. Teilzeitbeschäftigungen ab 50 Prozent sind möglich.
Bei einem Vollzeiteinsatz wird pauschal eine Integrationszulage von 300 Franken pro Monat ausge-
richtet.
Teillohnstellen ermöglichen arbeitsfähigen Personen, die in der Stadt Zürich Sozialhilfe beziehen und
auf dem regulären Arbeitsmarkt (vorerst) keine Anstellung finden, wieder einer Erwerbstätigkeit
nachzugehen. Die Teilnehmenden werden im Betrieb von Fachpersonen bzw. Vorgesetzten angeleitet,
die neben beruflichen Qualifikationen in der jeweiligen Branche über eine arbeitsagogische Zusatz-
ausbildung verfügen. Teillohnarbeitsplätze sind sowohl in einem Arbeitsintegrationsbetrieb der Stadt
Zürich als auch in anderen städtischen Unternehmen oder privaten Trägerschaften möglich. Die Teil-
nehmenden erhalten einen ihrer Leistungsfähigkeit entsprechenden Lohn zwischen 1600 und 3200
Franken. Dabei liegt den Teillohnstellen ein Vier-Stufen-Modell zugrunde, d.h. bei Leistungssteige-
rungen können die Teilnehmenden in die nächst höhere Stufe übertreten, was eine Lohnerhöhung und
verstärkte Vermittlungsbemühungen zur Folge hat. Während die zwei tieferen Stufen unbefristet sind,
gilt für die zwei höheren Stufen eine Befristung von 6 Monaten; in diesen Stufen haben die Teilneh-
menden im Hinblick auf ihre Wiedereingliederung Anrecht auf ein Coaching und Stellenvermittlung.
Teillohnstellen sind ab einem Pensum von 50 Prozent möglich und mit einem Einkommensfreibetrag
ausgestattet.
Teillohn- und Qualifizierungsstellen werden wie erwähnt auch in Arbeitsintegrationsbetrieben der
SEB angeboten. Diese Betriebe sind in den drei Bereichen Gastronomie (1), Gewerbe und Industrie
(2) sowie Dienstleistung und Unterhalt (3) vertreten. Der Gastronomiebereich beinhaltet ganz ver-
schiedene Betriebe, u.a. Restaurants, eine grössere Schulmensa oder Personalcafeterias der Stadtver-
waltungen. Der Gewerbe- und Industriebereich umfasst eine Velowerkstatt, ein Recyclingbetrieb so-
wie Holz- und Metallbearbeitungsunternehmen. In Dienstleistung und Unterhalt schliesslich können
Teillohn-Teilnehmende in der Gebäudereinigung, in einer Wäscherei oder im Garten- oder Waldun-
terhalt tätig sein. Neben den Arbeitsintegrationsbetrieben der SEB sind auch Vermittlungen in die
öffentliche Verwaltung, in gemeinnützige Institution oder in die Privatwirtschaft möglich, wodurch
das Spektrum der Bereiche vergrössert wird.
2. Der biographisch orientierte Blick auf Arbeitsintegrations-
   angebote

Die vorliegende Evaluationsstudie verfolgt einen biographischen Zugang: Das heisst, es wird davon
ausgegangen, dass Biographien immer Ausdruck eines Zusammenspiels von individuellem Handeln
und äusseren Bedingungen sind. Auch die Wirkungen einer sozialen Intervention wie der Besuch
eines Teillohn- oder Qualifizierungsangebots sind in hohem Mass davon abhängig, auf welche bio-
graphischen Konstellationen die Intervention trifft, und das heisst vor allem auch: wie die Teilneh-
menden den Programmbesuch in ihr eigenes Leben integrieren – wie sie die Intervention wahrneh-
men, deuten und darauf reagieren. Einen biographischen Zugang zu wählen, bedeutet also explizit
nicht, strukturelle Bedingungen auszublenden: Es geht gerade darum, deren Bedeutung für Prozesse
auf individueller Ebene herauszuarbeiten.
Eine zentrale Orientierungsgrösse im Rahmen einer biographisch angelegten Evaluationsstudie ist die
Handlungsautonomie der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Integrationsprogrammes: Die Analy-
sen werden geleitet von der Frage, ob und unter welchen Bedingungen eine Stärkung der Handlungs-
autonomie gelingt und wann dies nicht der Fall ist. Handlungsautonomie ist dabei nicht zu verstehen
als uneingeschränkte Freiheit eines Individuums, zu tun und zu lassen was es will, sondern als dessen
grundlegende Fähigkeit, sein Leben angesichts der ihm zur Verfügung stehenden Mittel und Möglich-
keiten selber steuern zu können.

2.1          Konzepte und Begriffe aus der Biographietheorie
Grundlegend für die biographische Forschung sind die Arbeiten von Fritz Schütze, der auf der Basis
empirischer Studien einen differenzierten konzeptionellen Rahmen zur Analyse von Biographien ent-
wickelt hat.7 Auch in Schützes Ansatz bildet die Handlungsautonomie ein zentrales Konzept: Ihn
interessiert, wann und wie eine Biographie durch aktives, eigenbestimmtes Handeln des Individuums
geprägt wird – und wann und wie sie demgegenüber stärker durch äussere Bedingungen beeinflusst
und der Gestaltungskraft des Individuums entzogen wird. In Anlehnung an die Konzeption von
Schütze werden nachfolgend einige zentrale Begriffe und Zusammenhänge, die für die Untersuchung
leitend waren, in möglichst knapper Form erläutert.
Er identifiziert dabei verschiedene grundlegende Muster (er nennt sie „Prozessstrukturen“), durch die
Biographien geprägt sind und die sich durch ein je anderes Zusammenspiel von aktivem und passivem
Handeln beschreiben lassen.

Mit Schütze lassen sich zwei grundsätzliche Prinzipien der Lebensgestaltung unterscheiden, das in-
tentionale Prinzip und das Prinzip des Getriebenseins:

7
    Vgl. Schütze (1981). Er identifiziert in seinen Arbeiten vier grundlegende Muster, nach denen Biographien strukturiert sind und
       die er als „Prozessstrukturen des Lebenslaufes“ bezeichnet: Institutionelle Ablaufmuster, Biographische Handlungsschemata,
       Verlaufskurven und Wandlungsprozesse der Selbstidentität. Seine Arbeit beinhaltet eine grosse Vielzahl an Konzepten und
       Querbezügen, meistens wird jedoch nur sein Verlaufskurvenkonzept erwähnt. Für die vorliegende Studie sind zwei dieser Pro-
       zessstrukturen oder grundlegenden Muster von besonderem Interesse: Die biographisch relevanten Handlungsaktivitäten (in-
       tentionales Prinzip) und die Verlaufskurven (Prinzip des Getriebenseins). Eine aus unserer Sicht wichtige Weiterentwicklung
       hat Schützes Ansatz durch Kohli (1981) erfahren, der u.a. der sozialstrukturellen Prägung von Lebensläufen noch etwas mehr
       Beachtung schenkt als Schütze und damit unter anderem auch auf die Bedeutung tatsächlich vorhandener Handlungsspielräu-
       me hinweist. - In späteren Arbeiten hat sich Schütze vor dem Hintergrund seiner biographietheoretischer Überlegungen vertieft
       mit Paradoxien professionellen Handelns in der Sozialen Arbeit auseinandergesetzt (vgl. Schütze 1992 und 1996).
Intentionales Prinzip -> aktives Handlungsmuster, eigenbestimmtes Handeln
       Darunter fallen u.a. der Entwurf eigener Lebensperspektiven (biographischer Entwurf), bewusste
       Änderungsinitiativen, d.h. Handlungsimpulse zur nachhaltigen Änderung einer zunehmend läh-
       menden Situation, „rein“ situatives Handeln (situatives Bearbeiten eines drängenden Handlungs-
       problems). Aktives Handeln erfordert ein gewisses Mass an Handlungsautonomie und an Kon-
       trollüberzeugung, das heisst man muss daran glauben können, dass die eigenen Ziele mit den zur
       Verfügung stehenden Mitteln auch erreicht werden.
Prinzip des Getriebenseins -> passives Handlungsmuster, fremdgesteuertes „Erleiden“
       Dieses Prinzip liegt vor, wenn biographische Entwicklungen der eigenen Kontrolle entzogen sind.
       Es ist verbunden mit Gefühlen von Entmächtigung und Ohnmacht. Dieses Muster ist dann folgen-
       schwer, wenn so genannte negative Verlaufskurven oder Fallkurven einsetzen, bei denen die Bio-
       graphie zunehmend der eigenen Kontrolle entzogen wird. Dies kann zu einer Abnahme der Hand-
       lungs- und Planungskapazitäten bis zum vollständigen Zusammenbruch der Handlungsautonomie,
       Orientierungslosigkeit und tiefer Lebenskrise führen (Sucht, Suizid). Eine Überwindung erfordert
       eine kognitive Verarbeitung (Verstehen der Ereignisverkettung) und den langsamen Wiederauf-
       bau der Kontrollüberzeugung, z.T. bedarf es hierfür auch (professioneller) Interventionen von au-
       ssen. - Umgekehrt sind im Rahmen des passiven Prinzips auch Steigkurven im Sinne positiver
       Verlaufskurven möglich, hier werden neue Möglichkeitsräume für Handlungen und Entwicklun-
       gen eröffnet, es setzen Prozesse der Ermächtigung ein.
Das Prinzip des Getriebenseins setzt ein, wenn eigene Ziele einerseits und Möglichkeiten zu deren
Realisierung andererseits konstant und/oder dramatisch differieren und auch sonst übliche Bearbei-
tungsstrategien (zum Beispiel Reduktion der Ziele, neue Mittel etc.) nicht mehr ausreichen, um die
Kontrolle wieder zu gewinnen.
Um aktives Handeln aufrecht erhalten zu können, ist ein anhaltendes Balancieren zwischen Zielen
und Möglichkeiten erforderlich. Der Möglichkeitsraum ist dabei nicht für alle gleich bzw. kann durch
äussere Faktoren (z.B. Armut, fehlende Bildung, Krankheit) stark eingeschränkt sein, womit der Ba-
lanceakt besonders anspruchsvoll ist und besondere Anpassungsstrategien erfordert.
Handlungsautonomie kann vor diesem Hintergrund definiert werden als die Möglichkeit des Indivi-
duums, die Kontrolle über sein eigenes Leben zu behalten, dieses im Kontext der ihm zur Verfügung
stehenden Mittel zu gestalten. Kontrollüberzeugung ist eine zentrale Dimension und Voraussetzung
für Handlungsautonomie: Nur wer den Glauben daran nicht verloren hat, dass das Leben noch ir-
gendwie gestalt- und steuerbar ist, kann dies auch wirklich tun. Kontrollüberzeugung alleine ist je-
doch nicht ausreichend für Handlungsautonomie: Es braucht auch tatsächlich vorhandene Mittel im
Sinne von wenigstens minimalen Möglichkeiten und Ressourcen, damit das eigene Leben gestaltbar
wird.8 Dieser Hinweis auf tatsächlich vorhandene Möglichkeiten ist deshalb wichtig, weil er davor
schützt, das Scheitern individuellen Handelns vorschnell auf mangelnde individuelle Einsatzbereit-
schaft zurück zu führen.

2.2         Sozialhilfebezug und Programmbesuch aus biographietheoretischer Sicht

Sozialhilfebezug kann, muss aber nicht mit eingeschränkter Handlungsautonomie einhergehen. Perso-
nen, die Sozialhilfe beziehen, haben jedoch in der Regel in Bezug auf ihre berufliche Karriere aus
verschiedenen Gründen einen stark eingeschränkten Möglichkeitsraum – in Folge fortgeschrittenen

8
    Vgl. Kohli (1981) und vorangehende Fussnote.
Alters, gesundheitlichen Einschränkungen, geringem Leistungsniveau, mangelhafter oder nicht der
aktuellen Nachfrage angepasster Ausbildung, stark belastender Probleme im ausserberuflichen Be-
reich – und ganz grundlegend in Folge einer wirtschaftlichen Situation, in der geeignete Arbeitsplätze
knapp oder nicht vorhanden sind.
Manche Personen, die Sozialhilfe beziehen, haben ausserdem Biographien hinter sich, die durch star-
ke Momente der Fremdsteuerung geprägt sind - familiäre Problematiken bereits in frühen Jahren,
manchmal traumatisch erlebte Kündigungen, teils jahrelange erfolglose Stellensuchen, die Notwen-
digkeit, Hilfe von aussen anzunehmen, verbunden mit Erfahrungen der Fremd- und Selbststigmatisie-
rung als Sozialhilfebezüger/innen. Diese Umstände haben oft auch zu einer Schwächung der Kon-
trollüberzeugung geführt.9
Das analysierte Material zeigt, dass die biographischen Konstellationen und Handlungsmuster, mit
welchen Sozialhilfebeziehende in ein Programm eintreten, vielfältig sind. Zu nennen sind insbesonde-
re:
       -    Kürzlich erfolgter oder drohender Zusammenbruch der Handlungsautonomie in Folge anhal-
            tender und/oder drastischer Diskrepanz von eigenen Zielen und realen Möglichkeiten, ausge-
            sprochene Orientierungs- und dadurch Ziellosigkeit, Lebenskrise; die soziale Intervention
            wird mehr oder weniger passiv hingenommen, mit tendenziell geringen Erwartungen
       -    Ein Zusammenbruch der Handlungsautonomie (Lebenskrise) liegt schon länger zurück, die
            Handlungsautonomie hat sich in der Zwischenzeit und in Folge einer drastischen Reduktion
            der eigenen Ziele auf einem minimalen Niveau wieder eingependelt (‚sich einrichten’); die
            soziale Intervention wird mehr oder weniger passiv hingenommen, mit tendenziell geringen
            Erwartungen
       -    Vorerst aufrechterhaltene Handlungsautonomie und Kontrollüberzeugung infolge bisher er-
            folgreicher Bearbeitungsstrategien, ohne dass sich die Situation dabei grundlegend ändern
            liesse:
                   -    laufendes Ausbalancieren von Zielen und (sich zusehends verringernden) Möglich-
                        keiten (sich ‚anpassen’); die soziale Intervention wird mehr oder weniger passiv,
                        mit unterschiedlich hohen Erwartungen, hingenommen
                   -    Reduktion auf rein situatives Kontrollschema (‚durchschlängeln’); eigene, länger-
                        fristige Ziele werden durch rasch wechselnde Strategien zu erreichen versucht bzw.
                        durch nur noch kurzfristige Ziele ersetzt; der sozialen Intervention wird eher kri-
                        tisch, misstrauisch begegnet, mit wechselnden Erwartungen; die Frustrationstole-
                        ranz ist in der Regel gering
       -    Änderungsinitiative: angesichts einer zunehmend schwierigen Lebenssituation, aber noch
            nicht erfolgtem Zusammenbruch von Handlungsautonomie und Kontrollüberzeugung, ein ak-
            tiver, auf eine Änderung der Lebenssituation ausgerichteter Handlungsimpuls – „bereit sein“
            für Neues, Neues zulassen, neue Perspektiven entwickeln wollen (u.a. typisch für Junge); ei-
            ner sozialen Intervention wird aktiv und bejahend begegnet; der starke Handlungsimpuls
            vermag eine Weile gegen Frustrationen zu schützen
Integrationsprogramme für Sozialhilfebeziehende werden nach wie vor meistens daran gemessen, ob
ihre Teilnehmenden eine Stelle im regulären Arbeitsmarkt finden. Gleichzeitig wird von den Pro-
grammen erwartet, dass sie die soziale Teilhabe der Teilnehmenden stärken und generell einer Ver-
wahrlosung entgegenwirken. Beides ist entschieden nur dann möglich, wenn die Teilnehmenden ihre
9
    Zu den Entmächtigungspotentialen, die dem staatlichen Umgang mit Armut und Arbeitslosigkeit im Rahmen der Sozialhilfe und
       der Aktivierungspolitik inhärent sind, vgl. für die Schweiz insbesondere die wissenssoziologisch angelegten Arbeiten von
       Christoph Maeder und Eva Nadai (2004) und Chantal Magnin (2005). In beiden Untersuchungen werden Bedrohungen der
       Identität bzw. Handlungsautonomie thematisiert und unter anderem verschiedene Strategien von Klient/innen bzw. Versicher-
       ten im Umgang mit den Paradoxien staatlicher Unterstützung herausgearbeitet.
Handlungsautonomie stärken oder zumindest auf einem bestimmten Niveau aufrecht erhalten können.
Nur wer an die Wirksamkeit und den Erfolg seiner eigenen Handlungen glaubt, ist in der Lage, sozia-
le Kontakte einzugehen oder zu pflegen, sich aktiv um seine Gesundheit zu kümmern, die Wohnsitua-
tion zu kontrollieren. Wenn eine Integration in den regulären Arbeitsmarkt angestrebt wird, ist die
Kontrollüberzeugung als Grundbedingung für Selbstvertrauen und Motivation erst recht unentbehr-
lich.
Arbeitsintegrationsprogramme stehen vor der grossen Herausforderung, die Handlungsautonomie
ihrer Teilnehmenden in einem für diesen Zweck doppelt schwierigen Kontext zu stärken: Zum einen
enthalten Sozialhilfebezug und die an ihn geknüpften Erwartungen zur „Gegenleistung“ an sich schon
Potentiale zur Entmächtigung (Stigmatisierungserfahrungen als Sozialhilfebezüger/in, u.U. erzwun-
gene Programmteilnahme). Zum anderen ist der tatsächliche Möglichkeitsraum für autonomes Han-
deln angesichts stark eingeschränkter Chancen sehr gering. Den Programmen bleibt, die Teilnehmen-
den – nebst der klassischen Aufgabe der Förderung der Arbeitsfähigkeiten – darin zu unterstützen,
eigene Ziele einerseits und (gering) vorhandene Möglichkeiten andererseits bestmöglich auszubalan-
cieren, um auf diese Weise trotz faktisch geringen Chancen Handlungsautonomie doch noch bewah-
ren und entwickeln zu können.
3. Typische Verläufe: Bedingungen und Mechanismen

In der Studie wurden die biographischen Verläufe von Programmteilnehmenden zunächst bis zum
Eintritt ins Programm und daran anschliessend im Verlauf des ersten Jahres nach Programmeintritt
untersucht. Die Entwicklungen in diesem Jahr wurden darauf hin analysiert, wie das individuelle
Handeln der Teilnehmenden einerseits (ihre Wahrnehmungen, ihre Strategien) und die äusseren Be-
dingungen andererseits (Bedingungen des Programms und der äusseren Lebenssituation) miteinander
verbunden sind. Auf diese Weise sollen allfällig festgestellte Veränderungen der Lebenssituation
zwischen dem ersten und dem zweiten Befragungszeitpunkt nicht nur möglichst genau erfasst und
beschrieben, sondern vor allem in ihrer Bedingtheit durch innere und äussere Faktoren nachvollzogen
werden.
Im Lauf der Analysen kristallisierten sich verschiedene typische Verläufe und Muster heraus, die sich
durch ein je anderes Wechselspiel von individuellen Strategien und äusseren Bedingungen und
schliesslich durch je andere Programmwirkungen charakterisieren lassen.
Das vorliegende Kapitel ist so aufgebaut, dass wir uns zuerst den Stabilisierungsprozessen im Teil-
lohnprogramm, dann den Arbeitsmarktplatzierungen im Qualifikationsprogramm und schliesslich den
gescheiterten und ambivalenten Verläufen widmen. Die wichtigsten Muster und Mechanismen werden
detailliert präsentiert und auf ihre Bedingungen hin analysiert. Dabei bedienen wir uns der in Kapitel
2.1 eingeführten Begriffe und Konzepte. Anschliessend werden im Rahmen eines Fazits in Kapitel 3.4
die Bedingungen für positive und negative Verläufe herausgearbeitet.
Die Darstellung typischer Muster wird ergänzt durch einzelne Fallbeispiele, anhand derer sich die
beschriebenen Prozesse besonders gut nachvollziehen lassen. Die Fallbeispiele und Zitate sind so weit
anonymisiert und verfremdet worden, dass ein Rückschluss auf tatsächliche Personen nicht möglich
ist.

3.1.    Erfolgreiche Stabilisierungsprozesse in Teillohnstellen
Das analysierte Material zeigt in aller Deutlichkeit, dass das Teillohnprogramm vielseitige Stabilisie-
rungsprozesse auszulösen vermag. Wenn bestimmte Bedingungen, auf die wir noch zu sprechen
kommen, gegeben sind, zeigt das Konzept des Teillohns mit seiner Fokussierung auf betriebliche
Arbeit sehr gute Resultate: Die (Re-) Integration in gesellschaftliche Sinn- und Arbeitszusammenhän-
ge ermöglicht die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, von sozialer Zugehörigkeit und Anerkennung.
Allfällige fachliche Fortschritte sind nur ein Aspekt; weit über diese hinausgehend wird die Kontroll-
überzeugung gestärkt, die Zufriedenheit und ganz allgemein die Handlungs- und Planungskapazitäten
werden erhöht.
Es lassen sich im Wesentlichen zwei biographische Konstellationen eruieren, in denen Zuweisungen
in das Teillohnprogramm erfolgten und sich erfolgreiche Stabilisierungsprozesse zeigten:
•   In Situationen ausgesprochener Hoffnungs- und Orientierungslosigkeit nach einem in der Regel
    jahrelangen, erfolglosen Kampf um eine (Re-) Integration in den Arbeitsmarkt: Es sind Fälle, in
    denen typischerweise bereits wiederholt aktiv gestaltete, schlussendlich aber vergebliche Neuan-
    läufe zur beruflichen Integration vorgenommen wurden. Die verbleibenden Handlungs- und Pla-
    nungskompetenzen sind von einer Abnahme bis hin zu deren vollständigen Zusammenbruch be-
    droht.
•   In Situationen sozialer Abkopplung nach langjähriger Arbeitslosigkeit: In manchen Fällen haben
    Personen in diesen Konstellationen frühere biographische Krisen mit einem totalen Zusammen-
    bruch der Handlungs- und Planungskompetenz bereits hinter sich und inzwischen überwunden,
    das heisst aus eigener Kraft eine minimalste Handlungskompetenz zurück gewonnen und sich in
    ihrer Situation einigermassen „eingerichtet“. In anderen Fällen ist die Handlungskompetenz nach
    wie vor so gering, dass auch die Bewältigung des Alltags kaum mehr möglich ist und weitere Ab-
    stiegsprozesse wie Verwahrlosung und Krankheit drohen (z.B. Pilar Rodriguez, Hans Züber).

3.1.1 „Stabilisierung“ als vielschichtiger Prozess

         Pilar Rodriguez kommt als junge Frau mit ihrer Mutter in die Schweiz. Als Landarbei-
         terin an harte Arbeit gewohnt, findet sie rasch Einstieg als Küchenhilfe und arbeitet
         jahrzehntelang im Gastgewerbe. Als sie die bisher längste Anstellung infolge Schlies-
         sung des Lokals verliert, findet sie, bereits in fortgeschrittenem Alter, den Einstieg
         nicht mehr. Es folgen Schicksalsschläge in der Familie und der finanzielle Abstieg,
         Frau Rodriguez vereinsamt, wird krank. Sie kommt zur Sozialhilfe und wird ins Teil-
         lohnprogramm verwiesen. Dort gefällt es ihr auf Anhieb. Jeden Morgen erscheint sie,
         die früher immer viel und gerne gearbeitet hat, freiwillig eine halbe Stunde zu früh bei
         der Arbeit. Sie darf verantwortungsvolle Arbeiten verrichten und erhält bald Anerken-
         nung für Ihre Leistungen: „Und dann haben sie mir gesagt dass sie zufrieden sind, und
         dass ich schnell und fleissig bin.“ Und als sie einmal krank ist, ruft die Chefin sie zu-
         hause an: „Sie hat gefragt wie es mir geht und gesagt dass sie mich vermissen“. Mit Un-
         terstützung der Sozialarbeiterin auf den Sozialen Diensten gelingt es Frau Rodriguez,
         ihre katastrophale Wohnsituation zu entschärfen. Zum Zeitpunkt des zweiten Interviews
         fühlt sie sich deutlich besser als vor einem Jahr; sie hat sich unter anderem vorgenom-
         men, demnächst einen Alphabetisierungskurs zu besuchen.

Unter dem Begriff der „Stabilisierung“ fassen wir ein ganzes Bündel von möglichen positiven Ent-
wicklungen zusammen, welche im analysierten Material erkennbar waren und im Folgenden näher
beschrieben werden. Wir unterscheiden dabei grob nach psychischer Stabilisierung und Stabilisierung
auch programmexterner Faktoren. Je nach biographischem Hintergrund des Teilnehmers oder der
Teilnehmerin stehen je andere Entwicklungen im Vordergrund.

Psychische Stabilisierung
Bei der psychischen Stabilisierung geht es grundsätzlich immer darum, dass die Zufriedenheit der
Teilnehmenden erhöht und ihre Kontrollüberzeugung gestärkt wird. Folgende in diesem Sinn positive
Prozesse konnten festgestellt werden:

•   Die Arbeit im Programm erlaubte eine (Re-)Integration in gesellschaftliche Sinn- und Arbeitszu-
    sammenhänge und damit die Erfahrung von sozialer Teilhabe, Zugehörigkeit und Anerkennung,
    wodurch Zufriedenheit und psychische Stabilität erhöht werden konnten. Die Teilnehmenden füh-
    len sich nach Programmeinstieg nicht mehr „aussortiert“, nicht mehr „hängengelassen“ und „ge-
    braucht“; „man hat eine Aufgabe“ (sämtliche Ausdrücke Originalton Teilnehmende).
•   Die manchmal ausgeprägte soziale Isolation vor Programmbesuch wurde durchbrochen durch
    den Kontakt zu den Vorgesetzten, den Kontakt zum Publikum in Ausseneinsätzen und die Zuge-
    hörigkeit zu einem Team.
•   Unter der Voraussetzung geeigneter Arbeit sind Erfahrungen der Selbstwirksamkeit ermöglicht
    worden: Eigenes Handeln wird wieder vermehrt als wirksam empfunden. Allfällige fachliche
    Fortschritte und generell Erfolgserlebnisse bei der Arbeit führten zu einer Stärkung der internen
Kontrollüberzeugung und damit des Selbstvertrauens der Programmteilnehmenden. Grundsätzlich
    leistungsfähige Teilnehmende waren auf anspruchsvollere Tätigkeiten und eine gewisse Selbstän-
    digkeit angewiesen, um Erfahrungen der Selbstwirksamkeit zu ermöglichen, während bei stark
    verunsicherten und wenig leistungsfähigen Teilnehmenden sehr einfache und routinemässige Ar-
    beiten zur Erfahrung von Sicherheit und Kontrollierbarkeit des eigenen Handelns bedeutsam wa-
    ren.
•   Das sich Einlassen in einen klar geregelten, institutionell geprägten Rahmen, in einen zumindest
    für eine gewisse Zeit gleichbleibenden, definierten Kontext, entlastete von einem andauernden
    Handlungs- und Entscheidungsdruck und ermöglichte es, eine zum Teil akute Orientierungskrise
    zu überwinden. Einem vor Programmeintritt drohenden, vollständigen Zusammenbruch der Hand-
    lungs- und Planungskapazitäten wurde dadurch Einhalt geboten. Teilnehmende verwendeten dafür
    typische Ausdrücke wie, Zitat, „sie haben mich wieder auf eine Linie gebracht“ oder „ich habe
    jetzt den roten Faden wieder gefunden“.

         Leo Bühler absolviert eine Lehre im handwerklichen Bereich und arbeitet anschliessend
         noch für kurze Zeit auf seinem Beruf, bevor dieser in Folge des technologischen Wandels
         verschwindet. Nach diversen kürzeren Tätigkeiten findet er eine mehrjährige Stelle in ei-
         ner grösseren Firma, die ihm gefällt und wo er bleibt, bis die Firma aufgrund versiegter
         Nachfrage schliessen muss. Er wechselt in einen Kleinbetrieb und bleibt auch dort mehre-
         re Jahre, bis der Computer Einzug hält. Bühler kann mit dem rasanten Wandel seines Tä-
         tigkeitsfeldes nicht Stand halten und verliert die Stelle. Die Rahmenfrist der ALV ver-
         streicht, ohne dass er eine neue Stelle gefunden hätte, er kommt zur Sozialhilfe und nimmt
         an diversen Programmen teil. Er möchte endlich wieder Fuss fassen und entschliesst sich
         mit viel Elan für eine Anlehre in einem ihm aussichtsreich scheinenden Dienstleistungsbe-
         ruf. Das Sozialamt unterstützt ihn in seinen Bemühungen und er schliesst die Anlehre mit
         sehr guten Rückmeldungen ab. Doch trotz über 200 Bewerbungen findet Herr Bühler kei-
         ne Stelle. Die Enttäuschung ist riesig. Er meldet sich erneut beim Sozialamt an und wird
         direkt in die Basisbeschäftigung und von dort ins Teillohnprogramm verwiesen. Bühlers
         gesamte Erwerbs-Biographie ist durch den technologischen Wandel und dadurch bestimm-
         te Stellenverluste und –wechsel geprägt worden, mehrmals im Leben hat er sich den neuen
         Umständen angepasst und sich umorientiert. Doch hat er auch wiederholt und vor allem
         während seiner zehrenden Stellensuche nach der Anlehre erfahren, wie seine Bemühungen
         ins Leere laufen. Beim ersten Interview ist Bühler an einem Punkt angelangt, an dem sei-
         ne Handlungs- und Planungskapazitäten weitgehend erschöpft sind: „Ich weiss nicht,
         nachdem was ich bisher erlebt habe möchte ich jetzt einfach mal, mal meine Ruhe wieder
         haben. Ja so einfach so für eine kurze Frist. Ich muss jetzt mal die Sachen auf mich zu-
         kommen lassen, mal schauen.“ Bühler fühlt sich rasch sehr wohl im Programm, er ge-
         niesst die sozialen Kontakte im Team – er fühlt sich, wie er es ausdrückt, nicht mehr „aus-
         sortiert“. Zum zweiten Interviewzeitpunkt hat er wieder Tritt gefasst, er wirkt deutlich
         zufriedener und spricht davon, dass er gelegentlich wieder „irgendwas anderes anreissen“
         müsse.

Stabilisierung der allgemeinen Lebenssituation (programmexterne Faktoren)
Im günstigen Fall stabilisierte oder verbesserte sich während bzw. durch den Programmbesuch auch
die allgemeine, das heisst die programmexterne, Lebenssituation:
•   Die im Programm gestärkte Kontrollüberzeugung liess wieder vermehrt planmässiges Handeln zu.
    Es zeigen sich erste Ansätze, schon lange anstehende Probleme aktiver anzugehen: Der bereits
    lange anstehende Gang zu den Sozialen Diensten oder zum Arzt wird endlich gewagt, soziale
    Kontakte werden wieder zu beleben versucht, die Lösung einer problematischen Wohnsituation
    wird angegangen etc.
•   Über direkte positive Auswirkungen auf das äussere Umfeld berichten einzelne Teilnehmende
    dort, wo der im Programm ausbezahlte Teillohn zu einer minimalen Verbesserung der finanziellen
    Situation führte: So konnte zum Beispiel das Halbtaxabonnement wieder gekauft werden, was die
    alltägliche Mobilität erhöhte, oder eine seit Jahren anstehende Reise zu Verwandten geplant wer-
    den.
•   In einzelnen Fällen leisteten die Vorgesetzten, die gerade bei sozial isolierten Teilnehmenden
    anfangs manchmal die einzigen regelmässigen Bezugspersonen sind, Unterstützung in Notsituati-
    onen oder ermunterten die Teilnehmenden, Themen im programmexternen Bereich anzugehen. Im
    Material zeigt sich wiederholt, wie solche Hilfestellungen von Vorgesetzten, die allerdings in
    manchen Fällen über den definierten Aufgabenbereich der Mitarbeitenden hinausreichen dürften
    und zuweilen sogar in der Freizeit verrichtet werden, für den weiteren Verlauf manchmal eminent
    wichtig waren. So drängte zum Beispiel eine Vorgesetzte einen Teilnehmenden zu einer Zahnsa-
    nierung, was diesen „wieder gesellschaftsfähig“ (Zitat Teilnehmer) machte; ein anderer Vorge-
    setzter unterstützte den Teilnehmenden darin, den Kontakt zu der fallführenden Stelle wieder her-
    zustellen.
Verbesserungen, die über die Stabilisierung im psychischen und arbeitsbezogenen Bereich hinausge-
hen und auch in die programmexterne, allgemeine Lebenssituation hinausstrahlen, brauchen aller-
dings Zeit: In den analysierten Fällen zeigt sich, wie langsam diese Prozesse vor sich gehen und dass
sie nach einem Jahr in der Regel nicht abgeschlossen sind, auch wenn wichtige erste Schritte gemacht
werden konnten.
Zu erwähnen ist im Übrigen, dass es unter den Teillohn-Teilnehmenden durchaus auch Fälle gibt, in
denen der Programmbesuch subjektiv als nicht nötig erachtet wurde (da die Alltagsbewältigung zu-
mindest auf minimalem Niveau gewährleistet und die soziale Isolierung gefestigt war) – dann aber
doch positive Entwicklungen in Gang gesetzt werden konnten, die auch auf Seite der Teilnehmenden
wahrgenommen und geschätzt wurden. Voraussetzung dabei ist jedoch, auch dies zeigt sich, ein we-
nigstens minimales Commitment der Teilnehmenden bei Programmeinstieg.

         Daniele Rosso erleidet als etwas dreissigjähriger Mann einen schweren Schicksalsschlag,
         der ihn aus den bisherigen Bahnen wirft und in eine langjährige tiefe Lebenskrise stürzt.
         Mit den Jahren richtet er sich einigermassen in seiner Situation und sozialen Isolation ein
         und möchte möglichst in Ruhe gelassen werden. Dem zuständigen Sozialarbeiter gelingt
         es dennoch, ein minimales Commitment für den Programmbesuch herzustellen. Rosso er-
         zählt: „Ich habe sogar mit meinem eigenen Sozialarbeiter so kleine Streitereien gehabt,
         weil ich hatte mich ein bisschen zurückgezogen, oder, Mauer um mich herum (…), ich bin
         gerne alleine, ich brauche niemanden, und dann sagt er, jetzt gehst du mal schauen. Die
         ersten zwei, drei Tage hätte ich am liebsten alles hingeworfen, wäre davongelaufen oder,
         aber so, nach einer Woche oder zwei, so langsam langsam habe ich selber Freude daran
         gehabt, ich bin gern aufgestanden, sogar am Morgen, ging gern arbeiten, oder wie gesagt,
         inzwischen mache ich es sogar noch gerne.“

Teillohn als Lebensperspektive
Im Sample finden sich auch einzelne Fälle, in denen eine Arbeitsmarktintegration aus verschiedenen
Gründen (Alter, Krankheit, Leistungsniveau) und auch aus Sicht der Vorgesetzten kaum mehr realis-
tisch, eine Integration in gesellschaftliche Sinn- und Arbeitszusammenhänge für eine nachhaltige
Stabilisierung aber doch angezeigt ist. In solchen Fällen zeigt sich, wie die betreffenden Teilnehmen-
den dazu gelangen können, das Teillohnprogramm als befriedigende Lebensperspektive wahrzuneh-
men: Das Programm als ein Ort, der es ihnen ermöglicht, sich trotz allem weiterhin als Teil der Ge-
sellschaft zu verstehen.
Hans Züber absolviert eine Lehre im mechanischen Bereich, kann den Beruf jedoch in Folge ei-
         ner speziellen Allergie nie ausüben. Er arbeitet in verschiedenen Anstellungen im Dienstleis-
         tungsbereich und findet später in einem grossen Konzern seine Lebensstelle, in der er sich sehr
         wohl fühlt, viel Einsatz zeigt und jahrzehntelang bleibt. Nach krankheitsbedingtem Ausfall mit
         längerer Rehabilitationszeit wird ihm gekündigt; für Herrn Züber bricht eine Welt zusammen, er
         beginnt zu trinken, rappelt sich später aus eigenen Kräften wieder auf, überwindet die Sucht und
         beginnt, sich als Haushilfe und Kurier selbständig zu machen. Dies gefällt ihm und er hat viele
         Aufträge, bis er die neue Tätigkeit nach einem Unfall und körperlichen Einschränkungen im be-
         reits fortgeschrittenen Alter Jahren aufgeben muss. Als Selbständiger kommt Herr Züber nicht
         zum RAV, sondern direkt zur Sozialhilfe. Als er einem Teillohnprogramm zugewiesen wird,
         stellt dies für ihn eine grosse Erleichterung dar, denn er sei, wie er erzählt, „irgendwie vorher
         einfach enttäuscht gewesen, einfach so ein wenig hängen gelassen zu werden.“ Deshalb ist Herr
         Züber bereit, jede Arbeit zu verrichten: „Darum bin ich jetzt auch dort und, und mir ist keine Ar-
         beit zu dreckig, ob ich jetzt dreckige Hände oder dreckige Füsse habe, gemacht muss die wer-
         den.“ Herr Züber schätzt die Arbeit im Programm und insbesondere die Kontakte mit Personen,
         die ihm Anerkennung für die geleistete Arbeit vermitteln. Trotz mittlerweile eingesetzter schwe-
         rer Krankheit meistert er seinen Arbeitsalltag mit Einsatz und Freude; er hofft, für immer im
         Programm bleiben zu können.

In den entsprechenden Fällen zeigt sich klar: Die Übernahme der Perspektive, für lange oder gar für
immer im Teillohn zu verbleiben, ist nicht einfach nur Ausdruck von Passivität und geschieht auch
nicht immer schmerzlos. Sie erfordert im Gegenteil bestimmte Bewältigungs- und Anpassungsstrate-
gien der Betroffenen, die sich unter anderem über die in den Interviews wiederholt gefallenen Aus-
drücke „im Jetzt und Hier leben“ oder „sich an Kleinem freuen“ beschreiben lassen. Bei den einen hat
eine solche Anpassung an das noch Mögliche bereits vor Jahren eingesetzt, bei den anderen geschieht
sie im Sinne einer (wahrscheinlich realistischen) Reduktion der eigenen Wünsche während dem Pro-
grammbesuch. Das Teillohnprogramm als wünschbare Lebensperspektive zu sehen bedeutet nicht nur,
fortan mit minimalen finanziellen Mitteln auszukommen, sondern es bedeutet auch eine (definitive)
Aufgabe des Anspruchs, das eigene Leben ‚in den grossen Linien’ noch selber gestalten oder ihm
irgendwann noch eine andere Wende geben zu können. Die über lange Zeit erfahrene Diskrepanz
zwischen den eigenen Zielen einerseits und nicht vorhandenen Möglichkeiten zu deren Erfüllung
andererseits wird also dadurch aufgelöst, dass die Ziele auf ein minimales, aber wenigstens erreichba-
res Niveau reduziert werden.

         Folgendes Zitat gibt Einblick in die Bewältigungsstrategie eines Teilnehmenden, für den
         eine Integration in den regulären Arbeitsmarkt nicht mehr realistisch ist: „Ich mach ein-
         fach meine Sachen, alles erledigen, alle Aufgaben erledigen. Und ich bin jetzt gut gefah-
         ren so damit. Mache auch keine irgend Pläne für Ding, nein jeder Tag ist ein neuer Tag,
         ich mache das Beste daraus jeden Tag. Du musst nicht nach vorne denken, das bringt
         nichts, das kommt dann anders raus als dass man es denkt. Ja, dadurch bin ich schon ein
         anderer Denker auch geworden. Früher hast du dir Pläne gemacht und so, heute nicht
         mehr. Jeden Tag etwas Gutes tun, das finde ich viel positiver.“
Sie können auch lesen