TAUNUS MAGAZIN - Klinik Hohe Mark
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Jahrgang 5 | 1. Ausgabe 2021 TAUNUS MAGAZIN In dieser Ausgabe: Veränderungen durch die Corona-Pandemie... Corona macht einsam, aber man ist nicht allein E I N S A M Eine Reise auf Herzenshöhe GEM M E I N S A statt Die PIA in Zeiten von Corona Nachruf Schwester Gunhild Und vieles mehr... Das akutpsychiatrische Informationsblatt
Inhaltsverzeichnis Editorial 2 Buchempfehlung 3 Editorial IMPRESSUM Klinik Hohe Mark 4 Veränderungen durch die Corona- Friedländerstraße 2 „Einsamkeit ist der Weg, Pandemie und deren Auswirkungen... 61440 Oberursel auf dem das Schicksal den Menschen Telefon 06171/204-0 7 Corona macht einsam, taunusmagazin@hohemark.de zu sich selber führen will.“ aber man ist nicht allein! www.hohemark.de (Hermann Hesse) 10 Die PIA in Zeiten von Corona Redaktion: Ayhan Can, Jonathan Gutmann, Lars Hoben, 13 Bibelwort „Mose“ Marcel John, Tanja Martinek, Viktor Maul und Rudolf Wenz 14 Erfahrungen aus dem Case-Management Liebe Leserinnen und Leser, 16 Silvester – einsam oder gemeinsam? Chefredakteur: als wir Anfang 2020 die Ausgabe „Sinnsuche in schwierigen Zeiten“ heraus- Jonathan Gutmann 18 Grillen für die Seele?! gebracht haben, hätten wir uns sehr gewünscht, dass wir ein Jahr später nicht 20 5 Fragen an André Beaupain Layout: noch immer über das Thema Corona und seine Auswirkungen und Folgen spre- Lars Hoben 22 Lotsennetzwerk Rhein-Main chen müssen. 24 Gespräch über das Lotsennetzwerk Erscheinungsweise: Zweimal pro Jahr Die Seele wird in dieser Pandemiezeit aktuell besonders belastet und viele 25 Great Place to Work Menschen leiden unter den Auswirkungen: Quarantäne, Ausgangsbeschrän- Abbildungsverzeichnis: 26 Eine Reise auf Herzenshöhe Abbildungen wenn nicht anders angegeben von kungen, Kurzarbeit, Arbeitsplatzverlust, feste Strukturen brechen Weg, Hob- 29 Eindrücke aus der Kreativabteilung Privat, von Gottfried Cramer, der Klinik Hohe Mark bies sind nicht mehr durchführbar, Grübelgedanken und Zukunftsängste neh- und Adobe Stock. 30 Lyrik und Poesie Foto Angela Reinike S.38: Meike Dietz. men zu und vieles andere mehr. 32 Mein Praktikum auf Taunus 1 Titelbild: Adobe Stock Eine weitere Folge der Pandemie ist für viele Menschen die Einsamkeit. Das 34 Nachruf Schwester Gunhild gilt für alle Menschen gleich, unabhängig davon, ob sie nun Patient*in, Mit- 36 Bewegungs-Impuls Die Zeitschrift ist ein Gemeinschaftsprojekt arbeiter*in, Angehörige*r oder Bürger*in sind – niemand ist vollständig vor von Mitarbeiter*innen und Patient*innen 38 Etwas zum Freuen – ... FREUSTÜCKE der vier akutpsychiatrischen Stationen der den Auswirkungen geschützt. Deshalb wollen wir uns diesem Thema in der 40 Heimkehr ist eine Gnade Klinik Hohe Mark. Sie dient zur Information heutigen Ausgabe widmen. 42 Rückblick und Ausblick auf eine neue über Aktuelles aus dem Stationsalltag, gibt Der Mensch ist ein soziales Wesen und nicht dazu gedacht, um allein zu sein. Lebensphase Hintergründe über die Arbeit des Dies beschreibt schon die Bibel im 1. Buch Mose, Kapitel 2. Leichter gesagt als Akutbereiches und soll ihren Beitrag zur 44 Rezept aus der Kochgruppe Entstigmatisierung psychisch kranker getan, wenn die festen Strukturen in einer Zeit wie diesen wegbrechen, wenn 45 Humorecke Menschen und der Psychiatrie leisten. die sozialen Kontakte eingeschränkt werden sollen und vermehrt Sorgen und 46 News und Termine Ängste auftreten. Umso wichtiger kann es in dieser Zeit sein, sich Gedanken über das eigene Leben, die Ressourcen und Stärken zu machen und sich eben- Buchempfehlung falls mit dem eigenen sozialen Netz auseinanderzusetzen. Es macht durchaus Sinn, neue Wege zu wagen, neue Hobbys zu erschließen und mit Menschen in Kontakt zu bleiben (in welcher Form auch immer). Quarantäne! Eine Gebrauchsanweisung: Tun Sie sich und Ihrer Seele etwas Gutes, gönnen Sie sich selbst auch einmal So gelingt friedliches Zusammenleben zu Hause etwas Schönes und nutzen Sie die Natur und die Sonne. Ich möchte Sie einladen und ermutigen zugleich, sich auf die Suche zu Wenn Chronos nicht mehr wichtig ist, braucht es Kairos. Wenn der durch- begeben und Neues zu wagen. getaktete Kalender (Chronos) in der Isolation leer ist, kann sich der Flow in der „geschenkten, angenehmen Zeit“ (Kairos) entfalten. Was anderswo Bleiben Sie weiterhin besonnen, optimistisch und verlieren Sie nicht Ihren als Tagesstruktur oder Gerüst bezeichnet wird, beschreibt Grün als Gelän- Mut. Irgendwann wird auch diese Zeit zu Ende sein (oder wir haben gelernt, der. Für die Zeit der Isolation, selbstgewählt oder fremdbestimmt, braucht damit umzugehen) und ich bin gespannt, was wir aus dieser Zeit vielleicht es ein anderes Geländer. Ein Geländer, das die Zeit der Isolation zu einer auch Positives mit in die Zukunft nehmen werden. kreativen Phase des Lebens werden und nicht zu einer Phase der Trägheit verkommen lässt. Durch den kleiner gewordenen Aktionsradius wird eine ungewohnte Nähe in Familien und Wohnsituationen provoziert. Grün hebt die Wichtigkeit von Freiräumen hervor, die man sich in dieser Zeit schafft und gegenseitig gewährt. Die Neujustierung von Nähe und Distanz in eng Für die Redaktion, begrenztem Raum ist Chance und Herausforderung zugleich. Obgleich der Jonathan Gutmann Coronabezogenheit ist das Buch auch anwendbar auf die durch Krankheit Gebunden – 96 Seiten Chefredakteur TAUNUS MAGAZIN versursachte Quarantäne. Wo der Kalender der Kranken durch die Zäsur Verlag Herder der Krankheit leer wurde, besteht die Chance, die geschenkte, freie Zeit für ISBN-13: 978-3451388699 eine Neuausrichtung zu nutzen. 14,- Euro Rudolf Wenz (Gesundheits- und Krankenpfleger) Taunus Magazin | 1. Ausgabe 2021 – Seite 2 Seite 3 – Taunus Magazin
Veränderungen durch die Corona-Pandemie und deren Auswirkungen auf unsere Arbeit hier immer wieder je nach Einrichtung und wider, mitunter in aggressiverem Auftreten oder „Die einzige Konstante im Leben Bundesland unterschiedliche Voraussetzun- durch verminderten Antrieb der Teilnehmenden. ist die Veränderung.“ gen gestellt werden, die sich regelmäßig ändern Der körperliche Schwerpunkt der Arbeit mit en- Dieses Zitat des griechischen Philosophen Heraklit hat können. Es gebe zudem eine deutliche Tendenz gerem Kontakt, wie beispielsweise Sportspielen, auch nach über 2500 Jahren nichts an Aktualität ein- zu mehr stationären Rehamaßnahmen, auf- musste erheblich reduziert werden. Auch der gebüßt. Seit über einem Jahr hat die Corona-Pandemie grund geringerer ambulanter Möglichkeiten, was Verzicht auf den gegenseitigen Handschlag oder das Leben in der gesamten Welt auf vielfältige Weise wiederum zu längeren Wartezeiten auf einen die fehlende Umarmung zum Trost in psy- deutlich verändert. Therapieplatz wegen der ver- chischen Krisensituationen stellen eine ringerten Aufnahmekapazitäten deutliche Einschränkung dar. Während führe. Eine weitere Veränderung der Wandergruppen und den Therapiean- Weg- und Rückfall zeige sich darin, dass sich eine geboten im Klinikgelände sei aber auch zu während der Corona-Pandemie be- beobachten, dass die Achtsamkeit im Um- Dies trifft insbesondere auch unsere suchter- sonders vulnerable Gruppe, näm- gang mit sich selbst und der Natur schnel- krankten Patient*innen, deren Selbsthilfegrup- lich obdachlose Menschen, zurzeit ler ins Bewusstsein der Teilnehmer*innen pen nur noch vereinzelt in Präsenz stattfinden mehr auf den Akutstationen der gelangt. Durch die stärkere Stationsbin- und die inzwischen häufig vollständig auf Online- Klinik finde. Insgesamt habe sich aus dung der Therapeut*innen sei die Zusam- sitzungen umgestiegen sind. Nicht Jede/r kann diesen Veränderungen so ein menarbeit mit dem Stationsteam und den sich hierbei den technischen Herausforderungen deutlicher Mehraufwand un- Patient*innen auch intensiver geworden. stellen oder zieht den gleichen Effekt früherer ter erschwerten Bedingungen persönlicher Treffen daraus. Die Folge ist der Weg- entwickelt. Um eine Durchmischung von Veränderungen aus Sicht des pflegerischen und fall einer elementaren Stütze zur Sicherung der Patient*innen unterschiedlicher Stationen ärztlichen Dienstes Abstinenz und führt oft neben den zahlreich hin- zu vermeiden, können derzeit keine offenen zugekommenen Problemen zum Rückfall in den Sprechstunden im Sozialdienst stattfinden. Für die Pflegekräfte, Ärzt*innen und Psycho- Konsum von Alkohol, Drogen und Medikamenten. Frau Doll nimmt bei Bedarf gezielt Kontakt zu log*innen auf den Stationen zeigen sich die Es gibt jedoch auch Patient*innen, die jetzt die ihnen auf und sie kommen mit ihren Anliegen in Veränderungen bereits bei der Neuaufnah- Chance zur Entgiftung und einer anschließenden sozialen Belangen daher schneller und einfacher in me unserer Patient*innen. Vor allem auf den Langzeittherapie wahrnehmen, da sie infolge der Kontakt zu ihr. akutpsychiatrischen Stationen können vie- Auswirkungen Pandemie in Kurzarbeit sind oder aufgrund ein- le Patient*innen zur Aufnahme kein negatives geschränkter Möglichkeiten zu sozialen Kontak- Veränderungen aus Sicht der PCR-Abstrichergebnis auf Corona nachweisen. Auch wir erleben diese Veränderungen täglich in ten, Gaststättenbesuchen oder anderen Freizeit- Bewegungstherapie Dies bedeutet, dass sie zunächst doppelt abge- unserem Klinikalltag bei der Arbeit mit psychisch aktivitäten Langeweile verspüren. strichen werden müssen, per Antigen-Schnelltest kranken Menschen. Die Suche nach Hilfe bei psy- Auch im therapeutischen Bereich zeigen sich und per PCR-Test. Je nach psychischer Verfassung chischen Erkrankungen als indirekte Folge der Veränderungen aus Sicht des Sozialdienstes die Auswirkungen und Veränderungen, wie mir stellt dies gelegentlich eine erhebliche Belastung Pandemie spiegelt sich immer mehr in den Krank- Volker Staschke aus seinem Alltag in der Bewe- für unsere Patient*innen dar. Das Aufnahmege- Frau Melina Doll, die in unserer Klinik im Sozial- gungstherapie berichtet. Um das Infektionsrisiko heitsgeschichten unserer Patient*innen wider. So spräch muss verkürzt oder in mehrere Phasen dienst für die Station Taunus 3 tätig ist, spricht zu minimieren können nur noch Therapiegruppen kann einerseits die durch die Ausgangsbeschrän- aufgeteilt werden, um mit mir über Veränderungen, die sie in ihrer mit verringerter Patientenanzahl kung begünstigte häusliche Gewalt die Ursache das Infektionsrisiko Arbeit mit unseren Patient*innen im letzten Jahr angeboten werden, was mittels der Probleme sein. An anderer Stelle können es gering zu halten und wahrgenommen hat: einer Aufteilung der Patient*in- kollektive, größtenteils über die Medien vermit- bei einem späteren telte Ängste sein, die bei entsprechender psychi- nen in kleinere Gruppen er- positiven PCR-Ab- So gab es vor allem zu Beginn der Corona- scher Vorerkrankung zu einem erhöhten Hilfebe- reicht wird. Damit jeder Patient/ strichergebnis nicht Pandemie unkompliziertere Dienstwege und darf führen. Mitunter haben unsere Patient*innen jede Patientin weiterhin auf die zur Kontaktperson Antragsverfahren bei der Zusammenarbeit mit den Verlust von Familienmitgliedern durch eine gleiche Anzahl an Therapie- der Kategorie 1 ein- verschiedenen Ämtern. Inzwischen habe sich die Covid-19 Erkrankung hinnehmen müssen oder einheiten kommt, führe dies gestuft zu werden. Situation aufgrund der Vergabe von Onlinetermi- die Folgen einer Infektion miterlebt. Andere erle- zu einer erhöhten Anzahl ver- Bis ein negativer nen wieder erschwert, da für die Terminplanung ben zunehmende Sorgen um ihre Existenz sowie schiedener Gruppen und da- PCR-Test vorliegt täglich nur ein kurzes Zeitfenster zur Verfügung die berufliche und soziale Stabilität als derart be- mit zu einer Mehrbelastung für müssen unsere Pa- steht und vermehrte Anfragen bei verringerten lastend, dass sie zu schweren Depressionen bis die Therapeut*innen. Aufgrund tient*innen dann Kapazitäten dazu führen, dass diese schnell hin zu Suizidgedanken und -handlungen führen. der größeren Anzahl angebote- in einer Teilquarantäne aus- ausgebucht sind. Die Verfahrensweisen der Insgesamt ist es für Menschen mit psychischen ner Gruppen sei es allerdings oft harren, bevor sie in den Stationsalltag integriert Ämter verändern sich zudem regelmäßig und Erkrankungen schwieriger geworden Hilfe zu er- schwieriger, Patient*innen zur Teilnahme zu werden können. sind dadurch noch schwieriger zu durchschauen. halten, da auch ambulante Hilfsangebote ein- motivieren. Die Anspannung und der Druck un- Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Vermittlung geschränkter oder mitunter nur online verfügbar ter dem die Patient*innen in der aktuellen Zeit unserer Patient*innen in Rehakliniken, da auch sind. stehen, spiegele sich in den Gruppen deutlich Taunus Magazin | 1. Ausgabe 2021 – Seite 4 Seite 5 – Taunus Magazin
Corona macht einsam, aber man ist nicht allein! Während jeglicher Gespräche mit den Thera- peut*innen und Pflegekräften sowie innerhalb der Therapiegruppen und Visiten, erschwert das Tragen des Mund- und Nasenschutzes die Kommunikation bei fehlender Ein- schätzbarkeit der Gesichtsmimik für beide Seiten. In den Stations- runden und Kurzkontakten muss immer wieder auf die Einhaltung der Hygienerichtlinien, die Ab- standsregelungen und das Tragen der Masken hingewiesen werden, was vereinzelt auch aufgrund der psychischen Verfassung nur schwierig durchgesetzt werden kann. Innerhalb der Patient*in- nengruppe muss sensibel auf unterschiedliche Verhaltenswei- sen eingegangen werden. So gilt Mein Name ist Stefan Lothspeich, ich bin 54 Jahre ein Telefon und telefoniere gelegentlich mit es, kritische Stimmen dennoch alt und ich war schon einige Male als Patient in einigen Personen aus der Tagesstätte oder für das Mittragen der Maßnahmen der Klinik Hohe Mark. Vor der Corona-Pandemie meiner Familie, aber mit dem Internet kenne ich zu gewinnen, andererseits sehr war ich zuletzt Ende 2016 in stationärer Behand- mich leider nicht so gut aus, sodass mir die dor- verängstigte Mitpatient*innen zu lung. Danach war ich bis zu Pandemiebeginn sta- tigen Hilfsangebote leider verschlossen bleiben. beruhigen und für ein Mindest- bil und habe meine Termine in der Psychiatrischen Ich war irgendwann in ständigen Grübelgedanken maß an sozialer Interaktion im Institutsambulanz (PIA) immer wahrgenommen. gefangen, entwickelte massive Ängste und fragte Stationsalltag zu überzeugen. Fazit Ich habe auch meine Medikamente immer ein- mich, wie das alles nur weitergehen wird. Dazu genommen und habe die Finger vom Alkohol kamen dann auch wieder die Schlafstörungen. Der Zusammenhalt innerhalb der Patient*innen- Die Veränderungen durch die Corona-Pandemie gelassen. Die Besuche in der Tagesstätte, und Diese sind für mich immer ein absolutes Warn- gruppe wirkt hingegen oft gestärkt und es lässt haben uns und unsere Patient*innen vor zahl- die dortigen Kontakte, Gespräche und Aktivitä- signal, denn ich leide an einer bipolaren Störung. sich ein höheres Maß an gegenseitiger Rück- reiche neue Herausforderungen gestellt. Es zeigt ten, haben mir Halt gegeben – doch dann kam Wenn der Schlaf gestört ist, ist das meist kein sichtnahme aufeinander beobachten. Die Ein- sich jedoch auch, dass es uns gelungen ist, auf Corona… gutes Zeichen und die nächste Krise mit Klinik- schränkungen der Besuchsregelung stellt für vie- diese Veränderungen zu reagieren sowie uns aufenthalt steht vor der Tür. Und so kam es dann le Patient*innen eine große Herausforderung dar, und unsere Arbeitsabläufe anzupassen, um für Ich möchte Euch und Ihnen in diesem Bericht nun auch. Da ich nicht mehr weiterwusste, fing ich wie- zumal auch die bislang therapeutisch wichtige viele Menschen in dieser schwierigen Zeit die gerne einen kleinen Einblick in mein Leben geben der an Alkohol zu trinken und THC zu konsumie- Möglichkeit der Belastungserprobung im eigenen dringend benötigte Hilfe zu leisten. Gegenseiti- und was sich durch Corona so alles in meinem ren, in der Hoffnung, dass ich damit endlich wie- sozialen Umfeld auf die zwingende Notwendig- ge Rücksichtnahme, Mitgefühl und Verständnis Alltag getan und verändert hat. der schlafen konnte. Das war ein Fehler und ein keit reduziert werden muss. haben uns hierbei ebenso begleitet, wie das Be- guter Freund sagte mir dann irgendwann, dass es mühen und Mitdenken, die Abläufe angemessen Die erste Welle so nicht mit mir weitergehen kann. So entschloss zu optimieren, um uns und unsere Patient*innen Es traf mich wie eine Bombe, als ich davon er- ich, mal wieder in die Klinik Hohe Mark zu gehen, zu schützen. In diesem Wissen und aus den Er- fuhr, dass die Tagesstätte aufgrund von Corona um mir dort Hilfe zu suchen. Alleine konnte ich es fahrungen sollten wir die Kraft und das Vertrauen schließen musste. Ich lebe alleine und es belas- einfach nicht schaffen. schöpfen, den eingeschlagenen Weg fortzufüh- ren und den Sinn in unserer so wichtigen Arbeit tet mich sehr, keinen Kontakt zu Mitmenschen zu In der Klinik zu finden. haben. Außer den netten Menschen in der Tages- stätte habe ich leider auch kaum anderweitige Zum Glück konnte mir in der Klinik schnell soziale Kontakte. Nach und nach musste fast al- geholfen werden. Ich machte einen Entzug, wur- les dicht machen und ich konnte auch nicht mehr de wieder auf meine Medikamente eingestellt, Marcel John ins Schwimmbad gehen. So hat mich die erste hatte Menschen zum Sprechen und konnte die Gruppenleiter der Station Taunus 3 Welle der Pandemie gezwungen, mich in meiner verschiedenen Therapien nutzen. Ich fühlte mich Wohnung zu isolieren. Wenn ich im TV nicht irgend- gestärkt und konnte bald wieder nach Hause. Lei- welche Sendungen über Corona ansah, tigerte der hatte sich an der Corona-Situation nichts ge- ich in meiner Wohnung auf und ab und rauchte ändert und deshalb blieb ich in dem Teufelskreis eine Zigarette nach der anderen. Ich habe zwar gefangen. Taunus Magazin | 1. Ausgabe 2021 – Seite 6 Seite 7 – Taunus Magazin
Irgendwann öffnete dann die Tagesstätte wieder. schränkungen sah, dass er sich in der Klinik das bald impfen lassen kann und dass die Pandemie Eigentlich bin ich unter der Woche dort immer für Leben nahm. bald für beendet erklärt wird. Auch wenn in der Solidarität acht Stunden. Leider durfte die Tagesstätte nur Tagesstätte gerade einige Aktivitäten ausfallen mit Einschränkungen öffnen. So wurden wir in Der Selbstmord hat mich ziemlich stark belastet. müssen, bin ich dankbar, dass ich zumindest vier Der Bericht erreichte vorab die Mitarbeiter*innen zwei Gruppen aufgeteilt und jede Gruppe konn- Ebenso ging es vielen anderen Klient*innen der Stunden am Tag dort sein kann, auch wenn mir der Klinik Hohe Mark mit der Frage, ob nicht je- te die Tagesstätte nur für jeweils vier Stunden am Tagesstätte genauso. Er war so ein netter Kerl, die anderen Stunden manchmal wie eine Ewigkeit mand noch ein brauchbares, gebrauchtes Rad zu Tag besuchen. Normalerweise frühstücken wir das hätte wirklich niemand gedacht. Ich habe vorkommen und ich nicht immer weiß, wie ich die Hause hätte. dort immer gemeinsam, jetzt gab es dort aber auch absolut nicht damit gerechnet und es hat Zeit sinnvoll verbringen kann. mich sehr mitgenommen. Als die Tagesstätte Der Aufruf ergab folgende Resonanz: Eine Mit- dann nur noch Mittagessen. Ich nahm meine später wieder zumindest für vier, statt der eigent- Lösungsversuche und -ideen arbeiterin bot sofort 50 Euro als Unterstützung Medikamente brav weiter, doch dann kam die lichen acht Stunden öffnen durfte, war dies auch an, sollte sich kein Rad finden. Eine andere Mit- nächste Zuspitzung der Coronalage, die Tages- dort ein großes Thema. Viele Besucher*innen Ich versuche trotz allem die Zeit sinnvoll zu nut- arbeiterin äußerte, dass sie im Zweifelsfall ein stätte musste wieder schließen und ich wusste der Tagesstätte sind dann auch gemeinsam ans zen. Hobbys können hier eine wichtige Rolle gebrauchtes Fahrrad kaufen möchte. Auch die Ar- mir erneut nicht mehr anders zu helfen, als zu Grab gefahren. Schade, dass er von uns gegangen spielen. Kürzlich habe ich mir dazu ein Fahrrad beitstherapie der Klinik wurde tätig, konnte aber Alkohol und THC zu greifen. Die Schlafstörungen ist. Er war hochintelligent und hatte immer ein gekauft, um mehr in die Aktivität zu kommen. nur ein Rad mit einem defekten Schlauch anbie- haben wieder überhandgenommen. Ich habe offenes Ohr. Da meine Mutter sich während Leider wurde es mir nach zwei Tagen aus dem Hof ten. Letztendlich erhielt der Autor des Beitrags ein dann auch mit dem Gedanken gespielt, eine gan- meines 11. Lebensjahrs suizidiert hat, ging mir gestohlen. Aktuell spare ich auf ein neues Fahr- Fahrrad des stellvertretenden Pflegedienstleiters ze Packung Tabletten zu schlucken und danach das auch besonders nahe. Ich habe insgesamt ei- rad. Dieses werde ich in Zukunft dann aber mit der Akutpsychiatrie (Markus John) als Geschenk. nicht mehr aufzuwachen. Ich war psychisch abso- nige Leute verloren, die mir sehr am Herzen lagen. ins Haus nehmen und auf meinen Balkon stellen, Dazu gab es zwei Schlösser, damit das Fahrrad lut am Ende und hatte keinen Lebenswillen mehr. Das steckt man nicht einfach so weg und es arbei- damit es nicht mehr wegkommt. künftig hoffentlich nicht mehr abhanden kommt. Ja, wie ist die Sache wohl weitergegangen? tet in einem. Mitzubekommen, dass jemand nicht Als das Wichtigste erscheint mir der Kontakt mit Mittlerweile befinde ich mich seit April 2020 zum mehr leben möchte, hat mich innerlich sehr be- anderen Menschen. Es ist wichtig, über seine 8. (!!) Mal in stationärer Behandlung – acht Klinik- lastet. Er hat ein großes Loch hinterlassen. Aber Sorgen und Probleme zu sprechen und im Notfall aufenthalte im Zeitraum eines Jahres. Ich bin mir für mich steht fest: Das Leben einfach so wegzu- auch professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. sicher, dass das ohne Corona ganz sicher nicht so schmeißen ist es nicht wert! Ich habe gemerkt, dass das ständige Fernsehen gelaufen wäre. Aber man kann an der Situation ja Eigentlich bin ich ein lustiger und netter Geselle, und die dauerhafte Beschäftigung mit Corona leider nun einmal nichts ändern, nur auf Besse- doch während dieser Coronazeit ist mir gründlich keine gute Lösung sind und einen das nur ver- rung hoffen. das Lachen vergangen. rückt macht. Heftige Tiefschläge Lichtblicke Ich hoffe, dass die Impfung ihren Beitrag gegen Ich musste mir eingestehen, dass es in meiner die Pandemie leisten kann und dass auch die Wohnung sehr einsam ist und ich Menschen Auch wenn ich diesen Bericht während meines Tagesstätte weiter offenbleiben darf. Wenn um mich herum brauche. Leider ist während der 8. Klinikaufenthaltes innerhalb eines Jahres Corona dort auftritt, ist der Laden zu und das Pandemie mein Vater in Frankreich gestorben. schreibe, habe ich die Hoffnung nicht verlo- führt bei vielen Menschen dann wieder zu einer Aufgrund der Lage konnte ich nicht zur Beerdi- ren. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die mir in schweren Krise. Viele Besucher*innen der Tages- gung, da man nicht nach Frankreich einreisen Krisensituationen beistehen, die mir helfen und stätte haben während der Corona-Krise (auch durfte. Ich konnte mich also nicht von meinem mich unterstützen. Dies durfte ich auch immer mehrfach) stationäre Hilfe benötigt. Gäbe es kein Vater verabschieden. wieder in der Klinik Hohe Mark erleben und ich Corona, hätte das vermutlich nicht sein müssen. bin für diese Erfahrungen sehr dankbar. So konn- Auch der Suizid eines Freundes aus der Tagesstät- te ich die Erfahrung machen, dass ich manchmal Aktuell habe ich meine Sachen wieder einiger- te hat mich zutiefst erschüttert. Wir hatten immer vielleicht einsam, aber nie allein bin. Im Notfall maßen im Griff, da haltgebende Strukturen wieder telefonischen Kontakt und eines Tages rief kann ich immer auch in der Klinik anrufen und mit wieder vorhanden sind. Ich hoffe, dass Coro- er mich an und äußerte, dass er aufgrund der Co- dem Pflegepersonal sprechen, was mich etwas na sich bald erledigt hat und mich die Struktur rona-Einschränkungen nicht mehr weiterwisse. beruhigt. Und wenn es hart auf hart kommt, weiß weiterhin gesund hält. Ich hänge am Leben und Er sei lebensmüde und könne das einfach nicht ich, dass mir auch in einem erneuten Klinikauf- habe aber weiterhin Ängste. Zum Glück weiß mehr ertragen. Ich bot ihm natürlich sofort mei- enthalt hier wieder geholfen wird. ich, dass es Hilfe gibt und man trotz allem nicht ne Hilfe an und sagte ihm, dass er vorbeikommen alleine auf dieser Welt ist. soll. Als er das ablehnte, sah ich mich gezwun- So langsam laufen mittlerweile die Impfungen gegen Corona an. Bei uns in der Tagesstätte hing In der Hoffnung, dass Corona bald beendet ist, gen, den Rettungsdienst zu alarmieren. Dieser hat diesbezüglich auch ein Zettel aus, wie es mit der wünsche ich allen Leserinnen und Lesern nur das meinen Freund dann in die Klinik gebracht. Leider Anmeldung aussieht. Auch wenn aktuell noch Allerbeste! scheint er so verzweifelt gewesen zu sein, dass er keinen anderen Ausweg aus dieser schlimmen einiges unsicher ist, hoffe ich, dass ich mich auch Euer/Ihr Stefan Lothspeich Corona-Zeit mit all ihren Auswirkungen und Ein- Taunus Magazin | 1. Ausgabe 2021 – Seite 8 Seite 9 – Taunus Magazin
Die PIA in Zeiten von Corona Umstellung auf Telefonkontakte um die verschiedenen Meinungen, Ansichten, Ängste und Menschen unter einen Hut zu bringen. Die Präsenztermine wurden – außer für Notfälle Mit der Zeit und vielen Gesprächen haben wir das und medizinische Versorgung – schnell auf Tele- inzwischen ganz gut hinbekommen. Zumindest fonkontakte umgestellt. Anfangs war das für alle bleiben wir im Austausch darüber. eine extreme Umstellung, und kaum einer von uns konnte sich vorstellen, wirklich so zu arbei- Eigenverantwortlichkeit und Gemeinsamkeit ten. Wir drei aus der Berufsprofession des Pflege- dienstes, setzten uns eines Tages zusammen und Die anfänglich häufig anstrengenden Diskus- gingen gedanklich alle Patient*innen durch, von sionen mit Patient*innen über die Maßnahmen denen wir befürchteten, dass sie in Gefahr gera- haben sich mit der Zeit gelegt, und inzwischen ten könnten. Da die meisten ohnehin in großer haben wir auch wieder Präsenztermine in unseren Isolation leben oder durch Ängste und Zwänge Kalendern, die wir in eigener Verantwortung ver- nun endgültig in die Krise geraten würden, be- geben können. Ein Teil der Patient*innen nimmt schlossen wir, die Patient*innen anzurufen und sie dankbar an, aber es gibt noch immer viele, die regelmäßige Telefonkontakte anzubieten, um sie Telefontermine bevorzugen. Wobei wir jetzt auch wissen zu lassen, dass wir weiterhin da sind. Für schon in der Lage sind, vereinzelt Online-Termi- einige war das zunächst nicht vorstellbar, andere ne zu vergeben. Wie sich zeigt, wird es nötig sein, waren froh, nicht aus dem Haus gehen zu müs- diesen Bereich langfristig auszubauen, was in sen. Es galt Vieles aufzufangen, von aufkom- Planung ist. menden Suizidgedanken, finanziellen Nöten und Auch innerhalb des Teams gibt es beherzte Ver- Existenzsorgen, neu auftretenden Ängsten und suche, sich wieder ein Stück Gemeinsamkeit zu Zwängen, zunehmenden Streitigkeiten und Über- erkämpfen. Sei es bei einem mal wieder gemein- griffen im häuslichen Bereich bis hin zu völlig iso- samen Mittagessen im Pausenraum oder der lierten jungen Menschen im Online-Studium, die Die PIA in Zeiten von Corona Wir mussten irgendwie dranbleiben. Nicht nur für Gründung einer eigenen Kreativgruppe für die plötzlich keinen Sinn mehr im Leben sahen. Wir uns, sondern auch für die vielen verzweifelten Mitarbeitenden, unter der Leitung unserer künst- Seit März 2020 herrscht ein allgemeiner Ausnah- haben den Frust und die Ängste der Patient*innen Menschen, die ansonsten gar keine Anlaufstelle lerisch so talentierten Ärztin Frau Elsner, die mezustand. Viele Tagesstätten/-kliniken wurden im letzten Jahr ungefiltert abbekommen und auf- mehr haben würden. uns mit ihren wunderschönen, bunten Gemälden geschlossen. Unsere Klinik beschäftigte sich genommen. Wie bei vielen anderen auch, macht die Räumlichkeiten verschönert. Auch Mitarbei- damit, eine Station für den Notfall aufzubauen. Hygienekonzept greift sich das heute bei manch einem von uns mit ei- ter*innen der Tages-Reha beteiligen sich an die- Niemand wusste, was auf uns zukommen würde ner allgemeinen Erschöpfung bemerkbar. Auch sem Projekt und stellen ihre Räumlichkeiten zur und was aus unseren ambulanten Patient*in- Glücklicherweise hat unsere Leitung sehr früh wenn wir von COVID selbst nicht betroffen waren, Verfügung. nen werden sollte. Wie hat sich unser Arbeiten in beschlossen, sämtliche Maßnahmen zu ergreifen die psychischen Folgen merken auch wir. Manch- dieser Zeit gestaltet und verändert? Und wie sieht und auch konsequent umzusetzen. Auch wenn mal fehlt einem die Kraft und Energie, den Frust es inzwischen aus mit der Versorgung? anfangs nicht alle damit glücklich waren, hat der Menschen weiter auszuhalten, aber glückli- genau das uns gut durch diese Zeit gebracht. cherweise gab es immer die Möglichkeit, sich in Ratlosigkeit? Dranbleiben! Wir können sagen, dass wir durch das konse- kleinen und großen Runden oder der Supervision quente Maskentragen und die Einhaltung von darüber auszutauschen. Als sich im letzten Jahr abzuzeichnen begann, Abständen durchgehend unsere Patient*innen dass die Lage ernst werden könnte und letztlich versorgen konnten und unser Personal so gut wie Toleranz ist notwendig der Lockdown der Regierung beschlossen wurde, coronafrei war. saßen wir manchmal ratlos an unseren Schreib- Wie in der Gesamtbevölkerung auch, hatten wir tischen. Niemand wusste, wie es weitergehen innerhalb des Teams unterschiedliche Auffassun- würde. Um uns herum schlossen sämtliche Ein- gen und Meinungen und sind damit tagtäglich richtungen, und wir selbst wussten nicht, ob uns aufeinandergeprallt. Auch uns trieben die Fragen das auch passieren könnte. Andererseits: wer nach den Folgen für die Gesellschaft und die ge- sollte den Patient*innen weiter Halt und Stabili- sundheitlichen Folgen um. Was für den einen not- tät geben und sie in ihrer Genesung begleiten, wendig und logisch erscheint, ist für den ande- abgesehen von der Weiterversorgung mit Sprit- ren übertrieben und abweisend. Es konnte auch zen und Medikamenten? Wer sollte beobachten, niemand wissen, wie sich die Dinge entwickeln wie die Patient*innen, die wir teilweise schon würden und anfangs herrschte Angst unter vie- seit Jahren versorgen, mit der folgenden Isola- len. Es zeigte sich auch in unserem Team, dass tion und Einsamkeit zurechtkommen würden? es eine große Toleranz untereinander braucht, Das Pflegeteam der PIA Taunus Magazin | 1. Ausgabe 2021 – Seite 10 Seite 11 – Taunus Magazin
Bibelwort „MOSE“ Noch dazu besucht Nannette S. Bewohner des Nellini Stifts, um unsere Ärztin bei der Versor- gung der erkrankten Seniorinnen und Senioren zu unterstützen. Dies konnte lange nicht stattfin- den, aber da inzwischen alle Bewohner geimpft und die Pflegeheime inzwischen gut strukturiert sind, ist es seit diesem Jahr wieder regelmäßig möglich. Multiprofessionelle Vernetzung Alles in allem können wir sagen, dass wir uns multiprofessionell gut vernetzt und gegensei- tig unterstützt haben, um unsere Patient*innen kontinuierlich in dieser CORONA-Zeit begleiten zu können. Die Dankbarkeit darüber ist für uns jeden Tag spürbar. Für viele war ein Anruf mit der Frage, Größerer Zulauf wie es geht, der einzige Kontakt zur Außenwelt und eine Versicherung, dass das Leben früher Insgesamt bemerken wir wieder größeren Zulauf oder später weitergeht. Wir alle hoffen natürlich, in den letzten Wochen. Die Räume füllen sich mit dass sich das Leben durch die Impfungen bald Leben und die Anspannung steigt. Es wird zu- wieder etwas normalisieren wird. nehmend schwierig, die Räumlichkeiten und das Wartezimmer entsprechend der Abstandsregeln leer zu halten. Vor der Anmeldung bilden sich Das Pflegeteam der PIA Als Säugling von der Mutter abgelegt, in einer Was nach holprigem Beginn endlich ins Rollen Warteschlangen und die Damen im Sekretariat Adoptivfamilie aufgewachsen und trotzdem kam und auf staunenswerte Weise angepackt müssen häufig bitten, draußen zu warten oder Kontakt zur Mutter gehalten, wächst das Kind wird, kommt wieder ins Stocken. Trotz weiterer zu einem späteren Zeitpunkt wiederzukommen, in einer prominenten Familie mit bester Bildung 40-jähriger Arbeit wird die Aufgabe von Mose von was nicht jedem verständlich ist. Viele unserer zu einem kompetenten, gebildeten Mann in he- seinem Nachfolger zu Ende geführt. Nichts klappt Patient*innen sind nur schwer in der Lage, sich rausragender gesellschaftlicher Stellung heran. wie am Schnürchen. Der Nachfolger von Mose an Zeiten und Pläne zu halten. Wir stellen fest, Mit 40 Jahren ist er bereit seine Lebensaufga- lebt einen anderen Führungsstil und ist trotzdem dass sehr viele junge Menschen den Weg zu uns be zu übernehmen. Leider begeht er in seinem effektiv. Er hatte mit Mose gearbeitet, von ihm suchen. Häufig hören wir den Satz: „Mir wur- Streben nach Gerechtigkeit einen Mord, der ihn gelernt und dennoch seinen eigenen Stil gefun- de die PIA empfohlen.“ Seit 2019 sind wir vom 40 Jahre in die Wüste schickt. Dort bekommt er den. Der Nachfolger führte die Aufgabe von Mose Pflegedienst dafür zuständig, Notfälle und Erst- eine eigene, normale Familie in der Fremde. erfolgreich zu Ende. patienten zunächst im PVD (Pflege vom Dienst) Die Arbeit als Aussteiger, im Falle von Mose zu versorgen, um zu entscheiden, ob der AVD als Schafhirte, scheint wichtiger als Leben mit Viele Fragen sind in ihrer Lebenssituation und (Arzt/Ärztin vom Dienst) nach ihnen schauen Familie oder Leben mit Gott. Glaubensvorschrif- dem unüberwindbaren Berg einer Lebensaufgabe muss oder es reicht, einen Behandlertermin in ten werden nicht weitergegeben oder gelebt. Ein nachvollziehbar: naher Zukunft zu vergeben. Die Termine für neue herzliches Familienleben ist in seiner Lebensge- Erstpatient*innen sind rar gesät, was bedeutet, „Warum diese Mühe?“ schichte nicht zu erkennen. dass wir die Menschen zunächst in der Bezugs- „Welchen Sinn hat die Plackerei?“ pflege betreuen und beobachten, was eine große Und plötzlich mit 80 Jahren holt ihn die Auf- Verantwortung ist. gabe seines Lebens wieder ein. Er kehrt um in Mose erlebte und erlitt: Gott ist mit mir – in al- seine fremde Heimat, dem goldenen Nest und lem was ich tue. ER bringt die gestellte Lebens- Gruppenangebote dem Platz seiner größten Schmach. Dieses Mal aufgabe zur Vollendung, trotz meiner Schuld und Glücklicherweise sind wir in der Lage unsere Grup- wird die Aufgabe angepackt und ausgeführt – Fehler. Wenn es Mose nicht schafft, kommt pen weiter anbieten zu können. Dazu gehören die beinahe. ein Anderer der es weiterführt. Gott bringt von Andreas Treude betreute wöchentliche Medi- unsere Schuld nicht aus dem Konzept. Gott, der tationsgruppe und die von Andrea M. betreute – Barmherzige dringt durch unser Versagen und be- Die Vollständige Geschichte von Mose finden gleitet bis ins Ziel. inzwischen ebenfalls wöchentlich stattfindende Sie im Alten Testament der Bibel in den Büchern – Kreativgruppe im Ergo-Raum der Tages-Reha. Mose 2, 3 und 4. Rudolf Wenz Gesundheits- und Krankenpfleger Taunus Magazin | 1. Ausgabe 2021 – Seite 12 Seite 13 – Taunus Magazin
Erfahrungen aus dem Case-Management im 1:1-Kontakt durch pflegerisches Personal in Auch die Personengruppe der Anrufer*innen Krisensituationen auf Station dauerhaft begleitet zeichnet ein besonderes Bild während der Pan- werden. demie. Riefen während der 1. Welle noch vorwiegend betroffene Jeden Monat bekommen wir die Personen aufgrund des verschiedensten Anrufe aus ganz Wegbrechens haltge- Deutschland mit unterschiedli- bender Strukturen (wie chen Anliegen. Etwa 70 % davon z. B. ambulante Thera- können wir nach einer telefoni- pien oder Tagesstätten) schen Beratung an das ambu- an, waren es in der 2. lante Hilfesystem oder an ihre Welle zunehmend An- zuständige Klinik in ihrer Nähe gehörige psychisch er- weiterleiten. 25 % werden noch krankter Menschen, die am gleichen Tag aufgenommen Hilfe am Telefon suchten. und um die 5 % erhalten einen Einige Angehörige waren Aufnahmetermin innerhalb selbst mit ihren Nerven der nächsten 7 Tage. Die An- am Ende, sie erkundig- rufer*innen aus dem Einzugs- ten sich über Hilfsmög- gebiet der Klinik Hohe Mark lichkeiten und Ansprech- erhalten dabei allerdings im- partner*innen und baten mer auch den Hinweis, dass um Rat, was sie mit ihrem sie sich bei Zuspitzung ihrer betroffenen Angehörigen, Krise jederzeit erneut an uns der sich nur noch zu Hau- wenden können und die Auf- se befindet und das Haus nahme dann gegebenenfalls auch vorgezo- nicht mehr verlässt, machen gen werden kann. sollen. In der 3. Welle sind es nun wieder ver- Das Case-Management wurde im Februar 2019 in der Klinik Hohe Mark eingeführt. Mit einem Stellenanteil von 1,5 Stellen arbeiten drei Pflege- mehrt psychisch kranke Menschen die sich mitarbeitende von Montag bis Freitag jeweils von etwa 8 bis 17 Uhr für telefonisch an uns wenden. das Wohl unserer Patientinnen und Patienten. Veränderungen während der Pandemie Seit Beginn der Pandemie gehen im Case-Ma- Marco Raab nagement vermehrt Anrufe wegen psychischer Case-Manager Aufgaben und Ziele geplante Entgiftungen ihr eigenes Aufnahmese- Krisen ein. Oftmals sind die Krisen auf die Aus- kretariat). Neben der Zusammenarbeit mit den wirkungen und Einschränkungen der Pandemie Die Einführung des Case-Managements führte so- jeweiligen Akutstationen besteht ein reger Aus- zurückzuführen. Es wurde ebenfalls wahrgenom- fort zu einer Entlastung des ärztlichen Dienstes. tausch mit dem ärztlichen Dienst, den Patien- men, dass sich suizidale Krisen zuspitzen und Wo früher ein Arzt/eine Ärztin vom Dienst (AVD) tensekretariaten, den Mitarbeitenden der Pforte vermehrt auftreten. Die Klinik Hohe Mark das Telefon und den IVENA-Pieper (Ankündi- sowie der Psychiatrischen Institutsambulanz gung von Akutaufnahmen über die Rettungsleit- (PIA). Auf die Gesamtanruferzahl gesehen lässt sich in der Regionalversorgung... stelle) im Stationsalltag neben ihrer normalen feststellen, dass sich die Häufigkeit der Anrufe Stationstätigkeit bei sich führten, haben diese Unser Hauptaugenmerk liegt daher in telefoni- Seit 1997 ist die Klinik Hohe Mark für Bürgerinnen während der Pandemie um etwa 20 % gestei- und Bürger der Stadt Frankfurt am Main da. Aufgabe nun drei Mitarbeiter*innen der Pflege schen Beratungen bei Aufnahmewunsch. Nicht gert hat. Während die Zahl der Anrufe deutlich übernommen. Für medizinische Notfälle steht selten werden wir aus psychischen Krisen heraus gestiegen ist, kam es allerdings nicht zu einer Zuständig für den Bereich des Frankfurter Ostens, allerdings immer ein Arzt/eine Ärztin im angerufen und leisten am Telefon „Erste Hilfe“, Steigerung der stationären Aufnahmen. Dies mag ist das Oberurseler Krankenhaus verpflichtet, Hintergrund bereit, der/die nun aber viel seltener indem wir mit Anrufer*innen zum Beispiel über auf der einen Seite mit an der Beratung und jeden psychisch kranken Menschen seines Ver- zum Einsatz kommt. Skills und Bewältigungsstrategien zur Entlastung anschließenden Vermittlung ins ambulante sorgungsgebietes zu behandeln, auch im Notfall. sprechen. Setting liegen (Devise: ambulant vor stationär), Zum Pflichtversorgungsgebiet der Klinik gehören Eine der Hauptaufgaben des Case-Managements andererseits vermutlich auch an der einge- folgende Frankfurter Stadtteile: umfasst die Belegungsplanung und -steuerung Des Weiteren kümmern wir uns in Zusammenar- schränkten Belegungsmöglichkeit als Schutz- für die drei Akutstationen Taunus 1, Taunus 2 beit mit der Patientenabrechnungsstelle um die Altstadt / Bergen-Enkheim / Bornheim / maßnahme zur Ausbreitung des Corona-Virus. und Feldberg 2 sowie teilweise auch für die Kontrolle der Dokumentation bei sogenannten Fechenheim / Innenstadt / Nordend-Ost / Station Taunus 3 (wenn es sich um akute Auf- Intensivbetreuungen, wenn betroffene Personen Nordend-West / Ostend / Riederwald / Seckbach nahmen handelt, ansonsten hat die Station für über einen Zeitraum von mehr als 120 Minuten Taunus Magazin | 1. Ausgabe 2021 – Seite 14 Seite 15 – Taunus Magazin
Silvester – einsam oder gemeinsam? Kein fester Plan Die Idee Überraschung Da ich gerne das Weihnachtsfest mit meiner Der Abend plätscherte so vor sich hin und war In der Zwischenzeit suchte ich im Abstell- Familie verbringe, biete ich oft an, an Silvester geprägt von vielen Gesprächen. Da kam mir plötz- raum nach dem Grill, in dem ich vorhatte, dass den für viele Kolleginnen und Kollegen unbelieb- lich eine Idee. Ich ging zurück ins Dienstzimmer kleine Feuer zu entzünden. Glücklicherweise ten Nachtdienst zu übernehmen. So auch im letz- und bastelte am Computer ein kleines Formular. waren auch noch einige alte Zeitungen und Pizza- ten Jahr. Früher hatte ich gelegentlich Filmabende Das Formular bestand aus zwei Hälften, die von kartons auffindbar, die als Brennmaterial dienen angeboten, diese wurden aber nicht immer posi- einem Scherenschnitt voneinander getrennt wa- sollten. Bezüglich des Brandschutzes und der -si- tiv angenommen, weshalb wir dieses Jahr keine ren. Auf der linken Seite konnten die Patient*in- cherheit wurden auch einige große Gießkannen Vorgaben machten und es einfach auf uns zu- nen aufschreiben, was alles positiv und schön mit Wasser im Hof bereitgestellt. In der Zwischen- kommen lassen wollten. Trotz der bestehenden im Jahr 2020 war, für was sie dankbar waren und zeit hatte es auch angefangen zu schneien und Hygieneschutzmaßnahmen wollten wir unseren was sie ins Jahr 2021 mitnehmen möchten. Auf eine leichte Schneeschicht bedeckte den Boden. Patient*innen an diesem Tag eine Freude und der rechten Seite konnten sie notieren, was im Meine Kollegin bereitete zwischenzeitlich einen ihnen einen auf etwas andere Art besonderen vergangenen Jahr nicht so gut war und was wir Servierwagen mit Luftschlangen, Wunderker- Abend bereiten. So hatte eine Kollegin aus dem gemeinsam um 0 Uhr draußen im Hof im Feu- zen, Gläsern und den Sektflaschen vor. Kurz vor Stationsfond einige Knabbereien besorgt, die in er verbrennen wollen. Ich klärte die Patient*in- Mitternacht kamen dann auch schon die ersten coronakonformen Schüsselchen (für jede Person nen darüber auf, dass sie den linken (positiven) Patientinnen und Patienten nach unten. Ich ent- extra) bereitgestellt wurden. Ebenso wurden Luft- Abschnitt behalten und den rechten dann um 0 zündete das Papier im Grill und wir starteten schlangen, Wunderkerzen und alkoholfreier Sekt Uhr mit nach unten in den Hof bringen dürfen. einen Countdown von 10 auf 0. Anschließend für Mitternacht eingekauft. Die ersten Reaktionen waren eher skeptisch: warfen wir unsere Zettel ins Feuer, entzündeten „Müssen wir jetzt auch an Silvester so etwas Wunderkerzen, tranken gemeinsam ein Gläschen Gedrückte Stimmung therapeutisches machen?“ – „Um 0 Uhr werde ich alkoholfreien Sekt und gaben Neujahrsgrüße sowieso im Bett sein.“ – „So ein Quatsch.“ weiter. Nachdem meine Kollegin und ich die Routinetä- tigkeiten des Nachtdienstes (z. B. Medikamente Wenn ich kein humorvoller und optimistischer Ich war überrascht, wie viele Patient*innen bereit richten und kontrollieren sowie einige organi- Mensch wäre, hätte ich mich vielleicht fast etwas waren, an der Aktion teilzunehmen. Viele bedank- satorische Dinge wie das Eingeben der Essens- über meine möglicherweise vergebene Liebes- ten sich im Anschluss für den gelungenen Abend. wünsche der Patient*innen ins System) verrichtet mühe geärgert, aber so war ich gespannt, wer hatten, gesellten wir uns (mit Masken und aus- sich darauf einlassen würde. In der Hoffnung, dass wir auch in diesem Jahr den reichend Abstand) in den Aufenthaltsraum, wo Blick nach vorne richten und dankbar für die klei- bereits einige Patient*innen sich unterhielten. nen und schönen Dinge im Leben sein können. Silvester – einsam oder gemeinsam? Weitere sahen fern und wiederum andere puz- Der 31.12.2020 wird vermutlich vielen zelten gemeinsam. Eine Gruppe unterhielt sich Menschen in Erinnerung bleiben. Viele erfreuen über die negativen Erlebnisse der letzten Zeit. Jonathan Gutmann sich gewöhnlich in der Silvesternacht am bunten Die Stimmung wirkte sehr gedrückt. Dies fiel auch Fachpfleger für Psychiatrische Pflege Feuerwerk und dem Feiern ins neue Jahr hinein. einer älteren Patientin auf, die sich gerade in Im Jahr 2020 war dies ein wenig anders. Auf- einem Hoch ihrer manischen Phase befand. Sie grund vorheriger Beschlüsse der Bundes- und forderte mich auf, dass ich doch auf dem Tisch im Landesregierungen wurden der Verkauf und das Aufenthaltsraum zur Aufheizung der Stimmung Zünden von Feuerwerkskörpern untersagt, einen Striptease hinlegen könnte. Ich musste dem Menschenansammlungen waren verboten und das in gewohnt professioneller Art und Weise eine gewohnte Feiern konnte auch nicht stattfinden. Absage erteilen und wurde anschließend als Während normalerweise einige Patientinnen und Langweiler und Spießer beschimpft. Immerhin Patienten auf Neujahr Belastungserprobungen in hatte die Situation einigen Mitpatient*innen zur ihrem häuslichen Umfeld durchführen, war die kurzzeitigen Stimmungsaufhellung verholfen. Psychiatrie diesmal gut gefüllt. Taunus Magazin | 1. Ausgabe 2021 – Seite 16 Seite 17 – Taunus Magazin
Grillen für die Seele?! Mindestens einmal im Jahr versuchen die einzelnen Akutstationen ein Grillfest für ihre Station zu veranstal- ten. Bei den letzten beiden Grillfesten (vor der Pandemie) auf Station Taunus 1 und Station Taunus 2 haben wir ver- „Toll, dass auch an die Vegetarier sucht, einige Aussagen von Patientinnen und Patienten gedacht wurde und es nicht nur zu den Festivitäten einzufangen und wollen diese nun „Ich habe nach langer Zeit wieder Fleisch gab.“ gerne hier widergeben. eine große Portion gegessen und es „Mir wurde bewusst, dass man auch war super lecker.“ ohne Alkohol Spaß haben kann.“ So eine Grillfeier kann also nicht nur für den Magen etwas Gutes sein, sondern durchaus auch für die Seele . Jonathan Gutmann und Tanja Martinek (Pflegemitarbeitende der Stationen Taunus 1 und Taunus 2) „Ich hätte nicht gedacht, dass manche Mitarbeiter so locker „Die entspannte Atmosphäre und „Die Gemeinschaft hat mir sein können.“ ausgelassene Stimmung fand ich wirklich gut getan.“ „Hätten manche Mitarbeitende kein Namens- klasse, so konnte ich wenigstens mal schild getragen, wäre nicht aufgefallen, dass für einige Zeit meine Probleme man hier in einer Psychiatrie ist. Dass das vergessen.“ Personal gemeinsam mit Patientinnen und Pa- tienten feiert, hätte ich vorher nicht für möglich gehalten.“ „Mal wieder für viele Leute grillen, das hat richtig Spaß gemacht.“ „Ich werde nach meine Entlassung darauf achten, dass ich wieder mehr Gemeinschaft erlebe.“ „Die Vorbereitung mit anderen Patient*innen und Frau Martinek war „Ich habe viele neue Ideen bekommen, was sehr interessant und es wurde dabei das Würzen angeht und auch das gegrillte viel gelacht.“ Gemüse war prima.“ Taunus Magazin | 1. Ausgabe 2021 – Seite 18 Seite 19 – Taunus Magazin
5 Fragen an André Beaupain Die Hygieneschutzmaßnahmen bringen neben Im Suchthilfebereich ist eine wesentliche einem Sicherheits- und Schutzaspekt auch Stütze der Nachsorge zum Glück erhalten bestimmte Problematiken mit sich. Wie haben geblieben: Die Reha-Kliniken, die Entwöh- André Beaupain sich beispielsweise die Kontaktbeschränkun- nungsbehandlungen anbieten, sind auch wäh- Dipl. Sozialwirt/Sozialdienst gen, das Maskentragen oder die Einhaltung rend der Corona-Pandemie die ganze Zeit über der Abstandsregelungen auf Ihre Arbeit aus- offengeblieben und haben unsere Patient*in- gewirkt? nen auch weiterhin übernommen. Natürlich nur nach aktuellem negativen Corona-Test, Da könnte man natürlich vieles nennen. Zum und oft mussten wir auch eine Überbringung Beispiel hatten wir als Sozialdienst schon gewährleisten, da eine Anreise mit öffentli- lange keine Team-Supervision mehr, einen chen Verkehrsmitteln nicht gewünscht war. geplanten Team-Tag mussten wir ausfallen lassen, Fortbildungen wurden verschoben oder abgesagt. Einzelne von uns mussten auch Konnten zu den neu auftretenden Problema- Wie genau hat sich Ihre Arbeit während der schon in Quarantäne, Kolleginnen mussten tiken in dieser Pandemie auch neue Lösungs- Corona-Pandemie verändert? dann die Vertretung übernehmen. Und natür- ansätze hinsichtlich der Beratung und Unter- lich ist die Kontaktpflege insgesamt mit den stützung psychisch erkrankter Menschen Zunächst einmal bin ich sehr dankbar, dass Kolleginnen und Kollegen, aber auch mit den entwickelt und genutzt werden? Wenn ja, sich unsere Tätigkeit weitaus weniger stark ver- Kooperationspartnern, schwieriger geworden. welche? ändert hat als etwa diejenige von Menschen, die im Einzelhandel, in der Gastronomie oder Daneben gibt es natürlich auch „echte“ tech- Ich glaube, dass die Online-Beratung ganz neu in anderen Bereichen der Wirtschaft arbeiten, nische Ausfälle, die wir immer versuchen so entdeckt wurde. Viele Beratungsstellen bie- die aktuell still stehen und wo Menschen in schnell wie möglich zu beheben. Auch hier ten mittlerweile Beratung per Skype an, und Lieber Herr Beaupain, Sie sind seit vielen Jah- ihrer Existenz gefährdet sind und viele auch arbeiten wir daran, diese Probleme früher zu für einen Teil unserer Patient*innen senkt das ren im Sozialdienst der Klinik Hohe Mark tä- schon ihre Arbeitsstellen verloren haben. erkennen und durch Erneuerungen betroffe- die Hemmschwelle, eine Beratung in Anspruch tig. Was gehört eigentlich alles zu Ihrem Auf- ner Systeme am besten vor dem Auftreten des zu nehmen. Auch bei den Selbsthilfegruppen Aber klar: Auch bei uns hat sich das Arbei- Problems vorzubeugen. Wir sind uns also der gibt es mittlerweile sehr viele Angebote per gaben- und Tätigkeitsbereich? ten verändert in einer Weise, die uns vor viel- Tatsache bewusst, dass es offene Baustellen Online-Meetings. Aus meiner Sicht können Im Sozialdienst beraten wir die Patient*in- fältige Herausforderungen stellt. Und dabei gibt – dennoch gibt es Bereiche, in denen wir solche Meetings die Vorteile des persönlichen nen bei allen sozialen Problemen. Oft geht es denke ich nicht nur an das Tragen des Mund- leider nur bei der Problemvermeidung beraten Kontakts zwar nie voll ausgleichen. Sie haben dabei um finanzielle Sorgen, Themen rund Nasen-Schutzes im Kontakt mit Patient*in- können. aber doch manchmal große Vorteile. Ich denke ums Wohnen, Probleme am Arbeitsplatz oder nen oder Kolleg*innen. Zwar mussten wir zu zum Beispiel an einen persischen Patienten im wegen Arbeitslosigkeit, oder auch um Kontak- keinem Zeitpunkt ins Home-Office wechseln, Haus Taunus, der nicht besonders gut deutsch te mit Ämtern und Behörden. Außerdem sind aber zu Beginn der Pandemie im März und Wie nehmen Sie das ambulante Hilfe- und sprach. Meine Kollegin hatte den Auftrag, für wir Ansprechpartner bei Fragen zu nicht-ärzt- April 2020 habe ich eine Reihe von Patient*in- Unterstützungssystem in Coronazeiten wahr? ihn nach einer persisch-sprachigen Selbsthil- licher Nachsorge. Da geht es zum Beispiel um nenberatungen telefonisch durchgeführt. Was lief bisher gut und wo müsste nachgebes- fegruppe zu recherchieren. In Frankfurt oder Betreutes Wohnen, Rehabilitationen, Finden Das hing mit dem Ansatz zusammen, dass je- sert werden? Umgebung war uns aber kein solches Angebot einer geeigneten Tagesstruktur. Wir bera- de*r Mitarbeiter*in möglichst nur Kontakt zu bekannt. Schließlich fand sich eine Gruppe Mitarbeitenden und Patient*innen von einer Ich habe den Eindruck, dass zum Beispiel ten die Patient*innen zu diesen Themen und in Iran, die sich per Online-Meeting trifft und einzigen Station haben soll. Ich habe dann eine die Suche nach einem guten Platz in einem unterstützen sie oft auch bei der Antragstel- der sich unser Patient angeschlossen hat. Ob Station in persönlichen Kontakten betreut, die Wohn- oder Pflegeheim deutlich schwieriger lung, wenn vor der Aufnahme erst ein Kosten- das auch ohne die Veränderungen durch die Patient*innen von anderen Stationen aber nur geworden ist. Viele Häuser hatten phasenwei- träger sein „Okay“ geben muss. Corona-Pandemie möglich gewesen wäre? im Rahmen telefonischer Beratungen. Mittler- se Aufnahmestopp, teils auch für einen langen weile wird dies aufgrund unserer bewährten Zeitraum. Kontakte im Rahmen des Betreuten Hygiene-Ordnung aber wieder etwas lockerer Wohnens in der eigenen Wohnung wurden gesehen und ich habe in Vertretungszeiten teils nicht mehr in persönlichen Begegnungen, auch wieder Kontakt zu Patient*innen von ver- sondern durch Telefonate erledigt. Tagesstät- schiedenen Stationen. Natürlich immer unter ten oder Tagespflege-Einrichtungen hatten zeit- Beachtung der Hygiene-Vorschriften. weise geschlossen oder arbeiteten nur noch mit ihren alt-bekannten Gästen, ohne neue Patient*innen aufzunehmen. Das hat die Arbeit natürlich erschwert. Taunus Magazin | 1. Ausgabe 2021 – Seite 20 Seite 21 – Taunus Magazin
Lotsennetzwerk Rhein-Main stellt sich Über den folgenden Link können Sie uns Der Lotse ist wie ein Pate, der unterstützend zur kennenlernen: Seite steht und die Gespräche sind ganz vertrau- lich! Seit 2019 gibt es die Verbindung zur Klinik https://www.youtube.com/watch?v=T1uuKy- Hohe Mark durch Prof. Dr. Steffens ebenso zur g2u3s Tagesklinik in Frankfurt durch Dr. Seehuber. 2020 haben wir das Projekt im Team von Frau Dr. Neddens vorgestellt und es wurde sehr gut angenommen. Seitdem stehen wir im regel- mäßigen Kontakt und mein Kollege Herr Jost Schmidt bietet für die Patienten eine Vorstellun- In dem Erklärvideo sieht man, dass es wichtig ist, grunde 1x im Monat an. sich zu öffnen, wieder Vertrauen zu gewinnen und Unser Angebot ist eines von vielen Angeboten, nicht als haltloser Säufer dargestellt zu werden die es in der Suchthilfe gibt. und wieder Teil der Gesellschaft und der Familie zu sein. Es ist freiwillig und kann jederzeit beendet werden. Zu Beginn gibt es ein Erstgespräch zum Ein Weg beginnt immer mit dem ersten Schritt! Kennenlernen. Liebe Leser und Leserinnen des Taunus-Magazins, heute möchte ich Ihnen das Sucht-Lotsennetzwerk Rhein-Main kurz vorstellen. Wir begleiten und unterstützen Suchtbetroffene und ihre Angehörigen in ein suchtfreies Leben, so sie für sich diesen Entschluss gefasst haben und bereit sind, dies mit einem Lotsen zu tun. Der Lotse kommt selbst aus der Sucht und weiß genau von was er spricht. Er begegnet seinem Gegenüber mit Respekt und auf gleicher Augenhöhe. Unser Slogan: „Ein Netz das auffängt und hält.“ Die Sucht gemeinsam überwinden, mit Unterstützung von Men- schen, die das gleiche Leid erlebt und am eigenen Körper erfahren haben, ob als Betroffener oder Angehöriger. Sie sind bei uns herzlich Willkommen. Es geht hierbei auch um die eigene Daseinsfürsorge. Sucht ist die häufigste Erkrankung in Deutschland und kann Jede und Jeden tref- fen. In unserer 1x1 Begleitung können wir ganz individuell auf die Betroffenen eingehen. Wir schauen mit Jedem einzelnen, was er/ sie braucht, was ihm/ihr guttut, was Stress abbaut und Entlastung bringt. Es ist gut jemanden an seiner Seite zu haben, der einen versteht und weiß von was man spricht. Dazu muss man aber auch wissen, dass es uns gibt. Das Lotsennetzwerk will eine Brücke bauen zwischen beruflicher Suchthilfe und Suchtselbsthilfe, je nachdem was für die einzelne Person notwendig ist. Taunus Magazin | 1. Ausgabe 2021 – Seite 22 Seite 23 – Taunus Magazin
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