Strategische Reserve zur Absicherung des Strommarkts - DIW Berlin
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Strategische Reserve Strategische Reserve zur Absicherung des Strommarkts Von Karsten Neuhoff, Jochen Diekmann, Wolf-Peter Schill und Sebastian Schwenen Derzeit wird diskutiert, ob der deutsche Strommarkt genügend In Deutschland wird seit einigen Jahren über eine Re- Anreize für Investitionen in Kraftwerke und deren Verbleiben am form des Strommarktes diskutiert. Eine zentrale Frage ist dabei, ob sich allein durch die Erlöse aus dem Strom Netz bietet, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Vor- absatz (Energy-Only-Markt) langfristig ausreichende schläge, die Energieversorgung weiter abzusichern, beinhalten zum Deckungsbeiträge für Spitzenlastkraftwerke erzielen Teil umfassende Zahlungen an die Kraftwerksbetreiber – parallel lassen.1 Darüber hinaus werden die Auswirkungen des zu Energieerlösen und basierend auf deren Erzeugungskapazität Ausbaus erneuerbarer Energien auf den Einsatz kon- ventioneller Kraftwerke und die Strommarktpreise dis- (Kapazitätsmärkte). Andere Vorschläge empfehlen die Vorhaltung kutiert. Die derzeit ohne Zweifel ausreichenden Erzeu- einzelner Kraftwerke, die nur bei Knappheit und hohen Preisen gungskapazitäten in Deutschland werden zudem durch zum Einsatz kommen (Strategische Reserve). In der vorliegenden den bis 2022 erfolgenden vollständigen Atomausstieg Studie werden die verschiedenen Gründe, die zu fehlenden Investi- sowie weitere wahrscheinliche Kraftwerksabgänge ver- mindert.2 Nicht zuletzt kann es derzeit in Süddeutsch- tionsanreizen führen könnten, analysiert und Handlungsoptionen land aufgrund von Übertragungsnetzengpässen zu re- diskutiert. Die Untersuchung zeigt, dass eine Strategische Reserve gionalen Knappheitssituationen kommen. Dem wurde zur Absicherung der Energieversorgung ausreicht. von der Politik kurzfristig durch die Errichtung einer Netzreserve und weitere regulatorische Maßnahmen vorgebeugt. Vor diesem Hintergrund wurden in letz- ter Zeit unterschiedliche Kapazitätsmechanismen vor- geschlagen, die gewährleisten sollen, dass auch künf- tig ausreichende gesicherte Erzeugungskapazitäten zur Verfügung stehen, um Blackouts zu vermeiden. Unterschiedliche Motive für Kapazitätsmechanismen Fehlende Deckungsbeiträge für Spitzenlastkraftwerke? Die Diskussion über Kapazitätsmechanismen ist nicht neu und ist auch nicht originär mir der deutschen Ener- giewende entstanden. Vielmehr wird seit der Liberalisie- rung von Strommärkten diskutiert, ob Stromerzeuger allein durch den Verkauf von Strom ihre Investitions- kosten decken können oder ob sie zusätzliche Zahlun- gen für die Bereitstellung von Kapazitäten benötigen. So 1 Vgl. Hogan, W. (2005): On an “Energy only” Electricity Market Design for Resource Adequacy. Cambridge, MA, Harvard Electricity Policy Group Paper. 2 Vgl. BDEW (2013): Kraftwerksplanungen und aktuelle ökonomische Rahmenbedingungen für Kraftwerke in Deutschland. BDEW Energie-Info. DIW Wochenbericht Nr. 48.2013 5
Strategische Reserve gab es in Großbritannien während der 90er Jahre eine urteilt werden. Einige Faktoren deuten allerdings dar- Kapazitätszahlung an Kraftwerke, die 2001 wegen um- auf hin, dass dieses Problem in der Realität weniger gra- fassender Manipulationen durch Marktteilnehmer abge- vierend ist als im Modell. schafft wurde,3 jetzt aber in anderer Form im Rahmen der Energiemarktreform wieder eingeführt werden soll. Erstens reduziert oder vermeidet die Beteiligung von flexibler Nachfrage im Strommarkt, zum Beispiel ab- Eine fundamentale Begründung für einen Kapazitäts- schaltbarem Strombezug von Industriekunden, das Mis- mechanismus beruht auf dem Missing-Money-Problem, sing-Money-Problem. Wenn f lexible Nachfrager den das von Paul Joskow in die Diskussion eingeführt wur- Marktpreis oberhalb der variablen Erzeugungskosten de. 4 Kraftwerke können in Stunden, in denen der Strom- von konventionellen Kraftwerken setzen, können die preis höher als ihre variablen Erzeugungskosten ist, ei- konventionellen Kraftwerke in diesen Stunden einen nen Deckungsbeitrag zu Kapital- und anderen Fixkosten Deckungsbeitrag zu Kapital- und anderen Fixkosten erwirtschaften. Für Kraftwerke mit geringen variab- erwirtschaften. len Kosten – traditionell Grundlastkraftwerke – ist das der Fall, wenn Kraftwerke mit höheren variablen Kos- Zweitens ist davon auszugehen, dass der Großhandels ten den einheitlichen Strompreis bestimmen. Das lässt preis sich nicht wie im Lehrbuch allein nach Maßgabe aber die Frage offen, wie Spitzenlastkraftwerke mit den der Grenzkosten bildet. Internationale Studien zeigen höchsten variablen Kosten ihren Deckungsbeitrag er- vielmehr, dass insbesondere in Stunden knappen An- wirtschaften können. Dafür bedarf es Stunden knappen gebotes Marktmacht ausgeübt werden kann. Das führt Angebots oder hoher Nachfrage, in denen Knappheits- zu zusätzlichen Einnahmen für Spitzenlastkraftwerke. preise oberhalb der variablen Kosten realisiert werden. Wenn jedoch die Nachfrage nicht ausreichend elastisch Drittens können Kraftwerke zusätzlich zur Bereitstel- ist und so der Preis allein das Gleichgewicht nicht her- lung von Energie auch weitere Systemdienstleistun- stellen kann, muss der Netzbetreiber einige Endkun- gen anbieten. So ergeben sich für flexible Kraftwerke den vorübergehend vom Netz trennen (Rolling Blackout). zusätzliche Erlöse, wenn sie ihre Produktion kurzfris- tig anpassen und so auf Preissignale im Intraday- oder Wenn die Stromnachfrage hinreichend preiselastisch Regelenergiemarkt reagieren können. ist, können sich Knappheitspreise über den variablen Kosten des teuersten Kraftwerks ergeben, bei denen der Zudem wird das Risiko einer regulatorischen Interven- Markt geräumt wird und auch Spitzenlastkraftwerke De- tion bei kurzfristig hohen Strompreisen dadurch verrin- ckungsbeiträge erzielen. Ist die Nachfrage jedoch nicht gert – und die Glaubwürdigkeit des Strommarktes für genügend preiselastisch und wird der Marktpreis nach Investoren erhöht –, dass Versorger und Endkunden den oben hin begrenzt, können die notwendigen Einnahmen Großteil ihrer Stromnachfrage längerfristig vertraglich zur Deckung der Fixkosten von Spitzenlastkraftwer- absichern. In Deutschland ist fast die gesamte Nachfra- ken unter Umständen nicht erzielt werden. Eine Preis- ge bereits ein Jahr und mehr im Voraus vertraglich ver- obergrenze kann explizit auf einer Handelsplattform einbart. Damit sind die meisten Endkunden gegenüber (für den deutschen Markt ist dies die Strombörse EEX) kurzfristig hohen Großhandelspreisen abgesichert. Sie oder durch politische Intervention vorgegeben werden, würden nur für den Teil ihres Strombedarfs, der die ver- weil extrem hohe Strompreise als politisch nicht tragbar traglich festgelegte Menge übersteigt, hohe Knappheits- wahrgenommen werden. Wenn Investoren eine solche preise zahlen. Das reduziert die negativen Auswirkun- Entwicklung erwarten, werden sie bestehende Spitzen- gen von Preissprüngen für Stromkunden und damit lastkraftwerke möglicherweise nicht länger bereithal- den öffentlichen Druck für eine mögliche Intervention. ten beziehungsweise keine Neuinvestitionen durchfüh- ren, die für die Versorgungssicherheit erforderlich sind.5 Der wachsende Anteil von Wind- und Solarenergie be- dingt Unsicherheiten über die Entwicklung des Aus- Inwiefern dieser theoretische Fall künftig praktische Be- baus und die jährlichen Schwankungen der Erzeugung. deutung erlangt, kann derzeit nicht mit Sicherheit be- Das kann zu Jahren mit Überkapazität und damit gerin- gen Spitzenpreisen führen, die in anderen Jahren mit zusätzlichen Stunden mit hohen Preisen kompensiert 3 Vgl. Newbery, D. (1995): Power Markets and Market Power. The Energy Journal, Vol. 16, No. 3, 39–66; sowie Department of Energy and Climate werden müssen. Diese Unsicherheiten über zu erwar- Change (2013): Electricity Market Reform: Capacity Market – Detailed Design tende Deckungsbeiträge verstärken zunächst das Mis- Proposals. sing-Money-Problem. 4 Vgl. hierzu auch eine spätere Analyse in Joskow, P. (2008): Capacity Payments in imperfect electricity markets: Need and design. Utilities policy, Vol 16, No. 3, 159–170. Jedoch werden zugleich im Rahmen der Energiewen- 5 Vgl. Neuhoff, K., De Vries, L., (2004): Insufficient incentives for investment de längst notwendige Maßnahmen zur Aktivierung von in electricity generation. Utilities Policy, Vol 12, No. 4, 253–268. Nachfrageflexibilität im Strommarkt angegangen, und 6 DIW Wochenbericht Nr. 48.2013
Strategische Reserve eine weitere Flexibilisierung durch die Interaktionen mit Abbildung 1 Elektromobilität, Wärmemärkten, Speichern und Netz ausbau für den internationalen Austausch wird anvi- Last und Einspeisung erneuerbarer Energien siert. Das kann insgesamt zu einer Abschwächung des für zwei exemplarische Wochen im Jahr 2032 Missing-Money-Problems führen. In Gigawatt Veränderte Erlössituation durch 100 Niedrigpreisphasen 90 80 Die Strompreise können auf Null fallen, wenn die Erzeu- gung von Strom aus Solar- und Windenergie die Nach- 70 frage übersteigt. Es wird häufig argumentiert, das führe 60 dazu, dass Kraftwerke nicht mehr die notwendigen De- 50 ckungsbeiträge erreichen können. In der Vergangenheit waren in Deutschland Steinkohlekraftwerke während 40 der meisten Stunden des Tages preisbestimmend. Da- 30 mit konnten sie während des Großteils ihrer Betriebs- 20 stunden nur einen sehr geringen Deckungsbeitrag er- zielen und waren auf den Deckungsbeitrag angewie- 10 sen, der während der Stunden erreicht wurde, in denen 0 bei höherer Nachfrage andere Erzeugungstechnologien mit höheren variablen Kosten preissetzend waren. Ent- 22. März bis 4. April 2032 scheidend für die Rentabilität eines Kraftwerkes ist in- PV Wind offshore Laufwasser sofern also nicht (wie häufig behauptet) die Anzahl der Wind onshore Biomasse Last Volllaststunden (durchschnittliche Anlagenauslastung), sondern die Anzahl der Stunden in denen ein positiver Quelle: Berechnungen des DIW Berlin. Deckungsbeitrag erzielt wird. © DIW Berlin 2013 Abbildung 1 zeigt für zwei exemplarische Wochen des Die Stromerzeugung aus Windkraft und Photovoltaik schwankt stark. Jahres 2032 den Anteil des Stromverbrauchs (Last), der von Wind- und Solarenergie gedeckt werden kann.6 Die Abbildung illustriert die regelmäßigen, täglichen Schwankungen der Photovoltaik ebenso wie die weni- Auch bei hohen Anteilen erneuerbarer Energie wird so- ger regelmäßigen Schwankungen der Windkraft. Tref- mit das grundlegende Prinzip des Energy-Only-Markts fen hohe Erzeugung aus Wind- und Sonnenergie zusam- nicht in Frage gestellt.8 Mit der größeren Variabilität der men, kann es zu deutlichen Überschüssen kommen. Erzeugung aus Wind- und Solarenergie nehmen aller- Übersteigen diese die Kapazität der Stromspeicher, dann dings die Schwankungen des Strompreises zu. wird in den entsprechenden Stunden kein Deckungs- beitrag zu den fixen Kosten aller Erzeugungsanlagen Vorübergehende Überkapazitäten erreicht.7 Allerdings gibt es auch viele Stunden in den entsprechenden Wochen, in denen Speicher und kon- Aktuell ist der Strommarkt von einem längerfristigen ventionelle Erzeugung noch einen wesentlichen Bei- Investitionsgleichgewicht weit entfernt. Insgesamt be- trag leisten müssen, um die Differenz zwischen Last stehen deutliche Überkapazitäten im Erzeugungsbe- und Erzeugung aus erneuerbaren Energien abzudecken. reich. Es wäre überraschend, wenn in einer solchen Si- tuation die Strompreise im Marktgleichgewicht nicht soweit fallen, dass einige Kraftwerke ihre fixen Kos- ten nicht mehr decken können und vom Netz gehen. 6 Die Darstellung basiert auf Lastdaten des Jahres 2010 sowie Einspeiseda- ten des Jahres 2012, die mit den Erzeugungskapazitäten des Szenarios B 2032 Das ist die Antwort des Marktes, um das Gleichgewicht des Netzentwicklungsplans 2012 skaliert wurden. Biomasse und Laufwasser zwischen Angebot und Nachfrage wieder herzustellen. erzeugen hier annahmegemäß auf einem konstanten Niveau Strom. Für eine nähere Beschreibung der Methodik siehe Schill, W.-P. (2013): Residual Load, Renewable Generation Surplus and Storage Requirements in Germany. DIW Allerdings hat die Diskussion der letzten Jahre gezeigt, Discussion Paper Nr. 1316. dass ein Einpendeln zum Marktgleichgewicht langsa- 7 Aktuell kann der Strompreis in solchen Stunden einen negativen Wert annehmen. Flexible Kraftwerke reduzieren dann ihre Produktion. Da die meisten konventionellen Kraftwerke ihre Produktion bereits mit finanziellen 8 Neuhoff, K., Ehrenmann, A., Butler, L., Cust, J., Hoexter, H., Keats, K., oder physikalisch basierten Verträgen abgesichert haben, entstehen auch Kreczko, A., Sinden, G. (2008): Space and Time: Wind in an Investment inflexiblen Kraftwerken durch die negativen Preise keine Verluste. Planning Model. Energy Economics, 30 (4), 1990–2008. DIW Wochenbericht Nr. 48.2013 7
Strategische Reserve mer verlaufen kann als in theoretischen Modellen er- des letzten deutschen Atomkraftwerks eine klar defi- wartet. Entscheidungen zur (vorübergehenden) Stillle- nierte zeitliche Perspektive.9 gung von Kraftwerken können sich verzögern, da Unter- nehmen kurzfristige Kosten und Widerstände bei einer Regionale Herausforderungen Stilllegung scheuen. Auch könnte die Diskussion zur möglichen Einführung von Kapazitätsentlohnungen Es bestehen schon derzeit regionale Herausforderungen, Unternehmen zu einer Verschiebung ihrer Entschei- die durch den Atomausstieg weiter verstärkt werden. Da- dung motivieren. Für einzelne Erzeuger ist es schwer bei ist zu beachten, dass die aktuelle Ausgestaltung des abzusehen, wie viele Kraftwerke von anderen Unterneh- deutschen Strommarktes keine Differenzierung zwi- men stillgelegt werden, und wie sich somit die gesam- schen dem Wert des Stromes an verschiedenen Stand- te Knappheit entwickelt. Deswegen sind auf Seiten der orten in Deutschland ermöglicht, sondern eine einheit- Netzbetreiber längere Vorankündigungszeiten vorgese- liche Preiszone vorschreibt. hen, die eingehalten werden müssen, bevor ein Kraft- werk vom Netz gehen kann. Da die Übertragungskapazität beschränkt ist, muss ge- nügend Erzeugungskapazität in den jeweiligen Regio- Bei der Wiederherstellung des Gleichgewichtes spie- nen vorgehalten werden. Aktuell befürchtet die Bundes- len Terminmärkte, auf denen Strom bis zu vier Jahre netzagentur, dass konventionelle Kraftwerke an den fal- im Voraus gehandelt wird, eine zentrale Rolle. So kann schen Standorten in Deutschland vom Netz genommen dazu beigetragen werden, dass einzelne Erzeuger nicht werden und zu wenige Kraftwerke in Süddeutschland zu viele oder zu wenige Kraftwerke vom Netz nehmen. betriebsbereit bleiben. Zum Umgang mit Netzengpäs- sen wurde von der Bundesnetzagentur eine Netzreser- In Deutschland ist mit dem Atomausstieg eine länger- ve eingesetzt.10 Kraftwerke in Süddeutschland und Ös- fristige Übergangsphase zu berücksichtigen. Durch terreich werden direkt von den Netzbetreibern kontra- die Stilllegung dieser Kraftwerke bis 2022 entsteht ein hiert und können im Fall von Übertragungsengpässen Ersatzbedarf an Erzeugungskapazität. Kraftwerke, die für Süddeutschland eingesetzt werden. aus der aktuellen Perspektive eine Überkapazität dar- stellen, könnten im Jahre 2022 wieder benötigt wer- Jedoch reduziert die Netzreserve die Wirtschaftlichkeit den. Dies hängt auch davon ab, in welchem Umfang von Kraftwerken an den Standorten, wo diese benötigt geplante Neubauten und angekündigte Stilllegungen werden (Süddeutschland). Sie muss somit, wie vorgese- konventioneller Kraftwerke realisiert werden und ob in hen, eine Übergangslösung bis 2017 bleiben, damit der Zukunft internationaler Stromaustausch und Nachfra- Strommarkt längerfristig die richtigen Signale für In- gef lexibilität zur Deckung von Spitzenlast eingeplant vestitions- und Stilllegungsentscheidungen liefert. Die werden können. Netzprobleme müssen letztlich durch Netzausbau und mit regionaler Bepreisung behoben werden. Allerdings haben Kraftwerksbetreiber unter Umstän- den keinen ausreichenden finanziellen oder institu- tionellen Spielraum, um entsprechende Kraftwerke Unterschiedliche Kapazitätsmechanismen bis zum Jahr 2022 bei vorübergehend negativem De- in der Diskussion ckungsbeitrag vorzuhalten. Eine denkbare Möglichkeit mit dieser Situation umzugehen, könnte eine Über- In Deutschland werden gegenwärtig als mögliche Ka- gangsreserve für Kraftwerke bis zum Jahr 2022 sein. pazitätsmechanismen insbesondere die folgenden fünf Dabei könnte unzureichender Koordination zwischen Modelle diskutiert: Strategische Reserve, Versorgungssi- Marktteilnehmern und deren Stilllegungs- und Inves- cherheitsverträge, Fokussierte Kapazitätsmärkte, Dezen- titionsentscheidungen vorgebeugt werden und somit trale Leistungsverpflichtungen und Dezentraler Leis- das Risiko zu geringer Kapazitäten im Jahr 2023 ver- tungsmarkt.11 Diese Modelle unterscheiden sich unter mindert werden. Eine solche Reserve kann prinzipiell anderem danach, auf welcher Ebene der Bedarf an Ka- von privaten Unternehmen, die Kraftwerke vorläufig pazitäten bestimmt wird, welche Anlagen in den Me- stilllegen, gehalten werden. So befinden sich gegen- wärtig zwei Gigawatt Kraftwerkskapazität in diesem Zustand. Allerdings ist unsicher, ob vorläufig stillge- 9 Es wäre zu prüfen, inwieweit eine solche Reserve mögliche weitere legte Kraftwerke für einen ausreichenden Zeitraum al- Neuinvestitionen verringern oder verzögern kann, wenn Investoren befürchten, lein aus privatwirtschaftlicher Perspektive vorgehalten dass mit Auslaufen der Übergangsreserve alte Kraftwerke zurück auf den Markt kommen und Preisdruck ausüben. werden. Deshalb wäre zu prüfen, ob solche Kraftwer- 10 Vgl. den Beitrag von Kunz, F. et al. in diesem Wochenbericht. ke in einer Übergangsreserve gehalten werden sollten. 11 BMWi (2013): Bericht des Kraftwerksforums an die Bundeskanzlerin und die Eine solche Übergangsreserve wäre mit relativ gerin- Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder – Mittel- bis langfristig gen Kosten verbunden und hätte mit dem Abschalten ausreichende Sicherstellung von Erzeugungskapazitäten. 28. Mai 2013. 8 DIW Wochenbericht Nr. 48.2013
Strategische Reserve Tabelle Gegenwärtig in Deutschland diskutierte Kapazitätsmechanismen Strategische Versorgungs- Fokussierter Dezentrale Leistungs- Dezentraler Reserve sicherheitsverträge Kapazitätsmarkt verpflichtungen Leistungsmarkt Kapazitätsplanung zentral zentral zentral zentral dezentral Beschaffung zentral zentral zentral dezentral dezentral Anlagenselektion nein/bedingt nein (umfassend) ja nein (umfassend) nein (umfassend) Einsatz im Strommarkt nein ja ja ja ja Marktform Auktion Auktion Auktion diverse Börse Produkt Reservekapazität Call-Option Call-Option Leistungszertifikat VS-Nachweis Steuerungsgrößen Reservekapazität Kapazität Kapazität Sicherheitsmarge Strafen ggf. Regionalkomp. Ausübungspreis Ausübungspreis Strafe Auslösungspreis Finanzierung Umlage Umlage Umlage Marktpreis Marktpreis Referenzen Consentec (2012), BMU, EWI (2012) Öko-Institut, LBD, Raue (2012) vgl. Frontier Economics (2013) VKU (2013), BDEW (2013) BDEW, BEE u.a. (2013) Quellen: Consentec (2012): Versorgungssicherheit effizient gestalten – Erforderlichkeit, mögliche Ausgestaltung und Bewertung von Kapazitätsmechanismen in Deutschland. Untersuchung im Auftrag der EnBW AG, Abschlussbericht 7. Februar 2012; BMU, BDEW, BEE u.a. (2013): Märkte stärken, Versorgung sichern. Konzept für die Umsetzung einer Strategischen Reserve in Deutschland. Ergebnisbericht des Fachdialogs „Strategische Reserve“, Mai 2013. EWI (2012): Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign. Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln (EWI), Endbericht im Auftrag des BMWi, März 2012; Öko-Institut, LBD, Raue (2012): Ein neues Marktdesign für den Übergang zu einem neuen Energiesystem. Studie für die Umweltstiftung WWF Deutschland, Berlin, 8. Oktober 2012; Frontier economics, Formaet Services (2013): Dezentrale Leistungsverpflichtungssysteme – Eine geeignete Alternative zu zentralen Kapazitätsmechanismen? Studie im Auftrag des BMWi, Mai 2013; VKU, Enervis, BET (2013): Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland. Langfassung, 1. März 2013; BDEW (2013): Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarkts. Berlin, 18. September 2013, Positionspapier des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. Berlin, 18. September 2013; zum Überblick vgl. auch BMWi (2013): Bericht des Kraftwerksforums an die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder – Mittel- bis langfristig ausreichen- de Sicherstellung von Erzeugungskapazitäten. 28. Mai 2013. © DIW Berlin 2013 chanismus einbezogen werden und wie Anreize zur Be- als Erlös einen marktbestimmten Leistungspreis und reitstellung von Kapazitäten gesetzt werden (Tabelle). daneben einen kostenorientierten Arbeitspreis. Mehr- kosten werden wie Netzentgelte auf die Stromverbrau- Strategische Reserve cher umgelegt. Das Konzept der Strategischen Reserve besteht in Um Rückwirkungen der Strategischen Reserve auf In- Stromerzeugungskapazitäten, die ausschließlich in ex- vestitionsentscheidungen für den Strommarkt zu ver- tremen Knappheitssituationen eingesetzt werden sol- meiden, sollen die Anlagen der Strategischen Reser- len.12 Der Bedarf an Reservekapazität wird zentral fest- ve auch später nicht am Strommarkt eingesetzt wer- gelegt, zum Beispiel auf fünf Prozent der gesamten Jah- den dürfen. reshöchstlast (rund vier Gigawatt). Zur Beschaffung werden diese Kapazitäten durch die Übertragungsnetz- Im Unterschied zur bestehenden regulatorischen Netz- betreiber unter öffentlicher Aufsicht ausgeschrieben. reserve (Winterreserve) wird die Strategische Reserve Die Strategische Reserve ist grundsätzlich für Alt- und marktwirtschaftlich organisiert. Die Netzreserve könn- Neuanlagen offen. Anfänglich geht es vor allem um Be- te eventuell in die Strategische Reserve aufgenommen standsanlagen und um Neuanlagen in netztechnisch werden. Nach dem gemeinsamen Positionspapier des geeigneten Regionen. Dafür sind ausreichende Vor- Bundesumweltministeriums und der Verbände besteht laufzeiten und Vertragslaufzeiten festzulegen. Die Re- Einigkeit darüber, dass eine Strategische Reserve kurz- serve kommt zum Einsatz, wenn der Börsenpreis ein fristig (ab 2014) eingeführt werden kann und soll. Hin- festgelegtes Niveau überschreitet, zum Beispiel nach sichtlich eventueller weitergehender Kapazitätsmecha- dem Vorschlag des BMU und verschiedener Verbände nismen könnte sie als Übergangslösung, als Ergänzung 3 000 Euro pro MWh.13 Der Kraftwerksbetreiber erhält oder sogar als Ersatz dienen. 12 Consentec (2012): Versorgungssicherheit effizient gestalten – Erforderlich- Versorgungssicherheitsverträge keit, mögliche Ausgestaltung und Bewertung von Kapazitätsmechanismen in Deutschland. Untersuchung im Auftrag der EnBW AG. Abschlussbericht Nach einer Studie im Auftrag des Bundeswirtschafts- 07.02.2012 ministeriums könnte die Bereitstellung ausreichender 13 BMU, BDEW, BEE u. a. (2013): Märkte stärken, Versorgung sichern. Konzept für die Umsetzung einer Strategischen Reserve in Deutschland. Kapazitäten durch eine zentrale Versteigerung von Ver- Ergebnisbericht des Fachdialogs „Strategische Reserve“, Mai 2013. trägen gewährleistet werden, die eine Kapazitätsver- DIW Wochenbericht Nr. 48.2013 9
Strategische Reserve pflichtung und eine Verfügbarkeitsoption umfassen.14 beschränkt. Allerdings stellt sich die Frage, ob die For- Ähnliche Kapazitätsmechanismen werden in Neu-Eng- mulierung von Kriterien, nach denen sich Bestands- land, Kolumbien und Brasilien angewendet. Der Bedarf anlagen für Kapazitätsmarktzahlungen qualifizieren an Kapazitäten wird zentral ermittelt und bestimmt den (zum Beispiel Betriebsstunden), nicht zu starken Ver- Umfang der Versteigerungen. Teilnehmen können Be- zerrungen führt. Die Finanzierung des Kapazitätsme- stands- und Neuanlagen, wobei unterschiedliche Lauf- chanismus erfolgt auch hier über einen Aufschlag auf zeiten von einem beziehungsweise 15 Jahren gelten sol- die Netzentgelte. len. Für Neuanlagen ist zudem ein Vorlauf von fünf bis sieben Jahren vorgesehen. Daneben können auch Maß- Dezentrale Leistungsverpflichtungen nahmen wie Nachfragemanagement einbezogen wer- den. Der Auslösungspreis der Call-Option wird zentral Während die Kapazitäten in den bisher genannten Kon- so festgelegt, dass er etwas höher ist als die höchsten va- zepten zentral durch Ausschreibungen beschafft wer- riablen Erzeugungskosten. Teilnehmende Erzeuger ver- den, wird mit Leistungsverpflichtungen ein dezentra- pflichten sich Kapazitäten bereitzuhalten und erhalten les Element bei Kapazitätsmechanismen eingeführt. Die die Optionsprämie unabhängig von ihrer Erzeugung. Vorgaben für die Leistungsverpflichtungen werden al- Wenn der Strompreis höher ist als der Auslösungspreis, lerdings zentral festgelegt und falls erforderlich an ei- müssen sie die Differenz zurückerstatten. Die Nettokos- nen veränderten Gesamtbedarf angepasst. Solch ein ten werden auf die Stromverbraucher überwälzt. Anders System wird gegenwärtig in Frankreich diskutiert.16 Für als bei einer Strategischen Reserve können die Anlagen die Ausgestaltung der Leistungsverpflichtungen sind normal am Strommarkt teilnehmen. unterschiedliche Varianten und Mischformen möglich. So können die Versorger verpflichtet werden, sicher ver- Würden Erzeuger Strom ihrer Kraftwerke auf Termin fügbare Kapazität entsprechend ihrer Höchstlast und verkaufen und zugleich Versorgungssicherheitsverträ- einer Sicherheitsmarge nachzuweisen. Zugleich kön- ge unterzeichnen, müssten sie ihren erzeugten Strom nen Kapazitätszertifikate frei gehandelt werden, wo- abliefern und bei hohen Strompreisen zugleich für bei typischerweise Versorger als Nachfrager und Kraft- die Differenz zwischen dem Spotpreis und dem Aus- werksbetreiber als Anbieter auftreten können. Für den lösungspreis der Optionen bezahlen. Das bedingt ein Fall, dass Verpf lichtungen zur Verfügbarkeit von Ka- deutliches Risiko, und es ist zu befürchten, dass die Ab- pazitäten nicht eingehalten werden, sind Strafen vor- sicherung von Erzeugung und Nachfrage mit traditio- zusehen. Die Finanzierung erfolgt hier über die Pro- nellen Terminverträgen eingeschränkt wird. duktpreise der Versorger. Fokussierter Kapazitätsmarkt Dezentraler Leistungsmarkt Das Konzept Fokussierter Kapazitätsmärkte15 ähnelt Im Unterschied zu dezentralen Leistungsverpflichtun- zum Teil dem der Versicherungsverträge. Der Bedarf gen wird von den Verbänden VKU und BDEW ein Kapa- an Kapazitäten wird zentral geplant und ausgeschrie- zitätsmechanismus vorschlagen, bei dem nicht nur die ben. Neben der Versorgungsicherheit werden allerdings Beschaffung von Kapazitäten dezentral erfolgt, sondern zugleich auch weitere Ziele der Energiewende verfolgt. auch der Kapazitätsbedarf dezentral durch die Nachfra- So sollen aus klimapolitischen Gründen ein Auf bau geseite bestimmt wird.17 Auf eine staatliche Mengenpla- CO2-intensiver Stromerzeugung und aus verteilungspo- nung soll damit vollständig verzichtet werden. Die Ver- litischen Gründen Mitnahmeeffekte vermieden werden. sorger werden verpflichtet, eine von ihnen bestimmte Angestrebt werden flexible und emissionsarme Kraft- Leistung jederzeit gesichert zur Verfügung zu stellen. werke, die die zunehmende variable Stromerzeugung Hierzu wird ein verbindliches System von Versorgungs- aus Wind- und Solarenergie ergänzen. Der Kapazitäts- sicherheitsnachweisen (VSN) eingeführt. Die Versor- markt richtet sich selektiv zum einen auf stilllegungs- ger entscheiden selbst über den Bedarf an gesicherter gefährdete Bestandsanlagen und zum anderen auf Neu- Leistung und fragen entsprechend viele VSN am Markt anlagen, für die bestimmte Präqualifikationsanforde- nach. Dazu werden marktfähige Produkte standardi- rungen, unter anderem Flexibilität, gestellt werden. Für siert, die an einer Börse für Kapazitätszertifikate gehan- die Anlagen wird die Teilnahme am Strommarkt nicht 16 Frontier economics, Formaet Services (2013): Dezentrale Leistungsverpflich- tungssysteme – Eine geeignete Alternative zu zentralen Kapazitätsmechanis- 14 EWI (2012): Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign. men? Studie im Auftrag des BMWi, Mai 2013. Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln (EWI), Endbericht im 17 VKU, Enervis, BET (2013): Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Auftrag des BMWi, März 2012. Deutschland. Langfassung, 1. März 2013; BDEW (2013): Ausgestaltung eines 15 Öko-Institut, LBD, Raue (2012): Ein neues Marktdesign für den Übergang dezentralen Leistungsmarkts. Berlin, 18. September 2013, Positionspapier des zu einem neuen Energiesystem. Studie für die Umweltstiftung WWF Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. Berlin, Deutschland, Berlin, 8. Oktober 2012. 18. September 2013. 10 DIW Wochenbericht Nr. 48.2013
Strategische Reserve delt werden. Die Laufzeit der VSN soll anfänglich ein nen große Unterschiede zwischen den einzelnen Vor- Quartal betragen. Kraftwerksbetreiber können VSN an- schlägen durch die jeweilige Ausgestaltung entstehen. bieten. Sie verpflichten sich damit, vertraglich sichere Leistung in Knappheitssituationen bereitzustellen. Der Beide Ansätze können Versorgungssicherheit staatliche Regelungsbedarf umfasst in diesem System gewährleisten insbesondere die Festlegung von Strafen für Versorger und Erzeuger. Der Versorger muss eine Strafe zahlen, Grundsätzlich könnte sowohl ein adäquat ausgestal- wenn im Knappheitsfall mehr Strom als durch VSN ab- teter Kapazitätsmarkt als auch eine richtig dimensio- gesichert entnommen wird. Der Erzeuger muss eine nierte Strategische Reserve Versorgungssicherheit im Strafe zahlen, wenn er im Knappheitsfall weniger Strom Erzeugungsbereich gewährleisten. Allerdings kommt als durch VSN zugesagt anbietet. Die Knappheitssitua es in beiden Fällen auf die Details der Ausgestaltung tion wird durch eine kritische Höhe des Strompreises und Umsetzung an. Zunächst einmal muss eine re- an der Börse (day ahead, EPEX Clearing Preis) definiert gulatorische Entscheidung zur Kapazitätsvorhaltung (Auslösungspreis). Die zentralen Steuerungsgrößen be- getroffen werden. Bei Kapazitätsmärkten kann die stehen somit nicht aus vorgegebenen Kapazitätsmen- Kapazitätsplanung fehlerhaft sein; dabei könnte das gen, sondern aus festgelegten Strafen für die Nichtein- Niveau sowohl zu niedrig liegen (Versorgungssicher- haltung der VSN-Verpflichtungen. heit nicht gewährleistet) oder zu hoch (Überkapazitä- ten); in der Praxis dürfte letzteres wahrscheinlicher Bei diesem Konzept besteht die Gefahr, dass Synergien sein. Es entstehen auch Anreize für starke Lobby-Ein- eines integrierten Strommarktes verloren gehen: Die f lüsse. Bei der Strategischen Reserve besteht grund- Lastspitzen einzelner Marktteilnehmer treten nicht zum sätzlich ebenfalls das Risiko einer in die eine oder an- gleichen Zeitpunkt auf, so dass die Gesamtnachfra- dere Richtung fehlerhaft bestimmten Reservekapazi- ge eine geringere Spitzenlast aufweist als die Summe tät. Allerdings dürfte eine Überschätzung des Bedarfs der Spitzenlast der einzelnen Nachfragegruppen. So- im Vergleich zum Kapazitätsmarkt zu geringeren Kos- mit würde über VSN mehr Kapazität bereitgestellt, als ten führen, da sie nur einen bestimmten Teil des Kraft- eigentlich benötigt. werksparks betrifft. Zur Überwachung des Systems sollen ein zentrales Re- Darüber hinaus sollte eine ausreichende Dauer der Ver- gister sowie Verfahren zur Prüfung der Eignung und träge im Kapazitätsmechanismus gewährleistet wer- Pflichteinhaltung der Anbieter und Nachfrager von VSN den. Eine zu kurzfristige Orientierung reduziert den eingeführt werden. Auf eine Differenzierung nach Tech- Wert der Kapazitätszahlungen für Investoren, da ver- nologien wird verzichtet. Damit werden Windfall-Pro- traglich nicht gesicherte Einkünfte in zukünftigen Jah- fits insbesondere für vorhandene Grundlastkraftwer- ren stark diskontiert werden und unklar ist, welche re- ke, bewusst in Kauf genommen. Die Finanzierung des gulatorischen Entwicklungen zu erwarten sind. Bei Systems erfolgt durch die Einpreisung in Endkunden- dezentralen Lösungsansätzen sind allerdings länger- produkte. fristige Vertragsbindungen – insbesondere nach den Insolvenzen einiger Versorger – mit großen Risiken Solange gesicherte Erzeugungsleistung noch nicht verbunden. Somit stellt sich die Frage, welche Vortei- knapp ist, würde sich kein oder nur ein sehr geringer le solche dezentralen Ansätze für Investitionsentschei- Preis für Versorgungssicherheitsnachweise ergeben; für dungen bieten können. die Aktivierung dieses Konzepts ist noch kein konkre- ter Zeitpunkt vorgeschlagen worden. Bei der Strategischen Reserve ist die Vertragsdauer kein so entscheidender Faktor. Es muss jedoch gewährleis- tet sein, dass Kraftwerke, die in die Strategische Reser- Kapazitätsmarkt und Strategische Reserve ve aufgenommen werden, nicht mehr in den norma- entfalten unterschiedliche Wirkungen len Energiemarkt zurückkehren. Sonst würde für In- vestoren im normalen Energiemarkt das Risiko eines Die derzeit diskutierten Kapazitätsmechanismen las- zusätzlichen Angebotes und damit eines geringeren sen sich in zwei grundsätzliche Konzepte unterschie- Preises in zukünftigen Jahren bestehen. Aus heutiger den. Die Strategische Reserve beschränkt sich auf einen Sicht ist unklar, inwiefern eine solche no-way-back- speziellen Pool von Kraftwerken, der getrennt finan- Regelung für alle Marktteilnehmer glaubwürdig ist, ziert und eingesetzt wird, während die anderen Kapa- insbesondere im Fall von Neuanlagen. Bei der Ausge- zitätsmechanismen allen Kraftwerken mit gesicherter staltung einer Strategischen Reserve muss zudem be- Leistung einen zusätzlichen Einnahmestrom ermögli- stimmt werden, ab welcher Höhe des Spotmarktprei- chen (im Fall des Fokussierten Kapazitätsmarktes für ses die Strategische Reserve im Markt zur Verfügung einen Großteil der Gesamtkapazitäten). Allerdings kön- gestellt wird (Kasten). DIW Wochenbericht Nr. 48.2013 11
Strategische Reserve Kasten Festlegung des Auslösungspreises der Strategischen Reserve In den konkreten Vorschlägen für Deutschland wird meist und zusätzlich Deckungsbeiträge für Fixkosten von Maßnah- davon ausgegangen, dass die Strategische Reserve erst mit men zur Nachfrageflexibilität ermöglichen. Der Auslösungs- Erreichen der Preisobergrenze des Spotmarktes ausgelöst wird. preis sollte somit deutlich über 400 Euro je MWh liegen. Diese Obergrenze liegt an der EEX bei 3 000 Euro je MWh. Wenn nach weiterem Zuwachs der erneuerbaren Energien Zweitens sollten Deckungsbeiträge für Spitzenlast-Kraft- die Kapazitätsherausforderung nicht mehr nur aus einzelnen werke auf dem Energiemarkt hoch genug sein, um (Re-) Spitzenlaststunden, sondern möglicherweise auch aus mehr- Investitionen zu ermöglichen. Diese entstehen in Stunden, in tägigen Knappheiten besteht (kalte, windstille Winterwoche), denen der Strompreis entweder durch Nachfrageflexiblität dann könnte die Strategische Reserve häufiger und länger zum oder durch die Strategische Reserve gesetzt wird. Da in vielen Einsatz kommen. Ein sehr hoher Auslösungspreis der Strategi- US-Strommärkten die eigentlichen Preisobergrenzen zur Zeit schen Reserve wäre dann mit höheren Kosten für Stromkunden noch unterhalb von 800 Euro je MWh liegen (zum Beispiel verbunden. Dies könnte die politische Akzeptanz schwächen. 750 US-Dollar je MWh im Kalifornischen Markt), kann davon Deshalb sollte der Auslösungspreis der Strategischen Reserve ausgegangen werden, dass – wenn auch von leicht anderen unterhalb der Preisobergrenze von 3 000 Euro je MWh liegen. Kostenstrukturen auszugehen ist – ein Auslösungspreis für die Strategische Reserve zwischen 800 und 1 500 Euro je MWh Für die konkrete Festlegung des Auslösungspreises der Strategi- Wirtschaftlichkeit für jegliche Betreiber gewährleistet. Eine schen Reserve sind mehrere Faktoren relevant, deren genauere andere Studie hat Auslösungspreise von 1 000 und 1 780 Euro Abschätzungen eine wichtige Rolle in der zukünftigen Debatte je MWh angenommen und zeigt zum Beispiel, dass für den zukommen wird. Daher wird derzeit von einer möglichen letzteren Auslösungspreis im Jahr 2020 die Strategische Re- Spanne von etwa 500 bis 1 500 Euro je MWh ausgegangen. serve mindestens 26 Stunden im Jahr eingesetzt werden muss, Die untere Grenze dieser Spanne ergibt sich aus zwei Über- damit sich Spitzenlastkraftwerke rentieren. 2 Für unsere Be- legungen. Erstens, sollte der Auslösungspreis der Strategischen rechnungen sind wir von einem Auslösungspreis von 800 Euro Reserve nicht die variablen Kosten der Nachfrageflexibilität je MWh ausgegangen. 3 unterschreiten (in der Regel geschätzt auf 400 Euro je MWh)1 1 Vgl. Verordnung zu abschaltbaren Lasten (AbZaV) vom 28. Dezember 2 Vgl. EWI (2012), a. a. O.. 2012. 3 Vgl. Beitrag von Kemfert, C., Traber, T. in diesem Wochenbericht. Strategische Reserve verringert Bei der Umsetzung von umfassenden Kapazitätsmecha- Investitionsrisiken nismen hat sich oftmals eine große Komplexität gezeigt. Die US-Erfahrungen deuten auf häufige zu erwartende Während Kapazitätsmärkte einen Teil der Investitions- Veränderungen bei der Ausgestaltung mit entsprechend risiken über die kurzfristig stabilen Kapazitätszahlun- negativen Auswirkungen auf Investitionssicherheit hin. gen aus dem Markt nehmen, bleiben Risiken in Bezug auf Einnahmen durch den eigentlichen Stromhandel. Dazu im Vergleich bietet die Strategische Reserve Vor- Gerade die Kompatibilität von Kapazitätsmärkten mit teile, da Kapazitätszahlungen auf Kraftwerke beschränkt bilateralen und an der Strombörse handelbaren Strom- sind, die nur in Ausnahmesituationen zum Einsatz kom- lieferverträgen ist kritisch zu sehen, da zukünftige Ka- men und am eigentlichen Strommarkt nicht teilneh- pazitätszahlungen über eine Ausschreibungsperiode men. Somit nimmt die Strategische Reserve kaum Ein- hinaus für Investoren nur schwer abzuschätzen sind. fluss auf existierende Vertragsstrukturen und Investi- Damit ist auch das korrekte Risiko-Management für tionsabsicherungen für die Mehrheit der Kraftwerke. bilaterale Verträge unbestimmt, die zusätzlich zum Zusätzlich bietet die strategische Reserve die Option, Kapazitätsvertrag vorteilhaft gezeichnet werden könn- Ausfall-Risiken aus dem Spotmarkt und aus Lieferver- ten. So besteht die Gefahr, dass Kapazitätsmärkte die trägen zu nehmen, wenn mit der Strategischen Reser- Volumen für mittel- und längerfristige Lieferverträ- ve die Preisobergrenze im Markt faktisch gesetzt wird. ge reduzieren und somit individuelle Strategien zur Risikoabsicherungen von Investitionen erschweren. Wichtige Preissignale solcher Lieferverträge werden so unterdrückt. 12 DIW Wochenbericht Nr. 48.2013
Strategische Reserve Verteilungswirkungen der Strategischen Reserve Abbildung 2 gering Stündliche Änderungen der Residuallast Von der Einführung der vorgeschlagenen Mechanismen In Gigawatt sind stark unterschiedliche und zum Teil erhebliche Ver- 25 teilungswirkungen auf Verbraucher und Kraftwerksbe- +21,9 20 treiber zu erwarten. Modellrechnungen zeigen,18 dass 2032 15 die Einführung eines umfassenden Kapazitätsmarktes +11,4 die deutschen Stromverbraucher im Jahr 2020 in Höhe 10 2022 von knapp vier Milliarden Euro belastet, während die Be- 5 treiber konventioneller Stromerzeugungsanlagen durch 0 –7,2 zusätzliche Gewinne in Höhe von etwa einer Milliarde 2010 -5 Euro begünstigt werden. -10 Diese Wirkungen beruhen für Verbraucher und Erzeuger -15 jeweils auf zwei Effekten. Einerseits führt die durch einen -20 umfassenden Kapazitätsmarkt ausgelöste zusätzliche Be- -25 –26,5 reitstellung von Kapazitäten zu einem Preisrückgang an -30 der Strombörse, für den hier ein Durchschnittswert im 0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000 Jahr 2020 von 0,32 Cent pro kWh berechnet wurde und Stunden der die Erzeuger belastet und die Verbraucher tendenziell entlastet.19 Andererseits erhalten die Erzeuger zusätz 1 Als Residuallast wird der Stromverbrauch bezeichnet, der nach Abzug der Einspeisung erneuerbarer Energien noch zu decken ist. Bei verstärkter Nutzung fluktuierender erneuerbarer Energien steigen auch liche Einnahmen durch die im Kapazitätsmarkt ermittel- die Schwankungen der Residuallast. Der größte Anstieg der Residuallast von einer Stunde auf die nächste ten Kapazitätszahlungen, die durch die Erhebung einer beträgt im Jahr 2032 21,9 Gigawatt, der größte Rückgang zwischen zwei Stunden 26,5 Gigawatt. Für das Jahr 2010 sind historische Daten dargestellt, für 2022 und 2032 die Ergebnisse von Simulationen, die auf verbrauchsbezogenen Abgabe in Höhe von rund einem Schill, W.-P. (2013), a. a. O. beruhen. Cent pro kWh von den Verbrauchern zu finanzieren ist. Quelle: Berechnungen des DIW Berlin. © DIW Berlin 2013 Für eine kleine Strategische Reserve mit einem Auslö- sungspreis von 800 Euro je MWh ergibt sich in der Mo- Die stündlichen Änderugen der Residuallast nehmen künftig stark zu. dellrechnung ein Bedarf von 3,6 Gigawatt für das Jahr 2020. Werden diese im Rahmen der Reserve vorgehal- tenen Kapazitäten lediglich ab einem Strompreis von Bei steigenden Anteilen der Wind- und Solarenergie 800 Euro pro MWh eingesetzt, ergibt sich eine Reduk- vergrößern sich die stündlichen Änderungen der so- tion der Erlöse von Anlagen außerhalb der Reserve um genannten Residuallast, die durch konventionelle Anla- rund 14 Millionen Euro im Jahr 2020. Für die Stromver- gen bedient werden muss. Abbildung 2 zeigt die stünd- braucher entstehen dabei im Zusammenspiel von Groß- lichen Änderungen der Residuallast (Gradienten), die handelspreisbegrenzung und einer benötigten Abgabe in den Szenarien B 2022 und B 2032 des Netzentwick- zur Finanzierung von 0,013 Cent pro kWh Belastungen lungsplans auftreten würden.20 Demnach müssten im von knapp 100 Millionen Euro jährlich. Extremfall im Jahr 2032 erzeugungs- oder nachfrage- seitige Kapazitäten bereitstehen, um einen Anstieg der Strategische Reserve setzt Anreize zu deckenden residualen Last von einer Stunde auf die nächste von 22 Gigawatt auszugleichen. Genauso sinkt für Flexibilität der minimale Gradient deutlich von –7 auf fast –27 Gi- Im Kontext der Energiewende steigen die Anforderun- gawatt zwischen 2010 und 2032. gen an die Flexibilität des Stromsystems. Grund hier- für sind die Einspeisecharakteristika von Windkraft und Dieser durch den Ausbau erneuerbarer Energien erhöhte Photovoltaik, die in Zukunft große Anteile der Stromer- Flexibilitätsbedarf kann perspektivisch auf vielerlei Wei- zeugung ausmachen werden. Deshalb ist danach zu fra- se gedeckt werden.21 Dazu gehören unterschiedliche Ar- gen, wie sich die verschiedenen Kapazitätsmechanis- ten von Stromspeichern, die Flexibilisierung der Nach- men auf die Wirtschaftlichkeit unterschiedlicher Fle- frageseite sowie die bedarfsgerechte beziehungsweise xibilitätsoptionen auswirken. strommarktgeführte Stromerzeugung in thermischen Kraftwerken. Auch die temporäre Abregelung oder ge- 18 Vgl. Beitrag von Kemfert, C., Traber, T. in diesem Wochenbericht. 20 Die Berechnungen basieren auf Schill, W.-P. (2013), a. a. O. 19 Dies setzt allerdings voraus, dass die Strompreisrückgänge an die 21 Plattform Erneuerbare Energien (2013): Bericht an die Bundeskanzlerin Verbraucher weitergereicht werden. und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder. DIW Wochenbericht Nr. 48.2013 13
Strategische Reserve drosselte Fahrweise variabler erneuerbarer Energien Letztendlich besteht im Rahmen eines Kapazitätsmarkts kann einen Flexibilitätsbeitrag leisten. Darüber hin die Gefahr, dass Investitionen und Betrieb von Flexibi- aus werden neue, steuerbare Verbraucher im Wärme- litätsoptionen im Hinblick auf eine bestimmte Regulie- oder Verkehrsbereich sowie die Erzeugung chemischer rung optimiert werden, nicht auf den größten System- Energieträger unter den Stichworten Power-to-Heat, nutzen. Ein systemoptimierter Einsatz könnte dagegen Power-to-Mobility und Power-to-Gas diskutiert. Nicht besser durch möglichst unverzerrte Spotmarktpreise an- zuletzt kann auch der Ausbau und die Optimierung von gereizt werden, die sich bei einer Strategischen Reser- Stromnetzen als Flexibilitätsoption betrachtet werden. ve einstellen sollten. Aus heutiger Sicht ist unklar, wie hoch der genaue Flexi- Strategische Reserve tendenziell kompatibler bilitätsbedarf des zukünftigen Stromsystems sein wird, mit dem EU-Binnenmarkt und welcher Mix unterschiedlicher Flexibilitätsoptionen optimal wäre. Vor diesem Hintergrund erscheint es vor- In ihren Leitlinien vom November dieses Jahres hat die teilhaft, die Akteure möglichst unverzerrten Marktprei- Europäische Kommission mehrere Punkte möglicher sen auszusetzen, die den Wert von Flexibilität in allen Verzerrungen des gemeinsamen europäischen Energie- relevanten Marktsegmenten angemessen widerspiegeln. marktes durch Kapazitätsmechanismen identifiziert.23 Dabei ist zu bedenken, dass beispielsweise Stromspei- Es zeigt sich, dass das Risiko von Marktverzerrungen cher und Maßnahmen zur Lastflexibilisierung grund- im europaweiten Stromhandel bei einer Strategischen sätzlich von großen Preisspreizungen zwischen Perio- Reserve als geringer anzusehen ist. Die Verlagerung den der Stromaufnahme und -abgabe profitieren. von Einnahmeströmen vom Energie- in den Kapazitäts- markt bei umfassenden Kapazitätsmechanismen ver- Vor diesem Hintergrund ist die Wirkung unterschied- zerrt die Funktion des Energiepreises bei der interna- licher Kapazitätsmechanismen auf die Spotpreise von tionalen Koordination von Betriebs- und Investitions- großer Bedeutung für die Wirtschaftlichkeit von Flexi- entscheidungen. Zusätzlich ist ungeklärt, in welchem bilitätsoptionen. Die Schaffung eines Kapazitätsmarkts Umfang und zu welchen Zeiten Kosten für einen um- führt im Allgemeinen zu einer Dämpfung von Preis- fassenden Kapazitätsmechanismus auch auf exportier- spitzen, da Knappheitspreise durch separate Kapazitäts- te Energiemengen umgelegt werden und welche Verzer- zahlungen reduziert werden. Die Strategische Reserve rungen dadurch für den Handel entstehen. wäre wegen ihrer geringeren Verzerrungen des Preis- signals insofern zu bevorzugen.22 Die Strategische Reserve ist hier allein wegen ihrer ge- ringeren Kosten und somit auch geringeren Marktver- Grundsätzlich wäre es möglich, dass Flexibilitätsoptio zerrungen kompatibler mit einem gemeinsamen eu- nen im Rahmen eines Kapazitätsmarktes an der Leis- ropäischen Strombinnenmarkt. Nicht zuletzt steigt tungsvergütung partizipieren und somit die Dämpfung die Komplexität des EU-Stromhandels deutlich, wenn der Spitzenpreise durch einen anderen Erlösstrom kom- EU-Mitgliedsländer jeweils unterschiedliche Mecha- pensieren. Dies setzt jedoch voraus, dass die Bedingun- nismen einführen und somit auch Investitionsrisiken gen für die Teilnahme am Kapazitätsmarkt (Präquali- und Transaktionskosten für Investoren erhöhen. Eine fikation) unterschiedliche Flexibilitätsoptionen nicht Lösung wäre ein EU-weit harmonisierter Kapazitäts- diskriminieren. Dies könnte gegebenenfalls durch eine markt – jedoch wird ein solch koordinierter Ansatz von hinreichende Differenzierung der Präqualifikationsre- allen Beteiligten bisher als unwahrscheinlich angese- geln erreicht werden. In der Praxis dürfte die Festlegung hen. Bei Strategischen Reserven ist die Koordination entsprechender technischer Spezifikationen eine gro- hingegen einfacher. ße Herausforderung für die Ausgestaltung der Regulie- rung sein. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund Fazit möglicher Innovationen bei unterschiedlichen Flexibi- litätsoptionen, die Anpassungen der Präqualifikation Eine wichtige Rolle in der derzeitigen energiepolitischen erfordern könnten. Da ein Kapazitätsmarkt möglichst Debatte spielt die Frage, ob der deutsche Strommarkt langfristige Investitionssignale geben sollte und eine genügend Anreize für Investitionen in Kraftwerke und lange Vorlaufdauer benötigt, sind derartige Präqualifi- deren Verbleiben am Netz bietet und somit ausreichende kationsanpassungen kritisch zu bewerten. Versorgungssicherheit gewährleisten kann. Vorschläge, die Energieversorgung weiter abzusichern, beinhalten zum Teil umfassende Zahlungen an die Kraftwerksbe- 22 Vergleiche BMU, BDEW, BEE u.a. (2013): Märkte stärken, Versorgung treiber – parallel zu Energieerlösen und basierend auf sichern. Konzept für die Umsetzung einer Strategischen Reserve in Deutschland. Ergebnisbericht des Fachdialogs „Strategische Reserve“; sowie Nicolosi, M. (2012): Notwendigkeit und Ausgestaltungsmöglichkeiten eines Kapazitätsmechanismus 23 EU-Kommunikation vom 5. November 2013: „Vollendung des Elektrizitäts- für Deutschland. Zwischenbericht, Berlin, erstellt für das Umweltbundesamt. binnenmarktes und optimale Nutzung staatlicher Intervention.“ 14 DIW Wochenbericht Nr. 48.2013
Strategische Reserve der bereitgehaltenen Erzeugungskapazität (Kapazitäts- kungen, ihre faktische Irreversibilität sowie tendenziell märkte). Andere Vorschläge empfehlen die Vorhaltung negative Auswirkungen auf Investitionen in erneuerba- einzelner Kraftwerke, die nur bei Knappheit und hohen re Energien und Flexibilitätsoptionen. Preisen zum Einsatz kommen (Strategische Reserve). In der vorliegenden Studie wird untersucht, welche Fakto- Eine Strategische Reserve dagegen ist einfacher auszuge- ren zu fehlenden Investitionsanreizen führen könnten stalten, bringt geringere Verteilungswirkungen mit sich und wie ihnen entgegengewirkt werden kann. Es zeigt und stärkt den Spotmarkt, was tendenziell die Anreize sich, dass eine Strategische Reserve zur Absicherung für Investitionen in zukünftig verstärkt erforderliche Fle- der Energieversorgung ausreicht. xibilitätsoptionen erhöht. Eine adäquat ausgestaltete Stra- tegische Reserve könnte sich eventuell – wenn sich Spei- Im Hinblick auf künftige Investitionen in Kraftwerke cher und Nachfrageflexibilität nicht ausreichend entwi- ist insbesondere noch unklar, ob die Flexibilisierung ckeln – auch längerfristig als eine effektive Möglichkeit des Stromsystems (Nachfrage, Speicher etc.) zu einer zur Absicherung des Strommarktes erweisen. Die Stra- ausreichenden Nachfrageelastizität führt, um mit den tegische Reserve ist eine robuste Lösung, die in Abhän- verschiedenen Unsicherheitsfaktoren wie Kraftwerks- gigkeit von künftigen Konstellationen am Strommarkt bau und Stilllegung umgehen zu können. Als Vorsor- revidiert, erweitert oder ergänzt werden kann. ge sollte eine Strategische Reserve eingeführt werden, die nach dem Auslaufen der Netzreserve im Jahr 2017 Zusätzlich stellt sich die Frage, ob private Unternehmen wirksam wird. Sie müsste allerdings schon mit einigen Kraftwerke vorübergehend stilllegen und bis 2022 vor- Jahren Vorlauf ausgeschrieben werden. halten werden, um dann die vorhersagbare Kapazitäts- reduktion durch den Atomausstieg abzufangen. Deswe- Dabei unterscheidet sich die Strategische Reserve von gen wäre zu prüfen, ob solche Kraftwerke bis 2022 in der Netzreserve auch im Kriterium, nach dem die Kraft- einer Übergangsreserve als vorübergehend stillgelegt werke in der Reserve abgerufen werden. Die Strategi- vorgehalten werden sollten. Damit könnten Unsicher- sche Reserve kann erst ab einem klar definierten (ho- heiten über die im Jahr 2023 verfügbaren Kapazitäten hen) Preis eingesetzt werden und soll damit Verzerrun- zu geringen Kosten gemindert werden. gen im Energiemarkt vermeiden. Im Gegensatz dazu wird die Netzreserve unabhängig vom Strommarktpreis Regionale Erzeugungsknappheiten ergeben sich ak- abgerufen, sobald Netzengpässe auftreten. tuell durch Engpässe in den Übertragungsnetzen, die sich nicht im Strompreis widerspiegeln. Hierfür gibt es Von der Schaffung eines Kapazitätsmarkts für Kraftwer- bis 2017 die Netzreserve, mit der Kraftwerke für Süd- ke, die auch am Strommarkt teilnehmen, sollte abgese- deutschland vorgehalten werden. Allerdings ergeben sich hen werden. Gründe hierfür sind die aus heutiger Sicht dabei Verzerrungen der Anreize für Betrieb und Investi- unklaren und komplexen Ausgestaltungsdetails von Ka- tion. Die Netzprobleme müssen letztlich durch den Netz- pazitätsmärkten, ihre potenziell hohen Verteilungswir- ausbau und mit regionaler Bepreisung behoben werden. Karsten Neuhoff ist Leiter der Abteilung Klimapolitik am DIW Berlin | Wolf-Peter Schill ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Energie, kneuhoff@diw.de Verkehr, Umwelt am DIW Berlin | wschill@diw.de Jochen Diekmann ist stellvertretender Leiter der Abteilung Energie, Verkehr, Sebastian Schwenen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Umwelt am DIW Berlin | jdiekmann@diw.de Klimapolitik am DIW Berlin | sschwenen@diw.de Strategic Reserve to Secure Electricit y Market Abstract: There is an ongoing discussion about whether the suggestions are to keep individual power plants available German electricity market offers sufficient incentives for that are used only during times of scarcity and high prices investment in power plants and for keeping them connected (“strategic reserve”). The present article analyzes the various to the grid, thus ensuring sufficient security of supply. reasons that could lead to a lack of incentives for investment Recommendations for further securing power supply include and the extent to which they legitimize employing capacity payments, some of them comprehensive, to power plant mechanisms or require other approaches. It is concluded operators — in addition to energy revenues and based on that a strategic reserve would suffice for securing generation their generating capacity (“capacity mechanisms”). Other adequacy, and finally, design options are discussed. JEL: D47, L51, Q48 Keywords: capacity mechanism, missing money, strategic reserve, Germany, renewable energy DIW Wochenbericht Nr. 48.2013 15
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