TRENDREPORT 2/2015 - FORBA
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TRENDREPORT 2/2015 ARBEIT I BILDUNG I SOZIALES ÖSTERREICH IM EUROPAVERGLEICH Liberalisierung in Europa: Schienenverkehr im Fokus PERSONENVERKEHR LIBERALISIERUNG SOZIALE GLEICHHEIT Öffentliche Auftragsvergabe Auswirkungen auf Öffentliche Dienstleistungen und Sozialkriterien SEITE 4 Beschäftigte SEITE 9 fördern Gleichheit SEITE 18
TRENDREPORT 2/2015 Kurznachrichten Fairer Wettbewerb in der Verkehrsbranche Rekommunalisierung Geht es um die Zukunft Seit neun Jahren macht der deutsche und vorbildliche Lohn- und Sozialstan- öffentlicher Dienstleistun- Verein „mobifair“ gegen schwarze Schafe dards. Der Verein bietet eine Fülle an gen, sind in Europa derzeit in der Verkehrsbranche erfolgreich mo- Informationsmaterial und praktischen zwei widerstreitende Ent- bil. In der Mobilitätswirtschaft kommt es Tipps für Verbraucher/innen und Be- wicklungen anzutreffen. häufig zu Überschreitungen von Arbeits- triebsrät/innen auf seiner Website, in- Dem Ruf nach mehr öffent- zeitbestimmungen, zur Ausbeutung von klusive einem Arbeitszeitrechner (für licher Verantwortung steht Beschäftigten und zu Lohn- und Sozial Deutschland) sowie das von mobifair ein verschärfter Spar- und dumping. mobifair zeigt kriminelle Ge- vierteljährlich herausgegebene Online- Privatisierungskurs gegen schäftspraktiken dieser Art auf und bringt Magazin „mopinio“. über. Wird das neoliberale sie zur Anzeige. Immer mehr Unterneh- Korsett noch enger ge- men setzen daher auf die mobifair-Zer- Mehr Informationen siehe schnürt, oder kommt es tifizierung für faire Arbeitsbedingungen www.mobifair.eu zum Kurswechsel? Was folgt auf die bisherigen Er- fahrungen mit der EU-Li- „Faire Vergaben sichern Arbeitsplätze!“ beralisierungspolitik? Wie steht es um aktuelle Ent- Unter diesem Motto fordert eine österrei- des Vergaberechts auf das Best- vor Bil- wicklungen zur Rücknah- chische Sozialpartner-Initiative von drei ligstbieterprinzip, Maßnahmen gegen me von Privatisierungen Fachgewerkschaften, zwölf Bundesinnun- die Gründung und Geschäftstätigkeit von („Rekommunalisierung“)? gen und zwei Fachverbänden fairen Wett- Scheinfirmen, eine Novellierung des Lohn- Welche Rolle können neue bewerb in Österreich, besonders in der und Sozialdumping-Bekämpfungsgeset- internationale Handelsab- Bauwirtschaft. Der zunehmend schärfere zes, die rasche Umsetzung der EU-Ver- kommen wie etwa „TTIP“ Wettbewerb zerstöre regionale Arbeits- gaberichtlinie in nationales Recht und die oder „TiSA“ in diesen Ausei- plätze durch Billigstanbieter und gefährde Änderung sonstiger Rahmenbedingungen. nandersetzungen spielen? die Existenz von kleinen und mittleren Ge- Diesen Fragen gehen zwei werbebetrieben. Die Sozialpartner-Initiati- Mehr Informationen siehe Expert/innen der Arbeiter- ve fordert unter anderem eine Adaptierung www.faire-vergaben.at kammer, Oliver Prausmül- ler und Alice Wagner, in ih- rem Sammelband „Reclaim Im Dienste öffentlicher Güter Public Services“ nach. Der öffentliche Sektor bildete über ei- analysiert diesen Wandel der Arbeit in Mehr Informationen siehe nen langen Zeitraum hinweg den ar- Krankenhäusern, bei der Post sowie Prausmüller, O./Wagner, beits- und sozialrechtlich stilbildenden in den kommunalen Verwaltungen und A. (Hrsg.) (2014): Reclaim Kern der Arbeitsgesellschaft. In den Diensten in Deutschland, Österreich Public Services. Bilanz letzten Jahren haben sich jedoch weite und der Schweiz. und Alter- Bereiche der öffentlichen Dienstleistun- nativen zur gen von einem Stabilitätszentrum der Mehr Informationen siehe Flecker, J. neoliberalen Arbeitswelt zu einem Ort der Umbrüche et al. (Hrsg.) (2014): Im Dienste öffent Privatisie- entwickelt, an dem prekäre Beschäfti- licher Güter. Metamorphosen der rungspolitik, gungsverhältnisse deutlich an Gewicht Arbeit aus der Sicht der Beschäftigten, VSA (Preis gewinnen. Ein FORBA-Forschungsband edition sigma (Preis € 25,90) € 22,80) 2
TRENDREPORT 2/2015 ARBEIT I BILDUNG I SOZIALES ÖSTERREICH IM EUROPAVERGLEICH Brennpunkt Liberalisierung Wie öffentliche Dienstleistungen in Zukunft organisiert werden sollen, ist Gegenstand Liberalisierung in Europa: umfassender politischer und ökonomischer Inhalt Schienenverkehr im Fokus PERSONENVERKEHR Öffentliche Auftragsvergabe LIBERALISIERUNG Auswirkungen auf SOZIALE GLEICHHEIT Öffentliche Dienstleistungen Auseinandersetzungen. Nach drei Jahrzehn- und Sozialkriterien SEITE 4 Beschäftigte SEITE 9 fördern Gleichheit SEITE 18 ten der schrittweisen Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen wurden vielerorts kritische Resümees gezo- gen. Die aktuelle Ausgabe des Trendreport behandelt schwerpunktmäßig die bisherigen SCHWERPUNKTHEFT Erfahrungen mit Liberalisierung und Privati- sierung im öffentlichen Nah- und Schienen- Fair reisen – soziale Auftragsvergabe im Personenverkehr verkehr. Im Mittelpunkt der Analysen stehen Die Koppelung von sozialen Kriterien an die öffentliche Auftragsvergabe ihre Auswirkungen auf Arbeitsverhältnisse, ist national und EU-weit im Vormarsch … SEITE 04 die Qualität der Dienstleistung und die Rolle der öffentlichen Hand als Auftraggeber, Kon- Beschäftigtenschutz im liberalisierten öffentlichen Verkehr troll- und Lenkungsinstanz der öffentlichen Die Liberalisierung des öffentlichen Verkehrs hat Auswirkungen auf die Daseinsvorsorge. Arbeitsrealitäten der Beschäftigten … SEITE 09 Die Europäische Kommission plant mit dem vierten Eisenbahnpaket die vollständige Interview mit dem Rechtswissenschafter Markus Krajewski Liberalisierung des Eisenbahn-Personenver- „Freihandelsabkommen zielen darauf ab, öffentliche Monopole kehrs. Wird es zu Einsparungen kommen, oder abzubauen“ … SEITE12 werden möglicherweise Mehrkosten für die All- gemeinheit entstehen? Und was bedeutet die Eisenbahn-Personenverkehr: die Tücken der Liberalisierung Liberalisierung von Verkehrsdienstleistungen Die Europäische Kommission plant im vierten Eisenbahnpaket die voll- für die Arbeitsrealitäten der Beschäftigten? ständige Liberalisierung des Eisenbahn-Personenverkehrs … SEITE 15 Nutzt die Koppelung von sozialen Kriterien an die öffentliche Auftragsvergabe den Beschäftig- Liberalisierung auf Kosten von Gleichheit ten und Kund/innen? Öffentliche nicht-kommerzielle Dienstleistungen fördern die soziale Abseits dieses Schwerpunkts auf Gleichheit … SEITE 18 Verkehrsdienstleistungen befasst sich der Trendreport mit den sozialen Auswirkungen Strom, Gas, Handy: Billigtarife kann sich nicht jeder leisten der Liberalisierung von Dienstleistungen der Privatisierungen der Netzwerkindustrien sind die Eckpfeiler des von der Strom-, Gas- und Telekommunikationsbran- EU verfolgten Reformkurses … SEITE20 chen. Öffentliche Dienstleistungen fördern so- ziale Gleichheit. Höhlen Privatisierungen und Infografik Liberalisierungen diesen Effekt aus und tragen Einstellung zu Liberalisierung und öffentlichen sie zu einer zunehmenden Ungleichheit bei? Dienstleistungen … SEITE22 Im Interview spricht der Rechtswissen- schafter Markus Krajewski über das Konflikt- Abkürzungen für Ländernamen SEITE23 potenzial zwischen Freihandel und öffentlichen Dienstleistungen, die Infografik präsentiert eu- ropäische Daten über die Einstellung zu Libe- ralisierung und öffentlichen Dienstleistungen. Wir wünschen eine anregende Lektüre! Bestellung der kostenlosen elektronischen Ausgabe und von Print-Abonnements: trendreport@forba.at Bettina Haidinger Download: www.forba.at/de/publications/trendreport/ für die Redaktion
TRENDREPORT 2/2015 Fair reisen – soziale Auftragsver- gabe im Personenverkehr ANALYSE: Aktuell wird die Koppelung von sozialen Kriterien an die öffentliche Auftragsvergabe bei Verkehrsdienstleistungen auf europäischer und nationaler Ebene vorangetrieben. Beschäftigte im Verkehrsdienst und Reisende werden davon profitieren. Bettina Haidinger Die Liberalisierung des Personenverkehrs sollte güns- Euro).1 Öffentliche Auftraggeber sind neben den Ge- tigere, sicherere und effizientere Verkehrsdienst- bietskörperschaften auch ausgegliederte Sonderge- GEFASST leistungen bringen. Studien zeigen jedoch, dass der sellschaften wie ASFINAG, die Sozialversicherungen, KURZ uneingeschränkte Wettbewerb Kund/innen, Beschäf- Krankenhäuser, Universitäten oder Bildungs- und So- tigte und den Staat oft teuer zu stehen kommt. Direkte zialeinrichtungen, Verkehrsverbünde oder die ÖBB. Ihr Vergaben und die Verankerung sozialer und Qualitäts- Nachfrageverhalten ist ein wesentlicher ökonomischer Kriterien könnten die negativen Auswirkungen der Li- Einflussfaktor. Es hat Signalwirkung auf die Ökonomie beralisierung bremsen. als Gesamtes, zusätzlich können öffentliche Auftragge- ber als Vorbilder wirken für die sozialen, ökologischen und qualitativen Bedingungen, unter denen die Leistun- Wirtschaftsfaktor öffentliche Auftragsvergabe gen erstellt werden sollen. Im Zuge der Integration des Europäischen Binnenmarkts und der Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen Rechtliches Dickicht: die Besten wurde das öffentliche Förder- und Auftragswesen neu oder die Billigsten? geregelt und schrittweise europaweit harmonisiert. Die Die öffentliche Auftragsvergabe ist eine komplexe Angele- Auflösung von staatlichen Unternehmen und der Rück- genheit. Sie wird rechtlich permanent novelliert und auch zug des öffentlichen Sektors als direkter Bereitsteller maßgeblich von der Rechtsprechung und Auslegung der von Dienstleistungen schufen einen großen Markt, in gesetzlichen Grundlagen beeinflusst. Grundsätzlich kann dem um öffentliche Aufträge zur Erfüllung bestimm- der öffentliche Auftraggeber nach dem wirtschaftlich und ter Leistungen konkurriert wird. Liberalisierung und technisch günstigsten Angebot (Bestbieterprinzip) oder Ausschreibungswettbewerb sind die zwei Seiten ei- niedrigsten Preis (Billigstbieterprinzip) vergeben, wobei ner Medaille. Gab es früher meist nur einen Anbieter das Bestbieterprinzip größeren Spielraum für die Integra- in öffentlicher Hand, scharen sich nun viele nationale tion von sozialen Kriterien ermöglicht. und internationale Anbieter auf dem Markt öffentlicher Als primärer Grundsatz öffentlicher Ausschrei- Aufträge. Auch Dienstleistungen der Daseinsvorsorge, bungsprozesse gilt eine transparente, effiziente, diskri- etwa im öffentlichen Personenverkehr, werden wettbe- minierungsfreie und günstige Beschaffung von Waren, werblich ausgeschrieben. Wen man nach welchen Kri- Dienstleistungen und Bauleistungen auf der Basis eines terien auswählt, einen Auftrag effizient und umfassend freien EU-weiten Wettbewerbs. Soziale, ökologische und zu erfüllen, ist Gegenstand komplexer Ausschreibungs- Qualitäts-Kriterien sind bis dato eher Kann- als Muss-Be- und Vergabeprozesse. stimmungen. Orientiert sich die Ausrichtung der öffentli- Laut Berechnungen der OECD betrug das Volu- chen Auftragsvergabe an ökonomischen Effizienzkriterien, men der öffentlichen Auftragsvergabe für Waren, Bau- so tritt das Verständnis dafür in den Hintergrund, die Auf- arbeiten und Dienstleistungen in Österreich im Jahr tragsvergabe auch als wirtschafts-, sozial-, bzw. umwelt- 2013 etwa 13,25 Prozent des BIP (ca. 43 Milliarden politisches Steuerungsinstrument einsetzen zu können. 4
ARBEIT ı BILDUNG ı SOZIALES – ÖSTERREICH IM EUROPAVERGLEICH Geringe Personalkosten erhöhen die Chancen Regeln des Vergaberechts erfüllen: nicht-diskriminierend, In Zeiten vermeintlich leerer Staatskassen wird meist transparent, objektiv, nicht willkürlich, auftragsgegen- das Billigstbieterprinzip gewählt, also jene Dienstleis- ständlich etc. Sie schaffen somit die Möglichkeit für natio- tungs- oder Warenerbringung mit dem niedrigsten Preis nale Gesetzgeber, derartige Kriterien ausdrücklich in den – oftmals mit dem Ergebnis eines harten Verdrängungs- entsprechenden Rechtsakten zu verankern und im Verga- wettbewerbs auf Kosten von Anbietern, die vielleicht nicht beprozess anzuwenden. Solche Kriterien sind bereits teil- das billigste, jedoch ein qualitativ besseres Anbot legen. In weise eingebaut. So kann etwa die betrieblich-soziale Ein- Branchen, in denen Lohn- und Personalkosten einen ho- gliederung bestimmter Beschäftigtengruppen wie Frauen, hen Anteil der Gesamtkosten und öffentliche Aufträge ei- ältere Arbeitnehmer/innen oder Menschen mit Behinde- nen hohen Anteil der Gesamtnachfrage ausmachen, etwa rung gefördert werden.7 Auch die stärkere Berücksichti- bei Baudienstleistungen oder Verkehrsdienstleistungen, gung von Betrieben die Lehrlinge ausbilden, ist zulässig. führt dies nicht nur zu Lohndruck auf die in der betrof- Ebenfalls können spezifische Bestimmungen für die Ver- fenen Firma tätigen Arbeitnehmer/innen, sondern in der gabe von Unteraufträgen an Subunternehmen, z.B. die Branche als Ganzes. Ausschreibungswettbewerbe sind Bildung einer Haftungskette oder die Einschränkung der ein Instrument, um Liberalisierung und Privatisierung Unterauftragsvergabe, zur Anwendung kommen. So ergab öffentlicher Dienstleistungen in der Europäischen Union eine Studie von mobifair8 über sozial nachhaltige Vergabe- umzusetzen. Eine Studie2 über die Auswirkungen von Li- politik im Schienenpersonennahverkehr in Deutschland, beralisierung und Privatisierung auf Beschäftigung, Pro- dass manche Eisenbahnverkehrsunternehmen, die Nah- duktivität und Qualität bei öffentlichen Dienstleistungen verkehrsleistungen für deutsche Bundesländer erbrach- ergab, dass die Senkung von Personalkosten eine wichtige ten, Lokführer über (unterbeauftragte) Leiharbeitsfirmen Unternehmensstrategie ist, um im EU-weiten Wettbewerb einstellten oder gar „selbstständige“ Lokführer im Einsatz um öffentliche Dienstleistungen bestehen zu können. Um hatten. dies zu erreichen, wird Personal abgebaut, werden Pro- duktionsprozesse durch arbeitssparende Technik ratio- „Horizontale Sozialklausel“ und Durchsetzung nalisiert, werden Löhne gesenkt oder es wird auf prekäre Darüber hinaus beinhalten die neuen EU-Richtlinien eine Arbeit ausgewichen. „horizontale Sozialklausel“, die „an die Einhaltung ökolo- gischer, sozialer und arbeitsrechtlicher Grundsätze, die im Vergaberechtsreform 2015 nationalen, internationalen oder EU-Recht oder Tarifver- Die Bedeutung und tatsächliche Anwendung von sozialen, trägen verankert sind“, erinnert. Unternehmen, die diesen ökologischen und Qualitäts-Kriterien bei der öffentlichen Verpflichtungen nicht nachkommen oder unangemessen Auftragsvergabe sind seit geraumer Zeit Gegenstand niedrige Angebote legen, können vom Vergabeverfahren rechtlicher und politischer Auseinandersetzungen. Laut ausgeschlossen werden. Die neuen Richtlinien legen auch einer Umfrage der EU-Kommission3 halten es 88 Prozent klar, dass öffentliche Auftraggeber den „Umständen“ der der EU-Bürger/innen für richtig, wenn der Staat seine Auf- Herstellung bestimmter Waren bzw. der Bereitstellung träge nicht einfach an den billigsten Anbieter vergibt, son- gewünschter Bau- und Dienstleistungen sowie den Ar- dern auf soziale Aspekte achtet. Um mehr Klarheit für die beitsbedingungen der Beschäftigten (betriebliche Wei- Zulässigkeit dieser Kriterien bei der öffentlichen Auftrags- terbildung, Qualifikation, Gesundheitsschutz) Rechnung vergabe zu schaffen und sie deutlicher im Gesetzestext zu tragen können. verankern, wurden die einschlägigen EU-Richtlinien (Sek- Wesentlich für die nachhaltige Durchsetzung von torenrichtlinie 2004/17/EG, Vergaberichtlinie 2004/18/EG) sozialen Kriterien sind auch damit einhergehende Ahn- überarbeitet.4 Im Juli 2015 verabschiedete der österreichi- dungs- und Sanktionsmöglichkeiten im Falle einer Nicht- sche Ministerrat eine Novelle des Vergaberechts, die den Einhaltung. Zur Koppelung der öffentlichen Auftragsver- neuen EU-Vergaberichtlinien teilweise Rechnung trägt gabe an Mindestsozialstandards zeigt Holley9 am Beispiel und zumindest für Bauaufträge der öffentlichen Hand ab der Auslagerung von Schulwarttätigkeiten aus dem Schul- einer Million Euro das Bestbieterprinzip verpflichtend ein- wesen in Australien, dass Vertragsklauseln in der öffent- geführt hat.5 lichen Auftragsvergabe, die bestimmte Mindeststandards vorsehen, zwar eine notwendige, aber nicht hinreichende Was sind soziale Kriterien? Voraussetzung dafür sind, dass diese auch eingehalten Die neuen EU-Regeln für öffentliche Beschaffung ver- werden. Es braucht jedenfalls Kapazitäten, um Mindest- deutlichen die Anwendung von sozialen, ökologischen und standards zu überwachen und durchzusetzen sowie rea- Qualitäts-Kriterien6 in Ausschreibungen, sofern sie die listische Sanktionsmöglichkeiten. 5
TRENDREPORT 2/2015 Anwendungsbeispiel Busverkehrsdienstleistungen planen und die einschlägigen Gesetze an die Verordnung Öffentliche Auftraggeber können und sollen die beschrie- 1370/2007 und die sozialen Notwendigkeiten anzupassen, benen sozialen, ökologischen und Qualitäts-Kriterien an die mit einer Liberalisierung einhergehen. unterschiedlichen und vor allem an den richtigen Stellen des Vergabeprozesses einfordern. Das ist eine rechtlich Beispiel Busverkehr … nicht triviale Herausforderung. Entsprechend hat das Im österreichischen (regionalen) Busverkehr laufen Aus- Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Techno- schreibungen seit 2011 in fast allen Bundesländern und logie (bmvit) jüngst einen Leitfaden10 zur Anwendung von werden von den Verkehrsverbünden im Auftrag der Länder Sozial- und Qualitätskriterien bei der Vergabe von Busver- durchgeführt. Der damit einhergehende Wettbewerb geht kehrsdienstleistungen veröffentlicht. Die Initiative fußt auf zulasten der Beschäftigten, die im preislichen Wettbewerb den rechtlichen Weichenstellungen auf EU-Ebene bezüg- eine „Preispufferzone“ bilden. Bei Ausschreibungen sind lich der öffentlichen Auftragsvergabe und auf den anhal- vor allem jene im Vorteil, die mit den kleinstmöglichen Ein- tenden Debatten um die Vorbildwirkung des öffentlichen stiegs-Kollektivverträgen kalkulieren, junge Fahrer/innen Sektors als Auftraggeber, besonders von Verkehrsdienst- beschäftigen und auf sonstige Sozialleistungen verzichten. leistungen. Der Leitfaden bietet einen Katalog „politisch Entsprechend fordert der österreichische Gesetzgeber ver- abgestimmter, jedoch unverbindlicher Qualitätskriterien“ pflichtende Sozialkriterien bei Ausschreibungen, die Prü- und hält konkrete Vorschläge fest, wie und an welcher fung von zu niedrig erscheinenden Angeboten, die Perso- Stelle des Ausschreibungsprozesses öffentliche Auftrag- nalübernahme bei Betreiberwechsel (siehe Beitrag S. 9-11) geber soziale, ökologische und Qualitäts-Kriterien an die und das Bestbieterprinzip in allen Branchen zu verankern Auftragsvergabe, in diesem Falle Busverkehrsdienstleis- – wie in der PSO-Verordnung 1370/2007 vorgeschlagen. Ein tungen, knüpfen können. wichtiger politischer Schritt ist mit der Veröffentlichung des (jedoch unverbindlichen) bmvit-Leitfadens zu Qualitäts-, Noch besteht Wahlfreiheit sozialen und ökologischen Kriterien bei der Vergabe von Die Regulierung des öffentlichen Personenverkehrs ist Busverkehrsdienstleistungen gesetzt worden. Gegenstand fortdauernder Auseinandersetzung zwischen Liberalisierungsbefürworter/innen, die etwa durch die För- … und Schienenverkehr derung des Wettbewerbs über Ausschreibungen eine „ef- Noch besteht die Möglichkeit, Dienstleistungen im Schie- fizientere“ Gewährleistung von Verkehrsdienstleistungen nenverkehr direkt zu vergeben. Nach einem Vorschlag erwarten, und denjenigen, die den (geförderten) öffentli- der Europäischen Kommission soll es jedoch – mit we- chen Verkehr als wesentlichen Bestandteil der Daseins- nigen Ausnahmen – ausschließlich verpflichtende Aus- vorsorge erhalten wollen. Kummer et al. verweisen in ihrer schreibungen für alle Verkehrsdienste geben. Das hieße, Studie11 über den Ausschreibungswettbewerb im Schie- dass der Schienenpersonenverkehr in Österreich nicht nenpersonenverkehr in der EU darauf, dass die bisherigen mehr direkt an die ÖBB und die Privatbahnen vergeben Regelungen der Vergabe von Verkehrsdienstleistungen ei- werden könnte, sondern dass Österreich seinen nationa- nen großen Spielraum dafür lassen, wie der Wettbewerb im len Eisenbahnmarkt einem europaweiten wettbewerb- regionalen Personenverkehr umgesetzt wird. Neben den lichen Ausschreibungsverfahren unterwerfen müss- oben debattierten Vergaberichtlinien ist hierbei vor allem te. Hinzu kommt eine Trennung von Bahninfrastruktur die Verordnung 1370/2007 wesentlich. Diese lässt Auftrag- und Betrieb ab dem Jahr 2019 (siehe Beitrag S. 15-17). gebern im öffentlichen Verkehrsbereich, den Kommunen Franz Stöger, kaufmännischer Vorstand der Wiener und Ländern, die Wahl zwischen Direktvergabe im Eisen- Lokalbahnen, sieht dadurch auf kleine Bahnen mit integ- bahnverkehr, Inhouse-Vergabe bei Busverkehrsdienstleis- rierter Verwaltung große Probleme zukommen:12 tungen und kompetitiven Ausschreibungen und sieht auch die mögliche Anwendung von Sozialkriterien vor. In Diskus- sion ist, ob sich diese Wahlmöglichkeiten mit den Regelun- „Die Ausschreibung der Bahnverkehre führt gen, die das vierte Eisenbahnpaket mit sich bringen wird, in eine teurere Doppelstruktur von Verkehr ändern werden (siehe Beitrag S. 15-17). Mit Sicherheit wird und Infrastruktur. Und die undifferenzierte aber die Anzahl der Ausschreibungen im Personenverkehr europaweite Harmonisierung der technischen insgesamt zunehmen. Mitterlehner et al. empfehlen daher auf Grundlage ihrer vergleichenden Studie über Sozial- Standards für Nebenbahnen wie die Wiener kriterien in vergaberechtlich relevanten Rechtsakten,7 die Lokalbahnen erfordert unfinanzierbare Ausgestaltung von Vergabeprozessen vorausschauend zu Änderungen im Infrastrukturbereich.“ 6
ARBEIT ı BILDUNG ı SOZIALES – ÖSTERREICH IM EUROPAVERGLEICH Stolperfalle Ausschreibungswettbewerb öffentliche Hand kann als wesentlicher Auftraggeber von Studien zeigen, dass in bestimmten Bereichen der Da- Dienst-, Bau- und Warenleistungen im Allgemeinen und seinsvorsorge, so auch im öffentlichen Nahverkehr, die Verkehrsdienstleistungen im Besonderen ihren Einfluss bestmögliche Versorgungsvariante nicht unbedingt über geltend machen und das beste dem preislich günstigs- kompetitive Ausschreibungsprozesse ausgewählt wird. ten Anbot vorziehen. Jüngste Novellierungen der EU- Kummer et al. fanden in ihrer Studie11 heraus, dass Libe- Vergaberichtlinien betonen die soziale Dimension bei ralisierung und Wettbewerb in den Ausschreibungspro- der öffentlichen Auftragsvergabe und interpretieren sie zessen im Schienenpersonenverkehr nicht automatisch stärker als wirtschafts-, sozial-und umweltpolitisches die vermeintlichen Ineffizienzen von Staatsbahnsyste- Steuerungsinstrument. Nun liegt es an den nationalen men ausräumen. Nur begleitende Marktregulierung, Gesetzgebern, diese Möglichkeiten in den einschlägigen genügend Übergangszeit, kompetente und potente Mit- Rechtsakten zu verankern und an den Auftraggebern, bieter und eine überregionale Verkehrsstrategie führen diese in verbindliche Praxis umzusetzen. zu den erwünschten Ergebnissen eines besseren Bahn- angebots. Beispielhaft zeigen die Autoren, wie Schweden und Großbritannien durch eine chaotische Liberalisie- Bettina Haidinger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungs- rung, die teilweise in Wiederverstaatlichung gemündet und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA). Inhaltliche Schwerpunkte: ist, weder ihr Bahnangebot flächendeckend verbessern Industrielle Beziehungen und Wertschöpfungsketten sowie Arbeit, noch Ticketpreise durchgehend senken konnten. Darü- Migration und Geschlechterverhältnisse. Kontakt: haidinger@forba.at ber hinaus führt verpflichtender Ausschreibungswett- bewerb im Schienenpersonenverkehr in vielen Fällen zu sinkenden Anbieterzahlen und Oligopolbildungen: so haben sich die Staatsbahnen „Deutsche Bahn“ und die französische „SNCF“ zu European players entwickelt. Außerdem birgt der Ausschreibungswettbewerb die Ge- 1 OECD (2015): Government at a Glance 2015 fahr, Kostensenkungen auf dem Rücken der Beschäftig- 2 Hermann, C./Flecker, J. (2012): Privatization of Public Services. ten auszutragen, etwa durch Beschäftigungsabbau und Impacts for Employment, Working Conditions, and Service Quality Subvertragsvergaben oder durch Tarifflucht. Eingangs in Europe formulierte Kosten- und Leistungsziele konnten im Zuge 3 Eurobarometer 2011 von Ausschreibungswettbewerben im Personenverkehr 4 Die Richtlinie 2014/24/EU ersetzt die Richtlinie 2004/18/EG meist nur eingeschränkt erreicht werden. Für das Aus- (Öffentliche Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsauf schreibungsmanagement sowie für Regulierungs- und träge); Richtlinie 2014/25/EU ersetzt die Richtlinie 2004/17/EG Koordinationsaufgaben müssen zusätzliche Aufwendun- (Beschaffung im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrs gen berücksichtigt werden. Die Studienautoren11 warnen versorgung sowie der Postdienste). in diesem Zusammenhang „vor einer Überschätzung 5 Pressemitteilung AK Wien/vida (16.7.2015) marktlicher Selbstorganisation und Selbstkoordination“ 6 Erläuterungen der EU-Kommission zu den sozialen Aspekten und halten fest, dass „die Hoffnungen, die in puncto An- der neuen Regeln in der öffentlichen Auftragsvergabe gebotsverbesserungen im Schienenpersonenverkehr an 7 Mitterlehner, B. et al. (2013): Die Organisation des SPNV und den Ausschreibungswettbewerb geknüpft waren, von Be- Kraftfahrlinienpersonenverkehrs in Österreich, ausgewählten ginn an zu optimistisch [waren]“. EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz, P/S/R Public Social Responsibility Institut Politik am Zug 8 Mobifair (2011): Fairer Wettbewerb im Ausschreibungsverfahren Ein wesentlicher Teil der Liberalisierung öffentlicher 9 Holley, S. (2014): The monitoring and enforcement of labour stan- Dienstleistungen ist deren Ausschreibung in kompeti- dards when services are contracted out, in: The Journal of Industrial tiven Verfahren. Bei Verkehrsdienstleistungen stellten Relations 56 (5), S. 672-690 sich die gewünschten Effekte von Ausschreibungswett- 10 bmvit-Leitfaden: Qualitätskriterien, soziale und ökologische Kriterien bewerben, nämlich günstigere, effizientere und fahrgast- bei der Vergabe von Busverkehrsdienstleistungen freundlichere Dienstleistungen bereit zu stellen, auf län- 11 Kummer, S. et al. (2013): Ausschreibungswettbewerb im europä- gere Sicht oft nicht ein. Dazu kommt, dass der preisliche ischen SPNV – Was kann Österreich aus den Erfahrungen von Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten ausgetragen Ausschreibungen in Europa lernen? Zentrum Transportwirtschaft wird. Nichtsdestotrotz wird das Ausschreibungsvolumen Logistik Schulungs- & Beratungs-GmbH bei Verkehrsdienstleistungen in Zukunft steigen. Die 12 Diskussionsveranstaltung des VCÖ 7
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ARBEIT ı BILDUNG ı SOZIALES – ÖSTERREICH IM EUROPAVERGLEICH Beschäftigtenschutz im liberali- sierten öffentlichen Verkehr FÜR SIE GELESEN: 2009 wurde der öffentliche Verkehr innerhalb der EU weitgehend liberali- siert. Was das für die Arbeitsrealitäten der Beschäftigten bedeutet, wird in der von den euro- päischen Sozialpartnern im Bahnsektor (CER und ETF)1 beauftragen Studie zusammengefasst.2 In Österreich wird so viel mit der Eisenbahn gefahren wie Im System des öffentlichen Verkehrs findet auf eu- in keinem anderen EU-Land: Im Jahr 2013 betrug die ropäischer Ebene ein Strukturwandel im Sinne eines GEFASST durchschnittlich zurückgelegte Strecke 1.425 Kilometer neoliberalen Umbaus statt, der Beschäftigte zuneh- KURZ pro Person. Insgesamt wurden 274 Millionen Fahrgäste mend dem freien Markt unterwirft. Durch massive und 11 Prozent der gesamten Personenverkehrsleistung Lobbyarbeit der Sozialpartner im Bahnsektor wurde durch die Bahn erbracht.3 Darüber hinaus beförderte es aber möglich, bei der Vergabe von öffentlichen ÖBB-Postbus als größtes Busunternehmen Österreichs Aufträgen in diesem Bereich auch soziale Kriterien 2014 224 Millionen Fahrgäste.4 Die Wiener Linien haben zu berücksichtigen. zum Ziel, bis 2020 40 Prozent des Personenverkehrs ab- zudecken, was einer Fahrgastzahl von über einer Milli- arde jährlich gleichkommt.5 Öffentliche Verkehrsmittel Qualitäts- und Sozialstandards bei Ausschreibungen be- gewährleisten Mobilität für periphere Regionen, ermög- rücksichtigt werden. Demnach entscheidet nicht mehr lichen den Schulweg, leisten einen wichtigen Beitrag zur das Billigstbieter-, sondern das Bestbieterprinzip. Damit Reduktion des motorisierten Individualverkehrs und somit wurde ein Mittel zur Verhinderung von Lohn- und Preis- zum Klimaschutz und zur Lebensqualität in den Städten. dumping geschaffen sowie die Möglichkeit, bei einem Be- Zudem zählen Betreiber öffentlicher Verkehrsmittel zu treiberwechsel eine Personalübernahme zu verlangen. Ob den größten Arbeitgebern Österreichs (ÖBB: 40.000, Wie- dieses Potenzial genutzt wird, bleibt aber schlussendlich ner Linien: 9.000 Beschäftigte). Wie die Aufträge vergeben der vergebenden Stelle überlassen. Von der PSO-Verord- werden, ist allerdings den wenigsten bekannt. Wie wird nung sind der Betrieb von Eisenbahnen, U-Bahnen, re- etwa festgelegt, wer den städtischen Nahverkehr in Wien gionalen sowie städtischen Bussen und Straßenbahnen betreibt? Welche Schienenstrecken werden von den ÖBB, betroffen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Aufträge welche von privaten Anbietern bedient? Was bedeutet der neben der Vergabe im Wettbewerb und dem wettbewerb- zunehmende Anteil an privaten Betreibern (siehe Grafik lichen Vergabeverfahren nun auch direkt vergeben werden S. 11) für die Beschäftigten und wie können die Beschäf- können.6 Da die Verordnung in allen EU-Staaten gültig ist, tigten bei Betriebsübergängen geschützt werden? Diese müssen die nationalen Gesetze entsprechend der Verord- Fragen werden in der Studie der europäischen Sozialpart- nung angepasst werden. ner des Bahnsektors (ETF und CER) behandelt.2 Schutz der Beschäftigten im Die PSO-Verordnung internationalen Vergleich Unter dem sperrigen Namen „EU-Verordnung 1370/2007 In der hier zusammengefassten Studie, die die über öffentliche Dienstleistung und ihre Erbringung auf EU-27-Staaten (exklusive Malta und Zypern), sowie Schiene und Straße“ (PSO-Verordnung für public service die Schweiz und Norwegen umfasst, werden folgende obligations) versteckt sich ein seit 2009 gültiges Regu- zentralen Fragen behandelt: lativ für die Vergabe von öffentlichen Verkehrsaufträgen. In welchem Ausmaß kommen auf Wettbewerb Nun können gemäß Artikel 4, Absatz 5 und 6 bestimmte ausgerichtete Ausschreibungen zum Einsatz? 9
TRENDREPORT 2/2015 Wie unterscheiden sich die Bestimmungen hin- legen die Vergabestellen die Vergabemethode fest. In den sichtlich Sozial- und Qualitätsstandards bei einem restlichen Ländern kommen Direktvergaben zum Einsatz. Betreiberwechsel? Im öffentlichen Personennahverkehr [ÖPNV] werden die Inwieweit werden soziale Kriterien in Ausschreibungen Aufträge nur in vier Ländern ausschließlich kom peti tiv einbezogen und welche Rolle hat die PSO-Verordnung vergeben. Beim Großteil der Länder (18) entscheiden die in diesem Kontext? Vergabestellen über die Art der Vergabe. Welche Schutzmaßnahmen werden bei einem In den Ausschreibungen können soziale Mindest- Betreiberwechsel in Folge einer öffentlichen Aus- standards wie ein Mindestlohn, Bezahlung oberhalb des schreibung getroffen? Mindestlohns, Zusatzlöhne und Lohnnebenleistungen, die Arbeitszeitorganisation, Ausbildungsmöglichkeiten, Si- Hinsichtlich der Art der Vergabe im öffentlichen Schienen- cherheit und Gesundheitsschutz sowie Pensionsansprü- personenverkehr [ÖSPV] haben bis 2013 nur Schweden che geregelt werden. Im ÖSPV wenden fünf Länder (DE, und das Vereinigte Königreich rein kompetitive Ausschrei- DK, IT, NL, UK) soziale Kriterien in Ausschreibungen an, bungen durchgeführt, die somit ausschließlich auf Wett- sieben im ÖPNV (AT, BG, DE, FI, FR, NO, ES). Besonders bewerb ausgerichtet waren. In der Tschechischen Repub- relevant ist die Festlegung von Sozialstandards in Aus- lik, Dänemark, Deutschland, den Niederlanden und Italien schreibungen, wenn weder flächendeckende Tarifverträge noch hohe gesetzliche Mindeststandards existieren. Neben der Verordnung zur Einhaltung gewisser Sozialstandards ist der Beschäftigungsschutz beim Be- Negativbeispiel einer treiberwechsel zentral. Von den untersuchten Ländern Ausschreibung in Polen ist der Personalübergang in sieben Ländern entweder gesetzlich oder kollektivvertraglich geregelt. In sechs 2012 wurden die drei in der Woiwodschaft Kujawsko- Ländern, darunter Österreich, ist er optional und in fünf Pomorskie existierenden Bahnlinien für den Zeitraum Ländern gibt es keine diesbezüglichen Standards. Re- von 2013 bis 2015 ausgeschrieben. Bis 2012 wurden alle levant für eine gelingende Personalübernahme sind die Strecken von Przewozy Regionale S.A. betrieben. Das Streckennetz wurde in drei Lose aufgeteilt. Neben dem Art des angewandten rechtlichen Rahmens (Richtlinie etablierten Anbieter beteiligte sich Arriva RP als Zweit- 2001/23/EG7 oder PSO-Verordnung), die Einzelheiten bieter. Auswahlkriterien waren lediglich die Kosten (90 der angewandten Bestimmungen, das Ansehen und die Prozent Gewichtung) und die Einhaltung der Fahrpläne Stärke der Gewerkschaft und gemeinsame Interessen (10 Prozent Gewichtung). Anforderungen an die Sozial- zwischen Betriebsveräußerer und -erwerber. Zentrale bedingungen oder die Personalübernahme wurden von Fragen für die Personalübernahme sind: wer (Subauf- der zuständigen Vergabestelle keine gestellt. Es galten tragnehmer/innen, befristet Beschäftigte, Bedienstete, also lediglich die gesetzlichen Mindeststandards. Arriva die nur einen Teil der veräußerten Strecke bedienen) wird erhielt im September 2012 die Zuschläge für zwei der zu welchen Bedingungen übernommen und wie lange drei Lose und wollte mit Przewozy Regionale hinsichtlich haben Übergangsregeln Gültigkeit? des Betriebsübergangs kooperieren, um einen reibungs- Ein Fallbeispiel aus Polen (siehe Kästchen linke losen Wechsel des Hauptpersonals (und damit auch des Spalte) zeigt, welche negativen Folgen für die Beschäf- Streckenbetriebs) zu gewährleisten. Przewozy Regionale verweigerte jedoch die Kooperation mit dem Konkurren- tigten durch mangelnden Schutz beim Betriebsübergang ten und leitete Kündigungen des Personals für die nicht entstehen können, wenn keine Regelungen bezüglich der mehr bedienten Strecken ein. Viele der Entlassenen wa- Personalübernahme existieren. ren dadurch gezwungen sich daraufhin bei Arriva zu be- Generell hängt die Ausgestaltung sehr stark von werben. Die faktische Ausgestaltung der neuen Arbeits- den nationalen Gesetzen und Konventionen ab. Im Ver- verträge ist nun jedoch dem freien Markt unterworfen einigten Königreich etwa wird meist das gesamte Perso- und hängt sehr stark von der Marktposition der Arbeit- nal mit allen Arbeitsbedingungen übernommen. Kündi- nehmer/innen ab. Während etwa Triebfahrzeugführer/ gungen sind aber aus wirtschaftlichen, technischen und innen aufgrund eines Mangels an qualifizierten Perso- organisatorischen Gründen möglich. Vergleichsweise nen vergleichsweise große Verhandlungsmacht haben, wenig Erfahrung gibt es beim Übergang von Beschäf- ist ein Großteil der Entlassenen am Arbeitsmarkt we- tigten mit beamtenähnlichen Dienstverträgen. In Däne- niger gefragt und daher in einer schlechteren Verhand- mark etwa steht ihnen frei, zwischen der Entsendung lungsposition und muss dementsprechend schlechtere Bedingungen akzeptieren. zum neuen Betrieb, einer Freistellung beim alten Betrieb mit befristeter Beschäftigung beim neuen Betreiber oder 10
ARBEIT ı BILDUNG ı SOZIALES – ÖSTERREICH IM EUROPAVERGLEICH Marktanteile der privaten der Umsatz um 4,2 Prozent auf drei Euro pro Kilometer Eisenbahnverkehrsunternehmen im gefallen, wohingegen der Aufwand um 6,6 Prozent auf 3,5 Personenverkehr in Österreich Euro pro Kilometer gestiegen ist. Die gefahrenen Kilome- Quelle: Schienen-Control ter pro Autobus seien um 26 Prozent gesunken, jene pro 16% Lenker um 15 Prozent, während die Leerkilometer pro 14% Bus um 16,1 Prozent gestiegen sind. Dienstleistungen wie 12% eine Fahrplanauskunft würden nicht mehr extra finanziert, 10% die Zuständigkeiten seien aufgeteilt und würden Synergi- 8% en zwischen den Betreibern verhindern, außerdem wür- 6% den die Fahrzeuge unwirtschaftlich eingesetzt. 4% 2% Dynamisierung und 0% 2009 2010 2011 2012 2013 gewerkschaftliches Engagement Auch wenn in Österreich die (ehemaligen) staatlichen Be- Reisende treiber noch den höchsten Anteil am öffentlichen Personen- Personenkilometer verkehr erbringen, ist durch den steigenden Anteil von pri- Personenzugkilometer vaten Linien – 2013 betrug er bei den Bahnreisenden schon rund 14 Prozent – vermutlich auch hier von einer Dynami- einer Übernahme durch den neuen Betreiber zu wählen. sierung auszugehen. Aus diesem Grund sind Informationen Es entschieden sich nur 15 Prozent für eine Übernahme. darüber, wie bei Ausschreibungen Sozialstandards eingefor- dert werden und welche gewerkschaftlichen Maßnahmen Die Situation in Österreich getroffen werden können, besonders wichtig. Die Verkehrs- Dieses Thema hat auch in Österreich mit rund 60 Pro- und Dienstleistungsgewerkschaft vida veröffentlichte 2011 zent pragmatisierten Bediensteten im öffentlichen Ver- ein Positionspapier zur PSO-Verordnung, das einen guten kehr große Relevanz. Bis 1995 (Postbus) bzw. 2005 (ÖBB) Überblick bietet und eine Checkliste für Gewerkschafter/ wurden noch beamtenähnliche Dienstverträge vergeben. innen beinhaltet.10 Ein umfangreicherer Handlungsleitfaden ÖBB-Postbus etwa hat 68 Prozent pragmatisierte Be- zur PSO-Verordnung wurde auch von ETF bereitgestellt.11 So schäftigte und 15 verschiedene Dienstrechte, was bei Aus- sollen auch in Zukunft faire Arbeitsbedingungen im öffentli- schreibungen aufgrund höherer Kosten zu einem Wettbe- chen Personenverkehr gewährleistet werden können. werbsnachteil führt.8 Wie damit in Zukunft umgegangen werden kann, ist noch unklar. Text: Franz Astleithner Institut für Soziologie, Universität Wien Grundsätzlich kommen in Österreich unterschiedliche Vergabemethoden zum Einsatz: Die Ausschreibungen im ÖPNV geschehen durch die acht Verkehrsverbünde im Namen der Gemeinden und 1 CER ist der europäische Arbeitgeberverband, ETF Bundesländer. Bis 2010 wurden nur neue Strecken (European Transport Workers' Federation) die europäische ausgeschrieben, seit 2010 werden aber auch Gewerkschaft für den Bahnsektor. bestehende Strecken vergeben. 2 Weber, T./Frenzel, H. (2013): Soziale Aspekte und Schutz der Anders ist die Situation im ÖSPV, wo die Aufträge Beschäftigten bei einem Wechsel des Bahnbetreibers: bisher immer direkt vergeben wurden. Die aktuelle Situation - ein Bericht für ETF und CER Die Aufträge für den Betrieb der Wiener Linien können, 3 bmvit da sie als Teil der Wiener Stadtwerke im Besitz der 4 Postbus Stadt Wien sind, direkt vergeben werden. 5 Wiener Linien 6 Die Direktvergabe ist für interne Betreiber, für kleine und Dass allerdings Ausschreibungen nicht immer zu optima- mittlere Unternehmen und Eisenbahnbetreiber möglich. len Ergebnissen führen, belegen Aussagen von Christian 7 Richtlinie zum Betriebsübergang Kern, Vorstand der ÖBB-Holding:9 Durch die Ausschrei- 8 Der Standard am 13.12.2013 bungen von Verkehrsdienstleistungen sei der Druck enorm 9 Der Standard am 23.3.2015 gestiegen. Zwar konnte ÖBB-Postbus 86 Prozent der aus- 10 vida Fakten, Fokus Wirtschaft, April 2011 geschrieben Kilometer für sich entscheiden, allerdings ist 11 ETF, Ein Gewerkschaftsleitfaden zur EU-Verordnung 1370 11
TRENDREPORT 2/2015 „Freihandelsabkommen zielen darauf ab, öffentliche Monopole abzubauen“ INTERVIEW: Die EU verhandelt derzeit mehrere Freihandelsabkommen. Über deren mögliche Auswirkungen auf öffentliche Dienstleistungen und die Gefahr künftiger Liberalisierungsverpflichtungen spricht der deutsche Rechtswissenschafter MARKUS KRAJEWSKI im Interview mit der Arbeitssoziologin Bettina Haidinger (FORBA). Trendreport: Derzeit werden für die EU zahlreiche und unumkehrbar zu machen, den sogenannten Handelsabkommen angebahnt, darunter das Abkom- Ratchet-Effekt. Was ist damit gemeint? men mit den USA (TTIP), das mit Kanada (CETA) und ein plurilaterales Abkommen über den freien Dienst- Krajewski: Bei den EU-Handelsabkommen der neuen leistungsverkehr (TiSA). Diese sollen auch im Bereich Generation kommt der sogenannte Negativlistenansatz der öffentlichen Dienstleistungen Liberalisierungsver- zur Anwendung. Das heißt, dass Dienstleistungen, die pflichtungen und mehr Marktöffnung schaffen. Welches NICHT explizit in einer Liste angeführt werden, demnach Konfliktpotenzial sehen Sie zwischen derartigen Frei- liberalisiert werden müssen. Bisher war eine Positivlis- handelsabkommen und öffentlichen Dienstleistungen? te üblich, bei der nur jene Dienstleistungen liberalisiert werden mussten, die ausdrücklich genannt sind. Krajewski: Freihandelsabkommen wie CETA, TTIP Verschärft wird dieser Ansatz noch durch eine und TiSA zielen unter anderem darauf ab, öffentliche so genannte Ratchet-Klausel, die vorsieht, dass Dienst- Monopole oder andere Beschränkungen der Zahl der leistungen, die zwar auf der Liste genannt sind, aber Anbieter einer Dienstleistung abzubauen. Damit gera- dann doch liberalisiert werden, später nicht mehr zu- ten typische Regulierungsinstrumente für öffentliche rückgeführt werden können. Diese Klausel gilt aber Dienstleistungen unter Druck. Nicht selten kann dies nicht für alle Dienstleistungen, sondern nur für solche, auch zu einem faktischen Privatisierungsdruck führen, für die besondere Verpflichtungen übernommen wur- obwohl die Abkommen formal hierzu nicht verpflichten. den. In diesen Fällen müssen die Staaten genau ange- Wenn sich die Staaten vor derartigen Auswirkungen ei- ben, welche aktuellen Regelungen bei ihnen noch be- nes Freihandelsabkommens schützen wollen, müssen stehen, die den Marktzugang noch beschränken. sie ihre Verpflichtungen und Ausnahmen sehr genau Werden diese Maßnahmen dann im Zuge einer festlegen und darauf achten, dass ihnen auch zukünftig staatlichen Liberalisierungspolitik beseitigt, können sie Regulierungsspielräume bleiben. Das ist theoretisch später nicht wieder eingeführt werden, obwohl sie aus- möglich, aber nicht einfach. drücklich als Ausnahme angegeben wurden. Das ist vor allem dann problematisch, wenn nach einem Politik- oder Regierungswechsel Liberalisierungsmaßnahmen Trendreport: Ein spezifischer Kritikpunkt bezieht sich wieder zurückgenommen werden sollen. Will man die auf die Gefahr, künftige Liberalisierungsverpflichtun- Wirkungen der Ratchet-Klausel vermeiden, muss man gen auf Dauer in diesen Abkommen festzuschreiben sich zukünftige Änderungen ausdrücklich vorbehalten. 12
ARBEIT ı BILDUNG ı SOZIALES – ÖSTERREICH IM EUROPAVERGLEICH Trendreport: Im Zuge von Freihandelsabkommen wird werden und sicherstellen, dass auch zukünftige und auch die öffentliche Auftragsvergabe neuen Regelun- neue Aufgaben der Daseinsvorsorge erfasst werden gen unterworfen. Was bedeutet das für die Zulässigkeit können. Außerdem müssen diese Ausnahmeklauseln von Instrumenten der kommunalen Selbstverwaltung alle Liberalisierungspflichten erfassen und auch für und der interkommunalen Zusammenarbeit, etwa von den Grundsatz der Inländerbehandlung gelten. Verkehrsverbünden? Krajewski: Hier ist sehr genau zu prüfen, ob die soge- Trendreport: Herzlichen Dank für das Interview! nannte „Inhouse-Vergabe“ oder interkommunale Ko- operation weiterhin ausschreibungsfrei möglich ist. Da die Kapitel zur öffentlichen Auftragsvergabe in Freihan- delsabkommen ganz anders strukturiert sind als das EU-Vergaberecht, können die Lösungen des EU-Rechts nicht einfach übertragen werden. Im CETA hat man eine Formulierung gefunden, die interkommunale Koopera- tion und Inhouse-Vergabe weiterhin möglich erscheinen lässt. Die Definition könnte jedoch noch klarer sein. Trendreport: Um Konflikte zwischen öffentlichen Dienstleistungen und Freihandelsabkommen zu re- duzieren, können Ausnahmeklauseln für ihren An- wendungsbereich und bezüglich ihres Schutzniveaus erstellt werden. Könnte der öffentliche Personen- © Harald Sippel nahverkehr in eine solche Ausnahmeregelung fallen? Wenn ja, auf welcher Ebene? Krajewski: Es gibt mehrere Ebenen, auf denen Aus- nahmeklauseln für öffentliche Dienstleistungen in Freihandelsabkommen verwendet werden können. Ob Zur Person: der ÖPNV unter eine solche Klausel fällt, hängt auch Prof. Dr. Markus Krajewski lehrt vom Wortlaut der jeweiligen Ausnahmeklausel ab. So öffentliches Recht und Völker- dürfte der ÖPNV von der allgemeinen Ausnahmeklau- recht an der Universität Erlan- sel für „Dienstleistungen, die in Ausübung hoheitlicher gen-Nürnberg. Zu seinen For- Gewalt erbracht werden“, nicht erfasst werden. Am schungsschwerpunkten zählen sichersten ist es, wenn in den Listen mit spezifischen Wirtschaftsvölkerrecht, Europäi- Zugeständnissen der EU und der Mitgliedstaaten ent- sches Außenwirtschaftsrecht und sprechende Ausnahmeklauseln in den Abschnitten für das Recht öffentlicher Dienst- schienen- und straßengebundene Personenverkehrs- leistungen. Er ist Mitglied des dienstleitungen formuliert werden. Wissenschaftlichen Beirats der Bundesvereinigung öffentlicher Dienstleistungen (bvöd) und berät Trendreport: Wie müssten aus Ihrer Warte rechtssi- Gewerkschaften, kommunale Un- chere und umfassende Schutzriegel für öffentliche ternehmen und Verbände zu Fra- Dienstleistungen in internationalen Freihandelsab- gen des internationalen Handels- kommen gestaltet sein? und Investitionsschutzrechts. Krajewski: Bereits bestehende Ausnahmeklauseln für Kontakt: markus.krajewski@fau.de öffentliche Dienstleistungen müssten klarer formuliert 13
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ARBEIT ı BILDUNG ı SOZIALES – ÖSTERREICH IM EUROPAVERGLEICH Eisenbahn-Personenverkehr: die Tücken der Liberalisierung ANALYSE: Die Europäische Kommission plant im vierten Eisenbahnpaket die vollständige Liberalisierung des Eisenbahn-Personenverkehrs. Überwiegen die vermeintlichen Einsparungen durch die Liberalisierung oder die möglicherweise entstehenden Mehrkosten für die Allgemeinheit? Fjodor Gütermann Das System Bahn in Österreich Anhand von Erfahrungen in mehreren europäischen Der Eisenbahnsektor in Österreich ist nicht nur Teil einer Ländern wird der Frage nachgegangen, inwieweit die GEFASST leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur, sondern zugleich von der Europäischen Kommission prognostizierten auch ein sehr bedeutender Wirtschaftssektor. Laut einer Ersparnisse realistisch sind. Durch die Darstellung KURZ Studie der Industriellenvereinigung generiert das Sys- möglicher Mehrkosten werden die Prognosen der tem Bahn in Österreich mit rund 54.000 Beschäftigten Kommission relativiert.1 einen Umsatz von rund 8,4 Milliarden Euro jährlich. Da- raus resultiert eine Bruttowertschöpfung von rund 4,1 Milliarden Euro, das sind in etwa 1,4 Prozent des öster- Direktvergabe oder Ausschreibung? reichischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2011.2 In Österreich wird ein Großteil des Nah- und Regionalver- Schätzt man auch die indirekten und induzierten Effekte3 kehrs direkt vom Bund über den Vertrag der Gemeinwirt- auf Wertschöpfung und Beschäftigung, so erzeugt das schaftlichen Leistungen (GWL) finanziert. GWL sind Leis- System Bahn in Summe eine Inlandswertschöpfung von tungen, deren Erbringung im öffentlichen Interesse liegt, rund neun Milliarden Euro und sichert die Arbeitsplätze deren Kosten jedoch nicht ausschließlich aus Tariferlö- von rund 128.000 Beschäftigten in Österreich.4 sen gedeckt werden können. Da solche Leistungen am freien Markt nicht angeboten werden würden, bedarf es Das vierte Eisenbahnpaket einer Mitfinanzierung durch öffentliche Stellen. Auch der Die Europäische Kommission (EK) hat im Januar 2013 das Straßenverkehr muss beispielsweise durch die öffentliche vierte Eisenbahnpaket vorgelegt, in dem die vollständige Hand subventioniert werden, da die erzielten Einnahmen Liberalisierung des Schienenpersonenverkehrs (SPV) nur rund ein Drittel der Kosten decken. sowie die weitere strukturelle Trennung von Infrastruktur Der Bund wendete im Jahr 2013 für die Abgeltung und Verkehrsbetrieb vorgesehen sind. Außerdem strebt gemeinwirtschaftlicher Leistungen bei den ÖBB rund 592 die EK ein Verbot der derzeit möglichen Wahlfreiheit Millionen Euro auf. Hinzu kommen die Leistungen, die Län- der zuständigen Behörden zwischen Direktvergabe und der und Gemeinden bei den ÖBB bestellen sowie gemeinwirt- Ausschreibungswettbewerb im Schienenverkehr an: Alle schaftliche Leistungen diverser Privatbahnen. Im Jahr 2011 Verkehre, die mit öffentlichen Mitteln gestützt werden, stammten so insgesamt 812,5 Millionen Euro aus der Erfül- um Aufgaben der Daseinsvorsorge nachkommen zu kön- lung von gemeinwirtschaftlichen Aufträgen5 – das sind rund nen, müssten dann EU-weit ausgeschrieben werden. Die 46 Prozent der Umsatzerlöse der ÖBB-Personenverkehr AG. EK erwartet dadurch Einsparungen von bis zu 30 Prozent für die ausschreibenden Stellen. Im Fokus sind ebenso Aggressive Preisstrategien die Bahnkund/innen: Durch die weitere Liberalisierung Diese Zahlen verdeutlichen nicht nur die Bedeutung der erwartet sich die EK höhere Fahrgastzahlen und bessere GWL-Verträge für den österreichischen Eisenbahnsek- Servicequalität im SPV. tor, sondern auch das Risiko, falls es zu einem Verbot 15
TRENDREPORT 2/2015 der Direktvergabe käme. Unternehmen wie die ÖBB sind Anreiz, mittels aggressiver Preisstrategie möglichst viele nicht in der Lage, ihre Unternehmensgröße kurzfristig Ausschreibungen für sich zu entscheiden und auf Nachver- beliebig zu verkleinern. Im Fall von Ausschreibungs- handlungen während der Vertragslaufzeit zu spekulieren. wettbewerben müssten die ÖBB deswegen versuchen, durch den Gewinn vieler Aufträge („Lose“) ihre Größe Auswirkungen auf Preise, Qualität und ihr Geschäftsmodell zu halten – unter anderem und Beschäftigte auch durch „unterpreisige“ Angebote bei Ausschreibun- Ein weiterer wichtiger Punkt in der Argumentation der EK gen, um diese zu gewinnen. für die Liberalisierung des Bahnsektors ist das behaup- In Schweden hatte im Jahr 2003 eine ähnliche Situ- tete Einsparungspotenzial von bis zu 30 Prozent für die ation kostspielige Folgen: Die Insolvenz des nationalen Be- ausschreibenden Stellen. Diese Einsparungen sollten in treibers Statens Järnvägar (SJ) konnte nur durch staatliche weitere Folge durch niedrigere Ticketpreise an die Fahr- Subventionen in der Höhe von knapp 200 Millionen Euro ab- gäste weitergegeben werden. Untersuchungen in Großbri- gewendet werden.6 Die internationalen Erfahrungen in Aus- tannien7 und Schweden8 zeigten jedoch, dass die Ticket- schreibungswettbewerben zeigen weiters, dass es nur bei preise nach der Liberalisierung signifikant angestiegen der ersten Ausschreibungswelle zu Einsparungen kommt sind. Hinzu kommt, dass sich der Wettbewerb, gemäß der (Billigbieterprinzip). Problematisch gestaltet sich insbe- Devise „Der Billigste bekommt den Zuschlag“, weitest- sondere die beobachtete langfristig sinkende Zahl an Un- gehend zu Lasten der Qualität der erbrachten Leistung ternehmen, die sich am Ausschreibungswettbewerb betei- sowie zu Lasten der Lohn- und Sozialstandards für die ligen. Dies führt dazu, dass aufgrund der Marktbereinigung Beschäftigten realisierte. In Deutschland und Großbri- und der damit verbundenen Oligopolisierung die Preise tannien verschafften sich private Verkehrsunternehmen wieder steigen. Zusätzlich fehlt durch den Ausschreibungs- Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren öffentlichen Kon- wettbewerb auch die Flexibilität bei Nachfrageänderungen. kurrenten. Dies wurde erreicht, indem sie sich weigerten, So müssen etwa Zusatzbestellungen aufgrund höherer kollektivvertragliche Regelungen einzuhalten.9 Fahrgastzahlen nachverhandelt werden, da dies im Vorhi- Nach den Vorstellungen der EK werden sich die nein vertraglich nicht vereinbart war. Durch den Ausschrei- Verkehrsdienste durch den Wettbewerb – quasi automa- bungswettbewerb entsteht für Unternehmen deswegen ein tisch – sowohl quantitativ als auch qualitativ verbessern. Kein Zusammenhang zwischen Liberalisierungsgrad und Marktanteil der Bahnen am Personenverkehr Quellen: Kirchner, C. (2011): Rail Liberalisation Index 2011, S. 22, sowie European Commission (2011): EU Transport in figures, S. 43 900 18 800 16 700 14 600 12 500 10 400 8 300 6 200 4 100 2 0 0 DE EE FR HU AT UK CH Liberalisierungsindex 2011 (Skala links) Anteil der Bahn am Modal Split 2009 in Prozent (Skala rechts) Anmerkung: Der Liberalisierungsindex beschreibt die Marktöffnung (market opening). Ein Wert zwischen 800 und 1000 Punkten bedeutet, dass die Marktöffnung fortgeschritten ist (advanced), ein Wert zwischen 600 und 799 Punkten zeigt an, dass sie planmäßig vorangeht (on schedule) und ein Wert zwischen 300 und 599 Punkten bedeutet, dass die Marktöffnung verspätet ist (delayed). 16
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