Strompreise, Einkommensentwicklung und Akzeptanz der Energiepolitik

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Strompreise, Einkommensentwicklung und Akzeptanz der Energiepolitik
ZUKUNFTSFRAGEN
                                                                                                                   ZUKUNFTSFRAGEN

Strompreise, Einkommensentwicklung und Akzeptanz
der Energiepolitik
Knut Kübler

Manche glauben, man könne die Herausforderungen der Energiewende an der Stromrechnung ablesen. Mehr versteht
man, wenn man gleichzeitig auf den Lohnzettel schaut. Nachdem sich Beschäftigte über Jahrzehnte daran gewöhnt ha-
ben, immer kürzer für eine Kilowattstunde zu arbeiten, müssen sie seit einiger Zeit wieder länger tätig sein; mittlerweile
sogar fast so lange wie zuletzt Anfang der 1970er Jahre. Da der Preis für Strom in Deutschland seit Jahren deutlich
schneller als das Einkommen steigt, kann man gut verstehen, wenn die Skepsis vieler Verbraucher gegenüber der Ener-
giepolitik wächst.

In Deutschland beziehen rd. 40 Mio. Pri-
vathaushalte Strom – und doch können
nur wenige Verbraucher auf Anhieb sagen,
was eine Kilowattstunde Strom kostet. Die
meisten haben auch nur eine sehr unge-
fähre Ahnung, wie viel Strom sie verbrau-
chen. Andererseits gibt es Stimmen, die
den Strompreis in der aktuellen politischen
Debatte als den „Brotpreis des 21. Jahrhun-
derts“ bezeichnen. Sie haben Sorge, dass
ein zu starker Anstieg des Strompreises die
Akzeptanz der Bevölkerung für die Ener-
giewende gefährden könne. Diese Position
wird durch eine aktuelle Umfrage des BDI
bestätigt [1]. Sie belegt, dass die Mehrheit
der Bevölkerung immer weniger bereit ist,
für die Energiewende höhere Strompreise
in Kauf zu nehmen.

Der Strompreis in Cent:
langfristiger Anstieg                                      Strompreis- und Einkommensentwicklung sind so auszubalancieren, dass der Strom für die Ver-
                                                           braucher bezahlbar bleibt                                     designsoliman | Fotolia.com

Ein Zwei-Personen-Haushalt in Deutschland
verbraucht heute im Jahr Strom in Höhe           Strommarktes, was zu mehr Wettbewerb                  Steuern und Abgaben gelegt (Stromsteuer,
von rd. 3 500 kWh (inklusive Warmwasser-         führte und im ersten Schritt auch zu günsti-          EEG-Umlage, KWK-Aufschlag, Offshore-
bereitung, ohne Heizstromverbrauch). Ein         geren Strompreisen.                                   Haftungsumlage usw.). Man muss sich in
solcher Haushalt musste 1970 für Strom                                                                 diesem Zusammenhang immer die Grö-
rd. 7 ct/kWh bezahlen [2]. Blickt man auf        Nach 2000 folgte der Strompreis für Pri-              ßenordnung klar machen: Der Anteil von
die Entwicklung seit dieser Zeit, scheint        vathaushalte wieder dem alten Trend. Der              Steuern und Abgaben am Strompreis lag
es Gesetz zu sein, dass Privathaushalte in       Preis bewegte sich „nach oben“ – und zwar             1999 bei knapp 30 %; heute liegt er bei
Deutschland für Strom ständig mehr bezah-        schneller als je zuvor. Der Strompreis für            über 50 % [4].
len müssen (vgl. Abb. 1).                        Privathaushalte hat sich von 2000 bis 2014
                                                 nahezu verdoppelt (2000: 14,92 ct/kWh;                Verbraucher mögen keine exakte Vorstel-
Es gab nur eine kurze Periode von 1996           2014: 29,37 ct/kWh). Diese Entwicklung                lung vom Strompreis haben. Kommt aber
bis 2000, in welcher der durchschnittliche       hatte verschiedene Ursachen, allerdings be-           die Stromrechnung mit der Forderung ei-
Strompreis zurückgegangen ist. Ursache           steht unter Fachleuten eine große Einigkeit,          ner Nachzahlung ins Haus, besteht ein ge-
waren Sonderentwicklungen. Zunächst              dass die Neuausrichtung der Energiepolitik            wisser Anreiz, sich mit den Details zu be-
wurde Ende 1995 der Kohlepfennig abge-           unter der rot-grünen Bundesregierung 2000             schäftigen. Und man wird dann feststellen,
schafft, der damals als Preisaufschlag auf        eine wesentliche Rolle spielte [3].                   dass man in 2000 nur rd. 500 € für Strom
den Strompreis zur Finanzierung der heimi-                                                             gezahlt hat, heute aber für die gleiche Men-
schen Steinkohleförderung genutzt wurde.         Damals wurden die Grundlagen für die                  ge Strom mehr als 1 000 € bezahlen muss
Dann kam es 1998 zur Liberalisierung des         zusätzlichen Belastungen in Form von                  (Verbrauchsgrundlage: 3 500 kWh).

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 3                                                                                           27
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                                                                                                             1,45 Min. arbeiten, um eine Kilowattstunde
                                                                                                             kaufen zu können. Bis 2000 halbierte sich
                                                                                                             dieser Wert auf 0,73 Min. Interessant ist,
                                                                                                             dass man in der Graphik die konjunkturel-
                                                                                                             len Einbrüche gut erkennen kann, etwa die
                                                                                                             erste Ölpreiskrise 1973/74 oder die zweite
                                                                                                             Ölpreiskrise 1979/80. Diese „Störungen“
                                                                                                             waren aber immer nur von kurzer Dauer.
                                                                                                             Danach setzte sich wieder der langfristige
                                                                                                             Trend zur Verringerung der notwendigen
                                                                                                             Arbeitszeit pro Kilowattstunde durch.
                                                                                                             ■ Nach 2000 mussten Arbeitnehmer wie-
                                                                                                             der länger für eine Kilowattstunde arbeiten
                                                                                                             und zwar Jahr für Jahr. 2014 betrug die
                                                                                                             Arbeitszeit pro Kilowattstunde 1,09 Min.
                                                                                                             So lange mussten Arbeitnehmer zuletzt
                                                                                                             1977 für Strom arbeiten. Ursache für diese
                                                                                                             Trendumkehr waren nicht nur die bereits
Abb. 1     Durchschnittlicher Strompreis für Privathaushalte
                                                                                                             angesprochenen, rasch steigenden Strom-
                                                                                                             preise. Ein wichtige Rolle spielte auch das
                                                                                                             ausgeprägt schwache Einkommenswachs-
Der Strompreis in                                        1970 als Nettolohn für eine geleistete Arbeits-     tum. Ursache dafür wiederum waren struk-
Arbeitseinheiten: langer                                 stunde ein Betrag von 2,91 € angegeben. Im          turelle Entwicklungen, insbesondere der
Abstieg, steiler Anstieg                                 Jahr 2000 wurden pro Stunde schon 12,33 €           immer härter werdende globale Wettbe-
                                                         bezahlt und für das Jahr 2013 wird ein Wert         werb, aber auch Sonderfaktoren, wie etwa
Hat man die Daten zur Hand, macht es we-                 von 15,87 € genannt (Schätzung 2014:                der Zusammenbruch der sog. New Economy
nig Mühe, noch einen Schritt weiterzugehen               16,14 €). Man sieht, dass es in Deutschland         2003 bzw. die globale Wirtschafts- und Fi-
und die Strompreisentwicklung in Beziehung               vor allem in den Jahren von 1970 bis 2000           nanzkrise 2009.
zur Einkommensentwicklung zu setzen. Für                 zu gewaltigen Einkommensverbesserungen
den hier zugrunde gelegten repräsentativen               gekommen ist (Zuwachs: 4,9 % p. a.). Der An-        Der guten Vollständigkeit halber sei an die-
Haushalt kann man leicht ermitteln, wie                  stieg von 2000 bis 2014 fällt demgegenüber          ser Stelle darauf hingewiesen, dass nicht
lange ein Arbeitnehmer im Durchschnitt ar-               eher bescheiden aus (Zuwachs: 1,9 % p. a.).         nur die Bezieher von Arbeitseinkommen,
beiten muss, um eine Kilowattstunde Strom                Diese zeitliche Dynamik der Einkommenszu-           sondern auch die Bezieher von Kapitalein-
kaufen zu können. Zu der Einkommensent-                  wächse schlägt sich gut sichtbar in der Ent-        künften unter den wirtschaftlichen Umbrü-
wicklung veröffentlicht das Statistische Bun-             wicklung des „Strompreises in Arbeitseinhei-        chen leiden mussten (vgl. Abb. 3). Reichte in
desamt sog. Lange Reihen [5]. Dort wird für              ten“ nieder (vgl. Abb. 2):                          1970 noch ein Kapital von 86 € aus, um aus

  Abb. 2     Notwendige Arbeitszeit eines Arbeitnehmers zum Kauf einer Kilo-       Abb. 3   Kapitalbetrag, aus dessen jährlichen Verzinsung man 100 kWh kaufen
             wattstunde Strom                                                               kann

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Strompreise, Einkommensentwicklung und Akzeptanz der Energiepolitik
ZUKUNFTSFRAGEN
                                                                                                                ZUKUNFTSFRAGEN

der jährlichen Verzinsung 100 kWh kaufen         Jahres haben sich in den letzten Monaten          Erfahrung: „Ein Plan ist Murks, soviel steht
zu können, brauchte man 2005 schon ein           beträchtlich verbessert.                          fest, wenn er sich nicht ändern lässt“. Wirk-
Kapital von 611 € und 2014 – horribile dic-                                                        liche Akzeptanz für den Umbau der Ener-
tu – von 3 027 € [6]. In diesen Zahlen spie-     Ursache dafür ist vor allem der unvorherge-       gieversorgung Deutschlands wird wohl erst
gelt sich in besonders eindrucksvoller Wei-      sehene Verfall des Ölpreises (Januar 2014:        dann entstehen, wenn die Politik diese Rea-
se der gewaltige Verfall der Zinsen in den       105 $/b; Ende Januar 2015: 48 $/b). Manche        lität auch als Realität anerkennt.
letzten drei Jahren wider.                       werden es als „Ironie des Schicksals“ be-
                                                 zeichnen, dass ausgerechnet der ins Boden-        Anmerkungen
Politische Perspektive                           lose stürzende Ölpreis, der ja dem „Geist der
                                                 Energiewende“ vollkommen entgegensteht,           [1] BDI (Hrsg.): BDI-Energiewende-Navigator 2014, Ber-
Es ist kein großes Geheimnis, dass die Ener-     die Einkommenssituation der Verbraucher           lin, 25.11.2014.
giepolitik seit jeher darauf bedacht ist, ei-    verbessert und damit dem unverändert ho-          [2] Es gibt verschiedene Institutionen, die Daten zu den
nen unverhältnismäßig hohen Anstieg der          hen Strompreis viel von seinem Schrecken          durchschnittlichen Strompreisen für Privathaushalte
Strompreise für Privathaushalte zu begren-       nehmen kann.                                      veröffentlichen und deren Publikationen sich gering-
zen. Dahinter verbirgt sich die Erwartung,                                                         fügig unterscheiden. Um einheitliche Daten für einen
dass man damit die Akzeptanz der Bürger          Der Ölpreis als Partner                           längeren Zeitraum zu haben, wurde auf Angaben des
für eine bestimmte Politik sichern und           der Energiewende                                  Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zu-
Einfluss auf Wahlentscheidungen nehmen                                                             rückgegriffen (BMWi: Zahlen und Fakten. Energieda-
kann. Heute geht es vor allem darum, die         Auch wenn es nicht einfach zu verstehen ist:      ten, Berlin 2014).
Strompreis- und Einkommensentwicklung            Der sinkende Ölpreis dürfte die Akzeptanz         [3] BMWi: Nachhaltige Energiepolitik für eine zu-
so auszubalancieren, dass der „Strompreis        der Bevölkerung für eine weitere Umsetzung        kunftsfähige Energieversorgung. Berlin, Oktober 2001.
in Arbeitseinheiten“ ein gewisses Niveau         der Energiewende unterstützen. Das gilt zu-       [4] BDEW: BDEW-Strompreisanalyse Dezember 2014,
nicht übersteigt: Strom soll für die Verbrau-    mindest kurzfristig. Längerfristig kann sich      Berlin, 2.12.2014.
cher bezahlbar bleiben.                          ein anderes Bild ergeben. Wenn nämlich ei-        [5] Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Ge-
                                                 nes der Basiselemente des Energiekonzepts,        samtrechnungen. Fachserie 18, Reihe 1.5, Lange Rei-
Damit das gelingt, müssen Energie- und           ein hoher Ölpreis, in Zweifel steht, werden       hen ab 1970, Wiesbaden 2014, S. 36.
Wachstumspolitik in kluger Weise zusam-          manche fragen, ob denn die Gesamtkons-            [6] Zugrunde gelegt wurden Daten der Deutschen
menwirken. Auch für energiewirtschaftliche       truktion der heutigen Energiepolitik richtig      Bundesbank zur Umlaufrendite inländischer Inhaber-
Veränderungen gibt es ökonomische Gren-          ist. Gemeint ist die Vorstellung, man könne       schuldverschreibungen (Orientierung: 1970: 8,14 %;
zen. Für die Balance im Jahr 2015 leistet die    den Weg Deutschlands in die Energiezukunft        2005: 2,98 %; 2014: 0,97 %).
Energiepolitik mit der Kürzung der EEG-          über quantitative Ziele in allen Einzelheiten     [7] Kübler, K.: Energiekonzept, Mathematik und zwei-
Umlage einen Beitrag. Wichtiger für die Ver-     bis zum Jahr 2050 steuern [7].                    felhafte Erwartungen. In: „et“, 63 Jg. (2013), Heft 1/2,
braucher ist allerdings der zu erwartende                                                          S. 73–78.
Beitrag der Wachstumspolitik: Die trüben         Noch scheut die Politik davor zurück, hier
wirtschaftlichen Aussichten und Einkom-          neu nachzudenken. Andererseits erinnern           Dr. K. Kübler, Rheinbach
menserwartungen Mitte des vergangenen            sich mehr und mehr Menschen an die alte           kmkue@web.de

Essener Fernwärmetagung 2015: Gestaltung einer zukünftigen Fern- und Nahwärmeversorgung

Um eine effektive Energieumwandlung zu ermöglichen, sind Fern- und        Thematisiert werden u. a. Methoden zur Bewertung der Energie- und Res-
Nahwärmeversorgung eine gute Alternative für die Wärme- und Strom-       sourceneffizienz und als Best Practice-Beispiel die Absorptionskälte für mo-
versorgung in Städten und Gemeinden. Hierbei ist jedoch ebenso die       derne Kraft-Wärme-Kopplungskraftwerke (KWKK). Aber auch Fahrweisen
energetische Sanierung des Gebäudebestandes zu beachten und voran-       und Betriebserfahrung mit KWK-Anlagen vor und während der Energiewen-
zutreiben. Der danach vorhandene Wärmebedarf sollte durch erneuerba-     de werden in den Blickpunkt gesetzt sowie das dezentrale Energiemanage-
re Energien gedeckt werden.                                              ment als „unterschätzter Beitrag zur Energieeffizienz“ gewürdigt. Dies sind
                                                                         nur Auszüge aus einem breit gefächertem thematischen Spektrum, das
Als Branchentreffpunkt findet die Veranstaltung „Essener Fernwärmeta-     sich auf der Veranstaltung Branchenkennern darbietet.
gung“ am 22.-23.4.2015 zentral im Haus der Technik statt. Die Themen
Betriebserfahrungen und Entwicklungstendenzen stehen dabei im Mittel-    Weitere Informationen unter:
punkt der Fachdiskussion.                                                www.hdt-essen.de/W-H020-04-308-5

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 3                                                                                           29
Strompreise, Einkommensentwicklung und Akzeptanz der Energiepolitik
ZUKUNFTSFRAGEN
   INTERVIEW

„Ökonomisch ist es nicht sinnvoll, auf alle Optionen
gleichzeitig zu verzichten“
Der niedrige Ölpreis ist angesichts der politischen Konflikte in wichtigen Energieförderregionen überraschend. Was bedeutet
das für die Exporteure? Wie stellt sich die Sicherheit der Versorgung Europas mit Energierohstoffen dar? Könnte Russland,
anders als beim Öl, die Gasversorgung durchaus als politische Waffe einsetzen? Wie sinnvoll ist es, einen Binnenmarkt mit
einem Referenzpreis für Erdgas in Europa zu schaffen? Und schließlich: Was ist davon zu halten, wenn ein Land aus bisher
verlässlichen Optionen der Energieversorgung aussteigt? Darüber sprach „et“ mit Dr. Susanne Toren, Rohstoffexpertin der
Zürcher Kantonalbank.

„et“: Erdöl und Erdgas gibt es gegenwärtig schein-   unterstellt Saudi-Arabien das Interesse, mehr Öl-     westlichen Länder aufgrund einer drastischen
bar im Überfluss. Wie schätzen Sie die langfristi-   reserven bekannt zu geben, als es tatsächlich hat.    Erhöhung des Ölpreises in eine schlimme Rezes-
gen Knappheiten ein?                                 Zum einen, weil sich das sunnitische Königshaus       sion. Mittlerweile sind die OPEC-Länder unterei-
                                                     gegenüber der schiitischen Bevölkerungsmehr-          nander derart zerstritten, dass sie den fallenden
Toren: Darüber wird von der Internationalen          heit innenpolitisch bestätigen will, und vor allem,   Ölpreis einsetzen, um sich gegenseitig und andere
Energieagentur und anderen Organisationen viel       um außenpolitisch als wichtiger Erdöl-Garant für      Ölproduzenten zu ruinieren.
spekuliert. Die Abschätzungen sind sehr unter-       die USA und den Westen dazustehen.
schiedlich, denn bei langfristigen Vorhersagen                                                             Konkret geht das saudische Königshaus massiv
von weltweiten Knappheiten kann man weder            „et“: Sie würden also nicht von Knappheiten spre-     gegen den schiitischen Iran vor. Der Iran als Land
genau wissen, ob neue Quellen fossiler Energien      chen?                                                 mit den vermutlich zweitgrößten Erdöl-Reserven
hinzukommen, noch wie groß diese sein könnten.                                                             kann aufgrund der westlichen Sanktionen weni-
Denken Sie nur an das Aufkommen von Schie-           Toren: Nein, spätestens seit der Fracking-Tech-       ger Öl exportieren und ist auf einen Preis von
feröl oder Schiefergas in den letzten fünf Jahren.   nologie nicht mehr. Von Norwegen oder Groß-           etwa 140 US-$ pro Fass angewiesen. Ein tiefer
Da variieren die Prognosen enorm. Und vor der        britannien, die ihre Statistiken offenlegen, weiß      Preis trifft ihn ins Mark, zumal seine Devisenre-
brasilianischen Küste wurden jüngst am Meeres-       man zwar, dass der Peak Oil überschritten und         serven aufgebraucht sind. Um seine Beziehungen
grund riesige Erdölfelder entdeckt. Zudem war es     die Förderung im zweistelligen Bereich rückläufig     zu den USA warmzuhalten, muss Saudi-Arabien
schon bei den bekannten fossilen Energieträgern      ist, aber China dürfte noch viel mehr Schiefergas     zusätzlich gegen den IS kämpfen, der wiederum
immer schwierig, Knappheiten verlässlich vor-        und Schieferöl haben als der Gigant USA, wenn         Ölfelder zu seiner Finanzierung braucht. Es herr-
herzusagen.                                          auch in unwegsamen Gebieten. Solche Unsicher-         schen kriegerische Zustände und es ist zu be-
                                                     heiten bei Lagerstätten sind schlicht zu groß, um     fürchten, dass es jedes Jahr schlimmer wird, weil
„et“: Weshalb fällt das so schwer?                   verbindliche Prognosen zu stellen.                    keine Kompromisse möglich scheinen.

Toren: Weil Energiegiganten wie die OPEC-Län-        „et“: Hat Sie die Talfahrt des Ölpreises auch über-   „et“: Sind nicht die meisten kriegerischen Ausei-
der und Russland ihre Reserven nicht offenle-         rascht?                                               nandersetzungen in der Welt mit Rohstoff-Begehr-
gen oder Angaben machen, die einen politischen                                                             lichkeiten verbunden?
Hintergrund haben. Offizielle Beobachter werden        Toren: Durchaus, obwohl wir bereits bei frühe-
nicht zugelassen, um die Angaben zu überprüfen.      ren Konflikten im Nahen Osten miterlebt haben,        Toren: Häufig. Knappheit von endlichen Rohstof-
Es ist also sicherlich nicht 1:1 zu übernehmen,      wie Erdöl als Waffe eingesetzt worden ist. Als         fen werden wohl auch in Zukunft immer wieder
was beispielsweise der saudische Energieminister     während des Jom-Kippur-Krieges die vereinte           eine Rolle spielen. Selbst auf dem Meeresgrund in
über die Reserven seines Landes sagt, denn man       OPEC gegen den Westen kämpfte, schlitterten alle      5 000 m Tiefe sind die Felder größtenteils bereits

  „Europa hat sich dem Thema ‚Rohstoffsicherheit‘ noch nicht ernsthaft ange-
  nommen. Wenn man bestimmte Energiequellen wie die Kernkraft von vorn-
  herein ausschließt, wird es jedenfalls nicht leichter werden, die Rohstoffsi-
  cherheit zu gewährleisten. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für
  ganz Europa. Meines Erachtens wäre es sehr wichtig, viele Energieträger
  zuzulassen und darauf zu achten, dass man es mit verantwortungsvollen
  Vertragspartnern zu tun hat. Ökonomisch ist es sicherlich für die Konsu-
  menten wie für die Industrie nicht sehr sinnvoll, auf alle Optionen gleich-
  zeitig zu verzichten.“

  Dr. oec. Susanne Toren, Rohstoffexpertin der Zürcher Kantonalbank,
  Zürich

   30                                                                                           ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 3
Strompreise, Einkommensentwicklung und Akzeptanz der Energiepolitik
ZUKUNFTSFRAGEN
                                                                                                                                   INTERVIEW
                                                                                                                        ZUKUNFTSFRAGEN

vergeben. Vor allem China und die USA haben            gung das Überangebot durch Fracking nicht nach        gegenüber den amerikanischen Konkurrenten
dort im großen Stil Rohstoffrechte erworben und         Westeuropa verkauft werden. Mittlerweile macht        benachteiligt. Aufgrund der tiefen Energieprei-
dafür Gelder an die UNO überwiesen. Europa hin-        dieses Verbot keinen Sinn mehr und dürfte vom         se hat sich der Standortvorteil der USA massiv
gegen hat sich dem Thema „Rohstoffsicherheit“           Kongress wohl bald gekippt werden.                    erhöht. Man erkennt das an der Renaissance der
noch nicht ernsthaft angenommen.                                                                             amerikanischen Industrie. Viele US-Firmen, die
                                                       „et“: Bräuchte Europa nicht dennoch dringend          ihre Produktion nach Asien verlegt hatten, sind
„et“: Hätte nicht auch Russland die Option, ange-      eine Strategie, um den Rohstoffbedarf seiner Mit-      ins Heimatland zurückgekehrt.
sichts der Ukraine-Krise Rohstoffe als Waffe gegen       gliedsländern abzusichern?
Europa einzusetzen?                                                                                          „et“: In Deutschland schränken politische Vorga-
                                                       Toren: Doch, allerdings erfordert das ein politi-     ben die Optionen in der Energiepolitik nach und
Toren: Russische Erdöl-Sanktionen gegenüber            sches Umdenken, denn bis jetzt wurde dieser Pro-      nach durch Ausstiege ein. Hat man sich zu einseitig
Westeuropa würden uns weniger beeinträchtigen          blematik wenig Beachtung geschenkt. Wie China,        auf ein grünes Vorzeige-Deutschland konzentriert?
als Erdgas-Sanktionen, da wir viel mehr Öl aus den     die USA und andere Länder, muss sich auch Euro-
OPEC-Staaten beziehen. Wir sind ja vor allem auf       pa eine langfristige Rohstoffstrategie erarbeiten.     Toren: Wenn man bestimmte Energiequellen wie
russisches Gas angewiesen, insbesondere die süd-       Man muss wissen, wie man sich existenzielle           die Kernkraft von vornherein ausschließt, wird
osteuropäischen Länder und auch Deutschland.           Rohstoffe dauerhaft sichern kann. Dazu gehören         es jedenfalls nicht leichter werden, die Rohstoffsi-
Im Notfall könnte die EU einem Nachbar wie der         nicht nur Öl und Gas, sondern auch die begrenz-       cherheit zu gewährleisten. Das gilt für ganz Euro-
Ukraine also höchstens finanziell helfen. Allerdings   ten Metalle wie Kupfer- oder Nickelerze.              pa. Meines Erachtens wäre es sehr wichtig, viele
hat Russland gegenüber den westlichen Ländern                                                                Energieträger zuzulassen und darauf zu achten,
Gas nie ernsthaft als Waffe eingesetzt. Russland ist    „et“: Es wird unter anderem vorgeschlagen, in Euro-   dass man es mit verantwortungsvollen Vertrags-
zu stark auf Devisen aus dem Westen angewiesen,        pa einen großen Binnenmarkt mit einem Referenz-       partnern zu tun hat. Ökonomisch ist es sicherlich
insofern sind beide Seiten voneinander abhängig.       preis für Erdgas zu schaffen. Wäre das sinnvoll?       für die Konsumenten wie für die Industrie nicht
                                                                                                             sehr sinnvoll, auf alle Optionen gleichzeitig zu
„et“: Was wohl auf Dauer beiden Seiten nicht be-       Toren: Gaspreise orientieren sich in Europa meist     verzichten.
hagt.                                                  am Ölpreis und werden vertraglich für mehrere
                                                       Monate oder sogar Quartale festgelegt. Angesichts     „et“: Deutschland geht es wirtschaftlich doch gut.
Toren: Wladimir Putin weiß genau, dass in der EU       dessen, dass Versorgungssicherheit zur Zeit eben
darüber nachgedacht wird, wie man diese Abhän-         nicht gewährleistet ist und die Elastizitäten auf     Toren: Ja, aber nicht wegen der Energiewende,
gigkeit verringern kann. Und ihm ist auch klar,        dem Energiemarkt sehr unelastisch sind, der           sondern vor allem aufgrund der Nullzinspolitik
dass eine Umorientierung Europas nicht mehr            Markt also nur verzögert spielt, könnte eine ge-      der EZB und der schwachen Einheitswährung.
rückgängig zu machen sein wird. In seiner Rede         wisse staatliche Lenkung wichtiger Energiepreise      Mit der Energiewende haben sich in den letzten
zur Jahreswende hat er sein Volk bereits auf ein,      möglicherweise für eine Übergangszeit sinnvoll        Jahren die Energiekosten für die Haushalte sehr
zwei wirtschaftlich schlimme Jahre eingestellt.        sein. Mehr marktwirtschaftliche Verhältnisse mit      stark verteuert. Eine Strafsteuer belebt den Kon-
                                                       höheren Elastizitäten am Ölmarkt würde die Auf-       sum nicht und die Unternehmen denken mög-
„et“: Was zeichnet sich bezüglich der Versorgungs-     gabe des Energie-Exportverbots in den USA schaf-      lichst an einen Standortwechsel ins Ausland, was
sicherheit Gas für Europa in den USA ab?               fen. Im Moment ist der Referenzpreis von Gas hier     auf längere Sicht Rückwirkungen auf den deut-
                                                       in Europa sehr viel höher als in den USA.             schen Arbeitsmarkt und damit das Wirtschafts-
Toren: Eine positive Entwicklung. Das Verbot                                                                 wachstum hat.
des Exports von Energie in Staaten außerhalb           „et“: Mit negativen Folgen für die hiesige Wirt-
der NAFTA-Länder, das seit der ersten Ölkrise          schaft?                                               „et“: Frau Toren, vielen Dank für das Interview.
Bestand hat, steht mittlerweile in der Diskussi-
on. Bislang konnte aufgrund dieser drastischen         Toren: Durchaus, denn energieintensive Indus-           Das Interview führte André Behr, Wissenschafts-
Maßnahme zur Sicherung der eigenen Versor-             trien wie beispielsweise die Chemie werden                         journalist, Zürich, im Auftrag der „et“

  ENERGIENEWS
  ENERGIENEWS ONLINE:
              ONLINE: www.et-energie-online.de
                      www.et-energie-online.de
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 3                                                                                                 31
Strompreise, Einkommensentwicklung und Akzeptanz der Energiepolitik
ZUKUNFTSFRAGEN
  MEINUNGEN & FAKTEN

Die flexiblen Partner der erneuerbaren Energien:
Kohlenkraftwerke
Die erneuerbaren Energien genießen in Deutschland Einspeisevorrang. Wenn der Wind nicht weht und es dunkel oder trüb
ist, müssen konventionelle Kraftwerke bereitstehen. Wenn der Wind aufkommt und die Sonne aufgeht, treten sie zurück.
Das Stromsystem wird dynamischer, Flexibilität und die gesicherte Verfügbarkeit von Kapazitäten, die spiegelbildlich zu
erneuerbaren Energien bereitstehen und die Versorgung zuverlässig gewährleisten, werden unersetzlich und haben einen
Wert. Doch welche Kraftwerke sind es, die für den Ausgleich sorgen?

Anhand der zur Verfügung stehenden                  kraftwerke sind in starkem Maße gefordert.           Im Sommer wie im Winter werden die Kern-
Stromerzeugungsdaten ist nachvollziehbar,           Die traditionell in der Mittellast eingesetz-        kraftwerke hoch ausgelastet. Die Kernener-
wie in Deutschland Versorgungssicherheit            ten Steinkohlekraftwerke sind der wesent-            gie mit einer Kapazität von rd. 12 000 MW
und Flexibilität gewährleistet werden. Hier-        liche Puffer, mit dem die Schwankungen                soll bis 2023 vom Netz gehen. Die von den
zu werden die Monate August und Novem-              der Nachfrage über den Tag und an den Wo-            Kernkraftwerken zur Stromerzeugung ge-
ber 2014 herangezogen (siehe Abb.).                 chenenden abgefangen werden.                         leistete Arbeit – rd. 97 TWh in 2014 – soll

Abb.    Vergleich der Lastkurven von erneuerbaren Energien sowie Kohlen- und Gaskraftwerken in den Monaten August 2014 und November 2014

Im August sind hohe Einspeisungen von               Gaskraftwerke werden auf geringfügig höhe-           überwiegend durch Erneuerbare ersetzt
Wind und insbesondere PV zu verzeich-               rem Niveau betrieben. Die dargestellte Ein-          werden. Die sicher verfügbare Leistung
nen. Steinkohlen-, aber auch Braunkohlen-           speisung verläuft weiter überwiegend gleich-         dieser Anlagen entfällt. Flexible Kohlen-
kraftwerke werden mit verminderter Last             mäßig, d. h. wärmegeführt. Nur an wenigen            kraftwerke gewährleisten dann weiterhin
und deutlich wechselnder Auslastung an              Tagen während der Mittagszeit sind kleine            Versorgungssicherheit.
Werktagen und am Wochenende betrieben.              Spitzen zu verzeichnen. Im Winter, wenn die
Derweil sind vor allem die Gaskraftwerke            Sonne wenig scheint, gewinnen Gaskraftwer-                                             „et“-Redaktion
nur noch am Netz, da sie Wärme und Strom            ke zeitweise einen kleinen Teil ihrer Rolle zu-
gleichzeitig in einem festen Band erzeugen.         rück, die sie ursprünglich hatten, nämlich die
Man nennt diese Betriebsweise „must-run“.           Mittags- und Abendspitzen auszugleichen.
                                                    Deutlich wird, dass Versorgungssicherheit
Im November ergibt sich ein anderes Bild:           und Flexibilität in Deutschland überwiegend
Die Kapazitäten der Stein- und Braunkohle-          durch Kohlenkraftwerke geleistet wird.

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Strompreise, Einkommensentwicklung und Akzeptanz der Energiepolitik
ZUKUNFTSFRAGEN
                                                                                           TRANSFORMATION VON ENERGIESYSTEMEN
                                                                                                      ZUKUNFTSFRAGEN

Standpunkt „Elektromobilität“
Die Energiewende erfordert eine fundamentale Transformation des bestehenden Energieversorgungssystems. Die technolo-
gischen Konsequenzen dieses Wandels sind heute nur rudimentär abschätzbar. Deshalb sollen ab sofort in lockerer Reihe
von wissenschaftlicher Seite innovative Themen wie Energiespeicher, Wasserstoff als Energieträger, CCS, Elektromobilität
in Form eines Standpunktes umfassend betrachtet werden. Als Partner konnten wir dafür das Institut für Energie- und Kli-
maforschung – Systemforschung und technologische Entwicklung des Forschungszentrums Jülich gewinnen. Den Auftakt
macht ein Hoffnungsträger, der zur Vernetzung von Strom- und Verkehrssektor beitragen soll – die Elektromobilität.

Dem Verkehrssektor in Deutschland wird,          ■ EV können den Netzausbau nicht erset-         5. Für den Betrieb ohne Fernstrecken (we-
ähnlich dem Wärmemarkt, im Vergleich             zen, da die meisten EV in dicht besiedelten     sentlicher Fahrstreckenanteil) ist die Reich-
zum Strommarkt in der aktuellen Ener-            Gebieten, die großen Wind- und PV-Anlagen       weite rein batterieelektrischer Fahrzeuge
giepolitik zu wenig Aufmerksamkeit ge-           aber in dünn besiedelten Gebieten ans Netz      hinreichend. Auf Fernfahrten würde vielfa-
schenkt. Dabei steht er heute für etwa ein       angeschlossen sind.                             ches Nachladen erhebliche Investitionen in
Fünftel der CO2-Emissionen, der Pkw-Anteil       ■ Ein nach dem EE-Strom-Angebot ge-             die Infrastruktur erfordern und zudem die
allein für 12 %. Mit dem Energiekonzept          steuertes Laden führt zu stärkerer Gleich-      Reisezeit deutlich verlängern. Alternativen
2011 wurden Grundlagen für eine nachhal-         zeitigkeit der Ladevorgänge und kann daher      für Langstrecken sind PHEV und REEV so-
tige Entwicklung auch im Verkehr gelegt.         zu Netzüberlastungen führen. Eine differen-      wie die Nutzung anderer Verkehrsmittel
                                                 zierte Steuerung der Ladevorgänge unter         für Langstrecken: Zweitfahrzeug mit Ver-
Im Mittelpunkt steht das Ziel, bis 2020          Berücksichtigung von sowohl EE-Strom-An-        brennungsmotor, Car Sharing, Leihwagen,
1 Mio. und bis 2030 6 Mio. Elektrofahrzeu-       gebot als auch Netzlast ist erforderlich.       öffentliche Verkehrsmittel.
ge auf Deutschlands Straßen zu bringen           ■ Um gesteuerte Ladevorgänge zu ermögli-
(Stand Ende 2014: 24 000 Elektrofahrzeu-         chen, muss der Nutzer das EV bei jedem län-     Ökonomische Bewertung
ge). Damit will man zwei Fliegen mit einer       geren Parken ans Netz anschließen und nicht
Klappe erwischen: einerseits Emissions-          nur dann, wenn der Ladezustand nicht mehr       6. Zusätzliches Laden über Tag erhöht die
minderungen erschließen, anderseits über         für die Fahrten des nächsten Tages ausreicht,   elektrisch zurückgelegten Fahrstrecken des
die Fahrzeugbatterien eine Pufferfunktion         wie in Modellversuchen beobachtet wurde.        Bestandes nur geringfügig, aber es können
im Stromverteilnetz schaffen, was der Netz-                                                       (ausreichender Netzausbau vorausgesetzt)
integration fluktuierender Einspeiser sowie      3. Das Ladeverhalten der EV-Nutzer hat eine     PV-Strom-Überschüsse genutzt werden.
einem effizienteren Netzbetrieb dienen soll.       besondere Bedeutung für die Auswirkung          Dem stehen Investitionen in öffentliche/
Wie realistisch sind diese Ziele nun in tech-    auf Fahrzeuglebensdauer, Stromerzeugung,        semi-öffentliche Ladestationen gegenüber.
nischer, ökonomischer und ökologischer so-       -transport und -verteilung:                     Am Arbeitsplatz sind die Standzeiten der
wie gesellschaftlicher Hinsicht? Die folgen-                                                     Fahrzeuge länger als an öffentlichen Lade-
den Thesen sollen dies kurz erläutern:           ■ Laden zu Schwachlastzeiten hat Vortei-        stationen. Dies ermöglicht eine geringere
                                                 le in Bezug auf Batterielebensdauer, Netz-      Anschlussleistung, bessere Auslastung und
Technische Bewertung                             auslastung und Nutzung von Windstrom-           besser steuerbare Ladezeiten.
                                                 überschüssen. Die Aufnahmefähigkeit für         7. Die Total Cost of Ownership (TCO)-Kosten-
1. Das Laden von 1 Mio. Elektrofahrzeugen        überschüssige Windenergie durch EV ist          rechnung legt einen wirtschaftlichen Betrieb
(EV) in 2020 ist technisch ohne größere struk-   jedoch begrenzt.                                unter möglichst maximaler Nutzung der
turelle Anpassungen der Netze möglich. Das       ■ Ungesteuertes Laden kann schon bei            durch die gewählte Batteriegröße vorgege-
ungesteuerte Laden von 6 Mio. Fahrzeugen         niedrigen EV-Anteilen in einigen Verteil-       benen Reichweite nahe. Die gegenüber ei-
in 2030 kann jedoch in bestimmten Fällen         netzen zu Problemen führen. Durch eine          nem Pkw mit Verbrennungsmotor höheren
zu lokalen Überlastungen der Verteilnetze        Verschiebung der Ladevorgänge in die            Anschaffungskosten eines EV werden durch
führen. Daher muss das Laden so gesteuert        nächtlichen Schwachlastzeiten können die        die geringeren Betriebs- und Kraftstoffkosten
werden, dass es in Phasen geringer Netzlast      Auswirkungen auf das Verteilnetz deutlich       umso schneller kompensiert, je mehr Strecke
verlagert wird. Alternativ ist ein Netzaus-      gemindert werden.                               mit dem Fahrzeug zurückgelegt wird. Der
bau erforderlich. Die Auswirkungen auf die                                                       Einsatz elektrisch betriebener Fahrzeuge im
Stromerzeugung und das Übertragungsnetz          4. EV mit zusätzlichem Energiespeicher und      städtischen Lieferverkehr kann in bestimm-
in Deutschland sind nicht signifikant.           -wandler (z. B. Tank und Verbrennungsmo-        ten Fällen konkurrenzfähig sein.
2. Elektrofahrzeuge können dazu beitragen,       tor oder Brennstoffzelle) als Plug-In Hyb-       8. Netzrückspeisung hat in der Zukunft das
mehr Strom aus erneuerbaren Energien             rid-Fahrzeuge (PHEV) oder Fahrzeuge mit         Potenzial, kurzfristige Lastspitzen zu senken,
(EE) direkt nutzbar zu machen. Dies ist aber     Range Extender (REEV) können trotz einer        beeinflusst aber die Lebensdauer der Batte-
nur möglich bei ausreichendem Netzaus-           geringeren elektrischen Reichweite einen        rie, maßgeblich bedingt durch einen teilwei-
bau, gezielter Steuerung der Ladevorgänge        Großteil der am Tag gefahrenen Strecken         se deutlich erhöhten Energiedurchsatz. Die
und Mitwirkung der Nutzer:                       rein elektrisch zurücklegen.                    Erlössituation für Netzdienstleistungen muss

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 3                                                                                33
Strompreise, Einkommensentwicklung und Akzeptanz der Energiepolitik
ZUKUNFTSFRAGEN
        TRANSFORMATION VON ENERGIESYSTEMEN

     die Einbußen bei der Batterielebensdauer         Gesellschaftliche Bewertung                                ■ Stromversorger: Stromabsatz und Kun-
     kompensieren. Ob Fahrzeugnutzer an einem                                                                    denbindung erhöhen, Verteilnetze stabili-
     solchen System teilnehmen und wie ein sol-       11. Hier besteht ein Dilemma: Kaufinteres-                 sieren.
     ches Erlössystem gestaltet werden kann, ist      senten fordern höhere Reichweiten, aber
     derzeit Gegenstand der Forschung.                Befragungen zeigen, dass EV-Nutzer die                     Weiterführende Literatur
                                                      Reichweite im Alltagsbetrieb als ausreichend
     Ökologische Bewertung                            empfinden. Eine jederzeit gesicherte Reich-                Nationale Plattform Elektromobilität: Fortschritts-
                                                      weite nach den derzeitigen Wünschen von                    bericht 2014 der nationalen Plattform Elektromobi-
     9. EV können im Vergleich zu Verbrennungs-       Kaufinteressenten würde eine signifikante                  lität – Bilanz der Marktvorbereitung, Berlin 2014,
     motor-Fahrzeugen Primärenergie sowie             Überdimensionierung der Batterie erfordern.                abrufbar unter: http://www.bmwi.de/DE/Mediathek/
     Emissionen von Treibhausgasen und Luft-          12. Für die Akzeptanz von EV ist eine öffent-               publikationen,did=672614.html
     schadstoffen einsparen. Szenario-Analysen         liche Ladeinfrastruktur wichtig.                           Ergebnisbericht der Modellregionen Elektromobilität
     des Energiesystems zeigen, dass Elektro-         13. Je nach Akteur sind unterschiedliche                   2009 – 2011; Herausgeber: Bundesministerium für
     fahrzeuge Bestandteil von kosteneffizienten        Treiber bei der Einführung der Elektromo-                  Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Koordination und
     CO2-Minderungsstrategien im Gesamtsys-           bilität ins Kalkül zu ziehen:                              Erstellung: NOW GmbH, Berlin 2012, abrufbar unter:
     tem sein können. Trotz höherer Stromerzeu-                                                                  http://www.now-gmbh.de/de/publikationen.html
     gung für den zusätzlichen Energieverbrauch       ■ Politik: Primärenergieträger diversifi-                  Linßen, J. et. al.: Netzintegration von Fahrzeugen mit
     von Elektrofahrzeugen können Netto-CO2-          zieren und Chancen zur Erhöhung der geo-                   elektrifizierten Antriebssystemen in bestehende und
     Einsparungen im Gesamtsystem bei Ein-            strategischen Versorgungssicherheit nut-                   zukünftige Energieversorgungsstrukturen - Advances
     haltung der Ziel der Energiewende erreicht       zen; lokale und globale Emissionen (insb.                  in Systems Analysis 1. Schriften des Forschungszen-
     werden. Die Einsparpotenziale sind jedoch        CO2, Feinstaub und Lärm) minimieren.                       trums Jülich: Energie & Umwelt / Energy & Environ-
     abhängig vom Strommix, also vornehmlich          ■ Automobilindustrie: CO2-Flottenemissio-                  ment. Bd. 150. Forschungszentrum Jülich GmbH: Jülich
     vom Anteil der erneuerbaren Energien an          nen reduzieren (derzeit nur Tank to Wheel-                 2012.
     der Stromerzeugung, und vom elektrischen         Emissionen), Marktanteil behaupten und
     Fahranteil. EV müssen sich dabei gegen im-       neue internationale Märkte erschließen.                    Ansprechpartner:
     mer effizientere und umweltfreundlichere           ■ Nutzer: Image und Nachhaltigkeit ver-                    J. Linßen, Institut für Energie- und Klimafor-
     konventionelle Fahrzeuge durchsetzen.            bessern, Kosten reduzieren, Fahrspaß er-                   schung – Systemforschung und Technologi-
     10. EV können Ballungsräume von lokalen          höhen, Komfort erhöhen, Mehrwerte wie                      sche Entwicklung (IEK-STE), Forschungszen-
     Emissionen (Luftschadstoffe und Lärm) ent-        Standklimatisierung, einfachere Bedienbar-                 trum Jülich GmbH
     lasten.                                          keit etc. erschließen.                                     j.linssen@fz-juelich.de

                                   Cornelia Kawann (Hg.)

                                   ENERGIE IM WANDEL –
                                   Frauen gestalten die Schweizer Energiezukunft
                                   Energie wird erzeugt, transportiert und gespeichert. Sie wird gehandelt, genutzt,
                                   verschwendet, verbraucht, gespart und vernichtet. Wir kommunizieren und produ-
                                   zieren mit ihr. Energie ist ein politisches Thema.
                                   Aber auch eine gesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Aufgabe, die nach
                                   einem ganzheitlichen Umgang verlangt. Noch immer ist die Energiewirtschaft eine
                                   Männerdomäne.
Sie erfordert mit ihrer wachsenden Komplexität jedoch                                  Bestellanschrift:
zunehmend die Diversität verschiedener Kompetenzen und
Sichtweisen. Diese Diversität gewinnt derzeit an Fahrt und
belebt die Branche: Immer mehr Frauen steigen neu in die
Energiewirtschaft ein oder belegen dort sogar Spitzenposi-
tionen. Es ist Zeit, der Vielfalt und Ganzheitlichkeit zuliebe
                                                                                       Bitte liefern Sie          Exemplare
einmal die Power-Frauen zu Wort kommen zu lassen:
                                                                                       Energie im Wandel –
Denn es gibt sie, sogar zahlreich.                                                     Frauen gestalten die Schweizer Energiezukunft
                                                                                       je 29,- € (+ Porto) У ISBN 978-3-942370-41-7

Energie im Wandel – eine Aufgabe der Gesamtgesellschaft.                                                   etv Energieverlag
                                                                                                 energieverlag

                                                                                                           GmbH
Wir alle sind gefordert.                                                               Postfach 18 53 54
        34                                                                                    ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE
                                                                                       D - 45203 Essen,                      TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 3
                                                                                       5FMt'BY
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