(Welt-)Geschichte Internationaler Beziehungen schreiben - die Bedeutung der Archive der Vereinten Nationen

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Zeitschrift für Weltgeschichte — Interdisziplinäre Perspektiven
     pen                          Jahrgang 21 - Heft 02 - Herbst 2020, Peter Lang, Berlin, S. 389–402

Maik Schmerbauch

(Welt-)Geschichte Internationaler Beziehungen schreiben –
die Bedeutung der Archive der Vereinten Nationen

Die Forschung zu internationalen Beziehungen basiert in der Regel auf thema-
tisch archivierten Aufzeichnungen internationaler Organisationen, an denen
der Wissenschaftler arbeitet. Die Organisationen der Vereinten Nationen (UN)
unterhalten ein eigenes Archiv, zu dem Wissenschaftler normalerweise Zugang
haben. Beruhend auf der persönlichen Erfahrung des Autors in einem Archiv
der UN, erläutert der Artikel Entstehung und Voraussetzungen des Archivsys-
tems der UN und gibt Empfehlungen zu den wichtigsten historischen Quellen
und Aufzeichnungen, die Wissenschaftler untersuchen sollten, wenn sie über
die Geschichte internationaler Beziehungen und Prozesse schreiben. Er wird
außerdem ein besseres Verständnis der Nutzung internationaler Archive durch
Geschichtswissenschaftler fördern.

1. Einleitung
Jegliche Forschung auf dem Gebiet internationaler Beziehungen und insbeson-
dere internationaler Organisationen verlangt als fundamentale Voraussetzung
das Vorhandensein historischer Aufzeichnungen sowie freien und unkompli-
zierten Zugang zu ihnen.1 Im Gegensatz zu den nationalen Archiven sind die
von diesen Organisationen aufbewahrten Akten weniger sichtbar, was deren

1     Vgl. nur eine Auswahl neuerer Literatur betreffend die Aktivitäten internationaler
      Archive: David Kaye: Archiving justice: conceptualizing the archives of the United
      Nations International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, in: Archival Science
      14 (2014), S. 381-396; Nicholas Roche: From top-secret to publicly disclosed: engaging
      with NATO's declassified records, in: Comma. international journal on archives 2,
      2015, S. 55-65; Bénédicte Grailles: La fonction archives à l’UNESCO, entre exem-
      plarité et controverses (1947–1971), in: La gazette des archives 229, 2013, S. 59-79;
      Kurt Deggelle: Audiovisual Archives and International Organisations. The benefits
      of networking and co-operation,” IASA Journal 39, 2012, S. 14-19; Joachim Kemper:
      Archivische Netzwerke in Europa. Aktivitäten und Projekte von “ICARUS” im Jahr
      2010, in: Atlanti. Review for modern archival theory and practice 20, 2010, S. 267-276;
      Andreas Kunz: 60 Jahre NATO – 10 Jahre NATO-Archiv. Archivische Kernaufgaben im

© 2020 Maik Schmerbauch - http://doi.org/10.3726/ZWG0220209 - Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons
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Durchsicht erschwert. Wenn ein Wissenschaftler zum Beispiel nicht weiß, dass
die Archivbestände einer internationalen Organisation in Asien bereits online
und via Datenbanken zugänglich sind, wäre die Recherche schwierig und würde
kostspielige Reisen erfordern, um jedes lokale Archiv persönlich zu besuchen.
Bisher ist nur ein kleiner Teil dieser wichtigen Akten bedeutender Archivbestände
online verfügbar, aber die Zahl wird sich sicherlich bald erhöhen.
   Beispielsweise bietet die offizielle Datenbank AtoM der Erziehungs-, Wissen-
schafts- und Kulturorganisation (UNESCO) Wissenschaftlern bereits jetzt vertiefte
Informationen aus 46 internationalen oder supranationalen Archiven2 sowie aus
verschiedenen internationalen Einzel- und UN-Organisationen.3 Aber dies ist
nichtsdestotrotz lediglich ein flüchtiger Blick, da eine Menge interner Registratu-
ren internationaler Organisationen wegen ihres jungen Alters noch nicht offiziell
archiviert und deshalb im Netz nicht präsent sind. Zugang zu Informationen über
sie und ihre Bestände können nur erlangt werden, indem man die Organisation

                                                                                              ­
    multinationalen Kontext, in: Mittteilungen aus dem Bundesarchiv 17, 2009, S.42-50;
    Sabine Christe: Les Archives Historiques du Comité International Olympique (CIO),
    in: Archives et bibliothèques de Belgique 79, 2008, S. 41-47; Jens Boel: The Section
    of International Organizations, International Council on Archives (ICA/SIO), in:
    Andreas Kellerhals-Maeder (Hg.): Internationale Überlieferungsbildung. Constitution
    du patrimoine international des archives. Establishing of international archival traditions
    2007, Zürich 2008, S. 105-111; Iris Krebs: The memory: eine Bildersammlung aus
    dem Archiv des UNHCR, in: Ebd., S. 47-62; Thomas Aigner u.a.: Archives on the
    Web – Experiences, Challenges, Visions, St. Pölten 2011; Sandrine Kott: International
    Organizations – A Field of Research for a Global History, in: Studies in Contemporary
    History 3, 2011; Emma Rothschild: The Archives of Universal History, in: Journal
    of World History 19, 2008, S. 375-401; Maik Schmerbauch: Records Management
    in einer Organisation der Vereinten Nationen, in: Archivpflege in Westfalen-Lippe 86,
    2017, S. 22-24.
2		 Guide to archives of international organizations, Institutions from A–Z, http://www.
    unesco.org/archives/sio/Eng/listorg_full.php (Stand 29.6.2019).
3		 Ergebnis der Überprüfung von allen Online-Vertretungen von UN-Organisationen wie
    https://unjobs.org; weitere einzelne UN-Webseiten-Organisationen wie United Nations
    Childrens Emergency Fund (UNICEF), https://www.unicef.org/; den Internationalen
    Währungsfonds, https://www.imf.org/external/np/adm/rec/job/careers.htm; die Or-
    ganisation des Nordatlantikvertrags (NATO), https://www.nato.int/nnhqcareer/; die
    Europäische Union, https://www.imf.org/external/np/adm/rec/job/careers.htm; und
    andere internationale und nichtstaatliche Organisationen; vgl. https://jobs.theguardian.
    com/jobs/ngos (Stand 29.6.2019).
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direkt kontaktiert, zum Beispiel das UN-Umweltprogramm (UNEP), die UN-
Rahmenkonvention zum Klimawandel (UNFCCC) oder das UN-Übereinkom-
men zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD). Die allgemeine Situation
der Archive der Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) und ihrer Sichtbarkeit
für Wissenschaftler, sind bereits als „ungut“ beschrieben worden.4 Jedoch sind
sich die internationalen Organisationen des öffentlichen Interesses bewusst und
werden ihre Reputation Schritt für Schritt fördern, nicht zuletzt durch öffentliche
Erklärungen. Deshalb wird dieser Beitrag grundlegende Informationen zu den
neuesten Entwicklungen in der Welt internationaler Archive liefern.
   Als ehemaliger Archivar einer UN-Organisation 5 konnte ich hinter die
Kulissen internationaler Archivangelegenheiten sowie des Berufsstandes eng-
lischer Archivare im Allgemeinen blicken. Der Beitrag zielt darauf ab, drei
Dimensionen des internationalen Archiv- and Records Managements (ARM)
zu untersuchen. Erstens wird er die Entwicklung der Bedeutung von Stan-
dards und von internationaler Kooperation einschätzen. Zweitens wird er die
grundlegenden Voraussetzungen analysieren, die das ARM für internationale
Wissenschaftler geschaffen hat. Drittens wird er sich mit dem Quellenwert des
Schriftguts befassen, das in internationalen Archiven aufbewahrt wird.
   Der Beitrag soll unterstützend helfen, über die allgemeinen Rahmenbe-
dingungen informieren sowie Präliminarien für Wissenschaftler klären, die
beabsichtigen, die Geschichte der Internationalen Beziehungen zu erforschen.
Der Beitrag beginnt im ersten Schritt mit einem knappen Überblick über die
Entwicklungen der vergangenen zwei Jahrzehnte.

2. Entstehungsgeschichte der UN-Archive
Die Entwicklung der Archive der Vereinten Nationen begann kurz nach Gründung
der UN 1945 in San Francisco (USA) und wurde einschließlich der archivischen
Abläufe bislang nur partiell erforscht.6 Während des vergangenen Jahrzehnts

4 Rothschild: Archives (wie Anm. 2), S. 387.
5		 Maik Schmerbauch: Metadata standards in international archives, in: Arbido. Die
    Fachzeitschrift für Archiv, Bibliothek und Dokumentation 3, 2017, https://arbido.ch/
    de/ausgaben-artikel/2017/metadaten-datenqualität/metadata-standards-in-internati-
    onal-archives (Stand 29.6.2019); Ders.: Retro-Converting Analog, Archival Finding
    Guides, in: Information Management 55, 2017, S. 44-45, https://magazine.arma.org/
    wp-content/uploads/simple-file-list/2017_05_IM_retrofitting_analog_finding_gui-
    des_schmerbauch.pdf (Stand 29.6.2019).
6		 Rothschild: Archives (wie Anm. 2), S. 375-401.
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wurden, dank der positiven Entwicklung der Forschung zu internationalen Archi-
ven, mehr Forschungsergebnisse zu einzelnen internationalen Archiven publiziert.
Seit Gründung der UN 1945 ist das wichtigste Schriftgut dieser multilingualen und
multikulturellen Organisation, ebenso wie der nachfolgenden Einzelinstitutionen,
die sie etabliert hat,7 als Vermächtnis ihres Wirkens und ihrer Verantwortlichkeiten
aufbewahrt worden.8 Es gab einen Trend zur Archivierung mit dem Ziel, Trans-
parenz zu schaffen und Rechenschaft abzulegen. Vermächtnis bedeutet viel mehr
als Legitimität, denn es spiegelt die Tragfähigkeit der Legitimität.9
   Beginnend nach 2000 veröffentlichte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon im
Februar 2007 eine formelle Aufforderung für ein professionell arbeitendes ARM,
das sich mit standardisierten Archivprozessen und archivarischen Aufgaben be-
fasst. Im Vorfeld erkannte Ban Ki-moon die Notwendigkeit einer professionellen
Bewahrung der im Zusammenhang mit den UN stehenden Akten und Artefakten
und unterzeichnete zwei wichtige allgemeine Bulletins zur Aufgabe der Archive:
1) „Archiv- und Records Management der Vereinten Nationen“10 und 2) „Sensibilität
für die Vertraulichkeit von Information, deren Klassifizierung und Handhabung“.11
   Das Bulletin „Archiv- und Records Management der Vereinten Nationen“ wurde
„zum Zwecke der Sicherstellung einer effektiven und effizienten Verwaltung der
Akten und Archive der Vereinten Nationen“ erlassen. Die Aufgabe des Archivs
war wie folgt definiert: „Die Akten sollen aufgrund ihres administrativen, fiska-
lischen, rechtlichen, historischen oder informatorischen Wertes erhalten werden.“
Auch definiert das Bulletin den Begriff der UN-Archive präziser als „diejenigen
Abteilungen, die innerhalb der UN Organisation, ungeachtet ihrer physischen

 7 Einen aktuellen Überblick über die weltweiten Standorte der UN-Organisationen finden
   Sie unter: Europa und Zentralasien, http://www.un.org/en/sections/where-we-work/
   europe-and-central-asia (Stand 29.6.2019).
 8 Eine formelle Einführung in alle Unterlagen der Archiv- und Aktenverwaltungsabteilung
   (ARMS) am UN-Hauptquartier New York (UNHQ) finden Sie unter https://archives.
   un.org (Stand 29.6.2019).
 9 Rothschild: Archives (wie Anm. 2), S. 390-394.
10 Bulletin des Generalsekretärs «Aufbewahrung und Verwaltung der Archive der Vereinten
   Nationen» vom 12.2.2007 (ST/SGB/2007/5); vgl. das digitale Dokument in allen sechs
   Amtssprachen der Vereinten Nationen, https://undocs.org/ST/SGB/2007/5 (Stand
   29.6.2019).
11 Generalsekretär, Bulletin «Information Sensitivität, Klassifizierung und Handhabung»
   vom 12.2.2007 (ST/SGB/2007/6); siehe das digitale Dokument in allen sechs Amts-
   sprachen der Vereinten Nationen unter: https://undocs.org/ST/SGB/2007/6 (Stand
   29.6.2019).
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Verortung, sowie als Archive zuvor existierender Organisationen, für welche das
Sekretariat die Verwalterin ist, Schriftgut auf Papier- und elektronischer Basis ent-
halten, das aufgrund seines administrativen, fiskalischen, rechtlichen, historischen
oder informatorischen Wertes bewahrt werden sollte“.12
   In Absprache mit allen eigenständigen Institutionen und den Leitern der
Archive dieser Institutionen entscheidet das ARM „im Wege eines Beurteilungs-
systems, welche Akten ausreichenden historischen oder anderweitigen Wert
besitzen, um ihren dauerhaften Erhalt als Archivgut der Vereinten Nationen zu
rechtfertigen.“ Das Zusatzbulletin „Sensibilität für die Vertraulichkeit von Infor-
mation, deren Klassifizierung und Handhabung“ enthält Informationen darüber,
wie die Archivare der UN mit dem Schriftgut umgehen sollen. Es legt fest, dass
die Archivare das Schriftgut so aufarbeiten sollen, „dass die Arbeit der Verein-
ten Nationen offen und transparent“ ist, was bedeutet, dass das mit der UN in
Zusammenhang stehende Schriftgut prinzipiell von jeder Person auf der Welt
eingesehen werden können, deren besonderes Interesse sich auf die Tätigkeit der
UN richtet, beispielsweise Wissenschaftler und Politiker.
   Als Folge dieser beiden Ankündigungen haben sich mehrere UN-Organisa-
tionen im vergangenen Jahrzehnt verpflichtet, das ARM einzuführen, um die
Compliance-Verpflichtungen der Organisationen zu erfüllen, rechtliche Risiken
zu minimieren und Governance-Ziele zu spezifizieren. Sie begannen damit, inter-
ne Strategien und Verfahren zu entwickeln, die das ARM benötigte, um wie ihre
eigenen Abteilungen mit Workflows zu arbeiten. Heute verlassen sich die meisten
ARM-Sektionen auf den ARM Standard ISO 15489. Ende der 1990er Jahre
wurde die Entwicklung dieser Norm von einem speziellen technischen Komitee,
bekannt als ISO/TC 46/SC 11, im Rahmen der Internationalen Organisation für
Normierung (IOS) in Genf, Schweiz13 ausgearbeitet. Dieses technische Komitee
bestand aus ARM-Experten aus mehreren Ländern, darunter Deutschland.14

12 Vgl. Bulletin des Generalsekretärs, Aufbewahrung und Verwaltung der Archive der
   Vereinten Nationen vom 12.2.2007 (ST/SGB/2007/5).
13 Joachim Kemper u.a.: Schriftgutverwaltung nach DIN ISO 15489-1: ein Leitfaden zur
   qualitätssicheren Aktenführung, Berlin 2012; Claudia Zenker-Oertel: ISO 15489
   und DIN ISO 15489, Berlin 2008, https://www.bundesarchiv.de/imperia/md/content/
   abteilungen/abtb/bbea/01_din_iso_15489_vortrag.pdf (Stand 29.6. 2019).
14 Zur Überprüfung der Tätigkeit der deutschen Berufskollegen im Ausschuss vgl.: Nor-
   mungsvorhaben ISO 15 489 Internationale Normungsvorhaben im Rahmen des DIN-
   zum Thema «Archiv- und Schriftgutverwaltung» ISO 15 489, https://www.archivschule.
   de/DE/forschung/fremde-projekte/iso-15489.html (Stand 29.6.2019).
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   Dieser Ausschuss setzt seine Arbeit bis heute fort15 und erarbeitet weitere
wichtige Standards, um den Berufsstand der Archivare weiterzuentwickeln.16
Das erste englische Dokument nach ISO 15489 wurde 2001 veröffentlicht17
und weiterhin durch verschiedene ARM-Abteilungen genutzt, um ihre Archive
einzurichten oder zu verbessern. Das Komitee ist ein wichtiges Element der be-
ruflichen Beziehung zwischen Archivaren verschiedener Länder und es ist sehr
hilfreich, dass dieses Komitee internationaler Spezialisten regelmäßig berufliche
Aufgaben und Abläufe für internationale Archive überprüft. Infolgedessen wurde
die ISO 15489 im vergangenen Jahrzehnt erneuert und erweitert, insbesondere,
um die Herausforderung des digitalen ARM zu bewältigen. Weitere Standards
wurden freiwillig von nationalen oder internationalen Fachleuten entwickelt,
zum Beispiel von der bedeutenden American Association of Archivists and
Records Managers (ARMA).18
   Außerdem haben im vergangenen Jahrzehnt die audiovisuellen Archive inter-
nationaler Organisationen begonnen, sich in besonderer Weise an einem großen
Netzwerk zu beteiligen, zu welchem der International Council on Archives (ICA),
die International Federation of Library Associations (IFLA) und die UNESCO
gehören. Besonders aktiv war die UNESCO. 2012 begann sie ein breit angeleg-
tes Programm, um die Digitalisierung audiovisuellen Archivguts mit dem Ziel
zu fördern, das weltweite kulturelle Erbe zu unterstützen. Genauso schuf die
World Intellectual Property Organization (WIPO) Verfahren zur Digitalisierung
audiovisuellen Materials. Der Ständige Ausschuss zu Copyright-Fragen entwarf
Verfahren zur audiovisuellen Digitalisierung. In den Bereichen Vernetzung und
Kooperation beim Management internationaler audiovisueller Archive muss
noch viel Arbeit geleistet werden.19 Das ARM internationaler Organisationen wie

15 Um mehr über das aktuelle technische Komitee ISO/TC 46/SC 11 zu ARM zu erfahren,
   vgl. ISO/TC 46/SC 11 Archiv-/Datensystemverwaltung.
16 Vgl. Information und Dokumentation – Konvertierung und Migration digitaler
   Aufzeichnungen, veröffentlicht von der Internationalen Organisation für Normung,
   Genf 2010.
17 Die offiziellen Bezeichnungen lauten: ISO 15 489-1 Information und Dokumentati-
   on – Records Management – Teil 1: Allgemeines ISO/TR 15 489-2 Information und
   Dokumentation – Records Management – Teil 2: Richtlinien.
18 ARMA bietet einen aktuellen Überblick über alle archivrelevanten englischsprachi-
   gen ISO Standards and Best Practices, https://www.arma.org/page/standards (Stand
   29. 6.2019).
19 Deggeller: Archives (wie Anm. 2), S. 14-19.
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der UN muss deshalb auf der Grundlage der Standards arbeiten, welche durch
die effiziente supranationale Zusammenarbeit in der IOS entwickelt wurden.

3. Allgemeine Voraussetzungen für UN-Archive
Die wichtigste Voraussetzung für eine Abteilung oder einen Bereich des ARM
sind die Etablierung und die finanzielle Stabilität einer bereits vorhandenen
Organisation. Die UN und ihre Organisationen werden generell auf freiwilliger
Basis durch die Mitgliedsstaaten gegründet, während sie darüber hinaus von den
Entscheidungen der Vollversammlung abhängen, welche auf Ein- oder Zwei-
jahresbasis ausgehandelt werden und eine einstimmige Entscheidung verlangen.
Kleine Organisationen sind besonders abhängig von der Finanzierung. Wenn die
Beiträge begrenzt sind, hat dies negative Auswirkungen auf ihr administratives
System sowie auf ihre Programme. Im schlimmsten Falle müssen Abteilungen
wie das ARM geschlossen und ihre Aufgaben von anderen Bereichen, zusätzlich
zu deren Kernaufgaben, übernommen werden. Deshalb sind die Finanzierung
und die Verhandlungen über Geld und eine zukunftsfähige Planung über Jahre
hinweg die wichtigsten Voraussetzungen für UN-Organisationen, was für alle
eine ziemlich große Aufgabe ist.
   Eine weitere wichtige Voraussetzung für professionelles ARM ist die Anwer-
bung qualifizierten Personals.20 Noch ist es ziemlich kompliziert, denn es gibt
kein spezielles Diplom, welches eine Person für die Arbeit in internationalen
Archiven einer UN-Teilorganisation qualifiziert. Normalerweise wird ein Bache-
lor- oder Masterabschluss in den Fächern Archiv- und Record Management oder
Informatik, verliehen von einer nationalen Universität, verlangt. Meine Analyse
der Stellenausschreibungen für den ARM-Bereich in internationalen Organi-
sationen im Jahr 2016 ergab, dass neben Archiv- oder Informatikabschlüssen
auch das Studium der Rechtswissenschaften geschätzt wurde. Neben jahrelanger
Berufserfahrung ist auch eine gute Kenntnis der wichtigsten Arbeitssprache der
Organisation für die Bewerber verpflichtend. Aufgrund der bevorstehenden
Herausforderungen bei der Digitalisierungsstrategie in der Zukunft ist eine
qualifizierte Berufsausübung im Bereich ARM ohne archivwissenschaftliche
Fachkräfte kaum möglich. Daher sind finanzielle Ressourcen und Personal

20 Zu den beruflichen Anforderungen siehe Maik Schmerbauch: Requirements for
   archives and records management jobs in international organisations with focus on
   United Nations – A job analysis of the vacancy announcements in 2016, in: Comma –
   International Journal on Archives 2, 2017, S. 125-133.
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die entscheidenden Voraussetzungen für das ARM jeder Organisation im
UN-System, die sich als große und fortdauernde Herausforderungen für die
internationale Tätigkeit erweisen.21
   ARM-Personal muss dann die ARM-Infrastruktur aufbauen. Es müssen
Aufgaben erfüllt werden wie die Einrichtung von Archivrepositorien, die Erfas-
sung einer effizienten ARM-Datenbasis,22 ein Projektplan und Muster für die
Beschreibung der Archivalien sowie deren Ablage sowie in- und externe Services
wie die Öffentlichkeitsarbeit der ARM-Abteilung. Die ISO unterstützt die Im-
plementierung dieser Schritte. Auch ist es für internationale Archive wichtig, die
Garantie öffentlichen Zugangs zum Archivgut der Organisation für jede Person
zu klären, die berechtigten Zugang hat. Deshalb muss sich ein Wissenschaftler
bewusst sein, dass Archivgut eine bestimmte Sperrfrist besitzen, bevor es als
historische Quelle genutzt werden kann. Dies hängt oft von der Klassifizierung
als „vertraulich“ oder „streng vertraulich“ ab, sowie von Fragen der Privatsphäre
der in den Dokumenten genannten Personen und ihres Datenschutzes.
   Viele nationale Archive rund um die Welt haben ihre eigene Politik bezüg-
lich der Sperrfristen; diese unterscheiden sich oft voneinander, abhängig von
der Entstehung des Schriftguts und dem Sperrfristende. Normalerweise wird
der Zugang durch die nationale Archivgesetzgebung geregelt. In Deutschland
definieren das Bundesarchivrecht sowie eigenständige Landesarchivgesetze den
Zugang zu Bundesarchivgut nach einer Sperrfrist von dreißig Jahren. Dies aber
ist in den letzten zehn Jahren debattiert worden und diese Debatten werden
weitergehen.23 Das Vereinigte Königreich gewährt Zugang dreißig Jahre nach
Abgabe der Registratur.24 Die Akten der Archive der Europäischen Union in

21 Zum System der Geldbeschaffung bei den UN-Organisationen siehe Funds, Programme,
   Specialized Agencies and Others, https://www.un.org/en/sections/about-un/funds-
   programmes-specialized-agencies-and-others/ (Stand 29.6.2019).
22 Die meisten internationalen Archive und UN-Organisationen nutzen heute die multi-
   funktionalen Archivdatenbanken wie OpenText, Livelink oder HP Trim.
23 Vgl. Irmgard Christa Becker, Clemens Rehm: Archivrecht für die Praxis. Ein Hand-
   buch, München 2017; Eckhardt G. Franz, Thomas Lux: Einführung in die Archivkun-
   de, Darmstadt 92018, S. 156; Rickmer Kiessling, Katharina Tiemann, Benutzung
   von Archivalien, in: Norbert Reimann (Hg.): Praktische Archivkunde. Ein Leitfaden für
   Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste, Fachrichtung Archiv, Münster
   32014, S. 243-268, hier S. 245-247; Archivalische Zeitschrift 90, 2008.
24 Vgl. Freedom of Information Act 2000, http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2000/36/
   contents (Stand 29.6.2019).
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Florenz (Italien) zum Beispiel „werden der Öffentlichkeit nach einer Sperrfrist
von dreißig Jahren zugänglich gemacht, wann immer es möglich ist“. 25 Die North
Atlantic Treaty Organization (NATO) wiederum gewährt Zugang zu Schriftgut
30 Jahre nach dessen Erstellung.26
   Die UN traf die Entscheidung für eine Sperrfrist von zwanzig Jahren abhängig
von der Überprüfung der Klassifikation des Schriftguts.27 Ein Wissenschaftler,
der 2019 zur Geschichte der UN forscht, könnte daher Zugang zu dem größten
Teil des nicht klassifizierten Schriftguts bekommen, das bis zum 31.12.1999
datiert.28 Ferner ist es wichtig zu unterstreichen, dass der Online-Zugang zu den
Digitalarchiven der Organisationen über Webserver immer noch eingeschränkt
ist, da nur ein minimaler Prozentsatz des Schriftguts digitalisiert ist. Daher ist ein
persönlicher Besuch der Lesesäle für Wissenschaftler in speziellen Fällen immer
noch nötig, um Zugang zu Schriftgut zu erhalten, das im Zusammenhang mit
den UN steht. Die Digitalisierung der UN-Archive hängt ab von finanziellen
und beruflichen Bestimmungen, was eine andauernde und spezielle Aufgabe für
das ARM-Personal darstellt.29
   Die meisten Archive verfügen heute über Online-Sammlungen historischen
und gegenwärtigen politischen Schriftguts. Sie sind besonders wichtig für Regie-
rungen und ihre Behörden, wenn sie einen aktuellen Überblick über die Arbeit
der Organisation benötigen. In einigen Fällen stellen Archive der UN weltweit
online verfügbare Findbücher30 und Kataloge zur Verfügung, die Wissenschaftler
abfragen können, um zu erfahren, welches Schruftgut das Archiv besitzt und was

25 Vgl. EU: Verordnung 2015/496 des Rates vom 17.3.2015 zur Änderung der Verordnung
   (EWG, Euratom) Nr. 354/83 über die Hinterlegung der historischen Archive der Organe
   beim Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, Amtsblatt der Europäischen Union,
   Bd. 58 (25.3.2015), https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=
   OJ:L:2015:079:FULL&from=IT (Stand 29.6.2019).
26 Vgl. Veröffentlichung von NATO-Informationen, Mitteilung des Generalsekretärs, ht-
   tps://www.nato.int/nato_static/assets/pdf/pdf_archives/20120327_C-M_2008_0116_
   INV-Public_Disclosure.pdf (Stand 29.6.2019).
27 Vgl. Bulletin des Generalsekretärs, Aufbewahrung von Aufzeichnungen und Verwaltung
   der Archive der Vereinten Nationen.
28 Vgl. Archives and Records Management, https://archives.un.org/content/public-refe-
   rence-services-0 (Stand 29.6.2019).
29 Ebd.
30 Die UNOG bietet beispielsweise eine exzellente Online-Fundführer-Datenbank: https://
   biblio-archive.unog.ch/suchinfo.aspx (Stand 29.6.2019).
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es enthält. Für den Online-Zugriff im Internet sind Metadatenbeschreibungen
und Thesauri für den Nutzer wichtig. Schließlich müssen alle internationalen
Archive heute über eine professionelle Online-Website verfügen, um ihre Existenz
mit allen notwendigen Informationen zu bewerben und um Wissenschaftler
rund um die Welt zu informieren, die an ihrer Geschichte interessiert sind. Die
wichtigste Frage für Wissenschaftler ist, welche Arten von Schriftgut und anderen
Sammlungen ein internationales Archiv in seinen Beständen hat, welche letztlich
für die Forschung in ihrem Fachgebiet nutzbar sind.

4. Wichtige Archivbestände für Wissenschaftler, die an internationaler
    UN-Politik interessiert sind
Dieser Abschnitt spiegelt meine archivarische Berufserfahrung mit Wissenschaft-
lern wider, die zu Themen der internationalen Geschichte arbeiten. Die Archive
müssen zunächst bewerten, welche Arten von Schriftgut in ihren UN-Beständen
für Wissenschaftler von historischem Wert sind. Zu diesem Zweck müssen alle
Registraturen der Verwaltungseinheiten und Programme von den ARM-Abtei-
lungen sowie von Fachleuten geprüft werden, um zu entscheiden, ob Schrift-
und anderes Archivgut kassiert bzw. vorübergehend oder dauerhaft aufbewahrt
werden soll. Aus archivarischer Sicht muss die Bewertung nach der Provenienz
der Registraturen unterschieden werden, die in der Regel aus verschiedenen ab-
liefernden Sektionen und Abteilungen stammen. Es gibt Dutzende verschiedener
Arten von Archivgut (sogenannte Reposituren), die ein internationales Archiv
aufbewahren mag und die für Wissenschaftler, die internationale Geschichte
schreiben, Wert besitzen und von Interesse sind. Daher kann in diesem Artikel
nur ein kleiner Teil diskutiert werden.
   Aus organisatorischer Sicht bestehen die meisten internationalen Organi-
sationen aus einer Basis-Verwaltungseinheit, welche die Abteilungen Human
Resources, Finanzen, Auftragsvergabe, Reisen, Recht, Instandhaltung und
ARM umfasst. Ohne diese administrativen Abteilungen ist keine Organisati-
on funktionsfähig. Dann übernehmen diese Abteilungen ihre typischen und
speziellen Aufgaben wie die Organisationsabteilung Außenbeziehungen, die
Konferenz- und Besprechungsabteilung, Feldforschung, sowie die Abteilungen
zu Spezialthemen.31 Folglich liefern all diese Abteilungen ihre Registraturen an
die entsprechende ARM-Abteilung der Organisation, die entscheidet, die Ma-
terialien gemäß standardisierter Archivierungsverfahren zu archivieren oder zu

31 Schmerbauch: Metadata (wie Anm. 6).
ZWG-02-2020    Maik Schmerbauch: (Welt-)Geschichte Internationaler Beziehungen schreiben | 399

kassieren. Dies ist die Grundlage der Entwicklung von Archivgut, welches ein
internationales Archiv in der Regel aufbewahrt hat und welche der Wissenschaft
zugänglich gemacht werden können.32
   Die wichtigsten historischen Quellen, die ich Forschern, die sich mit inter-
nationalen Beziehungen aus der Perspektive internationaler Organisationen
beschäftigen, dringend empfehlen möchte, sind Berichte von regulären Treffen,
wie Gipfeltreffen und Konferenzen, für welche die Organisation zuständig ist.
Bei diesen Treffen kommen Repräsentanten, Anwälte und Diplomaten aller
Mitgliedsstaaten zusammen und verhandeln Angelegenheiten und Themen
entsprechend ihren politischen Aufgaben und Strategien. Die vollständigen
Berichte und anderen Dokumente, die mit diesen Treffen in Zusammenhang
stehen, werden in der Regel innerhalb einer Repositur aufbewahrt. Sie enthält
alle Aufzeichnungen, die bereits vor einer Sitzung erstellt wurden, also Entwürfe
von Referenten und Gruppen sowie vorläufige Entscheidungen und Verhand-
lungsergebnisse. Sie enthält auch alle Aufzeichnungen, die aus schriftlichen oder
mündlichen Verhandlungen zwischen den Parteien während der Sitzungsperiode
hervorgegangen sind. Nicht zuletzt dokumentieren die Berichte die letzten
Schritte, die zum Erlass gemeinsamer Beschlüsse wie Abkommen, Protokolle
und Konventionen geführt haben.33
   Bei der Untersuchung müssen sich die Forschenden auch über spezifische
Fallen und Bedingungen im Klaren sein. Oft lohnt es sich nochmals zu über-
prüfen, ob (und inwieweit) die Niederschrift der Reden mit den aufgezeichneten
Präsentationen des Vertreters auf der Konferenz übereinstimmt, da die mündliche
Darstellung manchmal von den schriftlichen Entwürfen und Anmerkungen
abweicht. Es ist daher interessant (und wichtig) die Audio- und Videoaufzeich-
nungen des Präsentations-Panels zu vergleichen, welche die Archive heutzutage
ebenfalls aufbewahren.
   Zum Beispiel hat das UN-Hauptquartier (UNHQ) in New York eine eigene
digitale Audiovisuelle Bibliothek mit audiovisuellen Aufzeichnungen, Fotos sowie
Tonbandaufzeichnungen von Sitzungen eingerichtet; viele Organisationen haben
Ähnliches in ihren Archiven.34 Dennoch sind die schriftlichen Entwürfe auch
wichtig, da sie die ursprünglichen Vorbereitungsarbeiten der Repräsentanten

32 Vgl. auch Maik Schmerbauch: Etablishing a Records Appraisal Workflow, in: ARMA
   International, Nov./Dec. 2016, S. 36-38.
33 Vgl. UN-Dokumentation: Wie man UN-Dokumente findet, https://research.un. org/
   en/docs/find/meetings (Stand 29.6.2019).
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der Mitgliedsstaaten abdecken. Es wird dringend empfohlen, die Protokolle der
Treffen zu analysieren, um die Entwicklung der internationalen Beziehungen
besser verstehen zu können. Darüber hinaus gibt es aussagekräftige und inspi-
rierende Sammlungen zu verschiedenen UN-Missionen auf der ganzen Welt
nach 1945.35
   Die UNO und die internationale Geschichte seit 1945 wurden maßgeblich
von einigen bemerkenswerten Persönlichkeiten beeinflusst. Daher sind die
archivierten Registraturen des UN-Generealsekretärs und der Chefs und Vorsit-
zenden der UN-Organisationen von großem Interesse für jeden Wissenschaftler.
Wichtig sind auch die persönlichen Akten der Stellvertreter und Vorsitzenden
aller internen Abteilungen. Sie alle wurden in den internen Workflow integriert,
um wichtige Entscheidungen ihrer Organisation zu treffen und zu verwalten.
So dokumentieren die personbezogenen Akten ihren Einfluss und ihre Position
innerhalb verschiedener Netzwerke während des gesamten Entscheidungspro-
zesses internationaler Entscheidungen. Wissenschaftler sollten jedoch wissen,
dass die Benützung dieser personenbezogenen Akten eingeschränkt sein kann,
da sie verständlicherweise sensible private Informationen der Handelnden be-
inhalten. Hier sollten sie herausfinden, welche Informationen sie genau wollen,
um Zugang zu erhalten.36
   Die meisten internationalen Organisationen und die UN verfügen über
eine Kommunikationsabteilung, um ihre Programmarbeit und ihre Leistungen
gegenüber den Regierungen der Mitgliedsstaaten und der nationalen sowie
internationalen Öffentlichkeit bekannt zu machen. In der Regel geschieht dies
über die offizielle Website oder durch regelmäßige elektronische Newsletter an
Projektbeteiligte, Freunde und alle Anderen, die sich für ihre Aktivitäten interes-
sieren. Selbstverständlich handelt es sich dabei um ein Dokument, welches von
internen Mitarbeitern sorgfältig vorbreitet und nur nach Genehmigung durch
den Leiter der Abteilung Interne Organisation (IO) verschickt wird, so dass die
Information positiv formuliert ist, und daher kritisch analysiert und mit Daten
von außerhalb der Organisation konfrontiert werden muss.
   Aus informatorischer Sicht können Websites und archivierte Newsletter allge-
meine Informationen zu statistischen Daten, Projekte sowie Veranstaltungspläne

34 Vgl. Audiovisuelle Bibliothek der Vereinten Nationen, https://www.unmultimedia.org/
   avlibrary (Stand 29.6.2019).
35 Vgl. Suchmaschine des Archivs der Vereinten Nationen https://search.archives.un.org
   (Stand 29.6.2019).
36 Kott: Organizations (wie Anm. 2), S. 2.
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bieten. Historiker sollten aber wie immer aufpassen, wenn zum Beispiel Teilneh-
merzahlen auf Tagungen oder Besucherzahlen bei öffentlichen Veranstaltungen
dokumentiert werden, denn in der Realität könnten sie manchmal nicht so hoch
gewesen sein, wie es die IO-Abteilung für die Attraktivität ihrer Veranstaltungen
wünschte. Auch der Erfolg der geförderten Projekte kann von externen Gut-
achten beurteilt werden. Eine genaue Aufzeichnung ist für Wissenschaftler von
wesentlicher Bedeutung, um die allgemeinen Aktivitäten einer internationalen
Organisation in einem bestimmten Zeitraum zu rekonstruieren. In der Regel ist
der Zugang zu dieser Art Schriftgut nicht beschränkt. Sie vermitteln die öffentli-
che Meinung hinsichtlich der Reputation der Organisation in der internationalen
Arena. Neben solchen schriftlichen und visuellen Aufzeichnungen bewahrt das
Archiv auch eine Sammlung von Gebrauchsgegenständen wie Flaggen, Stempeln
und Symbolen der Mitgliedsstaaten auf, um die Pluralität der Mitgliedsstaaten
der Organisation zu dokumentieren.
   Für jeden Forscher, der an bedeutenden Unterlagen zu einem Thema gearbei-
tet hat, besteht gemäß der allgemeinen Prinzipien geschichtswissenschaftlicher
Arbeit eine wesentliche Informationsquelle darin, auch nach dem Prinzip der
Berücksichtigung von Quellen des Gegenarchivs in einem verwandten interna-
tionalen oder nationalen Archiv oder sachbezogenen Archiv der internationalen
Organisation zu arbeiten.37 Qualifizierte Geschichtsforschung auf der Grundlage
von Provenienz verlangt von Fachleuten, auch diese Quellen zu prüfen, da sie
wichtige Archivalien mit zusätzlichen oder auch gegensätzlichen Informationen
enthalten können, welche das einzelne Hauptarchiv nicht besitzt oder welche das
dortige Archivgut nicht enthält. Nur so kann eine historische Analyse respektiert
werden. Sich also nur auf die Quellen des Hauptarchivs zu verlassen, auf das der
Forscher festgelegt ist, ist nicht der richtige Weg, internationale Geschichte zu
schreiben. Die Erfahrung zeigt, dass diese grundlegende historische Methode
oft nicht respektiert wird. Daher empfehle ich Wissenschaftlern und Forschern,
nicht nur den Zugang zu dem Archiv in Betracht zu ziehen, das sie interessiert,
sondern je nach Thematik auch zu überprüfen, in welchem Gegenarchiv auch
Informationen und Schriftgut über einen bestimmten Prozess enthalten sein
könnten.

37 Irene Amstutz: Ein Schritt darüber hinaus – Ergänzungs- und Gegenüberlieferung zu
   Privatarchiven Verantwortlich, in: Arbido 1, 2013, S. 14-16; Rainer Hering, Dietmar
   Schenk: Wie machtvoll sind Archive? Perspektiven der Archivwissenschaft, Hamburg
   2017.
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Fazit
Ziel dieses Aufsatzes war es, das Archivsystem internationaler Organisationen
vorzustellen. Er wollte Forschern wichtige Informationen geben, die auf meiner
Praxis und Erfahrung in internationalen Organisationen basieren, wie man auf
internationale Archive wie die der UNO zugreifen kann und was von der Arbeit
mit diesen archivierten Dokumenten zu erwarten ist. Die heutigen politischen
und wirtschaftlichen Beziehungen sind weitgehend international und suprana-
tional. Nur grundlegende Recherchen in Archiven können daher alle wichtigen
Entscheidungsprozesse, die von einer internationalen Organisation wie der UNO
getroffen werden, aufdecken und verstehen. Sie bilden die Grundlage für die
Erforschung jeder „supranationalen Geschichte“. Dieser Aufsatz gibt Empfeh-
lungen, Vorschläge und Anregungen für Wissenschaftler, ohne sich zu sehr auf
den Berufsstand und das Geschäft der Archivare zu konzentrieren. Er wird die
weitere Forschung zur internationalen Geschichte unterstützen.

                                                           Übersetzung: Michael Bertram
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