VON DER BEFREITEN UNI ZUR LERNFABRIK - ASTA FU BERLIN
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84 Von der Befreiten Uni zur Lernfabrik Von der Befreiten Uni zur Lernfabrik Manfred Suchan (1998, vom Autor überarbeitet 2008) 1 Klaus Heinrich, stu- Das neue neoliberale Regulationsregime autoritärer dentischer Mitbegründer der FU, 1989: Zur Geist- Herrschaft vor der Vollendung? losigkeit der Universität 16 Jahre neokonservative Hegemonie haben in Univer- heute. In: Das Argument „Die Forderung nach Demokratisierung der wissen- sität und Gesellschaft Ruinenlandschaften hinterlassen. 173, S. 9. schaftlichen Produktion in der Hochschule ist kein Noch bis Ende der 80er Jahre sah es so aus, als könnten Vorschlag zur größeren Effizienz oder zur besseren starke Neue Soziale Bewegungen, und mit ihnen die Stu- Planung von Leistungssteigerung. Die Entfesselung dierendenbewegung, ein wirksames Gegengewicht zu dem von Produktivkräften, auf die diese Forderung nach neoliberalen Bündnis aus Konservativen und Modernisie- Demokratisierung der Hochschule hinauswill, steht rerInnen bilden. Doch nur letzteres, dessen Zeit schon ab- mit dem zur systemstabilisierenden Leistungsmoral gelaufen schien, konnte politischen Gewinn aus dem unver- verkommenen Begriff von Produktivitätssteigerung hofften Zusammenbruch der ‚Systemalternative‘ ziehen, in Widerspruch. Denn die intendierte Entfesselung so daß die 90er Jahre die lange zuvor angekündigte ‚geis- der Produktivkräfte besteht nicht in weiterer Steige- tig-moralische Wende‘ brachten. Nach einem kurzen, aber rung inhaltsleerer Leistungsfähigkeit, sondern in der heftigen Kampf um die Definition der Situation war klar: Emanzipation der lebendigen Produktivkraft Mensch Die zuvor ausgemachten Grenzen des Wachstums sollten zur Bestimmung und Aneignung des gesamten Produk- nun noch einmal überschritten werden. Der zuvor scharf tionsprozesses seines Lebens.“ (Aus der Hochschulre- kritisierte technologische und wissenschaftliche Fortschritt solution der 22. Delegiertenkonferenz des SDS 1967) wurde revisionistisch umgearbeitet und konnte schließlich ganz und gar unambivalent wieder zur ersten Produktiv- „Ich beginne mit der Beziehung der Universitätsmit- kraft ausgerufen werden. Die Neuen Sozialen Bewegungen glieder zu ihrer Institution. Was jeden Angehörigen verfielen, und neo-‚liberale‘ Politik konnte jetzt hemmungs- meiner Generation verblüfft, ist die totale Enteroti- los umgesetzt werden. Der Weg zur neo-konformistischen sierung dieser Beziehung. Die Universität ist nicht autoritären Leistungsuniversität war frei. mehr Haß- und Liebesobjekt, so wie zuletzt noch für Bei einem wahrscheinlichen Regierungswechsel in Berlin die Generation der Studentenbewegung der sechziger im nächsten Jahr (1999) ist es daher ungewiß, ob es einer Jahre […]. Es gibt keine Universitätsutopien mehr, und Sozialdemokratie, die mit der Verstaatlichung der Univer- immer weniger ehemalige Universitätsutopisten wer- sitäten bei gleichzeitiger Entstaatlichung der Wirtschaft ten dies als das Charakteristikum einer Umbruchszeit. in den 70er Jahren dem Konservatismus die Wende vor- Folgerichtig ist die Universität mit ihren Problemen wegnahm, und Bündnisgrünen, denen mit ihrer Basis ihr auch dem öffentlichen Interesse abhandengekommen Subjekt verloren gegangen scheint, sowie marginalisierten […].“ – Klaus Heinrich 1 demokratischen Sozialisten gelingen wird, einen überfäl-
85 2 Pascal Beucker ligen Paradigmenwechsel in Universität und Gesellschaft 1986 zum Erhalt des tarifvertraglich abgesicherten Ber- diagnostiziert treffend: einzuleiten, wenn dieser nicht von einer breiten emanzipa- liner Tutorienmodells5. Ebenso konnte die beabsichtigte „Doch die neue ‚Stu- torischen Bewegung eingefordert wird. Abschaffung der verfaßten Studierendenschaft abgewehrt dentInnenbewegung‘ werden6. Mit einem derart entschlossenen Widerstand der stellt nicht die Ursache für eine Krise der 1. Der Verlust der Utopie und die Krise der FU Studierenden hatte keiner der selbsternannten Regulatoren Hochschullinken dar, sie Der letzte bedeutende Aufbruch von Studierenden der FU der sprichwörtlichen ‚deutschen Bildungskatastrophe‘ aus ist vielmehr Ausdruck im WS 1988/89 liegt mittlerweile 10 Jahre zurück. Dieser Universitätsführung und Senatsadministration gerechnet, dieser Krise. Aufgetrie- ben in ritualisiertem war zugleich der letzte studentische Aufbruch, bei dem der so daß der CDU/FDP-Senat gar seinen Wissenschafts- innerlinkem Hickhack, Studierendenschaft der FU noch eine Vorreiterrolle inner- senator Wilhelm Kewenig 1986 fallen ließ. Kewenig fand gut eingerichtet in den linken Nischen der halb der Studierendenbewegung der BRD zukam. Auch von nun an als Innensenator Verwendung, um fortan die studentischen Selbstver- diesem Aufbruch lag ein über Jahrzehnte existentes Selbst- Universitäten von außen polizeitechnisch zu regulieren, waltung und den eigenen bewußtsein der Studierendenschaft der FU zugrunde, das wie sich bald zeigen sollte. Ersetzt wurde er durch George Zusammenhang als Na- bel der Welt begreifend, ohne Berücksichtigung der Besonderheiten der von Studie- Turner, der die gleiche Politik in abgewandelter Verpa- ist die Hochschullinke renden gegründeten Freien Universität und ihres Modellan- ckung erneut präsentierte. Die Zusammenarbeit des Wis- schon seit einiger Zeit spruchs unverständlich bleibt. Gerade dieses Selbstbewußt- senschaftssenators insbesondere mit der FU war hervorra- nicht mehr in der Lage, veränderte Realitäten sein gab den Studierenden der FU lange Zeit die Kraft zum gend. Dafür sorgte FU-Präsident Dieter Heckelmann, der an den Hochschulen Widerstehen gegenüber den Zumutungen und Anmaßun- von der ‚Liberalen Aktion‘, dem hochschulpolitischen Arm adäquat wahrzunehmen und sich den daraus gen der restaurierten alten Verhältnisse in Universität und der Notgemeinschaft für eine freie Universität (NofU), mit entstandenen neuen Gesellschaft. verschiedenen Tricks bis hin zu Wahlmanipulationen fast Anforderungen an linke So führte die Studierendenschaft der FU im Rekurs auf den 10 Jahre im Amt gehalten wurde7. Erst die vom Akademi- Politik zu stellen.“ In: ders. 1989: Die Karten Gründungsanspruch der Freien Universität auch dann noch schen Senat (AS) und Kuratorium am 28.11.1988 geplante werden neu gemischt. einen hoffnungslosen Kampf um die grundlegende Reform Zusammenlegung mehrerer Institute und die offiziellen Die ‚Neue StudentInnen- von Universität und Gesellschaft, gegen einen wiederauf- Jubelfeiern zum 40-jährigen Bestehen der FU unter de- bewegung‘ und die orga- nisierte Hochschullinke. erstandenen ‚Muff von 1000 Jahren‘, als dieser woanders monstrativem Ausschluß der studentischen Öffentlichkeit In: Blätter für deutsche schon längst aufgegeben worden war. Quelle dieser Kraft bewirkte den entschlossenen und geschlossenen Massen- und internationale Poli- tik, Januar 1990, S.82. war die von Studierenden der FU immer wieder erneut protest der Studierenden. aufgegriffene, neu interpretierte und umgesetzte Utopie Nach der Kritischen Uni 20 Jahre zuvor war die im WS 3 Vergl.: Landefeld, einer repressionsfreien Universität ohne Zwang in einer 1988/89 neu entstandene Befreite Uni ein weiterer Versuch Beate et al. 1978: Der freien Gesellschaft. Diesem immer wieder erneuerten Mut der Studierenden der FU, den studentischen Gründungs- Streik – Lehren aus dem zur Utopie ihrer Studierendenschaft verdankt die FU ihre anspruch der FU aufzugreifen, neu zu interpretieren und 1. nationalen Studenten- Entstehung und ihre Fortexistenz. Ein dauerhafter Verlust zeitgemäß umzusetzen. streik Wintersemester 1977/78. Dortmund. dieser Utopie und die bleibende Unfähigkeit ihrer Studie- rendenschaft zur Erneuerung dieser Utopie wäre daher das 3. Die Re-Formierung der autoritären 4 Vergl.: UStA Hoch- endgültige Ende der Freien Universität. Die Entwicklungen Leistungsuniversität schulreferat 1977: Ergeb- der 90er Jahre bis hin zum studentischen Streik 1997 lassen Die gewaltige Stärke der UNiMUT-Bewegung während nisse und Erfahrungen es jedoch ungewiß erscheinen, ob es einer tiefgreifend ent- ihrer Hochphase im Dezember verleitete einen Großteil der aus unserem 4-monati- gen Arbeitsprozess zum politisierten Studierendenschaft in Zukunft gelingen wird, AktivistInnen zu dem Trugschluß, alles sei hier und jetzt Hochschulrahmengesetz zumindest die Idee freier Universitäten zu bewahren. möglich. Doch die Hoffnung der UNiMUT-bewegten Ak- und Referentenentwurf. tiven auf einen Fortbestand der Befreiten Uni über die Se- Berlin. 2. Von der neokonservativen Wendeuni mesterferien hinweg ins SoSe 1989 erfüllte sich nicht. 5 Der Arbeitskampf der zur Befreiten Uni Zwar war die Befreite Uni nach den Wahlen zum Berliner 3700 studentischen Be- Niemand hatte unmittelbar vor dem Dezember 1988 mit Abgeordnetenhaus am 29.01.1989 nicht mehr durch den Se- schäftigten ist dokumen- studentischen Protesten gerechnet: weder auf der Seite der nat und die von ihm zu verantwortenden Prügeleinsätze der tiert in: Büchner, Gerold organisierten Hochschullinken2 , noch auf Seiten der Uni- Polizei unter der Regie des Innensenators Kewenig bedroht, et al. 1986: Bis hierher und nicht weiter. Der versitätsverwaltung und der Berliner Senatsadministration. mit denen der CDU/FDP-Senat noch kurz vor den Wahlen Berliner Tutorenstreik Zudem lag der letzte bedeutende studentische Aufbruch die ‚Universitätsfrage‘ gewaltsam lösen wollte. Über 200 1986. Hamburg. mittlerweile auch schon 10 Jahre zurück. Damals galt es, verletzte StudentInnen, 55 Festnahmen und davon 26 Er- mit einem ‚nationalen Studentenstreik‘ im WS 1977/78 und mittlungsverfahren, 34 Hausfriedensbruchanzeigen und 17 6 Das war eine der der Gründung ‚Demokratischer Gegenhochschulen‘ Reste Strafprozesse war die Bilanz nach mehrtägigem Wüten der Hauptforderungen der Notgemeinschaft für der Universitätsreform von 1969 im Hochschulrahmenge- Aufstandsbekämpfungseinheit EbLT auf dem Campus8. eine freie Universität setz (HRG) zu retten3. An der FU gelang der Bewegung im- Als konzertierte Bedrohung der Befreiten Uni erwiesen (Nof U): „Die Organe der merhin die Absicherung ihres UStA im HRG4, so daß die sich nun einerseits die Konjunkturen studentischer Bewe- Verfaßten Studenten- schaft werden in Berlin Studierendenschaft der FU nach neun Jahren wieder über gung, die während der Semesterferien eine erdrutschartige auf absehbare Zeit in der einen AStA verfügte. Doch letztlich nahm eine technokra- Baisse verzeichneten. Kombiniert mit den Restaurations- Hand von Extremisten tische ‚Reform‘ mit der Verstaatlichung der Universitäten bestrebungen des materiell und institutionell privilegier- und Chaoten bleiben. Sie haben deshalb dem bei gleichzeitiger Entstaatlichung der Wirtschaft dem Neo- ten NofU-Kartells um Heckelmann9, bedeuteten sie das Ansehen der Berliner konservatismus die ‚Wende‘ vorweg. vorläufige Ende der Befreiten Uni. Zwar verweigerte der Hochschulen schweren Schaden zugefügt und Seitdem war es still geworden an den Universitäten. Eine neue SPD/AL-Senat der FU-Führung unter Heckelmann werden das, wenn man Durchrationalisierung der Universitätslandschaft gemäß Polizeieinsätze und verlangte Auseinandersetzungen auf sie nicht abschafft (sic!) neokonservativ-neoliberalem Paradigma schien auf kei- Verhandlungsebene, gegen die sich sogar der Berliner […], weiter tun.“ Aus: Nr. 640 der Veröffentli- nen nennenswerten Widerstand zu stoßen. Dies verleitete Landesverband der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ausge- chungen der Notgemein- die Universitätsmanager zu Trugschlüssen. Doch ein erstes sprochen hatte: Die Polizei sei nicht bereit, „für politisches schaft für eine freie Vorzeichen einer wiederentstehenden Studierendenbewe- Versagen den Kopf hinzuhalten“ (DPA: 28.02.1989). Doch Universität, März 1986, S. 11. gung war der studentische Streik im Januar und Februar die FU-Führung vertrieb mit Wachschutzpersonal die ver-
86 Von der Befreiten Uni zur Lernfabrik 7 Über die Machenschaf- bliebenen Besetzungseinheiten aus den Befreiten Insti- wenig Bereitschaft zur Reform. Mit einem flächendecken- ten der Nof U und das ‚Roll-back‘ der Reform- tuten, „…um einen geordneten Vorlesungsbetrieb für das den Numerus clausus wollten sie einen erwarteten An- universität hin zur re- Sommersemester vorzubereiten“10, so daß nach kurzer Zeit sturm von DDR-BewerberInnen abschrecken (Tagesspie- aktionären ‚Wende-Uni‘ der Status quo ante mitsamt den überwunden geglaubten gel: 07.06.1990), der dann jedoch ausblieb (taz: 15.08.1990). hat der Informations- ausschuß der Befreiten Herrschaftsverhältnissen restauriert war11. Dieser Senat geriet jedoch in den Strudel des Zusammen- Universität nach einjäh- Wachschutzgestütztes Hochschulregiment bleibt seitdem schlusses von BRD und DDR, so daß er 1990 weit vor Ende riger Recherche ein viel bis heute Grundlage autoritären Hochschulmanagements seiner Legislaturperiode durch die große Koalition von beachtetes, 256seitiges Buch geschrieben: FU ‚top down‘ von oben, um den Studierenden unmißverständ- CDU und SPD abgelöst wurde. Es stellte sich wieder ein- Berlin. Ein pechschwar- lich die Allmacht des etablierten Apparates und die eigene mal die Frage, wie und zu welchem Ende die sprichwörtlich zes Gebilde. Berlin. Dezember 1989. Erhält- Ohnmacht nachhaltig bewußtseinsprägend vor Augen zu gewordene Krise und Katastrophe des deutschen Bildungs- lich im AStA FU und im führen. Wie Mafiabosse in einem billigen Film, umgeben wesens reguliert werden sollte. Projekt Archiv (ausleih- von willigen VollstreckerInnen ihres Machtwillens, treten Der neue Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU), bar in der UB). heute VertreterInnen des Präsidialamts in der universitären wie Turner ein Import aus Baden-Württemberg, knüpfte Öffentlichkeit auf. Wachschutzeinheiten sind immer zur unverhohlen an die Politik des Bildungs- und Sozialabbaus 8 Die staatlichen Stelle, um Manifestationen der mittlerweile geschichtlichen seiner Amtsvorgänger Kewenig und Turner an. Im Septem- Repressionen gegen Studierende im WS Krise der FU autoritativ-sozialtechnisch zu pazifizieren. ber 1991 beschloß das Abgeordnetenhaus von Berlin den 1988/89 dokumentierte Der rationale Diskurs hingegen wird schon seit Jahrzehn- Abbau von 15.000 Studienplätzen – davon 10.000 an der die Anti-Repressions AG des AStA FU im August ten verweigert. FU, und Erhardts ‚Hochschulstrukturplan‘ (HSP)14 sollte 1990 in einer 88seitigen das vollstrecken. Statt Reform stand nun wieder Krisenma- Broschüre: Haut weg 4. Keine Chance zum Neuanfang nagement auf der Tagesordnung. den Scheiß! – Berichte, Fotos, Dokumentatio- Entgegen den Hoffnungen vieler Aktiver gelang es nach der Daraufhin erfolgte in der FU-Verwaltung eine ‚innere nen und Analysen der Zerschlagung der Befreiten Uni den Studierenden im fol- Wende‘. Sie gab das Vorhaben auf, mehr für die Univer- staatlichen Repres- genden Semester nicht mehr, gegen einen institutionell und sität einzufordern, sondern war bemüht, das Bestehende sionen aufgrund des Universitätsstreiks im materiell überlegenen Gegner erneut die nötigen Freiräume durch Zugeständnisse möglichst abzusichern. Es begann Wintersemester 1988/89. für eine Befreite Uni zu erkämpfen, so daß ungehindert eine Kooperation mit der Senatspolitik und der von Er- Berlin. die normierende Macht des gesetzten Faktischen wirkte12 . hardt eingesetzten ‚Landeshochschulstrukturkommission‘ Lediglich hochschulintern erfolgte der Versuch einer insti- (LHSK) (die Hälfte ihrer Mitglieder kamen ebenfalls aus 9 Die Nof U-Professoren tutionellen Einbindung der 300 Autonomen Seminare der Baden-Württemberg), deren Aufgabe der Abbau von Stu- zogen andere Folge- rungen aus dem Kampf Befreiten Uni durch das Zentrale Projekttutorienprogramm dienplätzen, sogenannten ‚Doppelangeboten‘ in der Lehre um die Universität, als des Akademischen Senats vom 03.05.1989. und der ‚Überfrachtung der Lehrinhalte‘ war. Ende 1992 die Studierenden: „Als Zwar löste 1991 innerhalb der FU Präsident Johann Will- legte sie ihren Abschlußbericht vor. Initiiert durch Profes- langfristige Maßnahme Korrektur der falschen helm Gerlach den von Skandalen und Intrigen belasteten sorInnen gründete sich die Reformgruppe ‚Sturm für die Bildungspolitik, durch Präsidenten der NofU, Dieter Heckelmann, ab. Mit sei- Unis‘, und die Studierenden ahnten Schlimmes. die zu viele Jugendliche auf das Gymnasium und ner Wahl verbanden sich Hoffnungen auf Durchsetzung Erhardts Hochschulstrukturplan wurde am 02.04.1993 in ein Studium geführt von Studienreform, Demokratisierung, Frauenförderung, veröffentlicht. Flächendeckender Numerus clausus, fest- werden. Erheblicher Gleichstellung von AusländerInnen und studentInnen- geschriebene und scharf sanktionierte Regelstudienzeiten Anteil der Gymnasiasten und Studenten für diesen freundlicher Politik13. Auch begann Gerlach sein Amt mit sowie Zwangsexmatrikulationen bei deren Überschreitung, Bildungsweg intellek- viel Elan, doch die Hoffnungen, die von den Studierenden Studiengebühren, Zwei-Klassen-Studium und weitere Maß- tuell und charakterlich anfänglich in den als linksliberal geltenden Präsidenten ge- nahmen, die lediglich Statistiken auf Kosten der Studieren- ungeeignet. Daher nicht nur schwere Nachteile setzt wurden, hielten nicht und wurden schwer enttäuscht. den beschönigten, waren die vorgesehenen Instrumente. für die Betroffenen Auch er stand den alten und neuen Sach- und Geldzwängen Erhardt versuchte, diese geplante Krisenverschärfung als […], sondern auch schwere Nachteile für völlig hilflos gegenüber. Im Bestreben, die FU irgendwie ‚Reform‘ und ‚Modernisierung‘ zu verkaufen. Zur Umset- die Volkswirtschaft […]. zusammenzuhalten, machte er weitaus mehr Konzessionen zung verlangte er einen ‚Ermächtigungsparagraphen‘, der Daher keine Auf hebung, an alte Seilschaften und professoralen Standesdünkel als an den direkten Staatseingriff in die Universitätsautonomie sondern Verschärfung des NC […].“ So ein die Interessen der übrigen Gruppen. Schon ein Jahr nach zuließ, um damit die gewünschten Umstrukturierungen Jura-Prof. der TU in seiner Wahl erfolgte der erste Polizeieinsatz auf dem Cam- auch gegen den Willen der Universitäten durchzusetzen. einem Schreiben an die pus, und sozialtechnologisches Krisenmanagement blieb Den Universitäten wurde eine Frist von sechs Wochen zur FAZ am 16.01.1989. Die Forderungen der Nof U weiterhin Bestandteil autoritären Universitätsregiments. Stellungnahme zugebilligt, doch am 05.05.1993 legte der scheinen in den 90er Auch in der Lehre kam es nicht zu den versprochenen Ver- Akademische Senat (AS) eine Stellungnahme vor, die dem Jahren zentrales Element herrschender Bildungs- besserungen. Statt einer egalitären Gemeinschaft zwischen HSP nichts entgegensetzt. Die Hochschulleitung unterwarf politik geworden zu sein. Lehrenden und Lernenden entwickelte sich erneut regressiv sich aus Furcht, daß „alles noch viel schlimmer kommt, das überkommene Gegenüber des Lehrer-Schüler-Verhält- wenn sich die Universitäten nicht fügen“, widerstandslos 10 Aus einem Strategie- nisses, das nicht die Lösung anstehender Probleme durch dem erhardtschen Diktat. Damit mißachtete sie – so die ge- papier der Zentralen gemeinsame rationale Argumentation sucht, sondern nur äußerte Kritik – aufs Gröbste ihre Aufgabe, die Interessen Universitätsverwaltung erzieherisch durch Maßregelung der einen Seite wirkt. Die der FU als Universität vehement nach außen zu vertreten, vom 23.02.1989, er- stellt vom damaligen Chance einer demokratischen Lösung der historisch ge- sowie Anmaßungen des Staates und Zumutungen des Ka- ‚Mann fürs Grobe‘, wachsenen Krise der FU wurde erneut vertan. pitals zurückzuweisen. Präsidialamtsleiter Kurt Zegenhagen, wird Der SPD/AL-Senat hatte zwar durch Wissenschaftssena- Die Auseinandersetzungen Ende der 80er und Anfang der ersichtlich, daß mit torin Barbara Riedmüller-Seel zögerlich einige Reformen 90er Jahre zeigen, daß emanzipatorische Reformen nur einem Fortbestand der an den Universitäten eingeleitet, und ein Entwurf für ein dann eine Chance haben, wenn sie gleichermaßen von Befreiten Uni gerechnet wurde, falls es nicht novelliertes Berliner Hochschulgesetz sollte mehr Auto- einer reformwilligen Senatsregierung, einer progressiven gelänge, sie gewaltsam nomie und Demokratie für die Universitäten sowie Hoch- Universitätsverwaltung und einem zeitgleichen studen- zu zerschlagen: „Es ist schulzugang auch ohne Abitur bringen (taz: 08.06.1990). tischen Aufbruch getragen werden, dem es gelingt, ein nicht zu erwarten, daß sich zum Sommerse- Doch in den Berliner Universitätsverwaltungen herrschte breites reformwilliges Bündnis über die Statusgruppen-
87 grenzen hinweg zu integrieren, um so die strukturell be- vom Präsidialamt in blauen Briefen (sic!) unter Androhung mester 1989 von selbst ein ordnungsgemäßer dingte Handlungsunfähigkeit durch das institutionalisierte einer Zwangsexmatrikulation Studienberatungen verordnet Lehrbetrieb einstellt.“ Professorenkartell zu überwinden. Diese Faktoren kamen (Die Welt: 28.05.1994). Eine Studie von Prof. Peter Grot- Deshalb „… sollen die bisher erst einmal für kurze Zeit zusammen. Das war 1969. tian entlarvte das Konstrukt des ‚Langzeitstudierenden‘ Gebäude umgehend geräumt und erforderli- dagegen als „Mythos“ (taz: 24.06.1994). Im WS 1994/95 chenfalls kurzzeitig ver- 5. Die Studierendenproteste 1993 erhielten nochmals 23.000 von 60.000 Studierenden der schlossen werden. Wird Als der Akademische Senat (AS) der FU am 12.05.1993 FU, „die bei der Zwischenprüfung um mehr als 2 Semes- erneut besetzt, ist erneut zu räumen […].“ Haushaltskürzungen zustimmen wollte, wurde seine Sit- ter überfällig sind“, ‚Blaue Briefe‘ (Die Welt: 05.12.1994). Auch die Idee zum zung von aufgebrachten Studierenden gesprengt. Eine Zwischenbilanz dieser ‚Zwangsberatungen‘ waren bis zum autoritativen Manage- ment der geschichtlichen Vollversammlung (VV) am 19.05.93 im Innenhof der Rost- SoSe 1995 7.000 Exmatrikulationen und eine Reduzierung Krise der FU durch laube bildete dann den Beginn studentischer Aktionen. 800 der Studi-Zahlen auf unter 50.000 (taz: 30.06.1995). einen Wachschutz, das Studierende diskutierten daraufhin erfolglos mit den Mit- bis heute üblich ist, scheint von Zegenhagen gliedern des AS. Die Fachschaftsinis führten Instituts-VVs 6. Die Studi-Proteste 1996 zu stammen. Dieser am durch und neue Initiativen wurden gegründet. Nach einer Geplante Studiengebühren, Verkürzungen der Regelstu- 17.02.1989 in: Maßnah- Uni-VV wurde am 01.06.1993 das Psychologische Institut dienzeiten, BAföG-Verzinsungen und Institutsschließun- men in der Boykottsitu- ation: „Denkbar ist eine (PI) besetzt, dem sich in den folgenden Tagen einige andere gen sowie der Abbau von weiteren Studienplätzen und neue intensive aber kostenauf- anschlossen. Am 09.06.93 organisierten die Studierenden Haushaltskürzungen führten erst wieder im WS 1995/96 wendige Aufsicht durch eine Wachgesellschaft, einen ‚Spartag‘, bei dem die gesamte Rost- und Silberlaube und im SoSe 1996 zu studentischen Protesten mit Demons- die z. B. auch den zu einer studentischen Zukunftswerkstatt im Diskurs mit trationen, Aktionstagen und kurzfristigen Institutsbeset- laufenden Schließdienst einer interessierten Öffentlichkeit wurde. Für einen kurzen zungen. Am 26.02.1996 besetzten 30 Studierende der FU für alle Hörsäle (sic!) übernimmt.“ Moment zeichnete sich die Möglichkeit einer neuen Befrei- medienwirksam für wenige Stunden die deutschen Bot- Unter dem Regime von ten Uni ab. Doch das Präsidialamt ordnete daraufhin Wach- schaften in Brüssel und Luxemburg sowie das Generalkon- Präsidialamtsleiter Peter schutzeinsätze an. Unkoordinierte Streiks und vereinzelte sulat in Amsterdam (taz: 27.02.1996). Eine Qualität wie im Lange ist diese schöne neue orwellsche Uni- Institutsbesetzungen zogen sich dann noch bis zum Semes- WS 1993/94 erreichte diese studentische Protestbewegung versität dann ein Stück terende hin. jedoch nicht. Wirklichkeit geworden. Der Konflikt steigerte sich gegen Ende 1993 zu berlinwei- Erstmals in der FU-Geschichte beteiligten sich im SoSe ten Studierendenunruhen mit Institutsbesetzungen, wobei 1996 auch ProfessorInnenen an den Protesten. Die von ih- 11 Auch einen Monat jedoch erstmals die FU ihre Rolle als Epizentrum studen- nen über Jahrzehnte tolerierte und zum Zweck des eigenen nach der Abwahl des CDU/FDP-Senates tischer Bewegung verlor und seitdem auch nicht wieder- Machtausbaus mitgetragene Destruktionspolitik an den funktionierte die Zu- erlangte. Universitäten drohte nun auch sie selbst zu treffen. Auf sammenarbeit zwischen Ein Generationenbruch hatte innerhalb der Studierenden- einer überfüllten Veranstaltung im Audimax der FU bat dem noch amtierenden Innensenator Kewenig schaft stattgefunden. Die weitgehend desillusionierten FU-Präsident Gerlach um „kreative Proteste“ und ermu- und FU-Präsident ehemaligen Aktiven der 88er UNiMUT-Bewegung ver- tigte die Studierenden zu Aktionen (Die Welt: 24.04.1996). Heckelmann hervor- ragend, wie aus einem ließen mehr und mehr die Universität, und eine neue Stu- Aus dem laufenden Etat wurden den Berliner Hochschu- Schreiben Heckelmanns dierendengeneration versuchte eine neue Taktik. Doch es len im SoSe 1996 noch einmal 196 Mio. DM gestrichen. an Kewenig vom gelang nicht, eine neue paradigmatische Programmatik zu Die Bibliotheken standen vor der Entscheidung, entweder 27.02.1989 hervorgeht: „Für die Tage nach einer entwickeln, die Basis eines längerfristigen studentischen Bücher oder Periodika abzubestellen. In der OSI-Bibliothek Räumung bitte ich um Vorgehens hätte sein können. Allzu schnell ließen sich die beispielsweise wurden 75 % aller Abos gekündigt. einen besonderen Schutz Studierenden mit ‚Schein‘-Ängsten vor einem ‚verlorenen Entgegen den Anstrengungen einer studentischen Boy- des Präsidialamtes.“ Semester‘ einschüchtern. Doch gerade dieses fremdbe- kottinitiative wurden durch Wissenschaftssenator Peter 12 Nach den Räumungen stimmte Normstudium gilt es zu verlieren, um eine neue Radunski zum WS 1996/97 erstmals sogenannte ‚Immatri- war sich das Präsidial- Uni mit neuer Wissenschaft zu gewinnen. kulations- und Rückmeldegebühren‘ in Höhe von 100 DM amt seines Sieges nicht Ein Höhepunkt dieser Proteste war die sogenannte ‚Be- erhoben, als Vorgriff auf zu erwartende Studiengebühren. sicher: „Es ist zu be- setzung‘ des Preußischen Landtages, dem Sitz des Berliner Im gleichen Semester wurde die Rentenversicherungs- fürchten, daß es einigen radikalen Gruppierun- Abgeordnetenhauses, durch ein Go-in von 4000 Studieren- pflicht für Studierende eingeführt, nachdem am 13.09.1996 gen unter den Studenten den am 29.11.1993 (Berliner Zeitung: 30.11.1993). Dennoch der Bundestag die Sozialversicherungsbefreiung für Stu- gelingen wird, den wurde am 03.12.1993 vom Abgeordnetenhaus die Ände- dierende aufgehoben hatte. Zudem wurde die Privatisierung Streik auch im Sommer- semester 1989 – vor rung des BerlHG verabschiedet, um den Hochschulstruk- der Hochschulen erwogen. Mit einem wilden Umzugska- allem in den geistes- und turplan umzusetzen. Die Fachbereiche wurden daraufhin russell täuschte die FU-Führung unsinnigen Aktionismus sozialwissenschaftlichen Fächern – fortzuführen.“ aufgefordert, ihre Studienordnungen bis zum April 1995 an vor, während die Vernichtung von Studienplätzen neue Re- So ein Rundschreiben das neue BerlHG anzupassen. kordzahlen erreichte. des FU-Präsidenten an Vor Weihnachten bröckelte jedoch die Protestfront ab und Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Abwicklung der die Hochschullehrerin- nen und Hochschullehrer konnte 1994 nicht wiederbelebt werden, obwohl ein zwei- FU mit der vom Akademischen Senat eingesetzten soge- der FU vom 10.03.1989. monatiger Stellenstopp Lücken ins Lehrangebot riß. Die nannten ‚Entwicklungs- und Planungskommission‘ (EPK). Streikbereitschaft der Studierenden war gründlich auf- Mit dessen ‚Strukturkonzept 2003‘ trat – so die damalige 13 Gerlach galt als gebraucht, so daß eine sogenannte ‚Zwangsberatung‘, als Polemik – die ‚Selbstverstümmelung der FU‘ in das Sta- Gegner des Nof U-Pro- Versuch der FU-Führung, mit den sogenannten ‚Lang- dium des ‚begeisterten Selbstmords‘ ein. fessorenkartells. Der offiziellen 40-Jahr-Feier zeitstudierenden‘ das kritische Potential der Studierenden- der FU blieb er fern. schaft von den Universitäten zu verbannen und die Produk- 7. Der bundesweite Streik im WS 1997/98 Dies begründet er in tions- und Durchlaufraten der Lernfabrik Universität zu Zum WS 1997/98 setzte eine in Hessen beginnende brei- einem Antwortschreiben an Heckelmann vom maximieren, im SoSe 1994 und im WS 1994/95 durchge- te studentische Protestbewegung ein. Doch erst als schon 01.12.1988: „[…] Die zogen wurde, ohne einen Proteststurm auszulösen. 15.000 fast alle bundesrepublikanischen Hochschulen im Ausstand meisten FU-Angehöri- FU-Studierende, die eine ‚Regelstudienzeit‘ um mindes- waren, schloß sich auch die Studierendenschaft der FU per gen berührt diese Feier nicht. Viele, die sich tens 2 Semester überschritten hatten, wurden im SoSe 1994 VV-Beschluß vom 20.11.1997 den Protesten an. mit der FU identifizie-
88 Von der Befreiten Uni zur Lernfabrik ren, indem sie ihr viel Obwohl die Dynamik der Bewegung anfänglich die Hoff- Widerstand reduziert sich noch auf sporadische Unmuts- verdanken und geben, würden sich in einem nung auf eine Neuauflage der UNiMUT-Bewegung von bekundungen, ohne sichtbare Potentiale, die normierende angemessenen Rahmen 1988 aufkommen ließ, verhinderte an der FU schnell Macht des gesetzten Faktischen zu transzendieren, um so sicher gern zu ihrem inhaltliche Konzeptlosigkeit die Formierung eines ge- von der Krise des Bewußtseins zum Bewußtsein der Krise Geburtstag versam- meln, um über die heute schichtsmächtigen studentischen Kollektivsubjekts. Der zu gelangen. bedrückenden Sorgen Streik fand im Wesentlichen nicht innerhalb der Universitä- Dennoch ist es falsch, daraus zu schließen, daß die jetzi- der Universität – ihren ten statt, sondern vollzog sich in Form eines ungeordneten ge Studierendenbewegung eine unpolitische Bewegung inneren Zustand wie die ständige Mißachtung Rückzuges in die individuelle Privatsphäre. Diesen Trend sei. Was hier stattfindet, ist ein Verteilungskampf um ge- ihrer funktionalen Be- konnte auch der bundesweite studentische Basiskongress: sellschaftlichen Reichtum. Die Studierenden versuchen, deutung durch den Staat – zu sprechen. Diese ‚Bildung und Gesellschaft‘ (BUG) vom 08.–11.01.1998 in das zurückzufordern, was ihnen über 16 Jahre genommen wirklichen Anliegen Berlin nicht mehr kippen, obwohl 3000 TeilnehmerInnen wurde. Auch beschränken sich die Forderungen der Studie- sind nicht feierlich. Des- einen beachtenswerten Forderungs- und Maßnahmenkata- renden nicht auf mehr Geld für die Universitäten, sondern halb zeigt die gleichwohl veranstaltete Festlichkeit log entwarfen15. eingefordert wird mehr Geld für alle sozial benachteiligten die völlige akademische Daher wurde aus dem Protest kein neuer studentischer Auf- Gruppen. Dies sei durch Umverteilung von oben nach un- Inkompetenz der dafür bruch und eine mögliche Geschichte erfüllte sich nicht: Der ten zu beschaffen. Verantwortlichen. Man kann der FU zum Ge- Kritische Moment (Bourdieu) schlug nicht in ein Kritisches Das unterentwickelte theoretische Niveau ist dagegen der burtstag nur wünschen, Ereignis um16. Bis auf begrenzte Einzelfälle, wie z. B. dem historischen Situation geschuldet, aufgrund 16jähriger daß sie auch diese Zeit einigermaßen übersteht.“ ‚Roman-Herzog-Institut‘ am Fachbereich Germanistik in Entpolitisierung aller gesellschaftlicher Bereiche, einer Leider sind diese Zeilen der Woche vom 19.-23.01.1998, kam es nicht zur Wieder- angepaßten Medienöffentlichkeit, einer orientierungslosen nach wie vor gleicher- aneignung der Universität und des eigenen Studiums als Linken, der Repression kritischer Meinungen wie z. B. im maßen aktuell. selbstbestimmter Lebensform im Rahmen eines aktiven, Fall der Maulkorbklagen gegen ASten, und des Fehlens or- konstruktiven Streiks17. Ohne die Schaffung selbstbestimm- ganisierter Opposition, die sich offensiv äußert. Vor diesem 14 Eine kurze Geschichte ter Freiräume hat das Nachdenken über wünschenswerte Hintergrund ist schon die Forderung nach Umverteilung des HSP ist in: AStA FU, Mein erstes Semester, Alternativen und zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten geradezu revolutionär. Aufgabe ist es nun, die entstandene SoSe 1994, S. 21–25. keine Chance und eine komplette Studierendengeneration Bewegung weiter zu politisieren. diskriminierte den Neuentwurf ihrer eigenen Zukunft und Hierbei ist es notwendig, aber nicht hinreichend, die Kri- 15 Eine wahre Fundgrube die der gesamten Gesellschaft. Es wurde nicht die Chance tik am Neokonservatismus und Neoliberalismus als Kritik ist mit 468 Seiten der Rea- ergriffen, die Universität ihrer ureigensten Aufgabe zuzu- der politischen Ökonomie zu betreiben. Vielmehr ist eine der zum BUG-Kongress. führen: Experimentierfeld und Zukunftswerkstatt der Ge- Kritik der politischen Technologie erforderlich. Denn Spar- sellschaft zu sein, Entfaltungsraum und öffentliches Forum politik folgt nicht einfach vermeintlichen ökonomischen 16 Nach Pierre Bourdieu freier Gedanken und ungezwungenen Geistes, einer Univer- (Haushalts-) Sachzwängen, sondern ist längst zu einem (Bourdieu, Pierre 1988: Homo academicus, S. sität, die mit der übrigen Gesellschaft, in die sie unmittelbar Instrument autoritativer Transformation der gesamten Ge- 287) wird ein ‚kritischer eingebunden ist, in engster Wechselwirkung und direktem sellschaft geworden. Dies gilt besonders für den Bildungs- Moment‘ durch ‚kriti- sche Ereignisse‘ erzeugt. Austausch steht und soziale Kompetenzen für individuelle bereich, wo sich neoliberale Politik nahtlos in ein jahrzehn- Der ‚kritische Moment‘ Selbst- und gesellschaftliche Mitbestimmung vermittelt. telanges rechtskonservatives Roll-back einfügt. Da es nicht ist ein Zustand, „in dem Eine Universität, die allen unbeschränkt offensteht, um hier gelang, eine Hegemonie über die Universitäten zurückzu- gegen die alltägliche Erfahrung der Zeit als im freien, antihegemonialen und antihierarchischen Diskurs erlangen und auch die autoritative Eindämmung der Bil- bloße Weiterführung der wünschenswerte Möglichkeiten und notwendige Alternati- dungslandschaft durch Berufsverbote, Radikalenerlass, das Vergangenheit oder einer ven zu entwickeln. Eine Universität, die nicht als normieren- Verfassungsgerichtsurteil von 1973, die Universitätsgesetz- in der Vergangenheit angelegten Zukunft alles de Kader- und Elitenschmiede, als Fachidiotenproduktions- novelle von 1974 und die Erklärung der Universitäten zum möglich wird, oder doch stätte einer gleichgeschalteten Wissens- und Kulturindustrie „geistigen Umfeld des Terrorismus“ letztlich nicht von Er- erscheint, in dem die Zukunft wirklich kon- für die neoliberale Durchdringung der Gesellschaft autori- folg gekrönt war, leistet die anonymisierte Herrschaft über tingent, das Kommende tativ formiert wird, und deren Mitglieder sich vehement die verordnete Krise mittels konstruierter ökonomischer wirklich unbestimmt, gegen eine Eindimensionalisierung der Wissenschaft für Sachzwänge dies umso präziser. Die Universitätslandschaft der Augenblick wirklich als solcher erscheint – in Herrschafts- und Verwertungsinteressen wehren. wird in Trümmern gelegt, denn der ‚Standort Deutschland‘ der Schwebe, abgehoben, Die Frage ist, wie die Universität als Kulturraum zurück- verlangt nicht massenhaft kritische IntelligenzlerInnen, ohne vorgesehene noch gewonnen und wiederbelebt werden kann, in der einer sondern unbegrenzt verfügbare ‚menschliche Ressourcen‘ vorhersehbare Folgen.“ kritischen und engagierten Studierendenschaft eine zen- und beliebig verwertbares ‚Humankapital‘. Zu geistlosen trale Rolle zukommt. Eine universitäre Öffentlichkeit Lernfabriken transformierte Universitäten, ‚Schädelstätten 17 Doch auch wenn sich keine direkten Erfolge muß erst wieder neu geschaffen werden, um den Trend des Geistes‘, sollen dies in Massen, zugerichtet nach DIN- erkämpfen ließen, ist zur Geistlosigkeit der Universität, ihrer Verschulung und Norm, ausstoßen. So sind in Folge der Entwicklung Mas- kein Streik umsonst. Entwissenschaftlichung, sowie der Enttheoretisierung der senverblödung und Fachidiotismus im Hegemoniemodell Wesentliche Wirkungen sind eher unscheinbar Wissenschaft umzukehren. Dafür müssen Universität und Deutschland die entscheidenden Standortfaktoren. und wirken langzeitig. Wissenschaft dorthin gestellt werden, wo sie hingehören: Diesen Verwertungsinteressen gilt es sich im Interesse der Jeder Streik verbessert in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Hieraus er- Zukunft der Gesellschaft zu widersetzen, denn: die Ausgangslage der Studierenden: Ein Poli- wächst eine besondere gesellschaftliche Verantwortung für “Heute ist es schon fast ein Verbrechen, über Veränderung tisierungsprozess setzt eine engagierte Studierendenschaft. nur zu sprechen, während die Gesellschaft in eine Insti- ein, langfristige Arbeits- gruppen entstehen, Soli- tution der Gewalt verwandelt wird […]. Was der Revolte darisierung durchbricht 8. Wie weiter? durch die verstärkte Unterdrückung und die Konzentration die Anonymität. Die Dialektik von „Konterrevolution und Revolte“ (Marcu- der zerstörerischen Kräfte in den Händen der Mächtigen se)18 ist in den 90er Jahren keine mehr. An den Universitä- aufgezwungen wird, muß für ihre Reorganisation, für die 18 Aus: Herbert Marcuse ten ist z. Z. keine emanzipatorische Kraft erkennbar, die ein Überprüfung ihrer Politik genutzt werden. […] Der Aus- 1973: Konterrevolution wirksames Gegengewicht gegen eine 25jährige ‚Konter- gang hängt entscheidend davon ab, daß die junge Genera- und Revolte, Frank- furt/M, S. 153–154. revolution in Permanenz‘ darstellen könnte. Studentischer tion weder ‚aussteigt‘ noch sich anpaßt, sondern lernt, sich
89 19 Ebd. nach einer Niederlage zu reorganisieren und mit der neuen zess des Schulsystems fortführen, unterschiedliche Lebens- Sinnlichkeit eine neue Rationalität zu entwickeln, um den chancen zuteilen und soziale Ausgrenzung produzieren. langen Erziehungsprozess zu überstehen – die unentbehr- 6. Enteignung und Fremdbestimmung des gesamten Pro- 20 Den ProfessorInnen liche Voraussetzung für den Übergang zu politischen Ak- duktionsprozesses des eigenen Studiums durch Unter- wurde damals unter Bezug auf die Wissen- tionen großen Stils. […]“ – Herbert Marcuse19 werfung der Studierenden unter das Wertgesetz des schaftsfreiheit die Mehr- ‚Schein‘-Studiums und der Zertifikatakkumulation, Gän- heit in den universitären Im Rückblick auf eine 50jährige Entwicklung der Krise der gelung und Bevormundung über eine zur systemstabilisie- Gremien zugesprochen („ausschlaggebender FU läßt sich feststellen, daß sie als Teil der sprichwörtlichen renden Leistungsmoral verkommene effizienzorientierte Einfluß“) und die Drit- ‚Katastrophe des deutschen Bildungswesens‘ beachtliche ‚Aus‘-Bildung durch ‚Leistungsnachweise‘, Prüfungen, tel- bzw. Viertelparität verboten. Kontinuitäten tradiert. Es sind immer wieder die gleichen Klausuren. Herrschaft über Curriculum, Numerus clausus Problemkonstellationen, die in leichten zeitgeschichtlichen und Studienordnungen. Abschlüsse und Diplome werden 21 Aus der Resolution Abwandlungen die Dialektik des Kulturkampfes zwischen so letztlich für erfolgreiche Anpassungs- und Unterwer- des Sit-in im Henry-Ford Konterrevolution und Revolte ausmachen, also die Konflik- fungsleistungen vergeben. Bau vom 22./23.06.1966, te prägen und die Konfliktlinien bestimmen. Die 50jährige 7. Verdrängung selbstbestimmter, autonomer studentischer womit eine Forderung Geschichte der FU steht exemplarisch für diese Entwick- Lehre und Forschung. Ständige Versuche der Zerschlagung der Studierenden in Berkeley aufgegriffen lung. des vielfältigen Berliner Tutorienmodells und Unterwer- wurde. Diese Entwicklung läßt sich ohne Rekurs auf die deutsche fung der Tutorien zu Handlangerdiensten für Lehrstuhl- Geschichte der letzten 200 Jahre nicht hinreichend begrei- inhaber. fen, deren bildungs- und sozialpolitische Konfliktlinien 8. Zerstörung der Universität als Kulturraum. Sterilisie- letztlich zwischen Emanzipation und Sozialtechnologie rung und Desinfizierung der Universität für lebensfremde verlaufen. asketische Wissensproduktion. Verhinderung und Unter- Wesentliche durchgängige Elemente des 50jährigen Kri- drückung von Versuchen einer Rückgewinnung der Uni- senprozesses der FU sind (12 Thesen, vorläufig, ohne An- versität als Kulturraum, der im Mittelpunkt öffentlichen spruch auf Vollständigkeit): Interesses und der gesellschaftlichen Diskussion steht. 1. Entdemokratisierung: Systematische Marginalisierung 9. Tradierung von personellen und paradigmatisch-theo- der Studierendenschaft und Zurückdrängung ihres Einflus- riekonzeptionellen NS-Kontinuitäten in Forschung und ses in den Selbstverwaltungsorganen einer Universität, die Lehre, insbesondere in den Naturwissenschaften. Die para- einmal von Studierenden als demokratische Gegenuniver- digmatische Wende von der ‚Wehrhaftmachung der Wis- sität und politische Reformuniversität in der Hoffnung auf senschaft‘ für Kriegs- und Produktionsschlachten, hin zu Demokratisierung von Universitäten und Gesellschaft ge- einer Wissenschaft für eine zivile Gesellschaft gelang erst gründet wurde. Das skandalöse Verfassungsgerichtsurteil in Spuren. vom 29.05.1973 steht exemplarisch für diesen Prozess20. 10. Etablierung von Herrschaftswissenschaft, Machtphi- 2. Militarisierung und Sozialtechnologisierung des öf- losophie, Verwertungs- und Vernichtungstechnologien. fentlichen Raumes Universität: Die systematische Ein- Unterdrückung kritischer und emanzipativer Ansätze. Ent- schränkung der freien Entfaltungsmöglichkeit der Studie- zug der Wissenschaft der demokratischen Kontrolle durch rendenschaft innerhalb der Institution Universität und die eine kritische Öffentlichkeit. Wissenschaft wird so gemein- Beschneidung ihres Rechtes auf ungehinderte Nutzung gefährlich, Wissenschaftler werden zu potentiellen Tätern. universitärer Räumlichkeiten durch autoritativ-hierarchi- 11. Auslieferung der Universität an und Gleichschaltung der sches Management der FU-Verwaltung, mittels phantasie- Wissenschaft für Herrschafts- und Verwertungsinteressen reicher Strapazierung und repressiver Auslegung des Haus- von Staat und Kapital. Der mögliche Beitrag einer herr- und Ordnungsrechts, der Verwaltungs- und Bauordnung, schaftskritischen und antihegemonialen Wissenschaft zur sowie Versuchen der sozialtechnologischen Pazifizierung Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme wird dis- der Krise der FU durch z. T. exzessive Polizeieinsätze und kriminiert, Minderheiten und Randgruppen werden aus der permanent präsente Wachschutzeinheiten auf dem Cam- Betrachtung ausgegrenzt. pus. Die Lernfabrik Universität läßt sich nur in einer total 12. Gewaltsame Zerschlagung aller studentischen Versu- verwalteten Welt erzwingen, die Geistlosigkeit der Univer- che, Universität und Wissenschaft in kritischer Praxis und sität heute ist die Folge. praktischer Kritik am herrschenden Wissenschaftsbetrieb 3. Hierarchisierung: Marginalisierung der Studierenden- neu zu konzipieren, wie im Fall der Kritischen Uni 1967/68 schaft innerhalb des Wissenschaftsbetriebs durch Restau- und der Befreiten Uni 1988/89. Vertreibung der Volksuni ration des überkommenen Gegenübers des Lehrer-Schü- aus der FU, Verhinderung von selbstorganisierten studenti- ler-Verhältnisses, anstatt die Freiheit von Forschung und schen Sommeruniversitäten. Lehre allen zu gewährleisten. Die Universität hat zu ermög- lichen, daß „ihre Studierendenschaft jede Person zu jedem 1948 galt die FU als Modell für einen demokratischen Neu- Thema zu jeder Zeit hören und mit ihr diskutieren kann.“21. beginn in Universität und Gesellschaft. Dies ist in Verges- 4. Refeudalisierung: Reinstallation von überwunden ge- senheit geraten. Umso mehr brauchen wir heute eine freie glaubten Strukturen der ständischen Ordinarienuniversität. Universität, die Maßstäbe für eine demokratische Weiter- Es ist völlig inakzeptabel, daß sich gerade an den Universi- entwicklung von Universitäten und Gesellschaft setzt. täten derart hartnäckig vordemokratische gesellschaftliche In diesem Sinne sind wir alle aufgefordert, Universität neu Atavismen behaupten, wie wir sie sonst nur noch beim Mi- zu erfinden und Wissenschaft neu zu entdecken. litär, beim postabsolutistischen staatlichen Verwaltungsap- Doch wer soll dies tun, wenn nicht wir, und wann, wenn parat und in der ‚freien Wirtschaft‘ vorfinden. nicht jetzt? 50 Jahre FU wären daher ein Anlass, ihren Mo- 5. Differenzierung und Spaltung der Studierendenschaft dellanspruch und ihre Utopie aufzugreifen, neu zu interpre- durch gesetzte Selektionsinstrumente, durch Zulassungs-, tieren und zeitgemäß umzusetzen. Studien- und Prüfungsordnungen, die den Selektionspro-
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