Bccg - Infrastrukturausbau und Energiewende - Herausforderung für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft

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Bccg - Infrastrukturausbau und Energiewende - Herausforderung für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft
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Infrastrukturausbau und Energiewende –
Herausforderung für Politik, Gesellschaft
und Wirtschaft

Eine Dokumentation

                         In Kooperation mit
Bccg - Infrastrukturausbau und Energiewende - Herausforderung für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft
Inhalt                                                                                                     2

Inhaltsverzeichnis

  Zusammenfassung                                                                                     03
  Markus Hilse, Geschäftsführung navos – Public Dialogue Consultants GmbH

  Grußwort                                                                                            05
  Dr. Rainer Giersch, Chairman BCCG, Regionalkomitee Norddeutschland

  Einführung: Herausforderung Infrastrukturausbau                                                     07
  Klaus Kaiser, Partner, ERM GmbH

  Politik: Die Energiewende made in Hamburg                                                           10
  Holger Lange, Staatsrat der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Freie und Hansestadt Hamburg

  Gesellschaft: Zwischen Hoffnungen und Enttäuschungen.                                               12
  Prof. Manfred Güllner, Geschäftsführer, forsa Gesellschaft für Sozialforschung mbH

  Wirtschaft: Neue Netze für neue Energien                                                            13
  Michael Westhagemann, CEO Region Nord, Siemens AG

  Finanzierung: Investitionsrisiken und Lösungsansätze                                                16
  Dr. Thomas Ull, Seniormanager, PricewaterhouseCoopers AG

  Recht: Infrastruktur und Energiewende zwischen Raumordnung und beschleunigtem Netzausbau            17
  Dr. Wolfram Hertel,Partner, Raue LLP

  Kommunikation: Lange Leitungen. Warum Unternehmen lernen müssen sich dem Dialog zu stellen          20
  Michael Sasse, Leiter Unternehmenskommunikation, Wintershall Holding GmbH
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Zusammenfassung Symposium                                                            3

Zusammenfassung
Symposium:
Markus Hilse, geschäftsführender Gesellschafter
navos – Public Dialogue Consultants GmbH

Deutschlands Energiewende hält Einzug in den in-
ternationalen Sprachgebrauch, während hierzulande
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft darum ringen, die-
ses Jahrhundertprojekt im Alltag wirtschafts- und so-
zialverträglich umzusetzen. Auf Einladung der British
Chamber of Commerce in Germany haben Vertreter
aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft im Februar        Markus Hilse
2013 auf dem Symposium „Infrastrukturausbau und
Energiewende“ intensiv über Herausforderungen und          werden in der Öffentlichkeit und durch den Vorhaben-
mögliche Lösungsansätze diskutiert. Denn, wie Micha-       träger konträre Erwartungen gestellt. Sie gerät im Laufe
el Westhagemann, CEO Region Nord der Siemens AG            des Verfahrens immer mehr in eine Sandwich-Situati-
es formulierte: „Das Projekt Energiewende ist bereits      on.“ Ergänzend fügte Klaus Kaiser, Partner der ERM
im vollen Gange. Dabei wird aber kein neues Energie-       GmbH, hinzu: „Derzeit ist das Bild bei Planung und Ge-
system entworfen, sondern ein funktionierendes im lau-     nehmigung durch uneinheitliche Prozesse und Vorge-
fenden Betrieb überarbeitet.“                              hensweisen geprägt.“ Kaiser forderte, die Umsetzung
                                                           der gesetzlichen Vorgaben im verwaltungsbehördli-
Drängende Aufgabe: Netzausbau                              chen Handeln zu vereinheitlichen, zu vereinfachen und
Entscheidend für den Erfolg der Energiewende, so           somit planbar zu machen.
waren sich die Teilnehmer einig, ist der Ausbau des
Stromnetzes. Binnen weniger Jahre müssen rund              Machbar ist, was vermittelbar ist
6.000 km zusätzliche Leitungen gebaut werden, um           Als zweite große Hürde erweist sich beim Infrastruktur-
das bestehende Stromnetz zu modernisieren. Zudem           ausbau die Einbindung der Öffentlichkeit. Dabei allein
setzt Deutschland erstmalig auf die Hochspannungs-         auf juristische und behördliche Aspekte zu pochen
Gleichstromübertragung. Insgesamt sind zusätzlich          reiche nicht, so Michael Sasse, Leiter Unternehmens-
über 1.500 km dieser besonders verlustarmen Tras-          kommunikation Wintershall Holding GmbH: „Die Ener-
sen geplant. „Der Netzausbau muss Schritt halten mit       giewende fordert die Gemeinschaft – und droht sie zu
dem Ausbau der Erneuerbaren Energien! Die Weichen          überfordern.“ Die Lektion sei klar, erklärte Sasse: „Wer
dafür sind politisch zu stellen“, forderte Holger Lange,   neue Infrastruktur leisten will, muss zunächst den Dia-
Staatsrat der Behörde für Stadtentwicklung und Um-         log leisten. Hier haben viele Unternehmen Nachholbe-
welt der Freien Hansestadt Hamburg.                        darf.“ Mit Zahlen unterlegte dies forsa-Geschäftsführer
                                                           Prof. Manfred Güllner. Er machte darauf aufmerksam,
Komplexe Verfahren, konträre Erwartungen                   dass der Glaube an die Energiewende in der Bevölke-
In der Diskussion wurde vor allem auf die überlange        rung abnimmt. Nur noch 42 Prozent seien überzeugt,
Verfahrensdauer und das Scheitern der öffentlichen         dass die Energiewende so wie geplant gelingen wird.
Einbindung eingegangen. Die Gesamtdauer bis zur            Zudem halten 66 Prozent die Energiewende für wenig
Realisierung einer Hochspannungsleitung schätzt Dr.        glaubwürdig und schätzen sie als zu schnell, unüber-
Wolfram Hertel, Partner Raue LLP, auf neun bis zehn        legt und so nicht notwendig ein.
Jahre. Eine zentrale Ursache dafür, dass viele Verfah-
ren so lange dauern, sieht Hertel in der schwierigen
Rolle der Planfeststellungsbehörde: „An die Behörde
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Energiewende als Chance
Anders die Symposiumsteilnehmer. Sie betonten – bei
aller Kritik an der Umsetzung – dass die deutsche
Wirtschaft von der Energiewende profitiere. „Die Um-
setzung des Energiekonzepts setzt einen langen Weg
voraus, der den Akteuren zahlreiche Chancen bietet,
allerdings auch ein hohes Investitionsvolumen erfor-
dert“, so Thomas Ull, Senior Manager PWC AG. Her-
vorzuheben seien die Umstrukturierung und Neuaus-
richtung des Energiemixes sowie der Bau und Betrieb
eigener Energieerzeugungsanlagen. Denn indem das
Word „Energiewende“ international ankommt, bereitet
es den Weg für Technologie made in Germany. Kurz-
um: Made by Energiewende.

Frank Scheidig, Wolfgang Rosenbauer und Gast           Intensive Podiumsdiskussion
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Grußwort                                                                                                         5

Grußwort
Dr. Rainer Giersch, Chairman BCCG, Regionalkomitee
Norddeutschland

Infrastrukturausbau und Energiewende – Herausforde-
rungen für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.
Ein Thema, das, um einen englischen Ausdruck zu ver-
wenden, eine tall order enthält.

Zusammengefaßt:
Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 bei gleichzei-
tiger Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien bis
2020 auf 35% und bis 2050 auf 80%.
Der politische Paradigmenwechsel ist vollzogen – aber      Dr. Rainer Giersch
wie soll er effektiv und effizient umgesetzt werden?
Als einer der großen Risikofaktoren gilt einerseits das    se teure und ineffiziente Ölkraftwerk Neudorf-Werndorf
Stromnetz, das den Anforderungen nach gängiger             bei Graz ans Netz gehen musste, um das deutsche
Meinung nicht standhalten wird. Und andererseits sind      Netz zu stabilisieren, während moderne und effiziente
dann noch eine ganze Reihe offener Fragen zu beant-        deutsche Gaskraftwerke abgeschaltet wurden.
worten: Vor allem die der Versorgungssicherheit und        Aufgrund des starken Windes in Norddeutschland gab
der Bezahlbarkeit alternativer Energien.                   es Windstromspitzen von bis zu 24.000 Megawatt – der
                                                           Leistung von rund 20 großen Atomkraftwerken. Die Prei-
Und gerade bei der Bezahlbarkeit stellen wir fest, dass    se an der Leipziger Strombörse fielen daher in den Kel-
wir in die Falle laufen, der wir, wenn wir sie nicht er-   ler. Dies führte wiederum zur automatischen Abschal-
kennen, oder aus politischem Kalkül heraus nicht se-       tung von modernen und effizienten Gaskraftwerken in
hen wollen, kaum entrinnen können. Lassen Sie mich         Süddeutschland, da sich diese aufgrund der niedrigen
eine Hypothese aufstellen: Der gegenwärtige Boom,          Preise nicht mehr rechneten. Wegen der fehlenden
die riesigen nordamerikanischen Gasreserven durch          Netzkapazitäten zwischen Nord- und Süddeutschland
Fracking zu erschließen und somit preiswerte Koh-          konnte der Windstrom aus dem Norden diese entstan-
lenwasserstoffe der Industrie und der Bevölkerung          dene Energielücke aber nicht auffüllen. Um die Insta-
zur Verfügung zu stellen, könnte ein dramatische Re-       bilität des Netzes zu verhindern, musste der deutsche
Industrialisierung Nordamerikas auslösen und euro-         Netzbetreiber TenneT die sogenannte „Kaltreserve“
päische Unternehmen, die auf preiswerte und sichere        abrufen. Dies sind vier ältere Kraftwerke (drei davon in
Energie angewiesen sind, veranlassen, dem teuren           Österreich), die für solche Fälle bereitgehalten werden.
Europa – und insbesondere dem teuren Deutschland
– den Rücken zu kehren. Das Ergebnis: wir, die Men-        Im Endeffekt läuft nun ein viermal so teures altes Öl-
schen in diesem Land, bezahlen politische Entschei-        kraftwerk statt der modernen deutschen Gaskraft-
dungen mit einer schleichenden De-Industrialisierung       werke. Dies ist ökonomisch und ökologisch unsinnig,
und Destabilisierung der Wirtschaft.                       allerdings eine betriebswirtschaftliche Folge der „plan-
Vielleicht noch etwas am Rande, das zeigt, dass for-       wirtschaftlich“ organisierten Energiewende.
cierte ‚Lösungen‘ nicht immer sinnvoll sind. Eine Mel-     In vielen Ländern der EU wird harsche Kritik an Deutsch-
dung der Wiener Zeitung „Die Presse“:                      land laut. Da es in Deutschland zu wenige Leitungen
„Die deutsche Energiewende steht kurz vor dem Schei-       von Norden nach Süden gibt, fließt Strom nun oft über
tern.“ kommentierte Wolfgang Anzengruber, Chef des         Polen, Tschechien und Österreich von der Nordsee
größten österreichischen Stromkonzerns Verbund.            nach Bayern“, und nach Meinung vieler Branchenken-
Der Grund: Starkwind in Deutschland führte Anfang des      ner liegt das Hauptproblem im bedingungslosen Vor-
Jahres zur skurrilen Situation, dass das vergleichswei-    rang von Ökostrom bei der Netzeinspeisung.
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Grußwort                                                                                             6

Wenn wir in der EU Vorrang für leistbare Energie pos-
tulieren, dann steht Deutschland im Fadenkreuz der
Kritik. Dass es in Europa durchaus auch andere Stra-
tegien gibt, zeigt etwa Großbritannien: Das Land setz-
te in erster Linie auf schnelle Marktliberalisierung. Die
eigenen CO2-Ziele verschoben die Briten auf 2060.
Deutschland will mit massiver Förderung von Ökostrom
die Treibhausgasemissionen sofort senken. Das Resul-
tat sieht mager aus. Da so viele Öl- und Kohlekraftwer-
ke einspringen müssen, wenn der Wind in Deutschland
zu schwach oder eben auch zu stark bläst, stiegen
die CO2-Emissionen im Vorjahr um 1,2 Prozent an.
„Deutschland zahlt einen hohen Preis für nichts“.
                                                            Dr. Rainer Giersch
Allein neue Hochspannungsnetze können nicht die Ul-
tima Ratio sein. Sie sind wichtig, zweifellos. Und die
entscheidenden Instanzen – Politik, Wirtschaft und
Bürger – müssen gemeinsam Lösungen für die Ener-
giewende erarbeiten. Es liegen also noch viele Aufga-
ben vor uns, die wir gemeinsam lösen müssen.
Dazu gehört auch, dass wir den Dialog suchen sollten.
Veranstaltungen wie die heutige sehe ich als einen
wichtigen Teil dieses Prozesses.

Gemeinsamer Ausklang                                        Michael Westhagemann, Holger Lange und
                                                            Michael Sasse
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Einführung: Herausforderung Infrastrukturausbau                                        7

Einführung: Herausforderung
Infrastrukturausbau
Klaus Kaiser, Partner, ERM GmbH

Als ein Baustein zum Themenfeld der Veranstaltung
werden im Folgenden einige Überlegungen zur Pla-
nung und Implementierung von regional und national
bedeutsamen Infrastrukturprojekten und den dabei zu
bewältigenden Herausforderungen vorgestellt, die sich
aus unserer langjährigen Erfahrung in der umweltfach-
lichen Bearbeitung und Genehmigungsbegleitung sol-           Klaus Kaiser
cher Projekte ableiten. Zunächst ist die Frage zu stellen,
was kennzeichnet regional und national bedeutsame            Was bedeutet das für die allgemeine Akzeptanz gegen-
Infrastrukturprojekte? Solche Infrastrukturprojekte stel-    über derartigen Projekte?
len im Regelfall eine Funktion oder Leistung bereit, die     Hier ergibt sich zumeist ein mehrschichtiges Bild.
über die lokale Bedarfsdeckung hinausgeht bzw. für           Dies sei am Beispiel der Energiewende erläutert. Dem
die im Extremfall lokal gar kein erkennbarer Bedarf          Grundsatz nach besteht ein mehr oder minder stabiler
besteht.                                                     gesamtgesellschaftlicher Konsens, dass die Energie-
Ein Beispiel hierfür ist die Errichtung von konventionell    wende notwendig ist. Die Maßnahmen zu deren Umset-
gefeuerten Großkraftwerken, die im Hinblick auf eine         zung stoßen prinzipiell auf Akzeptanz. Schwierig wird
Substitution entfallender Kernkraftwerkskapazitäten          die Gemengelage aber bezogen auf konkrete Projekte
und zur Besicherung der erneuerbaren Energieer-              und die regionalen und lokalen projektbedingten Fol-
zeugung notwendig sind. Der Betrieb eines solchen            gen. Sobald die Lasten den Nutzen eines Projektes
Kraftwerks mag zwar aufgrund des Gewerbesteuerauf-           überwiegen, stellt sich schon fast reflexartig eine ab-
kommens für die Standortkommune noch ökonomisch              lehnende Haltung gegenüber dem konkreten Projekt
interessant sein. Für die übrigen Gemeinden im Stand-        ein, die sich häufig in organisiertem Widerstand mani-
ortumfeld steht ein solches Vorhaben dagegen nur für         festiert. Die Betroffenen nutzen alle Möglichkeiten das
zusätzliche Belastungen (Luftschadstoffe, Lärm, Be-          Projekt in dem jeweils betroffenen Raum zu verhindern
einträchtigung des Landschaftsbilds).                        oder doch zumindest so zu verändern, dass nachteili-
                                                             ge Auswirkungen nach dem Sankt Florians-Prinzip an
Noch deutlicher ist diese unbalanzierte Situation beim       andere Stellen verlagert werden.
Ausbau der Energieübertragungsnetze gegeben. Die-
se müssen letztlich ausgebaut werden, um den Wind-           Wie gestalten sich Planungs- und Genehmigungspro-
strom aus dem Norden Deutschlands in die industriellen       zesse vor diesem Hintergrund?
Ballungsräume im Südwesten und Süden der Republik            Der Planungs- und Genehmigungsprozess ist dem
zu transportieren. Ein Nutzen solcher Leitungsausbau-        Grundsatz nach zunächst einmal durch gesetzliche
vorhaben besteht somit nur in den Einspeise- und Ab-         Vorgaben klar geregelt. So ist beispielsweise für größe-
nahmeregionen. Den Gebietskörperschaften und auch            re Projekte im Rahmen des Ausbaus der Energietrans-
den betroffenen Bürgern „auf der Strecke“ bringen            portnetze zunächst ein Raumordnungsverfahren oder
sie dagegen nur zusätzliche Belastungen in Form von          bei länderübergreifenden Projekten eine Bundesfach-
Landschaftsbildbeeinträchtigungen und Siedlungszer-          planung nach dem Netzausbaubeschleunigungsge-
schneidung bis hin zur Beeinträchtigung von Grund-           setz durchzuführen. Das wesentliche Ziel dieses Prüf-
und Immobilieneigentum.                                      verfahrens ist es, sinnvolle Trassierungsalternativen zu
                                                             identifizieren und vorzugswürdige Trassenalternativen
                                                             vergleichend zu bewerten. Im Ergebnis sollten das
                                                             Raumordnungs- bzw. das Bundesfachplanungsverfah-
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Einführung: Herausforderung Infrastrukturausbau                                       8

ren mit der Festlegung der vorzugswürdigen Trasse           Vor dem Hintergrund derartiger Erfahrungen, ist es nur
abschließen. Sowohl das Raumordnungsverfahren als           allzu verständlich, dass die Genehmigungsbehörden
auch die Bundesfachplanung sehen schon auf dieser           und die beteiligten Fachbehörden erheblich verunsi-
vorgelagerten Prüfebene eine obligatorische Beteili-        chert sind. Dies erhöht einerseits die gegenüber dem
gung der Öffentlichkeit vor. Dies hat zur Folge, dass die   Vorhabenträger formulierten Anforderungen bzgl. des
potentiell betroffenen Gebietskörperschaften und auch       Antragsumfangs und führt andererseits zu verzögerten
Private schon auf der Ebene der Alternativenfindung         Entscheidungsprozessen seitens der Behörden. Es ist
und des Alternativenvergleichs bestrebt sind, ihre Par-     eigentlich keinem Sachbearbeiter auf Seiten der Ge-
tikularinteressen durchzusetzen, indem sie versuchen        nehmigungsbehörde zu verdenken, wenn er sich an-
den Nachweis zu führen, dass das Projekt insgesamt          gesichts des massiven Widerstands gegen ein Projekt
oder zumindest einzelne Alternativen fachlich und           lieber zwei und dreimal absichert, bevor er zu einer
rechtlich nicht haltbar sind. Diese mehr oder minder        Entscheidung findet. Wer möchte schon einen später
fachlich begründeten Bedenken, deren Anzahl sich –          gerichtlich aufgehobenen Planfeststellungsbeschluss
vereinfacht ausgedrückt – umgekehrt proportional zur        verantworten müssen. Diese Randbedingungen, die
Akzeptanz gegenüber dem Vorhaben verhält, sind von          letztlich aus der mangelnden Akzeptanz gegenüber In-
der verfahrensführenden Behörde bei ihrer Abwägung          frastrukturprojekten resultieren führen zu Schwergang
zu berücksichtigen. Dies erschwert und verlängert           und zu zeitlichen Verzögerungen bei der Planung und
häufig die Entscheidungsfindung der Behörden, zumal         im Genehmigungsverfahren.
in derartigen Verfahren durchaus auch versucht über
die politische Schiene die verfahrensführenden Behör-       Was wäre nun wünschenswert, um den Ablauf zu be-
den zu beeinflussen.                                        schleunigen und diese Mechanismen zu durchbrechen?
Auf das Raumordnungsverfahren folgt dann die eigent-        Zum einen wäre es hilfreich, die Prüfprozesse der Be-
liche Vorhabensgenehmigung, die bei einer Energie-          hörden zu vereinheitlichen und den Sachbearbeitern
übertragungsleitung im Regelfall das Ergebnis einer         über einheitliche Ausführungsvorgaben zur Umset-
Planfeststellung ist. In diesem Rahmen sind neben der       zung der gesetzlichen Regelwerke Hilfestellung für die
Umweltverträglichkeit auch die Prüfraster des Natura        Entscheidungsfindung zu geben. Derzeit ist das Bild
2000-Gebietsschutzes und des Artenschutzes ab-              eher durch uneinheitliche Prozesse und Vorgehenswei-
zuarbeiten. Insbesondere aus dem Natura 2000 Ge-            sen geprägt. Der Umgang mit einzelnen Prüfschritten
bietsschutz und der Artenschutzthematik können sich         und der hierfür erforderliche vom Vorhabenträger zu
Sachverhalte ergeben, die rechtlich nur schwer über-        erbringende Belegaufwand können von Behörde zu
windbare Projekthindernisse darstellen. Sie stellen so-     Behörde varieren bzw. sogar in Abhängigkeit von den
mit ein scharfes Schwert bzgl. der Zulassungsfähigkeit      einzelnen beteiligten Sachbearbeitern verschieden
eines Projektes dar.                                        sein. Unser Petitum ist daher, nicht etwa bestehende
                                                            gesetzliche Anforderungen zu entschärfen, wie dies
Dieser Sachverhalt wurde und wird daher von Geg-            z.B. bzgl. des Naturschutzes wiederholt im politischen
nern als Ansatzpunkt bei dem Versuch genutzt, ein           Raum angeregt wurde. Vielmehr muss es darum ge-
„ungeliebtes“ Projekt zu verhindern oder zumindest zu       hen, die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im ver-
verzögern. Hierzu wird häufig eine verwaltungsgericht-      waltungsbehördlichen Handeln zu vereinheitlichen, zu
liche Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses          vereinfachen und somit planbar zu machen.
angestrengt, die sich insbesondere auch auf die Über-       Das zweite Aktivitätsfeld ist eine frühzeitig einsetzen-
prüfung der behördlichen Entscheidungen zum Natura          de und andauernde Projektkommunikation, die sich
2000 Gebietsschutz und zum Artenschutz fokussiert.          aber nicht nur auf reine Information der Betroffenen be-
Hier seien als Beispiel nur die langwierigen Verfahren      schränken darf. Es sollte stattdessen ein echter Dialog
zum Weiterbau der A 44 angeführt. Das naturschutz-          angestrebt werden, in dessen Verlauf auch sinnvolle
rechtliche Regelwerk wird hier, so unsere Einschät-         Hinweise aufgenommen und im Rahmen einer Projekt-
zung, instrumentalisiert, um ein nicht gewolltes Projekt    optimierung soweit wie möglich umsetzt werden. Es
zu verhindern.                                              gilt, den Betroffenen auf Augenhöhe zu begegnen und
                                                            sie ernst zu nehmen. So kann Akzeptanz erhöht oder
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Einführung: Herausforderung Infrastrukturausbau                                  9

zumindest der Widerstand merklich reduziert werden.
Nicht zuletzt müssen aber auch die Vorhabenträger
bei der Vorbereitung ihrer Projekte mit der gebotenen
Sorgfalt vorgehen. Überambitionierte Zeitpläne für den
Planungsprozess und das Genehmigungsprozedere
sind da eher kontraproduktiv. Sie können ebenso wie
zu knappe Planungsbudgets zu nicht ausreichend be-
lastbaren Antragsunterlagen führen, die dann in auf-
wendigen Nachbearbeitungsschleifen auf das Niveau
gehoben werden müssen, das von den Behörden für
ihre Abwägungsentscheidung erwartet wird.
Noch einmal zusammengefasst: Eine Behörde wird
basierend auf klaren Handlungsleitlinien über einen
fachlich umfassenden und alle Aspekte angemessen
                                                         Klaus Kaiser, Markus Hilse
thematisierenden Antrag schneller und mit größerer Si-
cherheit entscheiden können. Gleichzeitig besteht die
Chance, durch eine offene kommunikative Begleitung
die Akzeptanz gegenüber einem Projekt zu erhöhen
und damit die Bereitschaft für eine rechtliche Anfech-
tung zumindest zu reduzieren.

Morag McLean, Hans-Jochen Lorenzen                       Angar Porthun, Dr. Rainer Giersch, Dr. Terrie Romano
Bccg - Infrastrukturausbau und Energiewende - Herausforderung für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft
Die Energiewende made in Hamburg                                                  10

Politik: Die Energiewende
made in Hamburg
Holger Lange, Staatsrat der Behörde für Stadtentwick-
lung und Umwelt, Freie und Hansestadt Hamburg

Die Energiewende ist aktuell eine der zentralen Her-
ausforderungen. Sie zukunftsfähig, klimafreundlich
und am Gemeinwohl orientiert zu gestalten und dabei
zugleich die Versorgungssicherheit, Anlagensicherheit
                                                         Holger Lange
und Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten, ist dem
Hamburger Senat ein Handlungsschwerpunkt.                versorgung zurückzugewinnen, ist der 25,1 % - Beteili-
Hamburg ist ein Gewinner der Energiewende. Im Be-        gungserwerb der Stadt an den Strom- und Gasnetzen
reich Erneuerbare Energien wird verstärkt investiert,    sowie am Wärmenetz inklusive der Produktion.
laufend entstehen neue Arbeitsplätze. Rund 25.000        Gute Energiepolitik macht man aber nicht alleine mit
Personen arbeiten heute bereits in der Erneuerbaren      Energienetzen, entscheidend ist ein energiepolitisches
Energien-Branche in der Metropolregion.                  Gesamtkonzept mit dem Einfluss auf die Energieer-
                                                         zeugung, gerade im Wärmebereich. Genau an diesem
Die „Energiewende made in Hamburg“ ruht auf drei         Punkt setzen die im Zuge des Beteiligungserwerbs mit
Säulen:                                                  Vattenfall und E.ON geschlossenen energiepolitischen
                                                         Kooperationsvereinbarungen an. Diese umfassen die
1. Mehr Energieeffizienz                                 Vornahme von Investitionen in Höhe von rund 1,6 Mrd.
2. Zukunftsfähige Netzen                                 € sowie mehr als 40 energiewirtschaftliche Projekte,
3. Ausbau erneuerbarer Energien                          Einzelmaßnahmen und Arbeitsbereiche,rdie nun umge-
                                                         setzt werden.
Eine Stadt wie Hamburg braucht jede Menge Energie.
Viel lässt sich einsparen, ohne auf Lebensqualität und   Dazu zählt im Bereich Fernwärme insbesondere der
Wirtschaftskraft zu verzichten. Sparsamere Heiztech-     Ersatz des aus den 60er Jahren stammenden Steinkoh-
nik, bessere Gebäudedämmung, moderne Kraftwerke          lekraftwerks Wedel durch ein neues, hoch modernes
und die Optimierung betrieblicher Abläufe bieten viele   und effizientes Gas- und Dampfheizkraftwerk mit einem
Möglichkeiten für eine effizientere Nutzung von Strom    innovativen Speichersystem, das Windstrom in Wärme
und Wärme. In Zeiten steigender Preise für Energie       umwandeln und speichern kann. Rund 250.000 Tonnen
rechnet sich das auch finanziell.                        CO2 werden dadurch jährlich eingespart. Aber auch
                                                         die Weiterentwicklung der Netze zu sog. „smart grids“
Mit unserem Förder- und Beratungsprogramm „Unter-        ist von entscheidender Bedeutung.
nehmen für Ressourcenschutz“ stoßen wir Maßnah-          Der Ausbau Erneuerbaren Energien verlangt die Aus-
men zur Umsetzung der Energiewende in den Un-            weitung der Produktionskapazitäten. Dieses geschieht
ternehmen an. 1.800 Unternehmen haben bislang an         unter anderem durch Projekte der städtischen Tochter
dem Programm teilgenommen und rund 350 Mio. € in         Hamburg Energie GmbH: Das Weltquartier in Wilhelms-
Klima- und Ressourcenschutzmaßnahmen investiert,         burg beispielsweise wird von Hamburg Energie kom-
durch die jährlich 288.000 Tonnen CO2-Emissionen         plett mit Wärme aus Erneuerbaren Quellen versorgt.
vermieden werden.                                        Rund 30.000 Tonnen CO2 werden dadurch pro Jahr ein-
                                                         gespart. Aber auch im Hafen findet die Energiewende
Die Strom- und Erdgasnetze sind aus- und umzubau-        statt: Zusätzliche Flächen für Windkraftanlagen werden
en, die Wärmeversorgung und die Energiespeicherung       identifiziert, die HafenCity entpuppt sich als Labor für
weiterzuentwickeln. Eine der wesentlichen Weichen-       innovative Technik- und Energiedienstleistungen.
stellung, um strategischen Einfluss auf die Energie-     Bei aller Euphorie: verkennen wir nicht, dass die Ener-
Die Energiewende made in Hamburg                                                     11

giewende erhebliche Anstrengungen erfordert. Für           In der Wirtschaftspolitik wird zur Lösung von Zielkon-
Hamburg als großem Standort der Windenergiebran-           flikten das so genannte „Magische Viereck“ verwen-
che kommt es entscheidend darauf an, dass die              det: angemessenes und stetiges Wirtschaftswachs-
Übertragungsnetze rasch und zuverlässig ausgebaut          tum, Preisniveaustabilität, hohe Beschäftigung und
werden. Der Netzausbau muss Schritt halten mit dem         außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Es gibt jedoch
Ausbau der Erneuerbaren Energien! Die Weichen da-          genügend Stimmen, die dieses magische Viereck, um
für sind politisch zu stellen.                             zwei weitere nachhaltige Ziele – „soziale Gerechtig-
Natürlich gibt es hier viele widerstreitende Akteure mit   keit“ und „lebenswerte Umwelt“ – erweitern wollen zu
eigenen Interessen, u.a.:                                  einem Sechseck. Gleichzeitig alle Ziele zu erreichen
                                                           ist schwer, aber alle Mühe wert! Vielleicht hilft dieser
• 	Die Übertragungsnetzbetreiber, die mehr Anreize für    Ansatz, in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ein ge-
    den Netzausbau fordern,                                meinsames Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die
•	Bürgerinitiativen, die sich gegen die Verlegung von     Energiewende nicht umsonst sein kann, wir aber auch
    Stromtrassen oder den Bau von Windkraftanlagen         eine richtig gute Gegenleistung bekommen.
    engagieren,
• 	Betreiber, die investieren wollen und denen die        Klaus Töpfer hat die Energiewende in Deutschland
    Dinge nicht schnell genug gehen,                       einmal mit der „Dritten industriellen Revolution“ verglei-
•	 Teile der Finanzwirtschaft, die ihre klassischen       chen. Zu Recht!
    Finanzierungsmodelle und -geschäfte durch inno-        Und weil jede Revolution ihren Ursprung darin hat,
    vative Unternehmen und energiewirtschaftliche Bür-     dass Menschen sich versammeln und gemeinsam für
    gerbeteiligungsmodelle gefährdet sehen,                Veränderung und Wandel engagieren, würde ich mir
•	Große Energiekonzerne, die ihre Geschäftsmodelle        wünschen, dass auch dieses Symposium im Zeichen
    produktionsseitig weg vom bisherigen konventio-        dieses Aufbruchs steht – genauso wie die „Energie-
    nellen Kraftwerkspark auf erneuerbare Energien um-     wende made in Hamburg“!
    stellen müssen,
•	 Energienutzer und Verbraucherschützer, die den
    Fokus auf die Bezahlbarkeit von Energie legen.

Und am Ende hat das Ganz ja auch noch eine euro-
päische Dimension: Die Energiemärkte sind miteinan-
der technisch, rechtlich und wirtschaftlich verknüpft,
gleichzeitig gibt es große Unterschiede, die es zu
überwinden gilt.
Die Politik muss den richtigen Weg finden und abwä-
gen - was sie aber nicht sein darf, ist unentschlossen
oder handlungsunfähig!
Zwischen Hoffnungen und Enttäuschungen.                                              12

Gesellschaft:
Zwischen Hoffnungen und
Enttäuschungen. Meinungen
und Einschätzungen der
Bürger zur Energiewende
Prof. Manfred Güllner, Geschäftsführer,
forsa Gesellschaft für Sozialforschung mbH
                                                            Prof. Manfred Güllner
Die Notwendigkeit der abrupten Kehrtwende in der
Energiepolitik, die nach dem Reaktorunfall in Fukushi-      litik kletterte dieser Anteil auf einen Höchstwert von 35
ma im Frühjahr 2011 vollzogen wurde, wurde von den          Prozent. Fehleinschätzungen von „Volkes Wille“ – wie
politischen Akteuren mit „Volkes Wille“ begründet.          bei der Energiewende geschehen – steigern somit den
An dieser Unterstellung ist richtig, dass nicht erst seit   Unmut der Bürger über die politischen Akteure. Dar-
Fukushima, sondern schon seit dem Reaktorunglück            aus sollten die Unternehmen in Deutschland eigentlich
von Tschernobyl eine Mehrheit der Deutschen auf die         Lehren ziehen – doch viele Unternehmen glauben, sich
Nutzung der Kernkraft verzichten wollte und dass sich       einem vermeintlich in allen Schichten der Bevölkerung
die erneuerbaren Energien wie Sonne und Wind seit je-       vorhandenen „grünen“ Zeitgeist anpassen zu müssen.
her hoher Beliebtheit erfreuen. Doch der Ausstieg aus       E.ON-Chef Johannes Teyssen z.B. bezeichnet sein
der Kernenergie war für die große Mehrheit der Bürger       Unternehmen als „den grünsten Energieerzeuger der
in Deutschland nie ein wirklich drängendes Problem          Welt“ und lässt mit „grünem“ Strom werben. Doch das
und es gab und gibt bei aller Beliebtheit regenerativer     ist wenig glaubhaft und wirkt sich eher negativ auf das
Energiearten große Zweifel an ihrer Effizienz. Aktuell      Bild von E.ON aus – ebenso wie die Werbung eines Le-
glauben nur noch 9 Prozent der Bundesbürger, dass           bensmittelproduzenten, der eine Käsesorte „als Käse
der Energiebedarf in Deutschland auf absehbare Zeit         mit der grünen Seele“ anpreist. Wie falsch die Einschät-
allein durch erneuerbare Energien gedeckt werden            zung eines durchgängig „grünen“ Zeitgeistes ist, hat
kann. Insofern glaubt auch nur eine Minderheit von 42       im Übrigen auch die Volksabstimmung über Stuttgart
Prozent, dass die Energiewende, so wie geplant, gelin-      21 gezeigt: Nicht die angeblichen „Wutbürger“ hatten
gen wird. Zudem halten 66 Prozent die Energiewende          eine Mehrheit, sondern hier entlud sich die Wut der
für wenig glaubwürdig und schätzen sie als zu schnell,      vielen „normalen“ Bürger über die von den Medien
zu unüberlegt und so nicht notwendig ein. Dies tun im       glorifizierten „Wutbürger“. Politik und Wirtschaft wären
übrigen auch über 60 Prozent der deutschen Unter-           deshalb gut beraten, immer genau hinzuschauen, ob
nehmer, von denen auch nur ein Drittel an den Erfolg        „Wutbürger“ oder andere von den Medien gehätschel-
der Energiewende glaubt.                                    te „Bewegungen“ nicht überwiegend aus selbsternann-
                                                            ten Advokaten bestehen, die Partikular-Interessen ohne
Mit höheren Energiekosten für ihr Unternehmen rech-         Rücksicht auf die Interessen der Mehrheit der Bürger
nen hingegen alle Unternehmen – 81 Prozent sogar            vertreten und durchsetzen wollen. Dies ist umso wich-
mit einer starken Steigerung. Anders als von der Po-        tiger, weil bei falscher Interpretation von Protesten von
litik erhofft, hat diese Entscheidung den Unmut vieler      Minoritäten die Kluft in der Gesellschaft zwischen Tei-
Bürger über die Art und Weise, wie in Deutschland Po-       len der oberen Bildungs- und Einkommensschichten
litik betrieben wird, nicht reduziert, sondern noch ge-     mit entsprechenden kommunikativen Fähigkeiten und
steigert. Der Anteil der mit der Politik Unzufriedenen      Ressourcen und den unteren sozialen Schichten ohne
war von 1994 bis Anfang 2011 von 11 auf 28 Prozent          ähnliche Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Artikulation
angestiegen. Nach der Kehrtwende in der Energiepo-          ihrer Interessen immer größer wird.
Neue Netze für neue Energien                                                       13

Wirtschaft: Neue Netze für
neue Energien
Michael Westhagemann, CEO Region Nord,
Siemens AG

Die Energiewende in Deutschland ist ein epochales
volkswirtschaftliches Projekt! Und: Sie ist unserer Mei-
nung nach – trotz aller Kritik – machbar! Vor allem aber
ist sie eine große Herausforderung und ganz gewiss
kein Selbstläufer. Gerade deshalb stellen sich viele
internationale Beobachter aus Wirtschaft und Politik
die Frage, warum sich die deutsche Volkswirtschaft
ohne Not in das Abenteuer eines ebenso radikalen
wie teuren Umbaus ihres Energiesystems begibt. Die
Antwort ist eine ganz einfache: Weil das Land von          Michael Westhagemann
der Energiewende DOPPELT profitiert! Erstens kann          Technologien auch wirklich im „Schaufenster“ stehen.
Deutschland durch den Umbau des Energiesystems             Das heißt, Deutschland muss die Voraussetzungen da-
auf eine nachhaltige Grundlage seine wirtschaftliche       für schaffen, dass Innovationen im eigenen Land zum
Stärke ausbauen. Denn Erneuerbare Energien sind            Einsatz kommen. Und es muss ebenfalls dafür gesorgt
von Rohstofflieferungen unabhängig und haben da-           werden, dass die Ziele der Energiewende mit vertret-
durch langfristig einen Preisvorteil. Dieser Pluspunkt     baren Kosten zu erreichen sind.
muss allerdings mit konventionellen Kraftwerken ab-        Soweit mein Eingangs-Plädoyer. Nun aber zum eigentli-
gesichert werden. Warum? Weil Wind und Sonne nicht         chen Thema, unserer künftigen Netzstruktur.
immer zur Verfügung stehen und Energiegroßspeicher
sich derzeit noch in der Entwicklung befinden. Gera-       „Die Energiewende beschleunigt den Umbau des
de aus diesem notwendigen Technologiemix resultiert        Systems“
eine zweite Chance für die heimische Wirtschaft: der       Dass sich die Energieversorgung in Deutschland dra-
Export von Energietechnik. Die jährlichen Ausgaben         matisch wandelt, bekommt man als Verbraucher an
hierfür liegen in den nächsten 20 Jahren global bei        der Steckdose nicht mit. Mit über 99 Prozent Versor-
über 500 Milliarden Euro. Mit großem Interesse verfolgt    gungssicherheit zählt das Land zu dem kleinen Kreis
man weltweit, welche technologischen Lösungen hier-        jener Staaten, in denen das Licht buchstäblich fast nie
zulande beim Systemwechsel zum Einsatz kommen.             ausgeht. Die Veränderung spielt sich vielmehr hinter
In vielen Ländern findet eine Energiewende ganz an-        der Steckdose ab. Eine einfache Zahl macht das deut-
derer Art statt. Dort werden große Kapazitäten aufge-      lich: Im Jahr 1990 zählte man hierzulande rund 1000
baut, um die wachsende Bevölkerung und Wirtschaft          Kraftwerke. Im Jahr 2010 waren es bereits über eine
mit Energie zu versorgen. Klimaziele stehen dabei oft      Million. Was ist passiert? Die konsequente Förderung
noch hinter anderen Interessen zurück. Trotzdem ist        von Strom aus Erneuerbaren Energien seit Anfang der
auch in solchen Märkten der Aufbau eines nachhal-          90er Jahre hat dazu geführt, dass vor allem immer
tigen Energiesystems auf wirtschaftlicher Grundlage        mehr Wind- und Solaranlagen ans Netz gingen. Betrof-
möglich und nötig. Die deutsche Industrie kann hier        fen ist vor allem das Mittel- und Niederspannungsnetz.
mit ihrer Innovationsstärke und ihrem Know-how auf         Insbesondere im Bereich der Photovoltaik erlebte die
allen Feldern der Energietechnik einen wichtigen Bei-      Bundesrepublik in den letzten Jahren einen Boom, den
trag leisten. Die Exportquote für Energietechnik lag im    niemand vorhergesagt hatte. Es sind die vielen Photo-
vergangenen Jahr bei annähernd 80 Prozent. Mit einer       voltaikanlagen auf Hausdächern und die zahlreich über
erfolgreichen Energiewende wird Deutschland zu einer       das Land verstreuten kleinen Windkraftwerke und Bio-
Art Schaufensterland. Allerdings nur dann, wenn die        masseanlagen, die den Anteil der dezentralen Strom-
Neue Netze für neue Energien                                                       14

erzeugung ständig erweitern. Diese Anlagen sind es           ben Zeitraum werden aber nach Angaben der Netzbe-
auch, die aus der einstigen Energieumwandlungskette          treiber lediglich Übertragungskapazitäten von 12 Giga-
mittlerweile ein komplexes System aus Erzeugern und          watt zugebaut. So mussten Stromerzeuger in Nord- und
Verbrauchern haben entstehen lassen. Früher gab es           Ostdeutschland teilweise schon auf die Stromnetze der
einen klar definierten Weg des elektrischen Stroms           europäischen Nachbarn wie Polen, Tschechien oder
vom zentralen Großkraftwerk über das Übertragungs-           Österreich zurückgreifen, damit der Strom nach Süden
netz zum Verteilnetz. Von dort aus wurde der Strom           transportiert werden konnte.
entweder direkt zu den industriellen Großabnehmern           Darüber hinaus werden heute Windenergie-Anlagen
geliefert oder aber in die Niederspannungsnetze ein-         vermehrt vom Netz genommen, der Verdienstausfall
gespeist und zum Verbraucher gebracht. Heute kehrt           wird den Betreibern trotzdem vergütet. Allein Schles-
sich dieser Weg nicht selten um: Aus Verbraucher             wig-Holstein rechnet auf der Grundlage der Ausbau-
werden Erzeuger oder auch beides – Erzeuger und              pläne für Windenergie im Jahr 2025 mit 100 Millionen
Verbraucher, sogenannte Prosumer. Dieser Trend hat           Euro Entschädigung für nicht abgenommene Strom-
Auswirkungen auf die technische und vor allem auf die        mengen aus erneuerbaren Energien. Dafür müssen die
ökonomische Entwicklung unserer Energieversorgung.           Verbraucher gerade stehen.
Der Strommarkt Deutschlands vollzieht einen Verände-         Um diesem Missverhältnis entgegenzutreten hat schon
rungsprozess im Spannungsfeld zwischen regulatori-           2009 die damalige große Koalition das sogenannte
schen Eingriffen der Politik, der Marktpräsenz großer        Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) beschlossen,
und kleiner Versorgungsunternehmen und einer Viel-           das den schnellen Bau von Nord-Süd-Trassen mit ins-
zahl von Verbrauchern. Wie Deutschland seine avisier-        gesamt 1.800 Kilometern ermöglichen sollte. Bis heute
ten Energieziele erreichen kann, hängt deshalb ganz          sind jedoch nur rund 200 Kilometer realisiert worden –
wesentlich davon ab, welche technischen Notwendig-           laut den Netzbetreibern werden 2016 erst 50 Prozent
keiten sich ergeben und wie der Markt innerhalb der          dieser Trassen gebaut sein. Das Projekt Energiewende
politischen und gesetzgebenden Rahmenbedingun-               ist bereits im vollen Gange. Dabei wird aber kein neues
gen sowie angesichts der schwankenden Stromgeste-            Energiesystem entworfen, sondern ein funktionieren-
hungskosten reagiert.                                        des im laufenden Betrieb überarbeitet. Daher dürfen
                                                             wir uns beim Netzausbau keine großen Fehler erlau-
Meine Damen und Herren, auf den Punkt gebracht –             ben – eine steigende Zahl an Stromausfällen wäre für
müssen wir uns hinsichtlich des Netzausbaus auf fol-         Deutschland als hochindustrialisiertes Land fatal.
gende Entwicklung einstellen:                                Wie aber bekommen wir denn nun aus gemächlichen
• Der Anteil dezentraler Stromerzeugung wir weiter           Landstraßen ein weitverzweigtes Netz sechsspuriger
  steigen.                                                   Autobahnen mit intelligenter Verkehrsbeeinflussung
• Damit einher geht der künftig bi-direktionale              und schnellen Zubringern? Ohne einen ausgeklügel-
  Stromfluss durch sogenannte „Prosumenten“,                 ten Masterplan wird es nicht gehen. Aber gibt es den
  also Verbraucher u. Produzenten gleichermaßen.             schon?

Ich hatte das eben schon kurz erwähnt.                       Nun, wir haben immerhin seit Sommer letzten Jahres
Dies hat zur Folge, dass das ursprünglich lineare Ener-      einen Netzentwicklungsplan, der auf dem zwischen
giesystem zu einer Strom Matrix wird, wenn Sie so wol-       Netzbetreibern und Bundesnetzagentur ausgearbei-
len zu einem „Internet“ der Energie. Nun, was heißt das      teten Netzbedarfsplan fußt. Wir als Siemens begrüßen
konkret für das Energieverteilungsnetz Deutschlands          das. Lassen Sie mich die wichtigsten Anforderungen
und Europas – und in diesem Fall beschränke ich mich         und Vorhaben darin kurz umreißen. Sie sehen sie hier
hier auf das Netz zur Übertragung und Verteilung von         auch auf dem Chart hinter mir aufgeführt:
Elektrizität:                                                Das Strom-Autobahnnetz muß um rund 6.000 km
                                                             erweitert werden, das sind die sogenannten High-
Ausbau und Modernisierung der Netze                          voltage lines.
Allein in Norddeutschland sollen bis zum Jahr 2020 bis
zu 30 Gigawatt Windkraftleistung installiert sein. Im sel-
Neue Netze für neue Energien                                      15

• 2,800 km davon als komplett neue Leitungen,
• 2,900 km davon als Optimierung bestehender
  Leitungen.

Darüber hinaus soll es in einer Art Express- oder Punkt-
zu-Punkt-Verbindung von Nord nach Süd in drei Tras-
sen sogenannte Hochspannungs-Gleichstromübertra-
gungen, HGÜ, geben, insgesamt etwa über eine Dis-
tanz von 1.500 km.

HGÜ für eine effiziente Nutzung der Erneuerbaren
Diese hocheffizienten und verlustarmen Hochleis-
tungstrassen mit Gleichstrom sind, obwohl weltweit be-
reits im Einsatz, in Deutschland relatives Neuland. Die
Technik ist ausgereift, aber überwiegend im Ausland
im Einsatz, beispielsweise zur Anbindung von Inseln        Im Blick: Netzausbau Deutschland
ans Festland. Und etwas Reklame muss an dieser Stel-
le erlaubt sein: Siemens ist einer der wenigen Anbieter,
die diese Technik beherrschen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss
meiner Ausführungen. Damit der für die Energiewende
erforderliche Netzausbau rechtzeitig realisiert
werden kann, bedarf es dringend einer Einigkeit zwi-
schen den Ländern und einer Koordinierung durch den
Bund. Entbürokratisierung und Kooperation müssen
das Gebot der Stunde sein. Netzbedarfsplan, Netzent-
wicklungsplan oder das Netzausbaubeschleunigungs-
gesetz werden hierfür elementare Richtungsweiser
sein. Wir zählen darauf.
Das Ausland schaut auf uns.
Investitionsrisiken und Lösungsansätze                                              16

Finanzierung: Investitions-
risiken und Lösungsansätze
Dr. Thomas Ull, Seniormanager, PWC AG

Durch das Energiekonzept 2050, welches langfristige
Strategien und Entwicklungen der Regierung für eine
umweltschonende Energieversorgung darlegt, steht
der Energieversorgung eine strukturelle Änderung be-
vor. Eine Zielsetzung liegt beispielsweise darin, den
Anteil der erneuerbaren Energien von heute 20 auf 80      Dr. Thomas Ull
Prozent im Jahr 2050 zu erhöhen. Die Umsetzung die-
ses Energiekonzeptes setzt einen langen Weg voraus,       mag. Es existieren diverse Investitionsrisiken (u.a. Ren-
der den Akteuren zahlreiche Chancen bietet, allerdings    dite-, Markt-, Zins- und Währungsrisiken sowie techni-
auch ein hohes Investitionsvolumen erfordert. Für die     sche oder auch politische Risiken), welche allerdings
Erreichung der Klimaziele bedarf es zum Beispiel dem      durch entsprechende Risikomanagementinstrumente
Ausbau erneuerbarer Energien sowie dem Neubau             abgeschwächt werden können. Solche Instrumenta-
von Kohle- und Gaskraftwerken, dem Netzausbau und         rien sind beispielsweise langfristige gesetzliche und
der Forschung und Entwicklung von Energiespeichern,       administrative Rahmenbedingungen, Kapitalmarktre-
um nur einige Bereiche zu nennen. Die sich daraus er-     gulierungen, aber auch Infrastrukturgesellschaften
gebenden Möglichkeiten bestehen unter anderem in          oder Finanzierungsmodelle wie Private Equity, um eine
der Erschließung neuer Geschäftsfelder, der Umstruk-      Streuung der Risiken zu erreichen und somit die Inves-
turierung bzw. Neuausrichtung des Energiemixes, dem       titionsbereitschaft zu erhöhen.
Bau und Betrieb eigener Energieerzeugungsanlagen
oder auch in der Optimierung bzw. dem Ausbau der In-      PwC bietet branchenspezifische Dienstleistungen in den
frastruktur. Im Kontext des angeführten Investitionsbe-   Bereichen Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung und Un-
darfs ergeben sich nach Angaben verschiedener Stu-        ternehmensberatung. Dort schaffen wir für unsere Man-
dien bis zum Jahr 2020 erforderliche Investitionen von    danten den Mehrwert, den sie erwarten. Mehr als 169.000
bis zu 200 Milliarden Euro für die Energiewende. Allein   Mitarbeiter in 158 Ländern entwickeln in unserem inter-
im Jahr 2011 betrug laut dem Bundesministerium für        nationalen Netzwerk mit ihren Ideen, ihrer Erfahrung und
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) die       ihrer Expertise neue Perspektiven und praxisnahe Lösun-
Gesamtsumme der Investitionen in die Errichtung von       gen. In Deutschland erzielt PwC an 28 Standorten mit
Anlagen für die Energiegewinnung aus erneuerbaren         8.900 Mitarbeitern eine Gesamtleistung von rund 1,45
Ressourcen 22,9 Milliarden Euro. Die größten Posten       Milliarden Euro. PwC zählt im Nordwesten an den Stand-
stellen dabei Windenergie- (2.950 Mio. Euro) sowie        orten Bremen und Oldenburg mehr als 80 Mitarbeiter,
Photovoltaikanlagen (15.000 Mio. Euro) dar.               davon zehn Wirtschaftsprüfer und zwölf Steuerberater am
                                                          Standort Bremen. Zu unseren Mandanten zählen neben
Unter dem derzeitigen Umstand der andauernden             Großkonzernen vor allem Familienunternehmen und mit-
Schuldenkrise ist die Finanzierung seitens des Staates    telständische Unternehmensgruppen aus der gesamten
gehemmt, weshalb die Bereitstellung privaten Kapitals     Metropolregion Bremen/Oldenburg.
an Bedeutung gewinnt. Etwa 40% der Investitionen
in erneuerbare Energien werden von Privatpersonen         Weitere Informationen erhalten Sie unter:
finanziert, womit diese zugleich den größten Anteil       Dr. Thomas Ull LL.M.
tragen. Allerdings ist die Finanzierungsbereitschaft      Wirtschaftsprüfer und Leiter des Geschäftsbereiches
durch eine weitreichende Risikofokussierung seitens       Familienunternehmen & Mittelstand bei PwC Nordwest
potenzieller Investoren gehemmt, was seinen Grund         Tel.: +49 421 8980-4282
in der diffizilen Definierbarkeit von Gewinnpotentialen   E-Mail: thomas.ull@de.pwc.com
aufgrund schwer einschätzbarer Risikofaktoren haben       www.pwc.de
Zwischen Raumordnung und Netzausbau                                                  17

Recht: Infrastruktur und
Energiewende zwischen
Raumordnung und beschleu-
nigtem Netzausbau
Dr. Wolfram Hertel, Partner, Raue LLP

1. Bestandsaufnahme
Die Genehmigung von Hochspannungsleitungen in
Deutschland ist langwierig. Die Bundesnetzagentur
hält in ihrem Bericht vom 8. Januar 2008 folgende typi-
sche Verfahrensdauern fest:                               Dr. Wolfram Hertel

• Vorklärung bei der zuständigen Behörde: rund            Nach der vom Bundestag beschlossenen Fassung des
  6 Monate;                                               Gesetzes soll u.a. folgender § 25 Abs. 3 in das Verwal-
• Raumordnungsverfahren: rund 24 Monate;                  tungsverfahrensgesetz des Bundes eingefügt werden:
• Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP):                    „Die Behörde wirkt darauf hin, dass der Träger bei der
  rund 12 Monate                                          Planung von Vorhaben, die nicht nur unwesentliche
• FFH-Verträglichkeitsprüfung: rund 16 Monate;            Auswirkungen auf die Belange einer größeren Zahl von
• Eigentliches Planfeststellungsverfahren: 48 Monate      Dritten haben können, die betroffene Öffentlichkeit früh-
                                                          zeitig über die Ziele des Vorhabens, die Mittel, es zu
Auch wenn man berücksichtigt, dass einige der Ver-        verwirklichen, und die voraussichtlichen Auswirkungen
fahrensschritte zum Teil parallel abgehalten werden       des Vorhabens unterrichtet (frühe Öffentlichkeitsbetei-
können, ist mit einer Gesamtdauer bis zur Realisierung    ligung). Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung soll mög-
einer Hochspannungsleitung von 9 bis 10 Jahren zu         lichst bereits vor Stellung eines Antrags stattfinden.
rechnen. Dieses Verfahren ist also zeitaufwendiger als    Der betroffenen Öffentlichkeit soll Gelegenheit zur Äu-
die Genehmigung eines Kraftwerks selbst.                  ßerung und zur Erörterung gegeben werden. Das Er-
In den vergangenen Jahren hat der Gesetzgeber mit         gebnis der vor Antragstellung durchgeführten frühen
verschiedenen Gesetzen versucht, die Verfahren durch      Öffentlichkeitsbeteiligung soll der betroffenen Öffent-
Gesetzesänderungen zu beschleunigen:                      lichkeit und der Behörde spätestens mit der Antragstel-
• Ende 2006 hat er das Infrastrukturplanungsbe-           lung, im Übrigen unverzüglich mitgeteilt werden. Satz
   schleunigungsgesetz (IPlBG) erlassen, das zum          1 gilt nicht, soweit die betroffene Öffentlichkeit bereits
   Ziel hat, die Verfahren zu verkürzen und den           nach anderen Rechtsvorschriften vor der Antragstel-
   Rechtsschutz gegen bestimmte Entscheidungen            lung zu beteiligen ist. Beteiligungsrechte nach anderen
   auf eine Instanz zu beschränken.                       Rechtsvorschriften bleiben unberührt.“
• Im August hat er das Energieleitungsausbaube-
   schleunigungsgesetz (EnLAG) beschlossen, mit           2. Die Hauptursachen für die überlangen Verfahren
   welchem er Bedarf für bestimmte Leitungen              Nach unserer Erfahrung bei der Beratung von Vorha-
   gesetzlich bindend feststellt.                         benträgern und Behörden in solchen Planfeststellungs-
• Nunmehr hat der Bundestag das Planfeststellungs-        verfahren haben diese Gesetzesänderungen an dem
   verfahrensvereinheitlichungsgesetz (PlVereinhG)        eigentlichen Problem solcher Verfahren aber nichts ge-
   beschlossen, das aber noch nicht in Kraft ist. Das     ändert – auch das Planfeststellungsverfahrensverein-
   Gesetz ist den Erfahrungen mit umstrittenen Groß-      heitlichungsgesetz wird keine wesentliche Änderung
   projekten wie „Stuttgart 21“ geschuldet.               bringen. Zwei Hauptursachen lassen sich identifizieren:
Zwischen Raumordnung und Netzausbau                                                  18

a) Die Risikoaversion und mangelnde Erfahrung der           halten diese deshalb oft keine für solche Fragen spezi-
Genehmigungsbehörden                                        fisch geschulten Mitarbeiter vor.
Zentrale Ursache dafür, dass viele Verfahren solange
dauern, ist die schwierige Rolle der Planfeststellungs-     b) Die Ausuferung informeller Vorverfahren
behörde: An die Behörde werden in der Öffentlichkeit        Ein weiterer Grund für die lange Verfahrensdauer ist
und durch den Vorhabenträger verschiedene Erwar-            die seit vielen Jahren zu beobachtende Ausuferung
tungen gestellt, sie gerät damit im Laufe des Verfah-       von informellen Vorverfahren. Auch dies ist dem Span-
rens immer mehr in eine „Sandwich-Situation“, die           nungsfeld von Transparenz zu Öffentlichkeit und den
dazu führt, dass sie versucht, jede Fehlermöglichkeit       zwingend notwendigen Vorklärungen mit dem Vorha-
und damit auch jede Eigeninitiative zu vermeiden.           benträger gefordert. Vor dem Genehmigungsverfahren
Die Behörde steht von Beginn des Verfahrens an in           gab es deshalb ursprünglich informelle Absprachen.
einem Spannungsfeld: Der Vorhabenträger erwartet            Diese wurden später als sogenanntes „Scoping“ for-
von der Behörde – jedenfalls zu Beginn des Verfahrens       malisiert und im Zuge der weiteren Entwicklung in der
– Vertraulichkeit bei der Voraberörterung allgemeiner       Regel mit einer Öffentlichkeitsbeteiligung ergänzt. Fol-
Planungsalternativen. Zu einem späteren Zeitpunkt hat       ge davon war, dass sich ein weiterer Verfahrensschritt,
er Interesse an möglichst frühzeitigen bindenden Zu-        das sogenannte „Pre-Scoping“ entwickelte. Auch die-
sagen der Behörde. Seitens der Politik und Öffentlich-      ses Verfahren soll nunmehr aber aus politischen Grün-
keit wird an die Behörde dagegen die Anforderung ge-        den mit Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden (hierzu
stellt, möglichst frühzeitig transparent zu informieren.    sogleich der aktuelle Gesetzgebungsvorschlag der
Später wird die Behörde dann aber allein gelassen und       Bundesregierung). Dies wird wiederum dazu führen,
in der Politik zum Teil als „Sündenbock“ missbraucht        dass vor dem Pre-Scoping weitere informelle Vorver-
oder die Politik zieht sich „aus der Affäre“ und verweist   fahren stattfinden werden.
auf die Behörde, die Sachzwänge und rechtliche Re-
geln einzuhalten gehabt hätte. Aber auch gegenüber          3. Thesenartiger Lösungsvorschlag
dem Vorhabenträger wandelt sich die Rolle der Be-           Will man das Vorhaben tatsächlich beschleunigen, wird
hörde im Laufe des Verfahrens: Ist die Behörde zu Be-       an dem heutigen dreistufigen Vorgehen festzuhalten
ginn des Verfahrens ein Partner bei der gemeinsamen         sein:
Erarbeitung von Planalternativen und der Bewältigung        • Ohne informelles Vorverfahren zur Diskussion über
der gesetzgeberisch vorgegebenen Schritte, ändert               mögliche Planungsalternativen zwischen Vorha-
sich dies mit Erlass der Genehmigung bzw. des Plan-             benträger und der Genehmigungsbehörde geht es
feststellungsbeschlusses: Durch diese Entscheidung              nicht. Kein Vorhabenträger kann eine fertige Pla-
übernimmt die Behörde einen Teil des Projektrisikos             nung vorlegen, ohne jemals mit der Behörde über
des Vorhabenträgers. Sollte sich die Genehmigung                deren Interessen und mögliche Risiken gesprochen
nämlich später als undurchführbar oder rechtswidrig             zu haben.
herausstellen, hat der Vorhabenträger Amtshaftungs-         • Anschließend muss eine öffentliche Diskussions-
ansprüche gegen die Behörde.                                    phase stattfinden, die – anders als im heutigen
                                                                Recht – auch Alternativen einschließt. Zum ersten
Diese Gesamtsituation ist nach unserem Eindruck der             Mal würde also die Öffentlichkeit tatsächlich in die
Hauptgrund dafür, dass die Behörden in solchen Ver-             Alternativensuche und -bewertung einbezogen.
fahren so gut wie nie von den vom Gesetzgeber eröff-            Der nun vom Bundestag durch das PlVereinhG
neten Möglichkeiten Gebrauch machen, verfahrensbe-              beschlossene § 25 Abs. 3 VwVfG (Text vgl. oben
schleunigende Sonderregelungen zu wählen.                       sub 1.) bietet für diesen Verfahrensschritt eine gute
Verstärkt wird das Problem noch durch die häufig man-           Grundlage, müsste aber – um überhaupt Wirkung
gelnde Erfahrung von Behörden bei solchen Verfah-               zu erlangen – in die meisten Verfahrensgesetze der
ren: Sie führen nur in sehr unregelmäßigen und häufig           Länder übernommen werden. Die Genehmigungen
auch langen Abschnitten Planfeststellungsverfahren              für Energie- und Verkehrsinfrastruktur werden fast
für Hochspannungsleitungen durch. Angesichts der                durchgängig von den Ländern nach Maßgabe des
ohnehin knappen Personalressourcen der Behörden                 jeweiligen Landesverfahrensrechts erteilt. Der Bun-
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