Scalable Game Design Switzerland

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Scalable Game Design Switzerland
www.medienpaed.com                                                                          ISSN 1424-3636

                        Themenheft Nr. 33: Medienpädagogik und Didaktik der Informatik.
                        Eine Momentaufnahme disziplinärer Bezüge und schulpraktischer Entwicklungen.
                        Herausgegeben von Torsten Brinda, Ira Diethelm, Sven Kommer und Klaus Rummler

                        Scalable Game Design Switzerland
                        Alexander Repenning, Anna Lamprou, Nicolas Fahrni und Nora Escherle

                        Zusammenfassung
                        Das Modul «Medien und Informatik» des Lehrplans 21 verlangt von Primarlehrpersonen,
                        dass sie mit ihren Schülerinnen und Schülern verschiedene Kompetenzen und Inhalte im
                        Bereich der Informatik erarbeiten. Für die Erfüllung dieses Auftrags benötigen die ange-
                        henden Lehrpersonen eine entsprechende Ausbildung, die sie mit dem relevanten Fach-
                        wissen und den erforderlichen Kompetenzen in der Informatik ausstattet. Um dies zu ge-
                        währleisten, hat die Professur für Informatische Bildung (IB) der PH FHNW im Herbst 2017
                        mit dem zweisemestrigen Modul «Informatische Bildung» eines der schweizweit ersten
                        obligatorischen Veranstaltungen für alle Bachelorstudierenden des Instituts Primarstu-
                        fe eingeführt. Das Modul ist die praktische Umsetzung der theoretischen Konzepte und
                        fachdidaktischen Ansätze von Scalable Game Design Switzerland (SGD Switzerland). Bei
                        SGD Switzerland handelt es sich um die auf Schweizer Erfordernisse angepasste Weiter-
                        entwicklung von SGD USA – ein jahrzehntelang erprobtes umfassendes Curriculum für die
                        Vermittlung von informatischer Bildung. Grundlage und Essenz von SGD Switzerland und
                        somit auch von dem Konzept des neuen Moduls ist das Verständnis von Denken mit dem
                        Computer – das sogenannte Computational Thinking. Das Konzept des Moduls «Informa-
                        tischen Bildung», bei welchem die Schulung des analytischen, lösungsorientierten Den-
                        kens mit dem Computer im Fokus steht, ist ein Novum schweizweit. Dieser Beitrag erläu-
                        tert das Konzept des Moduls IB und präsentiert einen ersten Einblick in die Eindrücke der
                        Studenten, die den Kurs besucht haben.

                        Scalable Game Design Switzerland

                        Abstract
                        The module «Media and Computer Science» of curriculum 21 requires primary teachers to
                        develop various competences and contents in the field of Computer Science (CS) with their
                        students. In order to fulfil this task, the prospective teachers need appropriate training.
                        To ensure this, the Chair of Computer Science Education (IB) of the PH FHNW introduced
                        the two-semester module «Computer Science Education» in autumn 2017, one of the
                        first compulsory courses for all Bachelor students of the Institute of Primary Education
                        in Switzerland. The module is the practical implementation of the theoretical concepts
                        and didactic approaches of Scalable Game Design Switzerland (SGD Switzerland). SGD
                        Switzerland is the further development of SGD USA adapted to Swiss requirements – a

Repenning, Alexander, Anna Lamprou, Nicolas Fahrni, und Nora Escherle. 2018. «Scalable Game Design Switzerland». MedienPädagogik 33,
   (Oktober), 27–52. https://doi.org/10.21240/mpaed/33/2018.10.31.X.
Scalable Game Design Switzerland
comprehensive curriculum for CS education that has been used and tested for decades.
                        The basis and essence of SGD Switzerland and thus also of the course concept of the new
                        module is the understanding of thinking with the computer – the so-called Computational
                        Thinking. The course concept of the module «Computer Science Education» is a novelty
                        throughout Switzerland. Currently, the IB professorship is teaching the first part of the
                        module (CS Specialization). In this article the philosophy of the course, the tools used, the
                        didactic considerations and the working methods are presented. Finally, first impressions
                        of the students who took the course are presented.

                        Einleitung
                        Das Modul «Medien und Informatik» des Lehrplans 21 (LP 21) verlangt von Primarlehr-
                        personen, dass sie mit ihren Schülerinnen und Schülern verschiedene Kompetenzen
                        und Inhalte im Bereich der Informatik erarbeiten. Für die Erfüllung dieses Auftrags
                        benötigen die angehenden Lehrpersonen eine entsprechende Ausbildung, die sie mit
                        dem relevanten Fachwissen und den erforderlichen Kompetenzen in der Informatik
                        ausstattet. Um dies zu gewährleisten, hat die Professur für Informatische Bildung (IB)
                        der Pädagogischen Hochschule Nordwest-Schweiz (PH FHNW) im Herbst 2017 mit
                        dem zweisemestrigen Modul «Informatische Bildung» (Modul IB) eines der schweiz-
                        weit ersten obligatorischen Veranstaltungen für alle Bachelorstudierenden des Insti-
                        tuts Primarstufe eingeführt. Dieses Modul, bestehend aus den Modulteilen Fachwis-
                        senschaft (1. Semester) und Fachdidaktik (2. Semester), ist die praktische Umsetzung
                        der theoretischen Konzepte und fachdidaktischen Ansätze von Scalable Game Design
                        Switzerland (SGD Switzerland). SGD Switzerland ist ein umfassendes Curriculum für
                        die Vermittlung von informatischer Bildung. Bei SGD Switzerland handelt es sich um
                        eine Weiterentwicklung von SGD USA, welches von Alexander Repenning ursprüng-
                        lich in den USA entwickelt, jahrzehntelang erprobt und durch Forschungsprojekte
                        begleitet und fortentwickelt wurde (Repenning et al. 2015; Repenning 2014). Mit der
                        Einrichtung der Professur IB im Jahr 2014 wurde SGD Switzerland ins Leben gerufen
                        und begann die Anpassung und Feinabstimmung auf die Erfordernisse der Schweizer
                        Bildungslandschaft (Lamprou, Repenning, und Escherle 2017).
                            Grundlage und Essenz von SGD Switzerland und somit auch von dem Kurs-
                        Konzept des neuen Moduls ist das Verständnis und die Vermittlung des sogenann-
                        ten Computational Thinking (CT) – jenes analytisch-strategischen Denkens mit dem
                        Computer, welches die Qualitäten des Menschen mit den Fähigkeiten des Computers
                        kreativ vereint, um komplexe Probleme zu lösen. Entsprechend der Philosophie von
                        SGD Switzerland fasst das Modul IB informatische Bildung auf der Primarstufe primär
                        als die konzeptuelle Erarbeitung und die fächerübergreifende, transversale Anwen-
                        dung von CT. Aus diesem Grund spielt CT eine zentrale Rolle bei der Vermittlung aller
                        Inhalte, Konzepte und Methoden des Moduls IB und ist oberstes Kompetenzziel.

Alexander Repenning, Anna Lamprou, Nicolas Fahrni und Nora Escherle                    www.medienpaed.com > 31.10.2018

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Scalable Game Design Switzerland
Das Kurskonzept des Moduls IB, welches die Schulung des analytischen, hand-
                        lungsorientierten Denkens mit dem Computer in den Fokus nimmt, ist ein Novum
                        schweizweit. Häufig stehen vielerorts noch immer vor allem das Unterrichten von
                        Medienbildung und Anwendungskompetenzen, wie etwa das Setzen eines Passworts
                        oder die Nutzung von Office-Anwendungen, im Zentrum der Ausbildungen und Wei-
                        terbildungsangebote für Primarlehrpersonen. Während dies bei uns klar nicht der
                        Fall ist, integrieren wir aber durch unseren Ansatz durchaus auch Aufträge, welche
                        das Anwenden des Computers und verschiedener Software beinhalten, und disku-
                        tieren in verschiedenen Kontexten relevante Fragen aus dem Gebiet der Medienbil-
                        dung. Aktuell unterrichtet die Professur für Informatische Bildung den ersten Modul-
                        teil Fachwissenschaft. In diesem Beitrag werden die dem Modul IB zugrundeliegende
                        Definition von CT erläutert, die Eckpfeiler des Kurskonzepts und die eingesetzten
                        Werkzeuge beschrieben, welche für die konkrete Gestaltung der beiden Modultei-
                        le federführend sind. Abschliessend können erste Eindrücke der Studenten, die den
                        Kurs besucht haben präsentiert werden.

                        Computational Thinking
                        CT ist eine entscheidende transversale Grundkompetenz, die eine mündige Teilha-
                        be an der heutigen digitalisierten Informationsgesellschaft ermöglicht. Denn CT
                        ist nicht nur für die Informatik wichtig. In nahezu sämtlichen Lebensbereichen und
                        Fachbereichen ist das Digitale präsent und gewinnt das Verständnis informatischer
                        Konzepte an Bedeutung. CT ist nicht das Gleiche wie Programmieren. Jede Program-
                        miersprache ist durch eine eigene Syntax gekennzeichnet, die Benutzerinnen und
                        Benutzer beherrschen müssen, um funktionierende Programme schreiben zu kön-
                        nen. Zum Zweck einer allgemeinen Mündigkeit in der digitalen Welt und insbesonde-
                        re auf der Primarstufe sind jedoch solche syntaktischen Details einzelner Program-
                        miersprachen nicht so wichtig wie das Grundverständnis allgemeingültiger Konzep-
                        te der Informatik. Dem eingedenk entspricht CT einem grundlegenden Verständnis
                        allgemeiner grundlegender Informatik- und somit auch Programmierkonzepte, die
                        in diversen Kontexten und auch auf verschiedene Programmiersprachen anwendbar
                        sind. CT umfasst diverse Einzelkompetenzen wie ausgeprägtes Abstraktionsvermö-
                        gen (den sprichwörtlichen ‹Blick für das Wesentliche›), algorithmisches Denken, die
                        Fähigkeit, komplexe Phänomene in überschaubare Einzelteile zu zerlegen, Musterer-
                        kennung, analytisch-kritisches Denken (auch im Sinne eines reflektierten Umgangs
                        mit den digitalen Medien) und viele mehr.
                             Obgleich es bis heute keine allgemeingültige Definition von CT gibt, herrscht un-
                        ter Forschenden und Lehrenden auf dem Gebiet der informatischen Bildung weitge-
                        hend Einigkeit sowohl über die wichtigsten Aspekte von CT als auch über den Status
                        von CT als eine transversale Grundkompetenz für alle Menschen, die den Anspruch

Alexander Repenning, Anna Lamprou, Nicolas Fahrni und Nora Escherle                www.medienpaed.com > 31.10.2018

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haben, aktiv mitwirkende, mündige Bürger digitalisierter Informationsgesellschaf-
                        ten zu sein (Barr et al. 2011; Wing 2006; 2014; Lee et al. 2014; Yadav et al. 2014; Gretter
                        und Yadav 2016; College Board 2017b; Repenning 2015). Ebenso fordern zahlreiche
                        Autoren, dass CT in sämtlichen Klassenzimmern und möglichst auch bereits in den
                        Primarschulen gelehrt werden sollte (Barr und Stephenson 2011; Lee et al. 2014; Re-
                        penning 2015; Yadav et al. 2014). Dies ist eine erfreuliche Ausgangslage für die baldi-
                        ge feste Verankerung von CT als zu vermittelnde Kernkompetenz auch und vor allem
                        in Schweizer Schulen. Nicht zuletzt, weil mit der Vermittlung von CT viele Elemente
                        des LP21-Moduls «Medien und Informatik» abgedeckt werden können. Während man
                        im englischsprachigen Raum bereits weiter ist1, fehlen im deutschsprachigen Raum
                        leider nach wie vor allgemein anerkannte didaktische Konzepte oder gar konkrete
                        Unterrichtsszenarien, wie CT gezielt gelehrt und somit gelernt werden kann. Diese
                        Situation gilt es zu ändern, um die Schweizer Bildungslandschaft fit für die Anforde-
                        rungen einer zunehmend digitalisierten Zukunft zu machen. Das in diesem Beitrag
                        beschriebene Kurskonzept des Moduls IB wurde zu eben diesem Zweck entwickelt.
                            Die Definition von CT, die dem Modul IB zugrunde liegt, orientiert sich primär
                        an derjenigen der renommierten Informatikerin Jeannette Wing. Wing fasst CT als
                        einen Gedankenprozess, der sowohl die Formulierung eines Problems als auch die
                        Repräsentation der Problemlösung so darstellt, dass sie von Menschen oder durch
                        Maschinen ausgeführt werden könnte (2014). Unsere, auf Wings aufbauende, Defi-
                        nition orientiert sich stark an den Bedürfnissen der Primarschule, ihren Lehrperso-
                        nen und ihren Schülerinnen und Schülern (Repenning 2015). In diesem Sinne wird
                        CT nach Seymour Papert im konstruktionistischen Sinn als handlungsorientiertes,
                        transversales Denken mit dem Computer definiert (1996). Dabei fungiert der Compu-
                        ter als Hilfsmittel, das den menschlichen Denkprozess bei der Entwicklung von Pro-
                        blemlösungsstrategien unterstützt und dabei hilft, die Konsequenzen des eigenen
                        Denkens zu visualisieren und damit potenziell mentale oder digitale Artefakte wie
                        beispielsweise Computerprogramme zu generieren.
                            Ein entscheidender weiterer Aspekt ist der dezidiert iterative Charakter von CT,
                        den bereits die Bezeichnung von CT als Prozess andeutet und auf den Wing an zahl-
                        reichen Stellen verweist (Wing 2006; 2014). Hier wird CT beschrieben als iterativer
                        Prozess in Analogie zu bewährten wissenschaftlichen Methoden, die Wissen gene-
                        rieren, indem sie Hypothesen zur potenziell sinnvollen oder richtigen Vorgehens-
                        weise bei der Lösung eines Problems oder der Beantwortung einer Frage aufstel-
                        len, die gewählte Vorgehensweise zur Lösung des Problems anwenden, die dadurch

                        1 Im englischsprachigen Raum existieren zahlreiche Ideen und Unterrichtsmaterialien für die Lehre von
                          CT, beispielsweise das das «AP Computer Science Principles Curriculum» (College Board 2017b), das UK
                          «Computing at School»-Projekt (http://community.computingatschool.org.uk/resources/252/single) mit
                          einer speziellen Abteilung «Barefoot» (https://barefootcas.org.uk) für die Primarstufe, oder «Exploring
                          Computational Thinking» von Google (https://edu.google.com/resources/programs/exploring-computati-
                          onal-thinking/index.html#!home).

Alexander Repenning, Anna Lamprou, Nicolas Fahrni und Nora Escherle                             www.medienpaed.com > 31.10.2018

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generierten Ergebnisse anschliessend hinsichtlich der gewünschten Problemlösung
                        einer Analyse unterziehen und diesen Prozess so häufig wiederholen, bis die Ergeb-
                        nisse zufriedenstellend sind (Wing 2008). In Anlehnung an Wings Definition wird CT
                        im Rahmen des Moduls IB als iterativer Prozess gefasst und in drei Phasen gegliedert
                        (Repenning 2015) (Abb. 1):
                        1. Abstraktion (Problemformulierung): In der einfachsten Form die Formulierung ei-
                           ner präzisen Fragestellung basierend auf einer Problemanalyse.
                        2. Automation (Repräsentation einer Lösung): Die exakte, unzweideutige Darstel-
                           lung eines Lösungsweges basierend auf einer Kombination von Text und Diagram-
                           men, zum Beispiel in Form eines Computerprogramms.
                        3. Analyse (Ausführung und Bewertung der Lösungsrepräsentation): Nach Ausfüh-
                           rung eines Lösungsweges, beispielsweise in Form eines Computerprogramms,
                           erfolgt die Evaluation von dessen Qualität.

                                                             Abstraktion
                                                            Problemformulierung

                                                                                   Wie funktioniert eine Schlammlawine?

                                                                          1

                                                                          Mensch
                             Analyse                                                     Automation
                             Ausführung und                                                 Repräsentation
                             Bewertung der                            Computer
                                                                                             einer Lösung
                                 Lösung                    3                       2

                           eine Simulation visualisiert die                            einfaches Model von Gravität
                           Konsequenzen der eigenen Gedanken

                        Abb. 1.: Die drei Stufen der Computational Thinking Prozesses (Repenning, Basawapatna, und
                                 Escherle 2016, 219).
                        Die zentrale Vision der beiden Veranstaltungen des Moduls IB es, zukünftige Primar-
                        lehrpersonen in der Kernkompetenz des CT zu schulen und sie dazu zu befähigen,
                        diese Kernkompetenz in ihren Schülerinnen und Schülern aufzubauen und zu för-
                        dern.

Alexander Repenning, Anna Lamprou, Nicolas Fahrni und Nora Escherle                        www.medienpaed.com > 31.10.2018

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Scalable Game Design Switzerland
Kurskonzept
                        Um diese zentrale Vision zu verwirklichen, unternimmt das Modul IB die praktische
                        Umsetzung der theoretischen Konzepte und fachdidaktischen Ansätze von SGD Swit-
                        zerland, indem es sich hinsichtlich der wichtigsten Inhalte und Kompetenzen orien-
                        tiert am LP 21, der Informatik und Medien als eigene, fächerübergreifende Kompe-
                        tenzbereiche definiert. Im Modul IB wird der Kompetenzbereich Informatik mit den
                        Kompetenzzielen hinsichtlich Datenstrukturen, Algorithmen und Informationssyste-
                        men prioritär behandelt. Diese Setzung beruht wesentlich auf zwei eng verknüpf-
                        ten Faktoren: Zum einen erwarten wir seitens der Studierenden in diesem Bereich
                        nur wenig Vorwissen und gehen davon aus, dass dieses zunächst aufgebaut werden
                        muss. Zum anderen ist aber die Informatik ein hoch anspruchsvolles Fachgebiet, in
                        welchem selbst innerhalb von zwei Semestern nur rudimentäre Kompetenzen auf-
                        gebaut werden können. Dazu gehört nebst grundlegenden Programmierkenntnissen
                        und Informatikwissen primär das Verständnis, was kreative Prozesse ausmacht und
                        wie diese nachhaltig angeregt werden können. Die Studierenden benötigen für den
                        Kurs keinerlei Vorwissen der Informatik. Wichtig ist nur, dass Sie interessiert sind,
                        wie sie mit ihren zukünftigen Schülerinnen und Schülern dank dem Computer kre-
                        ative Prozesse anregen können. Dazu gehört nebst grundlegenden Programmier-
                        kenntnissen und Informatikwissen primär das Verständnis, was kreative Prozesse
                        ausmacht und wie diese nachhaltig angeregt werden können. Eine geeignete Stra-
                        tegie zur Vermittlung von CT kombiniert projektorientierten Unterricht mit einem
                        Fokus auf das Motivationsmodell und die Lernstrategien des SGD-Curriculums, nutzt
                        stufengerechte und anwendungsfreundliche Programmier- und Kreativitätswerkzeu-
                        ge und basiert inhaltlich wie strukturell auf allgemein als fundamental anerkannten
                        Informatik-Prinzipien, die eine sinnvolle Einbindung zentraler Themen der Medien-
                        bildung gewährleisten. In Abstimmung auf das oberste Kompetenzziel des CT und
                        dessen Verknüpfung mit den Kompetenzen des LP 21 hat das Kurskonzept des Mo-
                        duls IB drei Eckpfeiler:
                        1. das Motivationsmodell und die Lernstrategien des SGD-Curriculums,
                        2. Werkzeuge, die speziell zur Schulung und Unterstützung von CT in der Schule
                            konzipiert wurden – sogenannte Computational Thinking Tools (CT Tools), und
                        3. die sieben grossen Themen der Informatik – in Analogie zu den «7 Big Ideas» des
                            «AP Computer Science Principles»-Kurses (College Board 2017b).
                        Diese drei Eckpfeiler werden im folgenden Abschnitt detailliert beschrieben.

                        SGD Switzerland: Die drei Eckpfeiler des Moduls Informatische Bildung
                        Die drei Eckpfeiler sind die grundsätzlichen Komponenten des Moduls IB Kurses, um
                        CT auf eine motivierende, konstruktionistische und handlungsorientierte Weise ver-
                        mitteln zu können. Sie werden im Folgenden genauer erläutert.

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Scalable Game Design Switzerland
Motivationsmodell und Lernstrategie des Scalable Game Design-Curriculums
                        Das Motivationsmodell und die Lernstrategie des SGD-Curriculums wurden ur-
                        sprünglich in den USA erarbeitet und dort über viele Jahre hinweg auf der Grundlage
                        von diversen umfassenden analytisch-evaluativen Durchführungen im Rahmen von
                        Forschungsprojekten weiterentwickelt (Basawapatna et al. 2013). Die Konzepte und
                        Methoden des SGD-Curriculums wurden mittlerweile in unterschiedlichsten Ländern
                        und Kulturen inklusive Mexiko, Brasilien und Japan für die Vermittlung von CT und
                        informatischer Bildung eingesetzt. Die bei diesen Durchführungen erhobenen Daten
                        bezeugen nicht nur eine grosse Begeisterung bei den teilnehmenden Schülerinnen
                        und Schülern, sondern belegen auch, dass die Lehrpersonen oft überrascht sind über
                        ein bisher unbekanntes Mass an Motivation und Lernbereitschaft bei ihren Schülerin-
                        nen und Schülern (Repenning et al. 2015). Auch Erfahrungen bei einer ersten umfas-
                        senden Umsetzung des SGD-Curriculums im Schweizer Bildungskontext im Kanton
                        Solothurn zeigen diese grosse Motivation sowie nachweisliche Lernfortschritte bei
                        Schülerinnen und Schülern auf (Lamprou, Repenning, und Escherle 2017).

                        Motivationsmodell: Die «Zones of Proximal Flow»-Theorie
                        Das Motivationsmodell des SGD-Curriculums basiert auf der Theorie der «Zones of
                        Proximal Flow» (ZPF) (Basawapatna et al. 2013) und implementiert diese auf pra-
                        xisnahe und projektorientierte Weise. Die ZPF-Theorie kombiniert bildungsrelevante
                        Aspekte der «Flow»-Theorie (Csíkszentmihályi 1997) mit denen der «Zone of Proximal
                        Development»-Theorie (Vygotsky 1978) und bereichert diese wiederum mit didakti-
                        schen Prinzipien des Informatikdidaktikers Seymour Papert (1996) wie beispiels-
                        weise den Konstruktionismus. «Flow» bezeichnet den mentalen Zustand von völli-
                        ger Konzentration und restlosem Aufgehen in einer Tätigkeit. Dieser Zustand wird
                        lokalisiert in dem Kontext, wo Herausforderungen proportional sind zu bestehenden
                        Kompetenzen (grüner Bereich in Abb. 2). Sind die Herausforderungen zu klein im Ver-
                        gleich zu Kompetenzen, stellt sich Langeweile als Zustand ein (blau-grauer Bereich
                        in Abb. 2). Wenn hingegen die Herausforderungen die Kompetenzen weit überstei-
                        gen, resultiert dies in einem Zustand von Angst (roter Bereich in Abb. 2). Im Gegen-
                        satz zu Csíkszentmihályi hat sich Vygotsky vor allem für Lernprozesse interessiert.
                        Er sieht einen weiteren Zustand bzw. eine weitere Zone, die «Zone proximaler Ent-
                        wicklung» (orangefarbener Bereich in Abb. 2), als idealen Zustand für Lernerfolge.
                        In dieser Zone werden Schülerinnen und Schüler durch Herausforderungen bewusst
                        an die Grenze der eigenen Kompetenzen gebracht, um dann, dank gezielter Unter-
                        stützung («Scaffolding») durch die Bereitstellung notwendiger neuer Konzepte und
                        geeigneter Methoden zum richtigen Moment einen Lernfortschritt leisten zu können.
                        Diese Art von sozialem Lernen kann sowohl im Rahmen traditioneller Lehrperson/
                        Lernende-Modellen erfolgen, ist aber auch möglich in Konstellationen, wo Lernende

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Scalable Game Design Switzerland
unterschiedlicher Niveaus einander unterstützen. Die ZPF-Theorie beschreibt, wie
                        Lernende dank gezieltem Scaffolding den Herausforderungen-Kompetenzen Raum
                        weitgehend selbstständig navigieren können (Basawapatna et al. 2013).
                           AgentSheet & AgentCubes
                                              Projekte

                                                                                                             t
                                                                                                           gs

                                                                                                                                          t
                                                                                                                                      en
                                                                      Herausforderungen

                                                                                                        An

                                                                                                                                    m p
                                                                                                                                   lo
                                                                                                                     D
                                                                                                                                ve
                                                                                                                 ZP
                                                                                                                              De
                              City T raffic

                                                                                                                         al
                                                     the Sims

                                                                                                                        m i
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                                                                                                                                   ow
                                                                                                                     Pr
                                                                                                                  of
                                                                                                                 e

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                                                                                                                              Fl
                                                                                                                 n
                                                                                                              Zo

                                                                                                                                              ei
                                                                                                       t
                                                                                                                               B

                                                                                                    irs

                                                                                                                                            ew
                                                                                                 tF

                                                                                                                                          ng
                                                                                               ec
                                                                                            oj

                                                                                                                                    La
                                                                                          Pr

                             Bridge Builder          Pac Man                                                           dann
                                                                                                                      Projekte

                                                                                                            zuerst
                                                                                              A             Theorie

                              Forest Fire            Frogger
                                                                                                            Kompetenzen
                           Simulationen              Spiele                               0% ------------- computational thinking patterns ------------- 100%

                        Abb. 2.: Das «Zones of Proximal Flow»-Modell (Basawapatna et al. 2013, 71).

                        Das Motivationsmodell und die Lernstrategie des SGD-Curriculums sind eng mitein-
                        ander verschränkt. Traditionell wird oft angenommen, dass Kompetenzen zu Moti-
                        vation führen. Neuere Modelle haben eher eine gegensätzliche Perspektive, welche
                        Kompetenzen als das Resultat, gewissermassen als Nebenprodukt, von Motivation
                        sieht (Webb, Repenning, und Koh 2012). In diesem Sinne ist Motivation sehr wich-
                        tig für Lernprozesse und ein erklärtes Ziel des SGD-Curriculums. Die Forschung hat
                        gezeigt, dass Game Design unabhängig vom Geschlecht motivierend wirkt auf Kin-
                        der. Der motivationale Aspekt stützt sich stark auf die Möglichkeit, etwas Eigenes zu
                        schaffen, indem Schülerinnen und Schüler Objekte und Welten in 2D (Repenning and
                        Ambach 1996) oder 3D (Repenning et al. 2012) kreieren, die für sie persönlich inter-
                        essant und relevant sind. Die Idee, selbst 2D/3D-Objekte zu kreieren und diese dann
                        durch Programmieren zum Leben zu erwecken, ist für eine Vielzahl von Kindern sehr
                        überzeugend. Wichtig ist, dass der Fokus auf Motivation nicht als notwendiges Übel
                        erscheint. Der Erwerb von Kompetenzen wird in motivationsorientierten Ansätzen
                        nicht vernachlässigt oder als irrelevant erachtet. Im Gegenteil. Die grosse Motivation
                        durch Game Design führt beispielsweise dazu, dass Kinder Kompetenzen aufbauen,

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Scalable Game Design Switzerland
die laut traditionellen entwicklungspsychologischen Modellen scheinbar ausserhalb
                        von deren Reichweite liegen. So erlernen beispielsweise Sechstklässler eine projek-
                        torientierte Umsetzung anspruchsvoller Diffusionsgleichungen, da sie diese benöti-
                        gen, um damit die von ihnen selbst erstellten Spiele weiterzuentwickeln.

                        Lernstrategie: Computational Thinking Patterns
                        Die Lernstrategie von Scalable Game Design beinhaltet die Verwendung von graduell
                        in ihrer Komplexität und ihrem kognitiven Anspruch steigenden (daher der Begriff
                        «scaling») Computational Thinking Patterns (CTPs). CTPs sind Objekt-Interaktions-
                        muster, die Schülerinnen und Schüler zunächst im Spieldesign lernen, dann aber auf
                        die Erstellung von MINT-Simulationen übertragen (Koh et al. 2010). Diese CTPs sind
                        abstrahierende Denkmodelle von fundamentalen, häufig wiederkehrenden Interak-
                        tionen zwischen verschiedenen Objekten von Computersimulationen oder -spielen
                        bzw. von Benutzern mit diesen Objekten. Da die CTPs mehr oder minder komplexe
                        Abstraktionen sind, ist deren konkrete Umsetzung unabhängig von Programmier-
                        sprache oder von Anwendung. Diese Abstraktionen sind ein Teil des CT Prozesses.
                        Es handelt sich um Konstellationen einander zugeordneter Bedingungen und Aktio-
                        nen, die einem oder mehreren Objekten bei Interaktionen als Verhaltensregeln bzw.
                        -programme in Spielen zugewiesen werden und so deren Verhalten bei Interaktionen
                        bestimmen. Diese Konstellationen von aufeinander abgestimmten Verhaltensregeln
                        sind aufgrund ihres hohen Grades der Abstraktion unabhängig von spezifischen Pro-
                        jekten einsetzbar und können deshalb ohne weiteres zum Erstellen von Objekt-In-
                        teraktionen in Simulationen verwendet werden. CTPs können als die Übertragungs-
                        einheiten zwischen Spieldesign und wissenschaftlichen Simulationen angesehen
                        werden. Das SGD-Curriculum baut die CT-Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler
                        auf, indem sie von einfacheren Spielen (wie Frogger) an anspruchsvollere Spiele he-
                        rangeführt werden, die zusätzliche, komplexere CTPs erfordern. Auf ähnliche Weise
                        bewegen sich erfahrene Schülerinnen und Schüler von diesen Spielen weiter hin zu
                        Simulationen, die wiederum von einfacheren Simulationen mit weniger CTPs wie
                        Infizierung durch einen Grippe-Virus bis hin zu komplexeren Simulationen wie der
                        Simulation eines Waldbrandes reichen.
                             CT steht in enger Beziehung zur Programmierung, weshalb die Schlussfolgerung
                        nahe liegt, dass CT durch Programmier-Unterricht vermittelt werden kann. Die For-
                        schung zeigt jedoch, dass dies ein Trugschluss ist. So fasste beispielsweise Duncan
                        eine Pilotstudie mit neuseeländischen Grundschülern folgendermassen zusammen:
                        «Wir hatten gehofft, dass CT-Fertigkeiten indirekt durch Programmieren und andere
                        Themen im Computerunterricht gelehrt werden, aber von unseren anfänglichen Be-
                        obachtungen aus kann dies nicht der Fall sein» (Duncan und Bell 2015). Anders for-
                        muliert: Würden Lehrpersonen irrtümlicherweise «erwarten, dass [sie] Schülerinnen

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Scalable Game Design Switzerland
und Schüler in Computational Thinkers verwandeln, indem sie ihnen Code beibrin-
                        gen, ist so, als würden sie erwarten, dass Menschen zu Architekten werden, indem
                        sie IKEA-Möbel zusammenzubauen», sagt Repenning. In der Tat ist CT viel mehr als
                        das Programmieren, und das Unterrichten von CT erfordert den Einsatz spezifischer
                        Ansätze und Werkzeuge. SGDs Strategie beginnt mit einem IKEA-Ansatz, bewegt sich
                        aber darüber hinaus. Durch erste Projektansätze und Gerüsttechniken unterstützt es
                        die Schülerinnen und Schüler beim Erlernen von CTPs. CTPs sind leistungsstarke Ab-
                        straktionen, da sie sprachunabhängig sind und es Benutzern ermöglichen, jedes ge-
                        wünschte Spiel zu erstellen, selbst wenn sie keine IKEA-ähnliche Schritt-für Schritt-
                        Anleitung haben (Abb. 3).
                                                                 Computational Thinking Patterns
                                           Existenz

                                                                          Generieren         Absorbieren

                                                                          Ziehen             Stossen        Transportieren
                                           Fortbewegung

                                                                           Tastensteuerung             Kollision
                                           Komplexe Verhaltenssteuerung

                                                                                                 Choreographie
                                                                                                                             Zeichnungen von Michael Mittag

                                                                             Diffusion

                        Abb. 3.: CTPs repräsentieren Abstraktionen, die sowohl kognitiv als auch programmiertechnisch
                                 gut fassbar sind (Zeichnungen von Michael Mittag, PH FHNW, Professur für informati-
                                 sche Bildung).

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Die CTPs, die Schülerinnen und Schüler verwenden, um Spiele zu implementieren,
                        entsprechen den Mustern, die sie verwenden würden, um eine MINT-Simulation zu
                        erschaffen. Der eigentliche Unterschied besteht darin, dass sich der Kontext und die
                        Objekte, die die Interaktionen in der Simulation ausführen, geändert haben. Ein Bei-
                        spiel einer solchen Abstraktion ist die Kollision von zwei Objekten, die in zahlreichen
                        Kontexten erfolgen und eine Vielzahl von Konsequenzen nach sich ziehen kann. In
                        einem Spiel wie Frogger 3D (Repenning et al. 2015) muss der Benutzer einen Frosch
                        über eine befahrene Strasse manövrieren. In diesem Kontext beschreibt die Kollision
                        die für den Frosch unvorteilhafte Berührung mit einem fahrenden Auto. Ein völlig
                        anderer Kontext ist die Kollision zweier Moleküle in einer Simulation. Die Program-
                        me, die geschrieben werden müssen, um die Abstraktion einer Kollision umzusetzen,
                        z.B., in AgentCubes online oder in Processing, können sehr unterschiedlich sein. Aber
                        das Konzept der Kollision bleibt dasselbe. Momentan ist eine kleine Liste von CTPs
                        (Abb. 3) ausreichend, um eine sehr grosse Anzahl von Projekten abzudecken.

                        Werkzeuge: Computational Thinking Tools
                        Wie bereits ausgeführt, ist CT nicht das gleiche wie Programmieren. Es befähigt viel-
                        mehr zum konzeptuellen Verständnis fundamentaler Informatik-Konzepte und deren
                        Anwendung in verschiedensten Kontexten und Lebensbereichen – auch ausserhalb
                        der Informatik. Forschungsergebnisse, wie z.B. die von Duncan (Duncan und Bell
                        2015), zeigen, dass spezifische Programmiersprachen und -umgebungen ineffizient
                        sein können für die Vermittlung von CT. Das ist nicht im Sinne der Informatischen Bil-
                        dung in Primarschulen. CT Tools richten sich, im Gegensatz von allgemein gebräuch-
                        lichen Programmiersprachen und -umgebungen, nicht an zukünftige Programmie-
                        rerinnen, sondern an sogenannte Computational Thinkers. Dank ihrer auf den Bil-
                        dungskontext ausgerichteten Beschaffenheit und ihrer Einbindung entsprechender
                        Funktionalitäten bieten CT Tools Schülerinnen und Schülern eine maximale Unter-
                        stützung bieten, damit diese mit geringem Aufwand eigene Spiele und Simulation
                        erstellen können und dabei ihre CT Kompetenzen schulen.
                            Viele Schülerinnen und Schüler, vor allem Frauen, nehmen Programmieren als
                        schwierig und langweilig wahr (2014). «Schwierig» ist eine kognitive Dimension und
                        «langweilig» eine affektive Dimension dieser grundsätzlichen Herausforderung. Die-
                        se persistenten Bedenken können als zweidimensionaler Raum interpretiert werden,
                        der Raum kognitiver / affektiver Herausforderungen genannt wird (Abb. 4) (Repen-
                        ning et al. 2012). CT Tools adressieren diesen zwei fundamentalen Herausforderun-
                        gen.

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create virtual and
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                                                                                                                       AgentCubes

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                                                                                                                                                                 ol
                                                                                                                                                             To
                                         cognitive

                                                                                Syntax > Semantic > Pragmatics
                                                          Programming Support Tools

                                                                                                                                                         g
                                                                                                                                                     in
                                                                                                                                                 nk
                                                                                                                                            hi
                                                                                                                                        lT
                                                                                                                                  na
                                                                                                                             tio
                                                                                                                         ta
                                                                                                                   pu
                                                                                                                                                                 compute prime
                                                                                                                                                                 numbers with C++
                                                                                                                 om
                                                                                                  C

                                      hard                                                                             Creativity Support Tools
                                                                                                                 Pre-defined -> User-defined (Primitives / Interactions)

                                                     boring                                                                affective                                        exciting
                        Abb. 4.: Der Raum kognitiver / affektiver Herausforderungen (Repenning 2018).

                        Der «schwierige» Teil, die kognitive Herausforderung, erfordert einerseits von Pro-
                        grammierumgebungen, dass diese leichter bedienbar und somit zugänglicher zu
                        werden, und andererseits von Programmier-Projekten, dass diese niedrigschwellig
                        sind. Der «langweilige» Teil, die affektive Herausforderung, erfordert von Program-
                        mierprojekten, dass diese interessanter sind für die Lernenden und ihnen somit eine
                        grössere Motivation ermöglichen. Die zentrale Frage ist somit, wie man «schwierig
                        und langweilig» in «zugänglich und interessant» umwandelt. Um Programmieren
                        zugänglicher und interessanter zu machen, ist es notwendig, die komplexen Wech-
                        selwirkungen zwischen affektiven und kognitiven Herausforderungen zu verstehen.
                        Kinder können sehr interessiert daran sein, ein Spiel oder eine Simulation zu erstel-
                        len oder einen Roboter zu programmieren. Wenn aber die Werkzeuge in ihrer Anwen-
                        dung zu kompliziert sind, besteht eine gute Chance, dass sie schnell aufgeben, weil
                        der ‹return on investment› nicht klar ist. Gute CT Tools kombinieren die wichtigen
                        Aspekte von «Programming Support Tools», welche die Programmierung zugänglich
                        machen und unnötige Komplexität vermeiden, mit denen von «Creativity Support
                        Tools», welche die Programmierung interessant machen (Abb. 4).

Alexander Repenning, Anna Lamprou, Nicolas Fahrni und Nora Escherle                                                                                              www.medienpaed.com > 31.10.2018

                                                                                                                                                                                             38
Programming Support Tools
                        Das erste Schlüsselaspekt von CT Tools ist, dass sie durch Programming Support
                        Tools unbeabsichtigte, vermeidbare Komplexität (y-Achse Abb. 4) so weit wie mög-
                        lich reduzieren und so die kognitive Herausforderung adressieren. Die Elemente und
                        konkreten Werkzeuge, welche eine Reduktion der unbeabsichtigten Komplexität er-
                        möglichen, können drei verschiedenen Kategorien zugeordnet werden (Repenning
                        2017):
                        ‒‒ Syntaktisch: Werkzeuge, die helfen, reine Syntaxfehler zu vermeiden wie z.B., drag
                            and drop programming. Auf der syntaktischen Ebene kann das Anzeigeformat ei-
                            nes Programms oder von Programmteilen durch Offenlegung der diesen zugrun-
                            deliegenden, mitunter komplexeren Elemente gesteuert werden. Diese Anzeige-
                            mechanismen können vor allem Anfängern dabei helfen, durch das Ausblenden
                            verwirrender Details den notwendigen Überblick zu behalten und funktionieren-
                            de Programme zu schreiben. Ein solcher Anzeigemechanismus ist beispielsweise
                            das Dreieck-Symbol in AgentCubes. Es hat die Funktion eines Schalters, der den
                            einfachen und schnellen Wechsel zwischen Anzeigeformaten unterschiedlicher
                            Komplexität und zusätzlichen optionalen Auswahlmöglichkeiten erlaubt. Zum
                            Beispiel können Programmblöcke in AgentCubes optionale Parameter (extern
                            definierte Übergabewerte) haben. Ein Klick auf das Dreieck-Symbol öffnet oder
                            schliesst gewissermassen ein Menü, das diese optionalen Parameter enthält. Der
                            Anzeigemechanismus für Parameter ist für den Begriff der zufälligen Komplexität
                            in dem Sinne relevant, dass optionale Parameter typischerweise gewählt werden,
                            um weniger wichtige oder sogar qualitativ unterschiedliche Parameter zu erfas-
                            sen, die für das Verständnis der Hauptfunktion eines Programms nicht zwingend
                            nötig sind. In AgentCubes erlauben solche Dreieck-Symbole zudem den Wechsel
                            zwischen verschiedenen Ansichtsformaten von Methoden (eigenständigen Unter-
                            programmen). So lässt sich die vollumfängliche Implementierung von Methoden
                            mit all ihren Regeln (Kombination von Bedingung «if» und resultierender Akti-
                            on «then») ausblenden und nur die nachvollziehbare Dokumentation von deren
                            Funktion innerhalb des Gesamtprogramms anzeigen. (Repenning 2017).
                        ‒‒ Semantisch: Werkzeuge, die zur Erkundung und Überprüfung von Funktionen die-
                            nen wie z.B., integrierte Hilfefunktionen und Live Programming. Auf der Ebene
                            der Semantik ist die Domain-Orientierung (Fischer 1994) die Bereitstellung von
                            Funktionen, die den Anforderungen spezifischer Anwendungsgebiete entspre-
                            chen. Der Hauptzweck der Domain-Orientierung im Sinne einer Verringerung der
                            unbeabsichtigten Komplexität besteht darin, dass sie die ansonsten erforderli-
                            chen Funktionen eines Aufbaus von Grund auf eliminiert. Wenn beispielsweise
                            eine Programmierumgebung häufig verwendet wird, um wissenschaftliche Visua-
                            lisierungen zu erstellen, sollte sie eine Domain-Orientierung mit entsprechenden
                            Funktionen enthalten, die für das Erstellen dieser Visualisierungen relevant und
                            nützlich sind.

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‒‒ Pragmatisch: Werkzeuge, welche die Untersuchung dessen, was Programme in
                           bestimmten Situationen bedeuten, unterstützen. Diese Werkzeuge sollten dem
                           Nutzer praxisnah und effizient dabei helfen, Ideen umzusetzen oder über Proble-
                           me nachzudenken, indem sie sich auf konkrete Situationen und Kontexte bezie-
                           hen anstatt auf allgemeine Theorien zu verweisen. Conversational Programming
                           (Repenning 2013), ein pragmatisches Werkzeug integriert in AgentCubes, analy-
                           siert die spezifische Situation, in der sich selektierte Objekte eines Programms
                           befinden, und zeigt dann den Benutzenden durch farbige Annotationen des Pro-
                           gramms an, wie sich diese Objekte verhalten werden. In einem Frogger 3D-Spiel
                           kann beispielsweise der Frosch, der über Strassen hüpfen soll, selektiert werden,
                           um zu verstehen, was als nächstes mit dem Frosch passieren wird. Befindet sich
                           der Frosch zum Beispiel unmittelbar neben einem auf ihn zufahrenden Auto, so
                           signalisiert das Conversational Programming durch grüne Annotation der spezi-
                           fischen Regel im Programm, dass gleich eine Kollision erfolgt, durch welche der
                           Frosch ‘stirbt’ und das Spiel neu startet (Repenning 2017).

                        Creativity Support Tools
                        Der zweite Aspekt von CT Tools ist, dass sie Kreativität auf hohem Niveau (x-Achse
                        Abb. 4) unterstützen. Es hat sich gezeigt (Webb, Repenning, und Koh 2012), dass Mo-
                        tivation stark davon abhängt, ob Benutzende ein persönlich bedeutsames, eigenes
                        Artefakt erschaffen können. Für viele ist es beispielsweise wesentlich spannender,
                        eine interaktive Welt zu bauen, als Primzahlen zu berechnen. Um diese affektive He-
                        rausforderung zu adressieren, sollten CT Tools so genannte Creativity Support Tools
                        beinhalten.
                             Das Ziel von Creativity Support Tools ist es, den kreativen Prozess zu fördern, zu
                        beschleunigen und zu erleichtern (NSF 2005). Creativity Support Tools sollten die Be-
                        nutzer ermutigen, diverse Gestaltungsräume zu erkunden. Sie sollten einerseits An-
                        fängern den Einstieg leicht machen (low threshold), aber andererseits auch Experten
                        die Möglichkeit geben, an immer anspruchsvolleren Projekten (high ceiling) zu ar-
                        beiten (Meyers, Hudson, und Pausch 2000). Ausserdem sollten diese Werkzeuge eine
                        Vielzahl an Herangehensweisen und Arbeitsstile unterstützen (high flexibility [Res-
                        nick 2009]), da die meisten kreativen Arbeiten in Teams durchgeführt werden und die
                        Zusammenarbeit bestmöglich unterstützt werden sollte.
                             Konzeptionell kann man Creativity Support Tools mit LEGO Baukästen verglei-
                        chen. Ein solcher Baukasten besteht aus einer Sammlung von Bausteinen, die poten-
                        ziell zu einer schier unendlichen Vielzahl von Artefakten zusammengebaut werden
                        können und ermöglichen potenziell ein Maximum an kreativen Ausdrucksmöglich-
                        keiten. Computergestützte Creativity Support Tools gehen weiter und ermöglichen
                        das Erstellen nicht nur statischer Artefakte, sondern auch dynamischer, interaktiver

Alexander Repenning, Anna Lamprou, Nicolas Fahrni und Nora Escherle                www.medienpaed.com > 31.10.2018

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Artefakte (NSF 2005). Im speziellen sollen Nutzerinnen und Nutzer dabei unterstützt
                        werden, eigene digitale Artefakte zu erschaffen wie zum Beispiel 3D-Welten, Spie-
                        le, Simulation, Roboter, oder Mobile Apps, die sie selbst interessieren. Verschiedene
                        Werkzeuge lassen sich anhand folgender Kategorien unterscheiden und beurteilen
                        (Abb.5).

                        Abb. 5.: Beispiele von Werkzeugen um 2D und 3D Objekte zu kreieren. Scratch (oben) bietet so-
                                 wohl vordefinierte 2D-Objekte als auch benutzerdefinierte Interaktionen. Alice (unten
                                 rechts) bietet nur vordefinierte 2D und 3D Objekte und benutzerdefinierte Interaktio-
                                 nen. Logo (unten links) bietet benutzerdefinierte 2D-Objekte und benutzerdefinierte
                                 Interaktionen.

                        ‒‒ Vordefinierte Objekte: Eine existierende Sammlung von 2D- oder 3D-Objekten
                           kann, ähnlich wie die Bausteine in LEGO, zu 2D- und 3D-Artefakten zusammenge-
                           setzt werden.
                        ‒‒ Selbstkreierte Objekte: Im Gegensatz zu physikalischen LEGO Bausteinen, welche
                           Nutzerinnen und Nutzer schwierig selbst herstellen könnten, ermöglichen zahl-
                           reiche digitale Creativity Support Tools das selbständige Erstellen eigener, neuer
                           2D- und 3D-Objekte. Es konnte belegt werden, dass insbesondere die Möglichkeit,

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eigene Objekte zu gestalten, grosse Motivation sowie Lernbereitschaft in Ler-
                           nenden generiert und somit das Potenzial eines langfristigen Lernerfolg steigert
                           (Basawapatna et al. 2018).
                        ‒‒ Interaktionen: Damit dynamische digitale Artefakte entstehen, müssen diverse
                           Interaktionen zwischen den virtuellen Objekten aber auch Interaktionen zwi-
                           schen virtuellen Objekten und den Benutzenden stattfinden. Diese Interaktionen
                           sind in einfachen Fällen vordefiniert. In komplexeren Fällen können weitere, neue
                           Interaktionen durch die Benutzenden selbst anhand von sogenanntem End-User
                           Programming (Lieberman, Paternò, und Wulf 2006) definiert werden.

                        AgentCubes online
                        Im Rahmen des Moduls IB ist die Programmierumgebung AgentCubes online das pri-
                        mär verwendete CT-Tool, da es über sämtliche wichtigen Elemente sowohl von Pro-
                        gramming Support Tools als auch von Creativity Support Tools verfügt. Im Hinblick
                        auf die Hilfestellung bei der Programmierung bietet es beispielsweise einfache Drag-
                        and-Drop-Programmierung, eine farbliche Annotation fehlerhafter Programmteile
                        (conversational programming) sowie ein eingebautes 3D-Raster, das sich extrem viel-
                        seitig nutzen lässt. Hinsichtlich der Kreativität gibt es Benutzenden die grosse Frei-
                        heit, sowohl die Objekte (einzeln und deren Zusammensetzung zu einer Spielwelt)
                        als auch die Interaktionen (sowohl von Objekten untereinander als auch zwischen
                        Objekten und Nutzerinnen und Nutzern) selbst zu erstellen und somit eine potentiell
                        unbegrenzte Vielfalt unterschiedlicher Projekte zu erschaffen. Dies reicht von einfa-
                        chen Computerspielen bis hin zu komplexen MINT-Simulationen (Abb. 6).

                        Abb. 6.: Eine Fischteich-Simulation, die mit AgentCubes online erstellt wurde. Anhand von For-
                                 meln können Daten erhoben, visualisiert und zur weiteren Untersuchung in Excel- oder
                                 Google-Tabellen exportiert werden.

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Mit AgentCubes online können Benutzende nicht nur ihre eigenen 3D-Objekte («Agen-
                        ten») erstellen, sondern diese auch mit 3D-Druckern drucken (Abb. 7).

                        Abb. 7.: Ein Objekt («Agent»), das mit AgentCubes online entworfen wurde: In 2D-Format (oben
                                 links), in 3D-Format (oben rechts) und als 3D-Druck (unten Mitte).

                        Im Rahmen seiner Verwendung als primäres CT-Tool zur Umsetzung des SGD-Cur-
                        riculums wurde konnte nachgewiesen werden, dass sich AgentCubes online her-
                        vorragend eignet für die Vermittlung von CT in der Primarschule (Repenning 2017,
                        Repenning et al. 2015). Dies gründet unter anderem auch darin, dass es einem Low-
                        Threshold-High-Ceiling-Ansatz folgt. Damit ermöglicht es einerseits Personen ohne
                        Vorkenntnisse, sofort mit sehr einfachen Programmier-Aktivitäten zu beginnen, bie-
                        tet aber andererseits auch fortgeschrittenen Benutzerinnen und Benutzern die Mög-
                        lichkeit, zunehmend anspruchsvolle und komplexe Projekte zu erstellen.
                             AgentCubes online eignet sich für Lernende ab Zyklus 2, um durch das Erstellen
                        eigener Projekte viele Grundkonzepte der Programmierung wie Variablen, Parame-
                        ter, Methoden oder Schleifen kennenzulernen und auszuprobieren. Die Einsatzmög-
                        lichkeiten im Unterricht sind vielfältig und reichen von MINT-Fächern über Musik und
                        Gestalten bis hin zu Sprachen. Denn insbesondere das digital storytelling sowie das
                        Erstellen von Spielen und Simulationen ermöglicht den handlungsorientierten, an-
                        schaulichen Aufbau von Kompetenzen verschiedener Fachbereiche im Zusammen-
                        spiel mit denen der Informatik. Das Erstellen eigener Projekte bietet viel Raum für
                        Kreativität und generiert dadurch ein hohes Mass an Eigenmotivation. Letztere un-
                        terstützt auf zentrale Weise die Bereitschaft der Lernenden für die Schulung ihres
                        analytisch-logischen Denken sowie das explorative Erkunden verschiedener Prob-
                        lemlösungsstrategien beim Programmieren eigener Projekte.

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Zentrale Inhalte und Konzepte: Die 7 Big Ideas der Informatik
                        Inhaltlich orientiert sich das Modul IB am Kompetenzprofil des Moduls «Medien und
                        Informatik» des LP21. Das Modul IB fokussiert im Sinne seines obersten Kompe-
                        tenzziels Computational Thinking auf den LP21-Bereich Informatik mit seinen drei
                        Teilbereichen Datenstrukturen, Algorithmen und Informatiksysteme, bindet aber
                        insbesondere wichtige Themen der Medienbildung ein. Denn die in diesem Modul
                        vermittelten Kompetenzen sollen CT zwar primär im Sinne einer grösstmöglichen
                        Selbstwirksamkeit und Handlungsorientierung fördern und zu der selbständigen Er-
                        schaffung digitaler Artefakte befähigen. Doch sie sollen ebenso den reflektierte Um-
                        gang mit und die produktive Anwendung digitaler Medien ermöglichen. Ein wichtiger
                        Aspekt des Moduls ist dementsprechend auch die kritische Reflexion des digitalen
                        Wandels und der Informatik auf ihre gesellschaftliche Bedeutung hin.
                             Um auf die Inhalte und Kompetenzziele des LP 21-Moduls «Medien und Informa-
                        tik» umzusetzen und im Sinne des CT zu lehren, bedient sich das Modul IB zahlreicher
                        Elemente des «AP Computer Science Principles»-Kurses (AP CSP-Kurses) des College
                        Boards (2017b). Der AP CSP-Kurs ist eine Einführung in die Grundlagen der Informatik
                        mit dem Schwerpunkt darauf, wie und mit welchen Auswirkungen Computer die Welt
                        antreiben. Er basiert auf den sechs CT-Praktiken «Connecting Computing», «Creating
                        Computational Artifacts», «Abstracting», «Analyzing Problems and Artifacts», «Com-
                        municating» und «Collaborating» sowie den «7 Big Ideas» Kreativität, Abstraktion,
                        Daten, Algorithmen, Programmieren, Internet und Globale Auswirkungen, die er als
                        für die informatische Bildung unerlässlich erachtet (College Board 2017a). Durch den
                        Aufbau an Kompetenzen in den sieben Themenbereichen lernen die Studierenden
                        nicht nur, die Funktionsweise digitaler Technologien zu verstehen, digitale Medien
                        und Daten kritisch zu analysieren und kompetent zu nutzen, sondern auch eigen-
                        ständig digitale Artefakte zu erschaffen und dadurch selbst aktiv auf die digitalen
                        Welt einzuwirken. Zudem erlangen sie ein umfassenderes Verständnis davon, wie die
                        Informatik die Menschen und die Gesellschaft als Ganzes beeinflusst (College Board
                        2017a). Dank dieser umfassenden Einbeziehung kritischer Reflexion digitaler Medien
                        sowie der Digitalisierung allgemein und deren sozio-kulturellen Auswirkungen bie-
                        tet das Konzept der informatischen Bildung des AP CSP-Kurses eine grosse Schnitt-
                        menge mit dem Bereich Medienbildung. Durch diese konzeptuelle Öffnung der infor-
                        matischen Bildung im Sinne eines transversalen CT ermöglicht der AP CSP-Kurs mit
                        seinen sieben Themen eine sinnvolle Einbindung zahlreicher elementarer Themen
                        der Medienbildung (Gretter und Yadav 2016). Das Modul IB übernimmt zentrale in-
                        haltliche, konzeptuelle sowie strukturelle Elemente des AP CSP-Kurses und übersetzt
                        sie für die Ausbildung von Primarlehrpersonen, um eine optimale, dem Kontext an-
                        gemessene Vermittlung von CT zu gewährleisten. Im Fokus stehen dabei die sieben
                        grossen Themen:

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Kreativität
                        Das Thema Kreativität beleuchtet die Informatik bzw. den Computer als Sammlung
                        von Werkzeugen, die es den Menschen ermöglichen, ihr kreatives Potenzial auszu-
                        schöpfen. Dies bezieht sich sowohl auf den ursprünglichen Wortsinn von Kreativität
                        als schöpferische, neues gestaltende Kraft als auch auf deren Bedeutung im Sinne
                        eines unkonventionellen Ideenreichtums. Egal, ob digitales Klangdesign, Animatio-
                        nen, Websites oder Programme – das kreative Potenzial der Digitalisierung ist enorm.
                        Wie in Abschnitt «Werkzeuge: Computational Thinking Tools» dieses Kapitels bespro-
                        chen, unterstützen die im Modul IB verwendeten CT-Tools die Kreativität auf einem
                        sehr hohen Niveau. Kreativität ist ein elementarer Aspekt eines stark handlungs-
                        orientierten CT-Prozesses und bildet daher einer der Schwerpunkte des Moduls IB.
                        Hinsichtlich der Medienbildung werden durch Lernaufgaben insbesondere Themen
                        wie Urheberrechte und der ethische Umgang mit digitalen Inhalten und Artefakten
                        thematisiert.

                        Abstraktion
                        Menschen abstrahieren andauernd, um die Komplexität der Realität zu reduzieren.
                        In der Informatik ist die Abstraktion zentraler Teil von Problemlösestrategien. Es
                        ist die erste Stufe des CT-Prozesses, wie es in Abschnitt 1.1 beschrieben wird. Ab-
                        straktion beinhaltet sowohl die Strategie, den Prozess, wie auch das Resultat von
                        Komplexitätsreduktion mit dem Ziel, sich auf die relevanten Aspekte zu fokussieren,
                        um komplexe Phänomene zu verstehen, in ihre Einzelbestandteile zu zerlegen und
                        Probleme zu lösen. Im Rahmen des Moduls IB lernen die Studierenden verschiedene
                        Abstraktionsformen und deren Funktionen kennen: Abstraktion von Daten (z.B. Para-
                        meter und Variablen), Abstraktion von Abläufen (z.B. Methoden) und Abstraktion von
                        Objekt-Interaktionen (z.B. die CTPs).

                        Daten
                        Der Computer ermöglicht und begünstigt neue Methoden der Informationsverarbei-
                        tung. Dies führt zu enormen Veränderungen in verschiedenen Bereichen (z.B. Kunst,
                        Wirtschaft und Wissenschaft). Die Digitalisierung führt zu einer Flut von Daten. Das
                        Sammeln und auch das Auswerten von Daten wird durch die Digitalisierung enorm
                        vorangetrieben. Menschen verwenden den Computer für die Übersetzung, Auswer-
                        tung und Visualisierung von Rohdaten, um so Informationen und schliesslich Wis-
                        sen zu generieren. Die Informatik erleichtert und ermöglicht ein neues Verständnis
                        von Daten und Informationen, welche das Wissen der Welt konstituieren. Die Studie-
                        renden lernen im Modul IB verschiedene Techniken und Werkzeuge kennen, um aus
                        Daten Informationen abzuleiten. Die Überschneidungen mit wichtigen Aspekten der

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                                                                                                             45
Medienbildung sind bei diesem besonders Thema zahlreich. Anhand von diversen
                        Lernaufgaben werden Themen wie Datenschutz und Passwortsicherheit handlungs-
                        orientiert eingeführt sowie ein kritisch-reflektierter Umgang mit digitalen Inhalten
                        erarbeitet.

                        Algorithmen
                        Bei verschiedensten alltäglichen Aufgaben werden Algorithmen verwendet. Unsere
                        Welt und die Gesellschaft werden heute wesentlich von Algorithmen in Software be-
                        einflusst. Sie sind beispielsweise der Grund, weshalb heute Daten sicher und in gro-
                        sser Menge übertragen werden können. Die Entwicklung, Verwendung und Analyse
                        von Algorithmen gehören damit zu den fundamentalsten Kompetenzen der Informa-
                        tik. Im Modul IB erarbeiten Studierende durch diverse Lernaufgaben und konkrete
                        Beispiele, unter anderem durch CS unplugged-Aktivitäten, ein grundlegendes Ver-
                        ständnis von der Funktionsweise von Algorithmen und dem immensen gestalteri-
                        schen Potenzial, dass diesen innewohnt.

                        Programmierung
                        Programmieren und Softwareentwicklung haben unser Leben verändert. Das Ergeb-
                        nis von Programmieren ist Software und es erleichtert das Kreieren von Artefakten
                        wie digitaler Musik, digitalen Bildern und Visualisierungen. Im Modul IB lernen die
                        Studierenden durch das Erstellen eigener digitaler Artefakte Konzepte und Techni-
                        ken kennen und anwenden, die sie beim Programmieren, beim Entwickeln von Soft-
                        ware und bei der effektiven Nutzung von Software unterstützen.

                        Internet
                        Das Internet und Systeme, die auf dem Internet basieren, haben einen enormen Ein-
                        fluss auf unsere Gesellschaft. Computernetzwerke unterstützen die Kooperation wie
                        auch die Kommunikation zwischen verschiedensten Personen, Gruppen oder Sys-
                        temen. Die Prinzipien der Systeme und der Netzwerke, die dem Internet zugrunde
                        liegen, sind für die Entwicklung von Informatiklösungen entscheidend. Im Modul IB
                        lernen die Studierenden, wie das Internet funktioniert, erfahren von den Charakte-
                        ristiken des Internets und der Systeme, auf die es gebaut ist. In den dazu gestellten
                        Lernaufgaben werden auch zentrale Themen der Medienbildung wie Datenschutz
                        und Sicherheit (z.B. Verschlüsselungen, Sicherheitsprotokolle, Urheberrecht und
                        Bildrechte) oder Netzneutralität erarbeitet.

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Globale Auswirkungen
                        Die Informatik (Computation) hat die Denkweise der Menschen, die Arbeit, das Leben
                        wie auch das Spiel verändert. Die Methoden der Kommunikation, der Zusammenar-
                        beit, des Problemlösens wie auch der Handel wurden und werden durch die Digitali-
                        sierung verändert. Integraler Bestandteil vieler Innovationen ist der Computer bzw.
                        ein Computerprogramm. Zahlreiche Innovationen in anderen Feldern haben direkt
                        mit der digitalen Datenverarbeitung zu tun. Die Informatik und das Problemlösen
                        mit dem Computer führte zu neuen Erkenntnissen, neuen Entdeckungen und neuen
                        Disziplinen. Mittels anschaulicher Materialien und Lernaufgaben macht das Modul IB
                        den Studierenden diverse dieser Innovationen vertraut und veranlasst sie im Sinne
                        wichtiger Aspekte der Medienbildung zu einer kritischen Reflexion des Nutzens so-
                        wie der Gefahren dieser Innovationen einerseits und der eigenen Verantwortung als
                        mündige und aktiv mitwirkende Bürgerinnen und Bürger der digitalen Welt anderer-
                        seits (College Board 2017b).

                        Diskussion / Fazit: Die ersten Eindrücke aus dem Kurs
                        Während das SGD-Curriculum bereits in vielen Ländern erprobt und durchgeführt
                        wurde, ist dessen Implementierung im Bildungskontext der Schweiz im Rahmen des
                        Moduls IB neu. Es ist der erste obligatorische Kurs zur Lehre von CT im Rahmen der
                        Ausbildung von Primarlehrpersonen. Dies ist ein wichtiger Unterschied und ein gro-
                        sser Vorteil hinsichtlich herkömmlicher Kontexte, in denen Lehrpersonen CT anhand
                        dem SGD-Curriculum kennengelernt haben. In den USA erhalten beispielsweise nur
                        interessierte Lehrpersonen aus Eigeninitiative eine Einführung in das SGD-Curricu-
                        lum, was im Rahmen von Weiterbildungsformaten wie eintägigen Workshops oder
                        mehrtägigen Sommerschulen erfolgt. Eine obligatorische Ausbildung von Lehrper-
                        sonen in informatischer Bildung und CT, wie sie der LP21 erfordert und das Modul IB
                        der PH FHNW umsetzt, existiert in den USA nicht. Während es die umfangreichen und
                        wertvollen Erfahrungen aus den zahlreichen Umsetzungen des SGD-Curriculums in
                        den USA und in anderen Ländern durchaus nutzen kann, muss sich das Modul IB auf
                        die beträchtlichen Anforderungen einer grösseren und auch anderen, viel heteroge-
                        neren Zielgruppe einstellen: Denn im Bachelor Primarstufe besteht der Auftrag und
                        somit der Anspruch, alle Studierenden und zukünftigen Lehrpersonen zu erreichen
                        und nicht nur solche, die ohnehin an der Thematik interessiert sind.
                            Während dieses Kapitel geschrieben wurde, wurde der Modulteil Fachwissen-
                        schaft bereits unterrichtet. Erste Rückmeldungen von den Studierenden und den
                        Dozierenden zeigen, dass der Kurs sehr gut ankommt. Dieser Kurs bietet als erster
                        seiner Art in der Schweiz eine wertvolle Lernerfahrung nicht nur für die Studieren-
                        den, sondern auch für das Dozierendenteam. Um diese Erfahrungen zu erfassen
                        und auszuwerten, wird das Modul IB begleitet von einem Forschungsprojekt, das

Alexander Repenning, Anna Lamprou, Nicolas Fahrni und Nora Escherle              www.medienpaed.com > 31.10.2018

                                                                                                             47
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