Bccg - Infrastrukturausbau und Energiewende - Herausforderung für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft
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bccg Infrastrukturausbau und Energiewende – Herausforderung für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft Eine Dokumentation In Kooperation mit
Inhalt 2 Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung 03 Markus Hilse, Geschäftsführung navos – Public Dialogue Consultants GmbH Grußwort 05 Dr. Rainer Giersch, Chairman BCCG, Regionalkomitee Norddeutschland Einführung: Herausforderung Infrastrukturausbau 07 Klaus Kaiser, Partner, ERM GmbH Politik: Die Energiewende made in Hamburg 10 Holger Lange, Staatsrat der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Freie und Hansestadt Hamburg Gesellschaft: Zwischen Hoffnungen und Enttäuschungen. 12 Prof. Manfred Güllner, Geschäftsführer, forsa Gesellschaft für Sozialforschung mbH Wirtschaft: Neue Netze für neue Energien 13 Michael Westhagemann, CEO Region Nord, Siemens AG Finanzierung: Investitionsrisiken und Lösungsansätze 16 Dr. Thomas Ull, Seniormanager, PricewaterhouseCoopers AG Recht: Infrastruktur und Energiewende zwischen Raumordnung und beschleunigtem Netzausbau 17 Dr. Wolfram Hertel,Partner, Raue LLP Kommunikation: Lange Leitungen. Warum Unternehmen lernen müssen sich dem Dialog zu stellen 20 Michael Sasse, Leiter Unternehmenskommunikation, Wintershall Holding GmbH
Zusammenfassung Symposium 3 Zusammenfassung Symposium: Markus Hilse, geschäftsführender Gesellschafter navos – Public Dialogue Consultants GmbH Deutschlands Energiewende hält Einzug in den in- ternationalen Sprachgebrauch, während hierzulande Politik, Wirtschaft und Gesellschaft darum ringen, die- ses Jahrhundertprojekt im Alltag wirtschafts- und so- zialverträglich umzusetzen. Auf Einladung der British Chamber of Commerce in Germany haben Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft im Februar Markus Hilse 2013 auf dem Symposium „Infrastrukturausbau und Energiewende“ intensiv über Herausforderungen und werden in der Öffentlichkeit und durch den Vorhaben- mögliche Lösungsansätze diskutiert. Denn, wie Micha- träger konträre Erwartungen gestellt. Sie gerät im Laufe el Westhagemann, CEO Region Nord der Siemens AG des Verfahrens immer mehr in eine Sandwich-Situati- es formulierte: „Das Projekt Energiewende ist bereits on.“ Ergänzend fügte Klaus Kaiser, Partner der ERM im vollen Gange. Dabei wird aber kein neues Energie- GmbH, hinzu: „Derzeit ist das Bild bei Planung und Ge- system entworfen, sondern ein funktionierendes im lau- nehmigung durch uneinheitliche Prozesse und Vorge- fenden Betrieb überarbeitet.“ hensweisen geprägt.“ Kaiser forderte, die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im verwaltungsbehördli- Drängende Aufgabe: Netzausbau chen Handeln zu vereinheitlichen, zu vereinfachen und Entscheidend für den Erfolg der Energiewende, so somit planbar zu machen. waren sich die Teilnehmer einig, ist der Ausbau des Stromnetzes. Binnen weniger Jahre müssen rund Machbar ist, was vermittelbar ist 6.000 km zusätzliche Leitungen gebaut werden, um Als zweite große Hürde erweist sich beim Infrastruktur- das bestehende Stromnetz zu modernisieren. Zudem ausbau die Einbindung der Öffentlichkeit. Dabei allein setzt Deutschland erstmalig auf die Hochspannungs- auf juristische und behördliche Aspekte zu pochen Gleichstromübertragung. Insgesamt sind zusätzlich reiche nicht, so Michael Sasse, Leiter Unternehmens- über 1.500 km dieser besonders verlustarmen Tras- kommunikation Wintershall Holding GmbH: „Die Ener- sen geplant. „Der Netzausbau muss Schritt halten mit giewende fordert die Gemeinschaft – und droht sie zu dem Ausbau der Erneuerbaren Energien! Die Weichen überfordern.“ Die Lektion sei klar, erklärte Sasse: „Wer dafür sind politisch zu stellen“, forderte Holger Lange, neue Infrastruktur leisten will, muss zunächst den Dia- Staatsrat der Behörde für Stadtentwicklung und Um- log leisten. Hier haben viele Unternehmen Nachholbe- welt der Freien Hansestadt Hamburg. darf.“ Mit Zahlen unterlegte dies forsa-Geschäftsführer Prof. Manfred Güllner. Er machte darauf aufmerksam, Komplexe Verfahren, konträre Erwartungen dass der Glaube an die Energiewende in der Bevölke- In der Diskussion wurde vor allem auf die überlange rung abnimmt. Nur noch 42 Prozent seien überzeugt, Verfahrensdauer und das Scheitern der öffentlichen dass die Energiewende so wie geplant gelingen wird. Einbindung eingegangen. Die Gesamtdauer bis zur Zudem halten 66 Prozent die Energiewende für wenig Realisierung einer Hochspannungsleitung schätzt Dr. glaubwürdig und schätzen sie als zu schnell, unüber- Wolfram Hertel, Partner Raue LLP, auf neun bis zehn legt und so nicht notwendig ein. Jahre. Eine zentrale Ursache dafür, dass viele Verfah- ren so lange dauern, sieht Hertel in der schwierigen Rolle der Planfeststellungsbehörde: „An die Behörde
Infrastrukturausbau und Energiewende 4 Energiewende als Chance Anders die Symposiumsteilnehmer. Sie betonten – bei aller Kritik an der Umsetzung – dass die deutsche Wirtschaft von der Energiewende profitiere. „Die Um- setzung des Energiekonzepts setzt einen langen Weg voraus, der den Akteuren zahlreiche Chancen bietet, allerdings auch ein hohes Investitionsvolumen erfor- dert“, so Thomas Ull, Senior Manager PWC AG. Her- vorzuheben seien die Umstrukturierung und Neuaus- richtung des Energiemixes sowie der Bau und Betrieb eigener Energieerzeugungsanlagen. Denn indem das Word „Energiewende“ international ankommt, bereitet es den Weg für Technologie made in Germany. Kurz- um: Made by Energiewende. Frank Scheidig, Wolfgang Rosenbauer und Gast Intensive Podiumsdiskussion
Grußwort 5 Grußwort Dr. Rainer Giersch, Chairman BCCG, Regionalkomitee Norddeutschland Infrastrukturausbau und Energiewende – Herausforde- rungen für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Ein Thema, das, um einen englischen Ausdruck zu ver- wenden, eine tall order enthält. Zusammengefaßt: Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 bei gleichzei- tiger Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien bis 2020 auf 35% und bis 2050 auf 80%. Der politische Paradigmenwechsel ist vollzogen – aber Dr. Rainer Giersch wie soll er effektiv und effizient umgesetzt werden? Als einer der großen Risikofaktoren gilt einerseits das se teure und ineffiziente Ölkraftwerk Neudorf-Werndorf Stromnetz, das den Anforderungen nach gängiger bei Graz ans Netz gehen musste, um das deutsche Meinung nicht standhalten wird. Und andererseits sind Netz zu stabilisieren, während moderne und effiziente dann noch eine ganze Reihe offener Fragen zu beant- deutsche Gaskraftwerke abgeschaltet wurden. worten: Vor allem die der Versorgungssicherheit und Aufgrund des starken Windes in Norddeutschland gab der Bezahlbarkeit alternativer Energien. es Windstromspitzen von bis zu 24.000 Megawatt – der Leistung von rund 20 großen Atomkraftwerken. Die Prei- Und gerade bei der Bezahlbarkeit stellen wir fest, dass se an der Leipziger Strombörse fielen daher in den Kel- wir in die Falle laufen, der wir, wenn wir sie nicht er- ler. Dies führte wiederum zur automatischen Abschal- kennen, oder aus politischem Kalkül heraus nicht se- tung von modernen und effizienten Gaskraftwerken in hen wollen, kaum entrinnen können. Lassen Sie mich Süddeutschland, da sich diese aufgrund der niedrigen eine Hypothese aufstellen: Der gegenwärtige Boom, Preise nicht mehr rechneten. Wegen der fehlenden die riesigen nordamerikanischen Gasreserven durch Netzkapazitäten zwischen Nord- und Süddeutschland Fracking zu erschließen und somit preiswerte Koh- konnte der Windstrom aus dem Norden diese entstan- lenwasserstoffe der Industrie und der Bevölkerung dene Energielücke aber nicht auffüllen. Um die Insta- zur Verfügung zu stellen, könnte ein dramatische Re- bilität des Netzes zu verhindern, musste der deutsche Industrialisierung Nordamerikas auslösen und euro- Netzbetreiber TenneT die sogenannte „Kaltreserve“ päische Unternehmen, die auf preiswerte und sichere abrufen. Dies sind vier ältere Kraftwerke (drei davon in Energie angewiesen sind, veranlassen, dem teuren Österreich), die für solche Fälle bereitgehalten werden. Europa – und insbesondere dem teuren Deutschland – den Rücken zu kehren. Das Ergebnis: wir, die Men- Im Endeffekt läuft nun ein viermal so teures altes Öl- schen in diesem Land, bezahlen politische Entschei- kraftwerk statt der modernen deutschen Gaskraft- dungen mit einer schleichenden De-Industrialisierung werke. Dies ist ökonomisch und ökologisch unsinnig, und Destabilisierung der Wirtschaft. allerdings eine betriebswirtschaftliche Folge der „plan- Vielleicht noch etwas am Rande, das zeigt, dass for- wirtschaftlich“ organisierten Energiewende. cierte ‚Lösungen‘ nicht immer sinnvoll sind. Eine Mel- In vielen Ländern der EU wird harsche Kritik an Deutsch- dung der Wiener Zeitung „Die Presse“: land laut. Da es in Deutschland zu wenige Leitungen „Die deutsche Energiewende steht kurz vor dem Schei- von Norden nach Süden gibt, fließt Strom nun oft über tern.“ kommentierte Wolfgang Anzengruber, Chef des Polen, Tschechien und Österreich von der Nordsee größten österreichischen Stromkonzerns Verbund. nach Bayern“, und nach Meinung vieler Branchenken- Der Grund: Starkwind in Deutschland führte Anfang des ner liegt das Hauptproblem im bedingungslosen Vor- Jahres zur skurrilen Situation, dass das vergleichswei- rang von Ökostrom bei der Netzeinspeisung.
Grußwort 6 Wenn wir in der EU Vorrang für leistbare Energie pos- tulieren, dann steht Deutschland im Fadenkreuz der Kritik. Dass es in Europa durchaus auch andere Stra- tegien gibt, zeigt etwa Großbritannien: Das Land setz- te in erster Linie auf schnelle Marktliberalisierung. Die eigenen CO2-Ziele verschoben die Briten auf 2060. Deutschland will mit massiver Förderung von Ökostrom die Treibhausgasemissionen sofort senken. Das Resul- tat sieht mager aus. Da so viele Öl- und Kohlekraftwer- ke einspringen müssen, wenn der Wind in Deutschland zu schwach oder eben auch zu stark bläst, stiegen die CO2-Emissionen im Vorjahr um 1,2 Prozent an. „Deutschland zahlt einen hohen Preis für nichts“. Dr. Rainer Giersch Allein neue Hochspannungsnetze können nicht die Ul- tima Ratio sein. Sie sind wichtig, zweifellos. Und die entscheidenden Instanzen – Politik, Wirtschaft und Bürger – müssen gemeinsam Lösungen für die Ener- giewende erarbeiten. Es liegen also noch viele Aufga- ben vor uns, die wir gemeinsam lösen müssen. Dazu gehört auch, dass wir den Dialog suchen sollten. Veranstaltungen wie die heutige sehe ich als einen wichtigen Teil dieses Prozesses. Gemeinsamer Ausklang Michael Westhagemann, Holger Lange und Michael Sasse
Einführung: Herausforderung Infrastrukturausbau 7 Einführung: Herausforderung Infrastrukturausbau Klaus Kaiser, Partner, ERM GmbH Als ein Baustein zum Themenfeld der Veranstaltung werden im Folgenden einige Überlegungen zur Pla- nung und Implementierung von regional und national bedeutsamen Infrastrukturprojekten und den dabei zu bewältigenden Herausforderungen vorgestellt, die sich aus unserer langjährigen Erfahrung in der umweltfach- lichen Bearbeitung und Genehmigungsbegleitung sol- Klaus Kaiser cher Projekte ableiten. Zunächst ist die Frage zu stellen, was kennzeichnet regional und national bedeutsame Was bedeutet das für die allgemeine Akzeptanz gegen- Infrastrukturprojekte? Solche Infrastrukturprojekte stel- über derartigen Projekte? len im Regelfall eine Funktion oder Leistung bereit, die Hier ergibt sich zumeist ein mehrschichtiges Bild. über die lokale Bedarfsdeckung hinausgeht bzw. für Dies sei am Beispiel der Energiewende erläutert. Dem die im Extremfall lokal gar kein erkennbarer Bedarf Grundsatz nach besteht ein mehr oder minder stabiler besteht. gesamtgesellschaftlicher Konsens, dass die Energie- Ein Beispiel hierfür ist die Errichtung von konventionell wende notwendig ist. Die Maßnahmen zu deren Umset- gefeuerten Großkraftwerken, die im Hinblick auf eine zung stoßen prinzipiell auf Akzeptanz. Schwierig wird Substitution entfallender Kernkraftwerkskapazitäten die Gemengelage aber bezogen auf konkrete Projekte und zur Besicherung der erneuerbaren Energieer- und die regionalen und lokalen projektbedingten Fol- zeugung notwendig sind. Der Betrieb eines solchen gen. Sobald die Lasten den Nutzen eines Projektes Kraftwerks mag zwar aufgrund des Gewerbesteuerauf- überwiegen, stellt sich schon fast reflexartig eine ab- kommens für die Standortkommune noch ökonomisch lehnende Haltung gegenüber dem konkreten Projekt interessant sein. Für die übrigen Gemeinden im Stand- ein, die sich häufig in organisiertem Widerstand mani- ortumfeld steht ein solches Vorhaben dagegen nur für festiert. Die Betroffenen nutzen alle Möglichkeiten das zusätzliche Belastungen (Luftschadstoffe, Lärm, Be- Projekt in dem jeweils betroffenen Raum zu verhindern einträchtigung des Landschaftsbilds). oder doch zumindest so zu verändern, dass nachteili- ge Auswirkungen nach dem Sankt Florians-Prinzip an Noch deutlicher ist diese unbalanzierte Situation beim andere Stellen verlagert werden. Ausbau der Energieübertragungsnetze gegeben. Die- se müssen letztlich ausgebaut werden, um den Wind- Wie gestalten sich Planungs- und Genehmigungspro- strom aus dem Norden Deutschlands in die industriellen zesse vor diesem Hintergrund? Ballungsräume im Südwesten und Süden der Republik Der Planungs- und Genehmigungsprozess ist dem zu transportieren. Ein Nutzen solcher Leitungsausbau- Grundsatz nach zunächst einmal durch gesetzliche vorhaben besteht somit nur in den Einspeise- und Ab- Vorgaben klar geregelt. So ist beispielsweise für größe- nahmeregionen. Den Gebietskörperschaften und auch re Projekte im Rahmen des Ausbaus der Energietrans- den betroffenen Bürgern „auf der Strecke“ bringen portnetze zunächst ein Raumordnungsverfahren oder sie dagegen nur zusätzliche Belastungen in Form von bei länderübergreifenden Projekten eine Bundesfach- Landschaftsbildbeeinträchtigungen und Siedlungszer- planung nach dem Netzausbaubeschleunigungsge- schneidung bis hin zur Beeinträchtigung von Grund- setz durchzuführen. Das wesentliche Ziel dieses Prüf- und Immobilieneigentum. verfahrens ist es, sinnvolle Trassierungsalternativen zu identifizieren und vorzugswürdige Trassenalternativen vergleichend zu bewerten. Im Ergebnis sollten das Raumordnungs- bzw. das Bundesfachplanungsverfah-
Einführung: Herausforderung Infrastrukturausbau 8 ren mit der Festlegung der vorzugswürdigen Trasse Vor dem Hintergrund derartiger Erfahrungen, ist es nur abschließen. Sowohl das Raumordnungsverfahren als allzu verständlich, dass die Genehmigungsbehörden auch die Bundesfachplanung sehen schon auf dieser und die beteiligten Fachbehörden erheblich verunsi- vorgelagerten Prüfebene eine obligatorische Beteili- chert sind. Dies erhöht einerseits die gegenüber dem gung der Öffentlichkeit vor. Dies hat zur Folge, dass die Vorhabenträger formulierten Anforderungen bzgl. des potentiell betroffenen Gebietskörperschaften und auch Antragsumfangs und führt andererseits zu verzögerten Private schon auf der Ebene der Alternativenfindung Entscheidungsprozessen seitens der Behörden. Es ist und des Alternativenvergleichs bestrebt sind, ihre Par- eigentlich keinem Sachbearbeiter auf Seiten der Ge- tikularinteressen durchzusetzen, indem sie versuchen nehmigungsbehörde zu verdenken, wenn er sich an- den Nachweis zu führen, dass das Projekt insgesamt gesichts des massiven Widerstands gegen ein Projekt oder zumindest einzelne Alternativen fachlich und lieber zwei und dreimal absichert, bevor er zu einer rechtlich nicht haltbar sind. Diese mehr oder minder Entscheidung findet. Wer möchte schon einen später fachlich begründeten Bedenken, deren Anzahl sich – gerichtlich aufgehobenen Planfeststellungsbeschluss vereinfacht ausgedrückt – umgekehrt proportional zur verantworten müssen. Diese Randbedingungen, die Akzeptanz gegenüber dem Vorhaben verhält, sind von letztlich aus der mangelnden Akzeptanz gegenüber In- der verfahrensführenden Behörde bei ihrer Abwägung frastrukturprojekten resultieren führen zu Schwergang zu berücksichtigen. Dies erschwert und verlängert und zu zeitlichen Verzögerungen bei der Planung und häufig die Entscheidungsfindung der Behörden, zumal im Genehmigungsverfahren. in derartigen Verfahren durchaus auch versucht über die politische Schiene die verfahrensführenden Behör- Was wäre nun wünschenswert, um den Ablauf zu be- den zu beeinflussen. schleunigen und diese Mechanismen zu durchbrechen? Auf das Raumordnungsverfahren folgt dann die eigent- Zum einen wäre es hilfreich, die Prüfprozesse der Be- liche Vorhabensgenehmigung, die bei einer Energie- hörden zu vereinheitlichen und den Sachbearbeitern übertragungsleitung im Regelfall das Ergebnis einer über einheitliche Ausführungsvorgaben zur Umset- Planfeststellung ist. In diesem Rahmen sind neben der zung der gesetzlichen Regelwerke Hilfestellung für die Umweltverträglichkeit auch die Prüfraster des Natura Entscheidungsfindung zu geben. Derzeit ist das Bild 2000-Gebietsschutzes und des Artenschutzes ab- eher durch uneinheitliche Prozesse und Vorgehenswei- zuarbeiten. Insbesondere aus dem Natura 2000 Ge- sen geprägt. Der Umgang mit einzelnen Prüfschritten bietsschutz und der Artenschutzthematik können sich und der hierfür erforderliche vom Vorhabenträger zu Sachverhalte ergeben, die rechtlich nur schwer über- erbringende Belegaufwand können von Behörde zu windbare Projekthindernisse darstellen. Sie stellen so- Behörde varieren bzw. sogar in Abhängigkeit von den mit ein scharfes Schwert bzgl. der Zulassungsfähigkeit einzelnen beteiligten Sachbearbeitern verschieden eines Projektes dar. sein. Unser Petitum ist daher, nicht etwa bestehende gesetzliche Anforderungen zu entschärfen, wie dies Dieser Sachverhalt wurde und wird daher von Geg- z.B. bzgl. des Naturschutzes wiederholt im politischen nern als Ansatzpunkt bei dem Versuch genutzt, ein Raum angeregt wurde. Vielmehr muss es darum ge- „ungeliebtes“ Projekt zu verhindern oder zumindest zu hen, die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im ver- verzögern. Hierzu wird häufig eine verwaltungsgericht- waltungsbehördlichen Handeln zu vereinheitlichen, zu liche Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses vereinfachen und somit planbar zu machen. angestrengt, die sich insbesondere auch auf die Über- Das zweite Aktivitätsfeld ist eine frühzeitig einsetzen- prüfung der behördlichen Entscheidungen zum Natura de und andauernde Projektkommunikation, die sich 2000 Gebietsschutz und zum Artenschutz fokussiert. aber nicht nur auf reine Information der Betroffenen be- Hier seien als Beispiel nur die langwierigen Verfahren schränken darf. Es sollte stattdessen ein echter Dialog zum Weiterbau der A 44 angeführt. Das naturschutz- angestrebt werden, in dessen Verlauf auch sinnvolle rechtliche Regelwerk wird hier, so unsere Einschät- Hinweise aufgenommen und im Rahmen einer Projekt- zung, instrumentalisiert, um ein nicht gewolltes Projekt optimierung soweit wie möglich umsetzt werden. Es zu verhindern. gilt, den Betroffenen auf Augenhöhe zu begegnen und sie ernst zu nehmen. So kann Akzeptanz erhöht oder
Einführung: Herausforderung Infrastrukturausbau 9 zumindest der Widerstand merklich reduziert werden. Nicht zuletzt müssen aber auch die Vorhabenträger bei der Vorbereitung ihrer Projekte mit der gebotenen Sorgfalt vorgehen. Überambitionierte Zeitpläne für den Planungsprozess und das Genehmigungsprozedere sind da eher kontraproduktiv. Sie können ebenso wie zu knappe Planungsbudgets zu nicht ausreichend be- lastbaren Antragsunterlagen führen, die dann in auf- wendigen Nachbearbeitungsschleifen auf das Niveau gehoben werden müssen, das von den Behörden für ihre Abwägungsentscheidung erwartet wird. Noch einmal zusammengefasst: Eine Behörde wird basierend auf klaren Handlungsleitlinien über einen fachlich umfassenden und alle Aspekte angemessen Klaus Kaiser, Markus Hilse thematisierenden Antrag schneller und mit größerer Si- cherheit entscheiden können. Gleichzeitig besteht die Chance, durch eine offene kommunikative Begleitung die Akzeptanz gegenüber einem Projekt zu erhöhen und damit die Bereitschaft für eine rechtliche Anfech- tung zumindest zu reduzieren. Morag McLean, Hans-Jochen Lorenzen Angar Porthun, Dr. Rainer Giersch, Dr. Terrie Romano
Die Energiewende made in Hamburg 10 Politik: Die Energiewende made in Hamburg Holger Lange, Staatsrat der Behörde für Stadtentwick- lung und Umwelt, Freie und Hansestadt Hamburg Die Energiewende ist aktuell eine der zentralen Her- ausforderungen. Sie zukunftsfähig, klimafreundlich und am Gemeinwohl orientiert zu gestalten und dabei zugleich die Versorgungssicherheit, Anlagensicherheit Holger Lange und Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten, ist dem Hamburger Senat ein Handlungsschwerpunkt. versorgung zurückzugewinnen, ist der 25,1 % - Beteili- Hamburg ist ein Gewinner der Energiewende. Im Be- gungserwerb der Stadt an den Strom- und Gasnetzen reich Erneuerbare Energien wird verstärkt investiert, sowie am Wärmenetz inklusive der Produktion. laufend entstehen neue Arbeitsplätze. Rund 25.000 Gute Energiepolitik macht man aber nicht alleine mit Personen arbeiten heute bereits in der Erneuerbaren Energienetzen, entscheidend ist ein energiepolitisches Energien-Branche in der Metropolregion. Gesamtkonzept mit dem Einfluss auf die Energieer- zeugung, gerade im Wärmebereich. Genau an diesem Die „Energiewende made in Hamburg“ ruht auf drei Punkt setzen die im Zuge des Beteiligungserwerbs mit Säulen: Vattenfall und E.ON geschlossenen energiepolitischen Kooperationsvereinbarungen an. Diese umfassen die 1. Mehr Energieeffizienz Vornahme von Investitionen in Höhe von rund 1,6 Mrd. 2. Zukunftsfähige Netzen € sowie mehr als 40 energiewirtschaftliche Projekte, 3. Ausbau erneuerbarer Energien Einzelmaßnahmen und Arbeitsbereiche,rdie nun umge- setzt werden. Eine Stadt wie Hamburg braucht jede Menge Energie. Viel lässt sich einsparen, ohne auf Lebensqualität und Dazu zählt im Bereich Fernwärme insbesondere der Wirtschaftskraft zu verzichten. Sparsamere Heiztech- Ersatz des aus den 60er Jahren stammenden Steinkoh- nik, bessere Gebäudedämmung, moderne Kraftwerke lekraftwerks Wedel durch ein neues, hoch modernes und die Optimierung betrieblicher Abläufe bieten viele und effizientes Gas- und Dampfheizkraftwerk mit einem Möglichkeiten für eine effizientere Nutzung von Strom innovativen Speichersystem, das Windstrom in Wärme und Wärme. In Zeiten steigender Preise für Energie umwandeln und speichern kann. Rund 250.000 Tonnen rechnet sich das auch finanziell. CO2 werden dadurch jährlich eingespart. Aber auch die Weiterentwicklung der Netze zu sog. „smart grids“ Mit unserem Förder- und Beratungsprogramm „Unter- ist von entscheidender Bedeutung. nehmen für Ressourcenschutz“ stoßen wir Maßnah- Der Ausbau Erneuerbaren Energien verlangt die Aus- men zur Umsetzung der Energiewende in den Un- weitung der Produktionskapazitäten. Dieses geschieht ternehmen an. 1.800 Unternehmen haben bislang an unter anderem durch Projekte der städtischen Tochter dem Programm teilgenommen und rund 350 Mio. € in Hamburg Energie GmbH: Das Weltquartier in Wilhelms- Klima- und Ressourcenschutzmaßnahmen investiert, burg beispielsweise wird von Hamburg Energie kom- durch die jährlich 288.000 Tonnen CO2-Emissionen plett mit Wärme aus Erneuerbaren Quellen versorgt. vermieden werden. Rund 30.000 Tonnen CO2 werden dadurch pro Jahr ein- gespart. Aber auch im Hafen findet die Energiewende Die Strom- und Erdgasnetze sind aus- und umzubau- statt: Zusätzliche Flächen für Windkraftanlagen werden en, die Wärmeversorgung und die Energiespeicherung identifiziert, die HafenCity entpuppt sich als Labor für weiterzuentwickeln. Eine der wesentlichen Weichen- innovative Technik- und Energiedienstleistungen. stellung, um strategischen Einfluss auf die Energie- Bei aller Euphorie: verkennen wir nicht, dass die Ener-
Die Energiewende made in Hamburg 11 giewende erhebliche Anstrengungen erfordert. Für In der Wirtschaftspolitik wird zur Lösung von Zielkon- Hamburg als großem Standort der Windenergiebran- flikten das so genannte „Magische Viereck“ verwen- che kommt es entscheidend darauf an, dass die det: angemessenes und stetiges Wirtschaftswachs- Übertragungsnetze rasch und zuverlässig ausgebaut tum, Preisniveaustabilität, hohe Beschäftigung und werden. Der Netzausbau muss Schritt halten mit dem außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Es gibt jedoch Ausbau der Erneuerbaren Energien! Die Weichen da- genügend Stimmen, die dieses magische Viereck, um für sind politisch zu stellen. zwei weitere nachhaltige Ziele – „soziale Gerechtig- Natürlich gibt es hier viele widerstreitende Akteure mit keit“ und „lebenswerte Umwelt“ – erweitern wollen zu eigenen Interessen, u.a.: einem Sechseck. Gleichzeitig alle Ziele zu erreichen ist schwer, aber alle Mühe wert! Vielleicht hilft dieser • Die Übertragungsnetzbetreiber, die mehr Anreize für Ansatz, in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ein ge- den Netzausbau fordern, meinsames Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die • Bürgerinitiativen, die sich gegen die Verlegung von Energiewende nicht umsonst sein kann, wir aber auch Stromtrassen oder den Bau von Windkraftanlagen eine richtig gute Gegenleistung bekommen. engagieren, • Betreiber, die investieren wollen und denen die Klaus Töpfer hat die Energiewende in Deutschland Dinge nicht schnell genug gehen, einmal mit der „Dritten industriellen Revolution“ verglei- • Teile der Finanzwirtschaft, die ihre klassischen chen. Zu Recht! Finanzierungsmodelle und -geschäfte durch inno- Und weil jede Revolution ihren Ursprung darin hat, vative Unternehmen und energiewirtschaftliche Bür- dass Menschen sich versammeln und gemeinsam für gerbeteiligungsmodelle gefährdet sehen, Veränderung und Wandel engagieren, würde ich mir • Große Energiekonzerne, die ihre Geschäftsmodelle wünschen, dass auch dieses Symposium im Zeichen produktionsseitig weg vom bisherigen konventio- dieses Aufbruchs steht – genauso wie die „Energie- nellen Kraftwerkspark auf erneuerbare Energien um- wende made in Hamburg“! stellen müssen, • Energienutzer und Verbraucherschützer, die den Fokus auf die Bezahlbarkeit von Energie legen. Und am Ende hat das Ganz ja auch noch eine euro- päische Dimension: Die Energiemärkte sind miteinan- der technisch, rechtlich und wirtschaftlich verknüpft, gleichzeitig gibt es große Unterschiede, die es zu überwinden gilt. Die Politik muss den richtigen Weg finden und abwä- gen - was sie aber nicht sein darf, ist unentschlossen oder handlungsunfähig!
Zwischen Hoffnungen und Enttäuschungen. 12 Gesellschaft: Zwischen Hoffnungen und Enttäuschungen. Meinungen und Einschätzungen der Bürger zur Energiewende Prof. Manfred Güllner, Geschäftsführer, forsa Gesellschaft für Sozialforschung mbH Prof. Manfred Güllner Die Notwendigkeit der abrupten Kehrtwende in der Energiepolitik, die nach dem Reaktorunfall in Fukushi- litik kletterte dieser Anteil auf einen Höchstwert von 35 ma im Frühjahr 2011 vollzogen wurde, wurde von den Prozent. Fehleinschätzungen von „Volkes Wille“ – wie politischen Akteuren mit „Volkes Wille“ begründet. bei der Energiewende geschehen – steigern somit den An dieser Unterstellung ist richtig, dass nicht erst seit Unmut der Bürger über die politischen Akteure. Dar- Fukushima, sondern schon seit dem Reaktorunglück aus sollten die Unternehmen in Deutschland eigentlich von Tschernobyl eine Mehrheit der Deutschen auf die Lehren ziehen – doch viele Unternehmen glauben, sich Nutzung der Kernkraft verzichten wollte und dass sich einem vermeintlich in allen Schichten der Bevölkerung die erneuerbaren Energien wie Sonne und Wind seit je- vorhandenen „grünen“ Zeitgeist anpassen zu müssen. her hoher Beliebtheit erfreuen. Doch der Ausstieg aus E.ON-Chef Johannes Teyssen z.B. bezeichnet sein der Kernenergie war für die große Mehrheit der Bürger Unternehmen als „den grünsten Energieerzeuger der in Deutschland nie ein wirklich drängendes Problem Welt“ und lässt mit „grünem“ Strom werben. Doch das und es gab und gibt bei aller Beliebtheit regenerativer ist wenig glaubhaft und wirkt sich eher negativ auf das Energiearten große Zweifel an ihrer Effizienz. Aktuell Bild von E.ON aus – ebenso wie die Werbung eines Le- glauben nur noch 9 Prozent der Bundesbürger, dass bensmittelproduzenten, der eine Käsesorte „als Käse der Energiebedarf in Deutschland auf absehbare Zeit mit der grünen Seele“ anpreist. Wie falsch die Einschät- allein durch erneuerbare Energien gedeckt werden zung eines durchgängig „grünen“ Zeitgeistes ist, hat kann. Insofern glaubt auch nur eine Minderheit von 42 im Übrigen auch die Volksabstimmung über Stuttgart Prozent, dass die Energiewende, so wie geplant, gelin- 21 gezeigt: Nicht die angeblichen „Wutbürger“ hatten gen wird. Zudem halten 66 Prozent die Energiewende eine Mehrheit, sondern hier entlud sich die Wut der für wenig glaubwürdig und schätzen sie als zu schnell, vielen „normalen“ Bürger über die von den Medien zu unüberlegt und so nicht notwendig ein. Dies tun im glorifizierten „Wutbürger“. Politik und Wirtschaft wären übrigen auch über 60 Prozent der deutschen Unter- deshalb gut beraten, immer genau hinzuschauen, ob nehmer, von denen auch nur ein Drittel an den Erfolg „Wutbürger“ oder andere von den Medien gehätschel- der Energiewende glaubt. te „Bewegungen“ nicht überwiegend aus selbsternann- ten Advokaten bestehen, die Partikular-Interessen ohne Mit höheren Energiekosten für ihr Unternehmen rech- Rücksicht auf die Interessen der Mehrheit der Bürger nen hingegen alle Unternehmen – 81 Prozent sogar vertreten und durchsetzen wollen. Dies ist umso wich- mit einer starken Steigerung. Anders als von der Po- tiger, weil bei falscher Interpretation von Protesten von litik erhofft, hat diese Entscheidung den Unmut vieler Minoritäten die Kluft in der Gesellschaft zwischen Tei- Bürger über die Art und Weise, wie in Deutschland Po- len der oberen Bildungs- und Einkommensschichten litik betrieben wird, nicht reduziert, sondern noch ge- mit entsprechenden kommunikativen Fähigkeiten und steigert. Der Anteil der mit der Politik Unzufriedenen Ressourcen und den unteren sozialen Schichten ohne war von 1994 bis Anfang 2011 von 11 auf 28 Prozent ähnliche Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Artikulation angestiegen. Nach der Kehrtwende in der Energiepo- ihrer Interessen immer größer wird.
Neue Netze für neue Energien 13 Wirtschaft: Neue Netze für neue Energien Michael Westhagemann, CEO Region Nord, Siemens AG Die Energiewende in Deutschland ist ein epochales volkswirtschaftliches Projekt! Und: Sie ist unserer Mei- nung nach – trotz aller Kritik – machbar! Vor allem aber ist sie eine große Herausforderung und ganz gewiss kein Selbstläufer. Gerade deshalb stellen sich viele internationale Beobachter aus Wirtschaft und Politik die Frage, warum sich die deutsche Volkswirtschaft ohne Not in das Abenteuer eines ebenso radikalen wie teuren Umbaus ihres Energiesystems begibt. Die Antwort ist eine ganz einfache: Weil das Land von Michael Westhagemann der Energiewende DOPPELT profitiert! Erstens kann Technologien auch wirklich im „Schaufenster“ stehen. Deutschland durch den Umbau des Energiesystems Das heißt, Deutschland muss die Voraussetzungen da- auf eine nachhaltige Grundlage seine wirtschaftliche für schaffen, dass Innovationen im eigenen Land zum Stärke ausbauen. Denn Erneuerbare Energien sind Einsatz kommen. Und es muss ebenfalls dafür gesorgt von Rohstofflieferungen unabhängig und haben da- werden, dass die Ziele der Energiewende mit vertret- durch langfristig einen Preisvorteil. Dieser Pluspunkt baren Kosten zu erreichen sind. muss allerdings mit konventionellen Kraftwerken ab- Soweit mein Eingangs-Plädoyer. Nun aber zum eigentli- gesichert werden. Warum? Weil Wind und Sonne nicht chen Thema, unserer künftigen Netzstruktur. immer zur Verfügung stehen und Energiegroßspeicher sich derzeit noch in der Entwicklung befinden. Gera- „Die Energiewende beschleunigt den Umbau des de aus diesem notwendigen Technologiemix resultiert Systems“ eine zweite Chance für die heimische Wirtschaft: der Dass sich die Energieversorgung in Deutschland dra- Export von Energietechnik. Die jährlichen Ausgaben matisch wandelt, bekommt man als Verbraucher an hierfür liegen in den nächsten 20 Jahren global bei der Steckdose nicht mit. Mit über 99 Prozent Versor- über 500 Milliarden Euro. Mit großem Interesse verfolgt gungssicherheit zählt das Land zu dem kleinen Kreis man weltweit, welche technologischen Lösungen hier- jener Staaten, in denen das Licht buchstäblich fast nie zulande beim Systemwechsel zum Einsatz kommen. ausgeht. Die Veränderung spielt sich vielmehr hinter In vielen Ländern findet eine Energiewende ganz an- der Steckdose ab. Eine einfache Zahl macht das deut- derer Art statt. Dort werden große Kapazitäten aufge- lich: Im Jahr 1990 zählte man hierzulande rund 1000 baut, um die wachsende Bevölkerung und Wirtschaft Kraftwerke. Im Jahr 2010 waren es bereits über eine mit Energie zu versorgen. Klimaziele stehen dabei oft Million. Was ist passiert? Die konsequente Förderung noch hinter anderen Interessen zurück. Trotzdem ist von Strom aus Erneuerbaren Energien seit Anfang der auch in solchen Märkten der Aufbau eines nachhal- 90er Jahre hat dazu geführt, dass vor allem immer tigen Energiesystems auf wirtschaftlicher Grundlage mehr Wind- und Solaranlagen ans Netz gingen. Betrof- möglich und nötig. Die deutsche Industrie kann hier fen ist vor allem das Mittel- und Niederspannungsnetz. mit ihrer Innovationsstärke und ihrem Know-how auf Insbesondere im Bereich der Photovoltaik erlebte die allen Feldern der Energietechnik einen wichtigen Bei- Bundesrepublik in den letzten Jahren einen Boom, den trag leisten. Die Exportquote für Energietechnik lag im niemand vorhergesagt hatte. Es sind die vielen Photo- vergangenen Jahr bei annähernd 80 Prozent. Mit einer voltaikanlagen auf Hausdächern und die zahlreich über erfolgreichen Energiewende wird Deutschland zu einer das Land verstreuten kleinen Windkraftwerke und Bio- Art Schaufensterland. Allerdings nur dann, wenn die masseanlagen, die den Anteil der dezentralen Strom-
Neue Netze für neue Energien 14 erzeugung ständig erweitern. Diese Anlagen sind es ben Zeitraum werden aber nach Angaben der Netzbe- auch, die aus der einstigen Energieumwandlungskette treiber lediglich Übertragungskapazitäten von 12 Giga- mittlerweile ein komplexes System aus Erzeugern und watt zugebaut. So mussten Stromerzeuger in Nord- und Verbrauchern haben entstehen lassen. Früher gab es Ostdeutschland teilweise schon auf die Stromnetze der einen klar definierten Weg des elektrischen Stroms europäischen Nachbarn wie Polen, Tschechien oder vom zentralen Großkraftwerk über das Übertragungs- Österreich zurückgreifen, damit der Strom nach Süden netz zum Verteilnetz. Von dort aus wurde der Strom transportiert werden konnte. entweder direkt zu den industriellen Großabnehmern Darüber hinaus werden heute Windenergie-Anlagen geliefert oder aber in die Niederspannungsnetze ein- vermehrt vom Netz genommen, der Verdienstausfall gespeist und zum Verbraucher gebracht. Heute kehrt wird den Betreibern trotzdem vergütet. Allein Schles- sich dieser Weg nicht selten um: Aus Verbraucher wig-Holstein rechnet auf der Grundlage der Ausbau- werden Erzeuger oder auch beides – Erzeuger und pläne für Windenergie im Jahr 2025 mit 100 Millionen Verbraucher, sogenannte Prosumer. Dieser Trend hat Euro Entschädigung für nicht abgenommene Strom- Auswirkungen auf die technische und vor allem auf die mengen aus erneuerbaren Energien. Dafür müssen die ökonomische Entwicklung unserer Energieversorgung. Verbraucher gerade stehen. Der Strommarkt Deutschlands vollzieht einen Verände- Um diesem Missverhältnis entgegenzutreten hat schon rungsprozess im Spannungsfeld zwischen regulatori- 2009 die damalige große Koalition das sogenannte schen Eingriffen der Politik, der Marktpräsenz großer Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) beschlossen, und kleiner Versorgungsunternehmen und einer Viel- das den schnellen Bau von Nord-Süd-Trassen mit ins- zahl von Verbrauchern. Wie Deutschland seine avisier- gesamt 1.800 Kilometern ermöglichen sollte. Bis heute ten Energieziele erreichen kann, hängt deshalb ganz sind jedoch nur rund 200 Kilometer realisiert worden – wesentlich davon ab, welche technischen Notwendig- laut den Netzbetreibern werden 2016 erst 50 Prozent keiten sich ergeben und wie der Markt innerhalb der dieser Trassen gebaut sein. Das Projekt Energiewende politischen und gesetzgebenden Rahmenbedingun- ist bereits im vollen Gange. Dabei wird aber kein neues gen sowie angesichts der schwankenden Stromgeste- Energiesystem entworfen, sondern ein funktionieren- hungskosten reagiert. des im laufenden Betrieb überarbeitet. Daher dürfen wir uns beim Netzausbau keine großen Fehler erlau- Meine Damen und Herren, auf den Punkt gebracht – ben – eine steigende Zahl an Stromausfällen wäre für müssen wir uns hinsichtlich des Netzausbaus auf fol- Deutschland als hochindustrialisiertes Land fatal. gende Entwicklung einstellen: Wie aber bekommen wir denn nun aus gemächlichen • Der Anteil dezentraler Stromerzeugung wir weiter Landstraßen ein weitverzweigtes Netz sechsspuriger steigen. Autobahnen mit intelligenter Verkehrsbeeinflussung • Damit einher geht der künftig bi-direktionale und schnellen Zubringern? Ohne einen ausgeklügel- Stromfluss durch sogenannte „Prosumenten“, ten Masterplan wird es nicht gehen. Aber gibt es den also Verbraucher u. Produzenten gleichermaßen. schon? Ich hatte das eben schon kurz erwähnt. Nun, wir haben immerhin seit Sommer letzten Jahres Dies hat zur Folge, dass das ursprünglich lineare Ener- einen Netzentwicklungsplan, der auf dem zwischen giesystem zu einer Strom Matrix wird, wenn Sie so wol- Netzbetreibern und Bundesnetzagentur ausgearbei- len zu einem „Internet“ der Energie. Nun, was heißt das teten Netzbedarfsplan fußt. Wir als Siemens begrüßen konkret für das Energieverteilungsnetz Deutschlands das. Lassen Sie mich die wichtigsten Anforderungen und Europas – und in diesem Fall beschränke ich mich und Vorhaben darin kurz umreißen. Sie sehen sie hier hier auf das Netz zur Übertragung und Verteilung von auch auf dem Chart hinter mir aufgeführt: Elektrizität: Das Strom-Autobahnnetz muß um rund 6.000 km erweitert werden, das sind die sogenannten High- Ausbau und Modernisierung der Netze voltage lines. Allein in Norddeutschland sollen bis zum Jahr 2020 bis zu 30 Gigawatt Windkraftleistung installiert sein. Im sel-
Neue Netze für neue Energien 15 • 2,800 km davon als komplett neue Leitungen, • 2,900 km davon als Optimierung bestehender Leitungen. Darüber hinaus soll es in einer Art Express- oder Punkt- zu-Punkt-Verbindung von Nord nach Süd in drei Tras- sen sogenannte Hochspannungs-Gleichstromübertra- gungen, HGÜ, geben, insgesamt etwa über eine Dis- tanz von 1.500 km. HGÜ für eine effiziente Nutzung der Erneuerbaren Diese hocheffizienten und verlustarmen Hochleis- tungstrassen mit Gleichstrom sind, obwohl weltweit be- reits im Einsatz, in Deutschland relatives Neuland. Die Technik ist ausgereift, aber überwiegend im Ausland im Einsatz, beispielsweise zur Anbindung von Inseln Im Blick: Netzausbau Deutschland ans Festland. Und etwas Reklame muss an dieser Stel- le erlaubt sein: Siemens ist einer der wenigen Anbieter, die diese Technik beherrschen. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss meiner Ausführungen. Damit der für die Energiewende erforderliche Netzausbau rechtzeitig realisiert werden kann, bedarf es dringend einer Einigkeit zwi- schen den Ländern und einer Koordinierung durch den Bund. Entbürokratisierung und Kooperation müssen das Gebot der Stunde sein. Netzbedarfsplan, Netzent- wicklungsplan oder das Netzausbaubeschleunigungs- gesetz werden hierfür elementare Richtungsweiser sein. Wir zählen darauf. Das Ausland schaut auf uns.
Investitionsrisiken und Lösungsansätze 16 Finanzierung: Investitions- risiken und Lösungsansätze Dr. Thomas Ull, Seniormanager, PWC AG Durch das Energiekonzept 2050, welches langfristige Strategien und Entwicklungen der Regierung für eine umweltschonende Energieversorgung darlegt, steht der Energieversorgung eine strukturelle Änderung be- vor. Eine Zielsetzung liegt beispielsweise darin, den Anteil der erneuerbaren Energien von heute 20 auf 80 Dr. Thomas Ull Prozent im Jahr 2050 zu erhöhen. Die Umsetzung die- ses Energiekonzeptes setzt einen langen Weg voraus, mag. Es existieren diverse Investitionsrisiken (u.a. Ren- der den Akteuren zahlreiche Chancen bietet, allerdings dite-, Markt-, Zins- und Währungsrisiken sowie techni- auch ein hohes Investitionsvolumen erfordert. Für die sche oder auch politische Risiken), welche allerdings Erreichung der Klimaziele bedarf es zum Beispiel dem durch entsprechende Risikomanagementinstrumente Ausbau erneuerbarer Energien sowie dem Neubau abgeschwächt werden können. Solche Instrumenta- von Kohle- und Gaskraftwerken, dem Netzausbau und rien sind beispielsweise langfristige gesetzliche und der Forschung und Entwicklung von Energiespeichern, administrative Rahmenbedingungen, Kapitalmarktre- um nur einige Bereiche zu nennen. Die sich daraus er- gulierungen, aber auch Infrastrukturgesellschaften gebenden Möglichkeiten bestehen unter anderem in oder Finanzierungsmodelle wie Private Equity, um eine der Erschließung neuer Geschäftsfelder, der Umstruk- Streuung der Risiken zu erreichen und somit die Inves- turierung bzw. Neuausrichtung des Energiemixes, dem titionsbereitschaft zu erhöhen. Bau und Betrieb eigener Energieerzeugungsanlagen oder auch in der Optimierung bzw. dem Ausbau der In- PwC bietet branchenspezifische Dienstleistungen in den frastruktur. Im Kontext des angeführten Investitionsbe- Bereichen Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung und Un- darfs ergeben sich nach Angaben verschiedener Stu- ternehmensberatung. Dort schaffen wir für unsere Man- dien bis zum Jahr 2020 erforderliche Investitionen von danten den Mehrwert, den sie erwarten. Mehr als 169.000 bis zu 200 Milliarden Euro für die Energiewende. Allein Mitarbeiter in 158 Ländern entwickeln in unserem inter- im Jahr 2011 betrug laut dem Bundesministerium für nationalen Netzwerk mit ihren Ideen, ihrer Erfahrung und Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) die ihrer Expertise neue Perspektiven und praxisnahe Lösun- Gesamtsumme der Investitionen in die Errichtung von gen. In Deutschland erzielt PwC an 28 Standorten mit Anlagen für die Energiegewinnung aus erneuerbaren 8.900 Mitarbeitern eine Gesamtleistung von rund 1,45 Ressourcen 22,9 Milliarden Euro. Die größten Posten Milliarden Euro. PwC zählt im Nordwesten an den Stand- stellen dabei Windenergie- (2.950 Mio. Euro) sowie orten Bremen und Oldenburg mehr als 80 Mitarbeiter, Photovoltaikanlagen (15.000 Mio. Euro) dar. davon zehn Wirtschaftsprüfer und zwölf Steuerberater am Standort Bremen. Zu unseren Mandanten zählen neben Unter dem derzeitigen Umstand der andauernden Großkonzernen vor allem Familienunternehmen und mit- Schuldenkrise ist die Finanzierung seitens des Staates telständische Unternehmensgruppen aus der gesamten gehemmt, weshalb die Bereitstellung privaten Kapitals Metropolregion Bremen/Oldenburg. an Bedeutung gewinnt. Etwa 40% der Investitionen in erneuerbare Energien werden von Privatpersonen Weitere Informationen erhalten Sie unter: finanziert, womit diese zugleich den größten Anteil Dr. Thomas Ull LL.M. tragen. Allerdings ist die Finanzierungsbereitschaft Wirtschaftsprüfer und Leiter des Geschäftsbereiches durch eine weitreichende Risikofokussierung seitens Familienunternehmen & Mittelstand bei PwC Nordwest potenzieller Investoren gehemmt, was seinen Grund Tel.: +49 421 8980-4282 in der diffizilen Definierbarkeit von Gewinnpotentialen E-Mail: thomas.ull@de.pwc.com aufgrund schwer einschätzbarer Risikofaktoren haben www.pwc.de
Zwischen Raumordnung und Netzausbau 17 Recht: Infrastruktur und Energiewende zwischen Raumordnung und beschleu- nigtem Netzausbau Dr. Wolfram Hertel, Partner, Raue LLP 1. Bestandsaufnahme Die Genehmigung von Hochspannungsleitungen in Deutschland ist langwierig. Die Bundesnetzagentur hält in ihrem Bericht vom 8. Januar 2008 folgende typi- sche Verfahrensdauern fest: Dr. Wolfram Hertel • Vorklärung bei der zuständigen Behörde: rund Nach der vom Bundestag beschlossenen Fassung des 6 Monate; Gesetzes soll u.a. folgender § 25 Abs. 3 in das Verwal- • Raumordnungsverfahren: rund 24 Monate; tungsverfahrensgesetz des Bundes eingefügt werden: • Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP): „Die Behörde wirkt darauf hin, dass der Träger bei der rund 12 Monate Planung von Vorhaben, die nicht nur unwesentliche • FFH-Verträglichkeitsprüfung: rund 16 Monate; Auswirkungen auf die Belange einer größeren Zahl von • Eigentliches Planfeststellungsverfahren: 48 Monate Dritten haben können, die betroffene Öffentlichkeit früh- zeitig über die Ziele des Vorhabens, die Mittel, es zu Auch wenn man berücksichtigt, dass einige der Ver- verwirklichen, und die voraussichtlichen Auswirkungen fahrensschritte zum Teil parallel abgehalten werden des Vorhabens unterrichtet (frühe Öffentlichkeitsbetei- können, ist mit einer Gesamtdauer bis zur Realisierung ligung). Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung soll mög- einer Hochspannungsleitung von 9 bis 10 Jahren zu lichst bereits vor Stellung eines Antrags stattfinden. rechnen. Dieses Verfahren ist also zeitaufwendiger als Der betroffenen Öffentlichkeit soll Gelegenheit zur Äu- die Genehmigung eines Kraftwerks selbst. ßerung und zur Erörterung gegeben werden. Das Er- In den vergangenen Jahren hat der Gesetzgeber mit gebnis der vor Antragstellung durchgeführten frühen verschiedenen Gesetzen versucht, die Verfahren durch Öffentlichkeitsbeteiligung soll der betroffenen Öffent- Gesetzesänderungen zu beschleunigen: lichkeit und der Behörde spätestens mit der Antragstel- • Ende 2006 hat er das Infrastrukturplanungsbe- lung, im Übrigen unverzüglich mitgeteilt werden. Satz schleunigungsgesetz (IPlBG) erlassen, das zum 1 gilt nicht, soweit die betroffene Öffentlichkeit bereits Ziel hat, die Verfahren zu verkürzen und den nach anderen Rechtsvorschriften vor der Antragstel- Rechtsschutz gegen bestimmte Entscheidungen lung zu beteiligen ist. Beteiligungsrechte nach anderen auf eine Instanz zu beschränken. Rechtsvorschriften bleiben unberührt.“ • Im August hat er das Energieleitungsausbaube- schleunigungsgesetz (EnLAG) beschlossen, mit 2. Die Hauptursachen für die überlangen Verfahren welchem er Bedarf für bestimmte Leitungen Nach unserer Erfahrung bei der Beratung von Vorha- gesetzlich bindend feststellt. benträgern und Behörden in solchen Planfeststellungs- • Nunmehr hat der Bundestag das Planfeststellungs- verfahren haben diese Gesetzesänderungen an dem verfahrensvereinheitlichungsgesetz (PlVereinhG) eigentlichen Problem solcher Verfahren aber nichts ge- beschlossen, das aber noch nicht in Kraft ist. Das ändert – auch das Planfeststellungsverfahrensverein- Gesetz ist den Erfahrungen mit umstrittenen Groß- heitlichungsgesetz wird keine wesentliche Änderung projekten wie „Stuttgart 21“ geschuldet. bringen. Zwei Hauptursachen lassen sich identifizieren:
Zwischen Raumordnung und Netzausbau 18 a) Die Risikoaversion und mangelnde Erfahrung der halten diese deshalb oft keine für solche Fragen spezi- Genehmigungsbehörden fisch geschulten Mitarbeiter vor. Zentrale Ursache dafür, dass viele Verfahren solange dauern, ist die schwierige Rolle der Planfeststellungs- b) Die Ausuferung informeller Vorverfahren behörde: An die Behörde werden in der Öffentlichkeit Ein weiterer Grund für die lange Verfahrensdauer ist und durch den Vorhabenträger verschiedene Erwar- die seit vielen Jahren zu beobachtende Ausuferung tungen gestellt, sie gerät damit im Laufe des Verfah- von informellen Vorverfahren. Auch dies ist dem Span- rens immer mehr in eine „Sandwich-Situation“, die nungsfeld von Transparenz zu Öffentlichkeit und den dazu führt, dass sie versucht, jede Fehlermöglichkeit zwingend notwendigen Vorklärungen mit dem Vorha- und damit auch jede Eigeninitiative zu vermeiden. benträger gefordert. Vor dem Genehmigungsverfahren Die Behörde steht von Beginn des Verfahrens an in gab es deshalb ursprünglich informelle Absprachen. einem Spannungsfeld: Der Vorhabenträger erwartet Diese wurden später als sogenanntes „Scoping“ for- von der Behörde – jedenfalls zu Beginn des Verfahrens malisiert und im Zuge der weiteren Entwicklung in der – Vertraulichkeit bei der Voraberörterung allgemeiner Regel mit einer Öffentlichkeitsbeteiligung ergänzt. Fol- Planungsalternativen. Zu einem späteren Zeitpunkt hat ge davon war, dass sich ein weiterer Verfahrensschritt, er Interesse an möglichst frühzeitigen bindenden Zu- das sogenannte „Pre-Scoping“ entwickelte. Auch die- sagen der Behörde. Seitens der Politik und Öffentlich- ses Verfahren soll nunmehr aber aus politischen Grün- keit wird an die Behörde dagegen die Anforderung ge- den mit Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden (hierzu stellt, möglichst frühzeitig transparent zu informieren. sogleich der aktuelle Gesetzgebungsvorschlag der Später wird die Behörde dann aber allein gelassen und Bundesregierung). Dies wird wiederum dazu führen, in der Politik zum Teil als „Sündenbock“ missbraucht dass vor dem Pre-Scoping weitere informelle Vorver- oder die Politik zieht sich „aus der Affäre“ und verweist fahren stattfinden werden. auf die Behörde, die Sachzwänge und rechtliche Re- geln einzuhalten gehabt hätte. Aber auch gegenüber 3. Thesenartiger Lösungsvorschlag dem Vorhabenträger wandelt sich die Rolle der Be- Will man das Vorhaben tatsächlich beschleunigen, wird hörde im Laufe des Verfahrens: Ist die Behörde zu Be- an dem heutigen dreistufigen Vorgehen festzuhalten ginn des Verfahrens ein Partner bei der gemeinsamen sein: Erarbeitung von Planalternativen und der Bewältigung • Ohne informelles Vorverfahren zur Diskussion über der gesetzgeberisch vorgegebenen Schritte, ändert mögliche Planungsalternativen zwischen Vorha- sich dies mit Erlass der Genehmigung bzw. des Plan- benträger und der Genehmigungsbehörde geht es feststellungsbeschlusses: Durch diese Entscheidung nicht. Kein Vorhabenträger kann eine fertige Pla- übernimmt die Behörde einen Teil des Projektrisikos nung vorlegen, ohne jemals mit der Behörde über des Vorhabenträgers. Sollte sich die Genehmigung deren Interessen und mögliche Risiken gesprochen nämlich später als undurchführbar oder rechtswidrig zu haben. herausstellen, hat der Vorhabenträger Amtshaftungs- • Anschließend muss eine öffentliche Diskussions- ansprüche gegen die Behörde. phase stattfinden, die – anders als im heutigen Recht – auch Alternativen einschließt. Zum ersten Diese Gesamtsituation ist nach unserem Eindruck der Mal würde also die Öffentlichkeit tatsächlich in die Hauptgrund dafür, dass die Behörden in solchen Ver- Alternativensuche und -bewertung einbezogen. fahren so gut wie nie von den vom Gesetzgeber eröff- Der nun vom Bundestag durch das PlVereinhG neten Möglichkeiten Gebrauch machen, verfahrensbe- beschlossene § 25 Abs. 3 VwVfG (Text vgl. oben schleunigende Sonderregelungen zu wählen. sub 1.) bietet für diesen Verfahrensschritt eine gute Verstärkt wird das Problem noch durch die häufig man- Grundlage, müsste aber – um überhaupt Wirkung gelnde Erfahrung von Behörden bei solchen Verfah- zu erlangen – in die meisten Verfahrensgesetze der ren: Sie führen nur in sehr unregelmäßigen und häufig Länder übernommen werden. Die Genehmigungen auch langen Abschnitten Planfeststellungsverfahren für Energie- und Verkehrsinfrastruktur werden fast für Hochspannungsleitungen durch. Angesichts der durchgängig von den Ländern nach Maßgabe des ohnehin knappen Personalressourcen der Behörden jeweiligen Landesverfahrensrechts erteilt. Der Bun-
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