Theodosia - SCSC Ingenbohl

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Theodosia - SCSC Ingenbohl
Theodosia
1/2017
Theodosia - SCSC Ingenbohl
Theodosia - SCSC Ingenbohl
Zeitschrift der
Barmherzigen Schwestern
vom heiligen Kreuz
Institut Ingenbohl
CH-6440 Brunnen

132. Jahrgang Nr. 1/2017
Theodosia - SCSC Ingenbohl
Redaktionsteam:
    Schwester Christiane Jungo
    Schwester Edelgund Kuhn
    Schwester Anna Affolter
    Schwester Elsit J. Ampattu
    Schwester Dorothee Halbach

    Adresse:
    christiane.jungo@kloster-ingenbohl.ch

    Druck:
    Triner Media + Print
    6430 Schwyz

    Umschlag:
    Schwester Gielia Degonda
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Theodosia - SCSC Ingenbohl
Inhalt
                                                                            Theodosia 2017, 1

Bild                                    4    Vision 2020 – Kloster Hegne                  25
                                             «ein geprägter Ort»
Editorial                               5    Sr. Josefa M. Harter, Hegne,
Sr. Christiane Jungo                         Provinz Baden-Württemberg

Das Gebet des Bruder Klaus              7    Führen mit einer Vision in Zeiten            29
P. Josef Rosenast SAC, Bruder-­­             grosser Veränderungen
Klausen-Kaplan Sachseln, Schweiz             Sr. Magdalena Walcher, Wels,
                                             Provinz Europa Mitte
Das Rad des Bruder Klaus                9
nach Josua Boesch                            Kurznachrichten aus unseren                  33
Sr. Christiane Jungo, Ingenbohl,             Provinzen und Vikariaten
­Mutterprovinz Schweiz                       Volksmission in Brasilien
                                             Sr. Gabriella Di Mouro, Nova Iguaçu,
Das «Buch» des Bruder Klaus             10   ­Vikariat Brasilien
Nach einer Predigt von P. Josef Banz,
† 2012, ehemaliger Bruder-Klausen-­          Mitteilungen der Generalleitung              36
Kaplan
                                             Verstorbene Schwestern                       37
«Den Strom nicht stauen,                12   im Jahr 2016
­sondern ihm ein Bett anweisen»
 P. Theodosius Florentini
 ­(1808–1865)
Sr. Zoe Maria Isenring, Ingenbohl,
­Mutterprovinz Schweiz                                                                          3
Theodosia - SCSC Ingenbohl
Älteste Statue von
    Bruder Klaus, um 1504, im
    Rathaus zu Stans CH
    (Aufnahme Fotolia).
4
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Editorial

Das Jahr 2017 steht in der Schweiz im Zeichen des Landesheiligen Niklaus von
Flüe, liebevoll «Bruder Klaus» genannt. 1417 ist er geboren, 1487 gestorben. Da-
zwischen liegt ein Leben als Bauer, als Ehemann und Familienvater von zehn Kin-
dern, als Mann mit öffentlichen Ämtern, als Einsiedler, als Ratgeber und Friedens-
stifter, immer als Sucher nach dem «Einig Wesen». Er hat sich nicht selbst geführt,
sondern wurde von Gott geführt, bis er ab 1467 20 Jahre lang als Einsiedler und
Mystiker im Ranft in einer einfachen Klause lebte. Nicht irgendwo in der Fremde,
sondern unweit seines Wohnortes führte er ein Leben mit der Schau in die Tiefe
des Glaubens und mit einem Sinn für das konkrete Leben. Gleichsam der Welt
entflohen, kam die Welt zu ihm. Immer mehr wurde er als Mann Gottes und als
Ratgeber wahrgenommen. Bis heute geht eine Faszination von ihm aus, sind sei-
ne Impulse Hilfen zu einem Leben «verbunden mit Gott und offen für die Men-
schen», im Jubiläumsmotto ausgedrückt mit «Mehr Ranft».
Im Zusammenhang mit Bruder Klaus bringt die «Theodosia» als Beiträge:
«Das Gebet des Bruder Klaus», «Das Rad des Bruder Klaus nach Josua Boesch»
und das «’Buch’ des Bruder Klaus».

Am 15. August 2016 präsentierte Sr. Zoe Maria Isenring das neue Theodosiusbuch
«Man muss den Strom nicht stauen, sondern ihm ein Bett anweisen». In der «Theo-
dosia» sind die vorgestellten Texte auf den Seiten 12 – 24 für alle verfügbar und
regen zum Lesen des Buches an.

Alle Ordensgemeinschaften stehen seit Jahren in Veränderungsprozessen von
bisher unbekanntem Ausmass. Nach innen und nach aussen hat sich ihr Erschei-
nungsbild verändert und verändert sich weiterhin. Auch die Lebensform selbst
steht im Wandel. Angebahnt haben sich die Veränderungen schon vor längerer
Zeit, aber plötzlich sind sie nah und da. Es ist höchste Zeit, sie bewusst wahrzu-
nehmen und darauf zu reagieren. Die Dinge beim Namen zu nennen, nimmt die
Unsicherheit und Ungewissheit zwar nicht weg, aber es bringt einen kleinen Schritt
weiter. Der Provinzoberinnen-Kongress 2016 hat sich mit dem Thema befasst
(s. «Theodosia» 2016, 4). Jede Provinz, jedes Vikariat geht den Veränderungspro-
zessen im konkreten Lebensumfeld unterschiedlich nach, weil sie sich auch auf
verschiedenen Ebenen auswirken.
Die Provinz Baden-Württemberg beschäftigt sich schon längere Zeit mit Verände-
rungsprozessen und teilt ihre Erfahrungen mit uns: «Vision 2020 – Kloster Hegne
‹ein geprägter Ort›».
                                                                                      5
Theodosia - SCSC Ingenbohl
Auch die Provinz Europa Mitte ist initiativ geworden und nimmt uns mit auf ihren
    bisherigen Weg unter dem Titel «Führen mit einer Vision in Zeiten grosser Verän-
    derungen».

    Unter «Kurznachrichten aus unseren Provinzen und Vikariaten» lernen wir «Volks-
    mission in Brasilien» als hilfreiche Form der Evangelisierung kennen.

    Durch die «Mitteilungen der Generalleitung» erfahren wir von Ernennungen und
    von bevorstehenden Generalvisitationen. Angefügt ist eine kleine Statistik des
    Jahres 2016.

    Traditionsgemäss führt die Nummer 1 eines neuen Jahres alle verstorbenen
    Schwestern des vergangenen Jahres auf: «Eingegangen in Gottes Verheissung».
    Mit Hilde Domin dürfen wir für jede sagen: «Es blüht hinter dir her.»

    Sr. Christiane Jungo
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Das Gebet des Bruder Klaus
P. Josef Rosenast, SAC, Wallfahrtskaplan in Sachseln, Schweiz

Als Vorbereitung auf den Tag des Geweihten Lebens im Mutterhaus führte P. Josef Rosenast in zwei
Impulsreferaten zu Schwerpunkten im Leben des heiligen Bruder Klaus. Im kurzen Ausschnitt folgen
wir seinen Gedanken zum Gebet des Bruder Klaus.

Das Gebet                                        begegnet war wie dem Apostel Tho-
                                                 mas.
Mein Herr und mein Gott,
nimm alles von mir,                              Nimm alles von mir, was mich
was mich hindert zu dir.                         hindert zu dir …
Mein Herr und mein Gott,
gib alles mir,                                   Niklaus von Flüe hat erkannt, was das
was mich fördert zu dir.                         wirklich Wesentliche ist für unsere Exis-
Mein Herr und mein Gott,                         tenz und unsere Beziehung zu unserem
nimm mich mir                                    Schöpfer und Erlöser. Wenn Jesus
und gib mich ganz zu eigen dir.                  Christus das Wesentlichste in meinem
                                                 Leben sein soll, dann muss zuerst ein-
Mein Herr und mein Gott …                        mal alles weggeräumt werden, was die-
                                                 se Beziehung zu Jesus stören oder blo-
Schon die Anrede in diesem Gebet ist             ckieren könnte: Frau, Kinder, Haushalt,
bedeutsam: «Mein Herr und mein Gott.»            Karriere, Essen, Wärme, der gute Ruf …,
Damit anerkennt Niklaus von Flüe, dass           alles wurde ihm genommen.
es eine Autorität über ihm gibt, der er          Auch wir alle müssen uns immer wieder
sich unterordnet. Auch wenn er als ehe-          fragen, welche Dinge aus unserem Le-
maliger Familienvater, Unternehmer,              ben verschwinden müssten, damit Er
Politiker und Richter selber ein Mensch          voll und ganz zum Zug kommen kann.
mit Autorität ist, so ist ihm klar, dass es      Dinge wie: Zerrbilder und falsche Vor-
noch eine Instanz über ihm gibt. Ich bin         stellungen von Gott – Misstrauen gegen
als Mensch nicht mein eigener Chef, ich          Gott – Sünde – ungesunde Bindungen
habe einen Herrn über mir. Und so                (an Personen, an den Zeitgeist;
sprach der Apostel Thomas Jesus an               schlechte Gewohnheiten, Süchte …) –
bei der Begegnung mit Ihm nach der               multimediale Zerstreuung (TV, Inter-
Auferstehung (Joh 20,28), als er mit Be-         net…) – Orientierung am Diesseits – An-
stimmtheit erkannte, dass Jesus nicht            sehen vor der Welt – die Meinung der
mehr tot war, sondern wirklich lebte.            andern über mich – Egoismus – Materi-
Und Bruder Klaus wollte hiermit sagen,           alismus – Zeitmangel – Sorgen und
dass ihm Jesus so klar und lebendig              Ängste – Bequemlichkeit – Resignation
                                                                                                   7
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– … All das und andere Hindernisse        Korrekturbereitschaft – Leidensbereit-
    sollen verschwinden mit Gottes Hilfe.     schaft – Dienstbereitschaft usw.
                                              Nimm mich mir und gib mich ganz zu
    Gib alles mir, was mich fördert           eigen dir …
    (führet) zu dir …                         Wenn ich mein Ego und seine kurzsich-
                                              tigen Wünsche und Begehrlichkeiten
    Wenn das weg ist, was meine Bezie-        loslasse, dann gewinne ich mein wah-
    hung zu Gott hindert und blockiert,       res Ich, also meine Identität, meine Be-
    dann ist das nächste Anliegen, dass       rufung und meine Lebenserfüllung in
    Gott mir alles gibt, was mich näher zu    Gott. Dann werden meine tiefsten
    Ihm bringt. Und auch hier muss jede       Sehnsüchte gestillt. Dann ist Gott wirk-
    und jeder von uns prüfen, was auf uns     lich Gott, und ich bin wirklich ich. In der
    zutreffen könnte, und dann Gott, wo nö-   Beziehung zu Gott gewinnen wir am
    tig, auch konkret darum bitten, dass      meisten, wenn wir alle Dinge und uns
    diese Dinge in unserem Leben mehr         selber komplett loslassen. Weil Gott
    Gestalt gewinnen, damit Gott voll und     wirklich unser Wohl will und weil er am
    ganz zum Zug kommen kann. Dinge           besten weiss, worin es besteht.
    wie: Liebe – Versöhnungsbereitschaft
    – Vergebung – Barmherzigkeit – Glau-      Übrigens kannte Martin Luther das Ge-
    ben und Vertrauen – Führung durch den     bet von Bruder Klaus und erwähnte es
    Heiligen Geist – Orientierung am Jen-     in einer seiner Schriften. Bruder Klaus
    seits – offenes Herz für Gott – offenes   stand bei ihm in hohen Ehren. – Das
    Herz für unsere Mitmenschen – Zeiten      Gebet war zuerst bei den Lutheranern,
    der Stille für die Begegnung mit Gott –   dann erst bei den Katholiken, sehr be-
    Interesse an der Bibel und Verständnis    liebt.                              r
    für ihre Aussagen – Gemeinschaft mit      Quellen: «Mystiker – Mittler – Mensch» (Jubilä-
    anderen Christen – Lernbereitschaft –     umsbuch 2017)
8
Das Rad des Bruder Klaus nach Josua Boesch
Sr. Christiane Jungo, Ingenbohl, Mutterprovinz Schweiz

                                                  halfen ihm Bruder Klaus und Franz von
                                                  Assisi. Bruder Klaus besonders in der
                                                  Zeit, als sich Josua Boesch in seinem
                                                  52. Lebensjahr als engagierter Pfarrer
                                                  von Amt und Familie trennte und kunst-
                                                  schaffender Eremit wurde. Die Begeg-
                                                  nung mit Franziskus und mit dem Kreuz
                                                  von San Damiano waren für ihn ent-
                                                  scheidend. Vor diesem Kreuz wurde er
                                                  angehaucht vom Auferstandenen, der
                                                  ihm mit ausgestreckten Armen entge-
                                                  genschaute. Diese Begegnung prägte
                                                  ihn ganz tief. Franziskus führte ihn
                                                  durch Zufälle und Fügungen nach Itali-
                                                  en, nach Camaldoli in der Toskana.
Ikone von Josua Boesch.                           Die Ikonen und seine zürichdeutschen
                                                  Übertragungen der Bibel waren für Jo-
Dem Neujahrsbrief 2017 unserer Gene-              sua Boesch Formen spiritueller Ausein-
raloberin, Sr. Marija Brizar, ist eine Iko-       andersetzung mit dem Geheimnis der
ne mit dem Rad-Symbol des Bruder                  Auferstehung. Deshalb bildet die Mitte
Klaus vorangestellt. Gestaltet wurde sie          des von ihm gestalteten Rades die Ge-
von Josua Boesch, 1922 – 2012, der                stalt des Auferstandenen.
Künstler, reformierter Pfarrer und Eremit         Die anschliessenden Ausführungen von
war. Sein Leben war von Veränderungs-             P. Josef Banz können uns helfen, uns
prozessen geprägt. Im Laufe der Jahre             der Symbolik des Meditationsrades zu
fühlte er sich immer mehr zur Kontem-             nähern, das Bruder Klaus selber sein
plation hingezogen. Zum Durchbruch                «Buch» nannte.                     r
                                                                                           9
Das «Buch» des Bruder Klaus
     Nach einer Predigt von P. Josef Banz, ehemaliger Wallfahrtskaplan in Sachseln, † 2012

     Bruder Klaus war zeit seines Lebens auf           sind unteilbar in ewiger Macht. Das be-
     der Suche nach dem «Einig Wesen». Er              deutet diese Figur.»
     wollte Erde und Himmel, Welt und Gott
     miteinander verbinden. Auf dieser Su-
     che stiess er immer wieder auf den
     dreifaltigen Gott: So begegnete er drei
     Männern; in der Brunnenvision floss
     eine dreifache Quelle; der geheimnis-
     volle Pilger sprach «drei vollkommene
     Worte» aus.

     Im Ranft fand Bruder Klaus ein Zeichen,
     in dem er das übersprudelnde Leben
     des dreifaltigen Gottes dargestellt sah:
     Das Rad-Symbol. Es eröffnete ihm das
     Geheimnis des dreifaltigen Gottes:

     Dem Autor des «Pilgertraktates» (1487)
     zeigte Bruder Klaus sein «Buch»:
                                                       Das Rad nach dem Pilgertraktat.
     «Wenn es dich nicht verdriesst, will ich
     dich auch mein Buch sehen lassen, in
     dem ich lerne und suche die Kunst die-            Der kleine Punkt in der Mitte bedeutet
     ser Lehre. Und er brachte mir eine ge-            für Bruder Klaus das Geheimnis Gottes.
     zeichnete Figur, vergleichbar einem Rad           Der kleine Kreis, der ihn umgibt (die
     mit sechs Speichen. – Und er fing an              Nabe) ist der Himmel, wo Gott und die
     und sagte zu mir: Siehst du diese Fi-             Heiligen eine grosse Gemeinschaft bil-
     gur? So ist das göttliche Wesen. Der              den. Der Reifen ist die geschaffene Welt
     Mittelpunkt ist die ungeteilte Gottheit,          und unsere Lebenswirklichkeit.
     darin sich alle Heiligen erfreuen. Die
     drei Spitzen, die zum Punkt des inneren           Drei Strahlen gehen aus von der Mitte.
     Zirkels führen, sind die drei Personen;           Das liess Bruder Klaus das Wunder er-
     sie gehen von der einigen Gottheit aus            leben, dass Gott nicht in sich bleiben
     und haben umgriffen den Himmel und                will, sondern dass er dynamisch ist. Er
     alle Welt, sie sind in ihrer Gewalt. Und          will aus sich heraustreten, das Du su-
     wie sie von der göttlichen Gewalt aus-            chen. Gott ist Liebe. – Und drei Strahlen
     gehen, so führen sie wieder hinein und            weisen zur Mitte. Gott möchte eine Ant-
10
wort empfangen: den Lobpreis der           Der Lebensvorgang im Inneren Gottes
Schöpfung, die Anbetung seiner Ge-         betrifft auch uns Menschen. Denn der
schöpfe, die Liebe derer, die von seiner   eine Gott ist Urbild des einzelnen Men-
Liebe ergriffen sind.                      schen, der dreifaltige Gott ist Urbild der
Bruder Klaus war überwältigt vom im-       menschlichen Gemeinschaft.
mer wiederkehrenden Lebensvorgang          Im Radsymbol sieht Bruder Klaus, wie
mit einer ungeheuren Dynamik und un-       Vater, Sohn und Heiliger Geist Himmel
vorstellbaren Lebensfülle, vom Hinaus-     und Erde, die ganze geschaffene Welt
strömen und Zurückfluten der Liebe. Er     und alle Menschen umgreifen, sie mit
bricht aus seinem innersten Geheimnis      ihrem Leben erfüllen und in den Schoss
heraus und kehrt dorthin zurück. Der       ihrer Liebe zurückholen.
Vater spricht sich aus im WORT, im         Das ist der tiefste Ruf auch an unser
Sohn Gottes. Aus der Liebe zwischen        Leben: Gott ist unterwegs zu uns in ei-
Vater und Sohn erwächst der Heilige        ner tiefen und suchenden Liebe. Gott
Geist. Der eine Gott faltet sich ausein-   möchte unsere Antwort, unsere Hin-
ander in drei Personen – als der Drei-     wendung zur Mitte, unsere herzliche
faltige – und fügt sich doch wieder in     Antwort auf seine Liebe.
Einheit zusammen – als der Drei-einige.                                           r

                                                                                        11
«Man muss den Strom nicht stauen, sondern ihm
     ein Bett anweisen»
     Der Einsatz von P. Theodosius Florentini für christliche Institutionen
     Sr. Zoe Maria Isenring, Ingenbohl, Mutterprovinz Schweiz

     Grundlage dieses Artikels ist das Wort von P. Theodosius Florentini: «Man muss den Strom nicht
     stauen, sondern ihm ein Bett anweisen.» Dieser Text wurde zum Teil am 15. August 2016 zur Präsen-
     tation des neuen Buches über P. Theodosius vorgetragen. Sr. Zoe Maria Isenring las die erläuternden
     Zwischentexte und Frau Leontina Lechmann, eine Schauspielerin, die Zitate von P. Theodosius. Titel
     des Buches: Sr. Zoe Maria Isenring, «Man muss den Strom nicht stauen, sondern ihm ein Bett anwei-
     sen» – P. Theodosius Florentini (1808–1865). Academic Press Fribourg 2016

     Von seiner Heimat im Münstertal GR                     der durch das Münstertal fliesst und bei
     hatte P. Theodosius die Erfahrung, was                 Unwettern viel Geröll mit sich trägt, be-
     ein Fluss anrichten kann, wenn ihm kein                reitete den Bewohnern bis in die neues-
     Bett zugewiesen wird. Der Rombach,                     te Zeit Sorge. Immer wieder über-

     Rombach bei Müstair (Foto Valentin Pitsch, Müstair).
12
schwemmte er das Tal und richtete           hungsstätten für Jugendliche, Fabriken
gros­sen Schaden an. Wie immer, wenn        … Sie sollten sich zum Wohl der Men-
P. Theodosius einer Not begegnete, galt     schen auswirken.
sie ihm als Anruf, sie zu beheben. Der
Fluss musste korrigiert werden. Seine       Das christlich-katholische Leben
Landsleute verweigerten ihm die Zu-         neu beleben
stimmung. Er begriff nicht, schlug sein
Käppchen über den Tisch und rief ent-       Bei meiner Vertiefung in Leben und
rüstet aus: «Vu eschat asens» – ihr seid    Werk von P. Theodosius fiel mir beson-
Esel! P. Theodosius gab nicht auf, inter-   ders auf, was er zur Wiedergeburt der
venierte beim Kloster und erreichte,        katholischen Kirche zunächst der
dass dieses den geschädigten Bauern         Schweiz beitrug. Die katholische Kirche
zum jährlichen Pachtzins von 390 Fran-      schien im 19. Jahrhundert ausgedient
ken Land vermietete.                        zu haben. Der Sonderbundskrieg von
Wie P. Theodosius hier in einer konkre-     1847 mit der politischen und militäri-
ten Situation handelte, ist ein Bild für    schen Niederlage der katholischen
das, wie er mit Menschen und Situatio-      Kantone und die Gründung des Bun-
nen umging. Er erlebte den Übergang         desstaates 1848 lasteten wie ein Trau-
von der geschlossenen, weltanschau-         ma auf der katholischen Schweiz. Die
lich einspurigen Gesellschaft in die mo-    kantonalen Konfessionsstaaten ver-
derne, offene, pluralistische Gesell-       schwanden im Bundesstaat. Die Katho-
schaft. Er spürte, dass moderne Insti-      liken stellten die kleinere und schwä-
tutionen die Zukunft bestimmen werden       chere Konfessionsgruppe dar; sie sa-
und sich zum Wohl der Menschen aus-         hen sich in eine ausgesprochene
wirken können. Er erkannte aber auch,       Minderheitslage versetzt, fühlten sich
dass sie zugleich Momente in sich tru-      im Bundesstaat diskriminiert und ka-
gen, die Schaden anrichten werden,          men sich als Hinterbänkler und Eidge-
wenn sie sich lösen vom Grundstrom          nossen zweiter Klasse vor. Eine gewis-
des christlichen Glaubens.                  se Lethargie und Stagnation trat ein.
Dieser Grundstrom sollte in alle Berei-
che hineinwirken, sie beleben und mo-       Nach dem Tod von P. Theodosius sagte
difizieren, ihnen Richtung weisen und       ein schweizerischer Abgeordneter an
Tiefe verleihen. Für sie schuf er «Bach-    die deutsche katholische Generalver-
bette», sei es in der Pastoral, seien es    sammlung des Piusvereins:
Gottesdienstformen, Vereine, Ordens-        Wie oft hat der Selige in Deutschland
gemeinschaften, Schulen und Erzie-          und in der Schweiz, dies- und jenseits
                                                                                      13
des Rheins, Sie in Ihren grossen Katho-    das Priestertum und der von diesem
     likenversammlungen, uns in unseren         ausgehende Geist der Seelsorge. Als
     bescheidenen Piusvereinen für die          Seelsorger war er Schulmann und Pä­
     hohe Mission der christlichen Wieder-      da­goge. Als Seelsorger ging er an die
     geburt unserer Zeit begeistert und ge-     Lösung der sozialen Zeitfragen heran.
     einigt!                                    Als Seelsorger näherte er sich der In-
     Wollte P. Theodosius das katholische       dustrie und wollte dem Arbeiter zu Hilfe
     Leben in der Schweiz neu beleben,          eilen.
     musste er seinen Blick auch auf die Ver-   Aus dieser Perspektive sollen jetzt Hin-
     einigung der Katholiken im öffentlichen    weise auf einige «heilende Bachbette»
     Leben richten. Immer ging es ihm dar-      angeführt werden, für die sich P. Theo-
     um, die Kräfte zu sammeln und zu ei-       dosius einsetzte
     nen. Zunächst galt sein Interesse dem
     Piusverein. Sein Mitbruder P. Cajetan       Reform der Sonntags- und
     schreibt:                                  ­Fortbildungsschulen
     Er suchte das Gefühl der Zusammenge-
     hörigkeit unter den Katholiken zu we-      P. Theodosius erkannte die Notwendig-
     cken und ihnen eine bessere Meinung        keit, die der Schule entlassenen Ju-
     von sich selber beizubringen … . Er        gendlichen bis 18 Jahre zu erfassen
     wollte der albernen Meinung begegnen,      und religiös zu beeinflussen. Praktisch
     als ob die Katholiken das Wort Gottes      und freimütig sprach er über die dama-
     nicht hätten und dasselbe nicht verkün-    lige Einrichtung der Sonntags- und
     digen dürften oder könnten.                Fortbildungsschule in Chur. Wir verneh-
                                                men seine Äusserungen aus einem Bei-
     Einsätze aus der Mitte seiner              trag in der SGG in Frauenfeld 1861:
     Berufung als Seelsorger – «heilende        Ich will erzählen, wie es bei uns steht in
     Bachbette»                                 Chur. Wir haben dort eine Lehrlings-
                                                schule von 9–11 und von 1–3 Uhr. Nun
     Mit dem Eintritt in den Kapuzinerorden     ist betreffend dieselbe folgendes zum
     äusserte sich bei P. Theodosius der Wil-   Vorschein gekommen. Die Fortschritte
     le, Gott in die Mitte seines Lebens zu     sind ordentlich, die Handschriften rein-
     setzen. Spürbar wurde dieser Wille vor     lich. Alle Meister sind beteiligt, dass sie
     allem in seinem Sendungsverständnis.       ihre Lehrlinge in dieselbe schicken sol-
     Seine Vision spiegelt sich in einer kaum   len. … Aber ich habe keine Lehrlinge
     überschaubaren Vielzahl von Aktivitäten    mehr in die Kirche gebracht. … Wenn
     wider. Die Mitte seines Lebens aber war    man vier Stunden in der Sonntagsschu-
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Frau Leontina Lechmann und Sr. Zoe Maria.

le gewesen, so mag man nicht noch in         Volksmissionen
die Kirche gehen.» Als Mittel zur Besse-
rung fügte P. Theodosius an: «Ich habe       Die Tradition der Volksmission hatte
40 Sonntagsschulen zu gründen ver-           sich bei den Kapuzinern in der Schweiz
sucht. Zuerst hat man gemeint: das ist       seit dem 17. Jahrhundert eingebürgert.
schön; man ist dafür begeistert gewe-        Nachdem die Jesuiten 1848 verboten
sen, dann sind sie alltäglich geworden,      worden waren, sprangen die Kapuziner
daher Verminderung der Besuchenden,          in diese Lücke ein. Volksmissionen wur-
zuletzt drei und vier und das Ganze hör-     den ihr traditionelles Arbeitsfeld.
te auf. Da gilt es, bei den Leuten Lust zu   Wie sehr P. Theodosius vom Segen und
wecken, dass sie gerne kommen. Das           der Notwendigkeit der Volksmissionen
geschieht, indem man den Gesang be-          überzeugt war, zeigt uns ein Unterricht
nutzt und gesellige Unterhaltungen an-       auf das Fest des hl. Vinzenz von Paul
knüpft.                                      am 19. Juli. Er schreibt:
                                             Man sagt: wir haben einen gescheiten
                                             und frommen Pfarrer und genug Unter-
                                                                                       15
richt, was brauchen wir fremde Pries-        verfasste am 24. August 1864 ein Cir-
     ter? Zugegeben, dass euer Pfarrer ge-        cular:
     lehrt und eifrig ist, so bleibt doch wahr,   Um dem hochw. Klerus die so heilsa-
     dass er immer derselbe ist; dass der         men Exerzitien zu ermöglichen wird
     Eindruck seines Unterrichts allmählich       fortan sowohl im bischöflichen Seminar
     geringer wird; dass er in seiner Amts-       in Chur, als im Kollegium Maria Hilf
     verwaltung zuweilen wehe tun muss            Schwyz alle Jahre ein Triduum ange-
     und infolgedessen bei vielen das Ver-        ordnet, also, dass innert 2–3 Jahren der
     trauen verliert; dass trotz seines uner-     gesammte Klerus der Diözese den hei-
     müdeten Eifers durch das Zusammen-           ligen Übungen beiwohnen kann.
     wirken verschiedener Umstände der
     religiöse Sinn erkaltet, die Anhörung        Schwesternexerzitien
     des Wortes Gottes abnimmt, Lauigkeit         Den Höhepunkt der Exerzitientätigkeit
     und Sünde überhandnimmt.                     erreichte P. Theodosius bei den
                                                  Schwestern. Öfters hielt er bei den
                                                  Schwestern in Menzingen Exerzitien.
     Exerzitientätigkeit                          Unvergesslich blieben in der Tradition
                                                  von Ingenbohl die ersten Exerzitien im
     P. Theodosius baute die Exerzitien in        Nigg’schen Hof. Am 5. März 1856
     die gesamte religiöse Erneuerung ein.        schickte Mutter M. Theresia, selbst
                                                  noch in Chur stationiert, einige Schwes-
     Priesterexerzitien                           tern zum Aufräumen nach Ingenbohl.
     Schon im Oktober 1846 führte er mit          Man richtete in grosser Eile einige Räu-
     Professor Bäder in Chur zwei Exerziti-       me ein, denn es galt, das Gebäude not-
     enkurse für Priester durch, die auch Bi-     dürftig für die ersten Exerzitien mit Pro-
     schof Kaspar von Carl mit seiner Teil-       fessfeier vorzubereiten. Für die Exerzi-
     nahme beehrte. 1854 liess Bischof Mi-        tien kamen die Schwestern aus den
     rer in der Kathedrale zu St. Gallen durch    Armen- und Waisenhäusern an. Acht
     P. Theodosius und P. Verekundus Pries-       Novizinnen legten am Ende der Exerzi-
     terexerzitien abhalten. Es beteiligten       tien ihre ersten Gelübde ab; die Pro-
     sich 77 Priester, mit ihrem Bischof an       fessschwestern erneuerten die heiligen
     der Spitze. Schon 1855 kam ein Exerzi-       Gelübde.
     tienkurs in Steinerberg SZ zustande.         Eine Schwester berichtet: «Wenn
     1856 folgte ein Kurs in Altdorf, 1857 ein    P. Theo­dosius am Schluss der heiligen
     Kurs für den Klerus im Schloss Sonnen-       Übungen an die scheidenden Schwes-
     berg TG, 1860 in Schwyz. Theodosius          tern aus der Tiefe des Herzens das letz-
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Das Flötentrio Sr. Johanna Rüegg, Sr. Anna Affolter, Sr. Mirjam Oeschger.

te Abschiedswort richtete, wenn er noch              ein Wort über die Exerzitien zu spre-
einmal die Hand zum Segen ausstreck-                 chen. Nach einigem Zögern begann
te, blieb kein Auge trocken, auch das                Theodosius seine Erklärungen:
seinige nicht.»                                      Wie die Offiziere, Soldaten und Rekru-
                                                     ten von Zeit zu Zeit in Lagern sich sam-
Lehrerexerzitien                                     meln, um sich für die Schwierigkeiten
P. Theodosius hatte im September 1859                des Kampfes zu üben und zu stählen,
in Schwyz Lehrerexerzitien gehalten.                 so haben auch diejenigen, die in geisti-
Darüber reagierten Zeitungen unfreund-               ger Beziehung besondere Berufspflich-
lich. Wie die Volksmissionen erregten                ten zu erfüllen haben, von Zeit zu Zeit
auch die Exerzitien den Unwillen der                 besondere Übungen notwendig. Und
Liberalen, besonders wenn diese aus­                 hieher gehören die Lehrer. In seinen
serhalb eines Klosters stattfanden. Als              Vorträgen habe er ihnen zunächst die
P. Theodosius 1859 in Solothurn bei ei-              Wichtigkeit des Lehrerberufes ans Herz
ner Versammlung der SGG erschien,                    gelegt. Wie die gegenwärtige Generati-
wurde er vom Rektor der zürcherischen                on gebildet werde, so gestalte sich die
Kantonsschule in freundschaftlicher                  künftige Gesellschaft. Er habe zu ihnen
Weise beim Mittagessen aufgefordert,                 über die Pflichten gegenüber den Kin-
                                                                                                17
dern, den Eltern, den Schulbehörden,               schwiegen, andere spendeten ihm Bei-
     der Gemeinde, der Erziehungsbehörde                fall, der Rektor aus Zürich schloss mit
     gesprochen. Dann habe er ihnen ans                 einem Hoch auf den Exerzitienmeister.
     Herz gelegt sich möglichst von Partei-
     ungen fernzuhalten und alle Kinder                 Im Verlauf des Jahres 1855 unterbreite-
     gleichmässig zu behandeln; denn sie                te P. Theodosius dem General der Je-
     seien für die Kinder aller Parteien als            suiten in Rom den Vorschlag, in der
     Lehrer bestellt.                                   Schweiz ein Haus zu gründen, das so-
     Mit diesen Worten machte P. Theodosi-              wohl als Ausbildungszentrum für die
     us den besten Eindruck. Einzelne                   Volksmissionare wie als Exerzitienhaus

     Sr. Zoe Maria Isenring, umrahmt von Sr. Marie-Marthe Schönenberger, Provinzoberin, und Sr. Marija
     Brizar, Generaloberin.
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dienen könnte. Der Generalprokurator       handen, eine konfidentielle Bespre-
des Ordens machte im empfehlenden          chung kann in keinem Fall zum Nachtei-
Sinne dem Provinzial der Kapuziner         le werden. Einigung und festes Wirken
Mitteilung von der Bitte des P. Theodo-    kann nur Segen bringen.
sius und ersuchte ihn um seine Mei-        Er schrieb auch an Bischof Marilley, die
nung. Im Provinzarchiv der Kapuziner       geplante Konferenz sei von sehr gros­
liegen keine Äusserungen vor, die von      ser Bedeutung. Und an den Bischof von
einem solchen Versuch berichten. Erst      Sitten:
viele Jahre später ging dieser Wunsch      Ich erhoffe mit Zuversicht von der Kon-
des P. Theodosius in Erfüllung. Der Je-    ferenz eine neue Kräftigung des katho-
suitenorden übernahm 1929 das ehe-         lischen Glaubens und Lebens unter den
malige Kurhaus und etablierte das ers-     Geistlichen und Gläubigen unserer hl.
te Exerzitienhaus der Schweiz, das «Bil-   Kirche.
dungshaus Bad Schönbrunn».                 Schon Bischof Marilley hatte gewisse
                                           praktische Fragen zur Behandlung
                                           durch die Bischöfe vorgeschlagen, de-
Einsatz für die Einigung der               nen P. Theodosius folgende Punkte hin-
katholischen Schweiz in der                zufügte: Verbreitung guter Bücher und
Schweizerischen Bischofs-                  Zeitungen, Sorge für genügenden
konferenz                                  Priesternachwuchs, Synodalversamm-
                                           lungen und Exerzitien, Vollmachten,
Etienne Marilley, Bischof von Lausanne-    Dispensen und Dispenstaxen, gemein-
Genf (1846–1879), machte bei einem         same Grundsätze für Beerdigung von
Besuch im Ordinariat St. Gallen die        Katholiken, Erziehungsfragen, neutrale
mündliche Anregung zu einer Bischofs-      Schule, Feiertage und Fasttage, Ein-
konferenz. P. Theodosius ging mit Freu-    heits-Katechismus, eine jährliche ge-
de auf den Plan ein und gestand:           meinsame Ansprache der Bischöfe an
Wir haben selbst schon eine Zuschrift      den Klerus und an das Volk, stete Ver-
an sämtliche Ordinariate bearbeitet.       bindung unter den Bischöfen.
Er schrieb am 30. November 1860 an         Am 3. und 4. Dezember 1861 kamen die
das bischöfliche Ordinariat von Chur       Generalvikare zu einer vorbereitenden
und bat um allseitige Empfehlung des       Generalversammlung zusammen, um
Projektes und fügte bei:                   einem seit Langem gefühlten Bedürfnis
Davon darf uns nichts abhalten. Das        entgegenzukommen. 1863 wurde die
Bedürfnis, besonders in Bezug auf          Schweizer Bischofskonferenz als die
Mischehen und Mischschulen ist vor-        weltweit erste Versammlung der Bi-
                                                                                      19
schöfe eines Landes gegründet, die re-      wachsenen entbehren des katholischen
     gelmässig zusammentrifft, rechtlich         Gottesdienstes, sie entbehren des
     strukturiert ist und sich mit kirchlichen   Empfangs der heiligen Sakramente, der
     Leitungsfunktionen befasst.                 Empfang derselben ist wenigstens oft
                                                 mit grossen Schwierigkeiten verbun-
     Aufbau des kirchlichen Lebens               den, sie entbehren all der Anregungen
     in der Diaspora                             zu einem frommen, tugendhaften Wan-
                                                 del, welche der gesamte äussere Ge-
     Die Entstehung der Diaspora: P. Theo-       brauch des Gottesdienstes der katholi-
     dosius kam in eine Zeit, in der die Ver-    schen Kirche so reichlich in sich trägt,
     mischung der Konfessionen wirksam           und es fehlt ihnen in Freud und Leid, im
     wurde. Die in der Verfassung von 1848       Leben und insbesondere im Sterben
     garantierten Freiheiten schufen eine        die treue und trostvolle Hirtensorge ei-
     völlig neue Situation. Die Möglichkeit,     nes katholischen Seelsorgers.
     den Wohnort über die Kantonsgrenzen         P. Theodosius scheute sich nicht, von
     hinaus frei wählen zu können, brachte       den Protestanten zu lernen. Als er 1859
     die Bevölkerung in Bewegung. Das stei-      in Schwyz bei der Versammlung des
     gende Arbeitsplatzangebot der Städte        Piusvereins die inländische Mission an-
     und ihrer Agglomerationen liessen vor       regte und sich für die Katholiken in der
     allem eine Wanderbewegung aus länd-         Diaspora einsetzte, bezog er sich als
     lich-katholischen Gebieten in die städ-     Vorbild auf den Gustav-Adolf-Verein der
     tisch-industriellen Zentren der ur-         deutschen Protestanten. Sie hätten ei-
     sprünglich reformierten Kantone entste-     nen eigenen Verein gebildet für die Un-
     hen. Die aus ländlichen Gebieten            terstützung der protestantischen Inter-
     erfolgten Auswanderungen führten zu         essen in ihrer Diaspora. Er sagte:
     einer Vermischung der Konfessionen          Nehmen wir ein Beispiel an unseren
     und liessen in den reformierten Orten       protestantischen Glaubensbrüdern. Es
     starke katholische Diasporakolonien         ist bekannt, wo ihrer 20–30 in katholi-
     entstehen. Es bestand die Gefahr der        schen Ortschaften niedergelassen sind,
     Entfremdung von der katholischen Kir-       da fordern sie auch eine Kirche, Schule
     che in reformierten Städten.                für ihre Konfession, und sie haben
     Zum Fest des hl. Felix von Valois           recht. Denn da, wo man seinen Kultus
     schrieb er einen Unterricht über die Si-    verbreiten will, muss man auch das Mit-
     tuation der Diaspora-Katholiken:            tel dazu wählen. Aber wir haben ein
     Die Kinder wachsen auf ohne genügen-        gleiches Recht und gleiches Bedürfnis.
     den katholischen Unterricht, die Er-        Was also tun?
20
Es konnte unmöglich an allen Orten, wo       tig gelöst, seinen Nachfolgern auf die-
Katholiken sich in protestantischen Ge-      ser Kanzel den Weg gezeigt».
bieten aufhielten, katholische Pfarreien
mit Kirchen errichtet werden. Man            Einsatz für verschiedene Gruppen
musste zum organisierten Anschluss an        von Armen und Hilfsbedürftigen
angrenzende katholische Gemeinden
Zuflucht nehmen: Einpfarrung von             Die christliche Nächstenliebe richtet
Randkatholiken, Anbindung an Beste-          sich vor allem gegen die Benachteilig-
hendes.                                      ten. An der 5. Generalversammlung des
Das stete Wachstum der Zahlen katho-         Piusvereins sprach P. Theodosius am
lischer Einwohner in Zürcher Gemein-         19./20. August 1862 in Solothurn über
den liess P. Theodosius die zwischen-        das Patronat mit besonderer Beziehung
zeitliche Idee der «Wandermissionare»        zu den Armen, Gesellen, Dienstboten
verwerfen. Es konnten die kantons- und       und Verdingkindern. Mit praktischem
bistumsübergreifenden Notlösungen            Sinn ging er auf die Lebensverhältnisse
überwunden werden. Auf Anregung von          dieser Gruppen ein, um die Notwendig-
Domdekan Greith aus St. Gallen wurde         keit nachzuweisen, dieselben vor sittli-
der Plan gefasst, im Kanton Zürich vier      chen Gefahren und auch vor physi-
Missionsstationen zu errichten: Winter-      schem Elend zu bewahren.
thur, Stäfa/Hombrechtikon, Rüti/Bubi-        Bekannt ist sein Einsatz für die Kinder
kon und Wald/Fischental.                     und Jugendlichen, für die Armen und
Die katholischen Einwohner von Winter-       Kranken. Ich will eine Gruppe von Ar-
thur ergriffen selber die Initiative. 1862   men aufgreifen, die selten erwähnt wird,
erreichten sie die staatliche Anerken-       der wir uns als Gemeinschaft in der
nung einer Kirchgemeinde. Am 10. Au-         Frühzeit sehr zuwandten.
gust 1862 konnte P. Theodosius nach          P. Theodosius griff in der Patronatsrede
fast 350 Jahren den ersten katholischen      die Situation der Dienstboten auf und
Gottesdienst in Winterthur feiern. Seine     dachte auch an weibliche Dienstboten.
Predigt war ein Meisterwerk von Klug-        Was soll man da tun? Antwort: man
heit. Der Winterthurer Landbote schrieb      soll gute Dienstboten zu bilden versu-
hierüber: «P. Theodosius vermied alles       chen. Das ist eine schwierige Aufgabe.
und jedes, was auch nur entfernt auf         Gute Dienstboten wachsen nur in gu-
irgendeine Art und Weise wehetun oder        ten Familien oder guten Anstalten auf.
missdeutet werden konnte, und zwar           P. Theo­dosius spricht dann von den
ohne Zwang mit aller Unbefangenheit.         Gefahren, denen Dienstboten ausge-
Damit hat er seine Aufgabe mustergül-        setzt sind. Wie können die Dienstboten
                                                                                        21
aus diesen Gefahren herausgerissen          Unter den «heilenden Bachbetten»
     werden?                                     müssten selbstverständlich auch die
     Wohin mit diesen? Hier ist das schwie-      beiden Ordensgemeinschaften von
     rigste Problem zu lösen. Wohin mit          Menzingen und Ingenbohl erwähnt wer-
     Dienstboten, die in Gefahr sind? Kann       den, die P. Theodosius gründete und
     man ihnen andere Plätze anweisen?           mit denen er am meisten Erfolg hatte.
     Wohl, aber dies ist nicht immer der Fall.   Ihre Entstehungsgeschichte sprengt
     Kann man ihnen auf längere Zeit keine       den Rahmen dieser Darstellung. Sie
     Plätze anweisen, was dann tun? Hier         sind ausführlich im Theodosius-Buch
     will ich Ihnen sagen, dass sich in Mün-     behandelt. Dabei versuchte ich vor al-
     chen ein Verein konstituierte unter dem     lem die sogenannte Trennungsge-
     Namen Marienverein. Dieser Verein hat       schichte mit Einfühlung beider Seiten
     eine eigene Gebäulichkeit sich ange-        darzustellen.
     schafft. Wer einen Dienst will, meldet
     sich in dem Haus, und von dort wird         Eine Würdigung seines Wirkens
     ihm die Persönlichkeit angewiesen, die-
     sen oder jenen Dienst zu bekommen.          Schliessen will ich mit einer Würdigung
     P. Theodosius weist dann auf den An-        von P. Cajetan Krauthahn. Dieser war
     fang eines solchen Vereins in der Stadt     Vikar bei P. Theodosius in Chur, kannte
     Luzern hin. Zu seinen Lebzeiten konnte      ihn also aus der Nähe. Er schreibt in
     das Institut der Barmherzigen Schwes-       seiner Biografie über ihn, die er bereits
     tern noch keine solchen Häuser grün-        1865 verfasste:
     den. Später aber führte die Gemein-         Wer hat diese ehrwürdige Gestalt und
     schaft allein in der Schweiz mehrere        imponierende Figur mit ihren klaren Au-
     solcher Marienheime: in Luzern das          gen und gewinnenden Manieren nicht
     Dienstbotenasyl 1874–1905; in Basel         gekannt? Und wer hat ihn gekannt und
     das Marienhaus 1880–1993 und das            nicht geliebt oder bewundert? Wer hat
     Dienstbotenasyl Lindenberg 1894–            nicht gerne mit ihm gesprochen und
     1908; in Solothurn das «Mägde-Asyl          über sein tiefes, allseitiges Wissen ge-
     Marienhaus» im Forst 1897–1978; Olten       staunt? Wer hat ihn je um Rath gefragt
     1898-1963, das Marienheim in Bern           und keinen bekommen, wer seine Hilfe
     1920-1948. Auch die Provinzen Oberös-       angesprochen und ist mit leeren Hän-
     terreich, Steiermark-Kärnten, Baden-        den von ihm gegangen?
     Württemberg, Tirol-Vorarlberg riefen        Das Wirken des P. Theodosius war kein
     früh Heime für Dienstmädchen ins Le-        auf ein einzelnes Fach sich beschrän-
     ben.                                        kendes, sondern ein universelles. Sein
22
schöpferischer Geist bewegte sich
nicht in ausgetretenen Geleisen oder
auf der Heerstrasse der Alltäglichkeit,
sondern er hob sich über das Niveau
des Gewöhnlichen und strebte erhabe-
nen Zielen nach. … Theodosius war ein
ebenso treuer Sohn der Kirche und
muthiger Verfechter ihrer Rechte, als
ein feuriger Patriot und gewissenhafter
Bürger des Staates, nicht weniger ein
Freund des Volkes und politischer Frei-
heit, als ein Verteidiger der Autorität
des Gesetzes. Mit der gleichen Sicher-
heit und Geistesgegenwart bewegte er        Theodosiusbüste vor dem Theodosianum in
sich auf dem glatten Salonboden der         Zürich.
obern und höchsten Aristokratie, wie in
seinem Kloster oder Hospize, dem Ar-        Aufmerksamkeit, sondern widmete ihm
menhause oder dem Spitale. Derselbe         einen Theil seines Lebens und seiner
Geist, der die Gebrechen der Zeit er-       von keinem günstigen Erfolge gekrön-
kannte, fand auch Mittel, denselben zu      ten Thätigkeit. Die Fabriken sah er als
begegnen. «Nicht die Zeiten sind            ein nothwendiges Übel der Zeit an, und
schlecht, sondern die Menschen ma-          da sie einmal durch die Bedürfnisse
chen sie dazu; lasst uns die Menschen       derselben ins Leben gerufen waren, so
bessern, pflegte er zu sagen, dann wer-     war es nach seiner Ansicht nicht am
den auch die Zeiten besser.» Von Sor-       Platze gegen dieselben, wie gegen
gen und verwickelten Geschäften weg,        Windmühlen, zu streiten, sondern sie
welche die Denkkrafte jedes Menschen        mit dem Geiste der Religion zu durch-
in Anspruch genommen hätten, trat er        dringen. Man muss, pflegte er zu sagen,
mit geglätteter Stirne in die Schule und    den Strom nicht stauen, sondern ihm
unterwies die ihm zujauchzenden Klei-       ein Bett anweisen. Gerade die Fabrik-
nen mit einer Ruhe, Klarheit und Hinge-     unternehmen verursachten ihm die
bung, als ob er keine andere Beschäfti-     grössten Bitterkeiten, vermehrten die
gung auf der Welt hätte, als Unterrichts-   Zahl seiner Gegner und machten seine
ertheilung im Katechismus.                  Freunde besorgt, und offen gesagt, wa-
Wie der Schule, schenkte er dem Fab-        ren wir stets der Ansicht und sprachen
rikwesen nicht bloss eine fortdauernde      es ohne Hehl aus, dass der Eifer des
                                                                                      23
von Nächstenliebe glühenden Mannes          chen Schatze seines Gedächtnisses
     sich auf ein Feld verirrt habe, das er      oder aus dem Evangeliumsabschnitte
     besser nicht betreten hätte. Allein gros­   des Tages einen Text hervor, zerlegte
     se Männer müssen mit einem andern           ihn, wie ein Prosector den Cadaver, mit
     Massstab gemessen werden, als All-          logischem Scharfsinn in Abtheilungen
     tagsmenschen. Es würde sich schlecht        und Unterabtheilungen und bildete sich
     geziemen für einen Pygmäen, den Kri-        ein Predigtgerippe, das auf der Kanzel
     tiker und Schulmeister zu spielen ge-       Fleisch und Blut annahm.
     genüber einem Riesen. …
     Und wie stand er auf der Kanzel? Bald       Ganz zum Schluss füge ich eine kurze
     drohend, wie Johannes der Täufer; bald      Würdigung von Sr. Cornelia Fürer an.
     mildernd, wie der Jünger der Liebe. Mit     Sie folgte P. Theodosius von Menzingen
     dem Schwert des Wortes versetzte er         nach Chur und erlebte ihn dort in
     manche Wunde, mit dem Öle der Barm-         nächster Nähe. In fast dichterischer
     herzigkeit heilte er sie wieder. … Das      Weise spricht sie über seine imponie-
     Predigen … war für ihn eine Erholung        rende Erscheinung:
     von den Mühen und den Strapazen der         Wer hat ihn gesehen, den ehrwürdigen,
     Arbeit. Geist und Körper befähigten ihn     vor der Zeit mit Silberhaar geschmück-
     in gleicher Weise dazu, indem der eine      ten Mann, emporragend aus der Men-
     unerschöpflich, der andere nicht zu er-     ge, majestätischen und leichten Schrit-
     müden war. Jeden Augenblick war er          tes einhergehend, und das leutseligste,
     bereit, die Kanzel zu besteigen, und        allen Hilfsbedürftigen ein offenes Herz
     eine halbe Stunde Vorbereitung genüg-       im Busen tragend – wer hat ihn gese-
     te ihm, um über jedes beliebige Thema       hen und kann ihn vergessen! Und seine
     geistvoll zu sprechen. Im engen Raum        friedlichen, immer heiteren unvergleich-
     der Zelle oder im Refektorium auf und       lichen Gesichtszüge – wer hat sie gese-
     ab gehend, die Hände reibend oder den       hen und bewahrt sie nicht tief im Her-
     Bart streichend, holte er aus dem rei-      zen!                                 r
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Vision 2020 – Kloster Hegne «ein geprägter Ort»
Organisationsentwicklung im Kloster Hegne
Sr. Josefa M. Harter, Hegne, Provinz Baden-Württemberg

Ziehe Kraft aus deinen Wurzeln,
finde Halt im Grund, der trägt,
                                                Kraft ziehen aus den Wurzeln, Halt fin-
schau zurück auf deinen Ursprung,               den auf dem Weg, auf dem wir in unse-
doch nach vorne geht der Weg.                   rer Zeit und Gegenwart Zukunft vorbe-
                                                reiten und gestalten – dies trifft zu für
In diesem Liedvers, den wir bei ver-            viele Vorhaben und Entscheidungen,
schiedenen Anlässen immer wieder                die wir als Kloster mit unseren Mitarbei-
gerne singen, finden wir vieles von dem         terinnen und Mitarbeitern in den Wer-
ausgedrückt und gedeutet, was uns               ken und Klosterbetrieben umgesetzt
derzeit bewegt und beschäftigt und              haben. Es gilt in besonderer Weise für
was wir an Neuem angepackt haben.               den Organisationsentwicklungspro-

Werte-Kompass für die Schule.
                                                                                            25
zess, den wir im Januar 2015 eröffne-      und Mutter Maria Theresia Scherer ge-
     ten.                                       prägt und gelebt haben: Miteinander –
                                                Verantwortung – Offenheit – Vertrauen.
     Für uns Schwestern ist es eine grosse      Wir sind überzeugt, dass diese Haltun-
     Herausforderung, im Weniger- und Äl-       gen, wenn sie von uns und in unseren
     terwerden Gewohntes aufzugeben und         Häusern und Werken mehr und mehr
     Veränderungen positiv zu gestalten. Wir    gelebt werden, wie ein Kompass rich-
     sehen darin aber auch eine Chance, als     tungsweisend sind – nicht nur für die
     Gemeinschaft im Vertrauen auf Gott         Zukunft unseres Klosters, sondern auch
     und im Zusammenstehen zu wachsen           für eine menschenfreundliche Zukunft
     und uns in unserer Berufung zu vertie-     in Kirche und Welt. In den folgenden
     fen. So machten wir uns mit unseren        Monaten gab es für alle Schwestern
     Führungs- und Leitungskräften und den      und Mitarbeiter Angebote, den Werte-
     ca. 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbei-     Kompass mit Umsetzungshilfen für den
     tern auf den Weg in einem von Fachleu-     Alltag kennen zu lernen und zu erleben.
     ten begleiteten Organisationsentwick-
     lungsprozess, bei uns kurz OE-Prozess      Vier Projektgruppen, die sich jeweils
     genannt. In diesem Prozess geht es         aus Schwestern und Mitarbeitenden zu-
     darum, das Kloster Hegne als gepräg-       sammensetzen, arbeiten an Themen
     ten Ort und als spirituellen Anziehungs-   und Lösungen, die wichtig sind, damit
     punkt zu erhalten, weiterzuentwickeln      die zwei Leitsätze des Hegne-Werte-
     und in eine gute Zukunft zu führen.        Kompasses konkret werden:
     Auch mit immer weniger und älteren         Durch Freude und klare Kommunikation
     Schwestern soll weiterleben, was wir im    Gemeinschaft stärken.
     Blick auf die Bedürfnisse der Zeit als     Spirituell fundiert, fachlich kompetent
     Auftrag sehen: Bildung, Pflege, Beher-     und wirtschaftlich gesichert Zukunft ge-
     bergung, Begleitung.                       stalten.
                                                Wir erleben, dass diese Zusammenar-
     Ein erster Schritt in diesem Prozess war   beit für das gegenseitige Verstehen
     zunächst die Erstellung des sog. Heg-      sehr hilfreich ist und den Blick auf bei-
     ne-WerteKompasses für Führung              den Seiten weitet.
     und Teamarbeit. Er wurde entwickelt
     von Schwestern der Provinzleitung und      Ein weiterer Schwerpunkt im OE-Pro-
     den Führungskräften und umfasst vier       zess war eine professionell durchge-
     Werte, die ganz wesentlich unsere          führte schriftliche Befragung der Mit-
     Gründer Pater Theodosius Florentini        arbeitenden und der Schwestern. Die
26
Arbeit im Steuerkreis.

Auswertung ergab ein hilfreiches «Stim-   Ausdruck. Anlässlich einer kleinen Aus-
mungsbild» und zeigte auf, in welchen     stellung dieser elf Bilder ergab sich ein
Bereichen und in welche Richtung wir      lebendiger Austausch mit allen Schwes-
lernen und weiterwachsen wollen und       tern, in dem viel Zuversicht und Zu-
müssen.                                   kunftshoffnung spürbar waren.

Anfang Februar 2016 fanden sich elf       Im Prozessverlauf schälte sich mehr
Mitschwestern «unter 60», also unsere     und mehr die Erkenntnis heraus, dass
«jüngeren», zu einem Workshop zusam-      auch strukturelle Veränderungen in den
men. Kreativ und erlebnisorientiert um-   Blick zu nehmen sind. So entschieden
kreisten sie das Motto des Treffens       wir uns für die Gründung einer Stiftung
«Nach vorne schauen – Miteinander         als neuer Rechtsform und Struktur für
Zukunft ermöglichen». Unter anderem       unsere Werke, um das «Kloster Hegne
brachte jede Teilnehmerin ihr inneres     als geprägten Ort» zu erhalten und un-
Zukunftsbild «Kloster Hegne als ge-       seren Auftrag auch in Zukunft erfüllen
prägter Ort» auf einer Leinwand zum       zu können. Mit diesem Vorhaben stehen
                                                                                      27
Gruppe Schwestern unter 60 im gleichen Boot.

     wir nun in der zweiten Etappe unseres          dürfnis der Zeit, ist der Wille Gottes» zu
     Prozesses. Klärung der Rollen und              neuen Wegen ermutigt. Unser OE-Pro-
     Kompetenzen und der Führungs- und              zess ist die Antwort auf ein Bedürfnis
     Kommunikationsstrukturen ist die Her-          unserer Zeit und Provinz, ein nicht nur
     ausforderung, der wir uns im laufenden         notwendiger, sondern auch ein sehr he-
     Prozess gegenübersehen. Ebenso ist             rausfordernder und arbeitsintensiver
     uns die Grundlegung einer spirituellen         Weg für alle Beteiligten.
     Stiftungskultur wichtig. Mit diesem An-
     liegen wurde eine neu gebildete Pro-           Wir freuen uns sehr, dass die im Kon-
     jektgruppe betraut.                            gress 2016 entwickelte Vision der Kon-
                                                    gregation die Zukunftsspur, an der wir
     Schon immer hat uns das Motto unse-            arbeiten, unterstützt und verstärkt.
     res Gründers P. Theodosius «Was Be-                                                r
28
Führen mit einer Vision in Zeiten
grosser Veränderungen
Sr. Magdalena Walcher, Wels, Provinz Europa Mitte

Ziehen wir uns mehr und mehr zurück,                Unsere Situation
weil wir den Anschluss an den raschen
Wandel unserer Gesellschaft kaum                    Fast alle Kreuzschwestern haben sich
mehr schaffen oder weil wir unsere                  mittlerweile aus Altersgründen aus der
Energie für unsere Schwestern brau-                 operativen Ebene unserer Werke zurück-
chen? Wie gestalten wir die Zukunft un-             gezogen. Früher haben sie in den Ein-
serer Provinz und unserer Einrichtungen             richtungen durch ihre Arbeit das Charis-
in einer Welt, die sich rasant verändert?           ma unseres Ordens implizit einschliess-
Das fragten wir uns in der Provinzlei-              lich vorgelebt. Heute braucht es in
tung. Orden seien religiöse Kraftwerke,             unseren 44 Betrieben für über 6000 Mit-
sagte der Bischofsvikar der Diözese                 arbeiter und Mitarbeiterinnen eine expli-
Linz vor einigen Jahren. Werden wir                 zite ausdrückliche Vermittlung unserer
bald ein stillgelegtes Kraftwerk sein?              Werte und unserer Sendung. Führungs-

Gruppenarbeit der Oberinnen.
                                                                                                29
kräfte haben uns nach unseren Zielen       Menschenbild reflektiert und erkannt:
     und unserem Geist gefragt. Das hat uns     Die Liebe ermächtigt uns, die Würde
     in der Provinzleitung bewogen, den Auf-    und Freiheit jedes Menschen als höchs-
     trag der Kreuzschwestern in einem Ma-      tes Gut zu achten. Und unser Brust-
     nifest, dem «Weckruf» niederzuschrei-      kreuz empfiehlt uns, aus einem Minus
     ben. Fachleute haben uns bei der Ent-      ein Plus zu machen.
     wicklung unserer Vision begleitet.         Mit drei richtungsweisenden Haltungen
                                                «Achtsamkeit, Miteinander auf Au-
     Unser Ziel und unsere Vision               genhöhe, Dankbarkeit» wollen wir zur
                                                «Kultur der Liebe» in unseren Werken,
     Papst Franziskus schrieb in seinem         aber auch in unseren Orden beitragen.
     apostolischen Brief an die Orden: «Ich     Die Werte, die wir vor einigen Jahren in
     erwarte, dass ihr die Welt aufweckt!»      den Leitlinien formulierten, ergänzten
     Der Weckruf «Wieder neue Wege ge-          wir im «Weckruf» mit neun zeitgemäs­
     hen» ist laut unseren Konstitutionen       sen Handlungsschritten. Zum Beispiel:
     (Art. 61) auch ein Auftrag der Kreuz-      Wir werden … neue Wege gehen. …
     schwestern. Unser Charisma gründet in      der «Kultur der Liebe» Raum und Zeit
     der barmherzigen Liebe Gottes, daraus      geben. … von Lösungen ausgehen und
     schöpfend, wollen wir Beiträge zu einer    nicht von Problemen. … Projekte star-
     «Kultur der Liebe» schaffen. Die «Kul-     ten, die Selbstbestimmung und Selbst-
     tur der Liebe» entspricht der Vision des   wirksamkeit fördern. … die Eigenver-
     Evangeliums, an dem wir uns orientie-      antwortung unserer Mitarbeiter und
     ren. Als franziskanischer und handeln-     Mitarbeiterinnen stärken. Und wir wer-
     der Orden wollen wir mit dem göttlichen    den fröhlich sein. Meistens.
     Lebenselixier «Liebe» unsere Welt be-
     reichern. Angesichts der vielfachen        Vision kommunizieren
     Fremdbestimmung durch die heutige
     Konsumorientierung, Informationsüber-      Mit dem «Weckruf» wollten wir Be-
     lastung und Überregulierung am Arbeits-    wusstseinsprozesse anstossen, um un-
     platz möchten wir mit Massnahmen und       sere Kreuzschwestern-Identität zu stär-
     Projekten die Werte «Selbstbestim-         ken und unserem Auftrag eine Dynamik
     mung» und «Selbstwirksam­keit» in          zu geben. Zuerst haben wir in Work-
     unseren Bildungs-, Gesundheits- und        shops unseren «Weckruf» den Ge-
     sozialen Einrichtungen fördern mit dem     schäftsführern und Geschäftsführerin-
     wunderbaren Ziel «Werden wie ich           nen unserer Betriebe kommuniziert.
     bin». Wir haben unser Gottes- und          Danach präsentierten wir ihn den Füh-
30
Gruppenbild mit Geschäftsführern/-innen, Provinzleitung, Wirtschaftsleitung.

rungskräften in den jeweiligen Einrich-             Kreuzschwestern ein Stück des Weges
tungen und unseren Konventoberinnen.                gehen, haben wir ein Curriculum mit
Wir haben eine neue Website und ein                 fünf Modulen entworfen. Darin inspirie-
Magazin der Kreuzschwestern ge-                     ren wir andere Menschen mit unseren
staltet, um viele Mitarbeitende mit un-             Werten, ermöglichen ihnen, unter ande-
seren Werten vertraut zu machen. Da-                rem neue Perspektiven für ihr Leben zu
bei war uns wichtig, den Inhalt unserer             gewinnen und eine neue Beziehungs-
Spiritualität in eine zeitgemässe und               qualität kennen zu lernen.
verständliche Sprache zu übersetzen.
Unsere Führungskräfte haben uns rück-               Ein Auftrag
gemeldet: Der Auftrag ist kraftvoll, ent-
wicklungsoffen und ein starker Motiva-              Dank vieler engagierter und kompeten-
tionsschub. Er eröffnet viele Gestal-               ter Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
tungsmöglichkeiten. Ansprechend sind                wird schon vieles von unseren normati-
die zeitgemässe Formulierung des Cha-               ven Vorgaben in unseren Einrichtungen
rismas und die wertschätzende Einbe-                verwirklicht. Nun ist das Management
ziehung zur Mitgestaltung …                         unserer Betriebe aufgefordert, für die
Damit unser «Weckruf» eine Bereiche-                Umsetzung zu sorgen und die «Kultur
rung für alle werden kann, die mit uns              der Liebe» fördern. Wir haben sie auch
                                                                                              31
beauftragt, Projekte zu entwickeln, die     und die Werke unseres Ordens als Erbe
     eine Antwort auf die «Bedürfnisse der       an kommende Generationen weiterge-
     Zeit» sind und für die Zukunft richtungs-   ben. In einem gemeinsamen Suchpro-
     weisend sein könnten.                       zess mit unseren Mitarbeitern und Mit-
                                                 arbeiterinnen haben wir uns viel vorge-
     Dranbleiben                                 nommen. Jetzt gilt es, dialogisch und
                                                 achtsam an unserer Vision dranzublei-
     Mit einer kühnen Entscheidung haben         ben und sie gemeinsam mit unseren
     wir uns für eine neue Lebendigkeit ent-     Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wei-
     schieden. Wir wollen unsere Spiritualität   terzuentwickeln.                    r
32
Kurznachrichten aus unseren
Provinzen und Vikariaten
Volksmission in Brasilien
Sr. Gabriella Di Mouro, Nova Iguaçu, Vikariat Brasilien

Die Schwestern in Brasilien erfahren Volksmissionen als hilfreiche Form der Evangelisierung. Darun-
ter fallen verschiedene Aktivitäten zur Glaubenserneuerung und -vertiefung für alle Alters- und Be-
rufsgruppen.

In unserem Vikariat sind Volksmissio-               Oftmals werden wir auch gebeten, bei
nen nicht neu. Für die Fastenzeit und               einer Volkmission mitzuhelfen zur Vor-
die Karwoche sind wir Schwestern und                bereitung von Patronatsfesten oder Ju-
Novizinnen immer wieder eingeladen, in              biläen. Wir nehmen auch teil an Beru-
den Gemeinden, die keinen Priester ha-              fungsmissionen zusammen mit den
ben, mit dem Volk die Liturgie zu gestal-           Franziskanern in Minas Gerais, und
ten und zu feiern.                                  neuerdings macht eine Schwester Mis-

Kathedrale in Camaçari, Aussendung der Missionare und Missionarinnen.
                                                                                                      33
Mission in Tinguá, Sr. Beatriz Krstacic, Sr. Gabriella, Assoziierte Olinda, drei Freiwillige, rechts aussen
     P. Felix, Pfarrer.

     sionserfahrung mit den Redemptoristen                   rend der Woche sind wir in einer Familie
     in Bahia.                                               untergebracht, wo wir schlafen und die
                                                             Mahlzeiten einnehmen können. In Be-
     Was geschieht während der Zeit der                      gleitung der Kommunionhelfer oder an-
     Volksmission? Zunächst machen wir                       derer Gemeindemitglieder, die sich zur
     uns vertraut mit dem Ort, nehmen Kon-                   Verfügung stellen, besuchen wir vormit-
     takt auf mit dem verantwortlichen                       tags Kranke und Betagte und Familien
     Priester, den Verantwortlichen und en-                  in schwierigen Situationen. Meistens
     gagierten Laien der Gemeinde. Im All-                   sind wir herzlich willkommen – auch
     gemeinen dauert eine Volksmission                       wenn der Kochtopf auf dem Herd war-
     eine Woche. Sie beginnt mit der Aus-                    ten muss. Wir versuchen in erster Linie
     sendung der Missionare und Laien und                    zuzuhören. Beim Abschied schenken
     endet mit einer Abschiedsmesse. Wäh-                    wir einen Rosenkranz, eine Medaille
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oder ein Novenenbüchlein unserer seli-      Staat Rio de Janeiro, und Camaçari, im
gen Mitschwestern. Wir benützen auch        Staat Bahia, eine Volksmission abhal-
die Gelegenheit, um das Programm der        ten. Zusammen mit der Gruppe der Be-
Missionstage zu verteilen und zu den        rufungspastoral stellten sich auch eini-
Veranstaltungen mit den Kindern, Frau-      ge Mitschwestern zur Verfügung, die
en und Betagten einzuladen und zur          früher in diesen Pfarreien gewirkt hat-
Mitarbeit in verschiedenen pastoralen       ten. Gross war die Freude der Leute,
Gruppen zu motivieren.                      bekannte Schwestern wiederzusehen.
Wenn die Situation des Ortes es er-         Wir wurden in allen Familien herzlich
laubt, laden wir abends zu Gebet und        aufgenommen, und sie teilten mit uns,
Eucharistiefeier ein.                       was sie hatten. Auf den Strassen wur-
Normalerweise ist der Sonntagnachmit-       den wir mit Sympathie begrüsst, und
tag für ein Treffen mit den Jugendlichen    wir mussten über die abwesenden
reserviert, auch um das Interesse für       Schwestern berichten. Die Leute erin-
Berufungen zu wecken.                       nern sich in Liebe an ihr Wirken.
Aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums        Wir freuten uns sehr, festzustellen, wie
unseres Vikariates hat die Gruppe der       viele der pastoralen Tätigkeiten, die die
Berufungspastoral sich vorgenommen,         Schwestern begonnen haben, bis heute
in den Pfarreien, in denen früher unsere    von Gemeindemitgliedern weitergeführt
Schwestern gewirkt haben, als Zeichen       werden und gewachsen sind. Das be-
der Dankbarkeit die Durchführung einer      merkten wir besonders in Itanhomi. In
Volksmission vorzuschlagen. Diese           Tinguá begleitete uns Pater Felix wäh-
Pfarreien sind ein Teil unserer Geschich-   rend der Volksmission, um die ihm
te. Die Gläubigen haben uns geholfen        ­anvertraute Herde besser kennenzuler-
bei unserer Inkulturation, und gemein-       nen. In Camaçari sahen wir mit Erstau-
sam sind wir in Brasilien im Glauben ge-     nen und Freude, dass aus der Gemein-
wachsen, im Land des heiligen Kreuzes.       de des heiligen Thomas von Canter­bury
Im Jubeljahr konnten wir in den Pfarrei-     unterdessen der Sitz einer gros­sen Diö­
en Itanhomi, Minas Gerais, Tinguá, im       zese geworden ist.                    r
                                                                                        35
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